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Interview mit Krassimira Stoyanova - Bayerische Staatsoper

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Leise und stark<br />

In Simon Boccanegra<br />

kann Tochter Amelia ihre<br />

Wünsche durchsetzen –<br />

anders als die meisten<br />

Frauen in Verdis Opern. Was<br />

macht sie richtig? Sopranistin<br />

<strong>Krassimira</strong> <strong>Stoyanova</strong>,<br />

die die Amelia an der<br />

<strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong><br />

singen wird, gibt Antworten.<br />

Text Eva Gesine Baur<br />

„Befreie mich – Libera me“, hat sie gerade<br />

gefleht. <strong>Krassimira</strong> <strong>Stoyanova</strong><br />

kommt direkt aus der Probe zu Verdis<br />

Messa da Requiem. Dort ist Gott zuständig<br />

für die Befreiung der Seele aus<br />

irdischen Verstrickungen. Nun aber<br />

soll sie über Frauen in Verdis Opern<br />

reden: Töchter, Schwestern und Gattinnen,<br />

die gefangen sind in den Reglements<br />

ihrer Väter, Brüder und Ehemänner.<br />

Und todunglücklich, weil keiner<br />

sie befreit. Die tausend Seiten von<br />

Anna Karenina, einer Schwester seiner<br />

Heldinnen, hat Verdi sicher nicht<br />

gelesen. Er bevorzugte Groschenromane.<br />

Trotzdem hört sich der Anfang<br />

aus Leo Tolstois Familienepos an wie<br />

ein Motto für die meisten Verdi-Opern:<br />

„Alle glücklichen Familien sind einander<br />

ähnlich. Jede unglückliche Familie<br />

ist jedoch auf ihre besondere Weise<br />

unglücklich.“<br />

<strong>Krassimira</strong> <strong>Stoyanova</strong> kennt Verdis<br />

Familien von innen wie eine Familientherapeutin.<br />

An der <strong>Bayerische</strong>n<br />

<strong>Staatsoper</strong> singt sie in der Neuproduktion<br />

von Simon Boccanegra die Amelia,<br />

nur eine von fünfzehn Verdi-Partien, in<br />

die sie sich hineingekniet hat. „Jede<br />

ist vollständig anders. Auch Amelia ist<br />

auf einzigartige Weise unglücklich: Sie<br />

kommt aus einer Familie, die nie eine<br />

war“, sagt <strong>Stoyanova</strong>. Amelias Vater,<br />

Simon Boccanegra, durfte ihre Mutter,<br />

die Patrizierin Maria Fiesco, nicht heiraten,<br />

weil er als Pirat a.D. nicht standesgemäß<br />

war. Als Amelias Großvater,<br />

der Patrizier Jacopo Fiesco, ihre Mutter<br />

einsperrte, starb sie nach drei Monaten<br />

Isolationshaft an Kummer. Das<br />

erfuhr Simon, als er gerade Doge geworden<br />

war, also endlich standesgemäß.<br />

Er hatte seine Tochter Amelia zu<br />

einer Ziehmutter gegeben, von wo aus<br />

sie spurlos verschwunden war. Das erfuhr<br />

der Großvater, als er die Enkelin<br />

zu sich nehmen wollte. Daraufhin verfluchte<br />

Amelias Großvater ihren Vater<br />

Simon. Für die Familienzusammenführung<br />

prognostisch ungünstig. Amelia<br />

droht das zu werden, was Verdis Heldinnen<br />

meistens werden: ein Opfer – ob sie<br />

nun geopfert werden oder sich freiwillig<br />

aufopfern.<br />

Chantal Michel, Pour Auguste, 2011, www.chantalmichel.ch<br />

46


Frauen von heute wollen alles werden,<br />

aber das bestimmt nicht. <strong>Krassimira</strong><br />

<strong>Stoyanova</strong> lächelt verständnisinnig:<br />

„O doch. Wenn Frauen von der großen<br />

Liebe träumen, sind sie bereit, sich aufzuopfern.“<br />

Dieser Ansicht waren offenbar<br />

auch Verdi und seine Librettisten.<br />

Gilda lässt sich in Rigoletto anstelle ihres<br />

untreuen Geliebten ermorden, Aida<br />

<strong>mit</strong> ihrem Radamès lebendigen Leibes<br />

begraben und Amelia bekennt sich zu<br />

ihrer großen Liebe Gabriele Adorno, obwohl<br />

sie weiß, dass sie da<strong>mit</strong> ihr Leben<br />

riskiert. Denn Paolo, der Mann, der sie<br />

aus machtpolitischen Gründen heiraten<br />

will, gilt nicht als milde Sorte, sondern<br />

als kriminell.<br />

<strong>Krassimira</strong> <strong>Stoyanova</strong> reißt ihre<br />

graugrünblauen Augen auf, als sähe<br />

sie ein Geiseldrama vor sich. „Amelia<br />

wird Entführungsopfer. Das ist ein<br />

schreckliches Erlebnis, ein Trauma.“<br />

Aus Sicht der Verdi-Expertin jedoch so<br />

unvermeidbar wie die Leiden der übrigen<br />

Verdi-Heroinen. „Sie sehnen sich<br />

danach, große Emotionen zu erleben –<br />

wie wir. Ihnen ist das aber oft nur möglich<br />

durch einen Opfertod. Das liegt an<br />

den sozialen Strukturen der Zeit. Der<br />

Zeit, in der die großen Opern Verdis entstanden,<br />

und der Zeit, in der sie spielen.<br />

Da hatten die Frauen kein Wahlrecht.<br />

Weder politisch noch privat.“<br />

Simon Boccanegra spielt im Genua des<br />

14. Jahrhunderts. „Da waren alle Frauen<br />

Sklavinnen. Auch die reichen. Sie hatten<br />

nur eine einzige Möglichkeit, Macht<br />

auszuüben: indirekt.“ Das versucht<br />

auch Luisa Miller in Verdis gleichnamiger<br />

Oper, <strong>mit</strong> der <strong>Stoyanova</strong> das Münchner<br />

Publikum erobert hat. Luisa scheitert,<br />

weil sie sich, um den Vater zu retten,<br />

erpressen lässt. Amelia hat Erfolg:<br />

Sie bekommt den Mann zugesprochen,<br />

den sie liebt, Gabriele Adorno. Was<br />

macht sie richtig?<br />

„Sie ist reifer, überlegter, analytischer<br />

als andere. Vor allem als Gabriele.“<br />

Und wie sieht die Sängerin<br />

Gabriele? „Das ist ein vielleicht typischer<br />

junger italienischer Mann: gutherzig,<br />

aber ungebremst spontan. Er<br />

reagiert zu emotional. Daher ist er benutzbar<br />

und manipulierbar.“ Sie selbst<br />

Bild Chantal Michel<br />

fühlt sich der Fünfundzwanzigjährigen<br />

durchaus nah. Überlegt hat <strong>Stoyanova</strong><br />

ihre Karriere geplant und sich von<br />

niemandem manipulieren lassen. Ihre<br />

Aversion gegen Vermarktungsstrategien<br />

ist berüchtigt. Dass sie es von Bulgarien<br />

an die wichtigsten Bühnen der Welt<br />

geschafft hat, schreibt sie selbst ihrer<br />

Konsequenz zu. Die ist Verdis Heldinnen<br />

ebenfalls nicht abzusprechen: Befreit<br />

sie keiner, befreien sie sich selbst;<br />

wird es ihnen zu eng, sprengen sie die<br />

Gefängnisse der Ehe, der Familie, der<br />

Konvention. Nur gehen sie bei der<br />

Sprengung meistens drauf. Giovanna<br />

d’Arco stirbt, ihr Vater, der sie als Hexe<br />

denunziert hat, macht weiter. Leonora<br />

in Il trovatore wird vom Bruder erdolcht,<br />

der den Vater rächt, Luisas Vater, der<br />

alte Miller, muss die vergiftete Tochter<br />

beerdigen. Violetta in La traviata verendet<br />

kläglich, nachdem sie den Geliebten<br />

freigegeben hat, wie es dessen<br />

Vater befahl. Doch sterbend singen die<br />

Frauen meistens davon, dass sie nichts<br />

bereuen. Sie haben ihr Leben aufs Spiel<br />

gesetzt oder aus freien Stücken beendet<br />

für das, was ihnen wichtiger ist: die<br />

Liebe. Sei es die zu einem Mann, sei es<br />

die zu einem Ideal oder Gott.<br />

In Verdis Opern beugen sich die<br />

Söhne meist dem Vater, die Töchter begehren<br />

gegen ihn auf. Doch nur Amelia<br />

hat da<strong>mit</strong> Erfolg. „Vielleicht traut<br />

sich Amelia mehr, weil sie mehr gelernt<br />

hat, mehr kennt, mehr weiß und selbstbewusster<br />

ist.“ Eine Amelia lässt sich<br />

nicht erpressen, reagiert nicht panisch<br />

angesichts vermeintlicher Ausweglosigkeit<br />

und verhindert besonnen, dass<br />

ihr Geliebter in seinem Rachedurst zum<br />

Mörder wird.<br />

Amelia behauptet sich dem Vater gegenüber.<br />

„Deshalb ist für mich das Duett<br />

von Vater Simon und Tochter Amelia<br />

im ersten Akt das Schlüsselstück<br />

der Oper.“ Simon gibt dem Wunsch der<br />

Tochter nach, die er nach fünfundzwanzig<br />

Jahren wieder gefunden hat. Aus<br />

Einsicht?<br />

Im ersten Moment hört sich das erneut<br />

an wie eine dem Jetzt entrückte<br />

Geschichte. „Eltern haben es heute<br />

schwer“, sagt <strong>Stoyanova</strong>. „Zum einen,<br />

„Vielleicht traut<br />

sich Amelia mehr,<br />

weil sie mehr<br />

gelernt hat, mehr<br />

kennt, mehr weiß<br />

und selbstbewusster<br />

ist.“ — <strong>Krassimira</strong><br />

<strong>Stoyanova</strong><br />

Die bulgarische Sopranistin <strong>Krassimira</strong> <strong>Stoyanova</strong><br />

gehört weltweit zu den bedeutendsten Interpreten<br />

der Opern Giuseppe Verdis. Seit ihrem Debüt als<br />

Gilda (Rigoletto) 1995 in Sofia sang sie u. a. Leonora<br />

(Il trovatore) in Washington, Violetta (La traviata) an<br />

der Metropolitan Opera New York sowie am Londoner<br />

Royal Opera House, Covent Garden, Desdemona<br />

(Otello) in New York und an der <strong>Bayerische</strong>n <strong>Staatsoper</strong>,<br />

wo sie auch in der Titelrolle von Luisa Miller zu<br />

erleben war. An der Wiener <strong>Staatsoper</strong> debütierte<br />

sie als Elisabetta (Don Carlo). Auch zahlreiche Rollen<br />

jenseits von Verdi gehören zu ihrem Repertoire,<br />

darunter Micaëla (Carmen), Tatjana (Eugen Onegin),<br />

Marguerite (Faust) und die Titelpartie in Ariadne auf<br />

Naxos. Auf der Konzertbühne war sie besonders <strong>mit</strong><br />

Verdis Requiem, Rossinis Stabat mater und Janáčeks<br />

Glagolitische Messe zu hören.<br />

Premiere Simon Boccanegra 47


48<br />

weil sie ihre Kinder ständig gefährdet<br />

wissen. Aber auch, weil es in vielen<br />

Familien zu stark um materielle Werte<br />

geht.“<br />

<strong>Stoyanova</strong> studiert nicht nur die<br />

Familienstrukturen in Verdis Opern,<br />

sie studiert sie auch in der Wirklichkeit,<br />

überall auf der Welt. „Was mich<br />

erschreckt ist, wie einsam viele Menschen<br />

in<strong>mit</strong>ten der Familie sind. Jeder<br />

lebt allein vor sich hin, meistens vor einem<br />

Bildschirm.“ Doch findet sich diese<br />

Einsamkeit in der Gemeinschaft nicht<br />

auch bei Verdi? Lebt nicht auch eine<br />

Gilda allein, deren Vater nichts von ihrer<br />

Liebe zu seinem Arbeitgeber weiß?<br />

Und Rigoletto, der seiner Tochter verheimlicht,<br />

wie er als Hofnarr Leidende<br />

verspottet und selbst zum Gespött wird?<br />

Ist nicht auch Fiesco einsam, der durch<br />

eigenes Verschulden die Tochter verlor<br />

und als Geistlicher nach Sinn sucht?<br />

„Das menschliche Herz ist Quell unendlicher<br />

Schmerzen“, singt Fiesco am<br />

Schluss, als er über der Leiche Simon<br />

Boccanegras seine Enkelin und ihren<br />

Geliebten traut. An den eigentlichen<br />

Seelendramen in Verdis Opern scheint<br />

aber nicht das Herz, sondern das Hirn<br />

schuld zu sein. Es sind bewusste Entscheidungen,<br />

<strong>mit</strong> denen Väter ihre<br />

Töchter, Männer ihre Frauen, Brüder<br />

ihre Schwestern ins Unglück stürzen.<br />

Warum?<br />

Weil Macht und Liebe nicht vereinbar<br />

seien, behaupten die gängigen Deutungen.<br />

„Weil ihnen der Respekt voreinander<br />

fehlt“, sagt <strong>Krassimira</strong> <strong>Stoyanova</strong>.<br />

„Ohne Respekt würde ja auch der ganze<br />

Opernbetrieb nicht funktionieren.“<br />

Beim Münchner Simon Boccanegra<br />

sind ihr einige der anderen Hauptdarsteller<br />

von früheren Aufführungen vertraut.<br />

„Aber auch wenn man sich noch<br />

überhaupt nicht kennt: Man muss sich<br />

fünf Minuten später umarmen, küssen,<br />

schlagen. Das geht nur, wenn man einander<br />

respektiert und imstande ist, sich<br />

in die Lage des anderen einzufühlen.“<br />

Das Heikelste an ihrer Partie sei die<br />

erste Arie, in der Amelia aufs Meer blickend<br />

über die Liebe nachdenkt und<br />

über das Trauma ihrer Kindheit – ein innerer<br />

Monolog. „Das ist ein atemtechnisches<br />

Abenteuer: Ich muss absolutes<br />

Pianissimo singen.“ Amelia zeigt ihre<br />

Stärke in leisen Tönen, <strong>mit</strong> Umsicht und<br />

Vorsicht. Sie durchschaut die Machtspiele<br />

der Männer und erkennt, wie viel<br />

Schaden diese anrichten aus verletztem<br />

Stolz. Sie geht <strong>mit</strong> dem Vater wie<br />

<strong>mit</strong> dem Geliebten souverän um und erreicht,<br />

was keine für möglich hielt: Vergebung<br />

und Versöhnung. Eine moderne<br />

Siegerin. Eine, die dem Opfertod entkommt,<br />

weil sie Psychologin ist.<br />

<strong>Stoyanova</strong> ist langsam und leise<br />

zum Star geworden. Wer hat ihr geholfen?<br />

„Mein Gottvertrauen, mein Mann,<br />

mein Können." <br />

Eva Gesine Baur ist Autorin von Sachbüchern<br />

und Romanen. Als Lea Singer publizierte sie zuletzt<br />

den Roman Verdis letzte Versuchung (2012).<br />

Simon Boccanegra<br />

Oper in einem Prolog und drei Akten<br />

(fünf Bildern)<br />

Von Giuseppe Verdi<br />

Premiere am Montag, 3. Juni 2013,<br />

Nationaltheater<br />

Weitere Termine im Spielplan ab S. 94

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