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Jahrheft 2005 - Verein für Ortsgeschichte Küsnacht

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<strong>Küsnacht</strong>er<br />

<strong>Jahrheft</strong><br />

<strong>2005</strong><br />

Aus <strong>Küsnacht</strong>s Geschichte<br />

und Gegenwart<br />

45. Jahrgang<br />

Herausgegeben<br />

vom <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong><br />

<strong>Küsnacht</strong>


Titelbild<br />

Blick auf das südlich von reformierter Kirche und Seminar gelegene herrlich grüne Gelände.<br />

Der Bau des neuen Schultraktes im nächsten Jahr bedeutet einen massiven Einbruch in die sensible<br />

<strong>Küsnacht</strong>er Kern- und Herzlandschaft.


Inhalt<br />

Vorwort<br />

Alfred Egli 5<br />

Kunst in <strong>Küsnacht</strong><br />

Susi Bleuler<br />

Sinda Dimroth .............................................. 7<br />

Architektin Lux Guyer<br />

Urs Studer . 13<br />

Landwirtschaft<br />

Eine neunmonatige Reise durch die Orangenhaine der Casa dei Mas<br />

BoMsJo~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

Zwei "Studierte» als Bauer und Bäuerin<br />

Rico Steinbrüchel 26<br />

Ein Tropfen Zeit<br />

Hansueli Gehret 31<br />

Landwirtschaft<br />

in Itschnach<br />

Judith und Ruedi Gwalter-Trüb ....................................... 37<br />

Landwirtschaft<br />

und Handwerk im alten <strong>Küsnacht</strong><br />

Walter Letsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

Damals, im Reich der Sinne<br />

Yvonne Kunz-Zürcher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

Landwirtschaft<br />

im <strong>Küsnacht</strong>erberg<br />

Dora Gut 54<br />

Das Bauernjahr im Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

Myrtha Frick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />

Ein Bauernsohn zieht ins Dorf<br />

Anita Geiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63


Persönlichkeiten<br />

Ludwig Snell- ein Revolutionär in <strong>Küsnacht</strong><br />

Stefan G. Schmid . 67<br />

Johann Jakob Reithard - Dichter, Lehrer, Publizist<br />

Alfred Egli 76<br />

Alte Zeiten<br />

Oie <strong>Küsnacht</strong>er Dorfstrasse im Wandel der Zeit<br />

Bruno Wüst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />

Dorfchronik<br />

Alfred Egli 93<br />

Nachrufe<br />

Alfred Egli, Renate Egli, Ursula Schmid . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . .. 105<br />

Sportgeschehen 113<br />

Unsere ältesten Mitbürgerinnen und Mitbürger 117<br />

Impressum 120


Vorwort<br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser<br />

Keine Zeitschrift und kein Buch ohne Vorwort - diesem ungeschriebenen Gesetz ist und<br />

bleibt auch unser <strong>Jahrheft</strong> verpflichtet. Denn die Existenz und Einrichtung des Vorworts versetzt<br />

uns in der Schriftleitung Jahr <strong>für</strong> Jahr in die angenehme Lage, einige persönliche Worte<br />

an Sie zu richten, und erlaubt uns, Ihnen Mal <strong>für</strong> Mal den Inhalt der in unseren Heften dargebotenen<br />

Lektüre kurz vorzustellen. Diese schöne Möglichkeit der unmittelbaren Kontaktnahme<br />

mit Ihnen möchten wir weder jetzt noch in Zukunft je missen!<br />

In Dankbarkeit und nicht ohne einen Anflug von Stolz dürfen wir heute vermerken, dass<br />

wir mit diesem Heft bereits den fünfundvierzigsten Jahrgang unseres 1961 gegründeten kleinen<br />

Unternehmens in die Welt hinausschicken. Dies wäre nicht möglich, wenn nicht ein Walter<br />

Bruppacher mit seinem grossen «teu sacre» die «Kusnachter Jahresblätter- seinerzeit ins<br />

Leben gerufen und wenn nicht ein Hans Schnider das Werk im sei ben Geist unermüdlich<br />

fortgeführt hätte. Der Unterzeichnete als Schriftleiter fühlt sich verpflichtet, dieses doppelte<br />

Erbe seiner Vorgänger weiterzuführen und so die unerlässliche Kontinuität und Konstanz<br />

des Ganzen zu gewährleisten.<br />

Unsere Dankbarkeit gilt ebenso allen unseren treuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die<br />

zum Gelingen dieses neuen Heftes beigetragen haben. Der <strong>für</strong> dieses Jahr gewählte Schwerpunkt<br />

"Landwirtschaft" hat ein kaum zu erwartendes breites Echo in Form von zahlreichen gehaltvollen<br />

Beiträgen gefunden, die uns nebst einem erfrischenden Abstecher nach Spanien<br />

einen Begriff davon vermitteln, wie grundlegend sich unser heimisches Bauernwerk in den<br />

letzten fünfzig Jahren gewandelt hat. Der Aspekt des Einst und Jetzt findet auch in Bruno<br />

Wüsts Text über die <strong>Küsnacht</strong>er Dorfstrasse und in Walter Letschs Aufsatz über Landwirtschaft<br />

und Handwerk von Anno dazumal eine liebevolle und kompetente Würdigung. Nicht unerwähnt<br />

lassen möchten wir ferner den historisch-biographischen Teil dieses Hefts mit seinen<br />

Beiträgen über zwei bedeutende, vor genau 200 Jahren geborene <strong>Küsnacht</strong>er Persönlichkeiten:<br />

Ludwig Snell und Johann Jakob Reithard.<br />

Grosse Freude herrscht bei uns auch im Hinblick auf einen weiteren Punkt: In einer<br />

schriftlichen <strong>Verein</strong>barung mit der Kulturellen <strong>Verein</strong>igung <strong>Küsnacht</strong> (KVK) haben wir uns<br />

durch Rückzahlung des vor fünf Jahren zur Verfügung gestellten Betriebskapitals von der<br />

KVK zur Gänze abgelöst und sind von nun an nicht nur Herausgeber, sondern auch (wie<br />

schon vor Jahresfrist etwas vorschnell angekündigt) Eigentümer des <strong>Küsnacht</strong>er <strong>Jahrheft</strong>es.<br />

Mit diesem Ergebnis wurden unsere jahrelangen Bemühungen um unbedingte und vollständige<br />

Selbständigkeit unseres jungen <strong>Verein</strong>s in zähen Verhandlungen schliesslich aufs<br />

erfreulichste belohnt.<br />

Das nicht hoch genug zu schätzende Prinzip der Autonomie ("Eigengesetzlichkeit,,) wagen<br />

wir im <strong>Jahrheft</strong> noch auf einem ganz anderen Feld zu beanspruchen: Indem wir es nämlich<br />

mit Entschiedenheit verschmähen, uns der in vielen Punkten fragwürdigen, teils gar inakzeptablen,<br />

im August dieses Jahres dennoch offiziell in Kraft getretenen neuen deutschen<br />

5


Rechtschreibung zu beugen. Mit unserer kritisch-distanzierten Haltung, die wir bereits im<br />

Vorwort des <strong>Jahrheft</strong>s 1999 skizzierten und von der abzuweichen wir auch heute keinen Anlass<br />

haben, sind wir in sehr guter publizistischer Gesellschaft!<br />

Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass uns noch zwei weitere Fakten mit Genugtuung<br />

erfüllen: Zum einen hat uns der Gemeinderat die dem <strong>Jahrheft</strong> seit Jahrzehnten freundlich<br />

gewährte, aus nach wie vor rätselhaften Gründen zwei Jahre lang sistierte Subvention neuerdings<br />

(und dankenswerterweise) wieder ausgerichtet; zum anderen hat sich die vor einem<br />

Jahr angebahnte Zusammenarbeit mit dem Unternehmen NZZ Fretz AG in Schlieren sowohl<br />

auf drucktechnischer<br />

wie auf menschlicher Ebene ausgezeichnet bewährt, worüber wir uns<br />

sehr freuen.<br />

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, danken wir herzlich <strong>für</strong> Ihr stetiges und lebhaftes<br />

Interesse <strong>für</strong> unsere Institution im allgemeinen und <strong>für</strong> unser neuestes, der Druckerpresse<br />

eben frisch entschlüpftes Produkt im besondern und wünschen Ihnen angenehme Stunden<br />

einer im besten Sinne lokalpatriotischen Lektüre.<br />

Alfred Egli, Schriftleiter<br />

6


Susi Bleuler, eine Künstlerin aus eigener<br />

Kraft<br />

Susi Bleuler im Atelier, <strong>2005</strong>. Romina Schembri<br />

In meinem Arbeitszimmer hängt ein grosses abstraktes Bild, 100 x 120 Zentimeter, Acryl auf<br />

Leinwand, von Susi Bleuler. Es könnte der Blick aus einer Raumkapsel sein auf einen kleinen<br />

Ausschnitt Erde; es erinnert aber ebenso an Monets späte Seerosenbilder, ein Stück Teich,<br />

ohne Seerosen. Das ist das Faszinierende an guter abstrakter Malerei: Viele Deutungen sind<br />

möglich, stets wird Neues entdeckt; je nach Stimmungslage des Betrachters verwandelt<br />

sich das Bild und verändert sich erneut mit dem jeweiligen Lichteinfall.<br />

Susi Bleulers Bild ist aus vielen Malschichten aufgebaut, durchlässig; bis zum Malgrund<br />

verfolgt das Auge den Pinselstrich. Die Transparenz der Farbaufträge erzeugt diese Tiefe,<br />

die uns an unergründliches Wasser oder den Blick aus grosser Höhe denken lässt. Die<br />

7


Ohne Titel, 1997.<br />

8


Day Dreaming, 2003. Sunset, 2003.<br />

Farbskala reicht von einem dunklen Aquamarin bis zu hellem Türkisblau, die beide eine Art<br />

Rahmen bilden, in dem sich das Licht von Gelb bis Weiss einen Durchbruch verschafft. Die<br />

Pinselführung ist impressionistisch, zart gestisch, eher verhalten, nie auftrumpfend oder pastos,<br />

und das entspricht wohl auch eher der hier vorgestellten Künstlerpersönlichkeit. Susi Bleuler<br />

stammt aus einem Künstlerhaushalt. Die Mutter Pianistin, der Vater ein begabter Bildhauer,<br />

der <strong>für</strong>s tägliche Brot anderweitig arbeiten muss. Unberührt vom nahen Krieg, verbringt Susi<br />

Bleuler die Jahre 1936 bis 1944 zusammen mit ihrem um zwei Jahre älteren Bruder im Einfamilienhaus<br />

in Rüschlikon, das ein verwunschener Garten und ein Wäldchen umgibt. Auf<br />

rostigen Bettfedern hüpfen sie durch den Gemüsegarten der Grosseltern und machen Musik<br />

mit der Mutter oder kneten Plastilin mit dem Vater. 1944 zieht die Familie in einen Altbau an<br />

der Forchstrasse in Zürich, und das Kind wird in die Steiner-Schule umgeschult. Sie gilt als<br />

ungeschickt, als verträumtes Kind, das in Telephonmasten hineinläuft und überall anstösst.<br />

Spät, zu spät findet der Schularzt heraus, dass das Mädchen auf einem Auge nahezu blind<br />

ist und auf dem andern stark kurzsichtig. Susi bekommt eine Brille und einen neuen Namen:<br />

-Brüleschaqqi-. Zu Hause wohlbehütet, in der Schule gehänselt, trägt sie stets einen Bleistiftstummel<br />

bei sich, mit dem sie allerorten ihre Spuren hinterlässt. Sie zeichnet auf Heftumschläge,<br />

Bücher, Tische, Bänke ihre Figuren und Geschichten. Zu Hause kommt noch<br />

eine kleine Schwester zur Welt, und Susi besucht regelmässig mit dem Vater das Bildhaueratelier<br />

Otto Münchs, wo man sie mit einem Klumpen Ton ruhigstellt.<br />

Susi Bleuler besucht die Töchterschule und pflegt währenddessen zwei Jahre lang die<br />

schwerkranke Mutter, bis diese stirbt. In dieser Zeit malt sie ein Bild: Mutter mit totem Kind<br />

im Arm und dahinter der personifizierte Tod. Die Lehrerin verbietet ihr weitere Darstellungen<br />

9


Blauer Traum, 2004.<br />

Flamenco, 2004.<br />

Peter<br />

Schälchli<br />

10


Freude, <strong>2005</strong>. Peter Schälchli<br />

dieses Themenkreises, der sie jedoch später wieder einholen wird. Nach dem Diplom besucht<br />

Susi das Kindergärtnerinnenseminar,<br />

wird selbständig als Au-pair-Mädchen<br />

in Paris.<br />

kümmert sich um die kleine Schwester - und<br />

Zurück in Zürich, heiratet sie den Gymnasiallehrer und Schriftsteller Werner Bleuler und<br />

zieht 33jährig mit ihm und zwei kleinen Kindern, Regula (*1964) und Ueli (*1966), nach<br />

<strong>Küsnacht</strong> - und da ist sie jetzt seit über dreissig Jahren.<br />

Was veranlasst eine Person mit eingeschränktem Gesichtsfeld dazu, ausgerechnet<br />

Malerin zu werden? Wir dürfen rätseln und die Antwort in ihren Bildern suchen. Als Autodidaktin<br />

hat sie einen schweren Weg vor sich.<br />

Als das <strong>Küsnacht</strong>er Höchhus 1967 <strong>für</strong> den Strassenverkehr abgerissen werden soll,<br />

bilden einige unerschrockene Bürger die Stiftung Höchhus, die das alte Gemäuer <strong>für</strong> die Gemeinde<br />

rettet. Und so entsteht die Galerie im Höchhus, die von Susi Bleuler aufgebaut und<br />

während fünfzehn Jahren geleitet wird. Hier bekommt sie Kontakt zu Künstlern, und über<br />

das Sehen und Verstehen entwickeln sich ihre eigenen künstlerischen Ansätze, von der<br />

Collage über die Assemblage zum Bild. Mit enormer Ernsthaftigkeit und Konsequenz sucht<br />

sie ihre eigenen Ausdrucksmittel, ihren eigenständigen Weg, weitab von allen Kunsttrends.<br />

Im Alter von etwa vierzig Jahren hat sie ihr erstes Atelier im Estrich. Im neuen Atelier an der<br />

Drusbergstrasse<br />

in Erlenbach wagt sie sich dann an die Farben. Mit beiden Händen, mit<br />

Schrubbern und Besen, Pinseln und Schwämmen verteilt sie Farbe auf Wachstuch, Papier,<br />

Linoleum, Vlies und schliesslich Leinwand. Die Leinwand ist den echten Künstlern vorbehal-<br />

11


--_ •• >


Architektin Lux Guyer (1894-1955)<br />

Erinnerungen an meine Mutter<br />

Der Mond ist aufgegangen,<br />

Die goldnen Stern lein prangen<br />

Am Himmel hell und klar.<br />

Der Wald steht schwarz und schweiget<br />

Und aus den Wiesen steiget<br />

Der weisse Nebel wunderbar.<br />

Den Anfang des Gedichtes «An den Mond» von Matthias Claudius hat mich meine Mutter<br />

gelehrt, und sie hat den Vers auch <strong>für</strong> mich gesungen in einer anderen, mir lieberen Melodie<br />

als der sonst üblichen. Die Dichtung von Matthias Claudius gibt viel von der poetischen<br />

Stimmung wieder, die meine Mutter verbreitete. Zugleich schafft sie eine Aura der Geborgenheit,<br />

in der ich in unserer kleinen Familie aufwuchs. Der Vers beschreibt aber auch eine<br />

konkrete Situation in der näheren Umgebung unseres Familienhauses «Sunnebuel- in<br />

Itschnach: Jenseits der westlichen Ecke unseres Grundstückes befand sich bis vor kurzem<br />

eine grosse Wiese, die sich bis zum Rumenseewald hinzog. In der Dämmerung im Herbst<br />

stieg aus dieser Wiese oft Nebel auf, und hinter ihr stand die schwarze Wand des Waldes.<br />

Diese Situation taucht bei mir jedesmal auf, wenn ich das Lied mit den Versen von Matthias<br />

Claudius höre, und weckt so auch die Erinnerung an meine Mutter.<br />

Harmonische Hausgemeinschaft<br />

Die Niederschrift dieser Erinnerungen an meine Mutter wäre unvollständig, wären mit<br />

den Erinnerungen nicht auch jene erfasst, die sich auf die weiteren Personen unseres familiären<br />

Umfeldes beziehen. Meine Mutter wäre ja ohne die Unterstützung, die ihr aus diesem<br />

Umfeld erwuchs, auch gar nicht imstande gewesen, ihr Büro als selbständige Architektin zu<br />

führen. Zu diesen wichtigen Personen gehörte in erster Linie mein Vater (1875-1957). Meine<br />

Mutter war seine zweite Ehefrau. Als Bauingenieur, der 1898 sein Studium an der ETH<br />

Zürich abgeschlossen hatte, war er massgeblich am Bau der Rhätischen Bahn beteiligt und<br />

führte später sein Büro als beratender Ingenieur in Zürich. Er unterstützte meine Mutter auch<br />

in beruflichen Belangen und stand ihr mit Rat und Tat zur Seite. Sie führten eine harmonische<br />

Ehe und gingen liebevoll miteinander um. Nie hörte ich ein böses Wort zwischen ihnen.<br />

Als selbständige Persönlichkeiten achteten und schätzten sie einander in völliger Ebenbürtigkeit.<br />

Zu mir war er ein liebevoller und verständnisvoller Vater, der trotz dem grossen Altersunterschied<br />

- er war fast 58 Jahre älter als ich - mit mir wunderbar spielte und interessante<br />

Geschichten und Anekdoten aus seinem langen Leben erzählte.<br />

Neben meiner Mutter war ihre jüngere, unverheiratete Schwester Claire Guyer, die mit<br />

uns wohnte, eine wichtige Bezugsperson <strong>für</strong> mich. Im Familien- und Freundeskreis hiess sie<br />

Ali; so hatte sie sich selbst als Kind genannt, als sie «Clärli- noch nicht aussprechen konnte.<br />

Sie war auch meine Gotte und betreute mich als zweite Mutter liebevoll. Als vielseitige<br />

13


Lux (Luise) Guyer im After von etwa<br />

19 Jahren.<br />

Lux Guyer als junge Architektin in ihrem Büro (ca. 1924/25).<br />

Künstlerin malte sie, entwarf Kleider und stellte Kurbelstickereien und Keramiken her. Ihr<br />

Atelier, das meine Mutter eigens <strong>für</strong> sie entworfen hatte, befand sich in unserem Haus. Sie<br />

und meine Mutter richteten zusammen Wohnungen und Häuser ein. Sie war auch eine wunderbare<br />

Köchin und Gärtnerin, ein wahrer Tausendsassa, wie ich sie nannte. Von ihr lernte<br />

ich auf dem Rigi auch Ski fahren.<br />

Bis zu ihrem Tod im Frühling 1941 wohnte auch meine Grossmutter, Elisabeth Guyer-Lips,<br />

bei uns. Sie war eine liebe Grossmutter, die <strong>für</strong> mich viele Sachen strickte.<br />

Vor dem Zweiten Weltkrieg waren auch Johanna, die Köchin, und Klara, das Dienstmädchen,<br />

bei uns. Sie kamen aus Süddeutsch land und mussten im Herbst 1939 nach Kriegsausbruch<br />

«heim ins Reich». Für sie waren je eigene Zimmer auf den Halbstockwerken unseres<br />

Hauses eingerichtet; sie verfügten auch über ein eigenes Badezimmer und ein eigenes<br />

WC. Sie waren sehr tüchtig und sehr lieb, und wir bedauerten ihren Weggang.<br />

Als wir dann später an der Schiedhaldenstrasse 33 in <strong>Küsnacht</strong> wohnten, in dem grossen<br />

rosaroten Haus, in dem Thomas Mann als Mieter meiner Mutter, die auch dieses Haus<br />

gebaut hatte, mit seiner Familie 1933-1938 gewohnt hatte, kam Erna Greter, von meinen<br />

Cousins und mir «Mufti» oder «Muffli» genannt, als Haushälterin zu uns. Sie kochte hervorragend<br />

und machte den ganzen Haushalt perfekt. Vorher war sie bei der Familie von Rosie<br />

Schnitter-Guyer, der älteren Schwester meiner Mutter, tätig gewesen, hatte mit ihr viele<br />

Jahre, meist im Ausland, verbracht und kam mit ihr Anfang März aus Rotterdam, wo das<br />

Haus der Familie bombardiert worden war, in die Schweiz zurück. Für mich war sie eine<br />

liebe und <strong>für</strong>sorgliche Nanny.<br />

Gastliches Haus mit Atmosphäre und Ausstrahlung<br />

Meine Mutter, die zuerst als Innenarchitektin gearbeitet und dann 1924 als erste Frau in<br />

der Schweiz an der Bahnhofstrasse in Zürich ihr eigenes Architekturbüro eröffnet hatte, verstand<br />

es ausgezeichnet, in den Räumen, die sie mit uns bewohnte - und auch in denjenigen<br />

14


anderer Häuser, die sie mit ihrer Schwester Claire Guyer zusammen eingerichtet hatte - eine<br />

wohnliche Atmosphäre zu schaffen. Dies bedeutet <strong>für</strong> mich, dass die Möblierung nicht nur<br />

ästhetischen Ansprüchen genügte, sondern dass es in diesen Räumen auch gemütlich war.<br />

Ich habe mich darin immer sehr wohl gefühlt. Das rührte wohl auch daher, dass meine<br />

Mutter eine starke positive Ausstrahlung besass, die diese Räume erfüllte und die die Menschen,<br />

die ihr begegneten, in ihren Bann zog. Sie hatte einen grossen Bekannten- und<br />

Freundeskreis und lud oft Gäste zum Essen ein, und ich durfte dabeisein und vernahm so<br />

viel Interessantes und Anregendes. Sie veranstaltete auch Hauskonzerte, unter anderem mit<br />

dem später weltberühmt gewordenen Veqh-Ouartett, dessen zweiter Geiger Sandor Zöldy<br />

eine Zeitlang bei uns wohnte. Und Arnold Kübler, Chefredaktor der Monatszeitschrift «DU»,<br />

der mit meinen Eltern befreundet war, erprobte bei uns sein Einmann-Cabaret, das er später<br />

in der «Grumpelcharnrnere» des Klubhauses in Zürich in die Öffentlichkeit brachte, wo er<br />

grossen Anklang fand, u. a. mit der Präsentation des Hamlet-Monologs von Shakespeare in<br />

den fünf Sprachen Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Schweizerdeutsch,<br />

immer in karger, aber <strong>für</strong> die entsprechenden Länder charakteristischer Kostümierung.<br />

Diese Eindrücke haben sich bei mir lebendig erhalten, waren diese Ereignisse doch prägend<br />

in meiner Jugend. Sie sind untrennbar mit den Erinnerungen an meine Mutter verbunden.<br />

Märchen, Geschichten, Spiele - und viel Musik<br />

Meine Mutter, die ich Mimus nannte, abgeleitet von Mamali, dann Mimule, war mir eine<br />

liebevolle Mutter, voller Verständnis <strong>für</strong> die Nöte und Schwierigkeiten, in denen ich namentlich<br />

in bezug auf die Schule während der Pubertätszeit steckte. Dieses Verständnis brachte<br />

mir auch mein Vater entgegen. Beide Eltern förderten mich, wo sie konnten. Bei ihnen und<br />

meiner Gotte Ali, die ich in lIu umtaufte, fühlte ich mich wohl und geborgen. Sie spielten mit<br />

mir die schönsten Spiele, lasen mir vor und erzählten mir Geschichten. Dazu ein kleines Beispiel:<br />

Mimus pflückte im Garten die «Frauenherzen- genannten roten und lila Blüten, setzte<br />

sie als elegante Damen in Nussschalen und liess sie im Lavabo schwimmen. Sie las mir<br />

auch Märchen und Geschichten vor in einer schön modulierten Stimme.<br />

Vor allem aber spielte die Musik in unserer Familie eine grosse Rolle. Obwohl meine<br />

Eltern - leider - kein Instrument spielten, sorgten sie da<strong>für</strong>, dass ich bei einer Freundin meiner<br />

Mutter Geige spielen lernte. Das Geigenspiel begleitet mich noch heute und bereitet mir<br />

viel Freude. Wir besuchten viele Konzerte, und meine Eltern hatten eine grosse Schallplattensammlung.<br />

Die Schelllackplatten wurden anfänglich auf einem Grammophon, das man<br />

aufziehen musste, abgespielt. So wurde ich früh mit der klassischen Musik vertraut. Der<br />

Lieblingskomponist meiner Mutter war Wolfgang Amadeus Mozart. Mit ihr teile ich bis heute<br />

diese Vorliebe. Da<strong>für</strong>, dass mir meine Eltern die wunderbare Welt der Musik erschlossen haben,<br />

bin ich ihnen unendlich dankbar. Weniger meine Mutter, da<strong>für</strong> aber mein Vater hat viel<br />

mit mir gesungen. Er hatte eine schöne Tenorstimme; ich dagegen singe Bass-Bariton, und<br />

so haben wir zusammen Lieder gesungen, er erste, ich zweite Stimme. Er kannte eine Unmenge<br />

Lieder, die er mir vermittelte.<br />

Dies alles gab mir den Urgrund des Vertrauens, ein Kapital, von dem ich zeit meines Lebens<br />

zehren konnte und das mir über die Schwierigkeiten, wie sie sich in jedem Leben ergeben,<br />

oft hinweghalf. Ich spürte auch die Wertschätzung, die Freunde und Bekannte meinen<br />

15


Haus -Sunnebuel» in Itschnach-<strong>Küsnacht</strong>, von Lux Guyer 1930 als Familienhaus <strong>für</strong> Hans und Lux Studer-Guyer erbaut.<br />

Eltern entgegenbrachten,<br />

und manchmal übertrugen die Freunde ihre Freundschaft auch<br />

auf mich. Allerdings waren es wenige, die mir nach dem Tod meiner Eltern erhalten blieben.<br />

Schönstes Haus von allen: der «Sunnebüel»<br />

Meine Erinnerungen lassen mich im Stich, wenn ich an die Tätigkeit meiner Mutter als<br />

Architektin denken soll. Doch ihr Werk ist an prominenter Stelle von Fachleuten eingehend<br />

gewürdigt worden. In <strong>Küsnacht</strong> allein hat sie 16 Häuser gebaut, die alle noch stehen und in<br />

deren einem, meinem Geburtshaus "Sunnebüel» in Itschnach, ich heute wieder wohne. Dieses<br />

Haus mit seinem grossen Garten, den meine Mutter zusammen mit ihrer Schwester Ali<br />

angelegt hat, ist <strong>für</strong> mich das schönste Haus meiner Mutter. Sie hatte es <strong>für</strong> sich und ihre<br />

Familie geplant und war deshalb in ihren Ideen durch keinen fremden Bauherrn eingeschränkt.<br />

Als Kind habe ich darin, umgeben von lieben Menschen, sieben glückliche Jahre<br />

verbracht, bevor wir - des Weltkriegs wegen, als man das eigene Auto nicht mehr benutzen<br />

konnte - näher nach <strong>Küsnacht</strong>, ins Haus Schiedhaldenstrasse 47 zogen, das auch von meiner<br />

Mutter gebaut worden war. Dort blieben wir ein Jahr und zogen dann in das Haus<br />

Schiedhaldenstrasse 33, auch dieses von meiner Mutter gebaut. Auch mit diesen Häusern<br />

verbinden mich gute Erinnerungen. Das schönste Haus aber bleibt das «Sunnebüel».<br />

Auf ihrem Nachttisch hatte meine Mutter immer einen Zeichenblock und einen Bleistift,<br />

womit sie nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, ihre Projekte entwarf. Nachts, wenn alles<br />

ruhig war, kamen ihr auch die besten Ideen und Inspirationen zugeflogen.<br />

Gärtnerin und Unternehmerin<br />

Da sie eine leidenschaftliche Gärtnerin war, stand sie oft schon am frühen Morgen im<br />

Garten. Als während des Zweiten Weltkrieges im Rahmen der «Anbauschlacht- des Planes<br />

Wahlen jedermann, der ein Grundstück besass, verpflichtet war, zur Selbstversorgung<br />

16


Hans Studer-Guyer im Garten des Hauses «Surmebuet»,<br />

ca. 1937<br />

Lux Studer-Guyer mit ihrem vierjährigen Sohn Urs, 1937.<br />

Gemüse anzupflanzen, liess sie es sich nicht nehmen, einen Teil des Gartens <strong>für</strong> die Blumen<br />

zu reservieren, während mein Vater auf dem anderen - grösseren - Teil seine Gemüsebeete<br />

hatte. Diese legte er nach strenger Ingenieur-Manier mit entsprechender<br />

Akkuratesse an,<br />

jede Pflanze in genauem Abstand von der benachbarten. Meine Mutter dagegen liess die<br />

Blumen spriessen, so dass sie sich auch über die Beete hin ausdehnten; so wurde ihre Fülle<br />

nicht beengt. Dieses Überströmende,<br />

ihre Umgebung und regte sie an.<br />

Grosszügige war typisch <strong>für</strong> sie. Es beflügelte auch<br />

In ihrem Beruf als Architektin hatte sie in einer Domäne, die von Männern beherrscht war,<br />

schwer zu kämpfen. Darin wurde sie von ihrem Mann sehr unterstützt.<br />

Da sie selbst auch<br />

Unternehmerin war, die ihre Häuser auf eigene Rechnung baute, ging sie oft grosse Risiken<br />

ein. Und weil ihre Häuser unkonventionell waren, konnten sich potentielle Käufer oft nicht<br />

vorstellen, wie sie sie bewohnen sollten. Deshalb wohnte sie selbst in ihren Häusern, um zu<br />

zeigen, wie sie praktisch und bequem zu möblieren waren. So zogen wir denn im Laufe von<br />

25 Jahren auch fünfmal um, und auf diese Weise lernte ich fünf Häuser meiner Mutter von<br />

innen kennen.<br />

Jäher und früher Tod<br />

Das Ende kam unvorhergesehen und plötzlich. Im Mai 1955 wurde meine Mutter sehr<br />

krank, und ihre Ärztin wies sie ins Kreisspital Männedorf ein. Dort wurde zunächst das Vorhandensein<br />

von Gallensteinen vermutet, dann eine Gallenblasenentzündung diagnostiziert.<br />

Als es meiner Mutter immer schlechter ging, wurden wir zur Nachtwache im Spital aufgeboten.<br />

Am Nachmittag des 26. Mai besuchte ich sie; sie war sehr schwach. Als ich dann am<br />

Abend von einer Vorlesung in der Universität nach Hause kam, wurden wir informiert, dass<br />

wir sofort ins Spital fahren sollten. Ihre ältere Schwester, Rosie, und mein Vater waren schon<br />

dort. Meine Tante Ali und ich fuhren zusammen ins Spital, wo wir zehn Minuten hingehalten<br />

17


Lux Studer-Guyer im Alter von etwa 50 Jahren.<br />

wurden, ehe wir zu meiner Mutter eingelassen wurden. Um 19.45, nach einem letzten Aufbäumen,<br />

war meine Mutter tot. Das Entsetzliche, Unerhörte war geschehen. Erst in der<br />

Autopsie ergab sich, dass meine Mutter an einer Urämie, einer Niereninsuffizienz, gestorben<br />

war. Für meinen Vater, der damals fast 80 Jahre alt war, und <strong>für</strong> mich begann eine sehr<br />

schwere Zeit. Meine Mutter hatte grosse Sorgen gehabt. Das Hotel Residence Im Park in<br />

Zürich-Enge, das sie gebaut hatte und an dem sie im Rahmen einer Einfachen Gesellschaft<br />

mit dem Bauherrn beteiligt war, lief nicht so, wie es sollte. Grosse Schulden hatten sich angehäuft,<br />

die ich zunächst zusammen mit meinem Vater, dann, nach seinem zwei Jahre später<br />

erfolgten Tod, allein zu tragen hatte. Es dauerte weitere drei Jahre, ehe ich mich in einem<br />

mit meinen Gläubigern abgeschlossenen<br />

Nachlassvertrag davon befreien konnte, nachdem<br />

mich der Partner der Einfachen Gesellschaft, der ich nun durch die Übernahme der Erbschaft<br />

angehörte, ausgezahlt hatte, mit einer Summe, die meine Schulden nicht deckte. Obwohl<br />

meine Mutter an dieser Situation, die durch unglückliche Umstände verschärft worden<br />

war, keine moralische Schuld trifft, überschattete diese während vieler Jahre meine Erinnerung<br />

an sie. Erst nach und nach konnte ich mich davon befreien, und freundlichere Bilder<br />

verdrängen nun die düsteren.<br />

Meiner Mutter verdanke ich viel: eine glückliche Kindheit in schöner Umgebung und<br />

Atmosphäre,<br />

eine liebevolle Erziehung, die Begegnung mit interessanten und liebevollen<br />

Menschen und die Beschäftigung mit Kunst und Literatur. Dass ich nicht die Gabe besass,<br />

räumliches Vorstellungsvermögen<br />

zu entwickeln, und ein schlechter Zeichner war, mag sie<br />

betrübt haben. Sie hätte indessen Freude an ihrem Enkel, unserem ersten Sohn Jens, gehabt,<br />

der ein begabter Architekt geworden ist. Er darf <strong>für</strong> uns nun ein Haus bauen, an dem<br />

wir Freude haben werden.<br />

Urs Studer<br />

18


Eine neunmonatige Reise durch die Orangenhaine<br />

der Casa dei Mas<br />

Seit Jahr und Tag freuen sich gegen Anfang des Winters viele <strong>Küsnacht</strong>er auf die reifen,<br />

frischen und vitaminreichen Casa-del-Mas-Orangen und -Grapefruits. Man weiss von Eltern<br />

oder gar Grosseltern, dass man ab Ende November schon immer zum «Oranqen-Baumannging,<br />

um eine oder mehrere Kisten der zuvor bestellten Casa-del-Mas-Früchte abzuholen.<br />

Über Ernst Baumann, den erfolgreichen <strong>Küsnacht</strong>er Woll- und Lederhändler, der 1929 aus<br />

Faszination <strong>für</strong> die Landwirtschaft ein Stück Land in der spanischen Provinz Valencia erwarb<br />

und daraus eine Orangen- und Grapefruit-Plantage schuf, wurde in der <strong>Küsnacht</strong>er Presse<br />

in der Vergangenheit bereits einige Male berichtet. Aber wer weiss genau, wie lange eine<br />

Orange oder eine Grapefruit <strong>für</strong> ihr Wachstum von Blüte bis Reife braucht? Welche Aufgaben<br />

fallen auf einer solchen Plantage im Verlauf eines Jahres an, und wie viele Leute helfen<br />

da eigentlich mit?<br />

Um einige dieser Fragen zu beantworten, schlagen wir Ihnen vor, eine solche Zitrustrucht<br />

' von ihrer Entstehung, nämlich als kleine Blütenknospe, bis zum Tag, an dem sie in<br />

einem Holzkistchen verpackt ihre Reise in die Schweiz antritt, zu begleiten. Wir laden ein zu<br />

einem Feldbesuch auf der Casa dei Mas in Canals (Valencia), mitten im traditionsreichsten<br />

Zitrus-Anbaugebiet Spaniens!<br />

Unsere Reise beginnt in der zweiten Hälfte des Monats März; die letzte Ernte ist soeben<br />

zu Ende gegangen, langsam werden die Tage wieder länger, und die Temperaturen steigen<br />

stetig. Die Bäume, die zum ersten Mal seit über acht Monaten ohne Früchte dastehen, können<br />

sich vorerst wieder erholen.<br />

Soeben geerntete Orangen warten am Feldrand auf den<br />

Transport<br />

in das «Almecen».<br />

Heute hangen diese reifen Orangen noch am Baum.<br />

in drei Tagen werden sie von einem Liebhaber in der<br />

Schweiz verspiesen!<br />

19


Oie wunderschönen Blüten eines Clementinenbaumes. Zwei junge Orangen ungefähr drei<br />

Wochen nach der Blüte.<br />

BaumschniU<br />

und Blüte<br />

Francisco, Xavier und ihre sechsköpfige<br />

Mannschaft von professionellen Baumschneidern<br />

sind seit einigen Tagen daran, die 15000 Orangen-, Grapefruit-, Clementinen-, und<br />

Zitronenbäume zurückzuschneiden. Rund drei Monate werden sie damit beschäftigt sein,<br />

wie unermüdliche Coiffeurs die Tour der «Finca-? zu machen. Ihre langjährige Erfahrung<br />

lässt sie sofort jene Äste erkennen, welche herausgeschnitten<br />

werden müssen, um dem<br />

Baum eine regelmässige, kugelige Form zu verleihen. Nicht zu breit dürfen die Bäume werden,<br />

sonst kämen sie sich gegenseitig in die Quere. Nicht allzu dicht darf der Bewuchs im<br />

Inneren des Baumes sein, denn Luft soll hier zirkulieren können, so dass die Früchte nach<br />

einem Regen rasch abtrocknen können, was Fäulnis und Schädlingsbefall verhindert. Auch<br />

die Höhe des Baumes steuert man mit dem Schnitt, was das Ernten erleichtert.<br />

Gegen Ende März erscheinen in den Blattachseln der immergrünen Zitrus-Bäume bereits<br />

neue Blütenknospen.<br />

Innert zwei bis drei Wochen entstehen pro Baum bis zu 40000 wunderschöne,<br />

weisse Blüten, welche die gesamte Gegend in einen dichten, süssen Duft einhüllen.<br />

Hört man etwas genauer hin, so entdeckt man überall die geschäftigen Bienen,<br />

welche sich hinter den Nektar der Blüten machen und dadurch massgeblich zu deren<br />

Befruchtung beitragen. Es findet nun eine natürliche Selektion statt, denn weniger als 1% aller<br />

Blüten werden sich zu Früchten entwickeln; der grösste Teil fällt schon kurz nach der<br />

Blüte von den Bäumen. Bereits nach einigen Tagen erkennt man ganz kleine, dunkelgrüne<br />

Früchte, die dort wachsen, wo die Blütenblätter abfallen.<br />

Natürliche Bewirtschaftung des Bodens<br />

Der tiefgründige, fruchtbare Boden unter den Bäumen verwandelt sich zu dieser Jahreszeit<br />

in einen regelrechten kleinen «Urwald». Gräser und Kräuter schiessen in der Frühlingssonne<br />

in die Höhe, Insekten, Vögel und Hasen finden darin Unterschlupf, und Regenwürmer<br />

beginnen die Erde zu durchbohren. Im Gegensatz zu anderen Betrieben, wo dieser Boden-<br />

20


ewuchs durch massiven Einsatz von Unkrautvertilgern<br />

gänzlich vernichtet wird, machen<br />

sich auf der Casa dei Mas drei Männer hinter die mechanische Unkrautkontrolle.<br />

Monton<br />

fährt mit Traktor und Häckslsr ' zwischen den Baumreihen durch, während Jaime und .Jose<br />

mit Handmähern die Kräuter unter den Bäumen zurückschneiden. Die Begrünung der Böden<br />

hilft bei heftigen Regenfällen Erosion verhindern, das Wurzelwerk der Kräuter und Gräser<br />

lockert die Bodenstruktur, und der Abbau der frisch gemähten Gräser fügt dem Boden organische<br />

Materie bei. Den Bodenbewuchs<br />

zu kontrollieren ist aber unerlässlich, nicht zuletzt<br />

weil diese Kräuter und Gräser täglich mit den Zitrusbäumen um zwei lebenswichtige<br />

Ressourcen konkurrieren: Wasser und Nährstoffe.<br />

Da zur Erntezeit pro Baum im Durchschnitt 40 Kilogramm Früchte gewonnen werden<br />

können, müssen dem Boden wieder Nährstoffe in Form von Dünger zugeführt werden. Dies<br />

beginnt schon kurz nach der Ernte mit der Zugabe grosser Mengen organischen Düngers.<br />

Es handelt sich um Schaf-, Ziegen- und Kuhmist, welcher mit Stroh gemischt unter jeden<br />

Baum gestreut wird. Dieser wird langsam durch Bodenmikroorganismen abgebaut und in<br />

Elemente umgesetzt, welche die Bäume aufnehmen können. Das Häckseln der von den<br />

Baumschneidern abgeschnittenen Äste und Blätter führt dem Boden weitere organische<br />

Materie zu und wird diesen während der heissen Sommermonate auch massgeblich gegen<br />

Austrocknung schützen.<br />

Das lebenswichtigste<br />

überhaupt:<br />

Wasser!<br />

Element<br />

Somit sind wir bei einer der entscheidenden<br />

Etappen der Zitrusproduktion angelangt:<br />

der Bewässerung. Ein ausgewachsener Zitrusbaum<br />

braucht<br />

ca. 20000 Liter Wasser pro<br />

Jahr! Davon fällt in der Gegend von Valencia<br />

nur rund ein Drittel in Form von Regen vom<br />

Himmel. Die fehlenden zwei Drittel müssen<br />

von Mai bis zu den ersten Regenfällen im<br />

Oktober mittels Bewässerung herbeigeführt r<br />

werden. In trockenen Jahren, wie dies zum<br />

Beispiel heuer der Fall war, ist dieser Bewässerungsbedarf<br />

noch grösser. Das auf der<br />

Casa dei Mas verwendete Bewässerungswasser<br />

stammt aus einer 100 Meter tiefen<br />

Quelle, von wo es mit einer kräftigen Pumpe<br />

an die Oberfläche gebracht<br />

wird. Von dort<br />

aus wird es durch offene und geschlossene<br />

Leitungen in ein grosses Bewässerungsbekken<br />

geführt, welches eine Million Liter fasst.<br />

Von diesem führen weitere Kanäle in die verschiedenen<br />

zu bewässernden Felder. Dank<br />

einer ursprünglich von den Mauren nach Spa- Quellwasser auf dem Weg in die Felder.<br />

21


Anfang Oktober:<br />

Oie Orangen beginnen<br />

von Grün auf<br />

Gelb umzuschlagen.<br />

nien gebrachten Technik von Kanälen und verstellbaren Schiebern wird das Wasser von Vicente<br />

und Paco in die einzelnen Felder geleitet. Das Wasser fliesst zwischen den Baumreihen durch,<br />

und sobald es beim letzten Baum einer Reihe angelangt ist, wird der Schieber geschlossen,<br />

und der nächste Schieber geht auf, um den Fluss in die anschliessende Reihe zu lenken.<br />

Um den Wasserverbrauch zu reduzieren, wird weltweit seit einigen Jahren ein neuartiges<br />

System der Tröpfchenbewässerung im Zitrusanbau eingesetzt. Anstatt ganze Felder mit<br />

Wasser zu überfluten, wird das kostbare Gut durch perforierte Schläuche direkt dorthin gebracht,<br />

wo es von den Wurzeln aufgenommen werden kann. Regelmässig und tröpfchenweise<br />

wird das Wasser in den frühen Abendstunden abgegeben, zu einer Tageszeit, wo der<br />

Wasserverlust durch Verdunstung minim ist. Auch wir haben in diesem Jahr begonnen, die<br />

ersten Felder mit einem solchen System auszurüsten. Wenn sich eine solche Bewässerung<br />

auf der Casa dei Mas ebenfalls bewährt, dann werden wir im Verlauf der nächsten drei bis<br />

vier Jahre alle Felder so ausrüsten und somit die <strong>für</strong> die gesamte Region so kostbare<br />

Ressource des Wassers sparsamer einsetzen können.<br />

Die Monokultur der Zitrusbäume in der valenzianischen Provinz hat dazu geführt, dass sich<br />

jährlich viele <strong>für</strong> die Bäume und Früchte schädliche Insekten entwickeln. Diese Schädlinge<br />

können auch auf den Feldern der Casa dei Mas einigen Schaden anrichten. Dank der natürlichen<br />

Bearbeitung unserer Böden und deren Grünbedeckung befinden sich aber auch einige<br />

natürliche Feinde dieser Schädlinge auf unseren Feldern, und diese kontrollieren den Befall zu<br />

einem gewissen Grade. Diesem natürlichen Prozess wird nach Bedarf im Frühsommer nachgeholfen,<br />

indem die Bäume mit einer Mischung von Wasser und einem mineralischen Öl behandelt<br />

werden. Die zu dieser Jahreszeit wachsende Insektenpopulation wird damit unter<br />

Kontrolle gehalten, wobei diese Behandlung auf der Schale keinerlei Spuren hinterlässt.<br />

22


Ein konzentrierter Ernter bei der Arbeit.<br />

Ein Augenmerk gilt dem dichten Kleebewuchs<br />

des Bodens. Dieser wird<br />

im Frühling gemäht und untergepflügt,<br />

was dem Boden Stickstoff zuführt.<br />

Die Frühsommerzeit wird auch genutzt, um den Baumbestand zu erneuern. Orangenbäume<br />

tragen drei bis fünf Jahre nach der Pflanzung zum ersten Mal Früchte. Nach rund<br />

zehn Jahren erreichen sie die volle Produktion, und nach 25 Jahren nimmt die Produktivität<br />

der Bäume ab. Alte Bäume beginnen sukzessive abzusterben, müssen entfernt und durch<br />

junge ersetzt werden. Dies erfordert einige Vorbereitungsarbeiten,<br />

denn die Erde muss vor<br />

der Wiederbepflanzung gründlich gepflügt und gelockert werden. Auch achtet man darauf,<br />

dass der Boden zu diesem Zeitpunkt wieder mit Kompost und Mist angereichert wird, um<br />

den neuen Bäumen beste Wachstumschancen zu geben.<br />

Es geht der Reife entgegen<br />

Wenn alles gutgeht, fallen gegen Ende September oder spätestens im Verlaufe des<br />

Monats Oktober die ersten Regenfälle. Diese sind <strong>für</strong> die von der Sommerdürre geprägten<br />

Bäume eine Erleichterung, denn sie befreien die Blätter vorerst einmal gründlich von einer in<br />

der Zwischenzeit angesammelten feinen Staubschicht, was ihnen wieder ein besseres Atmen<br />

ermöglicht. Wie viele andere Pflanzen ist der Orangenbaum auch fähig, Wasser durch<br />

die Blätter aufzunehmen. Diese erhöhte Atmung und Wasseraufnahme sind <strong>für</strong> den letzten<br />

Wachstumsschub der Orangen äusserst wichtig. Diese füllen sich nun mit Saft und beginnen<br />

ihren Reifungsprozess.<br />

Die noch warmen Herbsttage, begleitet von den bereits kühlen Nächten dieser Jahreszeit,<br />

spielen eine doppelte Rolle. Einerseits wird der Reifungsprozess durch die sonnenreichen<br />

Tagesstunden unterstützt, anderseits provozieren die kühlen Nachttemperaturen den<br />

Farbwechsel der Früchte. Anders als bei vielen andern Früchten sagt die Farbe der Zitrusfrüchte<br />

nichts über deren Reifegrad aus. In kühlen Jahren kann es durchaus vorkommen,<br />

23


Jede Orange wird noch ein letztes Mal in die Hand genommen, und dann kommen die Früchte in die Kisten.<br />

dass Früchte bereits früh orange werden, innerlich aber noch nicht reif sind. Umgekehrt<br />

können in wärmeren Jahren äusserlich noch grünliche, aber bereits komplett ausgereifte<br />

Früchte geerntet werden. Die meisten Zitrusproduzenten nützen dies aus, um so früh wie<br />

möglich ihre Früchte auf den Markt zu bringen. Sie ernten unreife Früchte und lagern diese<br />

bis zu zwei Wochen in Kühlkammern, in denen die Früchte Farbe annehmen. Da die Zitrusfrucht<br />

aber nach der Ernte überhaupt nicht nachreift, bleiben diese Früchte unreif und<br />

schmecken dementsprechend «grün». Auf der Casa dei Mas schickt Antonet, der routinierte<br />

Chef des Betriebes, seine Erntemannschaft erst dann in die Felder, wenn die ersten Bäume<br />

reife Früchte tragen, was gewöhnlich<br />

Ende November der Fall ist. Ein grosser Vorteil der<br />

Zitruspflanze liegt darin, dass reife Früchte mehrere Monate am Baum verbleiben können<br />

und somit immer süsser werden, ohne jedoch zu überreifen oder zu faulen. Dies ermöglicht<br />

es, bis spät in den Februar hinein zu ernten und wöchentlich baum reife und frische Früchte<br />

in die Schweiz zu schicken.<br />

Die Ernte kann beginnen<br />

Zum Zeitpunkt der Ernte verwandelt sich die sonst eher ruhige Casa dei Mas in ein bewegtes<br />

Unternehmen. Rund zwanzig routinierte Pflücker und nochmals so viele Packerinnen,<br />

grösstenteils Leute aus der Gegend, die Jahr <strong>für</strong> Jahr bei der Ernte mithelfen, fahren<br />

frühmorgens pünktlich an, um kurz vor Sonnenaufgang an der täglichen Planungssitzung<br />

teilzunehmen. Antonet, dem man ansieht, dass er diese zeitweise hektische Jahreszeit<br />

eigentlich fast am liebsten hat, teilt seine Leute innert Kürze ein, und Minuten später wissen<br />

alle, wo Hand angelegt werden muss. Systematisch werden die Felder nun abgeerntet, angefangen<br />

mit der früh reifen Baumsorte Navelina, nach Weihnachten kommen dann die<br />

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Oie gesamte Belegschaft auf der Casa deI Mas hofft, dass die mit Liebe und Sorgfalt produzierten Früchte den Kunden<br />

in <strong>Küsnacht</strong> und in der übrigen Schweiz gefallen, und lässt ganz herzlich grüssen!<br />

Navel-Bäume dran. Der Expertenblick des Ernters erkennt sofort die reife Frucht, die eine<br />

Hand greift danach, und mit der anderen wird eine kleine Schere bedient, mit der die Frucht<br />

sauber vom Stiel geschnitten wird. Dieselbe wird dann in eine 20-kg-Kiste gelegt, die zum<br />

Traktor am Feldrand getragen wird, sobald sie gefüllt ist. Von dort kommen die geernteten<br />

Früchte in das «Almacen», den Abpack-Betrieb der Casa dei Mas. Da werden die Früchte in<br />

einer Serie von drehenden Bürsten ohne Zusatz von Wasser oder Reinigungsmitteln gereinigt,<br />

bevor sie zur Oualitätskontrolle gelangen. Dort prüfen drei Paar geschulte Augen<br />

jede einzelne vorbeirollende Frucht. Sobald eine nur den geringsten Defekt aufweist, wird sie<br />

ausgesondert und landet in einem grossen Behälter, welcher in die lokale Saftfabrik geht.<br />

Nur die qualitativ besten Früchte werden kalibriert, von den Packerinnen in Seidenpapierchen<br />

eingewickelt und in Casa-del-Mas-Holzkisten verpackt. Nach eineinhalb Tagen<br />

intensivster Arbeit stehen genügend Paletten frisch abgepackter Zitrusfrüchte auf der<br />

Rampe, um einen Laster zu füllen. Kaum ist das letzte Palett verladen, wird die hintere Tür<br />

des Sattelschleppers geschlossen, und das mit beinahe 20 Tonnen Frischware beladene<br />

Fahrzeug macht sich vorsichtig über das holprige Nebensträsschen davon auf seine lange<br />

Reise in die Schweiz, wo die Früchte knappe 36 Stunden danach bereits im Lager der Casa<br />

dei Mas AG der langjährigen Stammkundschaft angeboten werden.<br />

Boris Jost<br />

1 Orangen, Grapefruits, Clementinen, Zitronen gehören alle zu den Zitrusfrüchten.<br />

2 Finca ist spanisch <strong>für</strong> Grundbesitz, Plantage.<br />

3 Ein Häcksler ist ein Gerät, welches von einem Traktor gezogen wird und mittels schnell rotierender Klingen den<br />

Bodenbewuchs<br />

zerkleinert.<br />

25


Zwei «Studierte» als Bauer und Bäuerin<br />

Meine Eltern wohnten seit ihrer Heirat im Jahre 1906 in <strong>Küsnacht</strong>, wo ihre beiden Kinder<br />

Wolfgang (1909) und Lislott (1911) zur Welt kamen. 1913 kaufte mein Vater von Ernst Gallmann-Kriech<br />

im Heslibach, genau an der Grenze zu Erlenbach, einen mit uralten Teilersbirnbäumen<br />

bestückten Baumgarten und liess dort hinein durch den bedeutenden Architekten<br />

Alfred Haessig (später mit seiner Familie auch in <strong>Küsnacht</strong> ansässig) ein schönes Einfamilienhaus<br />

bauen. Das ganze Anwesen nannten meine Eltern beim Einzug im Mai 1914 - kurz vor<br />

Kriegsbeginn - das «Birequetli». Zu den beiden Kindern Wolfgang (familiär Wölle genannt)<br />

und Lislott gesellte sich 1915 ein erstes Brüderlein, Franz, und 1921 ein zweites, Rico.<br />

Ein starker und ausdauernder<br />

Sportsmann<br />

Der Älteste, Wölle, war nicht nur blendend gescheit, er war auch bärenstark und äusserst<br />

sportlich. An einem Sonntagvormittag, im Sommer 1928, erschien er vom Baden beim<br />

Frühstück. Er hatte, als Kraftprobe, am frühen Morgen unser an der Badi Erlenbach angebundenes<br />

grosses und schweres Flachboden-Ruderboot mit der Anbindkette an seinen<br />

Hals gebunden und war so nach Thalwil geschwommen, wo er der Tante Elise Mahler, die<br />

am Seeufer wohnte, guten Morgen wünschte, umkehrte, mit dem Ruderschiff am Hals nach<br />

Erlenbach zurückschwamm und zum Zmorgen wieder im «Birequetli- erschien.<br />

Solche und ähnliche Kraft- und Geschicklichkeitsproben<br />

ganzen Buben- und Jünglingszeit am laufenden Band.<br />

Wölle wollte Ingenieur werden. Unser Grossvater mütterlicherseits,<br />

vollführte er während seiner<br />

Professor Carl von<br />

Bach, war Rektor der Technischen Hochschule Stuttgart und eng befreundet mit Robert<br />

Bosch, dem Maschinenfabrikanten. So durfte Wölle eine Art Schnupperlehre in den Robert-<br />

Bosch-Werken in Stuttgart absolvieren. Leider schlug ihm dort der acht Tonnen schwere<br />

Dampfhammer, welcher Bleche in die Form von Auto-Scheinwerfern<br />

schlug, vier Finger der<br />

linken Hand ab. Mein Grossvater und Robert Bosch fanden beide, damit komme <strong>für</strong> Wölle<br />

eine Laufbahn als Ingenieur nicht mehr in Frage, und rieten ihm zum Jus-Studium,<br />

welchen<br />

Rat er befolgte. Trotz seiner beschädigten Linken blieb Wölle ein hervorragender Sportler:<br />

Von den Mitstudenten in Zürich sprang er am weitesten und am höchsten und rannte am<br />

schnellsten - und so lag es nahe, dass er zum Präsidenten des Zürcher Hochschulsportvereins<br />

von Uni und ETH (damals noch «Poly»genannt) gewählt wurde. In dieser Funktion lernte<br />

er die sehr sportliche Medizinstudentin Meta Pfeiffer kennen. Die beiden verliebten sich und<br />

beschlossen, nach erfolgreichem Abschluss ihrer Studien das dekadente Stadtleben zu verlassen<br />

und miteinander Bauer und Bäuerin zu werden.<br />

Als Knecht und Magd<br />

Nach der Promotion zum Dr. iur. arbeitete Wölle noch einige Monate am Bezirksgericht,<br />

und Meta wurde nach dem Staatsexamen als Ärztin Assistentin am Kreisspital Männedorf.<br />

Dann verlobten sie sich, und Meta zog, um den Landwirtschaftsberuf<br />

zu erlernen, als Magd<br />

26


Das -Proletertemeimetli»<br />

in Sternenberg.<br />

auf einen Bauernhof im Entlebuch, während Wölle Knecht bei einem Grossbauern im<br />

Emmental wurde. Damals lag es ausserhalb jeder Vorstellung, dass ein «nur» verlobtes Paar<br />

auf demselben Hof gearbeitet hätte! Im März 1935 heirateten die beiden und zogen als<br />

Meistersknecht und Meistersmagd zu Wölles Bauernfamilie im Emmental, wo sie beide<br />

hochgeschätzt waren und am Ende entsprechend vorzügliche Zeugnisse erhielten.<br />

Ein Heimetli in Sternen berg<br />

Meta erwartete auf Mitte März 1936 ihr erstes Kind; und so verliessen die beiden das<br />

Emmental und zogen - <strong>für</strong> die Geburt - ins -Birequetü-, wo Meta am 9. März 1936 ihrem ersten<br />

Kind, Wolfgang, das Leben schenkte. (Es sei vorweggenommen:<br />

Meta und Wölle hatten<br />

zuletzt insgesamt sieben Kinder, sechs Buben und ein Mädchen.) Während Meta sich von<br />

der Geburt Wölflis erholte, suchte Wölle ein kleines Heimwesen im Zürcher Oberland zu<br />

pachten, das er dann auch fand: 16 Jucharten in Sternenberg.<br />

Hier ist zu erwähnen, dass Meta und Wölle schon ganz zu Beginn ihrer Gemeinschaft<br />

miteinander abgemacht hatten, dass sie ihre Landwirtschaft allein betreiben wollten, das<br />

heisst ohne jede Hilfe durch Knecht, Magd oder Taglöhner, und dass sie auch von den wohlhabenden<br />

Eltern keinerlei finanzielle Hilfe beanspruchen<br />

wollten. Mit andern Worten: Sie<br />

wollten ihren Bauernhof zu zweit völlig autark betreiben. So zogen sie denn im Frühling 1936<br />

zu dritt nach Sternenberg. Als der Vater von Meta zum ersten Mal nach Sternenberg zu<br />

Besuch kam und das einfache Bauernhäuschen erblickte, rief er aus: «Das isch ja es Proletarierheimetli!<br />

»<br />

27


«Tante Mathilde»<br />

als Traktor.<br />

Eine Kuh namens «Mathilde»<br />

Aus ihren Sparbüchlein kauften sie sich eine gute Kuh, eine Geiss und zwölf Schafe.<br />

Weil die Kuh unserer Tante Mathilde glich, erhielt sie den Namen «Tante Mathilde». «Tante<br />

Mathilde» gab im Durchschnitt pro Tag 24 Liter Milch, die immer vollumfänglich von Wölle<br />

per Velo zur Käserei gebracht wurden. Die drei Menschen aber tranken Ziegenmilch. Da der<br />

Pachtzins <strong>für</strong> das ganze Anwesen pro Jahr 400 Franken ausmachte, wurde an allen Ecken<br />

und Enden gespart. Man süsste (schon damals) nicht mit Zucker (das kostete zuviel), sondern<br />

mit Saccharin.<br />

Im Sommer standen Wölle und Meta schon um vier Uhr auf, um noch vor Beginn der<br />

Sonnenwärme die Wiesen gemäht zu haben. «Tante Mathilde- diente auch als Traktor: Sie<br />

musste, vor den Heuwagen gespannt, diesen von den Wiesen zur Scheune ziehen. Und da<br />

die Wiesen in Sternen berg meistens sehr steil sind, kam es vor, dass «Tante Mathilde» ausrutschte<br />

und zu Tal rollte, wo man ihr mit viel Kraftaufwand beim Aufstehen helfen musste.<br />

Der Weizen-Pionier<br />

Da Wölle und Meta nur eine Kuh, nur eine Ziege sowie zwölf Schafe hatten, die Gras<br />

bzw. Heu frassen, reichte der bescheidene Umfang des Landes auch <strong>für</strong> das Anpflanzen<br />

von Kartoffeln und <strong>für</strong> die Aussaat von Weizen, worüber die Sternenberger Nachbarn in ein<br />

Hohngelächter ausbrachen: «Weizen in Sternenberg, auf über 800 Metern Höhe?» Das war<br />

<strong>für</strong> sie wieder so «ein Furz des Studierten».<br />

28


Wölle beim Weizensäen. Meta mit dem «Erstgeborenen» in Sternenberg.<br />

Die Nachbarn wurden allerdings ganz kleinlaut und machten lange Gesichter, als Wölles<br />

Weizen wuchs und reifte - und gar, als Wölle vom Bundesrat <strong>für</strong> den auf über 800 Metern<br />

gezogenen Weizen eine eidgenössische Höhenprämie zugesprochen erhielt. Ab 1938/39<br />

wurde Wölle deshalb nachgeahmt, und eine ganze Anzahl Sternenberger Bauern säten nunmehr<br />

Weizen, was sich im nachfolgenden Weltkrieg als positiver Beitrag zur «Anbausehtacht-<br />

von Professor Wahlen erwies.<br />

Neue Heimat im "Stollen»<br />

Ende Oktober 1938 kam der zweite Bub, Matthias, zur Welt. Im Winter, wo die Landwirtschaft<br />

schlief und nur «Tante Mathilde- und die Ziege gemolken, die zwölf Schafe gefüttert<br />

und die bei den Kinder gepflegt und verpflegt werden mussten, was Wölle als Vater sich allein<br />

zutraute, fuhr Meta frühmorgens mit dem Velo nach Bauma und von dort mit der Ürikon-<br />

Bauma-Bahn nach Männedorf, wo sie als Assistentin des Spitaldirektors, des Chirurgen<br />

Dr. Bösch, tagsüber arbeitete, um abends wieder nach Sternenberg heimzukehren. Eine<br />

strenge Zeit!<br />

Mit Hilfe des Ersparten und dank einer Hypothek der Zürcher Kantonalbank konnte Wölle<br />

schliesslich ein grösseres, weniger bergiges, praktischer gelegenes Heimetli, den «Stollen"<br />

in Hinterburg in Neuthai (bei Bäretswil) kaufen, wohin die bei den mit den zwei Büblein, mit<br />

«Tante Mathilde-, der Geiss, den Schafen und den beiden Velos zogen. Hier schafften sie<br />

sich noch ein paar andere Kühe an, blieben aber dem Anbau von Kartoffeln und Getreide<br />

29


treu. Natürlich wurde durch all dies das Leben strenger - umso mehr, als Meta im März 1940<br />

den dritten Buben, Jost, zur Welt gebracht hatte.<br />

Abschied<br />

vom Bauernleben<br />

Die Arbeit zu zweit während der Vegetationszeit und die <strong>für</strong> Meta zusätzliche Winterarbeit<br />

im Spital Männedorf waren <strong>für</strong> sie schliesslich zuviel: Im Sommer 1942 stellte sich<br />

heraus, dass sie an Kehlkopftuberkulose erkrankt war. Sie musste auf der Stelle hinauf nach<br />

Clavadel, in die Zürcher Heilstätte, und Wölle, der allein den Hof nicht meistern konnte, zog<br />

mit den drei Buben an den Genfersee, wo er eine Stelle als Jurist bei der Preiskontrolle in<br />

Territet antrat und mit den Kindern in einem Chalet hoch oben in Glion an einer der herrlichsten<br />

Stellen des Genfersees wohnte. Für den Bauernhof sorgte einstweilen ein überaus<br />

freundschaftlicher Nachbar. Meta schenkte am 11.September 1942 in Clavadel einem Mädchen,<br />

Anna Regula, das Leben, das - es sei vorweggenommen - später als Ehefrau eines<br />

Medizinprofessors eine eigene Arztpraxis führen sollte und Mutter von zwei Töchtern wurde,<br />

die ihrerseits beide Ärztinnen geworden sind.<br />

Was medizinisch kaum erwartbar war: Meta überstand die oft unheilbare Krankheit und<br />

kehrte nach einjährigem Kuraufenthalt mit Anna Regula zu ihrer Familie nach Glion zurück,<br />

wo sie hinfort zu sechst glücklich lebten.<br />

Zurück<br />

an den Zürich see<br />

Wie bereits bemerkt, vergrösserte<br />

sich die Familie um weitere drei Buben: Christoph<br />

1944, Hans Jakob 1947 und Balz 1950, und zog schliesslich an den Zürichsee ins eigene<br />

Landhaus, den «Lindenhof »<br />

in Feldmeilen, wo Meta nach einem Jahr Assistenzzeit bei Kinderarzt<br />

Professor Willi und einem weiteren Jahr Innere Medizin bei Professor W. Löffler ca.<br />

1952 eine eigene Allgemeinpraxis eröffnete, während Wölle als Jurist bei der Zürcher Polizeidirektion<br />

wirkte.<br />

Bis an ihr Lebensende bedauerten die beiden, dass das Schicksal mit der Erkrankung<br />

Metas sie daran gehindert hatte, ihr ganzes Leben auf dem Bauernhof verbringen zu dürfen.<br />

Von den sieben Kindern verspürte keines den elterlichen Hang zur Landwirtschaft:<br />

Älteste, Wolfgang, wurde Ingenieur; der zweite, Matthias, Betriebswirt; den dritten, Jost, zog<br />

es zu den Banken und Finanzen; das vierte Kind, Anna Regula, wurde (wie oben erwähnt)<br />

Ärztin; das fünfte, Christoph, wurde Geigenbauer; das sechste Kind, Hans Jakob, wurde<br />

Erzieher von Bankpersonal; und das siebente, Balz, wurde ein begnadeter Cellist.<br />

Es liesse sich noch viel Interessantes über diese Familie berichten; aber unter die Landwirtschaft<br />

- und das ist das heutige Thema - war durch höhere Gewalt 1942 endgültig ein<br />

Schlussstrich<br />

gezogen worden. Meta praktizierte bis zu ihrem 69. Altersjahr in Feldmeilen<br />

und starb im Alter von 92 Jahren, während Wölle mit 62 den ungeliebten Staatsdienst verliess<br />

und sich Reisen durch die ganze Welt widmete, bis er 1985 86jährig starb.<br />

Der<br />

Rico Steinbrüchel<br />

30


Ein Tropfen Zeit<br />

Unvergessliche Kindheits- und Jugendjahre auf dem<br />

Giesshübel<br />

Luftbild des <strong>Küsnacht</strong>er Giesshübe/s an der Grenze zu Erlenbach. Links die Villa der Familie Keller, rechts das Haus<br />

<strong>für</strong> die angestellte<br />

Familie.<br />

Die Lichter vom anderen Ufer spiegelten sich in der Dunkelheit im See. Mein Bruder, vier<br />

Jahre alt, und ich, fünfeinhalbjährig, staunten ob diesem Schauspiel, und unsere Mutter<br />

hatte die grösste Mühe, uns an jenem Abend ins Bett zu bringen.<br />

Von Neftenbach nach <strong>Küsnacht</strong><br />

Wir waren an diesem Tag im Januar 1938 zusammen mit den Eltern und dem Säugling,<br />

unserer vierzehn Tage alten Schwester, mit dem Zügelwagen von Neftenbach nach <strong>Küsnacht</strong><br />

gekommen. Unser Vater hatte die Stelle als Leiter des landwirtschaftlichen Betriebes der verwitweten<br />

Frau Anna Keller-Baur im Giesshübel erhalten, eine Stelle, um die er und die ganze<br />

Familie in dieser harten Zeit natürlich sehr froh waren. Bei den Vorbesprechungen war meinem<br />

Vater von Frau Kellers Bruder bedeutet worden, er solle alles unternehmen, um das ihm<br />

auferlegte Pflichten heft zu erfüllen, ansonsten man rasch einen Ersatz finden würde. Dabei<br />

war selbstverständlich die Mitarbeit unserer Mutter und später von uns Kindern gefragt.<br />

Der Vater<br />

im Aktivdienst<br />

Für mich kam ein Jahr später im Frühjahr der Zeitpunkt <strong>für</strong> den Schuleintritt. Der Schulweg<br />

war interessant und lang. Von einem Schulbus sprach damals noch niemand. Im gleichen<br />

Jahr brach der Zweite Weltkrieg aus. Der Vater musste im Grenzschutz zum Aktiv-<br />

31


Mein Bruder Ruedi und ich auf der Wiese im Giesshübel.<br />

dienst einrücken. Unsere Mutter hatte keine andere Wahl, als bei Abwesenheit des Vaters<br />

zusammen mit Landdienstleuten aus der Stadt und anderen Aushilfen das Vieh zu betreuen<br />

und die anfallenden Arbeiten so gut wie möglich zu bewältigen. Ich erinnere mich noch gut,<br />

wie sie vor Schmerzen in den Armen kaum schlafen konnte. Das Melken war sie natürlich<br />

nicht gewohnt.<br />

Der damals sehr beliebte Hausarzt, Dr. med. Jakob Stahel, Vater des vor<br />

einigen Jahren verstorbenen Dr. med. Rolf Stahel, konnte ihr dann mit einfachem Rat helfen.<br />

Unsere Mutter musste die Arme mit irgend etwas einreiben und in der Nacht einbinden, was<br />

dann schliesslich zur Linderung führte.<br />

Im April 1940 kam unser jüngster Bruder zur Welt. Die Hebamme und unsere Mutter weilten<br />

im oberen Stock des Hauses. Trotz der Schwangerschaft während der harten Kriegszeit<br />

verlief die Hausgeburt problemlos. Aber der Lebens- und Überlebenskampf der Familie<br />

wurde dadurch natürlich nicht einfacher.<br />

Als es noch richtige Winter gab ...<br />

Wir vier Nachkommen hatten eine schöne, aber arbeitsreiche Kindheit und Jugendzeit.<br />

Der Altersunterschied von uns älteren Brüdern zu den beiden anderen Geschwistern war im<br />

Kindesalter doch recht gross, so dass sich die nachfolgenden Schilderungen hauptsächlich<br />

auf die Erlebnisse meines Bruders und von mir beziehen.<br />

Von Frau Kellers Kindern, einem Sohn und zwei Töchtern, erhielten wir damals gebrauchte<br />

Skier, was uns ermöglichte, früh mit diesem Sport Bekanntschaft zu schliessen. Das waren<br />

noch Zeiten, als auch in den hiesigen Regionen im Winter während etlichen Wochen Schnee<br />

lag! Nicht selten hatten wir die Möglichkeit, mit den Skiern bis ins Dorf zur Schule zu fahren.<br />

Unvergesslich bleiben die Schlittenfahrten vom Schützenstand<br />

Erlenbach bis hinunter ins<br />

Dorf. Auf dem vordersten Schlitten sass einer mit den Schlittschuhen und steuerte das Gefährt<br />

souverän. Indem alle anderen Beteiligten bäuchlings auf den Schlitten lagen und sich mit den<br />

Beinen im nächsten Schlitten einhängten, entstand eine respektable Schlangenlinie.<br />

32


Mein jüngster Bruder Heinz mit dem Stier der Viehzuchtkorporation <strong>Küsnacht</strong>.<br />

In einer Entfernung von etwa zehn Minuten fanden wir Gelegenheit, auf dem schönen<br />

Wiesenhang der Darhalden Ski zu fahren. Schon bald waren wir auch soweit, dass wir eine<br />

Schaufel mitnahmen und begannen, an geeigneter Stelle eine Schanze zu bauen. Gemessen<br />

an unserem Alter waren die Weiten von zehn bis fünfzehn Metern doch bemerkenswert.<br />

Von der Umgebung und sogar vom Dorf kamen etliche Gleichgesinnte und wetteiferten mit<br />

uns. Selbstverständlich musste der Hang immer wieder mit eigener Kraft bezwungen werden.<br />

Von Skilift oder sonstigen Aufstiegshilfen war damals keine Rede.<br />

Mithilfe in den Reben<br />

In der Sommerzeit und vor allem in den Frühjahrs- und Sommerferien war unsere Mithilfe<br />

auf dem Bauernhof angesagt. Am Morgen früh wurde das Gras gemäht und in die Scheune<br />

eingebracht; im Laufe des Tages wurde es im Tenn mit Wasser besprüht und gewendet. Im<br />

Rebberg fielen unzählige Arbeiten an. Während der Vater die Rebstöcke neu schnitt, hatten<br />

wir die Aufgabe, das überflüssige Holz zu sammeln und den Rebberg hinaufzutragen. Dann<br />

folgte das Anbinden der Reben, später das Lauben, Verzwicken, Jäten, Spritzen usw. Sobald<br />

die Knospen der Reben zu spriessen begannen, musste regelmässig der Wetterbericht<br />

konsultiert werden. Bei Frostgefahr in der kommenden Nacht gab es sogenannte «Feuerwehrübungen».<br />

Bis zum Eindunkeln wurden den Rebstöcken Frostschirme verpasst. Alle<br />

verfügbaren Personen hatten <strong>für</strong> diese Arbeit anzutreten.<br />

Das Pflügen im Rebberg besorgten wir mit Hilfe von zwei Kühen. Sie zogen ein<br />

Drahtseil, das am Pflug befestigt war und über eine an einer Kette angehängte Umlaufrolle<br />

lief. Vor allem in der Sommerzeit war das eine harte Arbeit. Alle Beteiligten hatten mit<br />

der Hitze zu kämpfen, und nicht nur das Vieh war geplagt von Bremsen und Fliegen. Später<br />

wurde <strong>für</strong> diese Arbeit eine Seilwinde angeschafft, die das ganze Prozedere wesentlich<br />

vereinfachte.<br />

33


Arbeit im Stall und auf dem Acker<br />

Mit dem «Rapid» Gras mähen, fuhrwerken mit den Kühen, heuen, emden, Getreide ernten,<br />

das Vieh im Stall betreuen, -würnmen», dreschen, Milch in die Hütte bringen, auf dem<br />

Heustock Heu schroten und noch vieles mehr waren <strong>für</strong> uns gängige Arbeiten. Der Kartoffelacker<br />

wurde mit einer Kuh und dem entsprechenden Pflug «gehäufelt». Die angesäten Runkelrüben<br />

mussten gejätet und verdünnt werden. Die Kartoffel- und die Runkelrübenernte<br />

waren besondere Ereignisse, alles von Hand! Für die Getreide-Ernte konnte je nach Verfügbarkeit<br />

ein Bindemäher von der Genossenschaft gemietet werden. Wenn aber Gerste oder<br />

Weizen infolge von Gewittern am Boden lag, musste mit der Sense gemäht und mussten die<br />

Halme vom Boden aufgelesen und zu Garben geformt werden. Die Garben wurden zu Pyramiden<br />

aufgestellt und zum Trocknen einige Tage auf dem Feld belassen.<br />

Die Schule kommt zu Besuch<br />

Anlässlich eines Lehrausgangs der 1. bis 3. Klasse von Primarlehrer Ernst Bleuler im Sommer<br />

1940 durchs Heslibacher Tobel zu unseren Äckern und Feldern im Giesshübel konnten<br />

die Schülerinnen und Schüler meinem Vater zusehen, wie er schwungvoll mit der Sense das<br />

Getreide schnitt; dabei ergab sich <strong>für</strong> meinen Bruder und mich die Gelegenheit, den Mitschülern<br />

nicht ohne Stolz zu zeigen, wie man barfuss über ein gemähtes Stoppelfeld rennt. Um<br />

die Schmerzen in Grenzen zu halten, braucht es eine spezielle Technik, indem versucht wird,<br />

mit den etwas schräg gestellten Füssen die Stoppeln nach vorne auf den Boden zu drücken.<br />

Heuen statt Baden<br />

Bei der Heu- und der Getreideernte standen in der Regel mein Bruder und ich auf den<br />

dazu bestimmten Wagen; der Vater hievte mit der Gabel das Heu oder die Garben auf den<br />

Wagen, und wir hatten die Aufgabe, alles richtig zu verteilen, so dass die ganze Ladung<br />

auch noch die Fahrt nach Hause überstand. Vom hohen Wagen aus hatten wir eine gute<br />

Aussicht auf den See und das Strandbad, wo sich unsere Schulkollegen im Wasser und auf<br />

der Spielwiese tummelten. Das war ein Verzicht, der nicht leicht zu ertragen und auch der<br />

Grund war, dass wir - trotz der Nähe zum See - erst im Lehrlingsalter schwimmen lernten.<br />

Zu Hause wurde die Ladung mit der Gabel wieder auf den Heustock oder in der Getreidescheune<br />

abgeladen, nicht selten durch meinen Bruder, der eine Klasse unter mir zur Schule<br />

ging, und mich alleine! Der Heustock hatte aber auch schöne Seiten. Nach getaner Arbeit balancierten<br />

wir auf den Holzbalken der Scheune und liessen uns mit Sprüngen oder Salti ins<br />

frische Heu fallen.<br />

Das Gewitter<br />

Eines Tages waren wir mit zwei Kühen und dem Heuwagen unterwegs. Obwohl wir alle<br />

das Unheil hatten kommen sehen, schafften wir es nicht, vor dem drohenden Gewitter<br />

rechtzeitig nach Hause zu kommen. Der Vater führte die Kühe, und mein Bruder und ich<br />

sassen oben auf dem Heuwagen unter einer Blache und schützten uns so gut wie möglich<br />

vor den Hagelkörnern, was natürlich mit nacktem Oberkörper nur annähernd gelang. Verletzungen<br />

trugen wir nicht davon, aber die Erinnerung an dieses schlimme Gewitter mit dem<br />

«Trommeln» auf dem Rücken blieb noch lange.<br />

34


Trotz seinen von harter Arbeit geprägten Händen fertigte mein Vater Ulrich Gehret im Ruhestand aus Holz Pferde samt<br />

Geschirr und Wagen von Abis Z selbst, zuerst <strong>für</strong> seine Enkel, dann auf Bestellung <strong>für</strong> verschiedene Interessenten.<br />

Eine grosse Zahl der über dreissig Kunstwerke wurden vom 19. April bis 4. Mai 1975 an einer Ausstellung im Höchhus<br />

<strong>Küsnacht</strong> der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<br />

Zeit tür Spiel und Sport<br />

Trotz der mannigfach geforderten Mithilfe hatten wir auch unsere Freiheiten. Unser Vater ermunterte<br />

uns, in der Jugendriege mitzumachen, was uns viele Kontakte brachte und die Teilnahme<br />

an Nachwuchswettkämpfen, Jugendriege-Tagen, Orientierungsläufen und Skirennen ermöglichte.<br />

Unser Lieblingsgerät war das Reck; mein Bruder war aber auch stark am Barren. Er<br />

brachte es fertig, in der sechsten Schulklasse in der Pause am Reck die Riesenfelge vorzuführen.<br />

Am Tag nach dem 1. August sammelten wir die Holzstäbe der am Vorabend in der Nachbarschaft<br />

abgefeuerten Raketen und verwendeten sie als Pfeile zu den selbstgebauten Pfeilbögen.<br />

Haselstecken mit einer entsprechenden Schnur und dem <strong>für</strong> das «Chlöpfen» wichtigen<br />

«Zwick» dienten als Peitschen. Das «Geisle-Chlöpfe» war <strong>für</strong> uns ein Kinderspiel. Eines Abends<br />

hatten wir beide Kopfschmerzen, weil wir während des ganzen Tages immer wieder versucht<br />

hatten zu lernen, wie man durch die Finger pfeift. Das Unwohlsein hatte sich gelohnt; wir hatten<br />

den Dreh gefunden. Es machte uns auch keine Mühe, aus Haselzweigen Flöten zu basteln.<br />

Faszinierender Holzschlag<br />

Wer schon einmal mit einer Waldsäge im Wald Tannen und Buchen gefällt und weitere<br />

Holzerarbeiten verrichtet hat, begreift vielleicht meine Schwärmerei <strong>für</strong> diese Winterarbeit.<br />

Auf derjenigen Seite, auf die der Stamm fallen sollte, wurde eine Kerbe gehauen. Zusammen<br />

35


mit dem Vater sägte ich auf der anderen Seite in harmonischem<br />

nötig. Dann wurden Keile eingeschlagen und vorangetrieben,<br />

Hin und Her soweit als<br />

bis der Baum zu kippen begann.<br />

Der Vater war in dieser wie auch in allen anderen Sparten ein absoluter Fachmann.<br />

Wir hatten nie einen Unfall. Wir wussten aber auch genau, dass wir seinen Anweisungen<br />

überall Folge zu leisten hatten.<br />

Berufswahl - ein klarer Entscheid<br />

Unsere Mutter bedauerte immer, dass ihr Mann seinerzeit keine Lehre hatte absolvieren<br />

können; zu früh musste damals einem Verdienst nachgegangen werden. Ihr grösster<br />

Wunsch war daher, dies auf jeden Fall ihren Kindern zu ermöglichen. Für mich stand auch<br />

zeitweise die Fortsetzung des Schulbesuchs und ein Studium zur Diskussion. Die Sekundarlehrer<br />

setzten sich da<strong>für</strong> ein; ich aber hatte genug von der Schule und wusste auch, dass<br />

dieser Weg von seiten der Eltern gar nicht finanzierbar war. So konnten ich und ein Jahr<br />

später mein Bruder je eine kaufmännische Lehre in <strong>Küsnacht</strong> antreten. Die damit verbundene<br />

Ausbildung in der Berufsschule Stäfa war <strong>für</strong> uns eine sehr gute Zeit. Die freiwilligen<br />

Fächer (zweite Fremdsprache usw.) mussten damals in die Abendstunden<br />

da die Arbeitgeber da<strong>für</strong> keine Zeit zur Verfügung stellten.<br />

verlegt werden,<br />

Lehrreicher und vielseitiger Handel «zum Schein»<br />

Mein Bruder und ich betätigten uns während der Lehrzeit in der Jugendgruppe des Kaufmännischen<br />

<strong>Verein</strong>s und intensiv auch in der Scheinfirma «Charly Ouickly Company Ltd.».<br />

Das war eine Institution, die alle kaufmännischen Tätigkeiten im Austausch mit anderen<br />

Berufsschulen in der Schweiz und unter der Oberaufsicht und Vermittlung der Scheinfirmen-<br />

Zentrale des Kaufmännischen <strong>Verein</strong>s in Zürich ausüben liess. Diese Freizeitbeschäftigung<br />

ermöglichte uns zum Schein den Handel unter anderem mit Diktiergeräten, Adressiermaschinen,<br />

Vervielfältigungsmaschinen, Vespa-Kleinmotorrädern und Hubstaplern - mit<br />

dem entsprechenden Korrespondenzverkehr, den finanziellen Belangen, der Buchhaltung<br />

usw. Dazu gehörten auch eine Scheinfirmenmesse in Aarau sowie ein regionaler und dann<br />

gesamtschweizerischer Scheinfirmen-Wettkampf (Teamarbeit in Gruppen von fünf Personen),<br />

den wir je einmal gewinnen konnten. Wir nahmen auch mit einigem Erfolg an vielen<br />

Wettschreiben des Stenographenverbandes<br />

Zürichsee teil.<br />

Heute bin ich im Ruhestand. Die Anstellung meiner Eltern im Giesshübel dauerte<br />

26 Jahre; sie leben nicht mehr, und auch mein Bruder ist vor einigen Jahren gestorben.<br />

Während der Niederschrift unseres kleinen Lebensabschnittes bis Anfang der fünfziger<br />

Jahre erlebte ich alles so, als wäre es erst vor kurzer Zeit passiert: ein Tropfen Zeit.<br />

Hansueli Gehret<br />

36


Landwirtschaft in Itschnach<br />

Ansicht von Itschnach vor 75 Jahren (ca. 1930).<br />

Häuser und Menschen eng beisammen<br />

Das Leben als Bauer in Itschnach war kein Zuckerschlecken, und so hübsch auch das<br />

Dörfli ausgesehen haben mag - die äusserliche Hülle zerbrach oft beim Blick hinter die<br />

Kulissen. Die Häuser stehen so nahe beieinander, dass distanziertes Privatleben unmöglich<br />

war; viele Familien waren untereinander verwandt, und bei der täglichen Arbeit sah der<br />

Nachbar genau zu. Dieses enge Zusammenwohnen war unter Umständen schwierig; andererseits<br />

förderte es den Zusammenhalt und das gegenseitige Helfen. Eine ganze Familie<br />

wanderte nach Südamerika aus; eine andere zog es in den Thurgau. Beide versuchten anderswo<br />

ihr Glück. Schwalben zogen zwitschernd ihre Kreise zwischen den Scheunen; dank<br />

den vielen Misthaufen fanden sie genügend Insekten als Nahrung.<br />

Selbstversorgung<br />

Der Weg ins Dorf <strong>Küsnacht</strong> war weit und steil; Schule und Kirche waren dort. Abgesehen<br />

von einer Molkerei mit einem kleinen Laden gab es keine dörflichen Infrastrukturen. Man versorgte<br />

sich selbst. Nebst der strengen Arbeit in Haus und Feld pflegten die Bäuerinnen ihre<br />

Gemüsegärten und Beerenkulturen. Ein grosser Teil der Ernte aus diesen Gärten wurde in<br />

Gläsern eingemacht oder gedörrt. Speck und Würste wurden im «Rauchchämerli» je nach<br />

Geschmack geräuchert und zum Znüni oder Zvieri dankbar genossen.<br />

37


Beim Dorfbrunnen: Itschnacher Dorfidylle Anno dazumal,<br />

ca. 1930. Von links: Oskar Trüb, Julius Fenner.<br />

Foto von ca. 1905. Heutiges Doppelwohnhaus Im Dörfli<br />

28 und 30 mit zugehöriger Scheune. Von links: Tochter von<br />

Emma Fenner; zwei Töchter von Frau Rosa Grimm-Herdmeier;<br />

Rosa Grimm-Hardmeier; Sohn Grimm; Herr Fenner;<br />

Emma Fenner-Hardmeier mit Kind; zwei Handwerker.<br />

Rechts aus sen die Nachbarsfamilie Roman (?), deren Haus<br />

an der Fasnacht 1926 abbrannte.<br />

Die Weinmanngasse<br />

Die Weinmanngasse war eine wichtige Verkehrsader hinunter ins Dorf <strong>Küsnacht</strong>. Die immer noch<br />

vorhandene Pflästerung gab den Zugtieren einigermassen Halt auf diesem steilen Weg. Im Winter<br />

ging's <strong>für</strong> die Schüler flott und rasant mit Schlitten oder Skiern (Fassdauben) zur Schule; an den Weg<br />

bergauf war man gewöhnt. Es kam vor, dass die Schüler von einem der wenigen Autos die Weinmanngasse<br />

hinauf mitgenommen wurden. Besonders beliebt war jenes vierplätzige Cabriolet, dessen<br />

Ladekapazität gegen oben offen und unbeschränkt zu sein schien, konnten doch dort oft mehr<br />

als zehn Schüler einsitzen. Treffpunkt war der Kindergarten an der unteren Weinmanngasse.<br />

Hundeschmer und Dachhasenpfeffer<br />

Der Tierarzt im Dorf <strong>Küsnacht</strong>, der regelmässig nach Itschnach kam, behandelte hauptsächlich<br />

Pferde und Vieh (Rinder). Für Hunde und Katzen sorgten die Bauern meistens<br />

selber. So kam es vor, dass alte Hofhunde nicht eingeschläfert, sondern nutzbringend verwertet<br />

wurden. Das Hundefleisch sei besonders in Würsten sehr schmackhaft gewesen. Das<br />

Hundefett tat gute Dienste zum Einreiben, und als Schuhcreme soll es besonders wasserabweisend<br />

gewesen sein. Katzen endeten als -Dachhasenptetfer-. In einem Itschnacher<br />

Scheunentor soll heute noch ein Loch existieren, durch das hindurch der Bauer auf Vögel auf<br />

der anderen Strassenseite schoss, die er zuvor mit Futter angelockt hatte.<br />

Dorfmuni und Dorfbrunnen<br />

Am Eingang zum heutigen «Dörfli» lag der Deckstand des Dorfmunis von Itschnach.<br />

Ungefähr da, wo sich heute die Einwohner mit Zeitungen eindecken, durfte oder musste<br />

der Muni seine Itschnacher Kühe decken. Der Deckstand war ein festes Gestell, in dem<br />

38


Baumfällaktion in einem Garten in Erlenbach durch itsch- Stolzes Posieren nach der geglückten Fällaktion.<br />

nacher Bauern. Beeindruckend die viele Handarbeit und<br />

der fehlende Schutz vor Arbeitsunfällen.<br />

die deckbereite Kuh fixiert wurde und so nicht ausweichen konnte; es erleichterte die<br />

Aufgabe des Munis. Zusätzlich zu dieser Arbeit wurde der Muni zusammen mit Kühen<br />

vor Wagen und Fuhrwerke gespannt. Pferde hielt vor allem der Fuhrhalter, Landwirt und<br />

Gemeinderat ganz am anderen Ende des Dörflis beim heute noch immer plätschernden<br />

Dorfbrunnen.<br />

Dieser diente als Viehtränke, aber auch dazu, die Holzstiele von Werkzeug<br />

oder im Herbst «verlechneteschwellen».<br />

Holzgefässe wie Tansen, Standen und Fässer zu "ver-<br />

Wo die Milch in Strömen floss<br />

Kühe waren bis vor vierzig Jahren in Itschnach allgegenwärtig, und der Melkrhythmus<br />

bestimmte auch den Tagesablauf. Die Weiden lagen rings ums Dörfli herum verstreut. Die<br />

Milchsammelstelle lag zwischen Dorfbrunnen und dem heutigen Kindergarten. Angeliefert<br />

wurde die Milch zu Fuss, auf dem Rücken getragen in Tansen mit sechzig Litern Fassungsvermögen.<br />

Diese Milch wurde vom Milchmann mit Pferd und Wagen - im Winter mit Pferd<br />

und Schlitten - nach Zollikon und bis ins Seefeld verteilt. Beim Wägen der Milch, aber besonders<br />

beim Abrechnen zwischen Milchmann und milchliefernden Bauern soll es bisweilen<br />

zu recht hartnäckigen Auseinandersetzungen<br />

gekommen sein, in denen jede Partei der anderen<br />

vorwarf, ein Rappenspalter zu sein.<br />

Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ein tiefgreifender Strukturwandel<br />

in der Itschnacher Tierhaltung ab: Es wurde zunehmend schwieriger, einen guten -Chueri-<br />

(Küher) zu finden, und der zunehmende Strassenverkehr erschwerte den Weidgang auf die<br />

andere Seite der Zumikerstrasse. So begannen Reitpferde die Kuhhaltung zu ersetzen. Die<br />

Milchsammelstelle wurde an die Tägerhalde und dann nach Zumikon verlegt.<br />

39


Langholzfuhrwerk<br />

auf der Schiedhaldenstrasse.<br />

Schneepflügen am 11. März 1931 bei einer Schneehöhe von 75 Zentimetern.<br />

Nur noch die sechs Pferde sind zu sehen; die Mannschaft samt hölzernem<br />

Schneepflug ist nicht mehr sichtbar.<br />

Stör-Schnapsbrennerei beim Haus Im<br />

Dörfli 28, wo jeweils im Winter sämtliches<br />

Brenngut veredelt wurde.<br />

40


Gülle-Fuhrwerk beim Haus Im Dörfli 28.<br />

Itschnacher<br />

Wein- und Ackerbau<br />

Bis zum Zweiten Weltkrieg wuchsen in Itschnach Reben, und das nicht nur am Rebweg.<br />

Der Wein sei sauer und herb gewesen, weshalb niemand über das Berner Diktat zum Kartoffelanbau<br />

traurig war. Doch <strong>für</strong> Kartoffeln war der Boden in Itschnach zu schwer. So versuchte<br />

der findigste Bauer möglichst bald nach dem Kartoffelanbau sein Glück erfolgreich mit Mais.<br />

Neben Mais wurden aber auch Weizen, Hafer und Gerste angebaut. Das Getreide brachte<br />

man nach der Ernte zur weiteren Verarbeitung in die Mühle Tiefenbrunnen. Als der Getreideanbau<br />

auch nicht mehr den richtigen Ertrag brachte, wurden Häuser «gepflanzt»,zuerst an den<br />

schwierig zu bearbeitenden Hängen, dann auch auf den mehr oder weniger ebenen Flächen.<br />

Zunehmende Mechanisierung und wachsender Verkehr<br />

Schon in den dreissiger Jahren rollte der erste Traktor durch Itschnach und ergänzte die<br />

Pferdekraft. Er war mit Raupen ausgestattet und hatte eine schwierig zu bedienende Kupplung.<br />

Beim Anfahren, um etwas zu ziehen, kippte er deshalb mehrmals beinahe rückwärts<br />

über die Hinterachse. Die weitere Mechanisierung war wegen des allgemeinen Mangels an<br />

landwirtschaftlichen Hilfskräften nicht aufzuhalten; mit ihr wuchs aber vor allem die Hektik<br />

und weniger die Rendite bei der Arbeit. In Itschnachs Wäldern lag viel loses Brennholz, das<br />

von <strong>Küsnacht</strong>ern gesammelt und mit Leiterwägeli zu Tal transportiert wurde. Heute gibt es<br />

beim letzten noch aktiven Bauern frisches Obst und Gemüse in bester Qualität zu kaufen.<br />

Für ihren Weg benutzen die <strong>Küsnacht</strong>er nicht mehr ihre Leiterwägeli, sondern besonders<br />

geländegängige Automobile. Bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts waren die<br />

Strassen in Itschnach naturbelassen. Die Schlaglöcher zwangen zu langsamer, den Verhäl-<br />

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Das Restaurant Johannisburg. Vor dem Eingang stand ein Automat, an dem diese Karte bezogen werden konnte.<br />

tissen angepasster Fahrweise. Der Staub im Sommer wurde mit Wasser etwas gebunden.<br />

Heute verkehren in Itschnach zur Hauptsache geländegängige Personenwagen. Ist die Gemeinde<br />

<strong>Küsnacht</strong> nicht in der Lage, die Itschnacher Strassen so zu unterhalten, dass sie mit<br />

normalen Autos befahrbar sind? Oder passen Autofahrer ihr Gefährt und ihre Fahrweise den<br />

Verhältnissen nicht an?<br />

Die Mülldeponie<br />

als Ärgernis<br />

In einer Senke zwischen Johannisburg und Dörfli lag die <strong>Küsnacht</strong>er Abfalldeponie. Der Müll<br />

wurde in <strong>Küsnacht</strong> mit Pferdefuhrwerken gesammelt und so hier angeliefert. An sehr trockenen<br />

Tagenentzündete er sich selbst, so dass dann die Feuerwehrzum Löschen des stinkenden Brandes<br />

aufgeboten wurde. Das Löschen des damit verbundenen Durstes geschah anschliessend in<br />

der Johannisburg. Die Deponie wurde später zur Wulp hinüber verlegt. Auch dort entzündete sich<br />

der Müll oft selbst, und der entsprechende Gestank plagte dann nicht mehr nur die Itschnacher.<br />

Die Johannisburg<br />

Die Johannisburg liegt bei der heutigen KEK begraben. Sie war während vieler Jahre ein<br />

begehrtes Ausflugsrestaurant mit Tierpark, Reitstall und Landwirtschaftsbetrieb. An schönen<br />

Sonntagen wanderten Stadtzürcher Erholungsuchende von der Rehalp quer durch den<br />

Wald Itschnach zu, um hier die Glieder zu stärken und den ruhigen Ort mit herrlichem Blick<br />

in die Alpen und aufs Itschnacher Dörfli zu geniessern.<br />

Judith und Ruedi Gwalter-Trüb<br />

42


Landwirtschaft und Handwerk im alten <strong>Küsnacht</strong><br />

Die Bewohner der Gemeinden am rechten Zürichseeufer waren in der frühen Neuzeit vor allem mit<br />

Weinbau, Ackerbau und Viehwirtschaft beschäftigt, je nach Lage und Qualität des Landes. «Wo<br />

der Pflug kann gahn, soll die Rebe nicht stahn-, hiess der alte Grundsatz. Rebbau sollte also nur<br />

dort betrieben werden, wo das Gelände <strong>für</strong> den Ackerbau zu steil war. Allzu genau nahm man es<br />

allerdings mit dieser Vorschrift nicht. Weil Rebbau profitabler war als Ackerbau, wurden im Spätmittelalter<br />

noch Rebberge in Gegenden angelegt, die wir heute als nicht mehr geeignet betrachten<br />

würden. Auf der Gyger-Karte von 1667 erkennen wir, dass Reben noch in der Vorderzelg, im<br />

Schübelholz und im Geissbühl wuchsen. Die ganze besonnte nördliche Seite des <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Tobels scheint völlig waldfrei gewesen zu sein. Aber auch die Gegend des Rumensee-Weihers,<br />

dort, wo schon seit langem wieder dichter Wald steht, war früher einmal mit Reben bepflanzt.<br />

Noch auf der Wild-Karte von 1840 sehen wir Rebberge im Gebiet der Langjurten bei Itschnach.<br />

Vielfältige extensive Landwirtschaft<br />

Nicht nur der Rebbau, sondern auch der Ackerbau und die Viehwirtschaft beanspruchten<br />

früher mehr Land, als das später der Fall war. Um das nachzuweisen, braucht man lediglich<br />

den Kaufverträgen und Schenkungsurkunden nachzugehen, die mindestens bis ins 13. Jahrhundert<br />

zurückverfolgt werden können. Ergiebig sind auch Gerichtsentscheide über Weg- und<br />

Weiderechte. Wollen wir uns diese Arbeit sparen, können wir es mit einem Blick auf die Karte<br />

bewenden lassen. So stossen wir mitten im Wald auf Flurnamen, die uns eigentlich stutzig<br />

machen sollten, wie etwa Hofstetten, Rüti und Ägerten, die nicht so recht zu einem Wald passen<br />

wollen. Sie erzählen uns, dass dort einmal eine Hofstatt gestanden hat, dass Wald gereutet<br />

oder als Viehweide verwendet worden war. Die Landwirtschaft war eben zu jener Zeit noch<br />

sehr extensiv, die Stallhaltung der Kühe kam erst später auf. Zudem waren die Landwirte meist<br />

auch noch nicht stark spezialisiert. Sie betrieben Ackerbau, hatten aber auch etwas Vieh. Sie<br />

verfügten über eine Hanfpünt <strong>für</strong> Textilpflanzen, einen Gemüsegarten, Fruchtbäume und oft<br />

auch noch etwas Reben. Bei den Rebbauern waren einfach die Gewichte anders gesetzt. Für<br />

sie kam zuerst der Wein und erst dann die Viehwirtschaft und der Gartenbau. Natürlich verfertigten<br />

oder reparierten die Bauern vieles selbst, ohne da<strong>für</strong> einen Handwerker beizuziehen.<br />

Anderseits bewirtschafteten aber die Handwerker normalerweise auch noch ein kleines Stück<br />

Land oder hatten eine Kuh <strong>für</strong> die tägliche Milch. Das gleiche galt sogar <strong>für</strong> den Pfarrer. Auch<br />

er hatte meist etwas Land und eine Kuh, und seine Entlöhnung bestand grösstenteils aus<br />

Naturalien. Oft hatte der Pfarrer auch noch den Wucherstier (Zuchtstier) und den Wuchereber<br />

<strong>für</strong> das Dorf zu halten, Aufgaben, um die man ihn wohl kaum beneiden konnte.<br />

Handwerk in <strong>Küsnacht</strong> im Jahr 1634<br />

Im folgenden wollen wir uns vor allem dem <strong>Küsnacht</strong>er Handwerk zuwenden. Dieses hatte<br />

in erster Linie der örtlichen Bevölkerung zu dienen und damit eben auch den erwähnten Zweigen<br />

der Landwirtschaft. Wieweit war überhaupt auf dem Land die Ausübung eines Handwerks<br />

43


möglich, und welche Handwerke durften nur in der Stadt betrieben werden? Uns «Seebuben-,<br />

mit der uns eigenen Hassliebe gegenüber der Stadt Zürich, mögen der «Waldmannhandel» und<br />

noch frühere Händel in den Sinn kommen, in denen es unter anderem auch um die HandeIsund<br />

Gewerbefreiheit auf der Zürcher Landschaft ging. Meist drehte sich der Streit darum, dass<br />

die städtischen Zünfte meinten, auf dem Land seien nur solche Handwerke zu dulden, die dort<br />

unerlässlich seien, wie etwa Müller, Schmiede, Schuhmacher und Schneider und allenfalls auch<br />

noch etwa ein Bäcker oder Metzger, sofern sie sich nicht dazu verstiegen, verfeinerte Produkte<br />

anzubieten, die dem Landvolk nicht zukamen. Vollends abzulehnen war natürlich der Verkauf<br />

solcher Erzeugnisse in der Stadt unter Konkurrenzierung der städtischen Handwerksleute.<br />

Aber stimmt dieses Bild? Tatsächlich übten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf<br />

der Zürcher Landschaft etwa 5000 Handwerker ihre Tätigkeit aus, während die städtischen<br />

Zünfte nur noch etwas über 800 Handwerker zählten. Die erste zahlenmässige Erfassung der<br />

Handwerker in <strong>Küsnacht</strong> lässt sich mit dem Bevölkerungsverzeichnis von 1634 vornehmen.<br />

In den meisten Bevölkerungsverzeichnissen sind keine oder nur sehr spärliche Angaben über<br />

die Berufe enthalten. <strong>Küsnacht</strong> ist in dieser Hinsicht ein ausgesprochener Glücksfall.<br />

<strong>Küsnacht</strong> hatte 1634 eine Bevölkerung von 1063 Personen in 186 Haushaltungen. In<br />

einem Haushalt lebten also durchschnittlich 5,7 Personen, wobei die «Dienste", also die<br />

Knechte und Mägde, mitgezählt wurden. <strong>Küsnacht</strong> hatte damals 44 Handwerker (einschliesslich<br />

Fischer, Metzger, Wirte). eine Zahl, die während der nächsten hundert Jahre -<br />

trotz stark wachsender Bevölkerung - konstant blieb. 44 Handwerker sind eine grosse Zahl,<br />

wenn man bedenkt, dass ihnen nur 30 Gross- und Mittelbauern gegenüberstanden, wobei<br />

wir darunter Bauern verstehen wollen, die über «Dienste" verfügten. Alle anderen waren<br />

Kleinbauern, Gesellen, Knechte, Mägde oder alleinstehende alte Leute.<br />

Weites Berufsspektrum<br />

Diese 44 Handwerker deckten ein erstaunlich weites Spektrum von Berufen ab, das weit<br />

über das hinausgeht, was man üblicherweise ausserhalb einer Stadt erwarten würde. Ein<br />

Viertel der Handwerker waren Schneider und Schuhmacher, ein weiteres Viertel entfiel auf<br />

Müller, Tischmacher (Schreiner), Schmiede, Wirte und Fischer. Einer der Schuhmacher hatte<br />

zwei Gesellen, einer der Schneider einen Lehrknaben. Bei solchen Berufen brauchte also<br />

der Handwerker nicht einer städtischen Zunft anzugehören, um Lehrknaben oder Gesellen<br />

beschäftigen zu dürfen. Wenn die Hälfte der Handwerker auf die erwähnten sieben Berufe<br />

entfiel, was <strong>für</strong> Tätigkeiten wurden denn sonst noch ausgeübt? Wir treffen noch auf je zwei<br />

Öler und Blasbalgmacher, einen Gerber mit Gesellen, einen Schärer mit einem Lehrknaben<br />

und dann noch auf je einen Zimmermann, Küfer, Weber, Metzger, Schlosser, Glaser, Wagner,<br />

Bleicher, Steinmetzen, Kaminfeger, Fellfärber, Karrer, Schiffsmann, Spillmacher und Ziegler.<br />

Diese Handwerker hatten zudem noch 21 Söhne, Gesellen und Lehrknaben in ihren Diensten,<br />

so dass also in <strong>Küsnacht</strong> insgesamt 65 Personen handwerklich tätig waren.<br />

100 Jahre später: Neue Berufe<br />

Betrachtet man die Situation in späteren Jahren, so stellt man fest, dass zwar während<br />

rund hundert Jahren die Zahl der Handwerker weitgehend konstant bleibt, dass sich aber<br />

kurzfristig ein erhebliches Auf und Ab zeigt. Im Bevölkerungsverzeichnis von 1637, also nur<br />

44


In der sogenannten Wild-Karte von 7843-7857 präsentiert sich <strong>Küsnacht</strong> als Weinbaudorf par excellence.<br />

gerade drei Jahre nach dem ersten Verzeichnis, hat die Zahl der Schuhmacher, Schneider,<br />

Schreiner, Müller, Fischer und Blasbalgmacher bereits um je eine Person abgenommen, und<br />

zwar zugunsten des Textilgewerbes, der Küfer und Zimmerleute. Ein Jahrhundert später,<br />

1734, ist die Gesamtzahl der Handwerker immer noch die gleiche, aber wir treffen nun auf<br />

einige neue Berufe: drei «Chirurgen » (Wundärzte), eine Hebamme, zwei Seiler und je einen<br />

Bäcker, Maurer, Nagelschmied, Büchsenschmied, Dachdecker, Steinschneider, Strumpfweber,<br />

Trottmeister und Förster.<br />

Diese Aufzählung zeigt eine erstaunliche Vielfalt. Nur wenige Berufe wurden effektiv vom<br />

städtischen Handwerk monopolisiert. Es handelte sich dabei vor allem um Handwerker, die<br />

den verfeinerten Luxusbedarf befriedigten, wie etwa Gold- und Silberschmiede,<br />

Kupferstecher,<br />

Zinngiesser, Zirkelschmiede, Buchdrucker, Indiennedrucker, Knopfmacher, Kürschner<br />

und Perückenmacher. Solche Handwerker hatten in <strong>Küsnacht</strong> nichts zu suchen. Die Abhängigkeit<br />

von der Stadt zeigte sich besonders deutlich bei den stadtnahen Gemeinden, wie<br />

etwa Riesbach, Hottingen, Hirslanden, Enge und Wollishofen. In diesen Gemeinden fehlten<br />

vor allem die Metzger, Bäcker, Gerber, Schlosser und Schmiede. <strong>Küsnacht</strong> konnte eindeutig<br />

nicht mehr als «stadtnah » betrachtet werden. Die einzige brauchbare Verbindung in die<br />

Stadt war das Schiff, meist ein mit einem Rechtecksegel und Rudern versehener Nachen.<br />

Die Verbindung über die alte Landstrasse, den «Heerweg» der Römer, war mühsam, und die<br />

Seestrasse wurde erst wesentlich später gebaut.<br />

Geringe Spezialisierung<br />

Bei aller Vielfalt gab es aber doch auch Berufe, die in anderen Zürcher Landgemeinden<br />

zu finden sind, die wir aber in <strong>Küsnacht</strong> vermissen. Es sind dies vor allem die Wagner,<br />

Drechsler und Sattler. Das will nun aber nicht heissen, dass entsprechende<br />

Produkte in<br />

<strong>Küsnacht</strong> nicht erhältlich gewesen wären, nur war offenbar niemand darauf spezialisiert.<br />

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" ••••••••••.•.•.••••••.••••••••••••••••.•.••••• " ••••••••••••••••.•.• -... ••••••••••••••••.•.• -......••••••••••••••••.•..•..•••.. ~••••••••••••••••.•..•.••.••...•.••••••••••••••••.•. _ •.•.••••••••••••••••...•. " •.•...•.••••••••" ••••••.•.• _ •.••••••••••••••••...•.••..•..•..•.•••••••••••••••• ...--....•.•.••••• uuuuu_ •.•.•••..••••••••••••••• _·, .•••••• •••••• • ••.•. ~ ••..•••••••••••••••.•. ~~.••••••<br />

Solche Produkte dürften von den <strong>Küsnacht</strong>ern in der Regel in der Stadt besorgt worden<br />

sein. Ein lokaler Schreiner wird aber auch einmal gedrechselt oder einen Wagen repariert<br />

haben, und der eine oder andere Schuhmacher<br />

mag wohl auch etwas von der Sattlerei<br />

verstanden haben. Ganz allgemein war die Spezialisierung noch wenig ausgeprägt.<br />

Überdies<br />

muss man sich vergegenwärtigen, dass viele Handwerker gleichzeitig auch noch Kleinbauern<br />

waren. Vielleicht besassen sie nur wenig oder überhaupt kein Land, aber <strong>für</strong> ein<br />

Schwein oder ein paar Hühner wird es doch noch gereicht haben. Gerade die landarmen<br />

Handwerker waren natürlich <strong>für</strong> ihre Kuh ganz besonders stark auf die Allmend angewiesen.<br />

Auch der Wald war wichtig, nicht nur wegen des Holzes, sondern auch wegen der Eichelmast<br />

<strong>für</strong> die Schweine. Viele kleine Handwerker hatten auch ihren Krautgarten oder sogar<br />

ein kleines Stück Rebland. Von den etwas näher bei der Stadt wohnhaften Zollikern waren<br />

einige sogar darauf spezialisiert, regelmässig frisches Gemüse auf den städtischen<br />

zu bringen.<br />

Markt<br />

Es gab aber nicht nur zahlreiche noch wenig spezialisierte Handwerker, auch die Bauern<br />

waren noch gewohnt, vieles selbst herzustellen oder zu reparieren. Und es war durchaus<br />

üblich, dem Handwerker das nötige Material, sei es nun Holz, Leder oder Altmetall,<br />

gleich mit dem Auftrag zu übergeben. Die geringe Spezialisierung hatte zweifellos auch<br />

mit der starken Saisonalität gewisser landwirtschaftlicher Aufgaben zu tun. Die Zeit des<br />

Wümmet erforderte einen vollen Einsatz; da waren sicher viele Handwerker vorübergehend<br />

in den Rebbergen tätig. Anderseits hatten natürlich auch die Rebbauern ihre stilleren<br />

Zeiten, vor allem im Winter. Da mag es wenig erstaunen, dass gerade in den Zürichseegemeinden<br />

mit ausgedehntem Weinbau die Heimarbeit Fuss fassen konnte. 1771 standen<br />

in <strong>Küsnacht</strong> bei einer Bevölkerung von 1562 Personen nicht weniger als 313 Seidenwebstühle<br />

und 18 Baumwollwebstühle. Damit wurden nicht nur Frauen und Kinder beschäftigt;<br />

ganz allgemein konnten damit die flauen Arbeitszeiten beim Reb- und Ackerbau überbrückt<br />

werden.<br />

Die «Dienste»: Knechte und Mägde<br />

Die Arbeitsspitze des Wümmet konnte nicht allein mit einheimischen Arbeitskräften bewältigt<br />

werden. Da waren kurzfristig Dutzende weiterer Arbeitskräfte aus nah und fern im Einsatz.<br />

Solche Einsätze beruhten oft auf langjährigen Beziehungen, so dass viele auswärtige<br />

Helfer wohl Jahr <strong>für</strong> Jahr im Herbst in den gleichen Rebbergen tätig waren. Leider sind diese<br />

Arbeitskräfte in den Akten kaum fassbar. Einfacher ist es bei den festangestellten Knechten<br />

und Mägden, die unter der Bezeichnung «Dienste» zusammengefasst wurden. Es war üblich,<br />

die Dienste <strong>für</strong> ein ganzes Jahr einzustellen, und dann wurde die Stelle meist wieder gewechselt.<br />

Natürlich gab es auch Dienste, die mehrere Jahre lang beim selben Bauern tätig waren,<br />

aber das waren eher Ausnahmen. Wir können das anhand der Bevölkerungsverzeichnisse<br />

von 1634 und 1637 überprüfen. Weniger als 6 % der Dienste des Jahres 1634 sind drei Jahre<br />

später noch beim gleichen Meister im Dienst. Es sind dies drei Knechte und zwei Mägde; die<br />

meisten sind noch jung, nur Hans Eberli aus Egg ist 1637 etwas älter, als dies <strong>für</strong> Dienste<br />

üblich ist, nämlich schon 36jährig. In keinem dieser Fälle lässt sich ausschliessen, dass einer<br />

der Dienste nach einer Stelle bei einem anderen Bauern wieder zum früheren Meister zurückgekehrt<br />

ist, also gar nicht so lange beim gleichen Meister gedient hat.<br />

46


In Hans Conrad Gygers (1599-1674) Karte des Kantons Zürich von 1667 sind die nach Süden exponierten (rechtsufrigen)<br />

Flanken des <strong>Küsnacht</strong>er Tobels waldfrei und reichen die Rebberge bis nach Obergoldbach und Itschnach hinauf.<br />

47


Knecht oder Magd zu sein war weniger ein Beruf als vielmehr eine Lebensphase, die<br />

spätestens bei der Heirat und der Übernahme eines Hofes oder eines Handwerksbetriebs<br />

zu Ende ging. Und so lag denn auch das Durchschnittsalter der Knechte und Mägde bei nur<br />

rund zwanzig Jahren. Wechselnde Bedürfnisse hatten aber auch die Meister. Es war in der<br />

Regel nicht so, dass auf einem Hof über längere Zeit eine konstante Zahl von Diensten tätig<br />

war. Vielmehr wurde die Zahl der Dienste den Bedürfnissen angepasst, und diese waren<br />

wiederum vom Alter der Kinder der Meistersfamilie abhängig. Wurden die Kinder älter, so<br />

konnten sie die Dienste ersetzen, es sei denn, sie wurden selbst als Dienste bei anderen<br />

Bauern in Stellung gegeben. Ein solcher Austausch von Jugendlichen scheint verbreitet gewesen<br />

zu sein. Vor allem jüngere Kinder gab man gerne als Dienste zu verwandten oder gut<br />

bekannten Familien, und man nahm anderseits gerne von ihnen Jugendliche als Dienste auf.<br />

Damit scheint man gelegentlich die schwierigen Jahre der Pubertät elegant überbrückt zu<br />

haben. Verheiratete Dienste waren äusserst selten, und fast ebenso selten waren Dienste,<br />

die ihr ganzes Leben - gleichsam als Familienmitglied - auf dem gleichen Hof verbrachten.<br />

Gelegentlich wird bei einer Magd angegeben, sie sei Spinnerin. In solchen Fällen haben wir<br />

wohl eher eine mehr oder weniger selbständig erwerbende Hausgenossin vor uns als eine<br />

eigentliche Magd.<br />

Woher kamen die Knechte und Mägde?<br />

1634 entfielen gut 8 % der <strong>Küsnacht</strong>er Wohnbevölkerung auf Dienstpersonal. Es waren<br />

dies 59 Knechte und Gesellen und 27 Mägde. Woher kamen nun diese Dienste? Auch hier<br />

können wir wieder die frühen Bevölkerungsverzeichnisse konsultieren. Um aussagekräftige<br />

Zahlen zu erhalten, kombinieren wir die Angaben aus den Jahren 1634 und 1637; wir kommen<br />

so auf 139 Dienste. Wie wohl nicht anders zu erwarten ist, stammen die meisten Dienste<br />

aus der näheren Umgebung, und ihr Anteil nimmt mit zunehmender Distanz ab. Es zeigt<br />

sich hier allerdings ein deutlicher Unterschied zwischen Knechten und Mägden. Während<br />

58% der Knechte aus einem Umkreis von 10km stammen, sind es bei den Mägden nur<br />

39%. Die Mägde kommen also in der Regel von weiter her. Verglichen mit den Knechten,<br />

Betrachten<br />

wir die konkreten Zahlen<br />

Distanz Knechte Mägde Total Total in %<br />

aus <strong>Küsnacht</strong> 8 5 13 9,4%<br />

bis 5 km 14 5 19 13,7%<br />

6-10km 38 11 49 35,3%<br />

11-15 km 18 5 23 16,5%<br />

16-20km 3 2 5 3,6%<br />

21-30km 2 3 5 3,6%<br />

über 30km 6 7 13 9,3%<br />

aus dem Ausland 4 8 12 8,6%<br />

Total 93 46 139 100,0%<br />

48


kommen die Mägde viermal so häufig aus dem Ausland, vor allem aus dem Allgäu, dem<br />

Breisgau und dem Schwabenland.<br />

Möglicherweise steckte bei einigen von ihnen die Hoffnung<br />

dahinter, in der Schweiz einen Heiratspartner finden zu können.<br />

Welches waren nun die verbreitetsten Herkunftsorte? Der Spitzenreiter in der Kategorie<br />

der Orte mit 6-10 km Entfernung ist die Gemeinde Maur, aus der acht Knechte und zwei<br />

Mägde kamen; auch noch wichtig in dieser Kategorie waren Meilen, Egg und Horgen. In der<br />

Kategorie 11-15 km kamen die meisten Dienste aus Männedorf, Stäfa, Höngg und Wädenswil.<br />

Bei Höngg dürfte der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass dieses, ähnlich wie <strong>Küsnacht</strong>,<br />

ein ausgeprägtes Weinbauerndorf war. Bei der starken Stellung gewisser Herkunftsorte<br />

ist zu beachten, dass gelegentlich einmal zwei Geschwister beim gleichen Meister in<br />

den Dienst traten, vor allem wenn eines noch relativ jung war. So treffen wir auf Hans und<br />

Maria Rusterholz aus Witikon,<br />

die 19- und 16jährig sind, oder auf Barbel und Lisabeth<br />

Gugolz aus Auslikon (Pfäffikon), die 16- und 12jährig sind. Eine Dienststelle konnte aber<br />

auch innerhalb der Familie weitergegeben werden. So lösen sich zum Beispiel zwei -Frytaqaus<br />

Hottingen als Knechte ab. Auf einem Hof im <strong>Küsnacht</strong>er Berg tritt Hans Felix Eppli aus<br />

Maur die Nachfolge seines älteren Bruders Hans Jagli an, und im benachbarten Hof hat sich<br />

sogar ein Hans Heinrich Eppli, vielleicht auch ein Bruder, eingeheiratet. Knecht oder Magd<br />

zu sein war, wie wir schon festgestellt haben, ein Abschnitt<br />

Leute. Das Dienste-System erfüllte nicht nur eine eminent wirtschaftliche<br />

auch eine ebenso wichtige soziale Funktion im Leben unserer Vorfahren.<br />

im Leben der meisten jungen<br />

Funktion, sondern<br />

Walter Letsch<br />

Literatur:<br />

Diethelm Fretz, Das Gewerbe von Zollikon, Zollikon 1946; Emil J. Walter, Die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks<br />

auf der Landschaft im alten Zürich, Zürcher Monats-Chronik, Zürich 1942, 1943 und 1948; Josef Ehmer und Michael<br />

Mitterauer (Hg.), Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften, Wien 1986; Walter Letsch,<br />

<strong>Küsnacht</strong>s Bevölkerung im 15. bis 17. Jahrhundert (11), <strong>Küsnacht</strong>er <strong>Jahrheft</strong> 2001.<br />

49


Damals, im Reich der Sinne<br />

Als ganz junge Frau zog ich zusammen mit meiner Familie in das Bauerndorf Limberg im<br />

<strong>Küsnacht</strong>er Berg, wo ich inzwischen über vierzig Jahre gelebt habe, bevor ich nun nach dem Tod<br />

meines Mannes mit meinem zweiten Ehemann in Erlenbach mein altes Elternhauswieder belebe.<br />

Vor vierzig Jahren war das bäuerliche Leben noch geprägt von harter Knochenarbeit.<br />

Manche Handbewegung und viele Schritte mussten getan werden im Tagesablauf. Gras und<br />

Heu wurden mit dem grossen Rechen sorgsam zusammengenommen,<br />

meistens von den<br />

Frauen. Gemütlich tuckerte Werner mit seinem damals ziemlich neuen Hürlimann-Traktor,<br />

heute eine Rarität, am Haus vorbei und wirbelte keine Staubwolke auf.<br />

Einst und jetzt<br />

im Bauernwerk<br />

Im Sommer wurden Heu und Stroh mit der Gabel auf den Wagen geladen. Aber auf einmal<br />

kamen grössere Traktoren zum Einsatz. Ein Ladewagen war angehängt, welcher das<br />

Gras nach dem Mähen mit dem Motormäher unter enormem Gerassel von der Wiese aufnahm<br />

und dann im Stall mit Geklimper wieder entlud. Das Kratzen der Zacken der Heugabel,<br />

mit welcher den Kühen das Gras in die Krippe geschöpft wurde, erklang, worauf diese mit<br />

Schnauben und Schnaufen ihre Mahlzeit einnahmen. Jeden Morgen, jeden Abend, jahrein,<br />

jahraus. Wenn die Stalltüre weit offen stand, wehte der Geruch von Gras und Milch und frischem<br />

Mist zu mir herüber. Ich atmete ihn ein mit allen Sinnen.<br />

Vor jedem Stall ragte ein Misthaufen. Von Zeit zu Zeit wurde dieser auf den Feldern mit<br />

der Mistgabel verteilt, nachdem er unter grosser Anstrengung, denn er ist nass und schwer,<br />

auf den Wagen auf- und dann wieder abgeladen worden war. Später konnten Mistzettmaschinen<br />

die Arbeit erleichtern. Jetzt hat es in den Ställen Schwemmentmistung, das heisst,<br />

dass das, was beim Vieh vorn in Form von Gras, Heu und Wasser hineinkommt, später hinten<br />

in eine Rinne fällt, wo alles sauber mit dem Wasserschlauch in die riesige Jauchegrube<br />

gespült werden kann. Zu diesem Zweck musste diese vorschriftsgemäss<br />

errichtet werden.<br />

Aber früher wurde noch von Hand gemolken. Eines Morgens jedoch sirrte etwas Unbekanntes<br />

in der Luft: die erste Melkmaschine. Bald hatte jeder Landwirt so eine Einrichtung im Stall.<br />

Gerüche<br />

und Geräusche<br />

Überhaupt sind die Geräusche in einem Bauerndorf wunderbar, abgesehen vielleicht von<br />

einigen Misstönen, die überall vorkommen, wo Leben ist. Auch die geruchlichen Wahrnehmungen<br />

sind ganz gewiss nur in einem Bauerndorf so intensiv, wie etwa frisch gemähtes<br />

Gras im frühen Frühling und dann das Heu im Sommer. Gerüche und Geräusche begleiten<br />

uns durch den Tag, wenn wir bereit sind, sie aufzunehmen.<br />

Himmelhohes Jauchzen erfasste mein Herz, wenn ich sah und hörte, wie sich die Feldlerche<br />

jubelnd in das Blau des Himmels schwang.<br />

Frühmorgens, wenn wir noch im warmen Bett kuschelten, bei Sturm und Regen, sommers<br />

wie winters, vernahmen wir, dass der Bauer - man wusste ganz genau, welcher - gerade die<br />

50


Mit enormem körperlichem Kräfteeinsatz wurde das Heu - wie hier im Sommer 1942 - auf den Wagen geladen und<br />

mittels zweier Pferdestärken in die Scheune gefahren. Im Vordergrund Hans Herrmanns Mutter.<br />

Milchkannen hervornahm. Wenig später das Surren der Melkmaschine. Bei jedem Wetter<br />

musste die Milch zur Hütte gefahren, im Sommer das Gras eingeholt werden.<br />

Das Wichtigste:<br />

die Kühe<br />

Ja, damals. Damals genoss die Kuh mit dem Stier noch Körperkontakt. Seit vielen Jahren<br />

wird sie nun aber künstlich besamt. Das zu jener Zeit etwa zehnjährige Nachbarsmädchen<br />

vertraute mir nach so einer Aktion an: «Der Besamer würde mir auch noch gefallen."<br />

Ich nahm es still amüsiert zur Kenntnis.<br />

Ertönte aus dem Stall das verhaltene Gebrüll eines Löwen, wusste ich, dass eine Kuh am<br />

Kalben war.<br />

In späteren Jahren wurde eine Bestimmung herausgegeben, dass das Vieh regelmässig<br />

aus dem Stall auf die Weide gelassen werden muss.<br />

Es war offensichtlich,<br />

dass die Kühe das sehr schätzten. Übermütig verwarfen sie die<br />

Beine, hüpften umher und ärgerten die Menschen. Die -überstelliqen- Viecher wollten andere<br />

Wege einschlagen, waren stur im Bewusstsein ihrer geballten und überlegenen Kraft.<br />

Aber am Abend, wenn die Euter voll Milch sie drückten, kamen sie lammfromm von selbst<br />

zurück in den Stall. Nur die Kühe, welche «galt" gingen, das heisst, dass sie trächtig waren,<br />

blieben auf der Weide samt den minderjährigen Rindern und den Kälbern.<br />

Abschied vor dem Alpsommer<br />

Durch das Fenster nahm ich eines Abends wahr, wie Godi, unser Nachbar, die Tiere, die<br />

im Freien blieben, ganz besonders aufmerksam betrachtete. Er kam jeden Abend nach dem<br />

Melken, um den Tieren frisches Wasser, Heu und manchmal auch Stroh zu bringen. Sie<br />

51


Der Weiler Limberg hat seinen ländlichen Charakter bis auf den heutigen Tag zu wahren gewusst. Alfred Egli<br />

schauten immer nach ihm aus. Aber heute war alles anders. Er schaute jedes einzelne genau<br />

an, streichelte einem zärtlich über die Nase, dort war noch eines etwas verschmutzt.<br />

Behutsam strich er mit der Hand über den Kopf und liess jedem liebevolle Zuwendung angedeihen.<br />

Berührt nahm ich dieses friedliche Bild in mich auf. «Morgen gehen sie auf die<br />

Alp», rief Godi mir zu. Also nahm er auf diese Weise von ihnen Abschied. Wer weiss, ob er<br />

sie wiedersehen würde. Auf so einer Alp gibt es gefährliche Pfade. Wenn sie zurückkämen,<br />

würden sie erwachsen sein, bereit, Milch zu geben, Kälbchen zu gebären.<br />

«Tänntörle»<br />

In lebhafter Erinnerung sind mir auch noch die Männer beim -Tänntörle-. Meistens bei<br />

unsicherer Witterung trafen sie sich unter dem Tor der Tenne von Axel, unserem Nachbarn.<br />

Zuerst war Peter da, aber als hätten sie sich verabredet, traf einer nach dem anderen ein.<br />

Ich hätte oft gerne gewusst, was da so alles beredet wurde, aber sosehr ich die Ohren<br />

spitzte, nahm ich doch nur Wortfetzen wahr. Es ging wohl meistens um aktuelle Probleme in<br />

der Landwirtschaft. Einer ereiferte sich über alle Massen, fuchtelte mit den Armen umher, ein<br />

anderer antwortete ihm, während die übrigen lachten. Die Mimik wechselte zwischen Unmut<br />

und Erheiterung. Aber beim nächsten Blick aus dem Fenster waren alle verschwunden, als<br />

wäre es ein Spuk gewesen.<br />

Bauernarbeit - kein Honiglecken<br />

Anlass zu Verstimmungen gab ganz gewiss Ende der siebziger Jahre die Weisung des<br />

Bundes, infolge der Milchschwemme die Milchproduktion<br />

einzuschränken. Diejenigen, weIche<br />

diesem Ratschlag folgten, waren, als später die Milchkontingentierung eingeführt<br />

wurde, welche sich nach der Menge der zuletzt abgelieferten Milch richtete, die Geprellten.<br />

Das ist kein Einzelfall, und wen wundert es, dass manchem Landwirt der Seufzer entfährt,<br />

52


man sollte immer das Gegenteil von dem machen, was der Bund empfiehlt. Man hört heutzutage<br />

oft klagen über den Lohnabbau. Die Landwirte sind aber schon von jeher davon betroffen,<br />

sei es, dass die Ernte schlecht ausfällt, das Glück im Stall ausbleibt. Der Beruf des<br />

Landwirtes ist erfüllend, aber auch geprägt von Rückschlägen und Einbussen. Man kann ja<br />

nicht alles versichern. Deshalb ist es müssig, darüber zu lächeln oder zu schimpfen, dass in<br />

der Landwirtschaft gewisse Leistungen vom Bund unterstützt werden. Ich vertrete die Auffassung,<br />

wir müssten zu unseren Landwirten Sorge tragen. Es würde sehr unbequem, ungesund<br />

und wahrscheinlich auch teuer werden, wenn wir alle unsere Lebensmittel aus dem<br />

Ausland beziehen müssten.<br />

Viele haben es schon aufgegeben, haben das Vieh verkauft, betreiben nur noch Ackerbau<br />

oder haben sich eine Nische gesucht.<br />

Schnaps brenner<br />

Im Spätsommer kam jeweils der Schnapsbrenner. Er stellte seine Einrichtung beim<br />

Nachbarn unter dem ausladenden Vordach auf. Dann heizte er den Ofen ein, während sich<br />

nach und nach die Männer einfanden mit ihren Fässern voll Kirschen, Zwetschgen,<br />

Birnen,<br />

Quitten und mit Karretten voll Holz. Gegen Abend machte dann das Glas die Runde, um das<br />

Resultat zu begutachten.<br />

Die Männer erzählten und lachten bis spät in die Nacht hinein.<br />

Alles war beleuchtet von einer Lampe und wirkte auf mich wie eine Theaterszene. In der Luft<br />

lag ein angenehmer Geruch. Oft konnten wir dann später bei einem Besuch in der Nachbarschaft<br />

das "Feuerwasser» kosten.<br />

Erntezeit<br />

Im Sommer während der Erntezeit breitete sich immer eine gewisse Hektik im Dörfchen<br />

aus. Alle wollten die schönen Tage ausnutzen. Aber wenn dann schwarze Wolken aufzogen,<br />

musste das Heu «gschöchlet», also zu Häufchen geschichtet<br />

und später wieder verzettet<br />

werden. Wieviel Mühe und Zeitaufwand! Aber auf einmal ertönte ein neues Geräusch im<br />

Dorf. Die Heubelüftung begann zu surren. Diese Erfindung erleichterte die Arbeit der Landwirte<br />

ungemein, denn dadurch konnte auch Heu, das weniger trocken war, in die Scheune<br />

eingefahren werden. Und die Getreidefelder: Was im Herbst gesät, monatelang mit kundigen<br />

Blicken beobachtet und gepflegt worden ist, kann erst im Juli oder August des nächsten<br />

Jahres geerntet und zu Geld gemacht werden. Dann fährt der Mähdrescher auf, Dinosaurier<br />

der Neuzeit, imposante Erfindung.<br />

Nach und nach kamen immer neuere, effizientere Maschinen und Ungeheuer von Traktoren<br />

zum Einsatz. Der sogenannte Fortschritt hatte nun auch «mein» Limberg fest im Griff.<br />

Das Lied der Lerche ist inzwischen verstummt, die Männer haben das «Tanntörle»<br />

lange eingestellt, vieles ist in Vergessenheit geraten oder wird als rückständig belächelt.<br />

schon<br />

Wenn dann Ende August schon der kühle Atem des Herbstes über die Felder fächelt, ist<br />

es, als ob eine glasige Glocke über der Erde hinge und alle Geräusche dämpfen würde.<br />

Jetzt blitzen auf den abgeernteten Feldern die Pflugscharen auf. Satt und glänzend liegen<br />

die Bahnen der gepflügten Erde, bereit, die neue Saat zu empfangen. Und das wird hoffentlich<br />

immer so bleiben.<br />

Yvonne Kunz-Zürcher<br />

53


Landwirtschaft im <strong>Küsnacht</strong>erberg<br />

Von Bauernarbeit in früherer Zeit<br />

Mit der «früheren Zeit» sind die Jahre vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang<br />

der fünfziger Jahre gemeint. Ich bin zwar nicht in einer Bauernfamilie aufgewachsen;<br />

aber mein Vater war Lehrer im <strong>Küsnacht</strong>erberg, der in der damaligen Zeit noch stark bäuerlich<br />

geprägt war. Hier bekam ich direkt vor unserem Haus Anschauungsunterricht<br />

darüber,<br />

wie Landwirtschaft betrieben wurde. Ausserdem musste ich schon als Kind während der<br />

Sommer-Schulferien im eher kleinen Bauernbetrieb eines Onkels im Kaltenstein mithelfen,<br />

zusammen mit meiner älteren Schwester. Meine Eltern gingen mit dem guten Beispiel voran<br />

und halfen auch mit. Während des Weltkrieges musste ich auch den obligatorischen Landdienst<br />

leisten, wobei meine als Kind erworbenen landwirtschaftlichen<br />

Kenntnisse sehr nützlich<br />

waren. Doch davon später.<br />

Bauernwerk im Zeichen der Handarbeit<br />

Stellt man einen Vergleich an zwischen der Führung eines Bauernbetriebes von damals<br />

und heute, so mutet einen die damalige Art zu werken geradezu archaisch an. Viele Arbeiten<br />

wurden noch von Hand verrichtet. Es gab zwar schon einige landwirtschaftliche<br />

Maschinen, sehr einfache natürlich, aber längst nicht alle Bauern verfügten über den damals<br />

existierenden Maschinenpark. Fast alle besassen einen sogenannten Wender, mit<br />

dem Heu gekehrt werden konnte. Landwirte, die einen etwas grösseren Betrieb hatten,<br />

besassen schon eine Mähmaschine, eine Zettmaschine sowie einen Schwadenrechen,<br />

mit dem man das Heu - halb oder ganz trocken - zu Mahden zusammenrechen<br />

-Mähdlen» nannte man das.<br />

konnte.<br />

Vor diese Maschinen wurde ein Zugpferd gespannt. Aber noch längst nicht alle Bauern<br />

hatten Pferde. Fehlten diese, so wurden Kühe zum Ziehen eingesetzt. Das galt auch <strong>für</strong> voll<br />

beladene Heuwagen! Die logische Folge davon war, dass die Kühe weniger Milch gaben.<br />

Traktoren gab es kaum. Die ersten Traktoren kamen um 1935/38 zum Einsatz. Es waren<br />

bescheidene Fahrzeuge im Vergleich mit den heutigen Riesengefährten. (Kürzlich las ich, die<br />

Zahl der Traktoren mit über 100 PS habe sich seit 1990 verfünffacht!) Im <strong>Küsnacht</strong>erberg<br />

konnten sich nur Bauern mit <strong>für</strong> damalige Zeiten grossen Betrieben Traktoren leisten.<br />

Bewirtschaftung<br />

der Wiesen<br />

Die Arbeit auf den Wiesen spielte sich ungefähr nach folgendem Schema ab: Sobald im<br />

Frühjahr das Gras etwas gewachsen<br />

war, führte man die Kühe auf die Weide, oder es<br />

wurde geschnitten und als Frischfutter <strong>für</strong> die Kühe eingebracht. Wurde das Gras in kleineren<br />

Mengen in der näheren Umgebung von Haus und Stall gemäht, holte man es oft<br />

auch mit einer sogenannten Grasbähre heim. Das war ein einrädriges Fahrzeug mit zwei<br />

Handgriffen, das wie ein Schubkarren gestossen werden konnte, eine etwas wacklige<br />

Sache, bei der man immer aufpassen musste, dass das Gefährt, einmal beladen, nicht ins<br />

Kippen kam.<br />

54


Früh im Jahr wurde der Mist im Mistwagen auf die Wiesen geführt und dort verteilt.<br />

Gefährliches frisches Gras<br />

Verfütterte man den Kühen frisches Gras, so musste darauf geachtet werden, dass man<br />

ihnen zuerst etwas Heu zum Fressen gab. Wurde dies unterlassen, so konnte die Aufnahme<br />

von frischem Gras in grösseren Mengen zu gefährlichen Blähungen führen. Ab und zu geschah<br />

dies trotz aller Vorsicht doch. Man sagte dann: ,,0 Chue hät d völli-. Oie Kuh musste dann sofort<br />

"gestochen» werden, um die gefährlichen Gase abzulassen. Diesen Eingriff musste der<br />

Bauer meistens selber vornehmen. Der Tierarzt konnte kaum rechtzeitig erreicht werden, denn<br />

Telephone gab es auch noch nicht in jedem Haus. Konnte die Kuh nicht gerettet werden, so<br />

war deren Fleisch nicht mehr «bankwurdiq», d. h., es konnte nicht mehr verkauft werden.<br />

Mähen, Zetteln, Schöcheln<br />

Je nach Witterung erfolgte der erste Grasschnitt in der ersten Junihälfte. War das Wetter<br />

im Frühjahr sehr gut und «wuchsiq», so konnte damit schon in der letzten Maiwoche begonnen<br />

werden. Das Gras wurde immer zu Heu getrocknet. Silage kannte man noch nicht. Wer<br />

keine Mähmaschine hatte, musste das Gras mit der Sense mähen. Während des Mähens<br />

musste die Sense öfters gewetzt werden. Das geschah mit einem Wetzstein. Dieser befand<br />

sich in einem Gefäss, das etwas Wasser enthielt und das sich der Mäher mit einem Gurt vor<br />

den Bauch hängte. Vor dem Mähen musste die Sense gedengelt werden, um Scharten -<br />

Unebenheiten in der Schneide - auszumerzen. Oie Grasmahden wurden von Hand, allenfalls<br />

mit einer Zettmaschine,<br />

gezettelt und gleichmässig auf der Wiese verteilt. Gras, das unter<br />

Bäumen lag (damals gab es noch in fast allen Wiesen Hochstammobstbäume),<br />

wurde an<br />

55


esonnte Stellen getragen und dort gezettelt. Bis zum frühen Nachmittag wurde es zum Antrocknen<br />

liegengelassen. Mitte Nachmittag wurde es gewendet, entweder mit dem Wender<br />

oder von Hand mit einer Gabel. Bis am frühen Abend blieb es so liegen. Etwas später wurde<br />

noch «geschöchelt», d.h. es wurden runde Heuhaufen gemacht.<br />

Das Heufuder<br />

Am folgenden Tag - vorausgesetzt,<br />

das Wetter war trocken - wurden die «Schöchli»<br />

gezettelt. Bis zum frühen Nachmittag blieb das Heu wieder liegen, dann wurde nochmals<br />

gewendet. Mitte Nachmittag wurde es mit dem schweren Schlepprechen zu grossen, breiten<br />

Mahden zusammengerecht.<br />

Mit speziellen Ladegabeln (sie hatten vier extra lange Zinken)<br />

wurde nun das Heu auf einen vorn und hinten mit Gattern versehenen Wagen geladen.<br />

Auf diesem Wagen stand ein Mann oder auch eine kräftige Frau. Diese Person musste da<strong>für</strong><br />

sorgen, dass das Heu gleichmässig verteilt wurde, damit das Fuder auf der Heimfahrt auf<br />

holprigen Feldwegen nicht ins Kippen kommen konnte. War der Wagen voll beladen, so<br />

wurde in der Längsrichtung der Bindbaum mit einem Durchmesser von 10-12 Zentimetern,<br />

in der Mundart «vvischpe- genannt, über das Heu gelegt und mit einem dicken Seil, das<br />

durch das vordere und hintere Gatter lief, so stark wie möglich und mit Hilfe einer Drehvorrichtung<br />

aus Holz, die unterhalb des Gatters angebracht war, angezogen.<br />

Emden<br />

Je nachdem, wieviel Gras der Bauer gemäht hatte, gab es noch ein zweites oder sogar<br />

ein drittes Fuder. Ein paar Wochen später erfolgte dann der zweite Grasschnitt. Dieses Gras<br />

stand nicht mehr so üppig wie jenes vor dem ersten Schnitt. Es war viel feiner. Getrocknet<br />

nannte man es Emd. Bei guten Wetterbedingungen während des Sommers konnte eventuell<br />

ein dritter Schnitt gegen Ende August/Anfang<br />

September gemacht werden. Heute werden<br />

bis zu fünf Schnitte gemacht. Im Frühherbst gab es keine Möglichkeit mehr, Gras zu trocknen.<br />

Deshalb führte man die Kühe nochmals auf die Weide oder schnitt das Gras nochmals<br />

und brachte es als Frischfutter ein.<br />

Düngen<br />

Oie Wiesen wurden im Vergleich zu heute spärlich gedüngt. Kunstdünger kannte man<br />

kaum. Üblich war das Düngen mit Jauche und Mist. Meist erfolgte nur eine einzige Düngung<br />

zwischen den verschiedenen Grasschnitten.<br />

ovalem Querschnitt, die auf einem Wagenuntergestell<br />

montiert waren, auf die Wiesen geführt.<br />

Oie Verteilvorrichtung<br />

Oie Jauche wurde noch mit Holzfässern von<br />

wirkte nur in einem relativ schmalen Bereich. Mist wurde mit<br />

dem Mistwagen, der hinten und auf der Seite mit kippbaren Bretterwänden versehen war,<br />

auf die Wiesen geführt, dort in einzelnen Haufen abgeladen und mit der Gabel über die<br />

Wiese verteilt.<br />

Ackerbau<br />

Auch der Getreideanbau und die Getreideernte mussten noch mit viel Handarbeit erledigt<br />

werden. Angepflanzt wurden Weizen, Roggen, Gerste und Hafer. Mais und Raps kannte<br />

man noch nicht. Oie Aussaat wurde von Hand gemacht. Bauern, die keine Mähmaschinen<br />

56


Getreideernte im Hochsommer - reine Handarbeit! - Mitte der dreissiger Jahre im <strong>Küsnacht</strong>erberg.<br />

hatten, schnitten das Getreide mit der Sense (


Die Runkelernte im Herbst wurde im Wagen zweispännig und en familie vom Acker zum Hof geführt.<br />

Wiesen befanden sich Mostbirnen- und Apfelbäume. Gängige Mostbirnensorten waren<br />

Thurgi-, Sträuler-, Teilers-, Gelb- und Grünmöstler- sowie Chugelibirnen. Bekannte Apfelsorten<br />

waren: Klaraäpfel (bereits Juli/August reif), Gravensteiner, Bernerrosen, Stäfnerrosen,<br />

Ananasreinetten, auch Zitronenäpfel genannt, Silberreinetten, Boskoop, Sauergrauech, Usteräpfel,<br />

Lederäpfel. Eine Schädlingsbekämpfung<br />

wie heute war unbekannt. So kam es immer<br />

wieder mal vor, dass man halt in einen Apfel biss, in dem ein Wurm hauste. Entdeckte man<br />

den Wurm rechtzeitig, war's gut; andernfalls verschluckte man ihn unbewusst. Geschadet<br />

hat's jedenfalls nichts.<br />

Viehhaltung<br />

Nach heutigen Kenntnissen muss man wohl sagen, dass die Viehhaltung in der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts viel zu wünschen übrig liess. Die Ställe waren dunkel und niedrig,<br />

in der Regel mit zwei Türen und mit zwei kleinen (meist verdreckten) Fenstern versehen.<br />

Die Belüftung war äusserst mangelhaft, die Luft daher stickig, ein wunderbares Tummelfeld<br />

<strong>für</strong> Fliegen. Rückblickend<br />

zweifelhaft war.<br />

denke ich, dass die Sauberkeit in diesen Ställen eher<br />

Auch zur Hygiene beim Melken und im Umgang mit der Milch muss man eher ein Fragezeichen<br />

setzen. Melkmaschinen waren noch gänzlich unbekannt;<br />

die Kühe mussten von<br />

Hand gemolken werden. Die Bauern mussten die Milch morgens und abends selber in einer<br />

Tanse zu einer Sammelstelle - "i d Hütte qaa» hiess das - bringen. Die durchschnittliche<br />

Milchleistung einer Kuh betrug etwa 10-15<br />

Milchpreis sehr tief.<br />

Liter. Anfang der 1930er Jahre war auch der<br />

58


Wenigstens hier hat der Wandel, der im Laufe der Zeit in der Viehhaltung und in Bezug<br />

auf Stall- und Milchhygiene eingesetzt hat, viel Gutes gebracht.<br />

Landwirtschaft - gestern und heute<br />

Wie ersichtlich, wurde Landwirtschaft damals extensiv betrieben, und damit - ohne dass<br />

man sich darüber grass Gedanken gemacht hätte - schonte man Natur und Böden. Dieser<br />

sorgfältige Umgang mit der Natur bescherte uns im Frühsommer die bunten Blumenwiesen<br />

und eine Vielfalt an Insekten, Schmetterlingen und Vögeln. Letztere erfreuten uns im Frühling<br />

nicht nur mit ihrem Gesang, sondern betätigten sich als eifrige und nützliche Vertilger<br />

von Mücken, Fliegen und anderem Ungeziefer.<br />

Heute ist alles anders. Äcker und Wiesen müssen das Maximum hergeben, damit sich<br />

Landwirtschaft<br />

noch einigermassen lohnt. Oie Intensivierung der Nutzung war und ist mit<br />

verschiedenen Konsequenzen verbunden, deren Auswirkungen man erst im Verlaufe der<br />

Jahre erkannte. Mit den häufigen Grasschnitten - bis zu fünf zwischen April und Oktober -<br />

und einer demzufolge viel häufigeren Düngung sind die bunten Blumenwiesen verschwunden,<br />

mit ihnen auch Schmetterlinge und viele Insekten und mit letzteren auch die Vögel,<br />

denen ihre Nahrungsgrundlage<br />

eingesetzt werden, also statt Natur Chemie.<br />

entzogen wurde. An deren Stelle müssen nun Insektizide<br />

Anmerkung<br />

Im Rückblick auf die Zeit vor über fünfzig Jahren musste ich feststellen, dass ich mich an<br />

gewisse Dinge nicht mehr genau erinnern konnte. Ich habe daher Frau Hanna Steinemann-<br />

Wettstein (Hagenbuch) dazu befragt. Frau Steinemann ist zu jener Zeit auf einem mittleren<br />

Bauernbetrieb im Kaltenstein aufgewachsen und kennt die damaligen Verhältnisse aus eigener<br />

Erfahrung bestens. Sie konnte mir deshalb noch eine Reihe von Auskünften geben. Ich<br />

danke ihr auch an dieser Stelle herzlich <strong>für</strong> ihre Hilfe.<br />

Dora Gut<br />

59


Das Bauernjahr<br />

im Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

Frau Emma Speissegger-Bänninger (geboren 1915) lebt heute in Zürich; sie stammt aber<br />

von einem Bauernhof im Zürcher Unterland. Ihr Mann, Albert Speissegger (1902-1977), kam<br />

aus einer Bauernfamilie im Zürcher Oberland und wohnte als Bub und Jüngling viele Jahre<br />

lang in <strong>Küsnacht</strong> bei seinem ältesten Bruder, Harry Speissegger (1886-1975). Dieser hatte<br />

sich 1912 an der Schiedhalde in <strong>Küsnacht</strong> niedergelassen und wohnte bis zu seinem Tod in<br />

<strong>Küsnacht</strong>, die letzten acht oder neun Jahre im Wangensbach.<br />

Die Speisseggers - dies nur nebenbei - sind Nachfahren des berühmten Schaffhauser<br />

Orgelbauers Johann Konrad Speissegger, der im 16. und 17. Jahrhundert wirkte. Von ihm<br />

steht noch heute eine vom Ende des 16. Jahrhunderts datierte, sehr gut erhaltene und regelmässig<br />

gespielte Hausorgel am Zürichsee, nämlich im Landhaus zur Schipf in Herrliberg.<br />

Eine weitere Speissegger-Orgel gibt es wohl nur noch in Fribourg in der Klosterkirche der<br />

Franziskaner.<br />

Jedes Jahr zur Fasnachtszeit bäckt Emma Speissegger - auch mit ihren 90 Jahren noch! -<br />

-Eieröhrli». Und da sie aus alter Anhänglichkeit an ihren Schwager Harry immer wieder gern<br />

nach <strong>Küsnacht</strong> kommt und durch die ihr früher so vertraute Schiedhalde spaziert - die sie<br />

jetzt so völlig überbaut kaum mehr wiedererkennt -, sind ihre «Eieröhrli» alljährlich der Grund<br />

zu einer Teevisite bei mir.<br />

Emma Speissegger bäckt aber nicht nur die besten -Eieröhrli- weit und breit; sie kann<br />

auch wundervoll erzählen: von früher, von den Arbeiten und Freuden, die im Verlauf des Jahres<br />

<strong>für</strong> ein Bauernmädchen anfielen. Anlässlich ihres Besuchs im Februar <strong>2005</strong> machte ich<br />

Notizen von ihren Erzählungen, denn wer hat heute noch eine Vorstellung davon, wie es vor<br />

70, 80 und 90 Jahren auf einem Bauernhof zu und her ging, als es noch kaum Hilfsmittel<br />

gab, keine Maschinen, als praktisch alle Arbeiten von Hand gemacht werden mussten?<br />

Für die Bauern war der März der erste Monat; <strong>für</strong> sie begann das Jahr im Frühling. Da<br />

mussten, bevor das Gras zu wachsen begann, die Wiesen gerecht werden, um den Mist,<br />

der im Herbst ausgebracht worden war, zu entfernen, damit im Sommer das Heu gut und<br />

gesund wurde. Je nach Wetter konnte man auch schon ins Holz gehen, um Bürdeli zu<br />

machen. Man brauchte deren sehr viele: <strong>für</strong> den Kachelofen und zum Waschen.<br />

Im April war Saatzeit, und die Kartoffeln wurden gesteckt. Es gab damals ganz andere<br />

Sorten als heute, z. B. die goldgelben -Zwickauer», die rosafarbenen «Woltmann", die weinroten<br />

«Weltwunder", die so viele tiefe Augen hatten und deshalb nicht gut zu rüsten waren,<br />

und eine Sorte hiess sogar «Industrie".<br />

In guten Jahren konnte schon früh im Mai der Heuet beginnen. Mähen, Zetteln, Rechen,<br />

Heimführen, alles wurde von Hand ausgeführt. Heuet und Emden zogen sich bis in den Juli,<br />

eventuell sogar bis in die ersten Augusttage hinein.<br />

Der Juni hiess Brachmonat; denn damals liess man noch in jedem Jahr ein bis zwei Felder<br />

brach liegen, damit sich der Boden erhole. Auf die bebauten Felder brachte man im Juni Mist<br />

und Gülle aus, Falls im Juni und Juli nicht sehr viel Arbeit auf dem Feld war, gingen die Männer<br />

60


hinter die Flickarbeiten. Rechen, Deichseln, Leiterwagen, Räder - etwas war immer zu reparieren.<br />

Die Frauen hatten im Beerengarten zu tun, oder sie machten die grosse Wäsche.<br />

Vor 70 und 80 Jahren gab es noch kein Waschpulver: Die Wäschestücke wurden im<br />

grossen kupfernen -Tollenkessi-, unter dem mit sehr viel Holz Feuer gemacht wurde, im siedenden<br />

Wasser «gestöpselt», d.h. mit einem hölzernen Stöpsel so lange gedrückt und geschwungen,<br />

bis sie sauber waren. Als Kind bei der Grossmutter erlebte Emma Speissegger<br />

jedoch noch, wie die Wäsche «qesechtet- wurde: Die Wäschestücke wurden in einen mächtigen<br />

Holzzuber. lagenweise mit Holzasche, gebracht; im -Tollenkessi- wurde das Wasser<br />

zum Kochen gebracht und siedend über die Wäsche im Zuber gegossen. Dann musste kräftig<br />

gestöpselt, schliesslich das Waschgut 24 Stunden stehen gelassen werden. Am folgenden<br />

Tag wurde die Wäsche gut gespült - und war sauber!<br />

Der August war der Erntemonat. Da wurde die Frucht heimgebracht: Gerste, Weizen,<br />

Hafer, Roggen und auch Dinkel und Emmer, die ja heute wieder im Kommen sind. Wenn alles<br />

Getreide eingebracht war, gab es das Fest des «Chräähane». Dazu wurden alle, die bei der<br />

Ernte geholfen hatten, eingeladen. Die Frauen buken da<strong>für</strong> «Schlüterli- ein Gebäck aus «Eierohrli-Teiq-<br />

(siehe unten). das in der Form am ehesten mit einer grossen, halben modernen<br />

Brezel zu vergleichen ist. Und dazu wurde viel «geschwungener Nidel» genossen.<br />

Im August und September begann schon das «Ackern», die Ernte der neuen Kartoffeln.<br />

In den September fiel auch die Obsternte. Da hatten die Kinder die vielen Äpfel und Birnen<br />

zum Mosten zusammenzulesen. Wunderbar klaren, goldgelben Süssmost gab es aus den<br />

«Gelbrnöstler-Birnen». Die Teilersbirnen waren etwas weniger fein, der Süssmost daraus<br />

blieb trüb.<br />

Im Oktober wurden die restlichen Kartoffeln geerntet. Und dann war natürlich der Wümmet.<br />

Im November mussten Runkein und Räben ausgegraben werden, eine harte Handarbeit,<br />

bei der es regelmässig den «Kuhnaqel- gab!<br />

Viel Arbeit brachte der Dezember; denn Anfang Dezember war Metzgete. Auch mussten<br />

die vielen Birnweggen gemacht werden. Da<strong>für</strong> mussten erst die Birnen qetrocknet werden,<br />

halb oder ganz, auf einem Gitter im Ofen. Das war Frauenarbeit, ebenso wie das Teigkneten,<br />

Formen und Backen der Birnbrote.<br />

Etwas ganz Wichtiges waren die Lostage vom 26. Dezember bis 6. Januar. Da wurde an<br />

jedem Tag das Wetter genau notiert, ob es Sonne, Nebel, Kälte, Schnee, Wind, Eis oder<br />

Regen gab, weil diese Tage das kommende Jahr bedeuteten. Das heisst, der 26. Dezember<br />

entsprach dem Januar, der 27. Dezember dem Februar usw. Eine uralte Wetterregel, die vor<br />

allem im Sommer viel dazu beitrug, dass der Bauer Heuet, Kornernte und Wümmet gut einplante.<br />

Der 2. Januar, der Bächtoldstag, brachte wieder ein Fest, das besonders bei Kindern<br />

Freude machte, das «Bächtelen», Nach der Metzgete im Dezember hatte der Metzger nämlich<br />

<strong>für</strong> diesen Tag spezielle Schüblinge - in besonderer Form und mit spezieller Füllung -<br />

gemacht, die bis zum 2. Januar ins Kamin gehängt wurden. Am -Bächtelistac- abends wurden<br />

sie dann genossen, und dazu durften die Kinder besonders lange aufbleiben.<br />

Was man an Äpfeln bis nach Weihnachten nicht frisch verbraucht hatte, wurde im Januar<br />

zu Schnitzen geschnitten und - wie zuvor die Birnen - auf einem Gitter im Ofen gedörrt. Im<br />

Januar war auch das Sauerkraut einzumachen. Eine grosse Arbeit, zu der alle Familien ein-<br />

61


ander halfen: der Kabis wurde gehobelt und in grosse Holz- oder Steingutfässer gegeben,<br />

mit Salz bedeckt und mit einem Holzbrett zugedeckt.<br />

Schliesslich der Februar, der Hornung, bei den Bauern der -Stubete-Monat» genannt.<br />

Da hatten die Männer die Bäume zu schneiden, und die Frauen buken <strong>für</strong> den Aschermittwoch<br />

-Eieröhrli», was durchaus nicht dasselbe ist wie Fasnachtschüechli. Emma Speissegger<br />

hat mir ihr Rezept verraten. Es soll nicht vergessen gehen:<br />

Eieröhrli nach Emma Speissegger<br />

3 Dosen Kokosfett<br />

1 kg Mehl<br />

8 Eier<br />

1 EL Zucker<br />

1 1 12 dl Vollrahm<br />

2 Prisen Salz<br />

Puderzucker zum Bestreuen<br />

Ergibt etwa 70 Chüechli<br />

• Eier, Zucker und Salz ca. 10 Minuten<br />

schaumig rühren.<br />

• Rahm zugeben und nochmals 10 Minuten<br />

rühren.<br />

• Nach und nach Mehl hineinsieben und<br />

gut mit der Teigkelle rühren.<br />

• Kneten, bis der Teig nicht mehr an den<br />

Händen klebt. Dann unter einem feuchten<br />

Tuch 30 Minuten ruhen lassen.<br />

• Kleine Teigklumpen sorgfältig von Hand<br />

oder übers Knie ausziehen, auf ca. 20 cm<br />

Durchmesser.<br />

• 1 Dose Kokosfett in der Fritteuse sehr<br />

heiss werden lassen. Andere Kochfette<br />

werden nicht heiss genug; dann saugen<br />

sich die Chüechli voll und werden fettig.<br />

• Jedes «Eieröhrll- einzeln im heissen Fett<br />

schwimmend backen (einmal wenden),<br />

bis sie gelb sind.<br />

• Abtropfen und auf Platten und Bretter<br />

ausbreiten.<br />

• Wenn sie erkaltet sind, mit Puderzucker<br />

bestreuen und aufschichten.<br />

Trotz den Arbeiten des Bäumeschneidens und dem «Eieröhrli--Backen - im Februar waren<br />

die Tage noch kurz. Da war an den langen Abenden Zeit <strong>für</strong> die «Stubeten" etwas ganz<br />

Wichtiges <strong>für</strong> die jungen Leute. Das waren Zusammenkünfte, wo sich Bauernsöhne und<br />

-töchter ebenso wie Knechte und Mägde trafen. Da hatte man Gelegenheit, Bekanntschaften<br />

zu machen, zusammenzufinden. Meist hatte jemand ein «Schwyzerörqeli» dabei und<br />

spielte zum Tanz auf. Dann gab es Spiele mit Pfand oder solche mit verbundenen Augen,<br />

wozu Emma Speissegger noch heute das Sprüchlein <strong>für</strong> junge Mädchen weiss:<br />

Ofen, Ofen, ich bete Dich an,<br />

Du brauchst Holz und ich einen Mann.<br />

Myrtha<br />

Frick<br />

62


Ein Bauernsohn<br />

zieht ins Dorf<br />

Foto <strong>2005</strong>: Wohnhaus Obere Wiltisgasse 52 (früher: Im Örliker) erbaut 1894.<br />

Bei seiner Heirat mit der Schneiderin Lina Birch im Jahre 1894 verliess der Bauernsohn<br />

und Imker Jakob Ernst den elterlichen Bauernhof im Schübe!.<br />

Er hatte mit viel eigener Arbeit und mit finanzieller Hilfe der Sparkasse <strong>Küsnacht</strong> das<br />

oben abgebildete Haus gebaut.<br />

Die praktische Veranlagung von Jakob Ernst, sein Fleiss wie auch die Bienenvölker, die<br />

Reben und das Pflanzland bildeten den Grundstock <strong>für</strong> seine berufliche Tätigkeit.<br />

Vom Bienen-Ernst sprechen ältere <strong>Küsnacht</strong>er noch heute. Dort kaufte man Bienenhonig<br />

ein oder auf dem Wochenmarkt in Zürich, am Stand der Familie Ernst beim Rennwegbrunnen.<br />

Vorerst wurden in Wohnstube, Küche und Waschküche Arbeitsplätze eingerichtet, denn<br />

der Zinnenanbau mit Büro und Werkstatt ist erst 1903 entstanden.<br />

Ein Beispiel von Jakob Ernsts Initiative: Nach seinen Skizzen wurden in Schlesien Honiggläser<br />

<strong>für</strong> %, %, 1 und 2 kg in hoher, niederer und konischer Form hergestellt aus Weissglas,<br />

das damals in der Schweiz noch nicht erhältlich war. Für diese Gläser brauchte es noch<br />

Deckel. Auf einer kleinen Drehbank wurden sie aus Aluminiumrondellen geformt und dann<br />

mit einem Gewinde versehen. Auf Hochglanz poliert und mit einer Pergamenteinlage wurden<br />

die fertigen Deckel in Rollen verpackt.<br />

Im Laufe der Zeit fanden mehrere Familien als Mieter an der Oberen Wiltisgasse 52 ein<br />

Zuhause. 64 Jahre waren es bei Familie Albert und Josefina Stenz, die mit ihren drei Kindern<br />

63


Oie Umgebung des «Orlikers» hat der Kunstmaler O. Weber 1902 festgehalten. Das Ölbild befindet sich im Besitz<br />

des Ortsmuseums. Dem Grafiker H. R. Benz wurde erlaubt, das Bild <strong>für</strong> die Firma Ernst zu kopieren (1945/46). Auf dem<br />

heutigen Grundstück Neuenschwander (Mitte) befand sich damals die Gärtnerei Pfenninger Familie Pfenninger<br />

hatte den ersten Telefonanschluss in der Gegend und erhielt natürlich auch Anrufe <strong>für</strong> die Nachbarn. "Telefon» tönte es<br />

hin und wieder über die Strasse. Jakob Ernst (im Haus links) pflegte im Anfang nie selber ans Telefon zu gehen,<br />

sondern immer seine Frau zu schicken, bis sie Pfenningers bat, jeweils «Herr Ernst, Telefon» zu rufen. Peter Schälchli<br />

Diese Fotografie wurde um 1930 aufgenommen. Das mit wilden Reben überwachsene Wohnhaus, der Lagerschopf,<br />

der damals moderne Lastwagen, das Fabrikationsgebäude mit Büro und Wohnung hinten rechts, das kleine Bienenhaus<br />

davor, und - rechts im Vordergrund - das «Wabebäuli». Im «Wabebäuli» wurde gebrauchtes Wachs ausgesotten und<br />

zusammen mit dazugekauftem neuem Wachs zu Kunstwaben gegossen.<br />

64


Einzelne Gebäude verschwanden mit der Zeit, neue Bauten sind entstanden. Das Flugbild um 1990 vermittelt einen<br />

eindrücklichen<br />

Überblick.<br />

Die kunstvollen Ofenkacheln: Detailansicht.<br />

Kachelofen (1894-<strong>2005</strong>). Mit dieser Innenansicht aus dem Haus Obere<br />

Wiltisgasse 52 betritt der Betrachter die ehemalige Parterrewohnung<br />

von Lina und Jakob Ernst und ihren vier Kindern. Der Ofen ist sorgfältig<br />

abgebaut worden und wird in Zukunft in einem Toggenburger Haus<br />

Wärme spenden.<br />

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Die <strong>Küsnacht</strong>er Künstlerin Annemarie Rüegg-Gräf/ein hat von den Wohnhäusern Obere Hes/ibachstrasse 6 (links)<br />

und Obere Wiltisgasse 52 ein Andenken besonderer Art geschaffen.<br />

im obersten Stock wohnten. Dort verbrachte Albert Stenz auch seinen Lebensabend nach<br />

52 Arbeitsjahren bei der Firma Ernst, ein stiller, aufmerksamer Beobachter des täglichen Geschehens<br />

auf dem Hof.<br />

Tiefgreifende Veränderungen sind im Frühjahr <strong>2005</strong> in Angriff genommen worden. Nicht<br />

nur das Haus Obere Wiltisgasse 52 und der Fabrikationstrakt rechts davon mussten den<br />

Plänen <strong>für</strong> die Zukunft weichen, sondern auch das Wohnhaus Obere Heslibachstrasse 6.<br />

Das Quartier wird mit dem im Bau begriffenen Geschäftshaus ein neues Gesicht bekommen.<br />

Möge es eine erfolgreiche, glückbringende Zukunft haben.<br />

Zur Erinnerung an ein markantes Dorfquartier wurde dieser Beitrag auf Wunsch der Redaktion<br />

der <strong>Jahrheft</strong>e geschrieben.<br />

Anita Geiger<br />

Von Jakob Ernst-Birch (1863-1938), der Familie und der Firma berichtete die Tochter Lina Ernst (1895-1973)<br />

in den <strong>Küsnacht</strong>er Jahresblättern 1968.<br />

66


Ludwig Snell - ein Revolutionär<br />

in <strong>Küsnacht</strong><br />

Gedenkrede zum 150. Todestag des Verfassers des<br />

-<strong>Küsnacht</strong>er Memorials»<br />

Am 5. Juli 2004 jährte sich der Todestag Ludwig Snells zum 150. Mal. Zwei Tage vorher fand<br />

im hiesigen -Seehot» eine durch den <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> <strong>Küsnacht</strong> veranstaltete stimmungsvolle<br />

Erinnerungsfeier zu Ehren des einst berühmten Wahlküsnachters statt. Im folgenden<br />

drucken wir die Gedenkrede ab, die bei dieser Gelegenheit gehalten wurde. Der<br />

Vortragsstil wurde beibehalten.<br />

<strong>Küsnacht</strong>er Snell-Gedenkfeiern - eine kleine Tradition<br />

Übermorgen vor 150 Jahren entschlief im -Arnts-. oder «Doktorhaus- seines Freundes<br />

Rudolf Brunner gleich hier nebenan der Staatsdenker Ludwig Snell. Wenige nur werden mit<br />

diesem Namen heute noch etwas anfangen können, obwohl er einst, vor allem in den dreissiger<br />

Jahren des 19. Jahrhunderts, in der sogenannten Regenerationszeit, einer der grossen<br />

und meistgenannten in unserem Land war. Es war schon eine Idee des letztes Jahr leider<br />

allzu früh verstorbenen Zürcher Staatsrechtiers und Verfassungshistorikers Alfred Kölz, der<br />

Snell <strong>für</strong> die politische Geschichte des Kantons Zürich und der Schweiz wiederentdeckt,<br />

ja in einigen Bereichen seine wirkliche Bedeutung überhaupt erstmals nachgewiesen hat,<br />

diesen Sommer <strong>für</strong> Snell eine Gedenkfeier in <strong>Küsnacht</strong> zu veranstalten. Ich freue mich nun<br />

sehr, dass Herr Alfred Egli vom <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> die Initiative zu diesem Anlass ergriffen<br />

hat. Es wird damit bereits eine kleine Tradition begründet, denn ganz genau heute vor<br />

50 Jahren, am 3. Juli 1954, fand ebenfalls eine Gedenkfeier in <strong>Küsnacht</strong> statt. Unter den<br />

über 200 Teilnehmern befand sich damals eine grosse Anzahl prominenter Gäste, so etwa<br />

ein alt Bundesrat, ein Regierungsrat, der Kantonsratspräsident, zwei Nationalräte und der<br />

Rektor der Universität Zürich. Der bekannte <strong>Küsnacht</strong>er Historiker Gottfried Guggenbühl<br />

hielt die Gedenkrede, und das Programm wurde durch verschiedene Liedvorträge der Seminaristen<br />

umrahmt. Der zweite Teil der Feier vor dem Snell-Gedenkstein in der Hornanlage<br />

wurde durch den vom Sängerbund <strong>Küsnacht</strong> vorgetragenen Schweizerpsalm eröffnet. Darauf<br />

hielt Franz Schoch, der Verfasser der grossen <strong>Küsnacht</strong>er <strong>Ortsgeschichte</strong> von 1951,<br />

eine Ansprache, und es folgte die Niederlegung eines Kranzes der Gemeinde durch zwei<br />

Trachtenmädchen. Die patriotisch gefärbte Gedenkfeier fand ihren offiziellen Abschluss mit<br />

dem Gottfried-Keller-Lied ,,0 mein Heimatland» und ihre gemütliche Fortsetzung im Gasthof<br />

"Sonne».<br />

Ein ruheloses Leben in bewegter Zeit<br />

Ein halbes Jahrhundert später feiern wir etwas nüchterner, doch vielleicht werden wir damit<br />

der Persönlichkeit des Geehrten sogar gerechter. Wer war dieser zu Lebzeiten von den<br />

einen vergötterte, von den andern verteufelte Snell? Ich beschränke mich hier auf die knapp<br />

drei Lebensjahrzehnte in seiner zweiten Heimat. Der 1785 in Idstein im Taunus geborene<br />

Snell war als Opfer der gegen Oppositionelle des Vormärz gerichteten sogenannten Demagogenverfolgungen<br />

von seinem Amt als Direktor des Gymnasiums im damals preussischen<br />

67


Wetzlar enthoben worden. 1827 kam er nach einigen Umwegen in die Schweiz, die er von<br />

früheren Reisen her schon kannte, zunächst nach Basel, wo er sich an der Universität als<br />

Privatdozent habilitierte. Dort war auch sein Bruder Wilhelm als Professor der Rechtswissenschaft<br />

tätig. 1829 verfasste er auf Betreiben seiner liberalen Gesinnungsfreunde Heinrich<br />

Nüscheler sowie Christoph Heinrich und Eduard Gessner eine aufsehenerregende, anonym<br />

erschienene Schrift über die Pressefreiheit, die massgeblich dazu beitrug, dass noch im<br />

gleichen Jahr dieses Freiheitsrecht im Kanton Zürich grundsätzlich eingeführt wurde. An der<br />

Entstehung der Zürcher Kantonsverfassung von 1831 hatte er hervorragenden Anteil, und<br />

als Redaktor des «Schweizerischen Republikaners» lenkte er von 1831 bis 1834 die Geschicke<br />

des damals wichtigsten liberal-radikalen Organs der Schweiz. Mit dieser Zeitung<br />

wirkte er bestimmend auf die Politik ein: So brachte ihm etwa sein publizistischer Kampf <strong>für</strong><br />

die Gründung des Kantons Basel-Landschaft 1833 das Ehrenbürgerrecht dieses jungen<br />

radikalen Staatswesens ein. Im gleichen Jahr wurde er ausserordentlicher Professor <strong>für</strong> Geschichte<br />

der Philosophie an der neu gegründeten Hochschule Zürich und veröffentlichte er<br />

ein wichtiges, kritisches Werk über die kirchlichen Veränderungen in der katholischen<br />

Schweiz bis 1830. Als die Schweiz wegen ihrer liberalen Flüchtlingspolitik zunehmend unter<br />

Druck der Nachbarstaaten geriet und der Vorort Zürich als Leiter der Bundesangelegenheiten<br />

deshalb eine repressivere Haltung einnahm, kehrte Snell der Limmatstadt enttäuscht<br />

den Rücken und nahm einen Ruf nach Bern an. Dort wirkte er ab dem Wintersemester 1834<br />

bis 1836 als Professor der Staatswissenschaften an der Hochschule, der sein Bruder<br />

Wilhelm als erster Rektor vorstand. Als führendes Mitglied des sogenannten «Nationalvereins»,<br />

der sich <strong>für</strong> eine Bundesreform einsetzte, wurde er von der Berner Kantonsregierung<br />

verdächtigt, mit der sogenannten «Jungen Schweiz» in Verbindung zu stehen. Diese war<br />

eine Sektion der von Giuseppe Mazzini gegründeten revolutionären <strong>Verein</strong>igung «Junges<br />

Europa-, die mit der Schweizer Neutralität und dem Asylrecht öfters in Widerspruch geriet.<br />

1836 wurde er wegen angeblicher «hochverräterischer Umtriebe» verhaftet, aber ohne weiteres<br />

Verfahren freigelassen. Er verzichtete nun auf seine Professur, um einer Absetzung zuvorzukommen,<br />

und wurde aus dem Kanton Bern ausgewiesen. Es gereicht dies dem Berner<br />

Regierungsrat zwar nicht zur Ehre, doch müssen wir gerechterweise eingestehen, dass sich<br />

Snells Oppositionsgeist mit keiner Regierung gut vertrug. In der folgenden unfreiwilligen<br />

Mussezeit entstand mit Snells zweibändigem «Handbuch des Schweizerischen Staatsrechts»<br />

eine seiner wichtigsten Veröffentlichungen und ein heute noch unersetzliches Nachschlagewerk<br />

<strong>für</strong> Verfassungshistoriker. Von 1839 bis 1842 wieder Redaktor des «Schweizerischen<br />

Republikaners», führte er eine spitze Feder gegen die Zürcher Konservativen, die<br />

nach dem «Straussenhandel- und dem «Züriputsch. von 1839 an die Macht gekommen<br />

waren. Jetzt setzte er seine ganze Kraft <strong>für</strong> die Rettung der bedrohten Bildungsanstalten ein<br />

und veröffentlichte eine grundlegende Schrift, mit welcher er das Wesen der öffentlichen Erziehung<br />

darstellte. Snell beteiligte sich als radikaler, antiklerikaler Vorkämpfer an den leidenschaftlich<br />

geführten politischen Auseinandersetzungen jener Zeit - die Stichworte Aargauer<br />

Klosteraufhebung, Luzerner Jesuitenberufung, Freischarenzüge und Sonderbundskrieg mögen<br />

genügen -, wobei er die Katholisch-Konservativen scharf angriff; seine Kritik galt aber<br />

vor allem der Macht der römischen Kirche. Er wurde dadurch zu einem der Wegbereiter des<br />

Bundesstaates von 1848.<br />

68


<strong>Küsnacht</strong>er<br />

Jahre<br />

Mit dem Kanton Zürich blieb Snell enger und länger verbunden als mit anderen Gegenden<br />

der Schweiz. Hier verbrachte er die nach eigenen Aussagen glücklichsten und schöpferischsten<br />

Jahre seines Lebens. Auf dem Landsitz «Mariahalden»<br />

des Grafen von Bentzel-<br />

Sternau in Erlenbach war er ein gerngesehener Gast, doch hatte er zu kaum einer anderen<br />

Schweizer Gemeinde so enge Beziehungen wie zu <strong>Küsnacht</strong>, dessen Bürger er 1832 wurde.<br />

Ich werde auf diese Einbürgerung noch zurückkommen.<br />

Mit der Seegemeinde, die <strong>für</strong> freiheitliche<br />

Ideen immer ein fruchtbarer Boden gewesen war, kam er in Verbindung, als er sich<br />

mit dem <strong>Küsnacht</strong>er Arzt Heinrich Streuli und dessen Stiefsohn, dem Arzt Rudolf Brunner,<br />

befreundete. Streuli war ein Schwager von Eduard Gessner in Zürich, aus dessen Druckerei<br />

einige Schriften Snells hervorgingen. Schon Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts<br />

beriet Snell die <strong>Küsnacht</strong>er beim Bau eines neuen Schulhauses und der Verbesserung ihres<br />

Schulwesens. In <strong>Küsnacht</strong> hatte Snell, der zeitlebens in bescheidenen Verhältnissen lebte,<br />

in der Folge immer wieder Erholung gesucht und gastliche Aufnahme gefunden. Hier lebte<br />

er mit Unterbrüchen zwischen 1836 und 1839, und hier verbrachte er schliesslich auch seine<br />

beiden letzten Lebensjahre im «Doktorhaus».<br />

Ein «federführender>'<br />

Staatsdenker<br />

Immer wird Snells Name mit demjenigen dieser Gemeinde durch die Ausarbeitung des<br />

sogenannten «<strong>Küsnacht</strong>er Memorials» verbunden bleiben, das den Übergang von der Restaurations-<br />

zur Regenerationszeit kennzeichnet. Als Snell im Oktober 1830 von seinem<br />

geliebten Rigi, wo er zusammen mit Gleichgesinnten vom Ausbruch der französischen Juli-<br />

Revolution erfahren hatte, an den Zürichsee kam, waren die liberalen <strong>Küsnacht</strong>er überzeugt,<br />

in ihm den richtigen Mann gefunden zu haben, um die Forderungen der Landbevölkerung<br />

niederzuschreiben. Diese war aufgrund der Kantonsverfassung von 1814 in ihren<br />

politischen Rechten gegenüber den Stadtbürgern stark benachteiligt. So soll Heinrich<br />

Streuli den deutschen Gelehrten, der an Verstandesschärfe und Schreibgewandtheit wohl<br />

den meisten seiner Schweizer Gesinnungsfreunde überlegen war, mit den Worten empfangen<br />

haben: «Nun, lieber Alter, hat Dich der Himmel gerade zu rechter Zeit hierher geführt;<br />

diese Forderungen musst Du uns formulieren; das verstehen wir Seebuben nicht.» Snell bat<br />

um Bedenkzeit. Er erkannte, dass eine Einmischung in politisch so heikle Grundsatzfragen<br />

<strong>für</strong> ihn als Ausländer gefährliche Folgen haben könnte. Doch Streuli versicherte ihm: «Wir<br />

werden Dich schützen; kein Haar soll Dir gekrümmt werden; und nun morgen frisch an die<br />

Arbeit.» So machten sich Snell und die Fortschrittsfreunde<br />

des liberalen <strong>Küsnacht</strong>er Gemeindevereins,<br />

denen sich die Brüder Gessner aus Zürich beigesellten, ans Werk, zogen da<br />

und dort Paul Usteris «Handbuch des Schweizerischen Staatsrechts» zu Rate, und innerhalb<br />

von zwei Tagen entstand im «Doktorhaus» eine hauptsächlich von Snell verfasste Petition<br />

mit staatsrechtlichen und staatspolitischen Reformwünschen auf der Grundlage von<br />

Volkssouveränität und Rechtsgleichheit: Hauptforderung war die bessere Vertretung der<br />

Landbevölkerung im Kantonsparlament, welches damals noch Grosser Rat hiess. Im Sinn<br />

einer Übergangslösung sollte die Landbevölkerung bis zur Einführung einer genauen verhältnismässigen<br />

Berücksichtigung zwei Drittel der Sitze erhalten. Ferner verlangten die<br />

<strong>Küsnacht</strong>er etwa die Einsetzung eines Verfassungsrates und eine Volksabstimmung über<br />

69


Ludwig Snelf (1785-1854). Der in <strong>Küsnacht</strong> eingebürgerte deutsche Flüchtling hat als Staats denker Bahnbrechendes<br />

<strong>für</strong> die liberale Umgestaltung des Kantons Zürich und der Schweiz geleistet.<br />

70


das neue Grundgesetz, also das Verfassungsreferendum, den Grundsatz der direkten<br />

Wahlen, die Abschaffung des Vermögensnachweises <strong>für</strong> die Wählbarkeit, eine selbständige<br />

und unabhängige Stellung des Grossen Rates als oberster Staatsgewalt, die Oberaufsicht<br />

des Grossen Rates über die Kantonsverwaltung, die Öffentlichkeit der Sitzungen und die<br />

Gesetzesinitiative des Grossen Rates, kurze Amtsdauern und Wiederwahl der Beamten,<br />

den Grundsatz der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit und Neuordnung der Justiz sowie<br />

das Petitionsrecht.<br />

Noch bevor der Forderungskatalog gedruckt erschien, wurde dessen eigentlicher Verfasser<br />

bekannt. Der Redaktor des «Schweizerischen Beobachters», Heinrich Nüscheler, der<br />

sich übergangen fühlte, warf seinem ehemaligen politischen Kampfgefährten eigenmächtiges<br />

Vorgehen vor und griff den Ausländer heftig an, der sich zum Gesetzgeber des Kantons<br />

aufwerfen wolle. Er veröffentlichte einen bitterbösen Artikel gegen Snell und schrieb,<br />

ein Fremder schleiche im Land umher und stifte Revolution und Anarchie; er habe «ein<br />

feuerbrandartiges Pamphlet in die Seeufer» geschleudert, um Verwirrung zu stiften und den<br />

Frieden zu stören; es frage sich, ob die Landbürger einem Fremden gehorchen wollten oder<br />

nicht. Nun wurden auch die Kantonsbehörden hellhörig; In einem Eintrag im Protokoll der<br />

Polizeikommission vom Oktober 1830 heisst es, Snell sei als Fremder nach Zürich gekommen<br />

und habe «durch Abfassung einer Schrift, deren bereits angehobene Verbreitung den<br />

Umsturz der bestehenden Verfassung und Störung aller Ordnung und Ruhe zu bezwecken»<br />

scheine, «sich als ein gefährlicher Mensch qualifiziert, der den Interessen des hiesigen Kantons<br />

fremd» sei und «bloss eigene schändliche Zwecke zu erreichen» suche. Es drohte die<br />

Gefahr polizeilicher Ausweisung. Versteckt in einer Kutsche kam Snell nach <strong>Küsnacht</strong>, wo<br />

Heinrich Streuli Scharfschützen aufstellen liess, um ihn zu bewachen. Schliesslich musste<br />

Snell fluchtartig nach Basel abreisen, um sich einer Verhaftung zu entziehen. Die Fortschrittsfreunde<br />

beteuerten aber, sie seien die Urheber der Denkschrift, nur «zufällig» habe<br />

sie «ein deutscher Gelehrter» besucht! Nachdem eine öffentliche Auseinandersetzung eingesetzt<br />

hatte, wurde der Forderungskatalog der <strong>Küsnacht</strong>er, der ursprünglich als Petition<br />

an den Grossen Rat entstanden war, in einer leicht veränderten Fassung gedruckt. Die<br />

anonym erschienene Denkschrift trägt zwar den Titel: «Ansichten und Vorschläge in Betreff<br />

der Verfassung und ihrer Veränderung», wurde aber als «<strong>Küsnacht</strong>er Memorial» bekannt.<br />

Die geschichtliche Bedeutung dieses -<strong>Küsnacht</strong>or Memorials» liegt darin, dass seine wichtigsten<br />

Forderungen in jenen Aufruf gelangten, mit welchem eine in Stäfa tagende Versammlung<br />

im November 1830 die Reformfreunde zur grossen Volksversammlung nach<br />

Uster einlud, und dass die Postulate dann an diesem sogenannten Ustertag vom 22. November<br />

1830 aufgegriffen wurden. Dort beeinflusste das -Kusnachter Memorial» das von<br />

etwa 10000 Teilnehmern verabschiedete «Memorial von Uster», das allerdings zusätzlich<br />

noch wirtschaftlich-soziale Wünsche enthielt, während im -Kusnachter Memorial» ausschliesslich<br />

staatsrechtliche und staatspolitische Reformwünsche im liberalen Sinn formuliert<br />

worden waren. Das «Memorial von Uster» gab der Revisionsbewegung den entscheidenden<br />

Anstoss und prägte schliesslich die neue Kantonsverfassung von 1831, die von<br />

den <strong>Küsnacht</strong>er Stimmberechtigten besonders deutlich mit 516 Ja- gegen 2 Nein-Stimmen<br />

angenommen wurde und eine vom Geist des Liberalismus erfüllte repräsentative Demokratie<br />

begründete.<br />

71


Ein revolutionärer Verfassungsentwurf<br />

Sowohl Snells Schrift zur Einführung der Pressefreiheit als auch das «Kusnachter Memorial»<br />

waren anonym erschienen. Nicht anders war dies bei dem staatsrechtlich noch wichtigeren<br />

Verfassungsentwurf, den Snell Ende 1830 erarbeitet hatte. Diese Schrift lehnte sich,<br />

wie Alfred Kölz eindrucksvoll nachgewiesen hat, sehr stark, teilweise wörtlich, an die französisch-revolutionäre<br />

Montagnard-Verfassung von 1793 an, ja es handelt sich dabei über<br />

weite Strecken um eine Zusammenfassung der Staatsideen der Französischen Revolution -<br />

wobei es der radikale Staatstheoretiker tunlichst vermied, die revolutionären Quellen, aus<br />

denen er qeschöptt hatte, zu erwähnen. Snell war neben dem ungleich berühmteren gebürtigen<br />

Waadtländer Benjamin Constant der wichtigste Vermittler französisch-amerikanischen<br />

Staatsrechts in der Schweizer Regenerationszeit. Sein Einfluss auf die Kantonsverfassungen<br />

der dreissiger Jahre des 19. Jahrhunderts war auch deshalb sehr nachhaltig, weil er<br />

seine Ideen sorgfältig an die hiesigen Verhältnisse angepasst hat und weil die Zürcher Regenerationsbewegung<br />

zeitlich in Führung lag. Auch taktisches Vorgehen war ihm nicht<br />

fremd: So hat er häufig nötige Reformen nicht sofort gefordert und deren Durchführung auf<br />

einen späteren Zeitpunkt verschoben. Er wollte vor allem zunächst die Wirkungen eines<br />

besseren Erziehungssystems abwarten. Gemäss dem aufklärerischen, auf einem optimistischen<br />

Menschenbild beruhenden unbedingten Fortschrittsglauben baute er auf ein vervollkommnetes<br />

Erziehungssystem, das eine weitere Entwicklung der Demokratie erst ermögliche.<br />

Zu Beginn der Regenerationszeit hielt er das Volk aber zum Beispiel noch nicht <strong>für</strong><br />

fähig, selbst über Gesetze zu entscheiden; ferner zweifelte er an dessen fortschrittlicher<br />

Gesinnung. Zur Volkssouveränität hatte er deshalb ein etwas ambivalentes Verhältnis: Die<br />

Durchbrechung des Repräsentativprinzips wurde bei ihm nur vorgezeichnet, aber noch nicht<br />

praktisch vollzogen. Auffallend ist übrigens auch, dass er sich auf wirtschaftliche oder gar<br />

soziale Fragen nicht einliess.<br />

Alfred Kölz hat festgestellt, dass Snells Verfassungsentwurf bei den Verhandlungen der<br />

verfassunggebenden Räte der Regenerationskantone weitgehend unerwähnt geblieben ist,<br />

obwohl er grossen Einfluss ausübte. Kölz vermutet, dass der Name Snells bewusst nicht genannt<br />

wurde, weil dieser als ausländischer Flüchtling und als Radikaler, als deutscher "Jakobiner»,<br />

<strong>für</strong> subversiv gehalten wurde. Wohl aus dem gleichen Grund gab sich als Verfasser<br />

der berühmten Schrift «Zuruf an den Vorort l.uzern- von 1831, mit der die konkreten Bestrebungen<br />

<strong>für</strong> eine Bundesreform begannen, der liberale Luzerner Jurist und Politiker Kasimir<br />

Pfyffer aus. In Wahrheit war sie aber Snells gewandter Feder entsprungen.<br />

Ein «doppelter» <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Als ausländischer politischer Publizist musste sich Snell also hinter der Anonymität oder<br />

hinter den Namen vertrauenswürdiger Eidgenossen verstecken; Rücksichten, die er als<br />

Schweizer nicht hätte nehmen müssen. Auch war er nie vor einer allfälligen Ausweisung<br />

sicher. Was lag da näher als eine Einbürgerung in <strong>Küsnacht</strong>, das als "radikale» Gemeinde<br />

galt. Hier hatte Snell ferner zahlreiche Freunde und politische Kampfgefährten.<br />

Erlauben Sie mir ein paar Worte zu Snells Einbürgerung in <strong>Küsnacht</strong> 1, die Sie als <strong>Küsnacht</strong>er<br />

vielleicht besonders interessiert. Bei der Suche nach Snells <strong>Küsnacht</strong>er Bürgerrechtsurkunde<br />

bin ich zu meiner nicht geringen Überraschung gleich an zwei Orten fündig<br />

72


geworden: Sowohl das Staatsarchiv des Kantons Zürich als auch die Paul-Kläui-Bibliothek<br />

in Uster bewahren in ihren Beständen ein entsprechendes<br />

Dokument, je mit einem Siegel<br />

und den Unterschriften des Gemeindepräsidenten und des Gemeindeschreibers versehen -<br />

doch mit ganz unterschiedlichem Datum! Die eine Bürgerrechtsurkunde datiert vom 13. November<br />

1831, die andere vom 6. Mai 1832. Die biographische Literatur kennt hingegen ausnahmslos<br />

nur die Bürgerrechtsschenkung<br />

vom November 1831. Wie ist dies zu erklären?<br />

Das Problem ist nicht ganz einfach zu lösen, weil die Protokolle der fraglichen Zeit sowohl<br />

des Gemeinderates wie der Gemeindeversammlungen von <strong>Küsnacht</strong>, die über den Sachverhalt<br />

wohl näheren Aufschluss geben könnten, leider verschollen sind. Die Erklärung liefert<br />

aber die radikale -Appenzeller Zeitung», die damals im Kanton Zürich stark verbreitet war<br />

und zu deren regelmässigen Mitarbeitern auch Snell zählte. Demnach wurde dem Nassauer<br />

zwar tatsächlich im November 1831 an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung<br />

das <strong>Küsnacht</strong>er Bürgerrecht geschenkt. Dieses soll Snell, der selbst an dem Anlass nicht<br />

teilgenommen hatte, in der Folge aber abgelehnt haben, weil nicht, wie es die Kantonsverfassung<br />

von 1831 verlangte, die Mehrheit der Gemeindebürger anwesend gewesen war.<br />

Möglicherweise verlief das Verfahren auch unter weiteren Gesichtspunkten rechtlich nicht<br />

ganz einwandfrei.<br />

Die Aussicht auf Erteilung des Zürcher Kantonsbürgerrechts<br />

durch den Regierungsrat<br />

erschien unter diesen Umständen wohl als zweifelhaft. Deshalb wurde Snell an der besser<br />

besuchten Gemeindeversammlung<br />

vom Mai des folgenden Jahres das Bürgerrecht nochmals<br />

geschenkt, und zwar mit 149 von 152 Stimmen. Die rechtlich massgebliche Einbürgerung<br />

erfolgte also erst am 6. Mai 1832 - wobei es sich dabei auch insofern um ein denkwürdiges<br />

Datum handelt, als tags darauf, am 7. Mai 1832, das kantonale Lehrerseminar<br />

<strong>Küsnacht</strong> als liberal-radikale «Kaderschmiede» - unter Leitung eines anderen kurz zuvor eingebürgerten<br />

Deutschen, Ignaz Thomas Scherrs - eröffnet wurde. Diese Bildungsstätte<br />

ihren Standort hier in <strong>Küsnacht</strong> - zu Beginn übrigens im «Seehot-<br />

hat<br />

- zu einem nicht geringen<br />

Teil Snell zu verdanken, der sich mit Artikeln im «Schweizerischen Republikaner» publizistisch<br />

da<strong>für</strong> stark gemacht hatte.<br />

Die beiden Bürgerrechtsurkunden unterscheiden sich nur in Einzelheiten. Wurde Snell im<br />

November 1831 das Bürgerrecht «hinsichtlich seiner vortrefflichen wissenschaftlichen Bildung<br />

und der [...] Verdienste um unsere Gemeinde» geschenkt, honorierten die <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Stimmberechtigten<br />

im Mai 1832 auch Snells politische Leistung auf eidgenössischer Ebene.<br />

Im Juni 1832 erteilte dann der Regierungsrat Snell das Ehrenbürgerrecht des Kantons<br />

Zürich und bestätigte seine Aufnahme ins <strong>Küsnacht</strong>er Gemeindebürgerrecht, und zwar «in<br />

freudiger Anerkennung seiner ausgezeichneten Kenntnisse und der hohen Verdienste, die er<br />

sich um unser Vaterland durch rege Theilnahme an den höchsten<br />

Interessen und seine<br />

eifrige Mitwirkung an dem politischen Wohle desselben erworben, vorzüglich auch als einen<br />

Beweis der Dankbarkeit <strong>für</strong> den thätigen Antheil, den er an der Organisation unsers Erziehungswesens<br />

genommen hat».<br />

Die Zeiten hatten sich also gründlich geändert. Der gleiche Mann, der im Oktober 1830<br />

den Kantonsbehörden<br />

noch als subversiver Umstürzler galt, wurde 20 Monate später zum<br />

Ehrenbürger ebendieses Staatswesens erklärt. Inzwischen hatten die Aristokraten der Restaurationsregierung<br />

abgedankt und die Regenerationsmänner das Ruder übernommen.<br />

73


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Die Einbürgerung ermöglichte Snell auch den Eintritt in die aktive Politik. So wurde er schon<br />

im Juli 1832 im Wahlkreis <strong>Küsnacht</strong> mit einem hervorragenden Ergebnis als Nachfolger seines<br />

zurückgetretenen Freundes Heinrich Streuli in den Grossen Rat gewählt.<br />

Die Wahl des <strong>Küsnacht</strong>er Revolutionärs war freilich nicht unumstritten. Im Grossen Rat<br />

etwa wurde von konservativ-aristokratischer Seite kritisiert, dass Leute ins Kantonsparlament<br />

gewählt würden, die «das Vaterland wie ein Kleid wechseln und nicht einmal unsere<br />

Sprache sprechen» würden. Wer bürge da<strong>für</strong>, dass nicht «vertriebene Deutsche aller Art» in<br />

unser Land kämen, «durch Intriganten geleitet» zu den höchsten Staatsämtern gelangten,<br />

und der Kanton Zürich dadurch «in die Hände fremder Demagogen» gerate? Snells Ausflug<br />

in die aktive Politik blieb jedoch Episode; seine Mitgliedschaft im Grossen Rat dauerte nur<br />

bis zum Oktober 1834. Von einer eigentlichen staatsmännischen Laufbahn hielt ihn zunächst<br />

wohl sein ausgeprägter Idealismus ab. Ferner interessierte ihn gesetzgeberische Kleinarbeit<br />

wenig, und Organisationstalent hatte er nicht. So gross sein publizistischer Einfluss auf die<br />

Schweizer Politik war, so wenig hat er als aktiver Politiker Spuren hinterlassen.<br />

Von den Freunden gefeiert ...<br />

Am 5. Juli 1854 verstarb Snell im «Doktorhaus». Das Begräbnis fand am 9. Juli in <strong>Küsnacht</strong><br />

statt und gestaltete sich zu einer wahren Volkskundgebung. Nicht nur sämtliche<br />

<strong>Küsnacht</strong>er Gemeindebeamten, sondern auch viele der einflussreichsten Männer des Kantons<br />

nahmen daran teil. Die Seminaristen sowie ein Lehrerchor sangen in der Kirche und am<br />

Grab Choräle, und ein Freund Snells, der spätere Nationalrat Heinrich Grunholzer, zeichnete<br />

ein Lebensbild des Verstorbenen. Die Verdienste Snells als Verfasser des «Kusnachter<br />

Memorials» genügten, so Grunholzer, um ihm den bleibenden Dank des ganzen Volkes zu<br />

sichern. Einen interessanten Rückschluss auf die zeitgenössische Bedeutung Snells liefert<br />

die Tatsache, dass die «Neue Zürcher Zeitung» Mitte Juli 1854 als Nachruf einen Lebensabriss<br />

des Verstorbenen brachte, der sich über drei Nummern erstreckte und jedes Mal die<br />

gesamte Frontseite füllte. Nicht überraschen kann, dass sich in der folgenden Ausgabe bereits<br />

ein Kritiker des streitbaren Staatsdenkers zu Wort meldete - und dies wiederum auf der<br />

Frontseite. <strong>Küsnacht</strong> blieb übrigens, das sei am Rande noch bemerkt, seinem Ruf als "Revoluzzernest-<br />

auch nach Snells Tod treu. Im Herbst des gleichen Jahres 1854 hielt sich hier<br />

nämlich der bereits erwähnte Giuseppe Mazzini als politischer Flüchtling auf.<br />

Noch in seinem Todesjahr, am 24. Jahrestag des Ustertages, wurde Snell von Freunden<br />

an einem seiner Lieblingsplätzchen im Garten des «Doktorhauses- am See ein schlichter<br />

Gedenkstein errichtet. Ein Festzug setzte sich von der «Sonne» aus unter Begleitung eines<br />

Trauermarschs von Beethoven in Bewegung; voran die Musik und Sänger, dann die Gemeindebehörden<br />

und viele ehemalige Freunde des Geehrten, insgesamt gegen 300 Personen.<br />

Als die Musik verklang, fielen die schwarzen, verhüllenden Tücher, und zum Vorschein<br />

kam ein hoher Granitblock mit der Inschrift: «Zur Erinnerung an Ludwig Snell, am 22. November<br />

1854». Auf dem Stein stand eine Urne oder Vase aus weissem Marmor. Nach der<br />

Enthüllung des Monuments hielt Nationalrat Georg Joseph Sidler eine Rede, die Snells Verdienste<br />

um die Regeneration würdigte und übrigens von der «Neuen Zürcher Zeitung»<br />

wiederum auf der Frontseite einer ihrer nächsten Ausgaben in vollem Wortlaut abgedruckt<br />

wurde. Nach der Rede ertönte als gewaltiger Schlussgesang ein Lied von Hans Georg<br />

74


Nägeli, und die Gesellschaft begab sich unter Musik zurück zur «Sonne». Sinniger, so die<br />

«Neue Zürcher Zeitung», dürfte der Ustertag kaum je gefeiert worden sein. Der Gedenkstein<br />

hat, wie Sie wissen, in der Folge nicht nur sein Aussehen, sondern auch seinen Standort gewechselt,<br />

und zwar viermal. Nun steht er, meist von Efeu ziemlich stark überwuchert, in der<br />

Hornanlage. Ich hatte während einiger Jahre als Assistent von Alfred Kälz anlässlich kleiner<br />

Lehrstuhl-Ausflüge jeweils Ende des Sommersemesters die ehrenvolle Aufgabe, ausgerüstet<br />

mit einer Rebschere den Gedenkstein so weit vom Efeu zu befreien, dass die Gedenktafel<br />

wieder lesbar wurde .<br />

... von der Nachwelt vergessen?<br />

Der vom Laub verdeckte Gedenkstein hat gewissermassen Symbolcharakter:<br />

Snell ist<br />

nach wie vor eine der am meisten unterschätzten Gestalten der Schweizer Geschichte. Er<br />

hat Bahnbrechendes <strong>für</strong> die liberale Umgestaltung der Regenerationszeit geleistet. Sehr<br />

viele seiner Ideen, die zum Teil erstmals hier in <strong>Küsnacht</strong> so prägnanten Ausdruck in praktischen<br />

Forderungen gefunden haben, sind schon längst selbstverständliche Wirklichkeit geworden.<br />

Dabei geht vergessen, dass diese Prinzipien des modernen Staatsrechts in den<br />

harten Verfassungskämpfen des 19. Jahrhunderts mühsam und unter grässten Opfern einzelner<br />

Unerschrockener errungen werden mussten. Die Namen der alten Schweizer Freiheitshelden<br />

haben wir nicht vergessen, und wir halten sie in hohen Ehren. Sie stritten <strong>für</strong> die<br />

kollektive Freiheit, die Freiheit von Talschaften und Städten von fremder Herrschaft. Auch<br />

Snell war ein Freiheitskämpfer; er stritt <strong>für</strong> die im naturrechtlichen<br />

Sinn verstandene individuelle<br />

Freiheit moderner Prägung und <strong>für</strong> die Rechtsgleichheit. Wir haben allen Grund, ihm<br />

ebenso dankbar zu sein. Snell und seine Gesinnungsfreunde<br />

handelten aus Verantwortungsgefühl<br />

gegenüber der Nachwelt, gegenüber uns. So heisst es im «Kusnachter Memorial»:<br />

«Welch schwere Verantwortung würden wir gegen sie», das heisst die späteren Generationen,<br />

«haben, wenn sie durch unsere Schuld, durch unsere Trägheit und Menschenfurcht<br />

einer Verfassung entbehren müssten, welche der Schild ihrer Freiheit, der Schutz ihrer<br />

Rechte und der Schirm <strong>für</strong> das Glück ihres Lebens lst..<br />

Stefan G. Schmid<br />

1 Dazu eingehend Stefan G. Schmid, Ein zweites Vaterland. Wie Ludwig Snell Schweizer wurde, in: Nachdenken über<br />

den demokratischen Staat und seine Geschichte. Beiträge <strong>für</strong> Alfred Kölz, Zürich/Basel/Genf 2003, S. 263ff.<br />

75


Johann Jakob Reithard - Dichter, Lehrer, Publizist<br />

Ein Lebensbild (I)<br />

Das stattliche Eltern- und Geburtshaus des Dichters am Seeufer im Kusen, 1966 abgebrochen.<br />

Am 15. März dieses Jahres waren es genau 200 Jahre her, seit Johann Jakob Reithard, der<br />

einzige Dichter, den unsere Gemeinde je hervorgebracht hat, das Licht der Welt erblickte.<br />

Das kalendarische Datum dieses fernen Märztages mag <strong>für</strong> uns <strong>Küsnacht</strong>erinnen und <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Anlass dazu sein, uns mit Persönlichkeit, Leben und Werk des nahezu vergessenen<br />

Poeten auseinanderzusetzen.<br />

Der Name<br />

Unser Dichter wurde nicht mit dem Familiennamen Reithard geboren, sondern hiess wie<br />

seine Eltern Reithaar. Erst als er zwanzig Lenze zählte, änderte er seinen Namen aus Gründen<br />

des Wohlklangs in Reithard ab. Auch Reithards Eltern und Geschwister übernahmen diesen<br />

neuen Namen. Die Reithaar sind kein altes <strong>Küsnacht</strong>er Geschlecht, sondern stammen aus<br />

Herrliberg; Johann Jakob Reithards Vater Hans Conrad übersiedelte nach seiner Verheiratung<br />

mit der erst 16jährigen <strong>Küsnacht</strong>erin Anna Schulthess nach <strong>Küsnacht</strong> in das Haus des<br />

Schwiegervaters Johann Jakob Schulthess. Das von 1797 an gemeinsam von den Schulthess<br />

76


und Reithaars bzw. Reithards bewohnte Haus stand am Seeufer am Rand des Dörfleins Kusen<br />

(Chuese), unweit der Stelle, wo heute die Boglerenstrasse in die Seestrasse einmündet.<br />

Die Eltern<br />

Wer die Biographie eines Menschen erkunden will, kommt nicht darum herum, sich auch mit<br />

den Eltern dieser Person zu befassen. Dem bereits genannten Vater wurde von seinen Mitbürgern<br />

ein gesunder Verstand und ein gutes Urteil nachgerühmt. Er war Träger einer Reihe von<br />

öffentlichen Ämtern und gehörte bis zu seinem Tode dem Oberwaisenamt Meilen an. Mit dem<br />

Ende der Mediationszeit brachen indes <strong>für</strong> Vater Reithaar bittere Zeiten an: Er verlor seine amtlichen<br />

Stellungen. Selbst sein Versuch, durch die Umwandlung seiner grossen Stube in einen<br />

Websaal mit zehn Webstühlen sich und die Familie über Wasser zu halten, scheiterte, was dazu<br />

führte, dass er mehr und mehr verarmte. In einem Brief an seinen Sohn Johann Jakob schrieb<br />

er einmal: «Wie gerne würde ich sterben, wenn ich meinen lieben Kindern noch den Segen geben<br />

und ihnen eine sorgenfreiere, glücklichere Zukunft, als die meinige war, schaffen könnte!"<br />

Es sollte noch schlimmer kommen. Am 27. November 1828 nahm Vater Reithaar an einer<br />

Sitzung in Meilen teil, kehrte am Abend in Erlenbach ein - und blieb von dieser Stunde an<br />

verschollen. Kein Mensch hat jemals vermocht, über das rätselhafte Verschwinden von<br />

Reithards Vater irgend etwas in Erfahrung zu bringen. Am wahrscheinlichsten ist, dass der<br />

55jährige einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Der nie aufgeklärte Tod von Vater<br />

Reithaar hat bei seinen Kindern - von der zehnköpfigen Schar blieben sieben am Leben -<br />

tiefe Spuren hinterlassen. Der sprachmächtige Sohn hat seiner Liebe zum Vater unter anderem<br />

in den folgenden Versen Ausdruck gegeben:<br />

Viel warst du mir durch Beispiel, viel durch Lehre,<br />

Gediegen war dein Wort und so dein Tun:<br />

o möge stets, du Muster echter Ehre,<br />

Dein edler Geist auf deinem Sohne ruhn!<br />

Von Reithards Mutter wird überliefert, dass sie mit vortrefflichen Gaben des Geistes und<br />

des Gemütes ausgestattet war. Der Sohn Johann Jakob hing mit ganzer Seele an ihr und<br />

zögerte nie, ihren entscheidenden Einfluss in Worte zu fassen. Im Nachwort zu einem Gedichtband<br />

schrieb er sieben Jahre nach ihrem Tod über sie: «In meinem Herzen behauptete<br />

damals - wie jetzt noch - meine gute Mutter den Oberplatz; von ihr ging ein heilig Glauben,<br />

Hoffen und Lieben in meine Seele über... Sie war meine ehrwürdigste<br />

Freundin und wird es bleiben ... ihr Wesen verliess mich nicht ... »<br />

und geliebteste<br />

Reithards Mutter brachte dem poetischen Talent des Sohnes viel Verständnis entgegen.<br />

Dieses Talent gab sich zum Erstaunen seiner Umgebung schon sehr früh zu erkennen. So dichtete<br />

der Achtjährige auf den damaligen Wirt des Gasthauses zur Sonne den folgenden Vers:<br />

Herr Sunnewirt, patz Sappermänt!<br />

I möcht I früntli rate,<br />

Es Bitzli minder Kumplimänt<br />

Und mehner Chalberbrate!<br />

77


Die Mutter des Dichters, Anna Reithard-Schulthess,<br />

1781-1835.<br />

Der Vater, Hans Conrad Reithard, 1773-1828.<br />

Kindheits-<br />

und Jugendjahre<br />

Wenden wir uns nun den Kindheits- und Jugendjahren unseres Dichters zu! Hier ist zunächst<br />

einmal festzuhalten, dass es zu jener Zeit, in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts,<br />

noch gar keine Volksschule im heutigen Sinn gibt. Die Schule von damals liegt in den<br />

Händen von wenig gebildeten, <strong>für</strong> ihre Tätigkeit nur höchst notdürftig vorbereiteten Schulmeistern.<br />

Infolgedessen hat sie dem aufgeweckten Knaben wenig zu bieten; weit mehr lernt er<br />

von seinen Eltern zu Hause. Am wohlsten aber fühlt sich der Junge an einsamen Orten, wo er<br />

seiner Phantasie freien Lauf lassen kann, so im Gemäuer der Wulpruine oder im Goldbacher<br />

Wald beim Isis- oder Wiisschilchli. Als Erwachsener hat Reithard das Walten seines kindlichen<br />

Phantasierens wie folgt beschrieben: «Stundenlang pflegte ich mit dem Gesicht im Rasen zu<br />

liegen und geschlossenen Auges das bunte Pfauenrad der Phantasie zu schlagen. Ein Kaleidoskop<br />

von Farben und Formen eröffnete in der Regel den Reigen: rasch wechselnde Gemälde<br />

seltsamer Art, lebendige Tapeten, die zuletzt in anmutige Gegenden übergingen, von<br />

lichten Gestalten bevölkert. Von Minute zu Minute steigerte sich diese tief innerliche Anschauung,<br />

bis ich mich endlich ganz im Himmel wähnte und selber leichten Fluges über paradiesische<br />

Auen schwebte ... »<br />

In privaten Schulen in Zürich eignet sich der junge Reithard unter anderem die Kenntnis<br />

der lateinischen und der französischen Sprache an. Daneben widmet sich der Jüngling einer<br />

buntgemischten<br />

Lektüre, die von der schönen Melusine, Till Eulenspiegel, Doktor Faust bis<br />

zu Uhland und Schiller reicht. Zu dieser Zeit, aber auch schon vorher entstehen eigene<br />

Balladen, Rittererzählungen, Gebete, Oden, Lieder. Eine schwere Erkrankung, die ein halbes<br />

Jahr dauert, wirft den Jungen aufs Krankenlager und unterbricht aufs schmerzlichste den<br />

grossen Lerneifer und die intensiv betriebene Lektüre. Da wird es auch klar, dass der<br />

schwächliche und schonungsbedürftige Jüngling dem Beruf eines Geistlichen (wie dies<br />

78


der Mutter vorschwebt) niemals gewachsen sein wird. Eine Graveurlehre wird nach einem<br />

halben Jahr abgebrochen; auch Reithards neuer Lehrmeister, ein Kaufmann, wird schnell<br />

gewahr, dass sein Zögling kein Talent <strong>für</strong> den Handelsstand besitzt, weiss aber Vater Reithaar<br />

dazu zu bewegen, den Sohn aufs Collegium humanitatis in Zürich zu schicken, ein<br />

Institut, das den oberen Klassen eines Gymnasiums entspricht. Es ist eine entbehrungsreiche<br />

Zeit, da die Eltern Reithaar diese Ausbildung nicht bezahlen können und der Sohn sein<br />

Leben in der Stadt nur dank Privatstunden und einer kümmerlichen Unterkunft daselbst zu<br />

fristen vermag.<br />

Der Jünger Heinrich Pestalozzis<br />

Lange Zeit bleibt der Hospitant Reithard nicht am oberen Gymnasium; vielmehr verwirklicht<br />

nun der Achtzehnjährige im Einverständnis mit seinen Eltern den Wunsch, Lehrer zu<br />

werden. Was die Ausbildung zum Lehrer betrifft, gibt es damals in der Schweiz eine allererste<br />

Adresse: Es ist dies der legendäre Heinrich Pestalozzi, der im Schloss von Yverdon -<br />

zu deutsch Iferten - seine Wirkungsstätte hat. Einen Empfehlungsbrief des hochangesehenen<br />

Zürcher Antistes (Kirchenvorstehers) Hess in der Hand, stattet nun der junge Reithard<br />

dem 77jährigen berühmten Greis seinen Antrittsbesuch ab. Lassen wir Reithard selber über<br />

die erste Begegnung mit Pestalozzi berichten: «Als ich ihn ... besuchte, fand ich den Greis<br />

im Dachzimmer eines Eckturmes des Iferter Schlosses. Ich war ein <strong>für</strong> Pestalozzis Streben<br />

feurig eingenommener junger Mensch und trat mit Ehrfurcht in das stille Closet des berühmten<br />

Mannes. Ob auch sein Glücksstern im Sinken, seine Anstalt im Verfall war, in meinem<br />

Gemüte lebte der Verfasser von Lienhard und Gertrud ... in unverwelklicher, von keinen<br />

äussern Glücks- oder Übelständen bedingter und verkümmerter Glorie. Pestalozzi lag, als<br />

ich in das ärmlich ausgestattete Zimmer trat, seiner Gewohnheit nach angekleidet im Bette<br />

und diktierte einer jungen Dame in die Feder. Bei meinem Eintritt fuhr er hastig auf: «Was wär<br />

Euch heb?» Ich übergab ihm den Brief und richtete noch mündlich die Grüsse seines greisen<br />

Freundes aus. Kaum hatte ich den Namen «Antistes Hsss» ausgesprochen, als der Sonnenschein<br />

einer herzlichen Freude sein vielfaltiges Antlitz übergoss. «Da seid Ihr wahrlich<br />

besser empfohlen, als wenn Ihr ein Rekommandationsschreiben des Grossmoguls überbrachtet!-<br />

rief er.<br />

Pestalozzis Wohlwollen gegenüber dem Zürcher Neuling kühlt sich allerdings schnell ab,<br />

als er bemerkt, dass sein einstiger Freund und jetziger Gegenspieler, der 44jährige Johannes<br />

Niederer, sich des jungen Reithard herzlich und uneigennützig annimmt. Als der Zürcher<br />

sich nach einem Jahr von Pestalozzi verabschieden will - er trifft ihn wiederum im Eckturmstübchen<br />

des Schlosses im Bett liegend -, spricht der Greis zornig: «Ich kenne Euch nicht<br />

mehr, lebt wohl» und wendet das Gesicht gegen die Wand.<br />

Der Lehrergehilfe<br />

Reithards nächste Station ist Burgdorf, wo er als freiwilliger Gehilfe des Lehrers Samuel<br />

König sein erstes Praktikum absolviert. So gewinnbringend dieses praktische Schuljahr<br />

<strong>für</strong> den angehenden Lehrer ist, so wenig behaglich fühlt er sich in der Stadt, deren Leute<br />

ihm ausserordentlich kleinstädtisch vorkommen und wo er mit niemandem Freundschaft<br />

zu schliessen Gelegenheit hat. Das eintönige Leben (wie er es nennt) in Burgdorf dürfte<br />

79


immerhin der Besinnung auf das Wesen und die Ziele des Lehrerberufs förderlich sein. In<br />

einem Brief an seine Eltern schreibt der junge Pädagoge Reithard dem Beruf des Lehrers<br />

und Erziehers «einen hehren, ernsten, herrlichen Charakter» zu, «der ihn anfeuert, erhebt<br />

und begeistert».<br />

Hauslehrer und Sängerfestdichter<br />

Im Sommer 1825 - Reithard ist eben zwanzig geworden; es ist übrigens das Jahr, da<br />

der junge Pädagoge seinen Namen aus -Reithaar- in «Peithard» ändert - im Sommer 1825<br />

gelangt der <strong>Küsnacht</strong>er zu seiner ersten selbständigen Anstellung: Er wird durch Vermittlung<br />

eines Freundes Hauslehrer beim Ratsherrn Mengold in Chur. Auch hier in Bündens<br />

Hauptstadt kommt ihm das Leben sehr kleinstädtisch vor; <strong>für</strong> einen Freund und Kollegen<br />

fasst er seine Eindrücke in dem lapidaren Satz zusammen: «Oie Leute lieben mich mehr<br />

als ich sie, doch letzteres dem Frieden ganz unbeschadet.» Von Rätien aus ergibt sich eine<br />

Verbindung mit dem Wädenswiler Pfarrer Rudolf Wirz, der es gerne sähe, wenn der Churer<br />

Hauslehrer seinen Wirkungsort an die Dorfschule Wädenswil verlegte. Wirklich wird Reithard<br />

dort im Sommer 1826 als Lehrer an eine Schulklasse gewählt, deren Schüler die<br />

Alltagsschule bereits absolviert haben. In Wädenswil ist der Pädagoge aus <strong>Küsnacht</strong> kein<br />

Unbekannter: Für den ersten Sängertag des eben gegründeten «Sängervereins am Zürichsee»<br />

hat Reithard zwei Gedichte geschrieben, die infolge einer internen Intrige gleich von<br />

zwei Komponisten, dem berühmten Hans-Georg Nägeli und einem gewissen Anton Liste,<br />

vertont wurden. Auch an der zweiten Tagung des Sängervereins in Wädenswil erklingt<br />

zur Begrüssung die Vertonung eines von Reithard verfassten Gedichts, das folgendermassen<br />

beginnt:<br />

Seid uns willkommen, vielgeliebte Brüder!<br />

Wir bieten euch zum frohen Gruss die Hand!<br />

So sehn wir denn uns alle freudig wieder,<br />

Herbeigeführt<br />

vom hehren Geist der Lieder,<br />

Und schön bewährt sich unsrer Eintracht Band.<br />

Zerbrechliches Eheglück<br />

Reithard darf sich damit noch vor seinem Stellen antritt in Wädenswil rühmen, einer der<br />

ersten Sängerfestdichter der Schweiz zu sein. Im Januar 1827 tritt er in seinen neuen Wirkungskreis<br />

ein. Ein halbes Jahr später schliesst er den Bund der Ehe mit der um drei Jahre<br />

älteren Süsette Boltshauser, der Tochter eines <strong>Küsnacht</strong>er Sekundarlehrers. Sehr lange<br />

dauert das junge Glück freilich nicht; denn schon ein Vierteljahr nach der Hochzeit schreibt<br />

Reithard an einen Freund: «Mag immerhin das eheliche Leben manches Liebliche gewähren,<br />

so vermag es dennoch, glaube ich, einem Männerherzen nicht alles zu sein.» Das eheliche<br />

Glück, so lässt sich Reithard im sei ben Brief vernehmen, gründe auf der «Superiorität des<br />

Mannes und auf des Weibes Delikatesse». Im Lichte dieses Briefes wundern wir uns nicht<br />

allzusehr, wenn wir erfahren, dass die Ehe des oft krank darniederliegenden, von melancholischen<br />

Verstimmungen und Todesahnungen heimgesuchten Reithard mit Süsette Boltshauser<br />

sich nicht von Dauer erweist: Sie wird nach wenigen Jahren geschieden.<br />

80


Johann Jakob Reithard im Alter von 48 Jahren.<br />

81


Poetischer<br />

Durchbruch<br />

Nach zwei Jahren des Wirkens an der Schule Wädenswil wird Reithard vom Leiter eines<br />

Lehrinstitutes in Glarus, dem deutschen Theologen Johann Georg Spielberg, als zweiter Lehrer<br />

berufen. Spielberg wird ihm zwei Jahre später das Zeugnis eines braven, tüchtigen,<br />

pflichtbewussten und beliebten Lehrers ausstellen. Ganz besonders in dieser Glarner Zeit<br />

bricht sich das poetische Talent des Mittzwanzigers mächtig Bahn. Er wird Mitarbeiter des<br />

«Braunschweiqer Mitternachtsblattes <strong>für</strong> gebildete Stände>" des in Zürich erscheinenden<br />

«Malerischen Unterhaltungsblattes» und der «Alpenrosen», des auch ausserhalb der Schweiz<br />

geschätzten<br />

einheimischen Kalenders, wo er unter anderem eine seiner meistbeachteten<br />

Balladen, «Die beiden Gernsjäqer», publizieren kann. Im Zusammenhang mit den «Alpenrosen»<br />

lernt er deren Redaktor, den elf Jahre älteren deutschen Emigranten und Dichter Adolf<br />

Ludwig Folien, kennen, der <strong>für</strong> einige Jahre Reithards (und übrigens auch Gottfried Kellers)<br />

treuer Ratgeber und Freund wird und diesen nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch<br />

einige Zeit in sein Haus, den «Roten Ackerstein- in Höngg, aufnimmt. Der fruchtbare Gedankenaustausch<br />

mit Folien bringt dem Jüngeren erst recht und schmerzlich seine bruchstückhafte<br />

Bildung zum Bewusstsein.<br />

Hochfliegende Pläne - drückende Realität<br />

In einem Brief an Folien bekennt Reithard: «Schon recht lange nämlich lebt der Wunsch<br />

in mir, hinaus, in weitere Kreise zu treten und mich in einem freieren, lichteren, geistigeren<br />

Leben zu sonnen ....<br />

Und so ist es denn endlich geschehen, dass ich ... mich entschlossen<br />

habe, eine deutsche Hochschule zu beziehen ... »<br />

Wenige Wochen später kommt er in einem weiteren Brief auf seinen Hochschul-Entschluss<br />

zurück. Angesichts der wirtschaftlichen<br />

Not seiner Mutter verzichtet der Sohn, sein<br />

weniges Erspartes opfernd, auf seine Pläne, und dies <strong>für</strong> immer. Reithards feinsinniger Biograph<br />

Rudolf Hunziker kommentiert diesen bedeutungsschweren Abschnitt in Reithards<br />

Leben mit folgenden Sätzen: «Eine harmonische Ausbildung seiner reichen Talente blieb ihm<br />

versagt, denn «Erwerb» war das Losungswort, das ihm sein und der Seinigen Interesse unerbittlich<br />

zurief. Nun galt es, den Kampf mit dem Leben in einer selbständigeren Weise als<br />

bisher aufzunehmen.»<br />

Schlimme<br />

Das Stichwort<br />

Folgen eines Flugblattes<br />

«Kampf» ist wahrlich kein leeres Wort; es weist uns vielmehr mit Nachdruck<br />

darauf hin, dass wir es bei Reithard nicht allein mit einem Dichter und Pädagogen zu<br />

tun haben, sondern auch mit einem ausgeprägten «horno politicus», einem impulsiven politischen<br />

Menschen, von dem bisher noch nicht die Rede gewesen ist. Die Zeit um 1830, die<br />

wir eben ins Auge fassen, ist nicht bloss jene der in der Schweiz mit Begeisterung mitverfolgten<br />

Juli-Revolution zu Paris, sondern auch die des Basler Bürgerkriegs, jene Zeit mithin,<br />

da sich die im Umkreis der Hauptstadt wohnenden Basler Untertanen vom Joch der städtischen<br />

Aristokraten auf Biegen und Brechen loszureissen bemühen. Die mit Blutvergiessen<br />

und militärischer Besetzung verbundene Lostrennung der Baselbieter von der als tyrannisch<br />

empfundenen Stadt erregt die Sympathie der Bewohner der anderen Kantone, denn die<br />

Überwindung der drückenden Bevormundung durch die städtischen «Gnädigen Herren und<br />

82


Obern» ist das grosse Thema der Epoche. Von Glarus aus nimmt Reithard leidenschaftlichen<br />

Anteil an den Vorgängen im fernen Basel. Auf die Kunde vom blutigen Gefecht bei<br />

Frenkendorf und von der Besetzung Liestals durch städtische Truppen lässt er sich zur Abfassung<br />

eines Flugblattes hinreissen, in dem es unter anderem heisst: «Auf zu den Waffen<br />

alle, die ihr dieses leset; wir können nicht warten, bis im Schatten einer langsamen Demokratie<br />

die Brut der Aristokratie der Menschheit heiligste Rechte in blutigen Staub tritt! Auf,<br />

auf zu den Waffen, besonders ihr,<br />

Scharfschützen! Ein höheres Ziel ist euch gesetzt, die<br />

Brust der Schandbuben, die da wähnen, der Bauer sei ein Vieh und nur da, sich nutzen und<br />

schlachten zu lassen.»<br />

Das Flugblatt bleibt zwar zum Glück ohne Wirkung auf die politischen Ereignisse im Baselbiet;<br />

dennoch sind die juristischen Folgen <strong>für</strong> den Urheber des hetzerischen Aufrufs ausserordentlich<br />

schmerzhaft, zum einen, weil sich Reithard vor mehreren Gerichtsinstanzen<br />

seine Brandschrift zu verantworten hat, was ihm eine fast untragbare finanzielle Last aufbürdet,<br />

zum andern, weil sein Ansehen leidet und viele seiner bisherigen politischen Gesinnungsfreunde<br />

ihn im Stich lassen. Auch hat sich der <strong>Küsnacht</strong>er die Aussicht verscherzt,<br />

das einflussreiche Amt eines Aktuars des Zürcher Erziehungsrates zu bekleiden - eine Wunde,<br />

die nie mehr ganz heilen wird.<br />

<strong>für</strong><br />

Freundschaft mit dem Sängervater<br />

Hans Georg Nägeli<br />

In dieser in jugendlichem Überschwang und politischer Leidenschaft selbst eingebrockten<br />

tiefen Misere gibt es in Zürich glücklicherweise zumindest einen Menschen, der unerschütterlich<br />

zu Reithard hält. Diese Persönlichkeit ist niemand anders als der berühmte,<br />

rund dreissig Jahre ältere Hans Georg Nägeli, Musikschriftsteller,<br />

Komponist und Gründer<br />

sowie erster Präsident des Sängervereins der Stadt Zürich. Von ihm wird Reithard später<br />

die Worte schreiben: «Er war mir Lehrer und Freund wie keiner; er anerkannte, ermunterte<br />

und förderte mein Talent, als es giftig verspieen wurde, und hielt fest an mir, als Parteihass<br />

mein Leben verbitterte und verstürmte und alte Freunde mir vom Herzen riss.. Nägeli vertont<br />

eine ganze Reihe von Reithards Gedichten; es müsste reizvoll sein, diesen im Zeichen<br />

unverbrüchlicher Freundschaft entstandenen, in der Musikabteilung der Zürcher Zentralbibliothek<br />

sorgsam verwahrten Liedern nachzuspüren und sie nach anderthalb Jahrhunderten<br />

dem Vergessen zu entreissen. Wie hoch Nägeli Reithards dichterisches Talent einschätzt,<br />

geht aus seiner Bemerkung hervor, wonach dieser «die Schweiz auf dem Parnass (d. h. dem<br />

sagenumwobenen Sitz der Musen im alten Griechenland) mit am würdigsten vertreten werde».<br />

Alfred Egli<br />

Fortsetzung und Schluss im nächsten Heft.<br />

83


Die <strong>Küsnacht</strong>er Dorfstrasse im Wandel der Zeit<br />

Blick vom Turm der reformierten Kirche ausgangs der vierziger Jahre auf die Dorfstrasse mit den bekannten, noch heute<br />

stehenden Wohn- und Geschäftshäusern. Der Dorfkern ist von einer Reihe üppiger Baumgärten durchsetzt und präsentiert<br />

sich so aus heutiger Sicht als behäbige, beinahe ländliche Idylle. Schweiz. Landesbibiothek<br />

Als ich kürzlich meinen Freund Schaggi besuchte - wir waren vor 77 Jahren zusammen im<br />

Kindergarten und anschliessend in der Übungsschule des Seminars -, wurde mir so richtig<br />

bewusst, wie stark sich die «Ladenlandschatt» an der Dorfstrasse seit den dreissiger und vierziger<br />

Jahren des letzten Jahrhunderts verändert hat. Ausser den zwei Wirtschaften "Ochsen"<br />

und "Falken» trägt kein einziges Lokal mehr den früheren Namen, und auch beim Waren- und<br />

Dienstleistungsangebot ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Mir scheint, die Läden seien<br />

grösser geworden. Dieses optische Empfinden hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die<br />

Schaufenster heute im allgemeinen heller und weniger überladen sind als damals.<br />

Im folgenden will ich versuchen, auf einem Gang durch die Dorfstrasse nachzuzeichnen,<br />

wie sie sich mir in meiner Jugendzeit viermal täglich auf meinem Weg zum und vom Bahnhof<br />

präsentierte. Ich beginne beim Dorfplatz.<br />

84


Im bergseitigen Teil des «Ochsen=Hauses,<br />

wo heute Coiffeur Zürcher seine Kundschaft<br />

bedient, führte Otto Landis eine Sattlerei, Vorhänge gehörten ebenfalls zu seinem Angebot.<br />

Weitherum bekannt waren seine unverwüstlichen, handverfertigten Rucksäcke, zu deren<br />

Abnehmern auch die Armee gehörte,<br />

Auf dem «Ochsen», einem seit je beliebten Treffpunkt von hiesigen Gewerblern und <strong>Verein</strong>en,<br />

wirtete das Ehepaar Fitze, Hochbetrieb<br />

herrschte jeweils bei schönem Wetter an<br />

Sonntagabenden, wenn im über der Strasse gelegenen schattigen Garten die dem Bahnhof<br />

zustrebenden Tobelwanderer ihren Durst löschten,<br />

-Herrni-<br />

In einem der obersten Stockwerke dieses Hauses wohnte ein <strong>Küsnacht</strong>er Original:<br />

Hess. Als ausgezeichneter Trompeter war er eine Stütze der «Harmonie Eintracht»,<br />

die damals unter der Leitung von Emil (


Die bereits erwähnte Drogerie Kaiser hatte ursprünglich ihr Domizil im Eckhaus Dorf-I<br />

Florastrasse (Dorfstrasse 15, heute: Photogeschäft Portier). Als Josef Kaiser im besten<br />

Mannesalter starb, führte seine Frau unter der Leitung von diplomierten Drogisten das Geschäft<br />

weiter, wechselte dann aber nach dem Tod von Anna Gibel in den weiter oben an der<br />

Dorfstrasse frei gewordenen Laden. Nach dem erneuten Umzug der Drogerie Kaiser, diesmal<br />

in das Erdgeschoss des «Schweizerhof=Hauses, eröffneten Emmi und Hans Gibei, die<br />

«Kinder» des Ehepaars Gibei, oben an der Dorfstrasse 21 ebenfalls eine Drogerie.<br />

Noch ein Wort zu Frau Kaiser: Sie war eine echte Lady, gebildet, gepflegt, gediegen, vielleicht<br />

auch etwas verrückt! Sie war unsere Nachbarin an der Oberen Heslibachstrasse. Auf<br />

dem kurzen Weg ins Geschäft war sie immer tadellos dunkel gekleidet, und stets trug sie auf<br />

dem seitlich leicht geneigten Kopf einen breitrandigen schwarzen Hut. Während der Erdbeerzeit<br />

hatte sie einen unstillbaren «Glusoht» auf Erdbeertörtchen, die meine Geschwister<br />

und ich jeweils in der Konditorei Hug (damals erste Adresse in <strong>Küsnacht</strong>; ein anderer Konditor<br />

kam <strong>für</strong> sie nicht in Frage!) <strong>für</strong> sie holen durften, wobei sie uns jedesmal einschärfte, Frau<br />

Hug zu sagen, dass die Törtchen <strong>für</strong> Frau Kaiser seien.<br />

Gleich um die Ecke Dorf-/Florastrasse (heute: Beauville) führte Frau Wagner einen Charcuterieladen<br />

der Marke «klein, aber fein», den sie <strong>für</strong> gute Kunden auch sonntags öffnete.<br />

Berechtigten Stolz konnte Frau Wagner auf ihren Sohn haben. Ihr Fritzli war ein ausgezeichneter<br />

Fussballer, ein ge<strong>für</strong>chteter Torschütze, der über eine stupende Ballbehandlung verfügte.<br />

Schon bald wurden Grossvereine auf dieses Talent aufmerksam, das da im Fussballclub<br />

<strong>Küsnacht</strong> heranwuchs. Wagner machte in der Folge Karriere in den Nationalligaklubs<br />

La Chaux-de-Fonds, Grasshoppers und zuletzt im FC St. Gallen. Verschiedentlich trug er<br />

auch das Trikot der Schweizer Nationalmannschaft.<br />

In dem an die Drogerie Kaiser seewärts anschliessenden Lokal war das Photoatelier<br />

P. Hansen eingemietet. Hansen war während Jahren «Hofphotoqraph- <strong>für</strong> Aufnahmen in<br />

Schulen, an Konfirmationen, Hochzeiten usw. Nach seinem Wegzug (oder seiner Geschäftsaufgabe?)<br />

eröffnete hier (heute: Gottheils «Sunliqht-) das Ehepaar Rudolf Zbinden einen<br />

Lebensmittelladen mit Schwerpunkt auf frischen Früchten und Gemüse.<br />

Ausser der Apotheke Hotz (mit dem allseits beliebten «Aussen-Angestellten» Albert Fritschi)<br />

und fünf Milchläden boten damals in <strong>Küsnacht</strong> nur Bäckereien und Metzgereien einen Hauslieferdienst<br />

an. Wegen der bevorzugten Lage wohnten schon in jenen Jahren viele Wohlhabende<br />

am Berg, und da die wenigsten ein Auto besassen (von einem Zweitwagen nicht zu reden), war<br />

das Einkaufen im Dorf <strong>für</strong> viele recht mühsam. So glaubte Zbinden eine Marktlücke entdeckt zu<br />

haben, als er einen Hauslieferdienst <strong>für</strong> Lebensmittel einführte. Der anfängliche Erfolg schien<br />

ihm recht zu geben, doch mit zunehmender Motorisierung und dem Aufkommen der Grossverteiler<br />

ging dieser Nutzen mit der Zeit verloren - ein Vorbote des einsetzenden «Lädelisterbens»l<br />

Auf der gegenüberliegenden Strassenseite (Dorfstrasse 26, heute: Humm Body Selection)<br />

führte Frau Zolliker einen Mercerie-, Stoff- und Wäscheladen. Über der Türe hing ein<br />

kleines Glockenspiel, das in verschiedenen Tönen den eintretenden Kunden anzeigte. Von<br />

der Decke baumelte ein Karton mit der Aufschrift:<br />

Bist du zufrieden, sag es andern.<br />

Bist du es nicht, sag es mir!<br />

86


Unmittelbar oberhalb der (einspurigen) Bahngeleise standen, das alte <strong>Küsnacht</strong> eindrücklich verkörpernd, diese zwei<br />

alten Häuser. die bei Errichtung der Doppelspur in den späten sechziger Jahren der Spitzhacke zum Opfer fielen.<br />

Im Haus rechts wohnte der Maler Walter Thode. Robert Leuthold<br />

In jenem Hausteil (Dorfstrasse 24), wo heute ein Hörstudio seine Dienste anbietet, befand<br />

sich der Tabakladen von Herrn Comolli.<br />

Zurück auf die rechte Strassenseite (Dorfstrasse 13). Im heutigen «Lunqos Sana Take<br />

Away» wirkte Coiffeurmeister Otto Wanner. Dieser grosse, stattliche Mann war nicht zu<br />

übersehen, denn wenn er gerade keine Kundschaft hatte (und dies war während des Tages<br />

öfters der Fall, weil damals die Männer in der Regel abends oder samstags zum Coiffeur<br />

gingen), hielt er sich - sozusagen als lebendige Reklame - meistens auf der Treppe vor der<br />

Türe auf und wartete auf eine Gelegenheit <strong>für</strong> einen Schwatz.<br />

Im anschliessenden Teil desselben Hauses (heute: Francioni) war das Schuh haus Dosenbach<br />

eingemietet. Filialleiterin war während Jahrzehnten das grossgewachsene, stets freundlich-geduldige<br />

Fräulein Luise Billeter. Alle unverheirateten Frauen jedwelchen Alters wurden<br />

mit «Fräulein» angesprochen.<br />

Das Restaurant «Falken» auf der anderen Strassen seite gab es schon damals. Es war das<br />

Klublokal des Fussball-Clubs <strong>Küsnacht</strong> (FCK), und dies war gewiss kein Zufall, gehörte doch<br />

das Haus mit angegliedertem Comestiblesgeschäft (heute: Terlinden) der aus Italien eingewanderten<br />

-fussballverrückten» Familie Minelli. Die Eltern Minelli hatten eine Tochter -<br />

sie führte später mit ihrem Mann den Laden - und fünf Söhne. Schweizweit ein Begriff war<br />

Severino, «Sevi- genannt. Er war ein Fussballer von europäischer Spitzenklasse, ein uner-<br />

87


schrockener Kämpfer, der als Verteidiger mit seiner gesunden Härte manchem gegnerischen<br />

Stürmer «den Schneid abkaufte». Zwischen 1930 und 1944 hatte Minelli seinen Stammplatz<br />

in der schweizerischen Nationalmannschaft. Sein denkwürdigstes Spiel lieferte er wohl 1938,<br />

als die Schweizer in Paris die «Grossdeutschen- besiegten. Mit 79 Länderspielen blieb Minelli<br />

in der Folge während langer Jahre Rekord-Internationaler des Schweizer Teams. Wie Fritz<br />

Wagner hatte auch «Sevi» seine Sporen beim FCK abverdient. Dass es ein Fussballer nicht<br />

nur in den Füssen haben muss, bewies Minelli insofern, als er später als Versicherungsfachmann<br />

auch beruflich erfolgreich war. Im Gegensatz zu den heutigen «Millionarios- betrieben<br />

die Fussballer von damals ihren Sport als Hobby - gegen ein Trinkgeld!<br />

Im Haus gegenüber, am Falkenplatz (heute: Raiffeisenbank), existierte ein weiteres Delikatessengeschäft,<br />

jenes von Frau Friedli. Auch einer ihrer Söhne spielte in der ersten Mannschaft<br />

des FCK.<br />

In der angrenzenden - heute nicht mehr vorhandenen - seeseitigen Liegenschaft (sie<br />

musste dem Ausbau auf die SBB-Doppelspur weichen) betrieb Walter Gnehm (auch er ein<br />

«Tschütteler-l) einen Coiffeursalon. Nachfolger waren die Eltern Loosli, die nach dem Abbruch<br />

des Hauses ihre Tätigkeit in den Neubau unterhalb der Bahnlinie verlegten. Nach Aufgabe<br />

des Geschäftes war Loosli - ein eifriges Mitglied des Sängerbundes - noch während<br />

Jahren als Coiffeur im Kreisspital Männedorf tätig.<br />

Ebenfalls wegen des Doppelspur-Ausbaus wurde das Gebäude unterhalb des «Falkensabgerissen.<br />

Dort betrieb der Lebensmittelverein Zürich eine Filiale. Im gleichen Haus waren<br />

auch die Läden von Hausheer (Walder-Schuhe) und von Uhren-Corrodi untergebracht.<br />

Der Vollständigkeit halber darf ein weiteres verschwundenes Gebäude nicht unerwähnt<br />

bleiben, nämlich das Barrierenwärterhäuschen beim Bahnübergang. Es wurde während vieler<br />

Jahre von Frau Eggenberger bedient, und zwar von Hand mittels einer grossen Kurbel.<br />

Ihr Sohn war der bekannte Radio-Sportreporter Henri Eggenberger. Dessen Nachfolger war<br />

ebenfalls ein <strong>Küsnacht</strong>er, der charmante Jean-Pierre «


So sah der Kunstmaler Walter Thode (1891-1962), von der Terrasse seiner Wohnung im Haus nächst der Bahnlinie blickend,<br />

den zentralen <strong>Küsnacht</strong>er Bahnübergang samt Bahnwärterhäuschen und den unteren Teil der Dorfstrasse. Peter 5chälchli<br />

89


chem Staunen zur Kenntnis, dass in <strong>Küsnacht</strong> in jenen Jahren - wohlverstanden bei etwa<br />

halber Einwohnerzahl! - neun eigenständige Bäckereien/Konditoreien (Bär/Durrer, Bührer,<br />

Thür, Hug, Holzer/Känel, Nägeli/Richner, RinggerlTrachsler, Frey, Chrööli-Bruppacher) und<br />

sechs Metzgereien (Heussi, Bolliger, Guggenbühl, Merz, Dannenmann, Hügli) plus eine Kuttlerei<br />

und zwei Charcuterieläden nebeneinander existieren konnten. Zusätzlich war periodisch<br />

auch Kuhfleisch erhältlich. Nach einer Notschlachtung, was bei vierzehn Bauern im<br />

Dorf, ohne Limberg, hin und wieder vorkommen konnte, wurde das Fleisch unter Anzeige in<br />

der «Zürichsee-Zeitung» im Waschhäuschen von Briefträger Fischer an der Eigenstrasse<br />

feilgeboten. Zart war es ja nicht gerade, da<strong>für</strong> billig, und eine kräftige Fleischbrühe liess sich<br />

daraus allemal zubereiten.<br />

Mit dem Velo - ohne Übersetzungen, mit Rücktritt! - und mit einer mächtigen «Chraäze»<br />

am Rücken ausgerüstete Ausläufer kamen praktisch jeden Tag an der Haustüre vorbei und<br />

lieferten Brot oder das bestellte Fleisch ab. Bäckermeister Ringger von der Weinmanngasse<br />

bediente das ganze Dorf sogar zu Fuss mit einem Handwagen!<br />

Fünf Milchläden versorgten die Einwohnerschaft mit Molkereiprodukten. Deren Besitzer<br />

(Graf im Heslibach, Dettling, Truttmann und Aeppli im Dorf sowie Thäler im Goldbach) waren<br />

schon um sechs Uhr früh mit ihren Handkarren unterwegs und füllten im Offenausschank die<br />

vor der Haustüre oder auf dem Fenstersims bereitgestellten «Milchchessi- mit der im Milchbüchlein<br />

eingetragenen Menge. Am Ende des Monats addierte man (die Eltern überliessen<br />

diese Aufgabe gerne den Kindern!) und bezahlte im Laden - ein einfaches, auch ohne Computer<br />

bestens funktionierendes System. Ältere unter uns sagen denn auch heute noch bei<br />

einer einfachen Rechnung: «Das isch e Milchbüechli-Rächnig.» Nebst den Milchmannen bedienten<br />

auch einige Bauern, zum Beispiel Ernst im Schübel, in ihrem Quartier wohnende<br />

Kunden direkt mit sozusagen kuhwarmer Frischmilch.<br />

Den Bedarf an Salat, Gemüse und Setzlingen konnte man bei vielen der achtzehn (!)<br />

ortsansässigen Gärtnereien decken. Allein deren vier (Ammann, Kaul, Pfister, Seger) waren<br />

innerhalb einer Distanz von knapp 500 Metern an der Oberen Heslibachstrasse angesiedelt.<br />

Zwei von ihnen grenzten an den Fussballplatz, und da passierte es halt hin und wieder, dass<br />

ein Ball über den Zaun in einem Gemüsebeet landete. Dies erboste Gärtnermeister Ammann<br />

gelegentlich dermassen, dass er, sofern er sich in der Nähe befand, den Ball behändigte<br />

und ihn kurzerhand zerschnitt. Als Gärtner trug er ja schliesslich immer ein Messer<br />

auf sich!<br />

Lebensmittel-/Kolonialwarenläden gab es in <strong>Küsnacht</strong> deren sechzehn, nämlich:<br />

Bachmann (Allmendstrasse), Zbinden (Dorfstrasse), Minelli (Dorfstrasse), Bertoldini (oberhalb<br />

des Bahnhofs), Aeppli (Alte Landstrasse), Konsumverein Zürich (Wiltisgasse, Zürichstrasse,<br />

Seestrasse, Schiedhaldensteig), Lebensmittelverein Zürich (Dorfstrasse), Si mon<br />

(neben «Schweizerhof»), Denner (Gartenstrasse), Hirt (Untere Heslibachstrasse), Gehrung<br />

(Giesshübelstrasse), Reformhaus Egli (Bahnhofstrasse). Früchte- und Gemüsehändler<br />

Scheidegger von der Rosen-/Eigenstrasse zog mit einem Pferdefuhrwerk durch das<br />

Dorf und machte - vom Bock aus - mit lautstarker Stimme auf seine Anwesenheit aufmerksam.<br />

Migros unterhielt hier noch keine Filiale, da<strong>für</strong> zirkulierten die von Gottlieb Duttweiler<br />

«erfundenen» fahrbaren Läden nach Fahrplan zweimal wöchentlich in der Gemeinde.<br />

90


In einem grossen, schattigen Garten bei der Kreuzung Untere Dorfstrasse/Bahnhofstrasse stand bis in die fünfziger<br />

Jahre ein gemütliches altes Haus, das - etti-, ein privates Kinderheim, an das sich ältere <strong>Küsnacht</strong>er noch gut<br />

erinnern können. Archiv KVK<br />

Die Wirtschaften<br />

Auch das <strong>Küsnacht</strong>er «Wirtschaftsleben» hat sich in den letzten sechzig, siebzig Jahren<br />

merklich verändert, ausgelöst durch die den stetig steigenden Lebensstandard<br />

zum Ausdruck<br />

bringenden Ess- und Trinkgewohnheiten der späteren Generationen. Das Ausgehen<br />

mit dem damit verbundenen Auswärtsessen kannte man damals noch nicht, ausgenommen<br />

bei besonderen Anlässen oder Festlichkeiten. Das gesellschaftliche Leben wickelte sich vorwiegend<br />

im Dorf ab; eine tragende Rolle spielten dabei die <strong>Verein</strong>e. Deren Mitglieder waren<br />

es, die nach den Proben, Trainings usw. die ortsansässigen Wirtshäuser frequentierten und<br />

bei Gesprächen, Jass und einem (oder zwei!) Becher(n) Bier den Abend - meistens bis Mitternacht<br />

- ausklingen liessen. Auch Sitzungen, Versammlungen und andere Veranstaltungen,<br />

zum Beispiel die jährlichen «Kranzli» der Turner und Sänger, wirkten sich <strong>für</strong> die Wirte<br />

umsatzfördernd<br />

aus. Natürlich gab es auch die gelegentlichen Gäste, die zum Essen einkehrten.<br />

Viel mehr als ein Schnitzel, eine Bratwurst oder ein -Restbrot- (ein mit allerlei<br />

Wurstwaren reichlich beladenes grosses Stück Brot; hatte also nichts mit «Resten» zu tun!)<br />

war es gewöhnlich nicht. Ein Fünf- oder Siebengangmenü hätte kaum Abnehmer gefunden,<br />

aber schliesslich hat ja Herr Petermann damals noch nicht gelebt!<br />

Wie dem auch sei: <strong>Küsnacht</strong> zählte zu jener Zeit 29 Wirtschaften/Restaurants/Cafes,<br />

denen die nachstehend aufgeführten über die Jahre eingegangen sind:<br />

von<br />

91


--".--.----.---------- ..".._------- --."" .._----_ _. __ ".._ " " - " "._..............••.•.._-_ .." _..,,-~~ _ "<br />

• Heussi (mit Metzgerei), Allmendstrasse<br />

• Eintracht, Alte Landstrasse<br />

• Salzwaag, Dorfstrasse. Viele Zumiker und Limberger Kinder, die in <strong>Küsnacht</strong> die Sekundarschule<br />

besuchten, hatten hier ihren Mittagstisch.<br />

• Alte Post, Seestrasse<br />

• Freihof (mit Bäckerei Holzer), Ecke Seestrasse/Wiltisgasse<br />

• Zum scharfen Eck (Frau Seul), Ecke Seestrasse/Goldbacherstrasse<br />

• Cate Thür, beim Bahnhof<br />

• Cate Höfli, Giesshübelstrasse<br />

• Vitali, Obere Heslibachstrasse<br />

• Johannisburg, unweit Fallacher, über dem Tobel<br />

• Rumensee, Oberer Goldbach<br />

• Solitüde, Schmalzgrub<br />

Im Trend der Zeit hat dann in der Folge eine gewisse Verlagerung hin zur Spezialisierung<br />

stattgefunden, zum Beispiel Cave Valaisanne (Schweizerhof), Petermanns Kunststuben<br />

(Usterhof), Chili Mex (Schiffli), Malabar Garden (Erle). Auch sind neue Lokale entstanden wie<br />

Ermitage, il Cerchio, Indigo, Münz, Oberwacht (wieder verschwunden), Schützenstube.<br />

Immerhin konnte sich mehr als die Hälfte der schon damals bestehenden Betriebe behaupten,<br />

und es darf ruhig gesagt werden, dass sich ihr Angebot - mit einer innovativen,<br />

zeitgemässen Küche - durchaus sehen und geniessen lassen darf.<br />

Ja, hinsichtlich Angebot und Nachfrage hat sich in der Gemeinde seit meiner <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Jugendzeit - also lediglich innerhalb eines Menschenlebens - einiges bewegt. Vieles ist<br />

moderner, effizienter, aber auch unpersönlicher geworden. Doch wer weiss, vielleicht denken<br />

die heutigen Jungen in fünfzig Jahren mit ähnlichen Gefühlen an die idyllischen Verhältnisse<br />

zurück, die zu Anfang des dritten Jahrtausends in unserem Dorf geherrscht haben!<br />

Bruno Wüst<br />

92


Eine friedliche und farben frohe Armada passiert seeaufwärts treibend gemächlich <strong>Küsnacht</strong>s grünes Gestade.<br />

Alfred<br />

Egli<br />

Dorfchronik<br />

1. Juli 2004 bis 30. Juni <strong>2005</strong><br />

Gemeinde<br />

Gemeindeversammlungen<br />

An der Gemeindeversammlung vom 13. Dezember 2004 sagen 965 Stimmberechtigte Ja zu Tempo<br />

30 in den Wohnquartieren Itschnach und Schied halde.<br />

Die Bürgerversammlung vom 21. März <strong>2005</strong> stimmt der Einbürgerung von neun Ausländern zu. Die<br />

Beschlüsse werden wegen Zweifeln an der Verhandlungsführung von zwei Stimmbürgern beim Bezirksrat<br />

angefochten.<br />

Die Gemeindeversammlung vom 20.Juni <strong>2005</strong> gibt u.a. ihr Plazet zu den Jahres- bzw. Schlussabrechnungen<br />

2004, zum Baukredit von 3105000 Franken der 1. Etappe <strong>für</strong> die Teilerneuerung des<br />

Behandlungstraktes Südost des Kreisspitals Männedorf und stimmt den Krediten zur Kreuzungssanierung<br />

und Erstellung neuer Fuss- und Radwege an der Zumikerstrasse und der Oberen Bühlstrasse zu.<br />

Die Einführung von Tempo 30 im Gebiet Heslibach-Allmend wird zum Beschluss erhoben.<br />

93


Abstimmungen<br />

Der Urnenabstimmung vom 26. September geht eine engagierte Debatte über die Vor- und Nachteile<br />

einer Umwandlung der Gemeindewerke in eine Aktiengesellschaft voraus. Während die Be<strong>für</strong>worter<br />

<strong>für</strong> eine grössere Flexibilität des Energiemarktes plädieren, legt die Gegnerschaft, allen voran das<br />

Bürgerforum <strong>Küsnacht</strong>, den Finger auf die Tatsache, dass den Stimmberechtigten durch die beabsichtigte<br />

Privatisierung ein Teil ihrer demokratischen Rechte entzogen würde. Die Vorlage wird an der Urne<br />

mit 2588 Nein zu 2335 Ja deutlich abgelehnt; Stimmbeteiligung: 58,3 Prozent.<br />

Anlässlich der eidgenössischen Volksabstimmung vom 26. September lehnen die <strong>Küsnacht</strong>er Stimmberechtigten<br />

die erleichterte Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration mit 2974 zu 2792 Stimmen<br />

ab, stimmen dagegen der in der Volksabstimmung durchfallenden Vorlage «Bürgerrechtserwerb<br />

der dritten Generation» mit 2990 zu 2755 Stimmen zu.<br />

Die Urnenabstimmung vom 5. Juni zeitigt bei einer Stimmbeteiligung von 54 Prozent folgende Ergebnisse:<br />

Die Teilrevision der Gemeindeordnung wird mit 3529 Ja- gegen 780 Nein-Stimmen angenommen.<br />

Die Einsetzung einer vom Volk zu wählenden Bürgerrechtskommission mit fünf Mitgliedern<br />

wird mit 2504 Ja gegen 1894 Nein gutgeheissen. Die Teilrevision der Schulgemeindeordnung passiert<br />

mit 3365 Ja-Voten gegen 785 Nein-Stimmen.<br />

Bei der eidgenössischen Volksabstimmung am sei ben Wochenende votiert eine Mehrheit von 3659<br />

<strong>Küsnacht</strong>ern <strong>für</strong> die Annahme des Schengen-Dublin-Abkommens mit der EU; eine Minderheit von<br />

2296 Stimmberechtigten spricht sich dagegen aus. Auch das Partnerschaftsgesetz wird mit 3822 Ja-<br />

Stimmen gutgeheissen; abgelehnt wird es von 2070 Votanten.<br />

Statistisches<br />

Ende 2004 lebten in unserer Gemende 12816 Einwohner, 106 Personen mehr als ein Jahr zuvor. Der<br />

Ausländeranteil erhöhte sich innert Jahresfrist von 16,61 auf 16,99 Prozent. 5678 (Vorjahr: 5697) Schweizerinnen<br />

standen 4960 (4902) Schweizer Männern, 1100 (1071) Ausländerinnen 1078 (1040) Ausländern<br />

gegenüber. Im Jahr 2004 waren 1047 Zuzüge und 935 Wegzüge zu verzeichnen. Neben 825 Schweizer<br />

Bürgern nahmen unter anderem 57 Deutsche, 45 Afrikaner und 56 Zuzüger aus dem «übrigen Europa» in<br />

<strong>Küsnacht</strong> Wohnsitz. Im Berichtsjahr erwarben 63 Schweizerinnen und Schweizer sowie 26 ausländische<br />

Staatsangehörige das <strong>Küsnacht</strong>er Bürgerrecht. Die konfessionellen Gegebenheiten haben sich seit Ende<br />

2003 wenig verändert: 45 Prozent (46) bekennen sich zum evangelischen, 27 Prozent (27) zum katholischen<br />

Glauben; ohne Konfession erklären sich 16 (15) Prozent, anderen Konfessionen gehören 12 (12) Prozent<br />

an. Statistisch gesehen, dominiert in <strong>Küsnacht</strong> die Altersgruppe der Vierzig- bis Fünfzigjährigen, d. h.<br />

der zwischen 1955 und 1965 Geborenen; ihnen stehen nur wenig nach die Generationen der Fünfzig- bis<br />

Sechzig- und der Dreissig- bis Vierzigjährigen. Praktisch ausgeglichen präsentieren sich die jüngeren und<br />

jüngsten Jahrgänge der seit 1975 geborenen Einwohnerinnen und Einwohner; hier brillieren vor allem die<br />

weiblichen Personen durch ungewöhnliche Konstanz: 550 Angehörige der Jahrgänge 1975-1984, 556<br />

Einwohnerinnen der Generation 1985-1995 und 554 <strong>Küsnacht</strong>erinnen, die 1995 bis 2004 zur Welt kamen.<br />

Gemessen am kantonalen Durchschnitt, sind sämtliche <strong>Küsnacht</strong>er Unter-Vierzigjährigen untervertreten,<br />

da<strong>für</strong> schwingen die älteren Jahrgänge im Vergleich mit dem kantonalen Mittel weit obenaus - ein Phänomen,<br />

das man als Überalterung zu bezeichnen pflegt. Die Geburten in der Gemeinde haben seit zwei Jahren<br />

sprunghaft zugenommen: 115 Geburten im Jahre 2002, 118 <strong>für</strong> 2003 und 125 Geburten im Berichtsjahr.<br />

Unter den <strong>Küsnacht</strong>er Asylbewerbern stehen die Kosovo-Albaner zahlenmässig an erster, Kosovo-<br />

Roma und Libyer an zweiter und dritter Stelle. Weitere Herkunftsländer sind Angola, Aserbeidschan,<br />

Serbien, Madagaskar, China und andere. Zunahmen sind im Jahr 2004 zu verzeichnen <strong>für</strong> den Strom- und<br />

Gasverbrauch, den Wohnungsbestand, die Betreibungen (2170, Rekord), die Pfändungen (566, Rekord)<br />

und die Antennenanschlüsse; abgenommen haben Wasserverbrauch und Abwassermenge, zurückgegangen<br />

ist ferner die Zahl der Baugesuche, der neu erstellten Wohnungen und der <strong>Küsnacht</strong>er Schüler.<br />

94


Diverses<br />

Die Feier des schweizerischen<br />

Nationalfeiertags findet am 1. August wie in früheren Jahren beim<br />

Wehrmännerdenkmal auf der Forch statt. Die Festansprache hält Alexander Perreira, Intendant des<br />

Zürcher Opernhauses.<br />

Der Bezirksrat lehnt die Einsprache der Interessengemeinschaft<br />

<strong>für</strong> ein würdiges Alter (IGWA) gegen<br />

die neuen Führungsstrukturen<br />

in den drei Seniorenheimen «wegen fehlender Legitimation der Rekurrenten"<br />

ab: Der Beschluss des Gemeinderates sei gültig zustande gekommen. Die stark umstrittenen<br />

Beschlüsse des Gemeinderates können somit umgesetzt werden.<br />

Das Naherholungsgebiet<br />

einen neu gestalteten Abfluss aufgewertet.<br />

um den Schübelweiher ist neuerdings durch eine Flachwasserzone und<br />

Der Gemeinderat beschliesst, eine Arbeitsgruppe -Alterskonzept Kusnacht- einzuberufen.<br />

Mit Datum vom 15.September legt der Gemeinderat seinen Bericht zur <strong>Küsnacht</strong>er Zentrumsplanung<br />

vor, betitelt «Grobkonzept<br />

und Vorgaben <strong>für</strong> die Gebietsplanung Gestaltungsplan Dorfzentrum (GP 8)'"<br />

Mit dem Förderprogramm «Energie <strong>Küsnacht</strong>- leistet die Energiestadt <strong>Küsnacht</strong> seit 2002 einen<br />

Beitrag zu einer ökologischen Stromversorgung.<br />

Am 27. September beginnen die Bauarbeiten zur Sanierung der Unteren Heslibachstrasse; die<br />

Bauzeit wird bis Oktober <strong>2005</strong> veranschlagt.<br />

Der Regierungsrat geht auf die Rekurse gegen Tempo 30 nicht ein.<br />

Am 11. Oktober beginnen die Bauarbeiten zur Belagserneuerung auf der Alten Landstrasse und zur<br />

Schaffung eines dritten Kreisels an der Einmündung Alte Landstrasse/Schiedhaldenstrasse.<br />

Der Gemeinderat beauftragt eine Arbeitsgruppe,<br />

Massnahmen zur Verhinderung von Sachbeschädigungen<br />

und gehäuft auftretendem Vandalismus auszuarbeiten.<br />

<strong>Küsnacht</strong> wird im Dezember erneut (wie bereits 2001) mit dem Label -Enerqiestadt-<br />

Ab 1.Januar <strong>2005</strong> gelten veränderte «Spielregeln" <strong>für</strong> die Stimmberechtigten<br />

ausgezeichnet.<br />

an Gemeindeversammlungen.<br />

Anstelle der bisherigen Stimmrechtsbeschwerde mit 30 Tagen Rechtsmittelfrist ist ein<br />

Stimmrechtsrekurs<br />

getreten, der spätestens innert fünf Tagen (I) nach Veröffentlichung der Versammlungsbeschlüsse<br />

einzureichen ist.<br />

Am 24. Januar lädt das Bürgerforum <strong>Küsnacht</strong> (BFK) zu einem gut besuchten öffentlichen Ausspracheabend<br />

im Foyer der Hesli-Halle ein unter dem Titel «Wo drückt uns der Schuh?".<br />

Ab Ende Januar müssen die beiden Fussgängerstege<br />

über den Dorfbach auf der Höhe des Gemeindehauses<br />

sowie die Kragplatten über dem Dorfbach saniert werden.<br />

Am 22. März orientieren Fachleute der Gemeinde über den von der Verkehrskommission<br />

ausgearbeiteten<br />

Verkehrsplan.<br />

Am Politischen Themenabend des Gemeinderates vom 11. April sprechen die Stimmberechtigten<br />

über die neue Gemeindeordnungsvorlage, die Neuerungen in der Schulgemeinde und die künftige<br />

Rechtsform der Gemeindewerke.<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> unterbreitet dem Gemeinderat den Vorschlag, zwei <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Wegverbindungen<br />

zu.<br />

zu Ehren von Thomas Mann bzw. Ludwig Snell zu benennen. Die Behörde stimmt<br />

Per 1.April <strong>2005</strong> setzt die Gemeindebehörde das revidierte Organisationsreglement und die Vollzugsverordnung<br />

zur Personalverordnung in Kraft.<br />

Aus der Verkehrsunfallstatistik<br />

<strong>für</strong> 2004 geht hervor, dass <strong>Küsnacht</strong> bezüglich der bezirksinternen<br />

Unfälle Spitzenreiter ist. Mit 104 Unfällen (2003: 113) verzeichnet <strong>Küsnacht</strong>, dicht gefolgt von Meilen<br />

(100), fast ein Fünftel aller Verkehrsunfälle der Region. Unfallschwerpunkt ist die Einmündung Kirchstrasse/Seestrasse.<br />

Gemäss einer Mitteilung der Gesundheitsdirektion<br />

Zollikon-Zollikerberg<br />

zu jenen Gebieten, in denen infizierte Zecken vorkommen.<br />

gehört neuerdings auch die Region <strong>Küsnacht</strong>-<br />

95


An einer Fluglärm-Info-Veranstaltung im Foyer der Hesli-Halle kommt klar die Überzeugung der<br />

<strong>Küsnacht</strong>er zum Ausdruck, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung keinesfalls geringer gewichtet werden<br />

dürfen als die wirtschaftlichen Interessen des Flughafens.<br />

Die Gemeindebehörde verzichtet darauf, die Option zur Umwandlung der Gemeindewerke in eine<br />

öffentlich-rechtliche Anstalt weiterzuverfolgen.<br />

Ab Ende Mai gilt im Quartier Goldbach Tempo 30. Mit diesem bedeutsamen Schritt verknüpft sich<br />

die Hoffnung auf mehr Sicherheit und weniger Unfälle.<br />

Die Aufgaben des Asylbewerber-Betreuers sollen gemäss einem Gemeinderatsbeschluss nach<br />

dessen Pensionierung der Firma ORS Service AG überbunden werden.<br />

Das hübsche alte Riegelhaus an der Seestrasse 13 wird unter Denkmalschutz gestellt.<br />

Am 28. Mai feiert der <strong>Küsnacht</strong>er Gewerbeverein sein 150jähriges Bestehen.<br />

Die Steuerstatistik <strong>für</strong> das Jahr 2004 weist <strong>Küsnacht</strong> mit einer Steuerkraft pro Person von 11520<br />

Franken als reichste Gemeinde des Kantons Zürich aus; mit einigem Respektabstand folgen die Gemeinden<br />

Zumikon, Rüschlikon, Zollikon, Erlenbach und Herrliberg.<br />

Schule<br />

Vo/ks- und Berufswah/schu/e<br />

Mit Beginn des neuen Schuljahres am 16. August 2004 tritt an der Berufswahlschule (BWS) Ulrich<br />

Walther die Nachfolge von Martin Hübner an.<br />

Unter dem Kürzel Kick (Kinderclub <strong>Küsnacht</strong>) bietet die Schule ab Beginn des Schuljahres 2004/05<br />

75 Kindern aus den Quartieren Heslibach und Wiltiswacht (Kindergarten und 1.-6. Klasse) im Rahmen<br />

der freiwilligen Tagesschule ein vollwertiges Mittagsangebot. Die Kosten des Angebots (15 bis 55 Franken<br />

pro Tag) werden zu einem Drittel von den Eltern, zu zwei Dritteln vom Steuerzahler getragen.<br />

Die Stimmberechtigten der Gemeinde stimmen am 25. Oktober der revidierten Dienst- und Besoldungsverordnung,<br />

der Einrichtung einer Chefhauswartsteile und der Sanierung des Schulhauses Limberg zu.<br />

Die Schulgemeinde bewilligt trotz ablehnender Stellungnahme der Rechnungsprüfungskommission<br />

19,3 Millionen <strong>für</strong> Sanierung und Neubau der Schulanlage Heslibach.<br />

An der Schulgemeinde vom 21. März <strong>2005</strong> geben die Stimmberechtigten der Einführung geleiteter<br />

Schulen grünes Licht.<br />

Der Bildungsrat des Kantons Zürich beschliesst die ausschliessliche Verwendung der deutschen<br />

Standardsprache auf allen Stufen und in allen Fächern der Zürcher Schulen.<br />

Vor den Frühlingsferien kehren Lehrer und Schüler der Oberstufe nach zweijährigem «Exil" in den<br />

Containern beim Erb-Schulhaus ins erweiterte und renovierte Oberstufenzentrum zurück.<br />

Kurz vor Ende des Schuljahres haben die Schüler der Oberstufe in einer speziellen Kurswoche Gelegenheit,<br />

sich einem selbstgewählten Thema zu widmen: Arbeiten auf einem toskanischen Bauernhof,<br />

Zoopraktikum, Basketballtraining, Renovation einer Glarner Alphütte usw.<br />

Kantonsschu/e<br />

Seit August 2004 führt die Kantonsschule im Rahmen eines Pilotversuchs eine Unterstufenklasse<br />

der gymnasialen Abteilung zweisprachig: Die Schülerinnen und Schüler haben Gelegenheit, während<br />

der Durchführung des Projekts in die zweite Unterrichtssprache Englisch einzutauchen, daher der<br />

Name lmmersions-t-Eintauch-sjuntenicht.<br />

Die alljährliche, ungewöhnliche physische und psychische Anforderungen stellende Alpenüberquerung<br />

zu Fuss, helvetisch-rätoromanisch Tschalps da las Alps genannt, wird im Oktober bereits zum<br />

zehnten Mal durchgeführt. Das Projekt soll <strong>2005</strong> auch <strong>für</strong> Erwachsene von ausserhalb der Kantonsschule<br />

angeboten werden.<br />

96


Der Mammutbaum bei der reformierten Kirche,<br />

Wahrzeichen des <strong>Küsnacht</strong>er Dorfkerns, darf unter<br />

fachmännischer Beobachtung und bei liebevoller<br />

Pflege weiter/eben. A/fred Egli<br />

In seiner Sitzung vom 7. Februar stimmt der Kantonsrat mit 151 zu 0 Stimmen dem 13-Millionen-<br />

Neubauprojekt «Drlttwood» <strong>für</strong> die Kantonsschule <strong>Küsnacht</strong> zu. Nicht weniger als vier <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Gruppierungen haben sich gegen die Realisierung des ihrer Ansicht nach wenig einfallsreichen und<br />

monoton wirkenden, an eine imaginäre -Rebrnauer- gemahnen sollenden Planvorhabens ausgesprochen<br />

mit Einwänden, die teilweise auch in der - viel zu spät erfolgten - öffentlichen Informationsveranstaltung<br />

vom 13.April nicht auszuräumen sind.<br />

Unter der Leitung von Enrico Zoppelli führen die ersten Klassen den traditionellen «Klassentaq»<br />

durch, an dem sich ihnen Gelegenheit bietet, sich auszutauschen und darüber nachzudenken, was es<br />

braucht, damit sich alle Schüler in der Klasse wohl fühlen.<br />

Kirchliches<br />

Leben<br />

Reformierte Kirche<br />

Nach dem Wegzug von Pfarrer Rolf Zaugg übernimmt der 60jährige, aus den USA stammende<br />

Pfarrer Jack Edmund Brush als Vikar die verwaiste Pfarrstelle im Goldbach.<br />

Die reformierte Kirche <strong>Küsnacht</strong> verschläft am Sonntag, 18. August, den 500. Geburtstag Heinrich<br />

Bullingers, des genialen Retters der zürcherischen Reformation und Nachfolgers von Ulrich Zwingli.<br />

Wie schon seit 1997 bereichern die sympathischen Mitglieder des dänischen Ensembles «Opera<br />

sacra- auch dieses Jahr, nota bene <strong>für</strong> Gotteslohn, den Sonntagsgottesdienst vom 3. Oktober mit ihren<br />

musikalischen Beiträgen.<br />

Das dritte, vom reformierten Pfarrer Andrea Marco Bianca moderierte Benefizkonzert «Adventschurch»<br />

im Pfarreizentrum St. Georg löst am 19. Dezember unter den jugendlichen Besuchern grosse<br />

Begeisterung aus. Der Reinerlös des Anlasses kommt Kindern in der Zürcher Langstrasse zugute.<br />

Der vom Kirchlichen Regionalverband Meilen (KRM) getragenen Katechetischen Mediothek wird auf<br />

Ende Februar 2004 von der Kirchenpflege das während dreissig Jahren gewährte Gastrecht im plötzlich<br />

97


zu klein gewordenen reformierten Kirchgemeindehaus Dorf überraschend aufgekündigt. So müssen die<br />

gesamten, vorwiegend dem religiösen Unterricht dienenden Bestände notgedrungen andernorts eingelagert<br />

werden.<br />

Gegen ihre der Öffentlichkeit vorenthaltene Absicht, im Jahr <strong>2005</strong> den kränkelnden Mammutbaum<br />

zu fällen, muss sich die Kirchenpflege nach Bekanntwerden des Plans harsche Kritik gefallen lassen.<br />

Das vom Verschönerungsverein bei einem erfahrenen Mykologen in Auftrag gegebene Gutachten über<br />

den Gesundheitszustand der Sequoia erbringt den Nachweis, dass der Baum zwar vom Hallimaschpilz<br />

(Armillaria mellea) befallen und geschädigt ist, eine überstürzte Fällung sich jedoch keineswegs aufdrängt.<br />

Für Juli <strong>2005</strong> ist eine neuerliche Beurteilung des Baumes durch den Fachmann vorgesehen.<br />

In einem Wahlfachkurs setzen sich <strong>Küsnacht</strong>er Konfirmanden beiderlei Geschlechts unter der Leitung<br />

von Pfarrer Jack Brush mit dem Phänomen Gewalt auseinander, wobei auch eine pfarrherrliche<br />

Einführung in die Kunst des Wado, einer Art von japanischem Karate, nicht fehlt.<br />

In den Frühlingsferien bricht eine Gruppe wanderfreudiger Gemeindeglieder unter Leitung der Vikarin<br />

Alke de Groot auf, um in Frankreich eine längere Etappe des berühmten Jakobsweges von Le Puy<br />

nach Conques unter die Füsse zu nehmen.<br />

Das Wochenende des 21./22. Mai steht mit Hausbesichtigungen, Konzerten, einem sonntäglichen<br />

Festgottesdienst und einem gemeinsamen Mittagessen ganz im Zeichen der Wiedereröffnung des von<br />

den Architekten Matthias Hubacher und Erhart Peier mit einem Kostenaufwand von rund vier Millionen<br />

renovierten Kirchgemeindehauses.<br />

Im Juni <strong>2005</strong> kann Brigitte Crummenerl ihr 25-Jahr-Dienstjubiläum feiern. Die aus dem westfälischen<br />

Sauerland stammende, durch ihre Operngottesdienste berühmt gewordene Theologin ist 1980<br />

als erste Pfarrerin am Zürichsee ins damalige Pfarrerteam gewählt worden.<br />

In der Sitzung der Kirchenpflege vom 20. Juni gibt Kirchenpflegepräsident Kurt Berchtold - wie es<br />

heisst aus persönlichen Gründen - überraschend seinen sofortigen Rücktritt bekannt.<br />

Römisch-katholische Pfarrei <strong>Küsnacht</strong>-Erlenbach<br />

Am 3. Juli findet die traditionelle Dekanats-Wallfahrt mit Wallfahrtsgottesdienst unter Mitwirkung<br />

der Kantorei St. Georg statt.<br />

Im Juli 2004 finden, durch Pfarrer Wolf feierlich zelebriert, Einsegnung und Schlüsselübergabe des<br />

vom Architektenteam Greco & Partner erneuerten Pfarrhauses statt.<br />

Im Gottesdienst des 19. Septembers, des eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettages, singt die<br />

Kantorei St. Georg die «Messe breve aux chapelles .. <strong>für</strong> Chor und Orgel von Charles Gounod.<br />

Die Zahl der Mitglieder der Kirchenpflege soll nach einem Beschluss der Kirchgemeinde ab 2006<br />

von neun auf sieben reduziert werden.<br />

Am Abend des 30. Dezembers spielt Andreas Gut auf der Orgel «Heiteres, Verrücktes und Festliches<br />

zum Jahresende ».<br />

In der Passionszeit werden unter der Leitung von Andreas Gut drei Konzerte der durch Zuzüger<br />

verstärkten Kantorei St. Georg, begleitet vom Philharmonischen Orchester Budweis (Tschechien), aufgeführt.<br />

Zu Gehör gelangen Joseph Haydns «Stabat Mater » und Mozarts Grabmusik KV 42.<br />

Kulturelles<br />

Konzerte<br />

Am 2. Juli 2004 konzertiert das Ensemble Ars Amata mit Werken von Mozart, Roussel und Dohnanyi<br />

im Park und im Gewölbekeller des Hauses Wangensbach.<br />

Die Jürgen-Kantorei unter der Leitung von Martin Huggel bringt am 24. Oktober in der reformierten<br />

Kirche die wenig bekannte Messe in d-Moll des Dichters, Zeichners und Komponisten Ernst Theodor<br />

98


Amadeus Hoffmann (1776-1822) zu Gehör. Rezitationen und Kopien von Bildern und Zeichnungen<br />

dokumentieren darüber hinaus die Universalität des Künstlers.<br />

Am 6. und 7. November hat das aus Bläsern verschiedener Ensembles des Bezirks Meilen zusammengesetzte<br />

-Blasorchester Bezirk Meilen» unter der Leitung von Christian Meier im katholischen<br />

Pfarreizentrum SI. Georg seinen ersten, vielbeachteten Auftritt mit Kompositionen von Mendelssohn,<br />

Verdi, Holst und Bernstein.<br />

Das von den vier Musikerinnen Isabel Schau, Brigitta Barandun, Astrid Leuthold und Camilla Flessner<br />

gebildete Streichquartett A la Q'Art interpretiert am 14. November im Festsaal des «Seehots»<br />

Werke von Copland, Mozart und Schubert.<br />

Die Harmonie Eintracht unter Martin Schiess begeistert am 21. November in der reformierten Kirche<br />

die Zuhörerschaft mit einem abwechslungsreichen und schmissigen Programm.<br />

Am 28. November führt der evangelische Kirchenchor unter der Leitung von Jürg Tobler in der<br />

reformierten Kirche die sängerisch anspruchsvolle Messe in A-Dur des französischen Komponisten<br />

Cesar Franck auf.<br />

Am selben Wochenende führt das Kammerorchester <strong>Küsnacht</strong>-Männedorf unter Christof Hanimanns<br />

Stabführung mit dem Blockflötensolisten Martin Jung Kompositionen von Telemann und<br />

Sammartini auf samt einer Uraufführung des von Jung und dem Gitarristen Thorsten Bendzko geschaffenen<br />

Werks «Gebrochene Stille».<br />

Kurz vor Weihnachten lädt das Vokalensemble der Jürgen-Kantorei <strong>Küsnacht</strong> unter Martin Huggel<br />

zu einem Konzert mit Werken von Hugo Distier, J. Ch. Bach und J. S. Bach, ergänzt durch eine<br />

Klaviersonate von W. F.Bach und eine Violinsonate des jungen Mozart (Solisten: Maja Wenger, Martin<br />

Huggel).<br />

Der vielseitige <strong>Küsnacht</strong>er Komponist Martin Wettstein bringt im Januar <strong>2005</strong> in Zürich sein fünfsätziges<br />

Klaviertrio -Fllessendes Licht», in der Kirche Neumünster die Uraufführung seines Orchesterwerks<br />

«Ikarus- und im Pfarreizentrum SI. Georg neben Werken von Beethoven sein Werk «Schwarzes<br />

Feuer» und «Nuit d'arnour- zur Aufführung.<br />

Das Trio Nina Höhn, Alain Schudel und Christian Hediger beschert am 16. Januar einem zahlreich<br />

erschienenen Publikum im <strong>Küsnacht</strong>er «Seehof» ein eindrückliches Konzert mit Werken von Paul Juon,<br />

Michael Glinka und Alexander von Zemlinsky.<br />

Unter dem Motto «Von Leipzig nach Rio de Janeiro und retour» glänzt das Vokalensemble der Jürgen-Kantorei<br />

am 6. Februar mit Kompositionen von Mendelssohn, Villa-Lobos und J. S. Bach; auf der<br />

Orgel interpretiert Martin Huggel Bachs Präludium und Fuge in e-Moll.<br />

Im Karfreitagsgottesdienst (18. März) vermittelt der evangelische Kirchenchor zusammen mit vier<br />

Gesangssolisten unter der Leitung von Jürg Tobler Cesar Francks ergreifende Passionsmusik «Die sieben<br />

letzten Worte Jesu am Kreuz».<br />

Am Karfreitagabend bringt die Jürgen-Kantorei zusammen mit vier ausgezeichneten Vokalsolisten<br />

in der vollbesetzten Kirche Georg Philipp Telemanns Matthäus-Passion von 1758 zur Aufführung.<br />

Am 3. April verwöhnt das (vokal-j-Trio Opera» im überfüllten Festsaal des «Seehofs» sein Publikum<br />

mit musikalischen Rosinen von Mozart, Offenbach, Johann Strauss, Franz Lehar und anderen Komponisten.<br />

Vierzehn Tage später präsentieren die beiden Pianisten Susanne Huber und Andre Thomet im<br />

«Seehof» ein abwechslungsreiches Konzertprogramm mit Kompositionen von Franz Schubert, György<br />

Kurtag und Igor Strawinsky.<br />

Das berühmte Trio Tschopp, bestehend aus den Schwestern Mirjam, Isabel und Sibylle Tschopp,<br />

musiziert am 4. Juni im reformierten Kirchgemeindehaus zugunsten der heilpädagogischen Johannesschule.<br />

Die jungen Musikerinnen bringen Werke von W. A. Mozart, Philipp Scharwenka, Moritz Moskowski,<br />

Caspar Diethelm und Martin Kennedy zu Gehör.<br />

99


--_ •..." " _ _---<br />

Oie seit vielen Jahren in <strong>Küsnacht</strong> wohnhafte Schauspielerin<br />

Heddy Maria Wettstein erhält den <strong>Küsnacht</strong>er<br />

Kulturpreis.<br />

Literatur, Theater, Ausstellungen, Diverses<br />

Am 3. Juli 2004 lädt der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> zu Ehren des Staatsdenkers Ludwig Snell (1785-<br />

1854) zu einem Vortragsabend ein mit Referaten von Winfried Schüler und Stefan G. Schmid. (Siehe<br />

auch S. 67ft.)<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> <strong>Küsnacht</strong> veranstaltet am 27. August mit einem Referat von Alfred<br />

Egli im Festsaal des «Seehofs» eine Gedenkfeier <strong>für</strong> den am 18. August 1504 geborenen Reformator<br />

Heinrich Bullinger.<br />

Das Ortsmuseum <strong>Küsnacht</strong> unter Christoph Schweiss vermittelt im September/Oktober einen ausführlichen<br />

Querschnitt durch die Kunst des (weiblichen) Haar- und Körperschmucks.<br />

Seit zwölf Jahren ist die gebürtige <strong>Küsnacht</strong>erin Erica Gubler Besitzerin und Leiterin der Galerie<br />

Frankengasse. In ihrer 127. (!) Ausstellung zeigt sie Werke von Marianne Spälty (<strong>Küsnacht</strong>) und Bruno<br />

Erhardt (Meilen).<br />

Im überfüllten Festsaal des -Seehofs- bietet der Schweizer Schriftsteller Martin Suter, von Urs Frauehiger<br />

in einen humorvollen Dialog verwickelt, auf Einladung der Gemeindebibliothek dem zahlreich anwesenden<br />

Publikum exquisite Unterhaltung in Form von Ausschnitten aus seinem literarischen Werk.<br />

Einer bewährten Tradition folgend, versammelt das Höchhus-Bibliotheksteam am 4. November ein<br />

interessiertes und aufmerksam folgendes Publikum zu seiner spannenden Büchervorstellung.<br />

Am 16. November läutet das Ortsmuseum seine traditionelle Weihnachtsausstellung ein.<br />

Die seit 25 Jahren in <strong>Küsnacht</strong> wohnhafte renommierte Theaterschaftende Heddy Maria Wettstein<br />

erhält am 28. Januar im katholischen Pfarreizentrum SI. Georg den verdienten Kulturpreis der Gemeinde.<br />

Vor der Preisverleihung wird Herbert Meiers neues Stück «Morgen vor fünf Jahren", in dem die<br />

Künstlerin selber eine herausragende Rolle spielt, uraufgeführt.<br />

Das Ortsmuseum-Team stellt erneut eine Schau der Schenkungen des vergangenen Jahres, liebenswerte<br />

Gegenstände aus vergangenen Zeiten, zusammen.<br />

100


Im Rahmen der Reihe -Prorninententisch» begrüsst der <strong>Verein</strong> «Wohnliches <strong>Küsnacht</strong>» am 30. Januar<br />

in der -Chrotteqrotte- die Juristin Ellen Ringier und den Buchproduzenten Otto Dörries.<br />

Höhepunkt des traditionellen Chränzlis des Männerchors Berg am 5. Februar ist die Aufführung des<br />

Lustspiels «Oe 75. Geburtstag».<br />

Der bekannte Künstler Bryan Cyril Thurston stellt im Höchhus ab dem 26. Februar seine Radierungen,<br />

Collagen und Stahlkonstruktionen<br />

aus.<br />

Die aus Istanbul stammende Sema Geyran gestaltet in ihrem <strong>Küsnacht</strong>er Atelier aus Keramik charakteristische<br />

und «besondere» Schweizer Häuser, deren Originale teilweise im Freilichtmuseum Ballenberg<br />

zu sehen sind.<br />

Am 1.April veranstaltet der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong><br />

im Festsaal des «Seehots- eine Gedenkfeier<br />

<strong>für</strong> den vergessenen <strong>Küsnacht</strong>er Dichter und Journalisten Johann Jakob Reithard (1805-1857),<br />

anderem Schöpfer der Ballade «Die Linde zu Frsiburq» (vergleiche S. 76ff.).<br />

Der <strong>Küsnacht</strong>er Marktverein organisiert vor Ostern erstmals einen Ostermarkt und lockt in der<br />

Hesli-Halle ein interessiertes Publikum an.<br />

Die am 31. März eröffnete Temporärausstellung im Ortsmuseum vermittelt einen Überblick über<br />

«<strong>Küsnacht</strong>er Geschichte und Geschichten». In den Mittelpunkt gerückt sind das Wirken und die Sammeltätigkeit<br />

des an <strong>Küsnacht</strong> interessierten Sekundarlehrers Armin Eckinger (1890-1955).<br />

Die Theatertruppe «Kulisse» brilliert im April unter der Regie von Renate Muggli mit den Aufführungen<br />

von Friedrich Dürrenmatts Stück «Der Besuch der alten Dame» mit Jutta Gütermann und Hanspeter<br />

Fehr in den Hauptrollen.<br />

In der Gemeindebibliothek laden die Bibliothekarinnen im April am Welttag des Buches (23. April)<br />

zu Kaffee und Gipfeli und präsentieren die Neuerscheinungen des Frühlings <strong>2005</strong>.<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong><br />

unter<br />

veranstaltet am Morgen des Muttertages <strong>für</strong> seine Mitglieder einen<br />

gut besuchten historischen Rundgang durch das Quartier Untergoldbach.<br />

In der Galerie Höchhus findet am 12. Mai die Vernissage der Ausstellung von Magda Schneider Kiszion<br />

(Aquarelle, Ölbilder) und Elwira Weber-Schnyder (Schmuck) statt.<br />

Am 22. Juni jährt sich der Geburtstag des italienischen Revolutionärs Giuseppe Mazzini (1805-<br />

1870) zum 200. Mal. Zwei Tage zuvor erinnert der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> im Gewölbekeller des<br />

«Wangensbachs» mit einem Referat von Dr.Alfred Cattani an den berühmten Visionär, der sich 1854 in<br />

diesem Haus sechs Wochen lang versteckt hielt.<br />

<strong>Verein</strong>e<br />

Die Feuerwehr <strong>Küsnacht</strong> verfügt über beste Gerätschaften, ein gut geschultes Kader und einsatzwilliges<br />

«Fussvolk»: Dies ist das Fazit einer gemeinsamen Hauptübung von Feuerwehr und Seerettern.<br />

Die Verantwortlichen des <strong>Küsnacht</strong>er -Frauezrnorqe- beschliessen, ihre seit 1989 erfolgreich<br />

durchgeführten Aktivitäten, die leider in den letzten Jahren zuwenig Echo fanden, auf Ende November<br />

einzustellen.<br />

Auf Initiative von Susanne Hafner in Kaltenstein, die den Frauenverein Berg mit dessen Präsidentin<br />

Annemarie Voegeli von ihrer Idee überzeugen konnte, leuchten in der Vorweihnachtszeit 2004 vom<br />

1. bis zum 24. Dezember zum erstenmal 24 Adventsfenster.<br />

Am 15.Januar <strong>2005</strong> feiert der am 24. Dezember 1904 aus der Taufe gehobene Sängerbund <strong>Küsnacht</strong><br />

in der Hesli-Halle vor 270 geladenen Gästen sein mit Liedervorträgen gewürztes 100jähriges Bestehen.<br />

Eine besondere Ehrung wird dem auf 58 Jahre Aktivmitgliedschaft zurückblickenden Eugen Jegge zuteil.<br />

Nach zehnjährigem erfolgreichem Wirken als Präsidentin übergibt Sabine Joller das Zepter des Gemeinnützigen<br />

Frauenvereins an ihre Nachfolgerin Kristine Scheiwiller.<br />

Der Präsident des Hauseigentümervereins <strong>Küsnacht</strong> und Umgebung, Hugo Rhiner, wird nach<br />

15jähriger Tätigkeit von Markus Dudler abgelöst.<br />

101


-Wir singen ein Lied, das Freude macht». Dieses vom <strong>Küsnacht</strong>er Lehrer Jo Boesch gedichtete und komponierte Lied<br />

sang anlässlich seines 1GG-Jahr-Jubiläums der Sängerbund gemeinsam mit vier Gastehören in der Hesli-Halle.<br />

Reto Schneider<br />

Die 17. Mitgliederversammlung des <strong>Verein</strong>s «Artischock» beschliesst eine Namensänderung; der<br />

<strong>Verein</strong> heisst fortan «Artlschock. <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> Kunstschaffende und Kunstinteressierte». Als Nachfolgerin<br />

der bisherigen Präsidentin Bettina Stahel wird Vreni Stüber gewählt.<br />

Die Freizeitanlage Heslibach mit Holzraum, Metallecke, graphisch-künstlerischem Bereich, Photolabor<br />

und Modelleisenbahn unter Leitung von Felix Peter und Nadine Caplunik kann heuer ihr vierzigjähriges<br />

Bestehen feiern.<br />

In der Galerie Höchhus zeigt der <strong>Verein</strong> -Artischock- im Juni eine abwechslungsreiche Ausstellung<br />

zum Thema «Luft».<br />

Die Genossenschaft Solarenergie vollendet Anfang Juni auf dem Dach des Kusenbades die zweite<br />

Etappe der Solaranlage.<br />

Geschäftliches<br />

An ihrer Generalversammlung kann die Klinik St. Raphael das beste Jahresergebnis ihrer Geschichte<br />

- 477000 Franken Gewinn im Jahr 2003 - präsentieren.<br />

Monika und Christian Steinmetz übernehmen im Herbst 2004 als Pächter die Führung der Gaststube<br />

«Weinberg» an der Alten Landstrasse 148.<br />

-Malabar Garden» heisst das von Tomy Viruthiyel neu übernommene indische Restaurant an der<br />

Hörnlistrasse (ehemals Haus «Erle»].<br />

Wie jedes Jahr lädt Ruth Hengärtner vom Chnäuel-Schopf zu ihrer Maschenmode-Ausstellung an<br />

der Oberen Dorfstrasse 31.<br />

Die Clientis Sparkasse <strong>Küsnacht</strong> unter Leitung von Dr. Reto Wyser zieht nach langer Umbauzeit<br />

und entsprechender Verlegung in ein Container-Provisorium ins bisherige Domizil zurück und öffnet<br />

dort nach einem Tag der offenen Türen (9. Oktober) am 11.Oktober die Schalter.<br />

Die -Clnesta Immobilien», traditionsreicher <strong>Küsnacht</strong>er Immobilienspezialist, feiert im November<br />

2004 das 60jährige Bestehen.<br />

Das eingesessene Comestibles-Geschäft Oggenfuss mit Gourmet-Paradies und Vino Oggenfuss an<br />

der Oberwachtstrasse melden am 10. November Konkurs an und eröffnen einen Liquidationsverkauf.<br />

An der Gartenstrasse 19 eröffnet Juwelenfasser Bruno Künzli Anfang November sein eigenes Atelier.<br />

102


Reinhard Wolf verkauft seine be-<br />

Die Tageder langjährigen Baracken-Idylle sind angesichts des projektierten<br />

kannte Buchhandlung an Ursula Bieri. Neubaus gezählt. Alfred Egli<br />

Die UBS <strong>Küsnacht</strong> eröffnet am 15. Januar <strong>2005</strong> ihren neuen Geschäftssitz an der Zürichstrasse<br />

141 mit einem Tag der offenen Tür.<br />

Am Sternenweg wird im Dezember 2004 von Nathalie und Walter Wechsler die neue Weinhandlung<br />

«Unicovino» eröffnet.<br />

Im denkmalgeschützten Haus an der Unteren Heslibachstrasse 11 kann Otto Eisenberg mit berechtigtem<br />

Stolz auf 25 Jahre Blumengeschäft Eisenberg zurückblicken.<br />

Antonio Moreiro eröffnet am 24. Februar in den früheren Räumen von Oggenfuss-Comestibles an<br />

der Oberwachtstrasse sein Gourmet-House.<br />

Nach der Liquidation ihres Comestibles-Geschäfts im Dorf eröffnen Suzanne und Jürg Oggenfuss<br />

im -Heslipark» Anfang Mai eine Vinothek mit 170 Weinen.<br />

Im Juni verkauft Reinhard Wolf die bekannte Buchhandlung Wolf AG an der Zürichstrasse an die<br />

langjährige bewährte Leiterin Ursula Bieri.<br />

DieTagedes seit Jahren kriselnden Hotels Ermitageim Kusen sind gezählt: DessenVerwaltungsratkündigt<br />

die Schliessung auf Ende September <strong>2005</strong> an. Das Hotel wird dem Vernehmen nach einem Neubau weichen.<br />

Verschiedenes<br />

Niemand anders als die <strong>Küsnacht</strong>erin Karin Fanger Schiesser, Chefin des Ateliers Graphie Design,<br />

hat die Olympiamarken geschaffen, die im Vorfeld der 28. Olympischen Sommerspiele 2004 bereits<br />

Anfang Mai erschienen sind.<br />

Am 15. Mai geht das traditionelle Kinderfest und das Openair unter der Federführung des Gewerbevereins<br />

und in Zusammenarbeit mit der Freizeitanlage Sunemetzg über die Bühne; der Reingewinn von<br />

14000 Franken wird der Kinderschutzgruppe und der Opferberatungsstelle des Kinderspitals überreicht.<br />

Der Regierungsrat ernennt den <strong>Küsnacht</strong>er Dr. iur. Christian Zünd auf den 1. November zum Generalsekretär<br />

der Direktionen der Justiz und des Innern.<br />

Anfang Oktober organisiert der Braunviehzuchtverein Berg <strong>Küsnacht</strong> die traditionelle Viehschau<br />

auf der Forch. Dabei erweist sich, dass die schönste Kuh im Stall des Landwirts Fritz Fenner steht.<br />

Unter der Leitung von Marianne und Benno Lüthi stehen zahlreiche <strong>Küsnacht</strong>er Freiwillige <strong>für</strong> die<br />

Sache des Amphibienschutzes am Rumensee und am Schübelweiher im Einsatz.<br />

103


Anfang März taucht der Zumiker Lichtkünstler Gerry Hofstetter den hinteren grossen vereisten Wasserfall in mancherlei<br />

roman tisch-pa trio tisch-märchenhafte Illuminationen.<br />

Das seit vielen Jahren im "See hof» domizilierte C. G.-Jung-Institut befindet sich in einer tiefen<br />

Krise. Unmittelbare Folge davon ist eine Abspaltung: Ende Oktober gründet ein Teil der Analytikerschaft<br />

in Zürich das Internationale Seminar <strong>für</strong> analytische Psychologie (ISAP).<br />

Die Helvetas <strong>Küsnacht</strong>-Erlenbach unter Leitung von Viktor Hermann lädt am 8. März zu ihrem einfallsreichen<br />

50-Jahr-Jubiläum im katholischen Pfarreizentrum St. Georg und veranstaltet dabei nebst<br />

einem schmackhaften Reis-Essen einen spannenden <strong>Küsnacht</strong>er Brunnenwettbewerb.<br />

Am Abend des 11. März erstrahlt der vereiste grosse Wasserfall im hinteren Tobel während neunzig<br />

Minuten in bezaubernden Farben und originellen Motiven - eine gekonnte Inszenierung des Zumiker<br />

Lichtkünstlers Gerry Hofstetter.<br />

An den Special Olympics in Nagana (Japan) gewinnen zwei Bewohnerinnen des Barbara-Keller-<br />

Heims, Martina Marxer und Stephanie Ritter, zwei Silber- und drei Bronzemedaillen.<br />

Der <strong>Küsnacht</strong>er Unternehmer, Hochseesegler, Ruderer, Zauberer, Brigade-Adjutant und Verseschmied<br />

Rudolf H. Fürrer kann am 7. April <strong>2005</strong> in perfekter Frische seinen 90. Geburtstag feiern.<br />

Der Gemeinderat von Zollikon verleiht dem <strong>Küsnacht</strong>er Schriftsteller Jürg Acklin am 29. Mai <strong>2005</strong><br />

den Zolliker Kunstpreis.<br />

Am 18.Juni feiert Hans Gattiker, diplomierter Architekt ETH, langjähriger Geschäftsführer beim Schweizerischen<br />

Heimatschutz, ehemaliger Präsident des Schützenvereins, Organisator des Dorffests 1972 und<br />

engagierter, furchtloser Kämpfer <strong>für</strong> ideelle Werte und das Gemeinwohl, seinen 70. Geburtstag.<br />

Alfred Egli<br />

104


Nachrufe<br />

1. Juli 2004 bis 30. Juni <strong>2005</strong><br />

Erika Voss-Oettli<br />

Zusammen mit zwei Geschwistern erlebte Erika Voss-Oettli im Weinbauerndorf Stäfa eine<br />

fröhliche Kindheit und Schulzeit, die sie mit Humor zu schildern pflegte. An der Handelsschule<br />

in Zürich erlangte sie das Handelsdiplom, hegte jedoch den Wunsch, sich in einem sozialen<br />

Beruf weiterzubilden, was leider durch den frühen Tod ihres Vaters, eines Architekten, verunmöglicht<br />

wurde. So arbeitete sie zunächst als kaufmännische Angestellte, bis sie zur NZZ-<br />

Direktionssekretärin berufen wurde. Ein kurzer Augenkontakt im Zug nach Zürich - es gibt sie,<br />

die Liebe auf den ersten Blick! - führte 1952 zur Heirat mit dem jungen Pfarrer Eugen Voss aus<br />

<strong>Küsnacht</strong>, der kurz darauf eine Stelle in Erlinsbach (AG/SO) antrat. Eine sich glücklich ergänzende<br />

Partnerschaft nahm in dieser Diasporagemeinde ihren Anfang und wurde nach<br />

sechs Jahren in St. Moritz fortgeführt. Dort kamen die vier Kinder, drei Töchter und ein Sohn,<br />

zur Welt. Die Familie bedeutete Erika Voss alles. Aber auch Rat- oder Trostsuchende fanden<br />

bei der gastfreundlichen Pfarrfrau stets ein mütterliches Herz. Als ihr Gatte 1972 das Institut<br />

«Glaube in der 2. Welt» gründete, zögerte sie nicht, mit ihm das Risiko eines völligen Neubeginns<br />

in <strong>Küsnacht</strong> einzugehen. Von Anfang an erwies sie sich wiederum als ideale Mitarbeiterin:<br />

Sie korrigierte nicht nur ehrenamtlich alle Texte der Monatszeitschrift G2W, sondern baute<br />

im Verlaufe von zehn Jahren eine Osthilfe auf mit insgesamt 3500 Partnerschaften, die Familien<br />

in äusserster Armut unterstützte. «Matuschka» (Mutter Erika), so hiess sie in den unzähligen<br />

aus dem Osten eintreffenden Dankbriefen, hat <strong>für</strong> viele gesorgt, <strong>für</strong> viele selbstlos gelebt.<br />

Erwin Kuen<br />

Nach einer kaufmännischen Lehre holte sich der angehende Pädagoge Erwin Kuen am<br />

Seminar <strong>Küsnacht</strong> das Rüstzeug <strong>für</strong> seine künftige Laufbahn. Eine Verweserei in <strong>Küsnacht</strong><br />

bildete den Auftakt zu seiner Wahl an die hiesige Primarschule im Frühling 1939. Während<br />

des Zweiten Weltkriegs leistete der Funkergefreite Kuen 934 Tage Aktivdienst. Für seine<br />

Hochzeit mit der Wädenswiler Bauerntochter Rosalie Bollier im Herbst 1943 bekam er ganze<br />

zwei Tage Urlaub. Als Mitglied der im ersten Nachkriegsjahr gegründeten Genossenschaft<br />

«Eigenheim» war es dem jungen Familienvater vergönnt, am Rebweg ein hübsches eigenes<br />

Wohnhaus zu bauen, das bereits im Mai 1947 zur heimeligen Wohnstätte der wachsenden<br />

Familie wurde. Erwin Kuen war Lehrer mit Leib und Seele. Davon zeugen sein Unterricht an<br />

der gewerbliChen Berufsschule <strong>Küsnacht</strong>-Erlenbach,<br />

seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied<br />

seine Abendkurse in Fremdsprachen,<br />

und Präsident des Schulkapitels Meilen und sein Wirken<br />

als Praxislehrer des Zürcher Oberseminars. Neben der pädagogischen Tätigkeit kam<br />

Kuens poetische Ader nicht zu kurz. In seinem letzten halben Amtsjahr schuf Erwin Kuen<br />

das heimatkundliche Lehrmittel «Unser Kusnacht». Mit zwei Preisen <strong>für</strong> seine Erzählkunst<br />

dominierte der rüstige Siebziger 1988 den literarischen Wettbewerb -<strong>Küsnacht</strong> 800»; dies<br />

war der Ausgangspunkt <strong>für</strong> seine erfolgreichen -Kusnachter Novellen». Einen gewichtigen<br />

Beitrag leistete er im Buch -Kusnacht im 20. Jahrhundert». Es folgten die Publikationen<br />

105


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•..•...~."""""""""""""" .•.,, _.."""""" _"",.•"".."""""""""" ..•""..,._--,."._ _,..,---<br />

Erika Voss-Oettli<br />

Hausfrau<br />

geb. 13. September 1926<br />

gest. 21. Juli 2004<br />

Erwin Kuen<br />

Lehrer<br />

geb. 6. April 1914<br />

gest. 31. Juli 2004<br />

Monika Buchmann-Helbling<br />

Künstlerin<br />

geb. 20. September 1925<br />

gest. 13. Oktober 2004<br />

"Zwei Führungen durch den <strong>Küsnacht</strong>er Dortkern- sowie der "Rundgang durch Unter- und<br />

Oberqoldbach», Aufgrund gründlicher Quellenstudien gelangen dem Wahlküsnachter bis ins<br />

90. Altersjahr viele wertvolle Beiträge in den -<strong>Küsnacht</strong>or Jahrhetten-. Daneben führte Erwin<br />

Kuen immer wieder interessierte Mitbürger durch geschichtsträchtige Quartiere der Gemeinde.<br />

Als er schliesslich in gründlicher Archivarbeit seine eigene Familiengeschichte erforschte,<br />

machte der vormalige Franzose die überraschende Entdeckung, dass seine Elsässer<br />

Vorfahren sich als im 17. Jahrhundert ausgewanderte Aargauer Bürger aus dem Freiamt<br />

entpuppten, - Leid und Enttäuschungen blieben Erwin Kuen nicht erspart. Am schwersten<br />

und tiefsten haben ihn der Tod des Bübleins Werni, das frühe Sterben seines Sohnes<br />

Karl und der Hinschied seiner Frau im Jahr 2000 getroffen. Im Alter von neunzig Jahren ist<br />

Erwin Kuen nach längerem Leiden am letzten Julitag 2004 gestorben. Mit ihm hat <strong>Küsnacht</strong><br />

eine überaus liebenswürdige, humorvolle, eigenständige, geachtete, mit aussergewöhnlieher<br />

Schaffenskraft gesegnete Lehrerpersönlichkeit verloren.<br />

Monika Buchmann-Helbling<br />

Im herbstlich leuchtenden Zuoz kam Monika Buchmann-Helbling als Tochter des damaligen<br />

Internatsleiters zur Welt. In Zürich durchlief sie die Mittelschule, um anschliessend ein<br />

Studium der Kunstgeschichte an der Universität Zürich in Angriff zu nehmen, das sie aber<br />

abbrach, als sie sich, 22jährig, mit dem Kunstmaler Mare Buchmann vermählte, Seit 1950<br />

lebten die beiden in <strong>Küsnacht</strong> und konnten ein Jahr später ihr eigenes Heim an der Weinmanngasse<br />

beziehen. Die Fürsorge <strong>für</strong> die Familie, <strong>für</strong> eine Tochter und zwei Söhne, füllte<br />

während Jahren die junge Mutter aus. In ihren Mussestunden widmete sie sich aber mehr<br />

und mehr dem Cembalostudium, schloss dieses erfolgreich mit dem Lehrdiplom ab und<br />

unterrichtete eine Zeitlang an der Volksmusikschule. Ferner veröffentlichte sie Gedichte und<br />

Glossen, die jeweils in der Wochenendausgabe der NZZ erschienen. Als ihre Kinder erwachsen<br />

waren, wurde <strong>für</strong> Monika Buchmann die Malerei immer wichtiger. Sie unternahm viele<br />

106


Paul Graf-Laghi<br />

Kaufmann<br />

geb. 18. Mai 1923<br />

gest. 31. Oktober 2004<br />

Bertha Ehrbar-Riffel<br />

Geschäftsfrau<br />

geb. 18. Mai 1911<br />

gest. 10. Dezember 2004<br />

Karl Hauser<br />

alt Schulpräsident<br />

geb. 29. Mai 1937<br />

gest. 6. Januar <strong>2005</strong><br />

Studienreisen, hielt sich in Rom, Paris, Venedig, Jugoslawien, Israel, Algerien, Tunesien,<br />

Marokko, Santorin und Sylt auf und fing den Zauber der aufgesuchten Städte und Landschaften<br />

mit Stift oder Pinsel ein. Ihre Bilder sind Kunstwerke, in denen lichtdurchflutete<br />

Heiterkeit<br />

und geheimnisvolles Dunkel in spannungsvollem Wechselspiel stehen und in denen<br />

das Poetische und das Musikalische mitschwingen. Monika Buchmann hat während der ihr<br />

in Gesundheit vergönnten Jahre ihre vielen Talente nutzen und zum Aufblühen bringen können.<br />

Ein nach allen Seiten erfülltes Leben, das viele Spuren hinterlässt, hat nach Jahren der<br />

körperlichen Behinderung im Herbst seinen stillen Abschluss gefunden.<br />

Paul Graf-Laghi<br />

Paul Graf wuchs als Sohn eines Schreiners in Speicher AR auf. Nach der Matur und einer<br />

kaufmännischen Zusatzausbildung trat er eine Stelle am Kurhaus Cademario an. Cademario<br />

sollte <strong>für</strong> ihn und später <strong>für</strong> die ganze Familie einen besonderen Stellenwert bekommen,<br />

lernte er doch hier die einheimische, am gleichen Ort arbeitende Carla Laghi kennen. Die goldene<br />

Hochzeit wurde 2002 im Kapuzinerkloster Rapperswil gefeiert, wo 50 Jahre früher die<br />

ökumenische Trauung stattgefunden hatte. Das Haus der Grosseltern im Tessin wurde nach<br />

der Wohnsitznahme des Ehepaares in <strong>Küsnacht</strong> Anfang der 50er Jahre auch <strong>für</strong> die Töchter<br />

Gabriella und Renata zur zweiten Heimat. 1953 trat Paul Graf als Kaufmann in die im Grosshandel<br />

mit Nüssen spezialisierte Firma Hochstrasser ein, die er nach Ausscheiden des Besitzers<br />

zusammen mit einem Kollegen übernehmen konnte. Die Kontrolle der Haselnüsse und<br />

Mandeln an den Herkunftsorten<br />

und an den Umladeplätzen in grossen Häfen wie Triest,<br />

Neapel, aber auch Hamburg, das Besuchen der Plantagen in Sizilien, bei Neapel, im Piemont,<br />

bei Rom und die eigenhändige Knospenzählung <strong>für</strong> die Voraussage des auch <strong>für</strong> die<br />

Verarbeiter und die Börse wichtigen Lieferergebnisses waren Aufgabe von Paul Graf. Trotz<br />

der häufigen Abwesenheiten blieb er Familienmensch, indem er sich oft von Frau und Kindern<br />

begleiten liess. Morgens um zwei Uhr pflegte er in <strong>Küsnacht</strong> loszufahren; in all den Jahren<br />

107


unfallfrei. Im Tessin half die Familie im Herbst beim Wümmet, und es blieb Zeit <strong>für</strong> Skiferien<br />

und Wanderungen in den Bergen. Auch in <strong>Küsnacht</strong> voll integriert, amtete der Verstorbene<br />

von 1970-1978 als Gemeinderat, zuständig <strong>für</strong> das Ressort Gesundheit. In der Wulponia, der<br />

Unteroffiziersgesellschaft und einem Männerchor in Zürich pflegte er die Geselligkeit.<br />

Bertha Ehrbar-Riffel<br />

Bertha Riffel wuchs in Chur auf, wo ihr Vater ein grosses Baugeschäft betrieb, das unter<br />

anderem Brücken <strong>für</strong> die Rhätische Bahn bauen konnte. Nach der obligatorischen Schulzeit<br />

besuchte sie die Töchterschule des Konstantineums. Einen Beruf im Hotelfach lehnte der<br />

Vater aber entschieden ab. Nach einem Aufenthalt in Genf fand sie eine Stelle als Kindermädchen<br />

bei Familie Egli vom gleichnamigen Reformhaus in <strong>Küsnacht</strong>. Für die Reparatur einer<br />

Scheibe wurde Schreinermeister Ernst Ehrbar aufgeboten. Die beiden jungen Leute fanden<br />

Gefallen aneinander und heirateten 1935. 1936 und 1939 wurden Doris und Annemarie geboren<br />

und acht Jahre später der Sohn Ueli. 1944 zog die Familie ins Haus von Vater Ehrbar an<br />

der Unteren Heslibachstrasse. Neben der Betreuung von Familie und Nutzgarten half die tüchtige<br />

Frau im Geschäft, der Bauschreinerei und Glaserei, mit. Es gab nur in der Wohnung ein<br />

Telefon: Bertha Ehrbar war zuständig <strong>für</strong> die ganze Disposition und die Buchhaltung. Die Bestellungen,<br />

Beschläge und Scheiben, holte sie persönlich ab. Auch die Kinder hatten mitzuhelfen:<br />

Trug der Sohn die Briefe zu den Empfängern, durfte er da<strong>für</strong> das Porto einstecken. Ausser<br />

der Ferienkolonie <strong>für</strong> die Kinder wurden nur einmal jährlich eine Woche lang Familienferien gemacht.<br />

Die Betreuung des immer hilfsbedürftigeren Schwiegervaters und später die Pflege zu<br />

Hause des an Krebs erkrankten Ehemannes waren eine grosse Herausforderung. 1965 starb<br />

Ernst Ehrbar; Bertha Ehrbar führte die Glaserei weiter, was ihr mehr und mehr Freude bereitete.<br />

Dieser Tätigkeit widmete sie sich über das Alter von 80 Jahren hinaus. Das Bild der hochgewachsenen,<br />

schlanken Frau, freundlich lächelnd das Velo schiebend, die Werkzeugkiste auf<br />

dem Gepäckträger, die Glasscheiben auf die Pedale gestellt, bleibt unvergessen.<br />

Karl Hauser<br />

Eine grosse Trauergemeinde nahm in der Kirche von Urnäsch am 12. Januar <strong>2005</strong> Abschied<br />

von Karl Hauser, der sich nach der Pensionierung in seine geliebte Appenzeller Heimat<br />

zurückgezogen hatte. Aufgrund seiner Tätigkeit und Erfahrung als Leiter einer Schule<br />

<strong>für</strong> Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderung war Hauser 1990 als<br />

Nachfolger von Anna Hotz zum Präsidenten der Schulpflege gewählt worden, in welchem<br />

Amt er dem Prinzip der Selbstverantwortung auf allen Ebenen - gleicherweise <strong>für</strong> Lehrer,<br />

Eltern, Schulpfleger und Kinder geltend - besonderes Gewicht beimass. Als Schulpräsident<br />

setzte er anspruchsvolle Massstäbe, ohne indes Menschlichkeit und Toleranz zu vergessen.<br />

Seine Kritik mochte unbequem wirken, doch war sie sachbezogen und gradlinig. In seinem<br />

Bestreben, die Schule zu verbessern, rief er die Projektgruppe «Schulentwicklunq- ins Leben,<br />

was 1998 die Einführung des Schulversuchs «Geleitete Schulen» in Itschnach ermöglichte.<br />

Einer Anregung des damaligen Gemeindepräsidenten folgend, machte sich Hauser das<br />

Anliegen zu eigen, Schulpflege und Lehrerschaft freundschaftliche Beziehungen zur tschechischen<br />

Partnerstadt Cerveny Kostelec knüpfen zu lassen, was sich als ein Unternehmen<br />

von grosser Beständigkeit und Beliebtheit erweisen sollte: Verschiedene Mitglieder von Be-<br />

108


Karl Rahm<br />

Kantonaler Beamter<br />

geb. 11. März 1912<br />

gest. 13. Januar <strong>2005</strong><br />

RolfUpski<br />

Kunstmaler<br />

geb. 8. Oktober 1926<br />

gest. 12. Februar <strong>2005</strong><br />

Hermann Bieri-Küttel<br />

Fuhrmann<br />

geb. 29. Mai 1928<br />

gest. 14. Februar <strong>2005</strong><br />

hörde und Lehrerschaft erhielten so Gelegenheit, unter Hausers Führung die Schwesterstadt<br />

in Tschechien anlässlich eines Besuchs persönlich kennenzulernen. Besondere Verdienste<br />

hat sich Karl Hauser mit seinem Eintreten <strong>für</strong> den Bau eines Gemeindesaals erworben, der<br />

mit der Einweihung der Hesli-Halle am 2. Oktober 1999 Tatsache wurde.<br />

Karl Rahm<br />

An der Seestrasse in <strong>Küsnacht</strong> als Sohn eines SBB-Beamten geboren, fand Karl Rahm<br />

sein eigentliches Zuhause, wo er bis zu seinem Lebensende wohnen sollte, an der Bergstrasse<br />

16. Mit der wachsenden Familie hatten sich seine Eltern zusammen mit Freunden<br />

entschlossen, in den Rebbergen an der damals noch ungeteerten Bergstrasse je ein Chalet<br />

zu bauen. Nach der Sekundarschule fand Karl, mitten in der Rezession, eine kaufmännische<br />

Lehrstelle in einem renommierten Seiden haus in Zürich. Mit seiner klaren, sauberen Handschrift<br />

(man brauchte noch keine Schreibmaschinen),<br />

seinem Einsatz wäre ihm ohne die wirtschaftlich<br />

seinem freundlichen Auftreten und<br />

schlechte Lage die Welt offengestanden.<br />

Noch vor der Abreise zu einem Sprachkurs in Paris hatte er beim abendlichen Tanz nach der<br />

Springkonkurrenz in Meilen Mina Steiger aus Uetikon kennengelernt. So wollte er nach dem<br />

Kurs baldmöglichst zurück, um zu heiraten. Er fand eine sichere Stelle bei der kantonalen<br />

Verwaltung, wo er in den 40 Jahren seiner Tätigkeit vom einfachen Angestellten zum Chef<br />

der Materialverwaltung aufstieg. In verschiedenen <strong>Verein</strong>en war Karl Rahm zuverlässiger<br />

Kassier und Protokollführer<br />

und während über 20 Jahren Mitglied der RPK in <strong>Küsnacht</strong>.<br />

Bald nach der Geburt der Tochter Ursula 1939 wurde Karl Rahm eingezogen und leistete bis<br />

Kriegsende mehr als 1000 Diensttage. 1946 wurde zur grossen Freude der Eltern der Sohn<br />

Karl, Karli gerufen, geboren. Einfachheit und Sparsamkeit war weiterhin die Devise des Ehepaares.<br />

Nach der Pensionierung wurde das Generalabonnement <strong>für</strong> viele schöne Ausflüge<br />

genutzt; mit Wohlgefallen begleitete Karl Rahm die politische Tätigkeit seines Sohnes und<br />

genoss das Zusammensein mit den heranwachsenden Enkeln.<br />

109


Rolf Lipski<br />

Von dem Tag an, da eine Tante dem Zwölf jährigen die erste Schachtel Ölfarben<br />

schenkte, gehörte Rolf Lipski, wie er später bekannte, der Malerei. In Winterthur geboren,<br />

wuchs der Bub als träumerisches<br />

Einzelkind im Hause seiner Eltern an der Oberen<br />

Heslibachstrasse 18 in <strong>Küsnacht</strong> auf. Bis zu seinem Tod hat der liebenswürdige und gesprächige<br />

Sonderling seiner <strong>Küsnacht</strong>er Heimat die Treue gehalten. Als Sechzehnjähriger<br />

erkrankte der Knabe an Tuberkulose und sah sich zu einem langen Kuraufenthalt in<br />

Davos gezwungen, wo er knapp dem Tod entrann. Nach der Matur studierte der junge<br />

<strong>Küsnacht</strong>er an der Universität Zürich Nationalökonomie. Doch war ihm stets klar, dass<br />

seine eigentliche Berufung nicht auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaft, sondern in<br />

der Malerei lag; so entschied sich der Autodidakt mit 33 Jahren <strong>für</strong> die harte, doch unausweichliche<br />

Laufbahn als Künstler. Schon früh zeichnete sich indes ein gespanntes<br />

Verhältnis zwischen dem eigengesetzlichen Maler einerseits und der etablierten Kunstpraxis<br />

und vorherrschenden Kunstauffassung anderseits ab, ein Widerspruch, der sich<br />

mit den Jahren zusehends verschärfte. Immer wieder zogen den Künstler Paris und die<br />

Provence in ihren Bann; sein Rückzugsort und seine «feste Burg» war sein Atelier in<br />

Höngg. Seine Bilder fanden den Weg in viele Ausstellungen<br />

in der Schweiz und ab und<br />

zu auch im Ausland (London, Krakau). Vielen seiner Werke haftet etwas Rätselhaftes und<br />

Magisches an; sie widerspiegeln die <strong>für</strong> Lipski charakteristische Ambivalenz zwischen<br />

Schön und Hässlich, Zärtlich und Brutal. Rolf Lipskis letzte Lebensjahre waren von Einsamkeit<br />

und Krankheit überschattet.<br />

Hermann<br />

Bieri-KüUel<br />

Hermann Bieri, hoch auf dem Kutschbock des vollgeladenen Hürlimann-Brauereigefährts<br />

- so erinnert sich mancher Zürcher an ihn; auch wie er ganz selbstverständlich,<br />

doch<br />

voller Konzentration seine Pferde mehrspännig durch Zürichs immer dichter werdenden Verkehr<br />

steuerte oder mit ihnen im Festgespann am Sechseläutenumzug teilnahm. Geprägt von<br />

unvergesslichen Erlebnissen während der Ferien auf dem Bauernhof der Grosseltern in<br />

Wabern, faszinierten ihn von klein auf die Pferde ganz besonders. Als <strong>Küsnacht</strong>er Arbeitersohn<br />

im Goldbach aufgewachsen, hatte er bei der Aushebung wohl deshalb das Glück, dem<br />

Train zugeteilt zu werden. Oie Zugehörigkeit zu dieser Truppengattung<br />

war Voraussetzung<br />

da<strong>für</strong>, dass er 1947 aus einer Vielzahl von Bewerbern gewählt und von der Brauerei Hürlimann<br />

als Fuhrmann angestellt wurde. Damals waren noch 34 Pferde im Einsatz. 46 Jahre<br />

sollte er seinem Arbeitgeber die Treue halten. Landesweit und bis ins Ausland bekannt<br />

wurde Hermann Bieri als Fahrsportler: als Fahrer und später auch als nationaler Richter bei<br />

Fahrturnieren grosser Brauereigespanne. Vor seiner Pensionierung fuhr er letztmals sechsspännig<br />

zum Zürcher Bahnhofbuffet<br />

und zurück ins Depot, auf dem Bock begleitet von<br />

seinen beiden Söhnen. 1948 hatten er und Rösly Küttel aus Adliswil geheiratet. Ruedi, Heidi<br />

und Jürg vervollständigten seine Familie; eine Familie, die stets zusammenhielt in glücklichen<br />

und in traurigen Tagen. Seine vier Enkelkinder bedeuteten dem Verstorbenen alles,<br />

und als er an seinem 73. Geburtstag zum ersten Mal Urgrossvater wurde, war die Freude<br />

übergross. Von seiner Familie geliebt, wurde Hermann Bieri mit seiner umgänglichen Art<br />

überall sehr geschätzt.<br />

110


Wolfgang Hopff<br />

Pharmakologe Prof. Or.<br />

geb. 19. März 1930<br />

gest. 9. April <strong>2005</strong><br />

Maria Koch-Lüscher<br />

alt Kirchenpräsidentin<br />

geb.27.JanuarI933<br />

gest. 23. April <strong>2005</strong><br />

Elisabeth Meyer-Stiefel<br />

Hausfrau<br />

geb. 5. Mai 1925<br />

gest. 27. Mai <strong>2005</strong><br />

Wolfgang<br />

Hopft<br />

Am 9. April erlag in seinem Heim im Heslibach kurz nach seinem 75. Geburtstag Professor<br />

Wolfgang Hopff einem unbesiegbaren Leiden. Der aus Ludwigshafen (0) Gebürtige<br />

schrieb sich als Neunzehnjähriger an der Universität Heidelberg <strong>für</strong> das Studium der Medizin<br />

ein. Nach abgeschlossenem<br />

Studium warf sich der 25jährige an der Uni Zürich auf das<br />

Studium der organischen Chemie und verschrieb sich hierauf am Hahnemann College in<br />

Philadelphia (USA) dem Studium der Pharmakologie. In Philadelphia schloss er am 1.August<br />

1968 mit Anna Barbara Mösch den Bund der Ehe, welcher ein Sohn und eine Tochter entsprossen.<br />

Seine wissenschaftliche Laufbahn krönte Hopff 1975 mit der Habilitation und der<br />

späteren Ernennung zum Titularprofessor der Uni Zürich mit Schwerpunkt Erforschung der<br />

Organophosphate. Wolfgang Hopff war nicht nur ein verantwortungsvoller Arzt und ein anregender<br />

Dozent der Pharmakologie, sondern auch ein begeisterter Flieger und Fluglehrer.<br />

Legendär ist seine 1989 mit einem Freund bewerkstelligte<br />

kühne Überfliegung des Atlantiks<br />

im zweimotorigen<br />

Flugzeug. Im Frühjahr 1996 erkannte der erfahrene Toxikologe sogleich<br />

den gigantischen Unsinn in der Absicht der Zürcher Regierung, dem amerikanischen<br />

Sumpfkrebs mit dem Nervengift Fenthion den Garaus zu machen, und gründete mit Alfred<br />

Egli das Schutzkomitee Schübelweiher. Der Streit endete in einem klaren Sieg vor Bundesgericht.<br />

In dieser Auseinandersetzung<br />

offenbarten sich ganz besonders das reiche geistige<br />

Potential und das furchtlose Wesen des Verstorbenen. Mit Wolfgang Hopff ist eine wertvolle<br />

und starke Persönlichkeit, ein liebenswürdiger, vielseitiger und humorvoller Mensch dahingegangen.<br />

Maria Koch-Lüscher<br />

Während acht Jahren amtete Maria Koch in <strong>Küsnacht</strong> als Präsidentin der Katholischen<br />

Kirchenpflege, in die sie 1990 als Mitglied gewählt worden war. Menschlich verständnisvoll<br />

wusste sie bei Anlässen, Sitzungen und in Kommissionen das Wesentliche kompetent vorzu-<br />

111


tragen, vor allem auch im Zusammenhang mit dem Neubau des Pfarreizentrums und dem<br />

100jährigen Jubiläum der Pfarrei. Ihre früheren Tätigkeiten als Bundesführerin des Blaurings,<br />

wo sie unter anderem den Jugendtag der Expo 1964 eröffnete, und als Personalchefin bei<br />

Feldpausch waren Garant <strong>für</strong> einen gewandten und konstruktiven Umgang mit Mitarbeitern<br />

sowie mit jung und alt. Aufgewachsen im Kanton Aargau, arbeitete sie nach einer kaufmännischen<br />

Lehre zwei Jahre in einer Grossfirma in Genf und fügte ein Auslandjahr in England an.<br />

Zurück in Zofingen, gründete sie den dortigen Blauring, eine katholisch geprägte Jugendorganisation<br />

<strong>für</strong> Mädchen. Mit Hingabe spielte sie Theater in einer von ihr initiierten Gruppe.<br />

Früh wurde die Zentrale des Blaurings auf sie aufmerksam und holte sie vollamtlich nach<br />

Zürich. Mehrere Sommer verbrachte sie als Hauptleiterin der Lager in Randa im Wallis. Daneben<br />

organisierte sie aber auch grosse Pilgerreisen nach Rom, Lourdes und anderen Wallfahrtsorten.<br />

1970 hatte sie den in <strong>Küsnacht</strong> wohnhaften Hans Koch geheiratet. 1971 wurde ihnen<br />

zu ihrer grossen Freude die Tochter Beatrix geschenkt. Bis zu deren Schuleintritt betreute<br />

Maria Koch zusätzlich als Tagesmutter ein Kind, um dann wieder eine Stelle anzunehmen. Die<br />

Familie durfte von der Planung und Durchführung vieler unvergesslicher Reisen profitieren.<br />

Nach der mitternächtlichen Heimkehr von der letzten Reise mit dem Ehemann und Freunden<br />

nach Sizilien wurde die unermüdlich Tätige am folgenden Morgen vom Tod ereilt.<br />

Elisabeth<br />

Meyer-Stiefel<br />

Elisabeth Stiefel entstammte väterlicherseits einer bekannten Fuhrhalterei-Familie aus<br />

Wiedikon, mütterlicherseits lagen die Wurzeln in Richterswil, wo die Familie Gattiker-<br />

Eschmann einen Kolonialwaren-Grossbetrieb führte. Ein grosses verwandtschaftliches Beziehungsnetz<br />

wurde gepflegt, gab Halt und Hort. So wohnte Elisabeth während ihrer Seminarzeit<br />

bei der verwandten<br />

Familie Streuli im Horn und hatte fast täglichen Umgang mit<br />

Basen und Vetter Schaufelberger im Pfarrhaus an der Wiltisgasse. Auf dem samstäglichen<br />

Heimweg nach Richterswil traf sie den ebenfalls nach Hause fahrenden Werner Meyer, der<br />

das Seminar Unterstrass besuchte. Einem glücklichen Auslandjahr in Stockholm mit einem<br />

intensiven Briefwechsel mit dem gleichgesinnten Freund folgten nach einigen Vikariaten<br />

1948 die Heirat der beiden und die gemeinsame Haushaltung in Winterthur, wo Werner<br />

Meyer als Lehrer tätig war. Ein neuer Lebensabschnitt<br />

begann mit dem Wechsel des Ehemannes<br />

in den militärischen Lehrberuf, mit der Geburt des ersten Sohnes Andres und der<br />

Wohnsitznahme in <strong>Küsnacht</strong> 1952. 1955 und 1962 kamen die Söhne Dieter und Hans-Jürg<br />

dazu. Die Familien- und Offiziersfrau, später auch Pfadimutter, war voll und mit ganzem Herzen<br />

im Einsatz. Grosses Leid brachte 1979 der frühe Tod des zweiten Sohnes. Vielfältig<br />

waren Elisabeth Meyers Anteilnahme am Ergehen anderer Menschen und ihre Hilfsbereitschaft.<br />

Eine schöne Aufgabe fand sie mit der Wahl in die Schulpflege 1974, der sie 16 Jahre<br />

angehören sollte. Die Begleitung des Aufbaus der Weiterbildungsklasse<br />

der Ferienkoloniekommission<br />

und der Einsatz in<br />

gaben ihr viel Befriedigung. Freude erlebte sie auch durch die<br />

Familien der beiden Söhne und die Geburt der fünf Enkelkinder; sie genoss den engen Zusammenhalt.<br />

Getragen von einer gläubigen Zuversicht, begab sie sich auf den unerwarteten<br />

Heimweg.<br />

Alfred Egli, Renate Egli, Ursula Schmid<br />

112


Sportgeschehen<br />

1. Juli 2004 bis 30. Juni <strong>2005</strong><br />

Boccia-Club<br />

Itschnach<br />

In der Berichtsperiode wetteiferten die Mitglieder des Boccia-Clubs Itschnach an verschiedenen<br />

Turnieren. Die Clubmeisterschaften<br />

Frauen, während einer Woche und am Wochenende durchgeführt.<br />

wurden, getrennt <strong>für</strong> neun Männer und acht<br />

Arnold Ernst schwang<br />

als Clubmeister obenaus, gefolgt von Albert Sturzenegger und Hansueli Gehret. Bei den<br />

Frauen lautete die Reihenfolge: Barbara Bürgin vor Martha Blaser und Rösli Bürgi. Die<br />

Rangverkündigung vereinigte eine grosse Zahl von Mitgliedern zum geselligen Nachtessen.<br />

Das Sie-und-er-Turnier im Mai wurde von Rösli Bürgi und Oskar Trüb gewonnen. Der Boccia-Club<br />

Swiss-Re war Gast bei uns im Eichelacker zu einem Freundschaftsturnier mit<br />

Dreiermannschaften .<br />

Verschiedenste <strong>Verein</strong>e und Gesellschaften nutzten wiederum die Gelegenheit, gegen<br />

bescheidenes Entgelt auf den beiden Bocciabahnen Plauschnachmittage oder -abende<br />

durchzuführen.<br />

Erstmals wurden die Bocciabahnen während der Wintermonate nicht mit Vlies abgedeckt.<br />

Nach anfänglicher Ablehnung unseres Baugesuches durch die Baukommission<br />

Gemeinde konnten dann doch im Frühjahr <strong>2005</strong> auch auf der Nordseite der Halle die von<br />

der Generalversammlung bewilligten Fenster eingebaut werden. Dadurch wird sich der<br />

auf eine kurze Zeit be-<br />

Unterbruch des Spielbetriebes im Winter je nach Aussentemperatur<br />

schränken lassen.<br />

der<br />

Interessenten und neue Mitglieder sind im Boccia-Club Itschnach jederzeit herzlich<br />

willkommen. Informationen oder Anmeldung beim Präsidenten Albert Sturzenegger, Telefon<br />

0794749442.<br />

Crocodiles<br />

<strong>Küsnacht</strong>-Herrliberg<br />

Das <strong>Verein</strong>sjahr 2004/<strong>2005</strong><br />

wurde zum ersten Mal unter der Führung des neuen <strong>Verein</strong>spräsidenten<br />

Markus Schilter in Angriff genommen. Dieser sah sich schon bald mit einer erfreulichen<br />

Entwicklung konfrontiert,<br />

begannen doch die Mitgliederzahlen des <strong>Verein</strong>s kurz<br />

nach seinem Amtsantritt unerwartet deutlich anzusteigen. Der Erfolg der Schweizer Unihockey-Nationalmannschaften,<br />

die auf höchstem internationalem Niveau mithalten können,<br />

scheint eine neue Begeisterung bei den <strong>Küsnacht</strong>er Kindern und Jugendlichen ausgelöst zu<br />

haben.<br />

Innert kürzester Zeit waren zwei neue Junioren- und zwei neue Juniorinnen-Mannschaften,<br />

Trainingsleiter bzw. -leiterinnen und Hallenkapazitäten zu organisieren. Das Interesse<br />

des Nachwuchses erlahmte nach der anfänglichen Euphorie keineswegs, sondern nahm im<br />

Gegenteil weiter zu, so dass die Crocodiles die Saison <strong>2005</strong>/2006 mit drei Junioren- und<br />

zwei Juniorinnen-Equipen in Angriff nehmen werden.<br />

Auch bei den Aktiven verlief die vergangene Spielzeit erfreulich. Während sich die Damen<br />

in ihrer 1.-Liga-Kleinfeld-Gruppe einen guten Mittelfeldplatz sichern konnten, spielte das<br />

113


Herren-Grossfeld-Team in seiner 2.-Liga-Gruppe bis zum Schluss um die Tabellenspitze<br />

(3. Rang) mit; damit plazierten wir uns hinter den Lokalrivalen aus Zumikon und Egg. Das<br />

erfreulichste Resultat aber lieferte die 2. Herren-Mannschaft, die auf dem Kleinfeld den Aufstieg<br />

aus der 4. in die 3. Liga souverän schaffte, eine Mannschaft, die sich ausschliesslich<br />

aus Spielern zusammensetzte, die soeben dem Juniorenalter entwachsen waren und ihr<br />

Glück zum ersten Mal bei den Aktiven versuchten.<br />

SLRG-Sektion<br />

<strong>Küsnacht</strong><br />

Am 3. Juli 2004 beteiligte sich die SLRG am Wasserplauschtag im Strandbad. Leider<br />

spielte das Wetter nicht mit, und deshalb blieben die Besucher bis auf ein paar Ausnahmen<br />

aus.<br />

Schlechtes Wetter verhinderte auch unsere interne Seeüberquerung , da<strong>für</strong> konnten wir<br />

am 2. August unter vorzüglichen Bedingungen unseren «Küstenschwurnrn» vom Strandbad<br />

zum Kusenbad durchführen.<br />

Herrliches Sommerwetter und warmes Wasser machten unsere 18. öffentliche Seeüberquerung<br />

vom 7. August mit 250 Teilnehmer/innen zu einem unvergesslichen Erlebnis.<br />

In zwei Brevet-I-Kursen konnten total 16 Teilnehmer den Ausweis der SLRG als geschulte<br />

Rettungsschwimmer entgegennehmen. Leider blieb nur ein kleiner Teil der frisch Ausgebildeten<br />

dem <strong>Verein</strong> erhalten.<br />

Während des Jahres haben wir unsere wöchentlichen<br />

Trainings in Wasser-Rettungsübungen,<br />

Ausdauer- und Konditionsschwimmen sowie Nothilfe bis CPR durchgeführt.<br />

Selbstverständlich<br />

kamen auch Spiel und Spass nicht zu kurz.<br />

Leider kam der ausgeschriebene Brevet-I-Auffrischungskurs<br />

zustande, was wir sehr bedauern.<br />

Vor den Sommerferien haben wir wiederum einen Jugendbrevetkurs<br />

von Anfang Juni <strong>2005</strong> nicht<br />

<strong>für</strong> Kinder ab Jahrgang<br />

1994 durchgeführt, um die lebensrettenden Sofortmassnahmen, den Respekt vor dem<br />

Element Wasser und die schwimmerischen Möglichkeiten der Hilfeleistung zu vermitteln und<br />

ab 9 Jahren in speziellen Jugend-<br />

zu üben. Seit Jahren bieten wir über 50 Jungschwimmern<br />

trainings an, sich auf das Jugendbrevet vorzubereiten.<br />

Schützenverein<br />

(SVK)<br />

Garagenchef Ernst Hostettler, langjähriges Vorstandsmitglied im Schützenverein, gelang<br />

nach verschiedenen Anläufen endlich der grosse Wurf: Er wurde über die Distanz von 300 Metern<br />

<strong>Küsnacht</strong>er Schützenkönig 2004 vor einem der früheren Könige, Martin Weilenmann.<br />

Wenn auch die Armeereform (und die zurzeit fehlende Bedrohung des Landes) die Schiesspflicht<br />

der Wehrmänner reduziert hat - in <strong>Küsnacht</strong> reduzierte sich die Zahl der Obligatorisch-Schützen<br />

von einst 800 auf nunmehr 239 - blieb <strong>für</strong> viele die Begeisterung <strong>für</strong> diesen<br />

Sport bestehen. Mit der Teilnahme an auswärtigen Schiessen, wie beispielsweise am Freiburger<br />

Kantonalschützenfest in Greyerz (27. Rang von 152 ausserkantonalen Sektionen),<br />

führte man die Tradition unvergesslicher gesellschaftlicher Anlässe fort. Trotzdem blieben<br />

die SVKler treffsicher: überlegene Sieger am Bezirksschiessen in Männedorf, 2. Rang am<br />

Forch-Gauverbandswettkampf<br />

sowie ein glänzender 6. Platz am Hans-Waldmann-Schiessen<br />

in Dübendorf.<br />

114


<strong>Küsnacht</strong>s SChützenkönig 2004. Ernst HastettIer (58).<br />

Im Holletsmoos konnte nach geleisteter Fronarbeit der Schützen eine elektronische<br />

10-Meter-Luftgewehranlage eingeweiht werden. Zur Tradition ist die <strong>Küsnacht</strong>er Schützenchilbi<br />

(früher: Endschiessen) geworden; dabei geht es um die Ehre der treffsichersten Ortsvereine,<br />

Firmen und Ad-hoc-Gruppen. In der Kategorie Schiessvereine dürfen alle Teilnehmer<br />

aktive Schützen sein. Hier gewann die Gruppe «Glasklar» mit Kurt, Markus und Roland<br />

Ehrat, Robert Hohl und Annette Egli, gefolgt von den -Ptannenstiel-Hoppers» und den Feldschützen<br />

vom Berg.<br />

Seeclub (SCK)<br />

Der Rudersport boomt. Das Interesse, in einem Ruderclub Mitglied zu werden, ist gross.<br />

Der Seeclub <strong>Küsnacht</strong>, in der wunderschönen alten Trotte zu Hause, reagiert auf die Nachfrage<br />

überlegt und zielorientiert. Dank der guten Instruktionsarbeit der SCK-Spitze nimmt<br />

nicht nur das tägliche Rudern von morgens früh bis abends spät stetig zu; auch die Rudertechnik<br />

ändert sich merklich.<br />

Mit Einsteigerkurs, Ruderschule und Juniorentraining ist es bei uns möglich, die einzige<br />

Sportart zu erlernen, bei der man sich nicht in Blickrichtung vorwärts bewegt.<br />

Wir sind nun auch an Ruderwettkämpfen wieder stärker vertreten. Ehemalige Rennruderer<br />

animieren weitere Erwachsene dazu, im gesunden Rahmen an Regatten teilzunehmen.<br />

Die gelenkschonende Ruderbewegung fördert Ausdauer und Kraft. Auf dem Regattaplatz<br />

mit dabei sind auch unsere Junioren, die nach dreijähriger Aufbauarbeit weiter trainieren.<br />

Heute weist der SCK einen Juniorenbestand von 25 Jugendlichen auf. Dadurch konnten wir<br />

dieses Jahr einige Junioren an die Schweizer Meisterschaft schicken. Und: Sie brachten uns<br />

115


Vier Medaillen <strong>für</strong> den Seeclub dank professioneller Betreuung<br />

durch die Trainerin Pamela Weisshaupt, hier zusammen<br />

mit den hoffnungsvollen Junioren Raffael Römer,<br />

David Toszeghi, Michael Morari und Dominik Ehrat.<br />

Gold und Bronze! Herzliche Gratulation an David Toszeghi und Raffael Römer, aber auch an<br />

den SCK, der das Juniorentraining so zuversichtlich angeht.<br />

Rudern: Fast jedermann denkt dabei an eine Sommersportart.<br />

Doch auch im Winter<br />

macht der SCK keinen Unterbruch. Wer es lieber warm hat, macht vom Hallentraining<br />

oder vom Indoor-Rudertraining Gebrauch.<br />

Möge der Ruderboom noch lange anhalten! Es ist ein wunderbares Gefühl, die geschmeidige<br />

Bewegung auf dem stillen See allein oder in Gemeinschaft zu geniessen.<br />

116


Unsere ältesten Mitbürgerinnen und Mitbürger<br />

Stand 30. September <strong>2005</strong><br />

Jahrgang 1901<br />

Engeier Mina Julie, Zumipark, Zumikon<br />

Halter Elly, Lärchentobelstrasse 24<br />

Jahrgang 1902<br />

Sieber Esther, AH Birkenrain, Zürich<br />

Jahrgang 1903<br />

Bauer Elisabetha, Weinmanngasse 46<br />

Squeder Klara, Tollwiesstrasse 26<br />

Jahrgang 1904<br />

Haupt Martha, Tollwiesstrasse 26<br />

Maroni Hedwig, Alte Landstrasse 136<br />

Scheibli Hedwig, Seestrasse 220<br />

Jahrgang 1906<br />

Blumer Marie-Claire, Im Grossacher 3, Forch<br />

Bühn Anna, Untere Heslibachstrasse 56<br />

Kenel Alice, Schübe1strasse 5<br />

Jahrgang 1907<br />

Beck Hermine, Seestrasse 264<br />

Keller Martha, Alte Landstrasse 136<br />

Syz Margareta, Seestrasse 270<br />

Jahrgang 1908<br />

Baumann Oskar, Utzingerstrasse 8<br />

Diethelm Rosa, Schiedhaldenstrasse 74<br />

Dümmler Jeanne, Tollwiesstrasse 26<br />

Guggenbühl Margaritha, Ränkestrasse 19<br />

Menold Ella, Tollwiesstrasse 26<br />

Nussbaumer Konrad, Im Kalender 10<br />

Römer Gretchen, Tollwiesstrasse 23<br />

Roy Gertrud, Alte Landstrasse 136<br />

Weber Johanna, Seestrasse 264<br />

Jahrgang 1909<br />

Diethelm Max, Schiedhaldenstrasse 74<br />

Gräflein Anna Maria, Alte Landstrasse 136<br />

Hartmann Nelly, Tollwiesstrasse 26<br />

Kernen Marie, Tollwiesstrasse 26<br />

Kuli Maria, Seestrasse 276<br />

Lang Berta, Sonnenrain 3<br />

Maier Luise, Seestrasse 264<br />

Meyer Eisa, Ränkestrasse 20<br />

Pfister Helene, Usser Allmend 18<br />

Raths Irma, Seestrasse 264<br />

Schwarzenbach Adele, Goldbacherstrasse 39<br />

Tröber Anna, Alte Landstrasse 136<br />

Vetterli Rosina, Zürichstrasse 79c<br />

Wullschleger Anna, Seestrasse 264<br />

Zirn Anna, Seestrasse 264<br />

Jahrgang 1910<br />

Alder Karl, Seestrasse 264<br />

Bühler Werner, Wiserholz 10<br />

Friedau Bertha, Tollwiesstrasse 26<br />

Haefner Walter, Im vorderen Erb 6<br />

Heuer Mirta, Tollwiesstrasse 26<br />

Kasper Marie, Tollwiesstrasse 26<br />

Keller Rosa, Tollwiesstrasse 26<br />

Kummer Liselotte, Usser Allmend 3<br />

Meier Dora, Schiedhaldenstrasse 47<br />

Perbellini Marcellina, Obere Dorfstrasse 44<br />

Schäubli Mathilde, Rietstrasse 25<br />

Schucht Klara, Zumipark, Zumikon<br />

Schütter Meinrad, Alte Landstrasse 136<br />

Stucki Hedwig, Tollwiesstrasse 26<br />

Sturzenegger Frieda, Rietstrasse 25<br />

Trachsler Max, Tollwiesstrasse 26<br />

Vallescu Gertrud, Seestrasse 135<br />

Wilhelm Hilda, Im Schönbühl 1c<br />

Wilhelm Karl, Im Schönbühl 1c<br />

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Jahrgang 1911<br />

Blum Erika, Tollwiesstrasse 26<br />

Brandenberger Eva, Seestrasse 114<br />

Gaiser Felicie, Tägerhalde 2<br />

Klaus Emilie, Bergstrasse 59<br />

Kramer Margrit, Tollwiesstrasse 26<br />

Küpfer Martha, Tollwiesstrasse 26<br />

Lüthy Rosa, Tollwiesstrasse 26<br />

Schär Amalia, Rietstrasse 25<br />

Steinmann Jörg, Lindenbergstrasse 18<br />

Strnad Martha, AWH Am Wildbach, Wetzikon<br />

Weber Kreszentia, Sunnmatt, 8708 Männedorf<br />

Jahrgang 1912<br />

Annaheim Lydia, Tollwiesstrasse 26<br />

Bleuler Lilly, Erlenweg 10<br />

Boiler Margaretha, Tollwiesstrasse 26<br />

Fierz Markus, Felseneggstrasse 10<br />

Frei Rosa, Alte Landstrasse 136<br />

Frischmuth Benedetto, Erbstrasse 25<br />

Gmür Hedwig, Alte Landstrasse 136<br />

Hanslin Patricia, Schüracherstrasse 6<br />

Hunziker Maria, Kaspar-Fenner-Strasse 7<br />

Kindler Helmut, Seestrasse 268<br />

Kisseleff Agnes, Rehweid 6<br />

Milan Prima, Tollwiesstrasse 26<br />

Oetiker Ida, Bethesda, 3613 Steffisburg<br />

Rodio Giovanni, Alte Landstrasse 136<br />

Schnyder Erika, Im Eigeli 8<br />

Schonegg Frieda, Tollwiesstrasse 26<br />

Schwab Anna, Tollwiesstrasse 26<br />

Schwarzenbach Alfred, Goldbacherstrasse 39<br />

Schweri Eisa, Schiedhaldenstrasse 74<br />

Steurer Leopoldine, Alte Landstrasse 136<br />

Walther Margaretha, Seestrasse 264<br />

Weibel Anna, Tollwiesstrasse 26<br />

Jahrgang 1913<br />

Beeler Malvina, Obere Dorfstrasse 44<br />

Brunner Walter, Rehweid 2<br />

Bühler Johanna, Rietstrasse 25<br />

Eidenbenz Gertrud, Gartenstrasse 9<br />

Ess Ernst, Rietstrasse 25<br />

Freimann Max, Florastrasse 13<br />

Furier Sophie, Zürichstrasse 152<br />

Hagenbach Leonore, Schied halden strasse 39<br />

Hollenweger Irene, Seestrasse 264<br />

Krayer Albrecht, Kleeweid 1<br />

Kunz Marie Anna, Chrummwisstrasse 13<br />

Lips Rosalina, Alte Landstrasse 107<br />

Meili Ernst, Güstrasse 8<br />

Meyer Rolf, Rebweg 34<br />

Michel Anita, Rietstrasse 25<br />

Pfister Eisa, Tollwiesstrasse 26<br />

Stoll Martha, Tollwiesstrasse 26<br />

Streuli Eisa, Tollwiesstrasse 26<br />

Stüber Werner, Kleeweid 4<br />

von Marx Anina, Alte Landstrasse 136<br />

Wettstein Emma, Obere Heslibachstrasse 14<br />

Zweifel Elise, Tollwiesstrasse 26<br />

Jahrgang 1914<br />

Aeppli Marta, Alte Landstrasse 117<br />

Alder Fritz, Boglerenstrasse 39<br />

Balmer Josef, Freihofstrasse 6<br />

Bodmer Maria, Allmendstrasse 17<br />

Bollmann Bertha, Seestrasse 185a<br />

Bosshard Hans, Usser Allmend 7a<br />

Bregg Emilie, Seestrasse 264<br />

Brunner Margaretha, Wiesenstrasse 37<br />

Bubb Werner, Erbstrasse 5c<br />

Cafader Hedwig, Rietstrasse 25<br />

Eidenbenz Rudolf, Tollwiesstrasse 26<br />

Franek Beatrix, Utzingerstrasse 8<br />

Furrer Elisabetha, Boglerenstrasse 2<br />

Häberli Elisabeth, Alte Landstrasse 136<br />

Hörni Helene, Steinackerstrasse 28<br />

lonescu Virgil, Hornweg 2<br />

Kleinpeter Marie, Kirchstrasse 1<br />

Kräuchi Hulda, Schiedhaldenstrasse 18<br />

Merz Vera, Alte Landstrasse 136<br />

Meyer Emilie, Tollwiesstrasse 226<br />

Müller Arnold, Zürichstrasse 149<br />

Müller Martha, Seestrasse 72<br />

Riethmann Emma, Tollwiesstrasse 26<br />

Schuh Anna Maria, Weinmanngasse 62<br />

Speckert Gertrud, Schübe1strasse 5<br />

Staub Gertrud, Tollwiesstrasse 26<br />

Stutz Katharina, Alte Landstrasse 136<br />

Terlinden Max, Zürichstrasse 27<br />

Thurnheer Ernst, Seestrasse 219<br />

Thurnheer Frieda, Freihofstrasse 15<br />

Uldry Alice, Bühlstrasse 10<br />

Uldry Pierre, Bühlstrasse 10<br />

118


Wanner Paul, Höhenstrasse 50<br />

Weber Ernst, Bergstrasse 54<br />

Wenner Giovanni, Buckwiesstrasse 1<br />

Wymann Gertrud, Obere Heslibachstrasse 86<br />

Zemasch Bibiana, Utzingerstrasse 8<br />

Jahrgang 1915<br />

Amrein Martha, Alte Landstrasse 136<br />

Asper Viktor, Seestrasse 205<br />

Balmer Hedwig, Freihofstrasse 6<br />

Billeter Ida, Irisweg 5<br />

Bolli Ines, Rietstrasse 25<br />

Dändliker Rudolfine, Tollwiesstrasse 26<br />

Fürrer Rudolf, In der Schübelwis 6<br />

Geiger Ursula, Zelglistrasse 2<br />

Häusermann Menga, Tollwiesstrasse 26<br />

Hirt Walter, Alte Landstrasse 136<br />

Hungerbühler Marie, Schiedhaldenstrasse 74<br />

Jegge Babetta, Eigenheimstrasse 19<br />

Koller Gertrud, Seestrasse 264<br />

Lüscher Isabelle, Wiesenstrasse 32<br />

Martellosio Pino, Lärchentobelstrasse 27<br />

Matossi Marion, Im Düggel 1<br />

Meyer Richard, Sonnenrain 41<br />

Mioranza Clara, Alte Landstrasse 136<br />

Nideröst Josefina, Bahnweg 1<br />

Notter Frieda, Seestrasse 81<br />

Ott Ludwig, Alte Landstrasse 64<br />

Peter Lydia, Weinmanngasse 24<br />

Raft Tadeusz, Obere Heslibachstrasse 60<br />

Rodio Gertrud, Alte Landstrasse 136<br />

Ruoff Alice, Tollwiesstrasse 26<br />

Steinbrüchel Franz, Obere Heslibachstrasse 49<br />

Stirnemann Karl, Goldbacherstrasse 35<br />

Temperli Hedwig, Seestrasse 88<br />

Thackara Louise, Goldbacherstrasse 65<br />

Wagner Gotthard, Lerchenbergstrasse 39<br />

Weber Elise, Hohrüti 6<br />

Weniger Clara, Alte Landstrasse 145<br />

Wolf Margarita, Rehweid 3<br />

Zweifel Albert, Tollwiesstrasse 26<br />

119


Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am <strong>Jahrheft</strong> <strong>2005</strong><br />

Dimroth Sinda, Irisweg 3, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Egli Alfred Dr. phil., Untere Heslibachstrasse 1,8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Egli Renate, Untere Heslibachstrasse 1, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Frick Myrtha, Alte Landstrasse 99, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Gehret Hansueli, Schüracherstrasse 14, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Geiger Anita, Zürichstrasse 117, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Gut Dora, Englischviertelstrasse 31,8032 Zürich<br />

Gwalter Judith und Rudolf, Dr. med. vet., Sonnenbergstrasse 35,8645 Jona<br />

Jost Boris, Dipl. Ing. agr. ETH, Fähnlibrunnenstrasse 9,8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Kunz-Zürcher Yvonne, Forchstrasse 789, 8703 Erlenbach<br />

Letsch Walter, Guggerstrasse 39, 8702 Zollikon<br />

Schmid Stefan G. Dr. iur., Hinterbergstrasse 27, 8044 Zürich<br />

Schmid-Weidmann Ursula, Rigistrasse 2, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Steinbrüchel Rico Dr. iur., Kurhausstrasse 3, 8703 Erlenbach<br />

Studer Urs Dr. iur., Am Itschnacherstich 1, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Wüst Bruno, Glärnischstrasse 153, 8708 Männedorf<br />

Satz, Gestaltung, Druck: NZZ Fretz AG, 8952 Schlieren<br />

Herausgeber: <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong><br />

<strong>Küsnacht</strong> (VOK):<br />

Dr.Alfred Egli (Vorsitz), Nelly Elliker, Beat Schriever, Franziska Sontheim, Elisabeth Trachsler<br />

Schriftleitung: Dr.Alfred Egli, Untere Heslibachstrasse 1, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Verkauf: Buchhandlung Wolf und Papeterie Köhler, 8700 <strong>Küsnacht</strong><br />

Preis: Abonnement Fr.25.-, Ladenpreis Fr.28.-<br />

Für freiwillige Zuwendungen danken wir herzlich!<br />

Postscheckkonto 87 -676051-2, <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong> <strong>Küsnacht</strong><br />

ISSN 1424-1579<br />

Der Druck dieses Heftes erfolgte mit freundlicher Unterstützung durch:<br />

Gemeinderat <strong>Küsnacht</strong>, Schulpflege <strong>Küsnacht</strong><br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>für</strong> <strong>Ortsgeschichte</strong><br />

erteilt kostenlose Auskunft über <strong>Küsnacht</strong>.<br />

Dorfführungen <strong>für</strong> interessierte Gruppen (nach Absprache): Telefon 044 9107378<br />

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