26.11.2013 Aufrufe

Durchs Leben gejumpt Ilona will Thomas

Einen Freund oder eiene Freundin suchten sie beide nicht über die Partnervermittlung. Ilona und Thomas hatten es nur mal aus Jux probiert. Trotzdem schrieben sie sich, lernten sich kennen und lieben, aber das große Treffen wurde zur Katastrophe. Es war fast Mittag, als sie am Sonntagmorgen fertig waren. Ilona war unge­wöhnlich still und hatte auch keine Lust zu einem Spaziergang. Sie wollte Tho­mas zeigen, wie sie im Wohnzimmer ihre Beethoven CD's gehört hatte, zeigte ihm die umgetaufte Ilona Fantasie und legte sie auf. Schon im ersten Satz sag­te sie plötzlich unvermittelt: „Thomas, fahr nach Hause.“ Der erstaunte Tho­mas fragte erschrocken: „Was ist los, Ilona, was hast du?“ Sie kam zu ihm auf die Couch, setzte sich auf seinen Schoß und weinte. „Ich bin zu doof für alles. Ich bin bekloppt.“ sprach sie weinend, „Ich mache alles kaputt. Mache mir sel­ber mein eigenes größtes Glück kaputt. Ich weiß nicht in welcher Welt ich lebe. Ich will dir das mit den Beethoven Geschichten erzählen, aber du bist gar nicht hier. Hier ist nur der, der mit dem ich gestern Kaffee gekocht habe, mit dem ich mich gestern unterhalten habe, mit dem ich gestern Abend geschmust habe. Vor allem aber der, mit dem ich heut nacht geschlafen habe. Alles nur, was ich hier mit dir erlebt habe. Der andere, mein teurer Freund, den ich liebe, der ist gar nicht hier. Der ist im Netz. Irgendetwas muss von ihm gekommen sein. Ich habe mich ja zu ihm verhalten, aber hier ist er nicht. Hier ist nur der bei dem das Eindruckvollste unser Ficken war. Es ist immer da, ausschließlich da, wenn ich dich sehe. Dem Tom lege ich die Mondscheinsonate auf und nicht dem ich davon geschrieben habe und bei dem der hier ist, denke ich immer an die letz­te Nacht. Warum tue ich das, hätte es gar nicht gebraucht, habe es ja gar nicht gewollt, gar kein Bedürfnis danach. Warum muss ich dumme Kuh mit dem ins Bett gehen, alles zerstören, was mir das Wichtigste ist. Thomas, ich habe so etwas noch nie erlebt, muss es wohl von Anfang an intuitiv gespürt haben, wie bedeutsam es für mich werden könnte. Es war das, wonach ich mich gesehnt habe, obwohl ich es zunächst gar nicht wahr haben wollte. Nichts außer den Kindern ist mir je so wichtig gewesen, und ich zerstöre das einfach so und mach ein Bedürfnis zum Ficken daraus, einfach so wegen momentaner Lustbe­friedigung.“ Ilona sprang auf und rannte zum Bad. Ob Tom nach Hause fuhr und Ilona zerbrach, die Geschichte weiß es.

Einen Freund oder eiene Freundin suchten sie beide nicht über die Partnervermittlung. Ilona und Thomas hatten es nur mal aus Jux probiert. Trotzdem schrieben sie sich, lernten sich kennen und lieben, aber das große Treffen wurde zur Katastrophe. Es war fast Mittag, als sie am Sonntagmorgen fertig waren. Ilona war unge­wöhnlich still und hatte auch keine Lust zu einem Spaziergang. Sie wollte Tho­mas zeigen, wie sie im Wohnzimmer ihre Beethoven CD's gehört hatte, zeigte ihm die umgetaufte Ilona Fantasie und legte sie auf. Schon im ersten Satz sag­te sie plötzlich unvermittelt: „Thomas, fahr nach Hause.“ Der erstaunte Tho­mas fragte erschrocken: „Was ist los, Ilona, was hast du?“ Sie kam zu ihm auf die Couch, setzte sich auf seinen Schoß und weinte. „Ich bin zu doof für alles. Ich bin bekloppt.“ sprach sie weinend, „Ich mache alles kaputt. Mache mir sel­ber mein eigenes größtes Glück kaputt. Ich weiß nicht in welcher Welt ich lebe. Ich will dir das mit den Beethoven Geschichten erzählen, aber du bist gar nicht hier. Hier ist nur der, der mit dem ich gestern Kaffee gekocht habe, mit dem ich mich gestern unterhalten habe, mit dem ich gestern Abend geschmust habe. Vor allem aber der, mit dem ich heut nacht geschlafen habe. Alles nur, was ich hier mit dir erlebt habe. Der andere, mein teurer Freund, den ich liebe, der ist gar nicht hier. Der ist im Netz. Irgendetwas muss von ihm gekommen sein. Ich habe mich ja zu ihm verhalten, aber hier ist er nicht. Hier ist nur der bei dem das Eindruckvollste unser Ficken war. Es ist immer da, ausschließlich da, wenn ich dich sehe. Dem Tom lege ich die Mondscheinsonate auf und nicht dem ich davon geschrieben habe und bei dem der hier ist, denke ich immer an die letz­te Nacht. Warum tue ich das, hätte es gar nicht gebraucht, habe es ja gar nicht gewollt, gar kein Bedürfnis danach. Warum muss ich dumme Kuh mit dem ins Bett gehen, alles zerstören, was mir das Wichtigste ist. Thomas, ich habe so etwas noch nie erlebt, muss es wohl von Anfang an intuitiv gespürt haben, wie bedeutsam es für mich werden könnte. Es war das, wonach ich mich gesehnt habe, obwohl ich es zunächst gar nicht wahr haben wollte. Nichts außer den Kindern ist mir je so wichtig gewesen, und ich zerstöre das einfach so und mach ein Bedürfnis zum Ficken daraus, einfach so wegen momentaner Lustbe­friedigung.“ Ilona sprang auf und rannte zum Bad. Ob Tom nach Hause fuhr und Ilona zerbrach, die Geschichte weiß es.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Carmen Sevilla<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong><br />

<strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong><br />

Alles ganz normal, lieben, schmusen, cken, nix kaputt<br />

Erzählung<br />

Il en est de l'esprit comme de la musique ; plus on<br />

l'entend, plus on exige de subtiles nuances.<br />

Georg Christoph Lichtenberg<br />

Einen Freund oder eiene Freundin suchten sie beide nicht über die<br />

Partnervermittlung. <strong>Ilona</strong> und <strong>Thomas</strong> hatten es nur mal aus Jux probiert.<br />

Trotzdem schrieben sie sich, lernten sich kennen und lieben, aber das große<br />

Treffen wurde zur Katastrophe. Es war fast Mittag, als sie am Sonntagmorgen<br />

fertig waren. <strong>Ilona</strong> war ungewöhnlich still und hatte auch keine Lust zu einem<br />

Spaziergang. Sie wollte <strong>Thomas</strong> zeigen, wie sie im Wohnzimmer ihre<br />

Beethoven CD's gehört hatte, zeigte ihm die umgetaufte <strong>Ilona</strong> Fantasie und<br />

legte sie auf. Schon im ersten Satz sagte sie plötzlich unvermittelt: „<strong>Thomas</strong>,<br />

fahr nach Hause.“ Der erstaunte <strong>Thomas</strong> fragte erschrocken: „Was ist los,<br />

<strong>Ilona</strong>, was hast du?“ Sie kam zu ihm auf die Couch, setzte sich auf seinen<br />

Schoß und weinte. „Ich bin zu doof für alles. Ich bin bekloppt.“ sprach sie<br />

weinend, „Ich mache alles kaputt. Mache mir selber mein eigenes größtes<br />

Glück kaputt. Ich weiß nicht in welcher Welt ich lebe. Ich <strong>will</strong> dir das mit den<br />

Beethoven Geschichten erzählen, aber du bist gar nicht hier. Hier ist nur der,<br />

der mit dem ich gestern Kaffee gekocht habe, mit dem ich mich gestern<br />

unterhalten habe, mit dem ich gestern Abend geschmust habe. Vor allem aber<br />

der, mit dem ich heut nacht geschlafen habe. Alles nur, was ich hier mit dir<br />

erlebt habe. Der andere, mein teurer Freund, den ich liebe, der ist gar nicht<br />

hier. Der ist im Netz. Irgendetwas muss von ihm gekommen sein. Ich habe<br />

mich ja zu ihm verhalten, aber hier ist er nicht. Hier ist nur der bei dem das<br />

Eindruckvollste unser Ficken war. Es ist immer da, ausschließlich da, wenn ich<br />

dich sehe. Dem Tom lege ich die Mondscheinsonate auf und nicht dem ich<br />

davon geschrieben habe und bei dem der hier ist, denke ich immer an die letzte<br />

Nacht. Warum tue ich das, hätte es gar nicht gebraucht, habe es ja gar nicht<br />

gewollt, gar kein Bedürfnis danach. Warum muss ich dumme Kuh mit dem ins<br />

Bett gehen, alles zerstören, was mir das Wichtigste ist. <strong>Thomas</strong>, ich habe so<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 1 von 33


etwas noch nie erlebt, muss es wohl von Anfang an intuitiv gespürt haben, wie<br />

bedeutsam es für mich werden könnte. Es war das, wonach ich mich gesehnt<br />

habe, obwohl ich es zunächst gar nicht wahr haben wollte. Nichts außer den<br />

Kindern ist mir je so wichtig gewesen, und ich zerstöre das einfach so und<br />

mach ein Bedürfnis zum Ficken daraus, einfach so wegen momentaner Lustbefriedigung.“<br />

<strong>Ilona</strong> sprang auf und rannte zum Bad. Ob Tom nach Hause fuhr<br />

und <strong>Ilona</strong> zerbrach, die Geschichte weiß es.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 2 von 33


<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong><br />

<strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Inhalt<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong>.......................................4<br />

Partnersuchdienst.......................................................................... 4<br />

Verweigerungsfaktor...................................................................... 5<br />

Winterschlaf................................................................................... 8<br />

Frühling........................................................................................ 10<br />

Das widerspenstige Kind..............................................................11<br />

Ich möchte etwas anderes...........................................................13<br />

Mein Liebster................................................................................ 15<br />

Cybergeliebte............................................................................... 16<br />

<strong>Ilona</strong> Fantasie...............................................................................17<br />

Vernissage....................................................................................18<br />

Gibt’s auf deinem Stern auch Kaffee?........................................... 19<br />

Ich kann das nicht Tom................................................................20<br />

Ich war dir immer treu................................................................. 22<br />

Fahr nach Hause, <strong>Thomas</strong>.............................................................23<br />

Keine kosmische Harmonie...........................................................25<br />

Ich könnte ja sagen: „Ich bin so glücklich.“.................................26<br />

Könnt ich mich dran gewöhnen....................................................27<br />

Wendy.......................................................................................... 28<br />

Dad, ich bin am Ende.................................................................... 29<br />

Philemon und Baucis....................................................................30<br />

Rigorosum Generale..................................................................... 30<br />

Das ist die große Fuge.................................................................. 31<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 3 von 33


<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong><br />

Partnersuchdienst<br />

„Nein, krampfhaft auf der Suche nach einer Frau, einer Partnerin, einer <strong>Leben</strong>sgefährtin<br />

bin ich sicher nicht. Lange Zeit war ich der Ansicht, dass mir eine<br />

engere Beziehung vorrangig lästig sein würde. Ich glaube aber, dass ich mittlerweile<br />

zumindest ein wenig ein anderer Mensch geworden bin. Das bedeutet,<br />

dass sich meine Sichtweise und meine Ansicht zu vielem grundlegend verändert<br />

haben. Eremit zu sein ist keine <strong>Leben</strong>sform, die zu mir passt und die ich<br />

mir wünsche. Ich sehe mich so, dass ich eher extrovertiert, aufgeschlossen<br />

und kontaktfreudig bin und mir natürlich auch die zärtliche Nähe eines geliebten<br />

Menschen äußerst viel bedeutet. Ob Frustrationen meine früheren Ansichten<br />

evoziert haben? Ich denke schon. Aber jetzt fühle ich mich wieder o. k. und<br />

halte das Single-Dasein keineswegs mehr für optimal.“<br />

Ramido<br />

Lieber Ramido<br />

„Ich schreib dir einfach mal. Werte das bitte nicht als Interesse an einer Partnerschaft<br />

mit dir. Ich bin mir nur selbst sehr unschlüssig, was und wohin ich<br />

<strong>will</strong>? Unter anderem habe ich dabei auch mal bei einer Partnervermittlung reingeschaut.<br />

Gekündigt habe ich schon wieder, aber mein Abo läuft noch. Uninteressant,<br />

alles kleine Helden, die eine neue Frau suchen. Jetzt sah ich deinen<br />

Eintrag, der damit beginnt, dass du eigentlich niemanden sucht. Aber dann<br />

<strong>will</strong>ste ja doch. Ich weiß auch nicht genau, ob ich jemanden suche. Du<br />

schreibst, dass deine Ansicht aus Frustrationen resultiere, könnte ich bei mir<br />

auch so definieren, nur sagt das ja allein nicht viel. Also ich möchte keine direkten<br />

Partnerkennenlernkontakte, nur wenn du mal ein wenig dezidierter deine<br />

Position und Situation beschreiben würdest, interessierte mich das schon.“<br />

Avada<br />

Die Möglichkeiten, bei einer Partnervermittlungsagentur einen Partner kennen<br />

zu lernen, ohne einen zu suchen, können gegebenenfalls stark reduziert sein.<br />

Liebe Avada,<br />

auch ich habe nach langem Zögern mich mit äußerst zwiespältigen Gefühlen an<br />

diesen Partnersuchdienst gewandt. Dein Schreiben hat dazu geführt, dass ich<br />

mittlerweile auch gekündigt habe. Nur wenn es bei mir oder dir wirksam wird,<br />

können wir uns nicht mehr unterhalten, ohne unsere persönliche E-Mail-Adresse<br />

zu kennen. Mir ist es auch lieber als über diesen Scheiß-Suchdienst zu kommunizieren.<br />

Man kann sich ja leicht ein E-Mail-Konto einrichten, das man einfach<br />

auflöst, wenn man nichts mehr hören <strong>will</strong>. Ich nenne dir mal meine ganz<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 4 von 33


normale Adresse. Ich bin ein vertrauensvoller Mensch und bin sicher, dass du<br />

mir nicht weiter unentwegt Mails schicken wirst, wenn ich nichts mehr von dir<br />

hören möchte. Gib mir eine Adresse, wenn du mehr von mir erfahren <strong>will</strong>st.<br />

Nenn mich dabei, bitte, <strong>Thomas</strong> und nicht nach diesem kindischen Alias Ramido.<br />

<strong>Thomas</strong><br />

Verweigerungsfaktor<br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

was bist du für ein defätistischer Mensch? Beziehst immer alle schrecklichen<br />

Perspektiven ein. Ich hätte dir meine Adresse auch so genannt. Nicht weil ich<br />

so ein vertrauensvoller Mensch bin, sondern weil ich wahrscheinlich - wie du es<br />

sehen würdest – so leichtfüßig bin, und mir der Gedanke, dass du Missbrauch<br />

damit treiben könntest, gar nicht kommt. Auch 'wenn du nichts mehr von mir<br />

hören möchtest', wie kommt man denn darauf, an so etwas zu denken, wenn<br />

man sich noch nicht einmal schreibt? Dein Agenturtext las sich, dass man in dir<br />

etwas von Widerspenstigkeit hätte vermuten können, jetzt denke ich, du musst<br />

Beamter sein.<br />

Gruß <strong>Ilona</strong><br />

Liebe <strong>Ilona</strong><br />

wie subversiv und widerspenstig ich bin, kann ich selber schlecht beurteilen,<br />

wenn es aber Voraussetzung sein sollte, dass du dich weiterhin mit mir unterhältst,<br />

wirst du den Verweigerungsfaktor aus meinen Schreiben leider selber<br />

errechnen müssen. Ich denke auch nicht, dass ich mich mit defätistischen Gedankengängen<br />

quäle. Meine Vorstellung ist nicht, dass ich eine Partnerin suche,<br />

und jetzt hat sich zwar eine gemeldet, aber das wird ja sowieso nix, weil<br />

die grundsätzlich eigentlich gar nicht <strong>will</strong>. Anderseits tanze ich auch nicht vor<br />

Freude durchs Haus, weil mir jetzt eine Frau geschrieben hat. So läuft das alles<br />

überhaupt nicht bei mir. Ich möchte es einfach so sehen, was man mit der Bezeichnung<br />

realistisch belegen könnte. Vielleicht ist das zu beamtenmäßig konventionell,<br />

aber wie würde es denn der große widerspenstige Nonkonformist<br />

sehen wollen. Ich denke, dass sich unkonventionell nicht aus einem Gegensatz<br />

zu realistisch definiert. Ich sehe also keineswegs böse Perspektiven, wollte nur<br />

bei dir eventuell bestehende Bedenken berücksichtigen.<br />

In gewisser Weise ziemlich konventionell und bieder gelebt habe ich allerdings<br />

schon sehr lange. Ich war verheiratet, aber Beamter bin ich nicht. Meine Frustrationen<br />

beruhen auch nicht unmittelbar darauf, dass meine Frau und ich uns<br />

getrennt haben. Ich war mir nicht schlüssig darüber, was ich überhaupt wollte.<br />

Dass du als Mensch kein isoliertes Wesen bist, sondern dich aus der Kommunikation<br />

mit anderen definierst, habe ich nie anders gesehen, gewünscht oder für<br />

erklärbar gehalten, nur was daraus für die Gestaltung einer Zweierbeziehung<br />

resultiert und wo die Grenzen der Komplementarität liegen, hat mir den Entschluss,<br />

allein leben zu wollen, nahe gelegt. Und zwar ohne jegliche defätisti-<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 5 von 33


sche Gemüts- oder Gedankenlage. Meine Frustration bestand eher darin, dass<br />

es keinen Weg für eine gesicherte von allen Realitäten unberührte, engelsgleiche<br />

Beziehung geben konnte. Wäre doch so schön gewesen, zumal ich mich so<br />

sehe, dass mich Destruierendes in engen zwischenmenschlichen Bindungen außergewöhnlich<br />

belastet.<br />

<strong>Thomas</strong><br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

das ist es, was ich am allermeisten hasse, wenn sich jemand anmaßt, sich meinen<br />

Kopf zerbrechen zu können oder zu müssen. Mach so etwas, bitte, nie wieder,<br />

sonst war dies mein letzter Brief. Ob und wie ich dir etwas sage, werde ich<br />

schon allein entscheiden können und mit Sicherheit auch tun. Deinen Renitenzfaktor<br />

habe ich noch nicht errechnet. Es fällt mir schwer. Dein Denken ist mir<br />

fremd. Ich habe mich noch nie mit soziologischen oder philosophischen Gedanken<br />

befasst, bevor ich mich entschied, einen Mann zu küssen oder nicht. Ich<br />

war auch verheiratet, zwei mal sogar. Vielleicht wäre es besser gewesen, es<br />

vorher zu tun. Aber auch, wenn ich verheiratet war, natürlich ist das nichts Extraordinäres,<br />

aber als bieder würde ich mein <strong>Leben</strong> deshalb auf keinen Fall bezeichnen.<br />

Es kommt doch darauf an, wie du die Beziehung gestaltest und<br />

siehst, und wie du dich selbst darin definierst. Als Wunsch nach einem ungestörten,<br />

wie du es nennst engelsgleichen, Verhältnis ist es bei mir nie aufgetaucht.<br />

Ich habe es immer sehr direkt und praktisch gesehen, das heißt, ich<br />

habe meinen Emotionen sehr viel Raum gegeben, um ihre Dominanz über mich<br />

ausleben zu können. Erst jetzt, sehr spät eigentlich, frage ich mich, ob das<br />

ausreichend ist. Ob die Erfüllung der augenblicklichen Bedürfnisse nicht verdeckt,<br />

dass du dich auch noch nach etwas anderem sehnst, was du so nie erreichen<br />

kannst. Darin liegt der Frust, den ich gegenüber meinem bisherigen<br />

<strong>Leben</strong> verspüre.<br />

Übrigens, grüß mich mal, wenn du aufhörst zu schreiben und mir deinen Brief<br />

schicken <strong>will</strong>st. Kann auch ein Widerspenstiger machen, ist überhaupt nicht<br />

konformistisch, sondern nur ein nettes Signal jedweder zwischenmenschlichen<br />

Kommunikation, dessen sich sogar der kapriziöseste Exzentriker bedienen darf.<br />

In diesem Sinne einen lieben Gruß von<br />

<strong>Ilona</strong><br />

Liebe <strong>Ilona</strong>,<br />

entschuldige bitte, ich kann deine Empörung sogar sehr gut nachvollziehen.<br />

Gerade dabei handelt es sich um etwas, das ich als äußerst wichtig und von<br />

zentraler Relevanz für eine Beziehung halte. Den Anderen in seiner spezifischen<br />

Eigenart, als das Andere, das Nicht-Ich zu akzeptieren. Sich keine Vorstellungen<br />

davon zu machen, was und wie er zu denken hätte, ihn nicht zu okkupieren<br />

und sich einverleiben zu wollen, halte ich für eine entscheidende<br />

Grundvoraussetzung. Ich meine, so zu denken, mache es aber selber, obwohl<br />

wir uns überhaupt noch nicht einmal kennen. Ich glaube nicht, dass ich der<br />

Einzige oder einer von wenigen bin, die sich so verhalten. Eher wird die große<br />

Mehrheit so verfahren. Worin der Reiz dazu liegen sollte, kann ich aber gar<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 6 von 33


nicht erkennen. Ich denke auch nicht, dass du es einmal für dich beschließen<br />

kannst, und dann bist du grundsätzlich für alle Zeit gegenüber jedem immun<br />

gegen derartige Ambitionen. Ich sehe es so, dass es sehr stark von der<br />

singulären Situation abhängig ist. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass ich, je<br />

schlechter unser Verhältnis zueinander wurde, um so besser wusste, wie meine<br />

Frau eigentlich zu reagieren haben müsste.<br />

Du hättest dich von deinen Emotionen dominieren lassen, sagst du. Ich denke<br />

die Freiheit brauchst du ihnen nicht zu geben. Sie nehmen sie sich bei jedem<br />

Menschen. Wenn du es zu verhindern suchst, wirst du krank oder verklemmt.<br />

Die meisten Menschen aber lieben oder haben es sich angewöhnt sich selbst zu<br />

belügen. Die dichotomische Sichtweise hier meine Ratio und dort meine Emotionen<br />

ist doch untauglich. Beim Magnetismus kann man vielleicht mit den zwei<br />

Polen noch etwas erklären, aber in deinem Gehirn ist alles mit allem über Milliarden<br />

von Bahnen vernetzt. Was deinen Cortex nicht erreicht, darüber kannst<br />

du nicht sprechen, das ist aber nur das Wenigste und oft sehr unvollständig<br />

und durch das dir Bekannte verfälscht. Ob du dich bei etwas wohlfühlst oder<br />

nicht, wird immer auch sehr gute Gründe haben, gleichgültig ob du sie erkennen<br />

kannst oder nicht. Sie werden irgendwo in deiner Bio zu finden sein. Mich<br />

würde interessieren, was es denn ist, nachdem du dich sehnst, und das du<br />

nicht erreichen zu können glaubst, wenn du deinen Emotionen nachgibst.<br />

Du hast Recht, diesmal ganz liebe Grüße, die auch für den letzten Brief noch<br />

nachträglich wirken sollen.<br />

<strong>Thomas</strong><br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

ich denke so etwas gar nicht, lese es aber mit Interesse, was du für Überlegungen<br />

zur gegenseitigen Anerkennung und Respektierung machst.<br />

Mit der Dominanz der Emotionen bei mir meine ich speziell etwas anderes, als<br />

dass rationale Begründungen oft nur Legitimationen für emotionale Entscheidungen<br />

sind. Ich habe lange überlegt, ob ich es dir überhaupt schreiben sollte,<br />

weil ich denke, dass es schon sehr privat ist. Seit der Pubertät hat mir Sex immer<br />

sehr viel bedeutet und mein Handeln und Denken in weiten Bereichen bestimmt<br />

und auch sozial liberalisiert. Nach der großen Liebe habe ich nie gesucht,<br />

ich konnte auch so jemanden nett finden und mit ihm ins Bett gehen.<br />

Natürlich war eine feste Beziehung der beste Rahmen, aber wenn es im Bett<br />

keinen Spaß mehr machte, war es für mich nicht zu ertragen. Ich habe meine<br />

beiden <strong>Leben</strong>sgefährten zweifellos sehr gern gemocht, und ich denke, im Nachhinein,<br />

dass man das Soziale der Beziehung vom Sexuellen gar nicht trennen<br />

kann. Auch wenn ich jetzt sage, dass ich sie gern gemocht habe, denke ich,<br />

dass ich sehr intuitiv oberflächlich damit umgegangen bin, mir wenig Gedanken<br />

darüber gemacht habe, was es bedeutet. Meine Gewichtung des Sexuellen hat<br />

eine Extraversion begünstig, die mich für tiefer Liegendes im Sozialen blind<br />

machte. Ich glaube, dass es im gegenseitigen Anerkennen und Verstehen Dimensionen<br />

von Zuneigung und Liebe geben muss, die ich nie erfahren habe,<br />

von denen ich aber jetzt weiß, dass sie wichtiger und erfüllender sein müssen<br />

als tausend Orgasmen. Das ist es, wonach ich mich sehne.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 7 von 33


Alles Liebe<br />

Deine <strong>Ilona</strong><br />

Winterschlaf<br />

Liebe <strong>Ilona</strong>,<br />

danke für deine Offenheit und das mir entgegengebrachte Vertrauen. Nur was<br />

soll ich dazu sagen. Das man Interesse an Sex hat, ist evolutionsbedingt<br />

zwangsläufig nicht anders möglich, wie sich das beim Einzelnen auswirkt ist in<br />

der Regel psychisch und nur sehr selten hormonal oder genetisch bedingt. Ein<br />

starkes Bedürfnis nach häufiger sexueller Befriedigung wurde früher bei Frauen<br />

als psychische Deviation angesehen, was heute lächerlich wirkt. Es mag ja<br />

sein, das es dir stark auffällt und du dich davon abhängig empfindest, aber<br />

wenn du dich dadurch belästigt oder gequält fühlst, wird dir nichts anderes übrig<br />

bleiben, als einen Psychiater zu fragen, der eventuell die Ursachen dafür<br />

aufdecken kann.<br />

Dass dir jetzt auffällt, welchen Wert du auf Anerkennung und Zuneigung legen<br />

würdest, empfinde ich ein wenig kurios. Anerkennung ist die Basis auf der du<br />

dein Urvertrauen entwickelst, die Grundlage für Vertrauen und Sicherheit. Anerkennung<br />

macht dich als soziales Wesen aus. Deinem Begehren liegt immer<br />

ein Begehren nach Anerkennung zu Grunde. Ich weiß nicht wie alt du bist, aber<br />

wenn du zwei mal verheiratet warst, wirst du ja sicher auf einige Tage zurück<br />

blicken können, Tage an denen dir an jedem von ihnen Aufmerksamkeit und<br />

Anerkennung wichtig waren, wenn du sagst, es jetzt zu entdecken, verstehe<br />

ich dich nicht. Trotzdem<br />

Einen lieben Gruß<br />

<strong>Thomas</strong><br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

hast du eigentlich gar nicht entdeckt, wie unverschämt dein letzter Brief war.<br />

Im Grunde belehrst du mich nur und machst mich lächerlich. Nicht nur weil ich<br />

böse darüber bin, sondern weil ich denke, dass wir beide in unterschiedlichen<br />

Welten leben und denken, auch wenn ich manches von dem interessant fand,<br />

was du geschrieben hattest, sehe ich nicht viel Sinn darin, das wir uns weiterhin<br />

E-Mails schreiben. Du brauchst auch nicht darauf zu antworten, und versuchen,<br />

meine Meinung ändern zu wollen. Ich habe es mir gründlich überlegt,<br />

und jetzt steht's fest.<br />

Lieber <strong>Thomas</strong>, mach's gut<br />

Gruß <strong>Ilona</strong><br />

Ratlos! <strong>Thomas</strong> war aufgestanden und starrte durchs Fenster. Warum machte<br />

er sich Gedanken. Zufällig hatte sie ihm geantwortet. Sie hatten sich ein paar<br />

Mal Beliebiges geschrieben. Niemand hatte an irgendeine Art von Beziehung<br />

gedacht, hatten Gedanken ausgetauscht und sich gegenseitig nicht verstanden,<br />

und damit war jetzt Schluss. Was sollte daran schlimm sein? Was wollte er be-<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 8 von 33


dauern? Trotzdem fand <strong>Thomas</strong> es schade und war unglücklich, dass sie sich<br />

jetzt nicht mehr schreiben sollten.<br />

Herbst und Winter waren vergangen, am 4. April befand sich in <strong>Thomas</strong> Box<br />

eine E-Mail von 'ilona.s@guineapics.de'<br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

du wirst mich nicht so intensiv vergessen haben, dass du nicht mehr weißt,<br />

wer ich bin. Ich wollte meine Ablage aufräumen und habe unsere kurze Korrespondenz<br />

noch mal gelesen. Hauptsächlich fiel mir dabei auf, dass ich in meinem<br />

letzten Schreiben selber unmöglich unhöflich war. Deine Mails waren toll,<br />

du hast mich sehr ernst genommen, und ich habe mich nicht einmal dafür bedankt.<br />

Natürlich war die Hauptursache, dass ich über deine letzte Mail so verärgert<br />

war, wo ich dir doch so offen von mir berichtet hatte. Das schmerzte<br />

und machte ärgerlich. Ich denke, dass es auch nicht zu dem passte, was du<br />

vorher über anerkennen und akzeptieren gesagt hattest. Du machst dir tolle<br />

Gedanken, aber in der Praxis bist du stinknormal.<br />

Ich weiß es nicht, vielleicht macht das ja auch den Unterschied zwischen uns<br />

aus. Ich habe mich auch selber ehrlich zu fragen versucht. Dass ich nicht jemanden<br />

suche, um auszutesten, ob er zu mir passen könnte, das ist schon so,<br />

nur wenn ich mich mit dir unterhalte, habe ich schon ein Bedürfnis, dich näher<br />

kennen zu lernen. Wenn du nicht einen interessanten Eindruck auf mich gemacht<br />

hättest, wäre ich ja gar nicht auf die Idee gekommen, auf deinen Agenturtext<br />

zu reagieren. Eine Form von mehr Persönlichem ist das schon. Wenn du<br />

mir immer schreibst und antwortest, wird es bei dir nicht anders sein. Du<br />

brauchst nicht daran zu denken, ob ich eine potentielle Partnerin sein könnte,<br />

aber ein irgendwie geartetes Interesse aneinander muss doch schon bestehen.<br />

Nur deine Briefe waren zwar ganz nett, aber ließen von dir persönlich nicht viel<br />

erkennen. Du hast außer dem kurzen Hinweis auf deine Frau immer über dich<br />

in theoretisch Verallgemeinerungen gesprochen. Das wirkt auf deine Leserin<br />

nicht besonders persönlich animierend. Ich glaube, deshalb sah ich auch keine<br />

Perspektive mehr.<br />

Ich weiß nicht, ob das heute auch noch meine Einstellung ist, jedenfalls bin ich<br />

der Ansicht, dass ich mir mal wieder zu wenig Gedanken gemacht habe, welchen<br />

Wert eigentlich eine derartige Kommunikation, wenn es auch nur eine<br />

kurze war, für einen Menschen hat. Ich gehe zu leichtfertig damit um, zerstöre<br />

es im Affekt, weil mir irgend etwas nicht passt. Dass ist auch eine Form der<br />

emotionalen Dominanz, die mir so nicht mehr gefällt.<br />

Weißt du, hier ist es wunderschön. Auf dem Rhein fahren die Menschen mit<br />

dem Bötchen zum Drachenfels, die Sonne bestrahlt das neue Grün und Gelb<br />

und Weiß mit aller Frühlingskraft, Le Sacre du Printemps, in letzter Zeit jeden<br />

Tag. Das macht einfach glücklich. Natürlich wohne ich in Bonn und wenn es dir<br />

etwas bedeutet, ich bin 46 Jahre alt. Das Anonymspiel macht mir in diesem Alter<br />

keinen Spaß mehr.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 9 von 33


Vielleicht kannst du ja doch einen Reiz verspüren, mir zu antworten. Es würde<br />

mich freuen.<br />

Liebe Grüße<br />

<strong>Ilona</strong><br />

Frühling<br />

Liebe <strong>Ilona</strong>,<br />

leider bist du mir zu alt. Ich komme nämlich langsam in das Alter, in dem Männer<br />

wieder scharf auf junge Mädels werden sollen. Im Moment ist das zwar bei<br />

mir noch nicht so, aber ich werde ja auch im Herbst erst fünfzig. Vielleicht<br />

kannst du mir mit deinen erfrischenden Mails ja auch Empfindungen vermitteln,<br />

die ein Bedürfnis, mich um die jungen Damen kümmern zu müssen, gar<br />

nicht aufkommen lassen. Unser Fluss hat sogar einen See, ist auch sehr schön<br />

und grün, nur wenn ich ein Haus haben wollte, von dem ich auf ihn blicken<br />

könnte, wäre ich am besten Vorstandsvorsitzender in einem der großen Bonner<br />

Unternehmen. Er liegt ganz im Süden, fließt in den Rhein, heißt Ruhr und ich<br />

wohne natürlich in Essen.<br />

Es tat mir weh, und ich wusste nicht warum. Deine Mail, jetzt kein weiteres Interesse<br />

am Kontakt zu haben, war eigentlich nichts Besonderes, aber ich fand<br />

es schade. Nicht weil ich Hoffnungen und Erwartungen gehabt hätte, nein, einfach<br />

so. Es wäre schöner, wenn auch weiterhin Briefe von <strong>Ilona</strong> kämen und ich<br />

ihr schreiben könnte. Warum? Erkläre es mir, ich kann nur rätseln. Natürlich<br />

hast du Recht, dass ein Interesse aneinander bestehen muss, und das wird<br />

durch häufige Kontakte mit Sicherheit nicht geringer. Wir werden uns gegenseitig<br />

vertrauter. Das wird sich nicht verhindern lassen. Ich wünsche es mir<br />

auch, nur zu Beginn scheine ich wohl die Distanz zu pflegen. Jetzt werde ich dir<br />

auch keine theoretischen Abhandlungen zur Freude und wie sie entsteht übermitteln,<br />

sondern dir einfach sagen, dass ich mich außerordentlich über deinen<br />

Brief gefreut habe.<br />

Schreib mir etwas von dir. Es wird mir auf's Neue Freude bereiten. Ich verspreche<br />

dir, nichts mehr von Anerkennung und Akzeptanz zu schreiben, sie dafür<br />

aber in Zukunft dir gegenüber zu praktizieren. Vor allem aber werde ich darauf<br />

achten, mich nicht mehr so zu äußern, das du dich von mir lächerlich gemacht<br />

empfindest. Ich denke, es ist trotz der langen Zeit nicht zu spät, dich für meinen<br />

letzten Brief um Entschuldigung bitten zu können.<br />

Dankbar mit ganz lieben Grüßen<br />

Dein <strong>Thomas</strong><br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

gern <strong>will</strong> ich dir erfrischende Mails schreiben, nur ich weiß nicht genau was das<br />

ist und wie man das macht. Vielleicht wäre es aber auch gar nicht so falsch,<br />

wenn sich mal jemand ein wenig mehr um die jungen Damen kümmerte. Also<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 10 von 33


ich kenne einige, die es dringend nötig hätten. Meine Kleine ist zwar auch<br />

schon achtzehn und steckt im Abitur, aber ich denke, dass es auf ihrem intellektuellen<br />

Globus große weiße Flächen gibt, die unbedingt einer Erforschung<br />

bedürften. Bei mir selbst sieht es ja nicht viel anders aus. Ich arbeite in einem<br />

dieser großen Bonner Unternehmen, nur konnte ich es bislang leider noch nicht<br />

zur Vorstandsvorsitzenden bringen, sonst würde ich dir bestimmt eine Villa am<br />

Baldeneysee schenken. Ich leide massiv unter der intellektuellen Deprivation in<br />

diesem Laden. Es ist eine so armselige Routine, mit der ich mich zu beschäftigen<br />

habe, und dafür gibt es so viel Geld.<br />

Deine Ankündigung, mehr Persönliches von dir schreiben zu wollen, finde ich<br />

zwar toll – ich weiß ja bislang nichts von dir -, nur sehe ich deine Gedanken<br />

auch als sehr wertvoll für mich an. Ich brauche, suche und mag so etwas.<br />

Yvette, meine ältere Tochter, ist zwanzig und studiert in Köln. Sie ist absolut<br />

gut drauf und ich denke, ihr beide würdet euch prima unterhalten können. Ich<br />

bin wohl zu sehr durchs <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong>, anstatt mich frühzeitig um das Entscheidende<br />

zu kümmern. Und meine kleine Julie unterstützt mich ja auch gar<br />

nicht, wenn sie nicht für die Schule paukt, dröhnt sie sich zu mit lauter Musik.<br />

Ich werde ihr mal drohen, dass sie später auch bei der Post landen wird, wenn<br />

sie so weiter macht. Oder ist das pädagogisch daneben? Hast du auch Kinder<br />

und so etwas? Du warst doch verheiratet? Ein anderer Mensch, seist du geworden,<br />

hattest du damals bei der Agentur geschrieben. Dazu hast du auch noch<br />

nichts erklärt. Wenn das ginge, möchte ich das, glaube ich, auch manchmal.<br />

Erzähl's mir. Ich warte gespannt.<br />

Alles Liebste<br />

Deine <strong>Ilona</strong><br />

Das widerspenstige Kind<br />

Liebe <strong>Ilona</strong>,<br />

erfrischend sind alle Mails, die wach machen, die lebendig sind im Gegensatz<br />

zu ermüdenden, einschläfernden. Bis auf die eine, die den langen Winterschlaf<br />

auslöste, fand ich deine Mails bislang immer erfrischend. Zumindest habe ich<br />

sie sehr interessiert gelesen. Natürlich würde ich mich gern um deine Tochter<br />

kümmern, aber meinen Einsätzen wird da wenig Erfolg beschieden sein, wie ich<br />

aus der Praxis mit meinem Sohn schlussfolgere. An Kindern habe ich nämlich<br />

ein Stück, mit 'und sonstiges' bin ich überhaupt nicht gesegnet. Diesem Kind<br />

scheint Hanover so gut zu gefallen, dass es gar nicht aufhören <strong>will</strong>, dort zu studieren.<br />

Es hört auf den Namen Leonard, lässt sich aber auch Leo nennen, ist<br />

Tierarzt und studiert noch Biochemie. Das widerspenstige Kind hat mich von<br />

kleinauf immer so begeistert, dass die von dir bei mir vermutete Widerspenstigkeit<br />

sicherlich damit in Zusammenhang steht. Wenn du dich beobachtest,<br />

stellst du fest, dass du deinem Kind bei aller Widerspenstigkeit selbstverständlich<br />

trotzdem deine ungebrochene bedingungslose Anerkennung schenkst. Wie<br />

viel es ihm bedeutet hat, bekommen wir von Leonard heute noch demonstriert.<br />

Immer hat er uns alles von sich stolz gezeigt. „Guck mal, das ist Bine, wie gefällt<br />

sie dir?“ diesen Satz, mit dem er stolz seine erste verdutzt blickende<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 11 von 33


Freundin in mein Zimmer führte, werde ich nie vergessen. Heute hat er es<br />

wohl zur Meisterschaft entwickelt. Selbst wenn er dir etwas für ihn so Simples<br />

erklärt, wie die ASS, also das Aspirin, von deinem Magen bis zu deinen grauen<br />

Zellen vordringt, sich Einlass verschafft und in ihnen sein Werk beginnt,<br />

glaubst du direkt an einem Krimi teilzunehmen. Auch wenn du mich für<br />

extraordinär oder nonkonformistisch hältst, aber Biochemie macht andächtig.<br />

Selbst wenn wir es wissen müssten, nur weil wir es nicht sehen können,<br />

empfinden wir nicht jeden Menschen, ja eigentlich jedes Lebewesen, als das<br />

größte vorstellbare Kunstwerk überhaupt. Als Sehende würden wir jedem<br />

Menschen höchste Anerkennung, Bewunderung, Zuneigung und Verbundenheit<br />

allein aus diesem Grunde zukommen lassen. Nur ihr social behavior, das sie<br />

sich im Laufe ihrer Entwicklung oft wie stinkende Lumpen umgelegt haben, <strong>will</strong><br />

einem das nicht immer leicht machen. <strong>Ilona</strong>, und so einem Kunstwerk in Form<br />

deiner Tochter <strong>will</strong>st du mit der Post drohen. Das ist nicht pädagogisch<br />

daneben, das fällt unter Missachtung der Würde des Menschen. Willst du nicht<br />

lieber nach den Stellen für die Clips zum Anbringen eines Strahlenkranzes<br />

suchen?<br />

Mach dir, bitte, keine schwerwiegenden Gedanken. Ein anderer Mensch bist du<br />

sowieso jeden Tag. Der von gestern wirst du niemals sein können. Nur worin<br />

die Änderungen bestehen, lässt sich meistens nur schwer oder gar nicht erkennen.<br />

Dabei kann es natürlich vorkommen, dass die Veränderungen einen Weg<br />

beschreiten, den du niemals intendieren würdest. Ich meinte, es sei besser allein<br />

zu leben, da ich Angst vor den nicht auszuschließenden destruktiven Elementen<br />

einer Zweierbeziehung hatte. Das ist natürlich eine kuriose Argumentationsweise,<br />

nach der du es auch für sicherer halten müsstest, dein gesamtes<br />

<strong>Leben</strong> einzustellen, denn die Risiken sind ja hier noch ungleich größer und vielfältiger.<br />

Nur wenn du zu so einer verrückten Eistellung kommst, muss sich ja<br />

auch bei dir im Bauch etwas befinden. Ich stelle am Museum Bilder und Skulpturen<br />

aus, betrachte die Bilder gern möglichst unvoreingenommen zuerst selber.<br />

Ich lass mich faszinieren von den Geschichten die sie erzählen und und<br />

den Ansichten, die sich aus ihnen lesen lassen. Fantastisch ist das oft, nur was<br />

ist das immer in Bezug auf das Gesicht eines Menschen, auf das du dich einlässt?<br />

Und wenn du dich länger mit ihm beschäftigst, kommt in dir so etwas<br />

wie Andacht vor der Individualität, vor dem sozialen Sein des anderen, vor seiner<br />

Würde auf. Mit diesem dir fremden Menschen möchtest du schon nichts<br />

Destruktives erleben, wie viel weniger dann mit jemandem, dem du dich eng<br />

verbunden fühlst. Nur ich gehe auch einkaufen, obwohl sich unterwegs ganz<br />

viele Autos befinden, die mich alle totfahren könnten. Und meine Wandlung besteht<br />

darin, meine Befürchtungen und Ängste überwunden zu haben, nicht eine<br />

Beziehung abzulehnen sondern darauf zu achten, welche Gefahren auf den Wegen<br />

lauern. Es ist nur so schwer. Ich finde alle Frauen faszinierend nur betrachte<br />

ich sie zu distanziert. Ich weiß gar nicht, wie dieser sogenannte Funke aussehen<br />

soll, damit ich ihn erkennen könnte. Annäherungsversuche und Aufdringlichkeiten<br />

sind es auf keinen Fall, sie weisen mich ab. Damals bei meiner<br />

Frau war das einfach selbstverständlich da. Vielleicht besteht der Funke ja darin,<br />

das du merkst, dass es da ist.<br />

Ich <strong>will</strong> deine <strong>Leben</strong>sveränderungswünsche keinesfalls desavouieren, aber oft<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 12 von 33


handelt es sich dabei nur um kleine Traumbilder, die einem mal erscheinen,<br />

tatsächlich muss man sich eingestehen, das man sich in der bekannten, gewohnten<br />

<strong>Leben</strong>sform am wohlsten fühlt. Ich denke auch, das es mit den<br />

großen Veränderungen nicht so weit her ist, man muss sich dabei doch immer<br />

selber mitnehmen, einen anderen hast du ja nicht. Meistens sind nur die<br />

Kleider neu und es gleicht eher einem Corriger la fortune. Das ist es sicher<br />

nicht, was du anstrebst.<br />

Allerliebste Grüße<br />

Dein <strong>Thomas</strong><br />

Ich möchte etwas anderes<br />

Liebster <strong>Thomas</strong>,<br />

dein Brief hat mich sehr gefreut, war informativ und hat mich Lächeln lassen.<br />

Die Clipse für den Heiligenschein der leider nicht mehr so ganz kleinen Julie<br />

habe ich selbstverständlich längst besorgt. Nur wie geringschätzig du dich gegenüber<br />

Veränderungswünschen äußerst, finde ich nicht angemessen. Weltweit<br />

versprechen jeden Samstag sicherlich Millionen Menschen, sich zu ändern und<br />

fortan nicht mehr zu sündigen. Wie hoch die Rückfallquote ist, weiß ich allerdings<br />

nicht, aber das Sündigen gehört bestimmt bei der betroffenen Klientel zu<br />

einer der beliebtesten Süchte, noch weit vor dem Saufen. Einen biologisch bedingten<br />

change of life habe ich schon beinahe überlebt. Voll drin im Wechsel<br />

stecke ich. Aber unabhängig davon ist doch alles deinem Zellhaufen von außen<br />

zugefügt worden, und das lässt sich doch ändern. Sicherlich ist einiges natürlich<br />

auch sehr Bedeutsames schon ganz früh mit dir verwachsen und nicht<br />

mehr änderbar, aber wie die Meinungen in deinem Kopf entstanden sind, so<br />

können dort auch andere entstehen. Das Veränderungen oft so schwer fallen,<br />

liegt meiner Ansicht nach daran, dass das Bild von dem veränderten Selbst oft<br />

nur so schwammig ist und dass der Veränderungsprozess Feinde in dir hat, die<br />

sich nicht offen zeigen. Oft weiß du auch gar nicht, was eigentlich zu tun ist,<br />

damit sich etwas ändert. Der mit seinem Weltbild unzufrieden ist, weiß deshalb<br />

noch lange nicht, was er wie tun müsste, um es zu ändern.<br />

Mir geht es gut, ich fühle mich wohl, liebe meine Kleine trotz Musikradau, aber<br />

ich möchte auch noch etwas anderes für mich. Beziehungen, die ich hatte, glichen<br />

meiner heutigen Einschätzung nach eher kumpelhaften Verhältnissen.<br />

Das reichte mir, wenn's im Bett gut war. Heute kommt es mir vor, das ich Entscheidendes<br />

nicht gesehen oder für irrelevant gehalten habe. Oberflächlich<br />

habe ich gelebt. Wenn ich sehe, welche Bereiche die Beziehungen zu meinen<br />

Kindern berühren, muss ich feststellen, dass ich nie Verhältnisse gehabt habe,<br />

die an derartige Dimensionen herangereicht hätten. Ich mochte sie, bin gut mit<br />

ihnen ausgekommen, aber die große Liebe war es nie. Ich denke, erst durch<br />

die Kinder habe ich festgestellt, was es sein könnte, wie viel es einem bedeuten<br />

könnte, welches Gewicht es für dich als Person haben könnte. Sex ist<br />

schön, aber gegen eine tiefe Beziehung zu einem anderen Menschen ist es ein<br />

Flop. Das <strong>will</strong> ich aber, <strong>will</strong> es erleben, erfahren und darin glücklich sein können.<br />

Alles andere sehe ich mit untergeordneter Bedeutung. Aber ich weiß auch<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 13 von 33


nicht wie. Man kann es sich ja nicht beim Versandhandel bestellen. Da kommst<br />

du gar nicht ran. Machmal denke ich auch schon, dass Männer prinzipiell dafür<br />

viel zu stieselig sind, und die wenigen Ausnahmen werden dir doch nicht frei<br />

herumlaufend zur Verfügung stehen. Wenn ich so denke, macht mich das traurig,<br />

aber das kommt meistens nur im Herbst.<br />

Jetzt wir es bald Mai. Wirst du hineintanzen?<br />

Allerliebstes<br />

Deine <strong>Ilona</strong><br />

Liebste <strong>Ilona</strong>,<br />

es ist ein Skandal. Zweitausend Jahre lang bestimmte die katholische Kirche<br />

die abendländische Kultur. Alles mussten wir von ihr übernehmen. Die Bräuche<br />

und Sitten, den Kalender und die Feiertage, Musik und Moral, alles kommt von<br />

ihr. Nur die Beichte, warum haben wir die nicht übernommen? Eines ihrer hervorragendsten<br />

Instrumente. Man könnte es heute noch. Spielend einfach wäre<br />

es. Mann richtete einen Bundesbeichthof ein, und das ging dann runter über<br />

die Länder, so dass letztlich jedes Dorf neben der Polizeistation über eine<br />

Beichtstation verfügte. Der Bedarf wäre sicher immens. Wie viel Richter und<br />

Gerichte könnte man einsparen, weil schon vorher alles längst vergeben wäre.<br />

Wie viel Ehestreitigkeiten würden überflüssig. „Sag' mal, wo warst du am vorletzten<br />

Freitag mit deiner Assistentin?“ würde die Frau wahrscheinlich gar nicht<br />

mehr fragen, weil sie wüsste, dass sie zu hören bekäme: „Ach, das ist doch alles<br />

längst vergeben.“ Niemand brauchte sich mehr mit einem unreinen Gewissen<br />

und Schuldvorwürfen zu plagen. Heute musst du dazu immer noch Mitglied<br />

der katholischen Kirche werden, um in diesen Genuss zu kommen. Ich würde<br />

ihr ja beitreten, nur sie unterstützen mich nicht in meinem Bedürfnis, hier und<br />

jetzt schon glücklich sein zu wollen. Dass sie mir all meine Fehler und Missetaten<br />

direkt vergeben könnte, davon bin ich überzeugt, nur bei dem zukünftigen<br />

<strong>Leben</strong>, das umso schöner sein soll, je dreckiger es mir hier geht, <strong>will</strong> es mir<br />

nicht gelingen, ihr zu trauen. So wird der oberste Hirte leider auf mich als<br />

Schäflein verzichten müssen. Wo ich mich doch so gern in die Herde eingereiht<br />

hätte.<br />

Weißt du, alle Widerspenstigkeit ist noch letztendlich nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit<br />

und Anerkennung, um von der Horde aufgenommen werden zu<br />

können. Anerkennung kann doch nur im kommunikativen Prozess erfolgen. Alle<br />

Aufmerksamkeit die du wünscht und die du erzeugst, hat doch Anerkennung<br />

zum Ziel. Nur wo ich meine Anerkennung suche und von wem ich anerkannt<br />

werden <strong>will</strong>, ist sehr indifferent und vielfältig. Natürlich möchte ich als Kurator,<br />

der schöne Ausstellungen organisieren kann, anerkannt werden, aber ich<br />

möchte auch, dass der Besitzer meines Stammcafés mich in Ordnung findet.<br />

Nur wie du sagst, es gibt etwas, das offen bleibt, aber dringend nach Erfüllung<br />

sucht. In der Beziehung zwischen Mutter und Kind wirst du dazu viel finden.<br />

Ich denke, dass meine Mami mir von meinen ersten Tagen an gesagt hat, wie<br />

toll es sein kann und wie glücklich es mich macht, wenn jemand mich bedingungslos<br />

liebt, mir sein ganzes Herz öffnet. Damit erzeugt sie eine Sucht, die<br />

dich dein ganzes <strong>Leben</strong> nicht wieder loslässt. Die gegenseitige Anerkennung<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 14 von 33


und Zuneigung in der Zweierherde wird für die meisten Menschen lebenslänglich<br />

oberste Priorität besitzen. Bei all deinen Anerkennungen, aus denen du<br />

dein Selbstbild gestaltest, wirst du feststellen, dass noch das Entscheidendste<br />

fehlt, und das Begehren haben, diese Anerkennung zu finden. Du weißt, dass<br />

du es suchst. Es macht dich nicht jeden Tag traurig, es noch nicht gefunden zu<br />

haben, aber dass ein <strong>Leben</strong> mit Kindern dir dabei sehr viel helfen kann, denke<br />

ich schon.<br />

Den Mai kann natürlich nichts überbieten. Es lässt sich nicht mehr leugnen,<br />

dass die Erde, und wir mit ihr, nach den langen Wintermonaten wieder leben.<br />

Die Mystik des Unbehausten, die der Herbst vermittelt, hat natürlich auch ihre<br />

Reize, aber sie lässt dich nur Assoziationen entwickeln und verleitet keinesfalls<br />

zum Tanzen. Das neue <strong>Leben</strong> im Frühling aber siehst du nicht nur es hat einen<br />

Klang. Du hörst es wie eine Melodie, eine Musik, die deinen Ohren schmeichelt,<br />

die dich erfasst, deinen ganzen Körper ergreift und nach Ausdruck sucht. Du<br />

freust dich nicht nur, du <strong>will</strong>st tanzen. Das muss sein. Ich mache es auch, in<br />

der Tat, aber nicht wegen dieser Begründung, sondern weil es sich einfach so<br />

eingebürgert hat, dass Freunde am 30. April abends zum Tanz in den Mai einladen.<br />

Aber der Tanz in den Mai ist ja nur ein profaner Brauch für Gegenden, denen es<br />

an Bergen mangelt, um darüber fliegen zu können. Hast du deine Hexensalbe<br />

denn schon ausgepackt und deinen Besen damit geschmeidig gemacht, wenn<br />

der Ruf zum Ritt über den Großen Ölberg ertönt? Verrätst du auch wo dein Hexentanzplatz<br />

ist oder ob du dich dazu eventuell nicht bewegen lässt.<br />

Allerliebste Maiengrüße<br />

Dein liebster <strong>Thomas</strong><br />

Mein Liebster<br />

Mein liebster <strong>Thomas</strong>,<br />

bei deinem Gruß musste ich schmunzeln. Ich hatte es zunächst so gelesen, als<br />

ob du liebster groß geschrieben hättest. Ich denke schon, dass das, was und<br />

wie wir uns schreib, und du der Schreiber, mir sehr lieb sind. Ich mag das alles<br />

und es macht mir ein Wohlgefühl. Wenn du möchtest, kannst du auch gern<br />

mein imaginierter Cyberliebster sein. Einen anderen habe ich ja nicht, und was<br />

du sagst und wie du sprichst gefällt mir sehr gut. Ich weiß nicht, was man alles<br />

in seinen Cyberliebsten hineinimaginieren muss oder darf. Mir fehlt jegliche<br />

Kenne. Wenn du dich mit Cyberliebsten auskennst, informier mich doch bitte<br />

mal.<br />

Die Hexensalbe, liebster <strong>Thomas</strong>, hat eine veritable Hexe doch stets parat.<br />

Beim Flug in der Walpurgisnacht handelt es sich aber nur um eine Metapher für<br />

die Unrast und das ständig auf der Suche sein, der Bonner Hexen. Aber die<br />

Männer betrifft es hier genauso, alle ständig auf der Suche nach der großen<br />

wahren Liebe. Ob das am Klima in der Köln/Bonner Bucht liegt oder daran dass<br />

wir hier den Venusberg haben, wer <strong>will</strong> das diagnostizieren. Schon Beethoven<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 15 von 33


ist nach Wien geflüchtet, weil er die große Liebe suchte. Ob er sie heute im Internet<br />

finden würde? Auch dazu erwarte ich eine Antwort von dir.<br />

Aber vor allem, schreibe doch, bitte, noch öfter so etwas wie mit dem Tanzen.<br />

Ich lese es sehr gern. Es gefällt mir und bewegt mich.<br />

Möchtest du, das ich auch deine Liebste im Kybernetischen All bin oder hältst<br />

du's mehr mit der Realität der beflügelten Engel, die jeder aus den Himmelsspähren<br />

oder von anderen Abbildungen kennt?<br />

Viele Grüße aus Bonn und den sonstigen Sphären, in denen du mich vermutest.<br />

Alles Liebe<br />

Deine <strong>Ilona</strong><br />

Cybergeliebte<br />

Liebste <strong>Ilona</strong>,<br />

mir fällt es nicht immer leicht, genau zu verorten, in welcher Sphäre ich mich<br />

gerade befinde. Vielleicht müssen es auch sehr viele gleichzeitig sein, um<br />

durch ihre Klänge, die kosmische Harmonie empfinden zu können, die beim Lesen<br />

deiner Briefe in mir entsteht. Ich weiß nicht, wie meine Psyche, meine Natur<br />

und der Space dabei zusammenwirken, aber Spärenklänge sind deine Botschaften<br />

allemal. Wir treffen uns im Cyberspace, da nur er über einen Internetanschluss<br />

verfügt. Aber wie ein Cyberliebster auszusehen hat, weiß Ich auch<br />

nicht, welche Anforderungen an ihn zu stellen sind, wie bunt man ihn malen<br />

darf oder sollte. Vor allem aber weiß ich überhaupt nicht und wenn ja, welche<br />

Bezüge er zum Geschehen in der realen Welt hat oder haben könnte. Die Engelchöre<br />

sollen ja gemeinsam singen, singen ist immer gut. Aber in den Regionen<br />

des Cyberspace dominiert eher das Wort und für seinen Liebsten dort sollten<br />

es doch schöne Worte sein, Worte, die von Liebe, Harmonie und Ästhetik<br />

sprechen. Ich sehe es nicht so, dass es sich beim Cyberspace um einen Wonnepool<br />

wie beim Himmelreich mit seinem Paradies handelt, aber es verfügt<br />

über unendlich viele Nischen, in denen sich das größe Glück finden lässt. Das<br />

Entscheidenste aber macht aus, dass es <strong>Leben</strong>den zugänglich ist, und uns<br />

schon jetzt alle Möglichkeiten eröffnet.<br />

Was Beethoven im Cyberspace gemacht hätte, kann ich dir zwar genau sagen,<br />

würde sich aber in allen Ausführungen sehr umfangreich gestalten. Er hätte ja<br />

nicht mal kurz bei Wikipedia nachgeschaut oder bei Amazon ein Gesangbuch<br />

bestellt. Da er nicht mehr nach Wien müsste, hätte er unendlich viel Zeit gehabt,<br />

im Netz zu leben. Nicht „Wut über den verlorenen Groschen“ sondern<br />

„über den versperrten Zugang zum WWW“ hätte er komponiert. Was hätte Elise<br />

denn machen sollen, wenn damals die ganze Welt gewusst hätte, wie sehr<br />

Beethoven sie liebte, und der Brief an seine 'unsterbliche Geliebte' wäre nicht<br />

bei seinen Reisepapieren verkümmert, sondern hätte direkt von seinem Mac-<br />

Book aus den Weg via AirPort in die Mailbox von „Mein Engel, mein alles, mein<br />

Ich“ gefunden. Die Oper mit dem wunderschönen Titel „Leonore“ hätte ihm<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 16 von 33


heute die Herzen aller Frauen zufliegen lassen, und seine Followers bei Facebook<br />

hätten die Kapazitätsgrenzen gesprengt. Auf die Idee ihr den dämlichen<br />

Titel „Fidelio oder das Staatsgefängnis“ zu geben, wäre er heute niemals mehr<br />

gekommen. Ob bei ihm allerdings auch heute noch heitere Gefühle bei der Ankunft<br />

auf dem Lande erwacht wären, würde ich eher bezweifeln. Sicherlich hätte<br />

Beethoven heute vieles einfacher gehabt, und wenn das Problem mit der<br />

großen Liebe nicht primär bei ihm selbst läge, wäre es ihm heute bestimmt<br />

leichter sie zu finden, aber bei Beethoven muss man auch immer ganz brutal<br />

an sich selber denken, dafür dass es die Pastorale geben konnte, sollte er ruhig<br />

mit der Postkutsche nach Wien fahren müssen. In derartigen Angelegenheiten<br />

bin ich gnadenlos. Obwohl ich so jemanden wie ihn, auch heute noch gern<br />

unter uns sehen würde. Vielleicht gibt es sie ja auch, und du findest sie trotz<br />

Google und aller Suchdienste nicht, ähnlich wie bei der Liebsten. Ich höre ihn<br />

seine Sonata quasi una Fantasia in cis-Moll für dich spielen, die sicher <strong>Ilona</strong><br />

Schneider gewidmet wäre, wenn er gewusste hätte, dass dieses dumme<br />

Fürstenmädel im Jahr darauf jemanden heiratet, weil er ein Graf ist. Denk bitte<br />

daran, das Beethoven sich heute die Bezeichnung Mondscheinsonate verbeten,<br />

und auf <strong>Ilona</strong> Fantasie bestanden hätte.<br />

Von deinem Liebsten aus dem Cyberspace<br />

das Erwachen heiterer und glücklicher Gefühle<br />

Dein <strong>Thomas</strong><br />

<strong>Ilona</strong> Fantasie<br />

Mein Engel, mein alles, mein <strong>Thomas</strong>,<br />

bist du im Cyberspace nicht auch unsterblich? Aber dass man gegenseitig Geliebter<br />

und Geliebte wird, das geht doch nicht. Ich freue mich mehr als außerordentlich<br />

über deine Briefe, aber können Briefe denn jemals alles für dich bedeuten?<br />

Mein Engel sollst du schon sein. Ich weiß nur noch nicht genau welcher.<br />

Es soll da wohl sehr viele geben. Angelologie werde ich zu studieren haben,<br />

bevor ich mich entscheiden kann. Nicht so ein Puttenknäblein aber einen<br />

veritablen Schutzengel könntest du bis dahin gut abgeben. Meinst du über die<br />

Entfernung zwischen Essen und Bonn hinweg mich wirksam beschützen zu<br />

können? Ich kann es nicht fest machen, aber Einfuss nehmen deine Briefe auf<br />

mich jetzt auch schon. Ich habe alles von Beethoven wieder durchgehört, vor<br />

deinem Hintergrund wirkte es manchmal sehr kurios. Du hast Recht, die Mondscheinsonate<br />

könnte er nur mir gewidmet haben, wenn er wüsste, wie ich sie<br />

liebe. Die CD habe ich schon mit <strong>Ilona</strong>-Fantasie überschrieben.Ich mochte<br />

Beethoven schon sehr, aber ich glaube, jetzt liebe ich ihn richtig. Seinen Brief<br />

habe ich auch gelesen und mir kamen die Tränen. Es ist ja keine Liebesstory,<br />

sondern der reale Brief dieses wunderbaren Menschen in seiner unendlichen,<br />

verbotenen Verliebtheit. Er ist dadurch für mich ein anderer geworden. Nicht<br />

nur seine zauberhafte Musik, seine biographischen Daten, er ist durch diesen<br />

Brief für mich fast lebendig geworden. Auch seine Musik muss ich vor dem Hintergrund<br />

dieses Menschen hören. Ich werde wieder ins Beethovenhaus gehen<br />

und bin sicher, alles mit ganz anderen Augen zu sehen. Bestimmt schaue ich<br />

auch, wo denn sein PC gestanden haben würde.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 17 von 33


Dass es Worte, die von Liebe, Harmonie und Ästhetik sprechen, sein sollten,<br />

mit denen sich die Cyberliebsten unterhalten, gefällt mir sehr gut, aber dass du<br />

nicht sicher bist, ob eine Beziehung zur realen Welt besteht, kann ich nicht<br />

nachvollziehen. Wer könnten denn die Wesen im Cyberspace sein, wenn sie<br />

nicht Kinder von Müttern und Vätern auf dieser realen Erde wären. Wer gebiert<br />

denn ständig deine Cyberliebste für dich? <strong>Ilona</strong>, die in Bonn wohnt. Ich finde<br />

Bonn zwar himmlisch, aber es hindert nicht daran, das es fett auf dieser Erde<br />

liegt.<br />

Ich war der Ansicht, dass die Harmonie der Sphärenklänge den Ohren der<br />

Sterblichen nicht zugänglich sei. Wahrscheinlich habe ich aber nur oberflächlich<br />

darüber hinweggehört, sie gar nicht wahrgenommen, vielleicht muss man aber<br />

auch Sinnesorgane öffnen, die keine Rezeptoren nach außen haben. Es scheint<br />

mir, dass deine Brief dies in mir bewirken können. Lass mich mehr hören, es<br />

macht ein sehr gutes Gefühl.<br />

Deine Liebste Illona<br />

Meine Liebste <strong>Ilona</strong>,<br />

dass die Bewohner des Cyberspace irdische Eltern haben, ist mir schon klar.<br />

Wir lieben sie, es sind nur unsere Seelen, unser Geist und unsere Emotionen<br />

die dort wohnen. Welche Möglichkeiten stehen ihnen untereinander offen? Wie<br />

wird es sich auf ihre Eltern mit ihrer Körperlichkeit auswirken? Das ist es, was<br />

ich mich frage. Wenn ich lese, wie du dich mit Beethoven beschäftigt hast, versuche<br />

ich, es mir nicht nur vorzustellen, sondern ich spüre, dass ich den<br />

Wunsch hätte, bei dir zu sein, mit dir darüber zu reden, es mit dir gemeinsam<br />

zu erleben. Was ist das? Warum ist das so, obwohl ich dich noch nie gesehen<br />

habe? Was für ein Bild von dir haben unsere Mails bei mir gezeichnet? Visuelle<br />

Elemente kommen darin gar nicht vor, es besteht nur aus Worten, Gedanken<br />

und Klängen. Es ist wunderschön, dieses Bild zu betrachten. In welcher Beziehung<br />

steht es zu seiner Urheberin auf der Erde? Oder werden es nur die Cyber -<br />

kinder bleiben können, die sich untereinander mögen und sich gegenseitig die<br />

kosmischen Harmonien spüren lassen? Ist es nur so, dass sich die Cybereltern<br />

untereinander vertrauter werden, oder kann es für sie auch etwas anderes bewirken?<br />

Liebe <strong>Ilona</strong>, ich freue mich auf deine Mails, liebe es dir zu schreiben, aber es<br />

beginnt auch mich zu verwirren, weil ich es so zu empfinden beginne, dass du<br />

mir mehr bedeutest, als eine fremde Briefpartnerin aus einer Stadt am Rhein.<br />

Ich sehe dich nicht nur in meiner Mailbox, you are in my mind. Es ist einfach<br />

so gekommen ohne dass ich mich darum gekümmert hätte.<br />

Sag' doch mal, bitte, was du davon hältst, wie du es bewertest und wie wir damit<br />

umgehen sollen. Ich bin ziemlich ratlos.<br />

Lass dich nicht auch verwirren und sag's mir offen und direkt.<br />

In Liebe<br />

Dein <strong>Thomas</strong><br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 18 von 33


Vernissage<br />

Liebster <strong>Thomas</strong>,<br />

ich denke, wir sind ein wenig meschugge. Bei meinen Beethoven Aktivitäten<br />

habe ich auch immer gedacht: „Wenn <strong>Thomas</strong> jetzt hier wäre.“ Dann viel mir<br />

mir wieder ein: „Was für ein dummer Gedanke, du kennst ihn doch gar nicht.“<br />

Ein Bild von dir musste ich haben, ein sehr liebes, freundliches. Es gefällt mir.<br />

Ich mag es sehr gut leiden. Viel anders wird es bei dir auch nicht sein, und das<br />

gefällt mir auch. Wir werden nicht umhin können, uns bei einer kleinen Vernissage<br />

zur Ausstellung und gegenseitigen Vorführung unserer beiden Bilder zu<br />

treffen. Mehr schreibe ich jetzt gar nicht. Sag mir nur, was du davon hältst.<br />

Grüße mit all meiner Liebe<br />

Deine <strong>Ilona</strong><br />

Liebste <strong>Ilona</strong>,<br />

na klar! Selbstverständlich! Die Vorstellung, dich in vivo zu treffen, ist für mich<br />

prickelnd, obwohl es ja banale visuelle Lappalien sind, die sich mir im Gegensatz<br />

zu den vielfältigen intellektuellen Eindrücken, die wir austauschen konnten,<br />

vermitteln. Bin ich ein Voyeur? Hat sich mein Unterbewusstsein gegen<br />

mein ausdrückliches Verbot doch heimlich ein buntes Bild gemacht von der<br />

Frau, die mir die lieben Briefe schreibt, und brennt darauf es zu vergleichen.<br />

Wirst du dich besonders schön machen für mich, wenn wir uns treffen. Schlag<br />

du einen Wochenendtermin vor, ich werde darauf reagieren und sag auch, wo<br />

dir unser Treffen lieber wäre, hier oder in Bonn.<br />

Mit kitzliger Freude unser Treffen erwartend<br />

Dein dich liebender <strong>Thomas</strong><br />

Lieber <strong>Thomas</strong>,<br />

leider werde ich an dem Treffen persönlich nicht teilnehmen können, sondern<br />

mich durch eine der hässlichsten Bonner Waschweiber vertreten lassen müssen.<br />

Du Depp, eine Frau ist prinzipiell niemals eine 'visuelle Lappalie' in welchem<br />

Zusammenhang und unter welchen Umständen auch immer. Wie kannst<br />

du mich denn fragen, ob ich mich besonders schön machen würde für dich,<br />

<strong>Thomas</strong>, das enttäuscht mich wirklich und ich hätte es dir nicht zugetraut. Ich<br />

verzeihe dir, weil ich denke, das du ein wenig ausgeflippt bist, zur Buße wirst<br />

du mir aber trotzdem detailliert berichten müssen, wie du dein Outfit für unser<br />

Treffen gestaltest. Wir treffen uns am Samstag, den 22. Juli bei mir. Komm bitte<br />

mit dem Zug, damit du ausgeruht hier ankommst. Den Zug musst du dir<br />

selber raussuchen, ich hole dich am Bahnhof ab. Steh bitte früh genug auf, damit<br />

wir Zeit genug für uns haben.<br />

In freudiger Erwartung<br />

Deine Liebste <strong>Ilona</strong><br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 19 von 33


Gibt’s auf deinem Stern auch Kaffee?<br />

Sie hatten nichts abgesprochen, wodurch sie sich erkennen würden. Keine Bilder<br />

getauscht, nur <strong>Thomas</strong> hatte als äußerste Rettung <strong>Ilona</strong>s Handynummer.<br />

In großen Ein- und Ausstiegsmassen sich verlieren, brauchte man auf dem<br />

Bonner Bahnhof am Samstagmorgen nicht zu befürchten. Als wenn sie sich<br />

schon immer gekannt hätten, gingen sie aufeinander zu, bleiben kurz voreinander<br />

stehen, grinsten sich strahlend an und vielen sich zur Begrüßung um den<br />

Hals. Sie schauten sich wieder lachend an und jetzt erst brachte <strong>Ilona</strong> mit<br />

tiefer rauchiger, nein samtener Stimme ein „<strong>Thomas</strong>“ hervor. „Ja, <strong>Ilona</strong>“ reagierte<br />

er und die Begrüßung wurde wiederholt. Wie man aussah, was einem<br />

das Gesicht des anderen sagte, völlig bedeutungslos war es. Was es einem sagen<br />

würde, wusste man ja längst vorher. Ein anderes Bild würde man nicht sehen<br />

können. Man brauchte die visuellen Informationen nur seinem Bild zuzufügen,<br />

und das war in Bruchteilen von Sekunden geschehen. „Komm!“ sagte sie<br />

nur und wollte ihm seine Tasche abnehmen, „Ich müsste dich jetzt fragen, ob<br />

du eine gute Reise gehabt hättest, nicht wahr? Tu ich aber nicht, weil ich mir<br />

dabei blöd vorkäme. Ich kann dich aber etwas anderes fragen. Wir können direkt<br />

zu mir fahren, können aber auch durch die Stadt gehen. Samstags ist immer<br />

Markt und das Alte knubbelt sich ja alles da.“ „Ich möchte den Markt gern<br />

wiedersehen, es ist immer schön, aber am neugierigsten bin ich jetzt erstmal<br />

auf dein Sweet-Home.“ antwortete <strong>Thomas</strong> und <strong>Ilona</strong> schmunzelte. Zu Hause<br />

wurde Julie gefragt, ob sie der Ansicht sei, dass dieser Mann für <strong>Ilona</strong> etwas<br />

tauge, woraufhin die <strong>Thomas</strong> erklärte, das ihre Mutter überhaupt keinen Grund<br />

hätte, sich über irgendetwas bei ihr zu beschweren, da es sich bei ihr selbst<br />

um die unmöglichste Person dieser Welt handele. Sie gingen in <strong>Ilona</strong>s Zimmer,<br />

weil sie es dort gemütlicher fanden und sie <strong>Thomas</strong> einen Eindruck vermitteln<br />

konnte, wie die Welt aussah, in der sie den Kontakt zu ihm hatte. Ob <strong>Thomas</strong><br />

eher aus dem All oder aus Essen zu ihr gekommen sei, war strittig unter den<br />

beiden, und sie verteidigten lachend ihre unterschiedlichen Thesen. „Ich kenne<br />

mich zwar in der Science-Fiction Szene nicht die Bohne aus,“ erklärte <strong>Ilona</strong>,<br />

die der Cyberspace Herkunft zu neigte, „aber dass Aliens mittlerweile auch genauso<br />

wie du und ich aussehen können, weiß doch jeder. Darf man dich den<br />

auch mal anfassen?“ fragte sie lächelnd. „Nichts wäre dem Essener Jungen lieber.“<br />

reagierte <strong>Thomas</strong>, der die These vertrat, ein ganz übliches menschliches<br />

Wesen zu sein, das nur zur Kommunikation mit ihr bisher ins Cyberspace habe<br />

abtauchen müssen. „Ist denn auf deinem Stern auch das Kaffeetrinken verbreitet?<br />

Wir haben an nichts gedacht. Sollen wir uns welchen machen?“ fragte <strong>Ilona</strong>.<br />

Eine sonderbare Kommunikationsmischung zeigten sie. Einerseits sprachen<br />

sie zueinander wie selbstverständliche, seit ewigen Zeiten Vertraute andererseits<br />

konnten sie auch jedes Wort des anderen bestaunen, als ob es von einem<br />

fremden Wesen gesprochen würde, dessen Sprache sie plötzlich verstanden.<br />

Jeder Moment war faszinierend und aufregend und die Kaffeezubereitung nahm<br />

einen Zeitraum in Anspruch, in der man gut ein kleines Menü hätte zubereiten<br />

können. Der Hauptgrund war, dass man die Möglichkeit des Küssens entdeckt<br />

hatte. Es konnte den Eindruck erwecken, ein langjährig vertrautes Ehepaar<br />

miteinander reden zu hören, aber sie freuten sich wie die Kinder.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 20 von 33


Ich kann das nicht Tom<br />

„<strong>Thomas</strong>, wir können zusammen ins Bett gehen, nur eigentlich möchte ich das<br />

gar nicht. Du bist mir viel zu schade für so etwas.“ erklärte <strong>Ilona</strong> am Abend mit<br />

einem Lächeln. „Wenn ich an dich denke, ist Sex etwas, was man machen<br />

könnte, aber es spielt keine Rolle. Das ist sehr schön, bedeutet viel und ich<br />

möchte es behalten und nicht zerstören. Kannst du das verstehen?“ „Ich denke<br />

schon, dass ich es bei dem, was ich von dir kenne, sehr gut verstehen kann.<br />

Ich freue mich zwar und das ist auch immer mit Lust verbunden, die sexuelles<br />

Begehren nicht ausschließt, aber es hat keineswegs zentrale Bedeutung für<br />

mich. Ich möchte nicht, dass wir beginnen unsere Beziehung darauf zu<br />

reduzieren, dass die gemeinsame Freude im Bett das Bild dominiert. Ich bin<br />

also voll d'accord und finde es absolut richtig.“ stellte <strong>Thomas</strong> seine Sicht dar.<br />

„Allerdings so schmusend sich unterhalten das ist doch kein Sex, das ist doch<br />

sich ganz nahe sein und sich dabei wohlfühlen, Liebe drückt sich doch so aus.<br />

Das möchte ich schon, ich möchte schon ganz nahe bei dir sein. Lieber als allein<br />

im Bett liegen und daran denken, das du jetzt auch in einem anderen Zimmer<br />

allein im Bett liegst. Meinst du nicht, dass es uns möglich sein müsste, es<br />

hinzubekommen, das wir es dabei belassen können?“ fragte <strong>Ilona</strong> ein wenig<br />

kompliziert. Man wollte gemeinsam ins Bett, aber nur Schmusen. <strong>Ilona</strong> war<br />

glücklich und entzückt <strong>Thomas</strong> Körper spüren und ihn betasten zu können. „Du<br />

kommst jetzt jeden Abend zu mir, mein Kuscheltier, nicht war? Weist du eigentlich,<br />

warum man es so wunderbar empfindet, sich gegenseitig berühren zu<br />

können. Ich hatte ja auch sofort ein ganz dringendes Bedürfnis, dich mal anzufassen.<br />

Weißt du, wieso das so ist?“ fragte <strong>Ilona</strong> und <strong>Thomas</strong> darauf: „Ich bin<br />

kein Wahrnehmungspsychologe, aber die Haptik hat sicher genauso starke Bedeutung<br />

wie die anderen Sinnesorgane auch, und dort gibt es genauso positive<br />

Erinnerungen die angenehme Emotionen hervorrufen. Das beginnt ja schon als<br />

klitzekleines Baby, alles fasst es an und genießt den liebevollen Hautkontakt<br />

mit der Mami. So etwas kann sich doch nicht wieder verlieren. Es entwickelt<br />

sich eher zu einer Grunddisposition, die dein ganzes <strong>Leben</strong> bestimmend bleibt.<br />

Ja, ja, wenn du es angenehm findest, deine Wange auf meine Schulter zu legen,<br />

dann legst du sie auch ein wenig auf Muttis Schulter.“ <strong>Ilona</strong> starrte zur<br />

Wand und überlegte, kam wieder zurück und streichelte <strong>Thomas</strong> Brust. Als sie<br />

tiefer kam und <strong>Thomas</strong> erregierten Penis berührte, erklärte <strong>Thomas</strong>: „<strong>Ilona</strong>, ich<br />

kann da nichts dran machen. Der tut nicht das, was ich <strong>will</strong>. Wenn der spürt,<br />

dass du eine Frau bist, dann trifft der seine Entscheidungen unabhängig von<br />

dem, was ich dazu meine.“ <strong>Ilona</strong> lächelte nur. Sie erzählten und streichelten<br />

sich weiter, bis <strong>Ilona</strong> gähnen musste und sie mit einem Bein und einem Arm<br />

über <strong>Thomas</strong>, und dem Kopf auf seiner Schulter neben ihm einschlafen wollte.<br />

<strong>Thomas</strong> geriet nicht so schnell in eine träumerische Einschlafstimmung, dafür<br />

dominierten die Berührungsempfindungen mit <strong>Ilona</strong> zu stark. Es war schmuselig<br />

vertraulich gewesen, aber jetzt, als er still allein lag, merkte er nicht so sehr<br />

das allgemeine Wohlempfinden durch Körperkontakt, die Berührung dieser<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 21 von 33


Frau stand im Vordergrund. <strong>Ilona</strong> hatte längere Zeit ganz ruhig gelegen und<br />

man hätte den Eindruck haben können, sie sei eingeschlafen. Plötzlich begann<br />

sie wieder, <strong>Thomas</strong> Brust zu streicheln, ihr Streicheln wurde intensiver und ihre<br />

Hand drückte fester. Ihre Fingernägel krallten <strong>Thomas</strong> Brust und <strong>Ilona</strong> richtete<br />

mit einem Ruck ihren Oberkörper auf. „Ich kann das nicht Tom. Ich kann so<br />

nicht schlafen. Das ist alles so pervers oder verdreht, wie man <strong>will</strong>. Ich kenne<br />

dich kaum, habe das Gefühl noch nie jemandem so nahe gewesen zu sein. Ja,<br />

ja, ich empfinde so, dass ich dich sehr mag und liebe, und ausgerechnet bei<br />

dir, muss ich meinen Körper abschalten. Was soll das denn? Wir machen doch<br />

kein theoretisches Liebesspiel. Ich muss hier raus, sonst geht es nicht. Aber<br />

bei dir gibt es ja auch wohl etwas, dass es anders möchte. <strong>Thomas</strong> sagte<br />

nichts und zog <strong>Ilona</strong> auf sich. Sie küssten sich unentwegt mit Lippen und Zungen<br />

und auf alle geliebten Stellen ihrer Körper. „Lass mich unten“ meinte <strong>Ilona</strong><br />

und zog fortwährend <strong>Thomas</strong> Ohr zu ihrem Mund, um ihm etwas hinein zu flüstern.<br />

Ganz langsam wollte sie es auskostend genießen. Sie schien in tausend<br />

Wonnen zu schweben.<br />

Ich war dir immer treu<br />

Nachher legte sich <strong>Ilona</strong> auf <strong>Thomas</strong>. „<strong>Thomas</strong>, eigentlich wollte ich es nie jemandem<br />

erzählen, weil ich mir lächerlich dabei vorkam, aber jetzt kann ich es<br />

doch nicht mehr für mich behalten.“ begann <strong>Ilona</strong>, „Weiß du was, ich bin dir<br />

von meinem ersten Schreiben an, immer treu geblieben. Habe ich gar nicht gewollt,<br />

gar nicht dran gedacht, aber irgendwas in mir hat's gemacht. Ich weiß<br />

nicht wieso, aber du schienst vom ersten Moment an eine andere Bedeutung<br />

für mich zu haben. Das was ich als ernst zu nehmenden Mann ansah, warst du.<br />

Ich habe nicht davon geträumt, mir dir ins Bett zugehen, nur mit einem anderen<br />

Mann, das wollte ich nicht und konnte ich auch gar nicht. Du musst von<br />

Anfang an etwas in mir angesprochen haben, das ich unbewusst für äußerst<br />

bedeutsam gehalten habe. So ein Kinderkram, wie mit anderen Männern ficken<br />

zu wollen, derartige Bedürfnisse sind da gar nicht aufgekommen. Als es mir<br />

bewusst wurde, dachte ich zunächst, es liegt am Wechsel, aber du warst immer<br />

dabei, wenn ich darüber nachdachte. Das ich so lange abstinent sein<br />

könnte, hätte ich für mich ausgeschlossen. Sex hatte gar keinen eigenständigen<br />

Wert mehr. Das deine Sphärenklänge kosmische Harmonien aussenden<br />

müssen ist mir, in anderen Formulierungen zwar, aber schon sehr bald bewusst<br />

geworden. Mit der Herbst/Winterpause verhielt es sich auch ein wenig anders.<br />

Ich war außerordentlich wütend, weniger über deinen Brief, als über mich<br />

selbst, in einen ganz normalen Mann leitfertig etwas Besondere hineininterpretiert<br />

zu haben. Die ganze Zeit über habe ich an dich gedacht, bis ich's im April<br />

nicht mehr aushielt. Und immer habe ich mir vorgemacht fast bis vor kurzem:<br />

„Nein, nein, in der Richtung mit Partnerschaft hat das alles nichts zu tun.“ Fürs<br />

Lügen ist man selbst am besten brauchbar. Man glaubt sich ja jeden Mist.“<br />

schloss sie und gab einen langen Kuss auf <strong>Thomas</strong>.<br />

Auf ihm liegend schliefen sie auch ein, bis <strong>Ilona</strong> oder <strong>Thomas</strong> sich im Schlaf<br />

bewegen wollten und sich dabei weckten. Beim zur Seite rollen wollte sie Tho-<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 22 von 33


mas noch ein paar mal halb im Schlaf liebkosen, was dieser natürlich auch beantwortete.<br />

So küssten und streichelten sie sich liebkosend wieder richtig wach<br />

und steigerten gegenseitig ihre Lust aufeinander. <strong>Ilona</strong> schaute <strong>Thomas</strong> mit<br />

großen Augen fragend an. Der lächelte breit und zog <strong>Ilona</strong> zu sich. Sie liebten<br />

sich nochmal. Jetzt war es nicht mehr das erste Mal nach so langer Pause und<br />

<strong>Thomas</strong> benötigte länger, bis er zum Orgasmus kam. „Du machst mich tot.“<br />

meinte die völlig verschwitzte <strong>Ilona</strong> noch keuchend, „so ein junger Gott mit so<br />

einer alten Hexe, das geht nicht.“ fügte <strong>Ilona</strong> lachend an bevor sie sich umarmend<br />

küssten und bald aneinander liegend einschliefen.<br />

Fahr nach Hause, <strong>Thomas</strong><br />

Es war fast Mittag, als sie am Sonntagmorgen fertig waren. <strong>Ilona</strong> war ungewöhnlich<br />

still und hatte auch keine Lust zu einem Spaziergang. Sie wollte <strong>Thomas</strong><br />

zeigen, wie sie im Wohnzimmer ihre Beethoven CD's gehört hatte, zeigte<br />

ihm die umgetaufte <strong>Ilona</strong> Fantasie und legte sie auf. Schon im ersten Satz sagte<br />

sie plötzlich unvermittelt: „<strong>Thomas</strong>, fahr nach Hause.“ Der erstaunte <strong>Thomas</strong><br />

fragte erschrocken: „Was ist los, <strong>Ilona</strong>, was hast du?“ Sie kam zu ihm auf<br />

die Couch, setzte sich auf seinen Schoß und weinte. „Ich bin zu doof für alles.<br />

Ich bin bekloppt.“ sprach sie weinend, „Ich mache alles kaputt. Mache mir selber<br />

mein eigenes größtes Glück kaputt. Ich weiß nicht in welcher Welt ich lebe.<br />

Ich <strong>will</strong> dir das mit den Beethoven Geschichten erzählen, aber du bist gar nicht<br />

hier. Hier ist nur der, der mit dem ich gestern Kaffee gekocht habe, mit dem ich<br />

mich gestern unterhalten habe, mit dem ich gestern Abend geschmust habe.<br />

Vor allem aber der, mit dem ich heut nacht geschlafen habe. Alles nur, was ich<br />

hier mit dir erlebt habe. Der andere, mein teurer Freund, den ich liebe, der ist<br />

gar nicht hier. Der ist im Netz. Irgendetwas muss von ihm gekommen sein. Ich<br />

habe mich ja zu ihm verhalten, aber hier ist er nicht. Hier ist nur der bei dem<br />

das Eindruckvollste unser Ficken war. Es ist immer da, ausschließlich da, wenn<br />

ich dich sehe. Dem Tom lege ich die Mondscheinsonate auf und nicht dem ich<br />

davon geschrieben habe und bei dem der hier ist, denke ich immer an die letzte<br />

Nacht. Warum tue ich das, hätte es gar nicht gebraucht, habe es ja gar nicht<br />

gewollt, gar kein Bedürfnis danach. Warum muss ich dumme Kuh mit dem ins<br />

Bett gehen, alles zerstören, was mir das Wichtigste ist. <strong>Thomas</strong>, ich habe so<br />

etwas noch nie erlebt, muss es wohl von Anfang an intuitiv gespürt haben, wie<br />

bedeutsam es für mich werden könnte. Es war das, wonach ich mich gesehnt<br />

habe, obwohl ich es zunächst gar nicht wahr haben wollte. Nichts außer den<br />

Kindern ist mir je so wichtig gewesen, und ich zerstöre das einfach so und<br />

mach ein Bedürfnis zum Ficken daraus, einfach so wegen momentaner Lustbefriedigung.“<br />

<strong>Ilona</strong> sprang auf und rannte zum Bad. Als sie nach längerer Zeit<br />

wiederkam, sich neben <strong>Thomas</strong> setzte, legte der seinen Arm um ihre Schulter<br />

und meinte: „<strong>Ilona</strong>, ich fand unsere Nacht wundervoll, wundervoll und unerwartet,<br />

du wertest es ab, als etwas Zerrüttendes, Zerstörendes. Wahrscheinlich<br />

wirst du es so sehen, aber das liegt in deiner Geschichte. So lange ich dich<br />

kenne, bist du ärgerlich darüber gewesen, dass es dir so viel bedeutete, hast<br />

es dafür verantwortlich gemacht, dass du den Sinn deines <strong>Leben</strong>s nicht sehen<br />

konntest, dass dir das Entscheidende verborgen geblieben war. Du warst ärger-<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 23 von 33


lich auf dich, auf dich selbst, wegen deiner Lust am Sex. Du hast dich gefreut,<br />

dass sich diese <strong>Ilona</strong> nicht in unsere Beziehung einmischte und jetzt kannst du<br />

es nicht ertragen, weil du meinst, sie hat es doch getan und sich ihrer bemächtigt.<br />

Das ist deine Sicht und deine subjektive Interpretation. Für mich existiert<br />

sie gar nicht, diese zerstörerische <strong>Ilona</strong>. Sie zerrüttet nichts, sie hat mir große<br />

Freude bereitet und mich glücklich gemacht, das ist für mich die, die neben mir<br />

sitzt.“ <strong>Ilona</strong> schmunzelte und bekam von <strong>Thomas</strong> einen Kuss. „Du sagst, du<br />

musst immer ans Bett denken, wenn du mich siehst. Aber was <strong>will</strong>st du da eigentlich<br />

mit mir. Dein Gesicht sieht nicht so aus, als ob es erwartungsvolle Vorfreude<br />

darauf ausstrahlte, ich denke eher, dass dir immer deine Interpretation<br />

gegenwärtig wird und dich ärgert. Ich könnte mich darauf freuen, nochmal mit<br />

dir ins Bett zu gehen, meine Einstellung, meine Wertschätzung und mein Empfinden<br />

für dich, berührt das in keiner weise negativ. Ich glaube auch nicht, das<br />

du alles, was du in den letzten anderthalb Jahren für mich empfunden hast,<br />

einfach dadurch hinfällig machen und auslöschen kannst, indem wir einmal<br />

miteinander geschlafen haben. Besonders wenn es dich tief berührt hat, wird<br />

es sehr hartnäckig sein und keinesfalls leicht verschwinden.“ „Aber jetzt ist es<br />

einfach so da, <strong>Thomas</strong>, auch wenn es meine spezielle Interpretation ist. Ich<br />

werde die Einflüsse meiner Bio nicht per Beschluss abschalten können. Es ist<br />

da, ist nervig und macht mich traurig. Und ich sehe auch nicht, wie es jemals<br />

wieder weggehen sollte. Es wird immer da sein, auch wenn ich dir schreibe,<br />

immer wenn ich an dich denke, es wird zu meinem Bild von dir gehören“ reagierte<br />

<strong>Ilona</strong> darauf. „Du hast mich zu Recht belehrt, das Veränderungen durchaus<br />

möglich seien. Wie du jetzt sprichst, hört es sich defätistisch an. Es könnte<br />

dir wenig helfen, deine Verfehlung der letzten Nacht zu beichten und für deine<br />

Schuld Vergebung zu erbitten, unabhängig davon, dass du es sowieso wie den<br />

großen Sündenfall, der zur Vertreibung aus dem Paradis führte, darstellst“ „Ja,<br />

so ist es aber, Tommy.“ unterbrach <strong>Ilona</strong> ihn und konnte dabei wieder lachen.<br />

„Aber wie du darüber denkst, das ist doch deine Meinung, die in deinem Kopf<br />

entstanden ist. In meinem ist sie nicht. Und du hast selber gesagt, dass dann<br />

dort auch genauso gut eine andere Meinung entstehen könnte. Wobei ich dir<br />

ohne jede Einschränkung Recht geben muss.“ erklärte <strong>Thomas</strong>.<br />

„Bleib bitte, ja?“ sagte <strong>Ilona</strong>, wobei sie <strong>Thomas</strong> mit ihrer rechten Hand über<br />

Stirn und Wangen strich, „Du tust mir sehr gut.“ sie strahlte <strong>Thomas</strong> sanft lächelnd<br />

an: „Und wodurch, meinst du, ließe sich die Meinung in meinem Kopf<br />

verändern?“ fragte sie. „Na ja, man sagt immer durch die richtigen Informationen<br />

und denkt dabei ans Gesprochene oder Geschriebene. Das ist sicher nicht<br />

unbedeutend, aber du formst es immer zu Bildern aus dir Bekanntem. Neue<br />

Bilder brauchst du, neue Eindrücke, neues Erleben. Dass Natur und Musik dabei<br />

eine wichtige Rolle spielen, hat schon Kung Fu-tse vor zweieinhalb tausend<br />

Jahren gesehen, wahrscheinlich wird er es anders verstanden haben, aber<br />

falsch ist es glaube ich nicht, das sich durch Musik die Gesinnung wandeln<br />

lässt. Und Natur malt in dir immer neue Bilder, die voll Musik sind, du musst ihr<br />

nur lauschen. Sphärenklänge sind es nicht, es sind Melodien, Rhythmen und<br />

Weisen, die jeder verstehen kann. Beethovens Pastorale ist ein wundervolles<br />

Beispiel dafür, aber fast alle Komponisten haben sich mit Werken der Musik gewidmet,<br />

die Natur oder Landschaften erklingen lassen.“ antwortete ihr <strong>Thomas</strong>.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 24 von 33


„Komm, wir fahren zum Kottenforst. Du hast doch Zeit und bleibst bis morgen,<br />

oder.“ schlug <strong>Ilona</strong> freudig lachend vor. „Du hast schon Recht, das ist wunderbar.<br />

Ich weiß nicht, warum ich's nicht öfter tue, wo wir doch so viel Möglichkeiten<br />

hier haben. Ich denke schon, dass dich die Bilder hier auf andere Gedanken<br />

bringen und dich veranlassen genauer zu schauen und zu hören. Was helfen<br />

dir äußere Bildung und Wissen, wenn deine Augen blind sind für diese Bilder<br />

und deine Ohren taub sind, um ihren Klängen zu lauschen. Ja, ja, Natur<br />

kann nicht nur schön sein, sie ist auch wichtig, glaube ich.“ sinnierte <strong>Ilona</strong>.<br />

Keine kosmische Harmonie<br />

„Heute Abend schlafen wir aber nicht zusammen, nicht wahr? Auch wenn's<br />

schwer fällt. Diese postkoitalen Depressionen möchte ich nicht wieder erleben.“<br />

erklärte <strong>Ilona</strong> beim Abendbrot. „Das ist deine Entscheidung.“ reagierte darauf<br />

<strong>Thomas</strong>, „Aber da herrscht kein Zustand kosmischer Harmonie. Nicht zwischen<br />

uns, sondern bei dir. Was hat dir deine arme Sexualität denn getan, dass du sie<br />

so verteufelst. Sie hat dir in deinem <strong>Leben</strong> eine Anzahl vieler schöner Stunden<br />

und Erlebnisse geschenkt, um die andere dich sehr beneiden würden. Du solltest<br />

sie lieben, sie ist ein Teil von dir, der dir viel Gutes getan hat. Wegen ihr<br />

hast du es versäumt, dich tiefer auf etwas einzulassen? Woher <strong>will</strong>st du das<br />

denn wissen? Millionen und Milliarden von Menschen, die mehr oder weniger<br />

oberflächlich leben, müssen alle sexsüchtig sein? Du suchst einen Bösewicht,<br />

der dafür verantwortlich ist, dass du in deiner Vergangenheit, wie du meinst,<br />

etwas falsch gemacht hast. Wer bietet sich da eher an als die wehrlose Lust am<br />

Sex. Da sie ja sowieso schon so einanrüchiges Odium hat, kann nur sie es sein,<br />

die dafür verantwortlich sein wird.“ <strong>Ilona</strong> freute sich und meinte lachend: „Das<br />

ist wunderschön, <strong>Thomas</strong>, erklär mir mein <strong>Leben</strong> weiter. Dann muss ich gleich<br />

doch noch mit dir ins Bett. Zu denken gibt mir das schon. Du meinst, ich<br />

müsste das alles lieben, dass ich so oft und so leicht rattig war. Oh je, wie soll<br />

ich das denn machen. Ich gefiel mir dabei hinterher meistens gar nicht. Und<br />

wer sollte deiner Meinung nach Schuld daran sein, dass ich im Hinblick auf<br />

tiefere menschliche Beziehungen so oberflächlich war?“<br />

„<strong>Ilona</strong> ich bin kein Psychoanalytiker, nur ich meine schon, dass so etwas wie<br />

Harmonie existieren sollte, in dem du alles was du bist akzeptierst, es alles als<br />

einen Teil von dir siehst, mit dem du einverstanden bist. Meiner Ansicht nach<br />

dürfte das in der Regel gar nicht so schwerfallen, wenn du nicht nach vorurteilsbelasteten<br />

Kriterien wertest. Zum Beispiel mit deinem Sex. Ich bin zwar<br />

nicht betroffen, aber als Außenstehender würde ich sagen: 'Worüber regt sie<br />

sich auf? Es gibt eine unendlich Vielzahl von Frauen, bei denen es sich genauso<br />

verhält und dann gibt es bestimmt noch einmal eine genauso große Anzahl, die<br />

sie beneiden würde, weil sie sich nämlich mit Problemen in der anderen Richtung<br />

quälen. Jeder und jede hat ein unterschiedliches Verhältnis dazu, und<br />

wenn man's möchte und genießen kann, ist es doch toll. Warum hast du es je<br />

anders gesehen? Wahrscheinlich gab es ganz zu Anfang schon kritische Vorbehalte.<br />

Du hattest Lust, nach der Schule zu Masturbieren, nach den Hausaufga-<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 25 von 33


en aber schon wieder und abends im Bett sowieso. Da hast du dir schon Gedanken<br />

gemacht, ob du noch normal bist. Es tat zwar immer ganz gut, aber<br />

dass du so häufig ein Bedürfnis danach verspürtest, hat dich nie erfreut, sondern<br />

von Anfang an gestört, weil du es bewertet hast, und es nicht zu dem Bild<br />

passte, dass du dir von dir gewünscht hättest. Und so ähnlich ist es immer geblieben.<br />

Du hast Lust am Sex gehabt aber dich gleichzeitig dafür nicht gemocht,<br />

dass es dich so oft danach drängte. Nur damit kannst du im Grunde<br />

nicht harmonisch glücklich leben. Du bist mit dir selber nicht im Einklang. Das<br />

ist böse, wenn du bedenkst, woher du denn die Bilder hattest, nach denen eine<br />

junge Frau nicht so oft Lust auf Sex haben sollte. Wer war es, von dem du dir<br />

diese Meinung in deinem Kopf hast installieren lassen. Christliche Moralvorstellungen<br />

die undeklariert das Bild der jungen Frau zeichneten? Ökonomische<br />

Vorstellungen, die so etwas wie eine Sublimierung zu Arbeitstugenden<br />

wünschten? Andere haben dir gesagt, das es dich stören müsste, dass du dich<br />

darüber freuen sollst, wirst du nirgendwo gehört haben.“ antwortete <strong>Thomas</strong>.<br />

Ich könnte ja sagen: „Ich bin so glücklich.“<br />

„Tommy, die Geschichte von meiner Psyche ist so lang, dass eine Nacht nicht<br />

ausreichen wird, sie mir zu erzählen. Tausend und noch eine werden es eher<br />

sein müssen. Du machst mich stark. Ich werde mich morgen früh nicht wieder<br />

selber umbringen müssen. Ich möchte nicht wegen Sex mit dir ins Bett. Ich<br />

möchte ganz nah bei dir sein und Sex wäre auch nicht schlecht.“ lautete <strong>Ilona</strong>s<br />

neue Losung für die Nacht. „Das mit dem Masturbieren ist zwar nicht genauso<br />

gelaufen, aber so ganz viel anders war es auch nicht. Im Prinzip hast du auf jeden<br />

Fall voll Recht. Ich hatte mir mein <strong>Leben</strong>sbild so einfach erklärlich zurecht<br />

gelegt, jetzt kann ich es schon viel differenzierter sehen, aber da ist ja auch<br />

noch viel, viel mehr. Vor allem weiß ich jetzt, dass meine Interpretationen und<br />

Erklärungen weniger als Küchenpsychologie sind. Ich werde eine Psychoanalyse<br />

machen und freue mich darauf. Deshalb werde ich mich morgen erst mal<br />

krank melden und mich darum kümmern.<br />

Sie hatten schon im Bett miteinander geredet. Aber dabei handelte es sich zwischen<br />

dem Wachküssen nur um kleine neckische oder sonstige amouröse Sentenzen.<br />

Mit einer kecken breiten Schnute saß <strong>Ilona</strong> stolz am Frühstückstisch.<br />

Alles ganz normal, lieben, schmusen, ficken, nix kaputt. War der <strong>Thomas</strong> aus<br />

dem Space, denn jetzt auch angekommen. Der aus Essen war ihr mittlerweile<br />

genauso wichtig geworden und unterscheiden hätte sie die beiden sowieso<br />

nicht mehr können. <strong>Ilona</strong> war stolz und glücklich. „Was soll ich denn sagen,<br />

wenn der Psychiater mich fragt, worunter ich den leide. Unter nix kann ich<br />

doch schlecht sagen?“ witzelte sie, „Ich könnte ja sagen: „Ich bin so glücklich.<br />

Ist das denn nicht sehr gefährlich? Darf man das als <strong>Durchs</strong>chnittsbürgerin<br />

überhaupt sein?“, dann würde er mich bestimmt gleich einweisen, obwohl ich<br />

das gar nicht für so doof halte. Sag's mal ganz ehrlich, Tommy,“ blickte sie<br />

<strong>Thomas</strong> wieder ernster fragend an, „wenigsten ein bisschen für neurotisch oder<br />

überdreht hältst du mich doch auch, oder?“ <strong>Thomas</strong> zog die Augenbrauen hoch<br />

und einen tiefen Luftstrom durch die Nase. Fühlt er sich durch die Frage ge-<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 26 von 33


nervt. „<strong>Ilona</strong>, meiner Ansicht nach, stimmt bei dir noch mehr nicht.“ begann<br />

<strong>Thomas</strong> seine Antwort, „Du sagst, du hättest bislang sehr oberflächlich gelebt.<br />

Meiner Ansicht nach handelt es sich dabei auch um eine Interpretation von dir,<br />

von der ich meine, dass sie zutreffen kann, weil ich dich dafür als viel zu sensibel<br />

ansehe. Dass du keine tiefgehende Zweierbeziehung gesucht hast, kann<br />

auch und wird bestimmt ganz andere Gründe haben. Wenn dein <strong>Leben</strong> wirklich<br />

oberflächlich abliefe, gehörtest du zu den 0,001 Prozent, die das erkennen<br />

würden, damit unzufrieden wären und es ändern wollten. Du gefielst mir sehr,<br />

weil das Bild von dir, wie eine Musik klang, wie eine große Fuge, in der wie<br />

Beethoven es forderte, nicht nur die kompositorisch Regeln zu beachten seien,<br />

sondern auch die Fantasie zu ihrem Recht kommen müsse und wirkliche Poetische<br />

Elemente erforderlich seien. Ein buntes, klingendes, freudiges Bild, und<br />

das hat sich kein bisschen verändert. Wie kannst du darauf kommen, dass ich<br />

dich für neurotisch halten würde?“ „Na passt, doch. Wie soll ich denn als Frau,<br />

Mittelschicht, zwischen dreißig und fünfzig nicht neurotisch sein. Hysterisch<br />

sind sie doch alle, die Weiber. Wieso ich denn nicht? <strong>Thomas</strong> es kotzt mich an,<br />

dieses Mann-Frau. Ich bin nicht unzufrieden als Frau und möchte lieber ein<br />

Mann sein, ich <strong>will</strong> gar nix von alledem sein. Wer bin ich denn als Frau? Das ist<br />

genau das, was du gesagt hast, das muss ich wissen, da muss ich ein Bild von<br />

haben, eins von denen die mir zur Verfügung stehen muss ich nehmen, andere<br />

sagen, warum ich eine Frau bin. Man, das <strong>will</strong> ich doch alles nicht, ich möchte<br />

frei sein, aber das gibt es wohl nicht, kann es gar nicht geben. Du als Alien<br />

vom anderen Stern, bei euch könnte es vielleicht so sein, aber so lange ihr<br />

Mütter von der Erde habt auch nicht. Die können gar nicht anders denken. Ich<br />

möchte ein Mensch sein, wehr mich aber dagegen, wie man mich definieren<br />

<strong>will</strong>. Neurotisch. Sag ich ja.“ lachte <strong>Ilona</strong>. „Ja, ja, du darfst dich nicht mehr<br />

wehren, vor nichts mehr Angst empfinden, musst völlig offen und wahrhaftig<br />

sein, nur dann kannst du dich frei und gesund fühlen und genau das vermittelt<br />

die Harmonie aus dem Kosmos. <strong>Ilona</strong>, du bist bekloppt. Ich liebe dich so wie<br />

du bist und lass mir das nicht durch eventuelle Neurosen vermiesen. Ich habe<br />

auch bestimmt welche, nur ich nenne sie nicht so, sondern pflege sie.“<br />

reagierte <strong>Thomas</strong>.<br />

Könnt ich mich dran gewöhnen<br />

Beim Abschied am Bahnhof kamen <strong>Ilona</strong> die Tränen und sie lachte dabei. Traurig,<br />

dass <strong>Thomas</strong> jetzt fuhr, war sie schon, aber das Glück über das Erlebte dominierte.<br />

„Weißt du, was Beethoven zum Abschied gesagt hat? „Ewig dein,<br />

ewig mein, ewig uns“. Schön, nicht war? Aber für uns doch wohl ein wenig zu<br />

früh, oder?“ fragte sie und schaute <strong>Thomas</strong> ganz nah vor seinem Gesicht in die<br />

Augen. „M, M, meine rheinische Fuge. Ich weiß schon, das ich dich ewig hören<br />

<strong>will</strong>.“ antwortete er darauf und lächelte. „Du sollst immer hier sein, <strong>Thomas</strong>.<br />

Hier gibt es so viele Museen.“ sprach <strong>Ilona</strong> ernst und leise. „Ich weiß, aber erst<br />

einmal wirst du die Post in Essen kennenlernen müssen.“<br />

Das war selbstverständlich für's nächste Wochenende vorgesehen. Da Leonard<br />

zu Hause war, sollte Julie nicht allein in Bonn bleiben, sonder mit nach Essen<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 27 von 33


kommen. „<strong>Thomas</strong> du hast 'nen echt klasse Boy, könnt ich mich dran gewöhnen.<br />

Aber wir sind ja beide schon in festen Händen.“ meinte Julie am Tisch.<br />

Alle bogen sich vor Lachen. Ähnliches bot Julie öfter, man war sich nie ganz sicher,<br />

ob sie es vollkommen absichtlich getan hatte, aber jedes mal genoss sie<br />

leicht smilend mit vorgewölbten Lippen den erzielten Erfolg. Leonard hatte Julie<br />

schon in's Herz geschlossen. Die beiden verstanden sich hervorragend zumal<br />

sich auch ihre Interessen, beziehungsweise Studiengebiete überschnitten.<br />

Julie hatte gerade eine Zusage für Biologie in Bonn erhalten. Sie war sich noch<br />

nicht sicher, wo genau sie ihre Schwerpunkte setzen sollte. Leonard war ja<br />

auch über sein Interesse für Biologie zur Veterinärmedizin gekommen.<br />

Wendy<br />

Natürlich gab es auch eine Führung im Museum durch den Herrn Kurator persönlich.<br />

<strong>Ilona</strong> war fasziniert: „Alles habe ich falsch gemacht. Bekomme noch<br />

mehr Geld für meine idiotische Arbeit, als du für das Fantastische hier.“, klagte<br />

<strong>Ilona</strong> und Leonard meinte: „Ja Wendy, da kommst'e als Biologin auch nicht<br />

hin.“. Alle stutzten kurz, und bevor er sich korrigieren konnte, war Julie ihm<br />

schon näher gerückt und wollte streng wissen: „Wer ist Wendy?“ „Ich kenne<br />

keine Wendy“ reagierte der lachende Leonard. Julie hatte seinen Arm ergriffen<br />

und ihn ihm auf den Rücken gedreht. „Wer ist Wendy? Los raus damit.“ unterstützte<br />

sie ihre Folterpraxis verbal. Leonard, der vor Lachen kaum sprechen<br />

konnte, versicherte mehrfach nur den Namen, aber keine Person zu kennen,<br />

die ihn trüge. „Gut.“ erklärte Julie, „Dann darfst du, nein musst du mich so<br />

nennen. Das ist jetzt mein Künstler Alias. Klingt doch gut, Wendy Schneider,<br />

nicht wahr Mam?“ <strong>Ilona</strong>, die immer noch über die ganze Szenerie lachte, meinte:<br />

„Ein wunderschöner Name ist das, meine Süße. Es freut mich, öfter mal<br />

eine neue Tochter zu bekommen, aber wenn, da einiges von der alten drin<br />

wäre, fände ich das doch ganz gut.“ Legte den Arm um ihren Hals und kniff ihr<br />

in die Nasenspitze.<br />

„Es wird immer sehr äußerlich gesehen. Jetzt ist das Kind achtzehn und geht<br />

aus dem Haus. Schade, man hatte sich so daran gewöhnt. Das ist absoluter<br />

Schwachsinn. Da existiert eine ganz nahe intensive persönliche Beziehung.<br />

Das, was für dich und deine Identität am wesentlichsten ist, und das existiert<br />

plötzlich mit einem Cut nicht mehr. Genauso hart wie die Trennung von einem<br />

geliebten Partner wirkt das auf dich, und du erklärst es so lapidar als Selbstverständlichkeit.<br />

Da verdrängst du etwas ganz gewaltig. Dass daraus Neurosen<br />

und sonderbares Verhalten resultieren, kann ich mir gut erklären.“ meinte <strong>Ilona</strong><br />

zu <strong>Thomas</strong>, „Besonders jetzt bei Julie, wenn ich mir das vorzustellen versuche.<br />

Yvette war immer die Tollste aber die Liebste war Julie. Ich hab es immer<br />

gesehen, wollte es nicht, aber du bist machtlos. Das Großartige sehen deine<br />

Augen, aber die Liebe sieht dein Herz. Könntest du dir denn vorstellen, mit einem<br />

Mädchen wie Julie jemals in Trouble zu kommen, auch wenn sie noch so<br />

grässliche Musik macht. Es ist ja wichtig, dass du den Geliebten immer als das<br />

eigenständige Andere respektierst, aber da ist auch eine unhinterfragte gemeinsame<br />

Identität und die ist mit Julie so groß, dass sie Krach machen kann,<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 28 von 33


so viel sie <strong>will</strong>.“ „Und mit mir?“ wollte <strong>Thomas</strong> wissen, „Könntest du dir da vorstellen,<br />

in Trouble zu kommen?“ „Aber selbstverständlich doch. Ich suche den<br />

Kampf. Vivere militare est, das wussten doch schon die Römer. Im Umkehrschluss:<br />

Wo's nichts zu kämpfen gibt, kann auch nichts mehr leben. Besonders<br />

die Nachtgefechte stärken Körper und Geist. Merkst du das denn gar<br />

nicht?“ antwortete <strong>Ilona</strong> und der lächelnde <strong>Thomas</strong> meinte: „Schon, schon, nur<br />

mit dem Geist da bin ich mir nicht so sicher. Wenn es sich um den nach der<br />

Evolution vorgesehen Zweck für dieses Gebaren handelte, käme es ja einem<br />

Schöpfungsakt gleich und der Geist würde anschließend irgendwo drüber<br />

schweben. Ich fühle zwar in diesen Momenten wenig von ihm in meinem Kopf,<br />

aber hast du ihn denn schon irgendwo schweben sehen?“ „Ja, die Geiste der<br />

untergegangen Frauen versammeln sich anschließend alle in Avalon und bilden<br />

den bekannten Nebel.“ reagierte <strong>Ilona</strong> lapidar und lächelte, „Bewirb dich irgendwo<br />

bei uns als Museumsdirektor, Liebster, du hast doch beste Chancen,<br />

und frei wird bei den ganzen Museen doch immer irgendwo etwas. Eine ganze<br />

Woche kann verdammt lang werden, und außerdem <strong>will</strong> ich mit dir leben und<br />

nicht immer nur Besuch machen.“<br />

Jetzt gab's beim Abschied keine Tränen, aber Leonard und die neue Wendy<br />

wollten auch weiterhin in Kontakt bleiben. Er schwärmte auch anschließend<br />

<strong>Thomas</strong> immer etwas von ihr vor. Wahrscheinlich dachte er oft an sie, denn<br />

stets fiel ihm wieder etwas ein, dass er <strong>Thomas</strong> erzählen musste. „Leo du hast<br />

dich in Wendy verliebt. Gesteh's dir ein.“ meinte <strong>Thomas</strong>. „Ach Quatsch. Sie ist<br />

doch viel zu jung, und außerdem brauche ich keine zweite Freundin. Ich finde<br />

nur, dass sie ein faszinierender junger Mensch ist. Sie passt gar nicht zu dem<br />

Üblichen. Sie hat ein anderes <strong>Leben</strong>. So lebhaft, lustig, offen, authentisch und<br />

sicher, dagegen erscheinen alle anderen wie verklemmte Schlafmützen, mich<br />

selbst eingeschlossen. Ich bewundere das nur. Meinst du, dass man mit so einer<br />

Persönlichkeit später auch mal beruflich etwas Besonderes wird?“ fragte<br />

Leonard. Das wusste <strong>Thomas</strong> auch nicht, vertrat aber die Ansicht, dass so etwas<br />

sehr äußerlich und unerheblich für das persönlich Glück sei. Wer so etwas<br />

brauche, um sich anerkannt empfinden zu können, sei im Grunde ein armer<br />

Mensch und könne die Stimmigkeit der Person, wie Leonard sie von Wendy beschreibe,<br />

sicher nicht erreichen.<br />

Dad, ich bin am Ende<br />

Sie richteten ihre Besuche so ein, das <strong>Ilona</strong> nach Essen kam, wenn <strong>Thomas</strong> am<br />

Wochenende einen Termin hatte, sonst kam er zu ihr nach Bonn. Leonard rief<br />

an und teilte mit, dass man sich am Wochenende wohl in Bonn treffen werde.<br />

Das musste er natürlich erklären. „Dad, ich bin am Ende. Ich weiß nicht was<br />

mit mir wird. Sandra <strong>will</strong> nicht mehr. Ich liebe sie doch. Die Vorstellung von<br />

meinem <strong>Leben</strong> war selbstverständlich mit ihr verbunden. Aber es geht einfach<br />

nicht. Wendy ist immer da. Ich wollte Sandra nicht verlieren. Ob und was mit<br />

Wendy wird, ist ja völlig offen. Ich konnte mit Sandra wunderbar darüber reden,<br />

aber letztendlich hat sie mich vor die Alternative gestellt. Mit einem<br />

Freund, der ständig von einer anderen Frau träume, könne sie nicht zusammen<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 29 von 33


leben und das würde ich ihrer Einschätzung nach. Ich kann es Wendy nicht<br />

verbieten, in meinen Gedanken zu erscheinen. Dabei bin ich mir noch nicht<br />

einmal ganz sicher, ob ich sie überhaupt liebe oder nur diesen tollen jungen<br />

Menschen bewundere. Nein das kann es allein nicht sein. Sie hat auch mit ihrem<br />

Freund Schluss gemacht. Eine langfristige Perspektive habe sie sowieso<br />

nicht gesehen, und sie müsse sich jetzt erst mal Klarheit verschaffen. Dass sie<br />

mich mag, steht wohl fest. Ich kann den ganzen Tag nur auf SMS und Facebook-Einträge<br />

reagieren. Sie hat ja auch Ferien und schreibt den ganzen Tag. Ich<br />

kann es nicht abstreiten, dass ich mich über jeden Mist von ihr freue. Zwischen<br />

Bad und Frühstück bekomme ich immer schon ein Philosophieseminar. Ich denke<br />

sie <strong>will</strong> mich kennenlernen.“<br />

Philemon und Baucis<br />

Leonard, der jetzt für Wendy Cœur de Lion oder nur mon Cœur hieß, war<br />

schon anwesend,als <strong>Thomas</strong> am Freitag ankam. „Dein Sohn macht schwere<br />

Zeiten durch. Er braucht dich. Hörst du nicht, wenn er ruft? Na jetzt hat er dich<br />

ja gefunden, aber zunächst brauche ich ihn nochmal.“ meinte Julie bei der<br />

kurzen Begrüßung, bevor sie sich wieder mit Leonard in ihr Zimmer zurückzog.<br />

<strong>Ilona</strong> zog die Augenbrauen hoch, hob ihre Schultern an und breitete die Unterarme<br />

aus. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Julie maßlos in Leo verknallt<br />

ist und sich selber ihren jungen Kopf martert, weil sie nicht weiß, wie sie damit<br />

umgehen soll. Wenn sie ihm nicht gerade etwas ins Handy oder den PC tippt<br />

redet sie ausschließlich darüber. Sie <strong>will</strong> immer wissen, wie ihre Zukunft aussieht.<br />

„Jetzt <strong>will</strong> ich lachen, tanzen, Streiche machen und dann, und dann, und<br />

dann bis wir beide wie Philemon und Baucis auf dem Bänkchen sitzen und er<br />

sagt: 'Na Alte'. Ich bin doch noch so frisch, ich <strong>will</strong> das alles nicht sehen müssen,<br />

aber ich <strong>will</strong> mit ihm auch nicht nur heute und morgen.“ in der Art klagt<br />

sie immer. Sie <strong>will</strong> sich wohl keinesfalls unreflektiert hineinstürzen, aber weiß<br />

auch wohl nicht, was sie Fragen kann.“ meinte sie zu den beiden. „Es ist schon<br />

sehr schwer, sich mit achtzehn Gedanken darüber zu machen, was es bedeuten<br />

könnte, wenn man sagt 'Bis der Tod uns scheidet.', aber das geht doch wie bei<br />

allem anderen auch nicht. Leonard sah sein <strong>Leben</strong> mit seiner Freundin, ganz sicher,<br />

und an einem Wochenende wird plötzlich alles ganz anders. Du kannst<br />

nicht garantieren, unbeeinflussbar zu sein. Siehst du uns denn auch auf dem<br />

Bänkchen sitzen und hörst mich 'Na Alte' sagen?“ wollte Leonard wissen. „Dass<br />

das deine letzten Worte wären,Phil, darüber bist du dir doch sicher im Klaren.<br />

Aber findest du denn auch, dass unsere Beziehung so ein wenig mehr alltäglichen<br />

Charakter bekommt. Es ist wunderschön, wenn du da bist, und ich freue<br />

mich vom letzten Abschied an ungeheuer darauf, aber ich bin sicher, dass du<br />

da sein wirst. Nur vorher war es spannender, so ein Empfinden, als ob es mich<br />

stärker ergriffen hätte. Die Sehnsucht, das unerfüllte Bedürfnis macht dich<br />

high. Das Erfüllte zu genießen ist schön, aber es erzeugt nicht diese Spannung.<br />

Ja, ja Wollen und Begehren können dich viel empfindlicher berühren als Erreichen<br />

und Haben. Vielleicht sollte ich es nie so sehen, dass meine Wünsche und<br />

Träume erfüllt wären, sondern dass ich dich nie haben würde, und mein Begehren<br />

der Erfüllung immer nur ein Stückchen näher kommen könnte, wir nie dazu<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 30 von 33


kämen ruhig nebeneinander auf dem Bänkchen zu sitzen, sondern stets auf der<br />

Suche nach dem anderen blieben. Ich könnte dich ja zur Warnung immer Phil<br />

nennen. Nein, nein das ist Kinderkram. Wendy findet das mit ihrem neuen Namen<br />

aber richtig gut. Sie wisse ja nicht, wie und was mit Leonard würde, aber<br />

die Gedanken daran hätten sie verändert und etwas Neues brauche schließlich<br />

auch einen Neuen Namen.“ erklärte <strong>Ilona</strong>.<br />

Rigorosum Generale<br />

Während <strong>Ilona</strong> und <strong>Thomas</strong> ein wenig am Rhein lang gingen, war Julie mit Leonard<br />

zum Botanischen Garden gefahren. Sie wollten im Arboretum spazieren<br />

gehen, Julies Kinderwagenparcours. Dort hatte wohl ihr Faible für Biologie seinen<br />

Ursprung, und sie konnte Leonard jedes Blatt erklären. Nur sie kamen gar<br />

nicht zurück. Als <strong>Ilona</strong> zum Abendbrot anrief, befanden sie sich in einem Bistro<br />

und wollten dort etwas essen. Als sie später zurückkamen, erweckten sie<br />

keinen glücklichen Eindruck. Julie strich sich ihre Haare ganz zurück, so dass<br />

ihre außergewöhnlich hohe Stirn zum Vorschein kam und Leonard bließ die Luft<br />

schnaubend durch die flatternden Lippen. „Habt ihr Stress?“ fragte <strong>Ilona</strong>.<br />

„Nein, nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Deine Tochter unterzieht mich nur<br />

einem nicht enden wollenden Rigorosum Generale in allen geistes- und<br />

naturwissenschaftlichen Bereichen. Ne anstrengende Frau ist deine Tochter. Ich<br />

dachte immer, Liebe sei zärtlich sein und küssen, aber Wendy scheint wohl<br />

davon auszugehen, dass sie sich im wissenschaftlichen Diskurs offenbare.“<br />

antwortete Leonard. „Na und?“ meldete sich Julie, „Ich muss doch wissen, ob<br />

ich mit ihm reden kann. Kann man aber gut, sehr gut sogar.“ und Leo bekam<br />

einen Kuss. Sie schliefen nicht miteinander, obwohl beide Lust dazu gehabt<br />

hätten.<br />

„Ich bekomme langsam Ehrfurcht vor meiner süßen Kleinen.“ meinte <strong>Ilona</strong> zu<br />

<strong>Thomas</strong>, „Ich habe immer ihre schelmischen Augen neben den langen Ponyhaaren<br />

gesehen, mich mit ihr gefreut und mit ihr gelacht, aber nie erkannt,<br />

welche Tiefe hinter ihrem Humor steckte. Es war immer das Bild vom freudig<br />

stimmenden Mädchen. Es gefiel mir, ich wollte es sehen und es hat sich mir<br />

nicht anders gezeigt. Dass dort eine andere junge Frau heranwuchs, hätte ich<br />

wissen können. Wir haben uns immer unendlich viel unterhalten und da dominierte<br />

keinesfalls das niedliche freundliche Mädchen, trotzdem hat es an meinem<br />

Bild nichts verändert. Der Andere ist immer nur das, was du in ihm sehen<br />

<strong>will</strong>st oder zu sehen erwartest. Das zu ändern, ist, glaube ich, fast genauso<br />

schwer, wie sich selbst zu ändern. Dein Sohn lässt mir meine Tochter erwachsen<br />

werden. Sollen wir mal heiraten? Dann würden sie Geschwister.“ lachte <strong>Ilona</strong>,<br />

fiel <strong>Thomas</strong> um den Hals und zog ihn ins Schlafzimmer.<br />

Das ist die große Fuge<br />

Leonard blieb noch die ganze Woche in Bonn und hatte sich entschieden nach<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 31 von 33


dorthin zu wechseln, obwohl er dazu auch einen anderen Schwerpunktbereich<br />

wählen und sich auf molekulare Zellbiologie verlegen musste. Mit einem Vorspiel<br />

von vier Wochen Netz- und Telefonkontakt hatten sie in einer Woche die<br />

Etablierung ihres neuen gemeinsamen <strong>Leben</strong>s beschlossen und begonnen.<br />

„Das ist intensives <strong>Leben</strong>, wie's Leo und Julie machen,“ bemerkte <strong>Ilona</strong> am<br />

nächsten Wochenende in Essen, „Das ist die große Fuge, frei bei aller Gebundenheit,<br />

stürmisch, poetisch, lustig und schelmisch bei aller Ernsthaftigkeit. Bei<br />

uns kommt es mir manchmal schon eher so vor, als ob wir auf das Nachtlied<br />

zuwanderten. Wir haben unser Glück gefunden, freuen uns darüber und sind's<br />

zufrieden. 'Ach, ich bin des Treibens müde! Komm, ach komm in meine Brust!'<br />

ist nicht das Thema der Fuge. Es muss ja schon wohl immer sehr ungewöhnlich<br />

gewesen sein, wenn Partner sich nach langer Zeit noch so liebten, sonst hätte<br />

man Philemon und Baucis ja nicht in Griechenland schon derart herausgehoben<br />

dargestellt, nur dass du dich nicht, weil du denkst dein Glück gefunden zu haben,<br />

auf des Schlummers Welle dort hintragen lassen kannst, dessen bin ich<br />

mir absolut sicher. Allegro molto e con brio geht die große Fuge. Feuer, mehr<br />

Feuer, <strong>Thomas</strong>, das würde ich mir für uns auch wünschen, intensiver zu <strong>Leben</strong>,<br />

intensiver gemeinsam zu leben, etwas gemeinsam zu tun. Wir brauchen etwas,<br />

dass uns gemeinsam nach vorne denken lässt. Siehst du das nicht so oder<br />

ganz anders?“ Warmherzige Übereinstimmung lag in dem Lächeln, mit dem<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Ilona</strong> anschaute. Er gab ihr einen flüchtigen Kuss, „Ich habe mir ein<br />

Buch von Mario Vargas Llosa besorgt. 'Das Paradies ist anderswo heißt es'.<br />

'Heute fängst du an, die Welt zu verändern, Florita.' lautet einer der ersten<br />

Sätze der Sozialistin und Frauenrechtlerin Flora Tristan. Um ihr und gleichzeitig<br />

Paul Gauguins <strong>Leben</strong> geht es in diesem Roman. Besteht das Paradies aus einer<br />

Welt ohne Unterdrückung und Unrecht oder vitaler, amoralischer Schönheit?<br />

Darum soll es gehen. Ich freu mich darauf, es zu lesen, mit dir darüber reden<br />

zu können, wäre ein Traum. Kannst du dir das vorstellen? Was sich daraus<br />

entwickelt, dass wir gemeinsam etwas lesen und diskutieren, ist ja überhaupt<br />

nicht abzusehen. Ich empfinde es als einen Aufbruch. Wohin? Ich weiß es<br />

nicht, nur das Empfinden, aufzubrechen, um einen Weg zu finden, ist schon<br />

mehr <strong>Leben</strong>, macht es schon intensiver.“ schlug <strong>Thomas</strong> vor. <strong>Ilona</strong> brauchte<br />

nur kurze Blicke, um zu wissen, dass sie das Buch mitnehmen würde, und<br />

<strong>Thomas</strong> sich am Montag ein neues besorgen würde.<br />

Das Streichquartett zur großen rheinischen Fuge hatte zusammengefunden.<br />

Mild bewegt und sanft klangen die Freude strahlenden Weisen ihrer ersten Themen,<br />

um anschließend ausgelassen fröhlich und feurig das Glück intensiven <strong>Leben</strong>s<br />

zu gestalten und zu genießen. Vielleicht hatte <strong>Ilona</strong> dies ja unbewusst gesucht,<br />

war sich nur nicht schlüssig darüber, ob sie dazu Partner benötigte oder<br />

aber lieber die Klavierversion solo spielen sollte.<br />

FIN<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 32 von 33


Il en est de l'esprit comme de la musique ; plus on l'entend,<br />

plus on exige de subtiles nuances.<br />

Georg Christoph Lichtenberg<br />

Einen Freund oder eiene Freundin suchten sie beide nicht über die<br />

Partnervermittlung. <strong>Ilona</strong> und <strong>Thomas</strong> hatten es nur mal aus Jux probiert.<br />

Trotzdem schrieben sie sich, lernten sich kennen und lieben, aber das große<br />

Treffen wurde zur Katastrophe. Es war fast Mittag, als sie am Sonntagmorgen<br />

fertig waren. <strong>Ilona</strong> war ungewöhnlich still und hatte auch keine Lust zu einem<br />

Spaziergang. Sie wollte <strong>Thomas</strong> zeigen, wie sie im Wohnzimmer ihre<br />

Beethoven CD's gehört hatte, zeigte ihm die umgetaufte <strong>Ilona</strong> Fantasie und<br />

legte sie auf. Schon im ersten Satz sagte sie plötzlich unvermittelt: „<strong>Thomas</strong>,<br />

fahr nach Hause.“ Der erstaunte <strong>Thomas</strong> fragte erschrocken: „Was ist los,<br />

<strong>Ilona</strong>, was hast du?“ Sie kam zu ihm auf die Couch, setzte sich auf seinen<br />

Schoß und weinte. „Ich bin zu doof für alles. Ich bin bekloppt.“ sprach sie<br />

weinend, „Ich mache alles kaputt. Mache mir selber mein eigenes größtes<br />

Glück kaputt. Ich weiß nicht in welcher Welt ich lebe. Ich <strong>will</strong> dir das mit den<br />

Beethoven Geschichten erzählen, aber du bist gar nicht hier. Hier ist nur der,<br />

der mit dem ich gestern Kaffee gekocht habe, mit dem ich mich gestern<br />

unterhalten habe, mit dem ich gestern Abend geschmust habe. Vor allem aber<br />

der, mit dem ich heut nacht geschlafen habe. Alles nur, was ich hier mit dir<br />

erlebt habe. Der andere, mein teurer Freund, den ich liebe, der ist gar nicht<br />

hier. Der ist im Netz. Irgendetwas muss von ihm gekommen sein. Ich habe<br />

mich ja zu ihm verhalten, aber hier ist er nicht. Hier ist nur der bei dem das<br />

Eindruckvollste unser Ficken war. Es ist immer da, ausschließlich da, wenn ich<br />

dich sehe. Dem Tom lege ich die Mondscheinsonate auf und nicht dem ich<br />

davon geschrieben habe und bei dem der hier ist, denke ich immer an die letzte<br />

Nacht. Warum tue ich das, hätte es gar nicht gebraucht, habe es ja gar nicht<br />

gewollt, gar kein Bedürfnis danach. Warum muss ich dumme Kuh mit dem ins<br />

Bett gehen, alles zerstören, was mir das Wichtigste ist. <strong>Thomas</strong>, ich habe so<br />

etwas noch nie erlebt, muss es wohl von Anfang an intuitiv gespürt haben, wie<br />

bedeutsam es für mich werden könnte. Es war das, wonach ich mich gesehnt<br />

habe, obwohl ich es zunächst gar nicht wahr haben wollte. Nichts außer den<br />

Kindern ist mir je so wichtig gewesen, und ich zerstöre das einfach so und<br />

mach ein Bedürfnis zum Ficken daraus, einfach so wegen momentaner Lustbefriedigung.“<br />

<strong>Ilona</strong> sprang auf und rannte zum Bad. Ob Tom nach Hause fuhr<br />

und <strong>Ilona</strong> zerbrach, die Geschichte weiß es.<br />

<strong>Durchs</strong> <strong>Leben</strong> <strong>gejumpt</strong> <strong>Ilona</strong> <strong>will</strong> <strong>Thomas</strong> – Seite 33 von 33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!