20.12.2013 Aufrufe

Festschrift: 20 Jahre Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft

Festschrift: 20 Jahre Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft

Festschrift: 20 Jahre Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Bremischen</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>


In eigener Sache:<br />

Dies ist ke<strong>in</strong>e auch nur annähernd vollständige Geschichte <strong>der</strong><br />

grünen <strong>Bürgerschaft</strong>sfraktion. Es ist nur e<strong>in</strong> lockerer Streifzug<br />

durch diese Geschichte. Wem dabei ganz an<strong>der</strong>e Geschichten<br />

und Ereignisse e<strong>in</strong>fallen, die vielleicht wichtiger s<strong>in</strong>d als die<br />

hier skizzierten, <strong>der</strong> möge sie unbed<strong>in</strong>gt festhalten. Erst die<br />

Kenntnis <strong>der</strong> Vergangenheit erklärt die Gegenwart. Fehler und<br />

Irrtümer s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> diesem Text, sie s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Kürze <strong>der</strong> Zeit,<br />

die <strong>der</strong> politische Alltag lässt, und Gedächtnislücken zu verdanken.<br />

Der Autor bittet um Nachsicht.<br />

V.i.S.d.P.: Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert<br />

Text: Dieter Mützelburg<br />

Redaktion & Gestaltung: Thomas Kollande-Emigholz<br />

Fotos: Bleiker, Caspari, Heidmann, Quick, Stoss, Rospek,<br />

Wagner – sowie diverse private und nicht identifizierbare<br />

aus den Handbüchern <strong>der</strong> <strong>Bremischen</strong><br />

<strong>Bürgerschaft</strong><br />

Druck: Geffken & Köllner, Bremen<br />

Bremen im November <strong>20</strong>03<br />

<strong>Fraktion</strong> Bündnis 90/DIE GRÜNEN<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bremischen</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Schlachte 19/<strong>20</strong><br />

28195 Bremen<br />

Tel.: 0421/3011-0<br />

Fax: 0421/3011-250<br />

Mail: fraktion@gruene-bremen.de<br />

www.gruene-bremen.de


Zwanzig <strong>Jahre</strong> – wir haben nichts ausgelassen<br />

Zwanzig <strong>Jahre</strong> grüne Erfolgsgeschichte mit e<strong>in</strong> paar Beulen und krummen Ecken. 1983<br />

haben wir mit fünf Abgeordneten begonnen, die auch noch rotieren sollten (und es größtenteils<br />

auch taten). Wir hatten jährlich wechselnde <strong>Fraktion</strong>svorsitzende, den ersten<br />

Rollstuhlfahrer im Parlament und immer Blümchen auf den Pulten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>.<br />

Die Presse war begeistert: Endlich mal was An<strong>der</strong>es, und Sympathie und Verteufelung<br />

haben unserem Selbstbewusstse<strong>in</strong> ziemlich gut getan.<br />

Drei grüne Müllbroschüren (lei<strong>der</strong> vergriffen) haben die Welt nicht verän<strong>der</strong>t, die<br />

Rammelboxen nach dem Utrechter Modell waren auch nicht durchzusetzen, Bremen wurde<br />

ke<strong>in</strong>e freie Flüchtl<strong>in</strong>gsstadt und die Hemel<strong>in</strong>ger Marsch lei<strong>der</strong> bebaut. Aber an<strong>der</strong>es<br />

Grünes ist heute ke<strong>in</strong> Skandal mehr: Tenever wird teilweise abgerissen, Bremens Entschuldung<br />

als unabd<strong>in</strong>gbar anerkannt, die Kritik am Bremer Gesellschaftsunwesen Allgeme<strong>in</strong>gut,<br />

und das Weserkraftwerk kommt bestimmt.<br />

Heute s<strong>in</strong>d wir trotz Verkle<strong>in</strong>erung des Parlaments dreizehn Abgeordnete. Dazwischen<br />

liegen Verän<strong>der</strong>ungen und Beständigkeit. Längst gehören wir selbstverständlich zu den<br />

›Altparteien‹ und streben gar nicht mehr an, uns auf jeden Fall von den an<strong>der</strong>en zu unterscheiden.<br />

Wir rotieren nicht mehr, vermarkten Inhalte und Personen, reden mit <strong>der</strong> Bild-<br />

Zeitung, wurden im <strong>Bürgerschaft</strong>spräsidium und bei <strong>der</strong> Kontrolle des Verfassungsschutzes<br />

zugelassen und besuchen die Handelskammer.<br />

Unverän<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d die grundlegenden Überzeugungen: Es geht nachhaltiger, ökologischer<br />

und gerechter, und das wäre richtig von Vorteil für unsere Stadt. Geblieben ist<br />

auch <strong>der</strong> Spaß an <strong>der</strong> Politik und die feste Überzeugung, dass Bremen uns braucht. Noch<br />

viel länger als zwanzig <strong>Jahre</strong>.<br />

Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert, im November <strong>20</strong>03<br />

3


Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert, auch von Anfang an dabei. Die heutige <strong>Fraktion</strong>svorsitzende ausnahmsweise<br />

nicht politisch, son<strong>der</strong>n als Goldschmied<strong>in</strong> aktiv.<br />

4


Woher wir kommen<br />

1978 begann es. Wie aus dem Nichts gekommen eroberten sie <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en und größeren Städten die<br />

Stadtparlamente: Grüne Listen, alternative Listen, bunte Listen – unter vielen Namen traten sie zu<br />

Kommunalwahlen an und gewannen. So bunt wie die Namen war auch die soziale und politische Zusammensetzung.<br />

Vom liberalen Wirtschaftskurs <strong>der</strong> SPD/FDP-Bundesregierung enttäuschte Sozialdemokraten<br />

trafen sich mit Latzhosenträger<strong>in</strong>nen aus <strong>der</strong> Umweltbewegung, militante ›Ke<strong>in</strong> AKW hier<br />

und an<strong>der</strong>swo!‹ saßen mit konservativen Naturschützern zusammen, und mittendr<strong>in</strong> die Anhänger <strong>der</strong><br />

verschiedenen zerstrittenen kommunistischen Grüppchen.<br />

So war es auch <strong>in</strong> Bremen, dem norddeutschen Zentrum <strong>der</strong> Anti-AKW-Bewegung. 29 Sozialdemokraten<br />

traten im Januar 1979 aus ihrer Partei aus, darunter <strong>der</strong> Bundesvorsitzende <strong>der</strong> Umweltschutz-<br />

Initiativen, Peter Willers, und die Krankenschwester Christa Bernbacher. Als sie erklärten, zur <strong>Bürgerschaft</strong>swahl<br />

1979 antreten zu wollen, erhielten sie erheblichen Zulauf aus <strong>der</strong> vielfältigen Bremer alternativen<br />

Szene. Die radikaleren Teile dieser Szene organisierten gleichzeitig e<strong>in</strong>e Alternative Liste nach<br />

dem Vorbild <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er AL. Vere<strong>in</strong>igungsgespräche<br />

bei<strong>der</strong> Gruppen scheiterten. Bei <strong>der</strong><br />

Wahl im Oktober erreichte die BGL <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt<br />

Bremen 5,1 % und zog mit 4 Abgeordneten <strong>in</strong><br />

die <strong>Bürgerschaft</strong> e<strong>in</strong>. Die AL bekam nur 1,4 %<br />

und löste sich bald auf.<br />

Die BGL kam mit ihrer bunten Herkunft nicht<br />

klar. Als sich 1979 die Partei DIE GRÜNEN gründete<br />

und diese kurz danach <strong>in</strong> Baden-Württemberg<br />

e<strong>in</strong>e Serie von Wahlerfolgen startete,<br />

schloss sich e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> BGL den Grünen an.<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Teil pflegte die Anti-Parteien-Tradition<br />

<strong>der</strong> alternativen Szene. In den <strong>Jahre</strong>n 1981<br />

und 1982 erlebte die Bundesrepublik riesige Demonstrationen<br />

gegen AKWs <strong>in</strong> Brokdorf, gegen<br />

die Startbahn West am Frankfurter Flughafen<br />

und gegen die Raketennachrüstung <strong>in</strong> Bonn. Die<br />

Grünen waren immer dabei, während die BGL<br />

Christ<strong>in</strong>e Bernbacher. Vor 22 <strong>Jahre</strong>n die erste ›Geschäftsstelle‹ <strong>der</strong><br />

Partei, heute die Ehrenvorsitzende. Niemand an<strong>der</strong>s kann die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Bremer Grünen so anschaulich erklären wie sie –<br />

hier anhand von Plakaten aus <strong>der</strong> Vorzeit.<br />

5


ke<strong>in</strong>e Rolle spielte. Schließlich trat <strong>der</strong> Abgeordnete Peter Willers 1982 aus <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>sgruppe<br />

<strong>der</strong> BGL aus und vertrat nun die Partei DIE GRÜNEN im Parlament.<br />

Seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Partei entwickelten sich auch die Bremer GRÜNEN schnell. Das erste Parteibüro<br />

<strong>in</strong> Christ<strong>in</strong>e Bernbachers Wohnzimmer <strong>in</strong> Schwachhausen verband zwar Politik mit gutem Essen,<br />

ohne das es bei Christ<strong>in</strong>e nicht g<strong>in</strong>g, war aber auf Dauer für die junge Partei zu privat. Sie mieteten<br />

e<strong>in</strong>en Laden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straße Auf den Häfen im Ostertor. Ab 1981 fanden dort die ›Grünen Montage‹ statt,<br />

wo jede und je<strong>der</strong> vorbeikommen durfte, <strong>der</strong> <strong>in</strong> o<strong>der</strong> mit den Grünen über politische Fragen streiten<br />

wollte. Oft drängten sich montags <strong>in</strong> dem zu kle<strong>in</strong>en Raum mehr als 50 Diskutanten. Über die grüne<br />

Strategie wurde dann h<strong>in</strong>terher beim Essen <strong>in</strong> Gianni Bucc<strong>in</strong>is ›Trattoria‹ bei <strong>der</strong> Mitternachtspizza<br />

entschieden und die Wahlkämpfe des <strong>Jahre</strong>s 1983 wurden vorbereitet.<br />

6


Wie es dazu kam<br />

Im März 1983 waren DIE GRÜNEN erstmalig <strong>in</strong> den Deutschen Bundestag gewählt. Im Land Bremen<br />

erreichten sie dabei gut 8 % <strong>der</strong> Stimmen, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Bremische <strong>Bürgerschaft</strong> schien so gut wie<br />

sicher. Allerd<strong>in</strong>gs waren die GRÜNEN damals noch nicht konkurrenzlos. In <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong> saß seit<br />

1979 die vierköpfige Gruppe <strong>der</strong> Bremer Grünen Liste (BGL),<br />

die sich bei <strong>der</strong> Parteigründung <strong>der</strong> GRÜNEN geweigert hatte,<br />

<strong>in</strong> die Partei e<strong>in</strong>zutreten. Ihr Wortführer, Olaf D<strong>in</strong>né, hatte<br />

nach wie vor viele Anhänger unter Atomkraftgegnern und<br />

l<strong>in</strong>ken Intellektuellen. Zugleich organisierte sich auf <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ken<br />

die Betrieblich-Alternative Liste (BAL), die um Anhänger<br />

kommunistischer Gruppen, sogenannte Ökosozialisten,<br />

und aktive Gewerkschafter warb.<br />

Die Aufstellung <strong>der</strong> Liste dauerte zwei volle Tage. Über<br />

dreißig Bewerber wollten auf die Liste. Quotierung war damals<br />

noch nicht üblich, Parteizugehörigkeit war auch nicht<br />

entscheidend. Streit gab es vor allem darüber, ob Grüne<br />

eventuell e<strong>in</strong>e SPD-M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitsregierung tolerieren würden.<br />

Das Wahlprogramm umfasste mehr als 100 eng beschriebene<br />

Schreibmasch<strong>in</strong>enseiten. Abschalten aller AKWs,<br />

Stopp <strong>der</strong> Raketenaufrüstung und Austritt aus <strong>der</strong> Nato fanden<br />

sich dort ebenso wie die 35-Stunden-Woche für den<br />

öffentlichen Dienst und die Schließung <strong>der</strong> Müllverbrennungsanlage.<br />

Im Wahlkampf g<strong>in</strong>g es dann aber nur um die drohende<br />

Schließung <strong>der</strong> Werft ›AG Weser‹. Zwischen FDP, <strong>der</strong> SPD<br />

mit Hans Koschnick und <strong>der</strong> BAL g<strong>in</strong>g es um die Schuldfrage.<br />

Die Grünen setzten dennoch auf ihre eigenen Themen.<br />

Zwei Plakate prägten den Wahlkampf ›Wir haben die Erde<br />

nur von unseren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geborgt‹ und die Bremer Stadt-<br />

Die erste <strong>Fraktion</strong><br />

1983-1987<br />

Alle s<strong>in</strong>d gleich<br />

Am Anfang <strong>der</strong> Partei stand <strong>der</strong> Grundsatz<br />

›Alle s<strong>in</strong>d gleich, und niemand darf Macht<br />

haben.‹ Also bekamen die frisch gewählten<br />

Abgeordneten Probleme, als die<br />

<strong>Bürgerschaft</strong>sverwaltung sie um Benennung<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Fraktion</strong>svorsitzenden bat.<br />

Doppelspitzen und Quotierung waren<br />

1983 noch nicht so bekannt wie heute.<br />

Aber trickreich waren die Grünen auch<br />

damals. Also beschlossen sie, alle 5 Monate<br />

e<strong>in</strong>en neuen Vorsitz zu wählen und<br />

die an<strong>der</strong>en vier zu Stellvertretern zu ernennen.<br />

Das war Gleichheit pur. Gegen<br />

Ende <strong>der</strong> zwei <strong>Jahre</strong> stand die Rotation an,<br />

und außerdem kam heraus, dass 24 Monate<br />

durch 5 geteilt nicht gleich 5 mal 5<br />

ist. E<strong>in</strong>e Abgeordnete musste zu kurz kommen.<br />

O<strong>der</strong> nicht. Christ<strong>in</strong>e Bernbacher –<br />

unorthodox wie so oft – erklärte, sie verzichte<br />

auf die Rotation und bleibe <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Bürgerschaft</strong>. Das Vorsitzendenproblem<br />

war gelöst, Christ<strong>in</strong>e aber hatte fortan e<strong>in</strong><br />

Problem mit <strong>der</strong> Partei.<br />

7


musikanten, die <strong>in</strong> wildem Ritt mit <strong>der</strong> Sonnenblume Richtung Parlament eilten. Erfolgreich. Am 26.9.<br />

wurden mit 5,4 % fünf Grüne gewählt, davon e<strong>in</strong>er aus Bremerhaven.<br />

Die erste grüne <strong>Fraktion</strong> rotierte noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Wahlperiode. Alle fünf Monate wechselte <strong>der</strong><br />

<strong>Fraktion</strong>svorsitz. In den Deputationen waren die Grünen nur Gäste ohne Antrags- und Stimmrecht. In<br />

<strong>der</strong> Geschäftstelle Am Dobben arbeiteten neben<br />

dem Geschäftsführer Ra<strong>in</strong>er Oellerich (seit<br />

1983) vier MitarbeiterInnen.<br />

Die Abgeordneten aus Bremen:<br />

Peter Willers (bis Okt. ‘85)<br />

Umwelt, Wirtschaft, Friedenspolitik<br />

geb. 1935, Angestellter; heute: Pensionär; trat<br />

1991 aus <strong>der</strong> Partei aus, Aktivist <strong>in</strong> Bürger<strong>in</strong>itiativen<br />

Christ<strong>in</strong>e Bernbacher (bis Okt. ‘87)<br />

Umwelt, Bau<br />

geb. 1930, Krankenschwester; heute: im Ruhestand;<br />

Ehrenvorsitzende <strong>der</strong> Bremer Grünen<br />

Christiane Bodammer (bis Okt. ‘85)<br />

Soziales, Jugendpolitik<br />

geb. 1952, Lehrer<strong>in</strong>; ke<strong>in</strong> Mitglied, bis dato<br />

für die GRÜNEN im Rundfunkrat von Radio<br />

Bremen<br />

Dieter Mützelburg (bis Okt. ‘85)<br />

Innenpolitik, F<strong>in</strong>anzen, Sport, Justiz<br />

geb. 1943, Hochschullehrer; heute: Projektleiter;<br />

Landesvorsitzen<strong>der</strong> und Mitglied des<br />

Kreisvorstands Mitte/Östliche Vorstadt<br />

E<strong>in</strong>zug <strong>der</strong> ersten <strong>Fraktion</strong> <strong>in</strong> die <strong>Bürgerschaft</strong>. ›Stopp <strong>der</strong> Raketennachrüstung!‹<br />

hieß 1983 die politische Losung. Und das kle<strong>in</strong>e<br />

Pflänzchen ist e<strong>in</strong> Symbol für das künftige Wachstum <strong>der</strong> Grünen.<br />

Ralf Fücks (Okt. ‘85 bis Juni ‘88)<br />

Wirtschaft, F<strong>in</strong>anzen<br />

geb. 1951, Sozialwissenschaftler; heute: Vorstand<br />

<strong>der</strong> He<strong>in</strong>rich-Böll-Stiftung<br />

Uwe Helmke (Okt. ‘85 bis Okt. ‘87)<br />

Bildung, Sport<br />

geb. 1925, Lehrer; heute: im Ruhestand, trat 1999<br />

aus <strong>der</strong> Partei aus<br />

8


Uwe Voigt (Okt. ‘85 bis Okt. ‘87)<br />

Gesundheit, Innenpolitik<br />

geb. 1951, Apotheker<br />

Mart<strong>in</strong> Thomas (Aug. ‘86 bis Juni ‘99)<br />

Innenpolitik, Friedenspolitik<br />

geb. 1950, Industriekaufmann<br />

Die Abgeordneten aus Bremerhaven:<br />

Hans-Peter Wierk (bis Okt. ‘85)<br />

Bildung, Wissenschaft<br />

geb. 1947, Lehrer; lebt heute <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

Karsten Bischoff (Okt. ‘85 bis Okt. ‘87)<br />

Häfen, Wissenschaft<br />

geb. 1948, Lehrer<br />

Highlights im Hohen Haus<br />

In dieser Wahlperiode wurde sehr häufig auf Initiative <strong>der</strong> Grünen über ›große‹ Politik diskutiert. Die<br />

Nachrüstung <strong>der</strong> Bundeswehr, <strong>der</strong> 40. <strong>Jahre</strong>stag <strong>der</strong> Kapitulation und die Atompolitik <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

standen ebenso im Mittelpunkt wie die Zukunft <strong>der</strong> Bundeswehr o<strong>der</strong> die Fischfanggründe vor<br />

Island und Grönland. Bei den großen Friedensdemos war die <strong>Fraktion</strong> auf <strong>der</strong> Straße und gegen Rüstungstransporte<br />

stöckelte Christ<strong>in</strong>e Bernbacher über Bahngleise.<br />

In <strong>der</strong> Lokalpolitik stritt sich Christ<strong>in</strong>e mit Senator<strong>in</strong> Evi Lemke e<strong>in</strong> ums an<strong>der</strong>e Mal um die ›Dreckschleu<strong>der</strong>‹<br />

Müllverbrennungsanlage, bis diese die Schließung versprach. Dieter Mützelburg kämpfte<br />

gegen Senator Frankes Schulschließungspläne, und Ralf Fücks bedrängte den Senat mit Ideen zu<br />

Rüstungskonversion und alternativer Produktion, was bis <strong>in</strong> die Gewerkschaften h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gut ankam.<br />

Höhepunkt aus grüner Sicht war Christ<strong>in</strong>e Bernbachers Weigerung, e<strong>in</strong>er Verfassungsän<strong>der</strong>ung zuzustimmen.<br />

Damals war E<strong>in</strong>stimmigkeit vorgeschrieben. Sie blockierte so lange, bis sie den Umweltschutz<br />

als verb<strong>in</strong>dliches Staatsziel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bremer Verfassung verankert hatte.<br />

9


10<br />

Grüne <strong>der</strong> ersten Generation wie aus dem Bil<strong>der</strong>buch: Selbst gestrickt und mit langen Haaren. Die<br />

erste Hälfte <strong>der</strong> ersten grünen <strong>Fraktion</strong> (1983-1985).


Papierflut<br />

Als die Parteiflügel sich bekriegten, war<br />

die schärfste Waffe im Kampf das Positionspapier.<br />

Davon gab’s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bremer<br />

<strong>Fraktion</strong> und Partei große Mengen. Erst<br />

1992 stoppte die <strong>Fraktion</strong>ssprecher<strong>in</strong> Karol<strong>in</strong>e<br />

L<strong>in</strong>nert diesen schönen Brauch,<br />

<strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong> ›Papierverbot‹ verkündete.<br />

Hier e<strong>in</strong>ige Auszüge aus diesen Werken:<br />

›Öko ist völlig out. Weite lila Gewän<strong>der</strong><br />

und selbstgestrickte Pullover werden<br />

bekichert. Unter Jugendlichen ist Öko<br />

heute e<strong>in</strong> Schimpfwort.‹ (Rotkäppchenpapier,<br />

u.a. von Helga Trüpel, Dieter<br />

Mützelburg und Mart<strong>in</strong> Thomas, 1985.<br />

Der Name leitet sich von e<strong>in</strong>er Kneipe<br />

her, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das Papier nachts geschrieben<br />

worden se<strong>in</strong> soll).<br />

›Bremens F<strong>in</strong>anzen werden von e<strong>in</strong>em<br />

kle<strong>in</strong>en Insi<strong>der</strong>-Klüngel beherrscht.‹<br />

(›Der Bremer F<strong>in</strong>anzklüngel‹ von Ralf<br />

Fücks). Dieser Krimi ist lei<strong>der</strong> undatiert,<br />

wäre aber sicher heute noch aktuell.<br />

Lei<strong>der</strong> ist er unvollendet.<br />

›Die Grünen brauchen endlich wie<strong>der</strong><br />

Visionen!‹ (Bilanz nach 10 <strong>Jahre</strong>n Arbeit<br />

für die Grünen von Jochen Rieß.<br />

Mitglied des Landesvorstands, 1989).<br />

›Wenn Du noch e<strong>in</strong> Papier dieser Art<br />

schreibst, dann veröffentliche ich alle.‹<br />

(Mart<strong>in</strong> Thomas an Ralf Fücks, 1988).<br />

Und zum Schluss Helga Trüpels Papier<br />

von 1993: ›Ankommen am Ende o<strong>der</strong><br />

Erwachsenwerden tut weh‹.<br />

Der Weg <strong>in</strong> die zweite <strong>Fraktion</strong><br />

Die zweite <strong>Fraktion</strong><br />

1987-1991<br />

Mit 8,4 % waren die Grünen im Frühjahr 1987 die Wahlsieger<br />

und mit ihnen Marieluise Beck, die damals zum ersten Mal im<br />

Land Bremen gewählt wurde. Der bundesweite Erfolg strahlte<br />

nach Bremen aus. Aber nicht nur <strong>der</strong> Erfolg, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong><br />

partei<strong>in</strong>terne Umgang damit. Da <strong>in</strong> Bonn die SPD im Bund e<strong>in</strong>e<br />

Zusammenarbeit mit den Grünen ablehnte, weil sie wegen ihrer<br />

Anti-Nato-Haltung nicht zum Grundgesetz stünden, brach<br />

auch <strong>der</strong> <strong>in</strong>nergrüne Streit um Regierungsbeteiligungen wie<strong>der</strong><br />

auf. Die Parteiflügel hatten begonnen, sich <strong>in</strong> ›Strömungen‹<br />

zu organisieren.<br />

Die Kandidatenaufstellung <strong>in</strong> Bremen war weitgehend von<br />

den Flügelkämpfen geprägt. Fast alle PolitikerInnen, die für<br />

den Rest des vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>ts die Bremer Grünen<br />

repräsentierten, waren im Mai 1987 dabei: Helga Trüpel und<br />

Ralf Fücks, Mart<strong>in</strong> Thomas und Elisabeth Hackste<strong>in</strong>, Christ<strong>in</strong>e<br />

Bernbacher und Dieter Mützelburg (die letzten beiden wurden<br />

im Flügelpoker ausgesiebt). Die Kandidatenaufstellung dauerte<br />

bis <strong>in</strong> den späten Abend. Die Listenplätze ab Platz 13<br />

wurden von wenigen Mitglie<strong>der</strong>n fast auf Zuruf nom<strong>in</strong>iert.<br />

Das Wahlprogramm war h<strong>in</strong>gegen kurz und ließ sich nicht<br />

auf viel Grundsätzliches e<strong>in</strong>: Orig<strong>in</strong>ell und zugespitzt wollte<br />

es se<strong>in</strong>. Und an manchen Punkten war es das auch. Bremen<br />

sollte e<strong>in</strong>e ›Freie Flüchtl<strong>in</strong>gsstadt‹ werden, <strong>in</strong> <strong>der</strong> je<strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>g<br />

aus jedem Land e<strong>in</strong> lieber Gast ist. Für jeden Quadratmeter<br />

neue Straße sollten zwei Quadratmeter entsiegelt werden.<br />

Auf <strong>der</strong> Vulkan-Werft sollten Zeppel<strong>in</strong>e für die Luftfahrt gebaut<br />

11


werden, womit zugleich e<strong>in</strong> Ausbau des Flughafens verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden sollte. E<strong>in</strong>e Parole, die die Grünen<br />

damals erfanden, g<strong>in</strong>g tatsächlich <strong>in</strong> die neuere Stadtgeschichte e<strong>in</strong>: ›Stadt am Fluss‹ o<strong>der</strong>, wie wir<br />

drastisch formulierten: ›Nicht mit dem Arsch, son<strong>der</strong>n mit dem Gesicht zur Weser!‹<br />

Im Wahlkampf g<strong>in</strong>g es mehr um den sozialdemokratischen Filz im Land Bremen, das seit <strong>Jahre</strong>n mit<br />

absoluter Mehrheit von <strong>der</strong> SPD beherrscht wurde, und um Arbeitsplätze auf den Werften und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Industrie. Die Sozialdemokraten mit ihrem neuen und noch relativ jungen Bürgermeister Wedemeier<br />

spielten die soziale Alternative zur Bonner ›neoliberalen‹ Kohl-Koalition. Sie hatten e<strong>in</strong> großes Plus:<br />

Für e<strong>in</strong>e Mark hatte Wedemeier die gewerkschaftliche Wohnungsgesellschaft Neue Heimat gekauft und<br />

damit über 60.000 Mietwohnungen vor <strong>der</strong> Zwangsversteigerung<br />

gerettet.<br />

Am Ende hatten die Wahlforscher Unrecht. Die SPD fiel<br />

zwar auf 50,5 %, behielt aber ihre knappe Mehrheit. Die CDU<br />

sank auf unter 25 %. Wahlsieger waren die kle<strong>in</strong>eren Parteien.<br />

In Bremerhaven fasste <strong>der</strong> Rechtsextremismus Fuß, die<br />

DVU holte erstmals e<strong>in</strong> Mandat. Die FDP kehrte nach vier<br />

<strong>Jahre</strong>n Pause mit rund 10 % <strong>in</strong> die <strong>Bürgerschaft</strong> zurück. DIE<br />

GRÜNEN verdoppelten mit 10,1 % ihre Stimmanteile und ihre<br />

Mandate. 10 Abgeordnete, darunter zwei aus Bremerhaven,<br />

saßen im Parlament. Die stadtbremische Liste war erstmals<br />

E<strong>in</strong>ig beim parlamentarischen Fußballturnier, aber<br />

sportlich erfolglos; im politischen Leben zwar zerstritten,<br />

aber sehr erfolgreich: Die grüne <strong>Fraktion</strong> und ihre<br />

Mithelfer 1987.<br />

quotiert. DIE GRÜNEN hatten deshalb mit 40 % den höchsten<br />

Frauenanteil aller <strong>Fraktion</strong>en.<br />

Parlamentarische Höhepunkte<br />

Die Wahlperiode sah den SPD-Senat von e<strong>in</strong>em Skandal <strong>in</strong><br />

den nächsten taumeln. Die ersten beiden waren noch bitter ernst: Korruption und Abzocke <strong>in</strong> den Krankenhäusern<br />

und Missorganisation <strong>der</strong> Partei beim sogenannten Geiseldrama. Zweimal gab es Untersuchungsausschüsse,<br />

<strong>in</strong> denen DIE GRÜNEN sich als treibende Kraft <strong>der</strong> Aufklärung zeigten. Zweimal<br />

mussten die verantwortlichen Senatoren kurz nach Ende <strong>der</strong> Untersuchungen gehe. Der dritte Fall, <strong>der</strong><br />

›Fall Griesche‹, war eher e<strong>in</strong>e Posse. E<strong>in</strong>e Zeitung druckte e<strong>in</strong>en Brief des F<strong>in</strong>anzsenators Grobecker an<br />

e<strong>in</strong>en verdienten Parteigenossen, dem er e<strong>in</strong> Amt versprach, das er gar nicht vergeben konnte.<br />

Politisch wichtiger waren damals die Auflösung <strong>der</strong> DDR und die deutsche E<strong>in</strong>heit. E<strong>in</strong> Prozess, bei<br />

dem die Grünen am Rande standen. Er strahlte dennoch nach Bremen aus. Mit dem schnellen Wachsen<br />

<strong>der</strong> Proteste im Osten entstand auch <strong>in</strong> Bremen e<strong>in</strong>e große Zahl von Protest- und Bürger<strong>in</strong>itiativen,<br />

12


die allerd<strong>in</strong>gs überwiegend kommunal orientiert waren: Gegen Straßenausbau und neue Gewerbegebiete,<br />

für neue Gesamtschulen und gegen Kulturabbau. Die Grünen glänzten <strong>in</strong> diesen Debatten, die<br />

SPD war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Defensive und die CDU weitgehend sprachlos. So fiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong> kaum auf, dass<br />

die grüne <strong>Fraktion</strong> aus untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zerstrittenen E<strong>in</strong>zelkämpfern bestand, <strong>der</strong> nach dem Wechsel<br />

von Ralf Fücks <strong>in</strong> den Bundesvorstand im April 1990 auch <strong>der</strong> charismatische Repräsentant fehlte. Am<br />

Ende <strong>der</strong> Wahlperiode rückten Bewerber von eigentlich aussichtslosen Listenplätzen nach, weil besser<br />

platzierte Bewerber verzichteten.<br />

Die Abgeordneten aus Bremen:<br />

Dr. Helga Trüpel (seit Okt. ‘87)<br />

Frauen, Jugend, Wissenschaft, Kultur<br />

geb. 1958, Literaturwissenschaftler<strong>in</strong>; heute:<br />

Unternehrmer<strong>in</strong>, Vizepräsident<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Ralf Fücks (bis April ‘89)<br />

F<strong>in</strong>anzen, Arbeit, Häfen<br />

Irmgard Jahnke (Okt. ‘87 bis Okt. ‘91)<br />

Bau, Verkehr<br />

geb. 1948, Sozialwissenschaftler<strong>in</strong>; 1994 ausgetreten.<br />

Horst Frehe (Okt. ‘87 bis Dez.. ‘90)<br />

Soziales, Justiz<br />

geb. 1951, Jurist; heute: Richter; zeitweise aus <strong>der</strong><br />

Partei ausgetreten<br />

Ralf Fücks mit dem grünen Symbol: Die Sonnenblume.<br />

Nach <strong>der</strong> Wahl 1991 wurde er Umweltsenator.<br />

13


Dr. Elisabeth Hackste<strong>in</strong> (seit Okt. ‘87)<br />

Umwelt<br />

geb. 1949, Umweltwissenschaftler<strong>in</strong>; heute: Dezernent<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, Mitglied seit<br />

1994.<br />

Dr. Carola Schumann (Okt. ‘87 bis Jan. ‘90)<br />

Gesundheit<br />

geb. 1944, Sozialwissenschaftler<strong>in</strong>; heute: Referent<strong>in</strong><br />

im nie<strong>der</strong>sächsischen Sozialm<strong>in</strong>isterium<br />

Anni Ahrens (ab April ‘89)<br />

Umwelt, Energie<br />

geb. 19<strong>20</strong>, Gastwirt<strong>in</strong>, gest.: Januar <strong>20</strong>01<br />

Marie-Luise Franzen (Jan. bis Okt. ‘91)<br />

Gesundheit<br />

geb. 1934, Jurist<strong>in</strong>; heute: für die Grünen Bürgerdeputierte<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezirksverordnetenversammlung<br />

Steglitz-Zehlendorf <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

Mart<strong>in</strong> Thomas<br />

Inneres, Sport<br />

Dr. Paul Tiefenbach (Okt. ‘87 bis Okt. ‘91)<br />

Wirtschaft<br />

geb. 1951, Unternehmer<br />

Dr. Wolfram Sailer (ab Okt. ‘87)<br />

Medien, Bildung<br />

geb. 1953, Gewerkschaftssekretär; heute:<br />

Lehrer<br />

Die Abgeordneten aus Bremerhaven:<br />

Manfred Schramm (seit Okt. ‘87)<br />

Häfen<br />

geb. 1949, Lehrer; heute: Lehrer<br />

Eberhard Pflei<strong>der</strong>er (bis April ‘89)<br />

Bildung<br />

geb. 1947, Lehrer; heute: Lehrer, parteilos<br />

Hans-Joachim Sygusch (April ‘89 bis Okt. ‘91)<br />

Bildung<br />

geb. 1952, Lehrer; heute: Oberschulrat beim Senator<br />

für Bildung; trat 1992 zur SPD über.<br />

14


Die dritte <strong>Fraktion</strong> – Ampelkoalition<br />

1991-1995<br />

Der Weg zur <strong>Fraktion</strong><br />

Seit Dezember 1990 gab es ke<strong>in</strong>e grüne <strong>Fraktion</strong> mehr im Bundestag,<br />

4,8 % <strong>in</strong> Westdeutschland reichten nicht. Selbst <strong>in</strong><br />

Bremen kam <strong>der</strong> Spitzenkandidat Ralf Fücks nur auf gut 8 %.<br />

DIE GRÜNEN wollten nichts mit <strong>der</strong> deutschen E<strong>in</strong>heit zu tun<br />

haben und die Westdeutschen nichts mit den Grünen.<br />

In Bremen war das an<strong>der</strong>s. Zwanzig <strong>Jahre</strong> regierte die SPD<br />

mit absoluter Mehrheit. In vielen Stadtteilen wuchs Unzufriedenheit<br />

mit dem Senat. Neue Straßen vor <strong>der</strong> Haustür waren<br />

unbeliebt, neue Schulen h<strong>in</strong>gegen wollten viele Eltern. Im letzten<br />

Jahr vor <strong>der</strong> Wahl zog Bürgermeister Wedemeier die Notbremse.<br />

Er feuerte Bildungssenator Franke, <strong>der</strong> nichts von<br />

Eltern<strong>in</strong>itiativen für neue Gesamtschulen hielt. Und er machte<br />

die Straßenplanung zur Chefsache. Alle Projekte wurden gestoppt.<br />

Das stoppte aber nicht die Bürger<strong>in</strong>itiativen, die sich<br />

zusammenschlossen. Und ebenso wenig ließen sich Kulturschaffende<br />

und Sozialprojekte vom Protest gegen sozialdemokratische<br />

Bürokratie abhalten.<br />

Das war e<strong>in</strong> guter Nährboden für grüne Politik. Mit vielen<br />

Aktionen gegen die Verkehrspolitik und die Gewerbeflächenpolitik<br />

des Senats wie das große ›Staucafé‹ auf dem Osterdeich/Sta<strong>der</strong><br />

Straße<br />

Das grüne Wahlprogramm war trotz angestrebter Regierungsbeteiligung<br />

weitgehend e<strong>in</strong> Oppositionsprogramm: Ke<strong>in</strong>e<br />

neuen Straßen und hun<strong>der</strong>t Millionen für den ÖPNV, statt<br />

Gewerbe und Wohnen auf <strong>der</strong> grünen Wiese mehr Naturschutz.<br />

Teuflische PCs<br />

Bis 1988 waren Computer bei den Grünen<br />

verboten. Dann schafften sich erst <strong>der</strong><br />

Landesvorstand und darauf die <strong>Fraktion</strong><br />

für die Buchhaltung PCs an. Folge: Großes<br />

Geschrei unter den Mitarbeitern. ›So etwas<br />

nicht bei uns!‹ Und viele Abgeordnete<br />

teilten diese Me<strong>in</strong>ung. ›Gefährlich für die<br />

Gesundheit und außerdem kulturlos‹,<br />

hieß es, und: ›Bei mir nicht!‹ Die e<strong>in</strong>e und<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e dachten an<strong>der</strong>s. So wurden<br />

zahllose Sitzungen mit <strong>der</strong> PC-Frage bestritten,<br />

bis dann e<strong>in</strong>e Vertagung herauskam.<br />

E<strong>in</strong> Expertengutachten und <strong>der</strong> Entwurf<br />

e<strong>in</strong>er Betriebsvere<strong>in</strong>barung müsse<br />

her. Nach vielen Monaten lag sie auf dem<br />

Tisch <strong>der</strong> Betriebsrät<strong>in</strong>. ›Nicht mehr als 2<br />

Stunden am PC und nach 45 M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong>e<br />

Pause‹, war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Vorschläge. Dann<br />

waren Wahlen, im Herbst 1991 kamen<br />

neue Abgeordnete, und Wolfram Sailer<br />

und Maria Spieker schleppten nach kurzer<br />

Zeit nagelneue Laptops an. Ganz ohne<br />

Betriebsvere<strong>in</strong>barung. Nun wurde diese<br />

schnell abgeschlossen, bald hatten fast<br />

alle Mitarbeiter und Abgeordneten PCs.<br />

Ob die Dienstvere<strong>in</strong>barung jemals angewendet<br />

wurde weiß niemand. Vielleicht<br />

gilt sie ja noch.<br />

15


Wohnungen für Asylbewerber und Drogenabhängige <strong>in</strong> allen Stadtteilen – das schau<strong>der</strong>te den traditionellen<br />

SPD-Wähler.<br />

Nach dem Debakel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundestagswahl nahm bei den Grünen das ›Flügelschlagen‹ ab. Das zeigte<br />

auch die Bremer Liste zur Wahl. ›L<strong>in</strong>ke‹ hatten nur wenig<br />

Chancen. Neben Helga Trüpel, Ralf Fücks, Elisabeth<br />

Hackste<strong>in</strong> und Mart<strong>in</strong> Thomas aus <strong>der</strong> alten <strong>Fraktion</strong> gab<br />

es viele neue und auch e<strong>in</strong> paar alte Namen.<br />

Das Wahlergebnis war e<strong>in</strong>e Sensation. Die SPD hatte<br />

über 10 % verloren und brauchte Koalitionspartner. Mit <strong>der</strong><br />

FDP hätte es zwar knapp gereicht, aber das war <strong>in</strong> den Augen<br />

<strong>der</strong> SPD ebenso wenig e<strong>in</strong> verlässliches Bündnis wie<br />

e<strong>in</strong>es mit den Grünen (die zwar mit 11,4 % etwas zugelegt<br />

hatten, aber nur um e<strong>in</strong> Mandat gewachsen waren auf elf,<br />

davon e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> Bremerhaven. Die DVU hatte mit Proteststimmen<br />

gut 6 % erhalten und erstmals e<strong>in</strong>e <strong>Fraktion</strong> <strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong> Mahnmal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hemel<strong>in</strong>ger Marsch: Im Wahlkampf<br />

e<strong>in</strong>e Drohung an den SPD-Senat, <strong>der</strong> tatsächlich<br />

e<strong>in</strong> gewaltiger Stimmenverlust <strong>der</strong> Sozialdemokraten<br />

folgte, führte <strong>der</strong> Versuch, die Marsch als<br />

Naturfläche zu erhalten, zweie<strong>in</strong>halb <strong>Jahre</strong> später zum<br />

Ende des Ampelsenats und zum Sturz von Senator<br />

Fücks.<br />

e<strong>in</strong>em Landtag).<br />

Nach harten <strong>in</strong>ternen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen stimmten<br />

die Grünen den Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP<br />

zu. Sieben Wochen<br />

dauerten die Gespräche,<br />

bei denen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

zwischen FDP<br />

und Grünen Gegensätze oft unüberbrückbar schienen. Wir hatten<br />

uns im Umwelt-, Verkehrs- und Kulturbereich zwar weitgehend durchgesetzt,<br />

beim Bau des CT III <strong>in</strong> Bremerhaven nicht, die Flächenfragen<br />

wurden verschoben, und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulpolitik gab es e<strong>in</strong>en Kompromiss:<br />

Mehr Gesamtschulen, aber auch neue Gymnasien.<br />

An dieser Frage und an <strong>der</strong> Ressortverteilung brach <strong>der</strong> Streit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Partei öffentlich aus; reaktionäre Bildungspolitik und Abspeisung<br />

mit den leichtgewichtigen Ressorts Umwelt/Stadtentwicklung<br />

und Kultur/Auslän<strong>der</strong><strong>in</strong>tegration (die FDP sollte Wirtschaft und Inneres<br />

bekommen) ließen das Fass überlaufen. Auf <strong>der</strong> entscheidenden<br />

Mitglie<strong>der</strong>versammlung wurde die Vere<strong>in</strong>barung mit e<strong>in</strong>er<br />

Die jüngste deutsche<br />

M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> aller Zeiten:<br />

Mit 33 <strong>Jahre</strong>n wurde<br />

Helga Trüpel 1991<br />

Senator<strong>in</strong> für Kultur<br />

und Auslän<strong>der</strong><strong>in</strong>tegration.<br />

16


Stimme Mehrheit abgelehnt. Nach verheerendem bundesweiten Medienecho griff <strong>der</strong> Bundesvorstand<br />

e<strong>in</strong> und empfahl auf e<strong>in</strong>er zweiten Versammlung wenige Tage später den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Regierung. Diese<br />

Versammlung, von mehr als 250 Mitglie<strong>der</strong>n besucht, stimmte dann mit großer Mehrheit zu. Es gab die<br />

bisher e<strong>in</strong>zige Senatsbeteiligung <strong>der</strong> Grünen <strong>in</strong> Bremen. Helga Trüpel und Ralf Fücks wurden am 11.<br />

Dezember 1991 zu Senatoren gewählt.<br />

Parlamentarische Höhepunkte<br />

Die Umstellung auf Regierungsarbeit fiel schwer. E<strong>in</strong>e vom <strong>Fraktion</strong>svorstand geführte <strong>Fraktion</strong> war<br />

etwas Neues. Und im Parlament den Senat verteidigen zu müssen, sogar ungeliebte SPD- o<strong>der</strong> FDP-<br />

Senatoren, war noch schwerer. Mit beson<strong>der</strong>er<br />

Freude hackte die CDU wechselnd auf FDP und<br />

Grünen herum, denen sie ständig Verrat ihrer<br />

Pr<strong>in</strong>zipien vorwarf.<br />

Das Parlament hatte wichtige Probleme zu<br />

lösen. Das Bundesverfassungsgericht hatte Bremen<br />

als Haushaltsnotlageland anerkannt und<br />

ihm Bundeshilfen zugesprochen. Es g<strong>in</strong>g um die<br />

Verwendung <strong>der</strong> Milliarden, um e<strong>in</strong> wirksames<br />

Sanierungsprogramm, dem möglichst alle wichtigen<br />

Kräfte <strong>in</strong> Bremen zustimmen konnten.<br />

Das gelang, ebenso wie e<strong>in</strong> neues Schulgesetz,<br />

das den Schulen Autonomie und Eltern<br />

und SchülerInnen mehr Mitsprache br<strong>in</strong>gen<br />

sollte. E<strong>in</strong> erfolgreiches Wohnungsbauprogramm<br />

wurde begonnen und e<strong>in</strong> Gesetz zur För<strong>der</strong>ung<br />

des ÖPNV beschlossen. Die Kulture<strong>in</strong>richtungen<br />

erhielten mehr Geld und neues Führungspersonal.<br />

Im November 1994 wurde die<br />

Rauchen für Bremen: Grüne Abgeordnete bemühen sich 1994<br />

verzweifelt, wie es <strong>der</strong> Koalitionspartner FDP for<strong>der</strong>te, die Steuere<strong>in</strong>nahmen<br />

zu verbessern. Wahrsche<strong>in</strong>lich muss diese Aktion zum <strong>20</strong>-<br />

jährigen Jubiläum wie<strong>der</strong>holt werden.<br />

Landesverfassung so geän<strong>der</strong>t, dass Volksentscheide und Bürgerbegehren ermöglicht wurden. Auch<br />

die Selbstauflösung <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong> wurde beschlossen.<br />

Bis <strong>in</strong>s Jahr 1995 h<strong>in</strong>g über <strong>der</strong> Koalition das Flächenproblem. DIE GRÜNEN hatten die Bebauung <strong>der</strong><br />

Hemel<strong>in</strong>ger Marsch im Senat durch e<strong>in</strong> Veto verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Die FDP kartete nach. Angeblich hatte <strong>der</strong> Umweltsenator<br />

ohne Zustimmung des Senats e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Marsch als schützenswertes Flora-Fauna-<br />

17


Habitat-(FFH)-Gebiet <strong>der</strong> EU gemeldet. Die FDP sah das als Grund, aus dem Senat auszuziehen und<br />

e<strong>in</strong>en Abwahlantrag gegen Umweltsenator Fücks zu stellen. Mehrere vorherige Abwahlanträge <strong>der</strong> CDU<br />

waren gescheitert. Diesmal jedoch gab es auch SPD-Abgeordnete, die drohten, gegen Fücks zu stimmen.<br />

Fücks trat nicht zurück und erhielt im Parlament ke<strong>in</strong>e ausreichende Mehrheit, um im Amt zu<br />

bleiben. Die Ampelkoalition war zerbrochen, und auch Rot-Grün hatte ke<strong>in</strong>e sichere Mehrheit. Die <strong>Bürgerschaft</strong><br />

löste sich auf, Neuwahlen wurden für Mai angesetzt.<br />

Die Abgeordneten aus Bremen:<br />

Dr. Helga Trüpel (bis Dez. ‘91)<br />

Senator<strong>in</strong> für Kultur und Auslän<strong>der</strong><strong>in</strong>tegration<br />

Dr. Elisabeth Hackste<strong>in</strong><br />

Bau, Stadtentwicklung, Umwelt, Häfen<br />

Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert (seit Okt. ‘91)<br />

Soziales<br />

geb. 1958, wiss. Mitarbeiter<strong>in</strong>; heute: <strong>Fraktion</strong>svorsitzende<br />

Christ<strong>in</strong>e Bernbacher (erneut seit Okt. ‘91)<br />

Gesundheit<br />

Vizepräsident<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bremischen</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Ralf Fücks (bis Dez. ‘91)<br />

Senator für Umwelt und Stadtentwicklung<br />

Dieter Mützelburg (erneut seit Okt. ‘91)<br />

Haushalt, Bau, Verkehr, Häfen<br />

Mart<strong>in</strong> Thomas<br />

Inneres, Sport<br />

Walter Ruffler (Okt. ‘91 bis Juni ‘95)<br />

Arbeitsmarkt, Migration<br />

geb. 1949, Lehrer; heute: Berufsschullehrer<br />

und Modellbauunternehmer<br />

18


Maria Spieker (seit Okt. ‘91)<br />

Frauen, Jugend, Wirtschaft<br />

geb. 1951, wiss. Mitarbeiter<strong>in</strong>; heute: Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

VHS-Sektion Bremen-Süd.<br />

Marieluise Beck (seit Dez. ‘91 bis Okt. ‘94)<br />

Arbeitsmarkt, Wirtschaft<br />

geb. 1952, Lehrer<strong>in</strong>; heute: Bundestagsabgeordnete<br />

und parlament. Staatssekretär<strong>in</strong><br />

Dr. Hermann Kuhn (seit Okt. ‘91)<br />

Wissenschaft, Europapolitik<br />

geb. 1945, Schriftsetzer<br />

Dr. Wolfram Sailer (Dez. ‘91 bis Juni ‘95)<br />

Bildung, Kultur<br />

Ute Treptow (Nov. ‘91 bis Juni ‘95)<br />

Arbeitsmarkt<br />

geb. 1954, Gewerkschaftssekretär<strong>in</strong>; heute:<br />

Versicherungsberater<strong>in</strong><br />

Aus Bremerhaven:<br />

Manfred Schramm<br />

Häfen, Wirtschaft<br />

19


Die <strong>Fraktion</strong> zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 13. Wahlperiode und –<br />

selten! – komplett mit den Deputierten <strong>in</strong> <strong>der</strong> 14.<br />

Legislaturperiode<br />

<strong>20</strong>


Die vierte <strong>Fraktion</strong> –<br />

Vergangenheitsbewältigung und Wi<strong>der</strong>stand<br />

1995-1999<br />

Der Weg zur <strong>Fraktion</strong><br />

Erster Spatenstich für die Schule Am Weidedamm. Die<br />

grüne <strong>Fraktion</strong> protestiert gegen gebrochene Senatsversprechen<br />

und für mo<strong>der</strong>ne Schulen.<br />

In Bremen war im ganzen H<strong>in</strong> und Her um das Ende <strong>der</strong><br />

Ampelkoalition <strong>der</strong> Wahlerfolg <strong>der</strong> Grünen bei <strong>der</strong> Bundestagswahl<br />

1994 schon fast vergessen. Mit 7,3 % gelang<br />

die Rückkehr nach Bonn, und Marieluise Beck war<br />

mit 12,1 % im Land Bremen dabei.<br />

In <strong>der</strong> knappen Zeit zwischen Auflösung <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

und Wahl mussten e<strong>in</strong> Wahlprogramm formuliert<br />

und die Liste aufgestellt werden. Oberstes Ziel <strong>der</strong> Grünen<br />

war e<strong>in</strong>e erneute Beteiligung am Senat, und zwar<br />

ohne FDP. Im Vorfeld <strong>der</strong> Wahl gab es h<strong>in</strong>reichende Anzeichen,<br />

dass die SPD ebenfalls auf Rot-Grün zielte. Die<br />

Mehrzahl <strong>der</strong> ›Abweichler‹ bei <strong>der</strong> Abwahl von Ralf Fücks<br />

war nicht auf <strong>der</strong> neuen SPD-Liste.<br />

Inhaltlich waren die Aktivitäten <strong>der</strong> grünen SenatorInnen<br />

Trüpel und Fücks Kern des Programms: E<strong>in</strong>e zurückhaltende<br />

Flächenpolitik mit dem Schlagwort Innenentwicklung,<br />

die Realisierung des Konzepts ›Stadt am Fluß‹,<br />

die Öffnung <strong>der</strong> alten Hafenreviere für Wohnungsbau und<br />

mo<strong>der</strong>nes Gewerbe sowie die Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> Bremer<br />

Kulture<strong>in</strong>richtungen. Ganz nebenbei hofften die Grünen,<br />

dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Senat ohne FDP auch e<strong>in</strong>e weniger<br />

autoorientierte Verkehrspolitik und e<strong>in</strong>e liberalere Auslän<strong>der</strong>politik<br />

möglich werde.<br />

21


Die Liste wurde weitgehend von den Abgeordneten<br />

<strong>der</strong> alten <strong>Fraktion</strong> dom<strong>in</strong>iert. Lediglich<br />

an Stelle des Bildungspolitikers Wolfram<br />

Sailer, <strong>der</strong> nicht antrat, schob sich <strong>der</strong><br />

Lehrer Helmut Zachau als Newcomer nach<br />

vorn. Neul<strong>in</strong>ge landeten ebenso wie die Kandidaten<br />

<strong>der</strong> grünen Jugend auf ungünstigen<br />

Plätzen.<br />

Neu im Wahlkampf war das Auftreten <strong>der</strong><br />

Wählervere<strong>in</strong>igung ›Arbeit für Bremen‹ (AfB),<br />

e<strong>in</strong>er Abspaltung <strong>der</strong> SPD, die statt Rot-Grün<br />

e<strong>in</strong>e bürgerliche Koalition mit <strong>der</strong> CDU anstrebte.<br />

Ihr Wahlprogramm hieß Friedrich<br />

Rebers. Der Ex-Chef <strong>der</strong> Sparkasse sollte als<br />

Garant <strong>der</strong> Bremer Sanierung alle Bürger<strong>in</strong>nen<br />

und Bürger auf Zusammenhalt statt Streit –<br />

wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ampelkoalition – verpflichten.<br />

Die AfB-Parolen fanden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

Anklang und viel Unterstützung aus <strong>der</strong> Bremer Wirtschaft. Ihr E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die <strong>Bürgerschaft</strong> schien<br />

sicher. Dennoch war die Überraschung am Wahltag groß: Mit knapp mehr als 11 % sorgte sie für e<strong>in</strong>e<br />

Sensation, die SPD kam nur noch auf 33 %, e<strong>in</strong> verheerendes Ergebnis für Bürgermeister Wedemeier,<br />

<strong>der</strong> das Handtuch warf. Die CDU wurde gleich stark wie die SPD, FDP und DVU verschwanden aus <strong>der</strong><br />

<strong>Bürgerschaft</strong>.<br />

Zweiter Wahlsieger waren DIE GRÜNEN mit 13,1 %, ihrem bisher besten Ergebnis im Land Bremen. 14<br />

Abgeordnete hatte die neue <strong>Fraktion</strong>, darunter zwei aus Bremerhaven. Rot-Grün hatte e<strong>in</strong>e Mehrheit<br />

von vier Stimmen. Das schien e<strong>in</strong>igen Sozialdemokraten zu knapp. Sie führten e<strong>in</strong>e Urabstimmung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Partei durch, <strong>in</strong> <strong>der</strong> zwischen Bildungssenator Scherf und dem früheren Chef <strong>der</strong> Senatskanzlei<br />

sowie zwischen Rot-Grün und großer Koalition entschieden wurde. Ganz knapp siegte die große Koalition,<br />

deutlich h<strong>in</strong>gegen Scherf, <strong>der</strong> für Rot-Grün stand. – Damit begann die noch heute regierende<br />

große Koalition.<br />

Grüne <strong>Fraktion</strong> im Matsch: Es war ke<strong>in</strong> Betriebsausflug <strong>in</strong>s Wattenmeer,<br />

son<strong>der</strong>n praktischer E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Verschmutzung <strong>der</strong><br />

Nordsee, die im Watt beson<strong>der</strong>s auffällig ist.<br />

22


Höhepunkte im Parlament<br />

Anfangs hatte die <strong>Fraktion</strong> große Probleme, sich mit <strong>der</strong> Oppositionsrolle anzufreunden. All zu oft hielten<br />

Abgeordnete <strong>der</strong> Regierungsfraktionen dagegen, ›Das haben Sie doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ampel mitgemacht‹.<br />

So war die Ampelkoalition an allem Schuld, am Haushaltsdefizit, an <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit, an Löchern <strong>in</strong><br />

den Dächern von Schulen. Die SPD und Bürgermeister Scherf hatten offenbar nie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regierung gesessen.<br />

In <strong>der</strong> Öffentlichkeit gab es große Bewegung. Volks<strong>in</strong>itiativen gegen Schulraumnot, Tierversuche<br />

und vor allem gegen die Privatisierung <strong>der</strong> städtischen Wohnungsbaugesellschaften fanden auch bei<br />

vielen Sozialdemokraten Unterstützung. In zahlreichen Debatten, die vor allem Hermann Kuhn und<br />

Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert über diese Fragen führten, kam die SPD mit ihrem rabiaten Kurswechsel häufig <strong>in</strong><br />

Argumentationsnotstand. Ebenso wichtig war die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung um den Sanierungskurs: Während<br />

DIE GRÜNEN Teile <strong>der</strong> Bundeshilfen <strong>in</strong> Bremens Entschuldung stecken wollten, legte die Koalition<br />

e<strong>in</strong> gewaltiges Investitionsprogramm vor: Ausbau <strong>der</strong> Uni, Tourismuse<strong>in</strong>richtungen und viel Straßenbau.<br />

Die AfB stand <strong>in</strong> dieser Frage an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Regierung. E<strong>in</strong>e Klage vor dem Staatsgerichtshof<br />

gegen zu hohe Investitionsmittel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit ohne Haushalt führte zu e<strong>in</strong>em Teilerfolg. Der Senat braucht<br />

die Zustimmung des Parlaments und dafür wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>en parlamentarischen Haushaltsausschuss.<br />

Dieser wurde e<strong>in</strong>gerichtet, die F<strong>in</strong>anzdeputation und auch die Justizdeputation wurden abgeschafft.<br />

Gegen Ende <strong>der</strong> Wahlperiode, als absehbar wurde, dass über den Haushalt nicht alle Vorhaben<br />

f<strong>in</strong>anziert werden könnten, begann die große Zeit <strong>der</strong> Gesellschaftsgründungen. ›Kapitaldienstf<strong>in</strong>anzierung‹<br />

hieß das neue Zauberwort.<br />

Immer dabei und gar nicht wegzudenken, egal ob <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik,<br />

<strong>der</strong> Kultur, beim We<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Fußball: Rechtsanwalt Ra<strong>in</strong>er Oellerich<br />

(ganz rechts), von 1983 bis <strong>20</strong>00 Geschäftsführer <strong>der</strong> <strong>Fraktion</strong>.<br />

Heute ist er Direktor <strong>der</strong> <strong>Bremischen</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>.<br />

23


Die Abgeordneten aus Bremen:<br />

Dr. Helga Trüpel (erneut seit Juli ‘95)<br />

Wirtschaft, Kultur<br />

Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert<br />

Soziales, Haushalt<br />

Dr. Elisabeth Hackste<strong>in</strong> (bis März ‘96)<br />

Umwelt, Bau, Verkehr<br />

Maria Spieker (bis Juni ‘99)<br />

Frauen, Jugend<br />

Christ<strong>in</strong>e Bernbacher (bis bis Juni ‘99)<br />

Petitionen<br />

Elisabeth Wargalla (seit Juni ‘95 bis Juni ‘99)<br />

Umwelt, Bildung<br />

geb. 1949, Justizangestellte<br />

Ralf Fücks (bis Juni ‘96)<br />

Wirtschaft<br />

Dieter Mützelburg<br />

Haushalt, Bau, Verkehr, Justiz<br />

Helmut Zachau (seit Juni 1995)<br />

Bildung, Arbeitsmarkt<br />

geb. 1948, Lehrer<br />

Dr. Hermann Kuhn<br />

Wissenschaft, Europa<br />

Vizepräsident <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Dr. Arendt H<strong>in</strong>driksen (Juni ‘95 bis Juni ‘99)<br />

Arbeit, Häfen<br />

geb. 1947, Verleger; heute: Unternehmer<br />

Mart<strong>in</strong> Thomas (bis Juni ‘99)<br />

Inneres, Sport<br />

Kar<strong>in</strong> Krusche (seit Juni bis Juli ‘95 und ab März ‘96<br />

bis Juni ‘99)<br />

Bau, Verkehr, Kultur, Regionalpolitik<br />

geb. 1950, Lehrer<strong>in</strong><br />

Die Abgeordneten aus Bremerhaven:<br />

Klaus Möhle (seit Juli ‘96 bis Juni ‘99)<br />

Arbeitsmarkt, Bau<br />

geb. 1952, Handwerker<br />

Manfred Schramm<br />

Wirtschaft, Häfen<br />

Gerhild Engels (seit Juni ‘95 bis Juni ‘99)<br />

Gesundheit, Migration<br />

geb. 1949, Krankenpfleger<strong>in</strong><br />

24


Die fünfte <strong>Fraktion</strong> – Politik im Umbruch<br />

1999-<strong>20</strong>03<br />

Der Weg zur <strong>Fraktion</strong><br />

Schlagabtausch<br />

Abg. Teiser (CDU): ›Ach so, e<strong>in</strong>s noch,<br />

wir lehnen Ihren Antrag ab.‹<br />

Abg. Mützelburg (Bündnis 90/DIE<br />

GRÜNEN): ›Begründung!‹<br />

Abg. Teiser: ›Die brauchen wir nicht.<br />

Sie wissen doch, dass wir Ihre Anträge<br />

naturgemäß ablehnen!‹<br />

Die Stimmung unter den Bremer Grünen vor <strong>der</strong> Wahl 1999 war<br />

gereizt bis depressiv. Nach den Bundestagswahlen im Herbst 1998,<br />

bei denen Marieluise Beck mit 12 % <strong>der</strong> Stimmen das beste Ergebnis<br />

<strong>der</strong> Grünen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik erzielte, gab es endlich e<strong>in</strong>e rotgrüne<br />

Regierung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Deren Start war ernüchternd, erste Reformen,<br />

wie bei den M<strong>in</strong>ijobs, hatten e<strong>in</strong>e negative Resonanz <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit. Grüne Projekte wie Ökosteuer und Atomausstieg<br />

wurden halbherzig angegangen. DIE GRÜNEN verloren bei Landtagswahlen<br />

deutlich, während die SPD sich behauptete.<br />

In Bremen schien die große Koalition unangefochten. Sie verkaufte<br />

ihr 4,6 Milliarden teures Investitionsprogramm als den selig machenden Pilgerweg <strong>in</strong>s Paradies,<br />

auf dem je<strong>der</strong> Opfer br<strong>in</strong>gen müsse. Die Grünen wurden als kle<strong>in</strong>karierte Nörgler und Bedenkenträger<br />

dargestellt, die ke<strong>in</strong>e Alternative zum Sanierungskurs des Senats wüssten. Und Henn<strong>in</strong>g Scherf wurde<br />

als Leuchtturm auf diesem Pfad präsentiert. Offensichtlich wirkte dieses Konzept bis <strong>in</strong> die eigenen<br />

Reihen. An Regierungsbeteiligung nach <strong>der</strong> Wahl glaubte ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Spitzenleute <strong>der</strong> Partei. Es gab<br />

ständig ratloses Gezänk um die richtige Antwort auf das Eigenlob des Senats, Plakate wie Wahlkampfstrategie<br />

waren düster gehalten: Der Senat mache alles falsch – er versiegele alle Grünflächen, mache<br />

die Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> verrottenden Schulen unglücklich und vertreibe ausländische E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>er gegen<br />

Recht und Gesetz. Kurz: Große Koalition sei menschenfe<strong>in</strong>dlich und undemokratisch.<br />

In diese für die Grünen schwierige Situation platzte die Beteiligung Deutschlands an <strong>der</strong> Invasion <strong>in</strong><br />

den Kosovo. Der partei<strong>in</strong>terne Streit war – auch <strong>in</strong> Bremen – heftig. Viele bisherige Anhänger <strong>der</strong> Partei<br />

empfanden die Zustimmung <strong>der</strong> Grünen als Bruch mit den Grundsätzen <strong>der</strong> Partei. In dieser Lage war<br />

es schwer, überhaupt aktive Wahlkämpfer zu gew<strong>in</strong>nen. Auf <strong>der</strong> Straße wurden sie als Kriegstreiber<br />

und Verräter beschimpft. Es gab für die Grünen kaum an<strong>der</strong>e Themen als den Kosovo-Krieg, die örtliche<br />

Politik kam kaum noch vor.<br />

25


Die grüne Liste zur Wahl war e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Mischung aus alt und neu. H<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Spitzenkandidat<strong>in</strong><br />

Helga Trüpel stand <strong>der</strong> erfahrene Schulpolitiker Helmut Zachau. Mit Kar<strong>in</strong> Mathes bekam die<br />

Umweltpolitik e<strong>in</strong> neues Gesicht, und mit Anja Stahmann und Matthias Güldner schob sich die Generation<br />

<strong>der</strong> Dreißigjährigen nach vorn. Auch Jörg Hutter, stadtbekannter Vorkämpfer für die Gleichstellung<br />

schwuler Beziehungen erhielt e<strong>in</strong>en aussichtsreichen Platz. Während des Wahlkampfs sanken die Hoffnungen<br />

auf e<strong>in</strong> gutes Ergebnis immer mehr, selbst die größten Optimisten rechneten mit Verlusten.<br />

Als die Stimmen ausgezählt waren, schlug die Depression <strong>in</strong> Wut und neue Kampfeslust um. Die<br />

Parteien <strong>der</strong> Koalition hatten fast 80 % <strong>der</strong> Stimmen erhalten, die Grünen nur 8,9 % (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt<br />

Bremen 9,1 %). Die AfB flog aus <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>, alle an<strong>der</strong>en Parteien holten nicht mal 3 %, nur die<br />

DVU bekam <strong>in</strong> Bremerhaven e<strong>in</strong> Mandat. Den 89 Koalitionsabgeordneten stand nun e<strong>in</strong>e grüne Opposition<br />

mit 10 Abgeordneten gegenüber.<br />

Höhepunkte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Vor allem zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Wahlperiode war es<br />

schwer, sich öffentlich gegen die überwältigende<br />

Mehrheit bemerkbar zu machen. Sie<br />

stimmte, oft ohne plausible Argumente, grüne<br />

Anträge nie<strong>der</strong>. Wir versuchten, durch e<strong>in</strong>e<br />

Klage vor dem Staatsgerichtshof gegen das<br />

›Beleihungsgesetz‹ zu mehr Zurückhaltung<br />

bei <strong>der</strong> Verlagerung staatlicher Aufgaben auf<br />

GmbHs zu zw<strong>in</strong>gen, was nicht ganz erfolglos<br />

war.<br />

Im Lauf <strong>der</strong> Zeit – und je mehr die Koalition<br />

von Misserfolg zu Misserfolg torkelte –<br />

gewannen wir an Fahrt. Es begann mit <strong>der</strong><br />

Musical-Pleite und dem unbebauten Grundstück am Bahnhof, <strong>der</strong> Abgang des Ocean- und Space-Park-<br />

Investors Köllmann folgte. Als dann die Ergebnisse <strong>der</strong> Pisa-Studie bekannt wurden, war die K<strong>in</strong><strong>der</strong>und<br />

Schulpolitik öffentlich so wichtig wie die Investitionspolitik. Jetzt führten die Abgeordneten erfolgreich<br />

Debatten, bei denen sich die Koalition schwer tat; Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert zur Haushaltspolitik, Helga<br />

Trüpel zu den Pleiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik und Dieter Mützelburg zur diffusen Schulpolitik punkte-<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu Gast bei den Grünen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>: DIE GRÜNEN<br />

erreichten <strong>20</strong>03 e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Landesverfassung. Jetzt s<strong>in</strong>d<br />

Rechte <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> festgeschrieben.<br />

26


ten. Höhepunkt war aber die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung um den Untersuchungsausschuss Bau und Immobilien<br />

(grüner Obmann Matthias Güldner), den die Grünen durchsetzten. Auch die Beschimpfungen von<br />

Henn<strong>in</strong>g Scherf, <strong>der</strong> die Grünen als Nestbeschmutzer und den beschuldigten Bauunternehmer Zech als<br />

großen Bremer bezeichnete, än<strong>der</strong>n nichts daran, dass viele im Ausschuss aufgeworfene Fragen heute<br />

Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen und Anklagen s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong> Dauerbrenner seit zwanzig <strong>Jahre</strong>n: Der Kampf um die Erhaltung des Hollerlands als Naturschutzgebiet. DIE GRÜNEN<br />

unterstützen diese Bürger<strong>in</strong>itiative von Anfang an. Ihr Sprecher, Gerold Janssen, heute 80 <strong>Jahre</strong> alt, kandidierte 1983 für<br />

die GRÜNEN zur <strong>Bürgerschaft</strong>.<br />

27


Die Abgeordneten aus Bremen:<br />

Dr. Helga Trüpel<br />

Wirtschaft, Kultur<br />

Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert<br />

Soziales, Haushalt<br />

Dr. Kar<strong>in</strong> Mathes (seit Juni ‘99)<br />

Umwelt, Energie<br />

geb. 1955, Umweltwissenschaftler<strong>in</strong><br />

Anja Stahmann (seit Juni ‘99)<br />

Jugend, Medien, Arbeitsmarkt<br />

geb. 1967, Bildungsreferent<strong>in</strong><br />

Kar<strong>in</strong> Krusche (erneut seit Aug. <strong>20</strong>00)<br />

Bau, Verkehr, Sport, Regionalpolitik<br />

Helmut Zachau (bis Aug. <strong>20</strong>00)<br />

Haushalt, Bildung<br />

Austritt aus <strong>der</strong> Partei <strong>20</strong>01<br />

Dr. Hermann Kuhn<br />

Vizepräsident <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Dieter Mützelburg<br />

Bau, Verkehr, Regionalpolitik, Haushalt,<br />

Bildung<br />

Dr. Matthias Güldner (seit Juni ‘99)<br />

Inneres, Sport<br />

geb. 1960, Referatsleiter beim Senator; für<br />

Soziales<br />

Die Abgeordneten aus Bremerhaven:<br />

Manfred Schramm<br />

Wirtschaft, Häfen, Haushalt<br />

Doris Hoch (seit Juni ‘99)<br />

Gesundheit<br />

geb. 1954, Krankenschwester<br />

In den letzten dreie<strong>in</strong>halb <strong>Jahre</strong>n Geschäftsführer<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Fraktion</strong>: Die Jurist<strong>in</strong> Anni Nottebaum.<br />

28


Die sechste <strong>Fraktion</strong> – die jüngste <strong>Fraktion</strong><br />

<strong>20</strong>03-...<br />

Die Bundespartei hatte sich von den harten<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen um militärische E<strong>in</strong>sätze<br />

<strong>der</strong> Bundeswehr im Ausland erholt. In <strong>der</strong><br />

rot-grünen Bundesregierung erreichten die M<strong>in</strong>ister<br />

Joschka Fischer und Renate Künast hohe<br />

Werte auf <strong>der</strong> Skala <strong>der</strong> beliebtesten PolitikerInnen.<br />

Überraschend wurden die Grünen bei den<br />

Bundestagswahlen <strong>20</strong>02 Wahlsieger und erreichten<br />

8,6 % <strong>der</strong> Stimmen. In Bremen erreichte<br />

Marieluise Beck zum dritten Mal bundesweit<br />

die besten Ergebnisse für die Grünen und zog<br />

wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den verkle<strong>in</strong>erten Bundestag e<strong>in</strong>.<br />

Die gute Stimmung, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schlussphase<br />

des Wahlkampfes aufkam, trug auch die Vorbereitungen<br />

<strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>swahl. Programmkommission<br />

und Landesvorstand begannen ohne große Pause mit den Vorbereitungen zur <strong>Bürgerschaft</strong>swahl.<br />

Die Werbeagentur, die den Bundestagswahlkampf organisierte, wurde auch <strong>in</strong> Bremen beauftragt.<br />

Die politische Lage im Land war jetzt für die Grünen besser als <strong>in</strong> den Vorjahren. Viel gefärbter Putz<br />

war von <strong>der</strong> großen Koalition abgefallen, brüchiges Mauerwerk und hohler Beton kamen zum Vorsche<strong>in</strong>.<br />

Pleiten <strong>der</strong> Großmannssucht von SPD wurden öffentlich: Die Musical-Pleite, ke<strong>in</strong> Ocean Park mehr für<br />

Bremerhaven, e<strong>in</strong>e leere Betonhülle namens Space Park, e<strong>in</strong>e ganz und gar überflüssige Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsrennbahn.<br />

Zugleich wurde unwi<strong>der</strong>legbar deutlich, das Bremens Schulen und K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten am Tabellenende<br />

<strong>in</strong> Deutschland stehen. Und die Arbeitslosigkeit nahm nicht ab, die Löcher bei den Steuere<strong>in</strong>nahmen<br />

h<strong>in</strong>gegen nahmen zu.<br />

Das Programm <strong>der</strong> Partei und <strong>der</strong> Wahlkampf setzten bei diesen Wi<strong>der</strong>sprüchen <strong>der</strong> Regierung an.<br />

Erstmals <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bremer Parteigeschichte wurden die Bildungs- und Ausbildungschancen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

und Jugendlichen das wichtigste Thema für die Grünen. ›Bildung von Anfang an‹ und ›e<strong>in</strong>e Schule, die<br />

jedes K<strong>in</strong>d för<strong>der</strong>t‹ waren die zentralen For<strong>der</strong>ungen. Traditionelle grüne Themen, wie <strong>der</strong> Kampf gegen<br />

29


den ›Flächenfraß‹ o<strong>der</strong> die Auslän<strong>der</strong>politik, waren zwar wichtig, aber nicht so wichtig wie die Politik<br />

für K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

›Alles neu macht <strong>der</strong> Mai‹ war e<strong>in</strong>e Parole bei <strong>der</strong> Aufstellung <strong>der</strong> Kandidaten. Mit Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert<br />

statt Helga Trüpel gab es nach 16 <strong>Jahre</strong>n e<strong>in</strong>en Wechsel auf Platz e<strong>in</strong>s. Die Liste <strong>in</strong>sgesamt wurde wesentlich<br />

verjüngt. Mit Dieter Mützelburg und Hermann Kuhn verzichteten zwei <strong>in</strong> den letzten zehn <strong>Jahre</strong>n<br />

im Parlament und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit angesehene ältere Abgeordnete. Mit Matthias Güldner, Anja<br />

Stahmann und Kar<strong>in</strong> Krusche rückten Abgeordnete nach vorn, die für die Grünen ebenso wie die Umweltpolitiker<strong>in</strong><br />

Kar<strong>in</strong> Mathes viel Öffentlichkeit organisiert hatten. Der große Clou aber: Vier Vertreter<br />

<strong>der</strong> grünen Jugend wurden gut platziert. Ähnlich war die Tendenz <strong>in</strong> Bremerhaven. Nach 16 <strong>Jahre</strong>n schied<br />

Manfred Schrammm aus, <strong>der</strong> Kreisvorsitzende Peter Lehmann (21) trat an se<strong>in</strong>e Stelle.<br />

Der Wahlkampf selbst war von SPD und CDU als ›Nichtangriffspakt‹ organisiert. Ohne Grüne hätte er<br />

gar nicht stattgefunden. So viele junge und alte Grüne <strong>in</strong> allen Stadtteilen unterwegs, und so viel Zustimmung<br />

hatten wir bisher <strong>in</strong> Bremen noch nicht erlebt. Die Organisation durch den Landesvorstand<br />

klappte, se<strong>in</strong>e SprecherInnen Klaus Möhle und Silvia Schön machten <strong>der</strong> Partei e<strong>in</strong> schönes Abschiedsgeschenk<br />

vor ihrem E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die <strong>Bürgerschaft</strong>.<br />

Die Wahl aber entschied letztlich Henn<strong>in</strong>g Scherf. Se<strong>in</strong>e Drohung,<br />

er trete zurück, wenn die SPD nicht stärkste Partei werde<br />

und es somit e<strong>in</strong> Signal gegen die große Koalition gebe, zog Wähler<br />

an. Die SPD legte leicht zu, die CDU stürzte um acht Prozent<br />

ab, FDP und DVU erhielten nur <strong>in</strong> Bremerhaven e<strong>in</strong> Mandat. Die<br />

Grünen holten vier Prozentpunkte mehr als 1999. 12,9 % für GRÜN<br />

im Land. Mit 13,5% gab es das beste Ergebnis aller Zeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Stadt Bremen. Und ohne die Scherf-Drohung hätte es vielleicht<br />

noch besser ausgesehen. Bei den gleichzeitigen Wahlen zu den<br />

Beiräten erhielten die Grünen 18,4 %.<br />

Die große Koalition geht vorerst weiter. DIE GRÜNEN haben im<br />

verkle<strong>in</strong>erten Parlament jetzt zwölf Mandate im Landtag und elf<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadtbürgerschaft. Weil sie bei den Wählern aus EU-Staaten<br />

<strong>20</strong> % <strong>der</strong> Stimmen erhielten, gab es dort e<strong>in</strong> zusätzliches<br />

Mandat. Und ganz an <strong>der</strong> Spitze stehen die Grünen im Altersdurchschnitt.<br />

Mit gut 39 <strong>Jahre</strong>n die jüngste <strong>Fraktion</strong>, vier von dreizehn<br />

Abgeordneten s<strong>in</strong>d unter 30 <strong>Jahre</strong> alt. Acht Abgeordnete s<strong>in</strong>d Frauen.<br />

Diese <strong>Fraktion</strong> ist rekordverdächtig.<br />

30


Die Abgeordneten aus Bremen:<br />

Karol<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>nert<br />

<strong>Fraktion</strong>svorsitzende<br />

Haushalt, Verfassung, Soziales<br />

Dr. Helga Trüpel<br />

Vizepräsident<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bürgerschaft</strong><br />

Kultur, Wirtschaft<br />

Dr. Kar<strong>in</strong> Mathes<br />

Umwelt, Haushalt<br />

Kar<strong>in</strong> Krusche<br />

Bau, Verkehr, Sport, Regionalpolitik<br />

Silvia Schön (seit Juni <strong>20</strong>03)<br />

Wissenschaft, Arbeitsmarktpolitik<br />

geb. 1959, Geschäftsführer<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bremer Umweltberatung<br />

Dr. Matthias Güldner<br />

Inneres, Migrationspolitik<br />

Klaus Möhle (erneut seit Juni <strong>20</strong>03)<br />

Wirtschaft<br />

Anja Stahmann<br />

Bildung, Medien<br />

Jan Köhler (seit Juni <strong>20</strong>03)<br />

F<strong>in</strong>anzen, Justiz<br />

geb. 1975, Jurist<br />

Jens Crueger (seit Juni <strong>20</strong>03)<br />

Umwelt, Jugend<br />

geb. 1984, Student<br />

Tanja Pr<strong>in</strong>z (seit Juni <strong>20</strong>03)<br />

Soziales, Kultur<br />

geb. 1979, Dipl.-Politolog<strong>in</strong><br />

Die Abgeordneten aus Bremerhaven:<br />

Doris Hoch<br />

Gesundheit<br />

Peter Lehmann (seit Juni <strong>20</strong>03)<br />

Häfen<br />

geb. 1982, Student<br />

31


Die grüne <strong>Fraktion</strong>, gestern, heute – und was kommt morgen?<br />

E<strong>in</strong> beliebtes Thema für die Kaffeepausen im Grünen-Büro ist die Frage, ob wir grüne Abgeordnete<br />

denn überhaupt noch ›Volksvertreter‹ im besten S<strong>in</strong>ne, nämlich ›Vertreter des Volkes‹ s<strong>in</strong>d. Da heißt es<br />

dann, wir diskutierten schließlich die meiste Zeit auf Meta-Ebenen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er politischen Fachsprache,<br />

die außerhalb <strong>der</strong> politischen Sphären fast niemand verstehen könne.<br />

Nun ja, im Laufe <strong>der</strong> Zeit ist die grüne <strong>Fraktion</strong> eben nicht nur an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Abgeordneten, son<strong>der</strong>n<br />

auch an politischer Erfahrung und Professionalität gewachsen.<br />

Wer die Schlachte 19/<strong>20</strong> kennt, weiß allerd<strong>in</strong>gs,<br />

dass e<strong>in</strong>e gewisse Professionalität auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und <strong>der</strong><br />

Hang zum ›kreativen Chaos‹ auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ke<strong>in</strong><br />

zw<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Gegensatz se<strong>in</strong> müssen. Wir s<strong>in</strong>d eben e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Fraktion</strong> bestehend aus 13 Individualisten – dafür f<strong>in</strong>det<br />

aber wohl (fast) je<strong>der</strong> Sympathisant bei uns se<strong>in</strong>en persönlichen<br />

›Volksvertreter‹.<br />

Ich me<strong>in</strong>e, genau <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n sollten wir uns auch<br />

fort- und weiterentwickeln, sollten uns unsere Heterogenität,<br />

unsere Ecken und Kanten nicht nehmen lassen, son<strong>der</strong>n<br />

mit <strong>der</strong> daraus entstehenden Kreativität wie mit e<strong>in</strong>em<br />

Pfund wuchern. Auch wenn man unter den momentanen<br />

politischen Umständen allzu leicht den E<strong>in</strong>druck<br />

bekommt, die eigenen politischen Initiativen ja doch nur<br />

für die Ablage zu produzieren – nutzen wir diese Zeit,<br />

schärfen wir unser Profil <strong>in</strong>haltlich und seien wir gespannt<br />

auf die Zeit, wenn die grüne <strong>Fraktion</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Koalition zu<br />

bestehen haben wird. Die heterogene Mischung aus neuen,<br />

jungen und erfahrenen Abgeordneten lässt mich positiv <strong>in</strong> die politische Zukunft schauen. Statt uns<br />

Sorgen um unsere personelle Zukunft machen zu müssen, können wir uns ganz den Inhalten widmen.<br />

Also, weiter ran ans Werk!<br />

Jens Crueger, im November <strong>20</strong>03<br />

32


Anni<br />

Ahrens<br />

Marieluise<br />

Beck<br />

Christ<strong>in</strong>e<br />

Bernbacher<br />

Christiane<br />

Bodammer<br />

Jens<br />

Crueger<br />

Gerhild<br />

Engels<br />

Horst<br />

Frehe<br />

Ralf<br />

Fücks<br />

Dr. Matthias<br />

Güldner<br />

Dr. Elisabeth<br />

Hackste<strong>in</strong><br />

Dr. Arendt<br />

H<strong>in</strong>driksen<br />

Doris<br />

Hoch<br />

Irmgard<br />

Jahnke<br />

Jan<br />

Köhler<br />

Kar<strong>in</strong><br />

Krusche<br />

Dr. Hermann<br />

Kuhn<br />

Gewusst, wer?<br />

Peter<br />

Lehmann<br />

Karol<strong>in</strong>e<br />

L<strong>in</strong>nert<br />

Dr. Kar<strong>in</strong><br />

Mathes<br />

Es fehlen lei<strong>der</strong> die Fotos von Karsten Bischoff,<br />

Marie-Luise Franzen, Uwe Helmke und Ute Treptow,<br />

die es auf wun<strong>der</strong>same Weise nicht <strong>in</strong> unser Handbuch <strong>der</strong><br />

<strong>Bremischen</strong> <strong>Bürgerschaft</strong> geschafft haben.<br />

Klaus<br />

Möhle<br />

Dieter<br />

Mützelburg<br />

Eberhard<br />

Pflei<strong>der</strong>er<br />

Tanja<br />

Pr<strong>in</strong>z<br />

Walter<br />

Ruffler<br />

Dr. Wolfram<br />

Sailer<br />

Silvia<br />

Schön<br />

Manfred<br />

Schramm<br />

Dr. Carola<br />

Schumann<br />

Maria<br />

Spieker<br />

Anja<br />

Stahmann<br />

Hans-Joachim<br />

Sygusch<br />

Mart<strong>in</strong><br />

Thomas<br />

Dr. Paul<br />

Tiefenbach<br />

Dr. Helga<br />

Trüpel<br />

Uwe<br />

Voigt<br />

Elisabeth<br />

Wargalla<br />

Hans-Peter<br />

Wierk<br />

Peter<br />

Willers<br />

Helmut<br />

Zachau


<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bremischen</strong> <strong>Bürgerschaft</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!