Flexibilität ermöglichen, Qualität sichern: Herausforderungen für die ...
Flexibilität ermöglichen, Qualität sichern: Herausforderungen für die ...
Flexibilität ermöglichen, Qualität sichern: Herausforderungen für die ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
<strong>Flexibilität</strong> <strong>ermöglichen</strong>, <strong>Qualität</strong> <strong>sichern</strong>:<br />
<strong>Herausforderungen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Veränderungen in der zeitlichen<br />
Angebotsstruktur von Kindertageseinrichtungen.<br />
1. Eine polarisierte Debatte: Arbeitsmarktnähe vs. Kindeswohl?<br />
Angesichts tief greifender Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, v.a. der Zunahme<br />
atypischer, variabler Arbeitszeiten, ist der Ruf von Eltern nach mehr <strong>Flexibilität</strong> in den<br />
Angebotsstrukturen der Kinderbetreuung laut geworden (Heitkötter 2006). Flexibel<br />
gestaltete Bildungs- und Betreuungsangebote <strong>für</strong> Kinder spielen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf eine Schlüsselrolle, da Eltern zur Koordination und Synchronisation<br />
ihres Familienalltages passgenaue infrastrukturelle Angebote brauchen (Stöbe-Blossey<br />
2004; Esch/Klaudy/Stöbe-Blossey 2005; Bien/Rauschenbach/Riedel<br />
2006). Dabei nehmen <strong>die</strong> Übermittag- und Ferienbetreuung sowie Angebote am frühen<br />
Morgen (vor 7 Uhr), späten Nachmittag bzw. frühen Abend (nach 17/18 Uhr) sowie<br />
Möglichkeiten der Betreuung am Samstag ein großes Gewicht ein. Zudem wird in<br />
Umfragen deutlich (u.a. DIHK 2005; Bien/Rauschenbach/Riedel 2006), dass bei so<br />
genannten ‚Betreuungsnotfällen’ - <strong>die</strong> aber genau genommen Teil des Alltags von<br />
Familien sind und somit ein stückweit Normalität darstellen - Familien auf ihre privaten,<br />
sozialen Netzwerke und Ressourcen angewiesen sind. Aus der institutionellen<br />
Angebotsperspektive nimmt <strong>die</strong> stundenweise oder auch tageweise Betreuung als<br />
Lösung <strong>für</strong> eine solche Situation eine wichtige Rolle ein.<br />
Zwar ist <strong>die</strong> Forderung nach flexibleren institutionellen Kinderbetreuungsangeboten<br />
in fachwissenschaftlichen Diskursen keineswegs neu (DJI 1994; Rühl/Seehausen<br />
1999; Krappmann 2001; Erler 2002). Dennoch hat <strong>die</strong>ses Anliegen durch <strong>die</strong> steigende<br />
Bedarfslage von Seiten der Eltern erst seit kurzem seinen Weg in <strong>die</strong> politische<br />
Diskussion über <strong>die</strong> Gestaltung der Kindertagesbetreuung gefunden (BMFSFJ<br />
2005a,c; BMFSFJ 2006). Dabei lässt sich in den Argumentationslinien <strong>die</strong>ser Debatte<br />
teils eine starke Polarisierung feststellen. Zum einen wird in einer Flexibilisierung und<br />
damit Anpassung der Kinderbetreuung an <strong>die</strong> Rhythmik des Arbeitsmarktes eine<br />
Chance <strong>für</strong> eine Balance von Familie und Beruf der Eltern gesehen. Die elterlichen<br />
Arbeitszeiten sind dabei maßgeblich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betreuungszeit des Kindes. Auf der anderen<br />
Seite werden Bedenken der Kindeswohlgefährdung und Missachtung kindlicher<br />
Bedürfnisse und Interessen geäußert. Appelle an <strong>die</strong> Notwendigkeit von Stabilität<br />
und Regelmäßigkeit <strong>für</strong> den Alltag der Kinder sowie Sorge über <strong>die</strong> Bindungs- wie<br />
Bildungsmöglichkeiten <strong>für</strong> Kinder bilden den Kanon der Kritiker/innen. Die Folge <strong>die</strong>ser<br />
argumentativen Gegenüberstellung ist, dass weitere Überlegungen über eine<br />
sinnvolle, ausgewogene Gestaltung von <strong>Flexibilität</strong> sowie deren Umsetzung in den<br />
pädagogischen Alltag in den Hintergrund rücken.<br />
1
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
Während <strong>die</strong> Bedarfe und Ansprüche der Eltern an <strong>die</strong> Grenzen stark standardisierter<br />
Öffnungszeiten vieler Tageseinrichtungen <strong>für</strong> Kinder stoßen, stehen Chancen und<br />
Risiken von flexiblen Angebotsstrukturen in der Kinderbetreuung unverkennbar in<br />
einem Spannungsverhältnis. Eine Auseinandersetzung mit möglichen Umsetzungsstrategien<br />
von <strong>Flexibilität</strong> sowie der Sicherung der pädagogischen <strong>Qualität</strong> in den<br />
Einrichtungen scheint dringend angezeigt – gleichermaßen um Grenzen der Flexibilisierung<br />
aufzuzeigen und <strong>die</strong> Interessen von Kindern wie Erzieher/innen zu <strong>sichern</strong>.<br />
Der folgende Artikel möchte dazu einen Beitrag leisten. 1<br />
2. <strong>Flexibilität</strong> in der Kinderbetreuung – Eckwerte einer Definition 2<br />
Ein Hemmnis in der Diskussion über mehr <strong>Flexibilität</strong> den Angebotsstrukturen der<br />
Kindertagesbetreuung stellt <strong>die</strong> unklare, teils diffuse Vorstellung darüber dar, was<br />
genau alles unter <strong>die</strong> konzeptionelle Idee von <strong>Flexibilität</strong> zu fassen ist. Bedeutet ‚flexible<br />
Kinderbetreuung’ ein Kommen und Gehen der Familien? Haben Eltern <strong>die</strong> freie<br />
Entscheidung über <strong>die</strong> Zeit der Kinder in den Einrichtungen? Wie verhält sich der<br />
Bildungsauftrag der Kita zur ‚flexiblen’ Angebotsstruktur? Für eine konstruktive und<br />
kritische Auseinandersetzung ist es notwendig, erste Eckwerte und Merkmale zu benennen,<br />
<strong>die</strong> aus einer Recherchearbeit über Tageseinrichtungen mit flexiblen Angebotsstrukturen<br />
eruiert wurden.<br />
In erster Linie zeichnen sich flexible Kindertageseinrichtungen durch ein zeitlich wie<br />
organisatorisch stark ausdifferenziertes Gesamtangebot aus. Dies betrifft zum<br />
einen <strong>die</strong> verlängerten Öffnungszeiten sowie zum anderen <strong>die</strong> Optionen, <strong>die</strong> den<br />
Familien im Rahmen der insgesamt vielseitigen Angebotsstruktur eröffnet werden.<br />
Jede Familie hat, in gemeinsamer Überlegung mit der Leitung, zu Beginn <strong>die</strong> Möglichkeit<br />
einen individuellen Betreuungsvertrag mit der Kita abzuschließen. Meist<br />
können <strong>die</strong> Eltern in Rücksprache mit den pädagogischen Fachkräften <strong>die</strong>sen Vertrag<br />
entsprechend flexible verändern. Die Betreuungszeiten des Kindes werden entsprechend<br />
der elterlichen Bedarfe, <strong>die</strong> nicht nur beruflicher Natur sein müssen, festgelegt.<br />
Dabei spielen nicht nur <strong>die</strong> konkreten Zeiten eine Rolle, sondern ebenfalls <strong>die</strong><br />
pädagogischen Spiel-, Förder- und Bildungsangebote der Einrichtung. Eine wichtige<br />
Aufgabe der Kita-Leitung ist es, Eltern gut zu beraten und bei der Buchung ihres Vertrages<br />
zu unterstützen. Je nach Möglichkeiten der Kita, stehen Module, wie z.B. das<br />
Mittag- oder Abendessen, ein Musik- oder Sprachförderangebot oder ein ergänzender<br />
Fahr<strong>die</strong>nst (z.B. von der Schule zur Kita und dann zum Sportverein) zur Auswahl.<br />
Mit einem zeitlich und organisatorisch sehr breiten Angebotsspektrum geben flexible<br />
Einrichtungen eine Antwort auf <strong>die</strong> veränderten Lebensrealitäten von Familie und <strong>die</strong><br />
damit verbundenen teils sehr heterogenen Betreuungsbedarfe von Eltern. Ziel ist es,<br />
1 Die folgenden Ausführungen basieren auf den Erkenntnissen der von der Hans-Böckler-Stiftung<br />
geförderten Stu<strong>die</strong> „Tageseinrichtungen mit flexiblen Angebotstrukturen“ s. Klinkhammer (2005). PDF-<br />
Download: www.dji.de/flexible_betreuung, Link: Literatur.<br />
2 Vgl. Klinkhammer (2005). Kurzporträts der besuchten Kitas, S.78-83.<br />
2
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
den Zeitstress vieler Eltern zu mindern sowie den Kindern durch eine Bündelung der<br />
Angebote ein spannendes und anregendes Umfeld zu bieten.<br />
Für <strong>die</strong> pädagogischen Fachkräfte gehen <strong>die</strong> benannten Veränderungen zugleich mit<br />
einer zunehmenden Komplexität des pädagogischen Alltags einher: individuelle<br />
Betreuungsverträge und wechselnde Betreuungszeiten der Kinder im Wochenverlauf<br />
bedürfen einer genauen Abstimmung von Eltern und Erzieher/innen, im Team sowie<br />
einer sorgfältigen Planung der Projektangebote <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder. So zeichnet sich der<br />
Tagesablauf in den meisten flexiblen Kitas durch <strong>die</strong> Kombination von Kernzeiten<br />
(am Morgen und Nachmittag), in der <strong>die</strong> Projektangebote <strong>für</strong> Kinder stattfinden mit<br />
darüber hinausgehenden Betreuungs- und Serviceangeboten aus. Durch <strong>die</strong>se<br />
Kombination von Modulen haben nicht nur <strong>die</strong> Eltern mehr Wahlmöglichkeiten,<br />
sondern der pädagogische Alltag lässt sich in <strong>die</strong>ser Form besser strukturieren, v.a.<br />
mit Blick auf <strong>die</strong> Projektplanung oder <strong>die</strong> Arbeitszeitgestaltung der Erzieher/innen.<br />
Ein wesentliches Kennzeichen flexibler Kitas stellt demzufolge <strong>die</strong> Modularisierung<br />
des Betreuungsalltages dar. Das bedeutet, über eine verlängerte Öffnungszeit hinweg<br />
können Eltern zwischen Zeit- bzw. Angebotsmodulen wählen. Dies erweitert<br />
nicht nur den Handlungsspielraum von Eltern, sondern <strong>die</strong> modulartige Organisation<br />
strukturiert zugleich <strong>die</strong> Arbeit mit den Kindern. Das bedeutet, <strong>Flexibilität</strong> erfährt im<br />
Kontext des pädagogischen Alltags eine Rahmung, an <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Eltern halten müssen.<br />
Ein Gleichgewicht zwischen flexiblen wie stabilen Angebotszeiten ist zur Sicherung<br />
einer verlässlichen Kontinuität im Alltag der Kitas notwendig.<br />
Einige Einrichtungen haben mit der Flexibilisierung der Angebotsstrukturen auf <strong>die</strong><br />
offene bzw. gruppenübergreifende Arbeit mit den Kindern umgestellt. Im Zuge des<br />
Umgestaltungsprozesses hat sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> untersuchten Einrichtungen gezeigt, dass<br />
sich <strong>die</strong>se Form der pädagogischen Arbeit leichter mit den Bedingungen von flexiblen<br />
Betreuungsangeboten vereinbaren lässt. Die (teil-) offenen Strukturen bieten einen<br />
verbesserten Handlungsspielraum, in dem z.B. variable Anwesenheitszeiten der<br />
Kinder in <strong>die</strong>sem Kontext gezielter aufgefangen werden können als in der traditionellen<br />
Form der geschlossenen Gruppen.<br />
Auch das System des Platz-Sharings hat sich in einigen Einrichtungen als ein bewährtes<br />
Instrument der Platzgestaltung durchgesetzt. Eltern, <strong>die</strong> keiner Vollzeiterwerbstätigkeit<br />
nachgehen, können so den Betreuungsumfang wählen, den sie wirklich<br />
benötigen (vgl. hierzu Gerzer-Sass 1994: 245ff.; Ledig/Schneider/Zehnbauer<br />
1996). Das Platz-Sharing Konzept wirft dabei aber ebenso eine Reihe von Fragen<br />
über einen sinnvollen und wünschenswerten Gesamtumfang der Anwesenheitszeit<br />
des Kindes in der Einrichtung auf. Eine spezifische Antwort darauf, ist <strong>die</strong> Festlegung<br />
von Mindestbuchungszeiten (u.U. nach Alter gestaffelt), <strong>die</strong> ein Kind in der Kita<br />
sein sollte. Ziel des Konzeptes ist zum einen <strong>die</strong> bessere Auslastung der Platzkapazitäten<br />
sowie zum anderen eine bedarfsgerechte, individuelle Gestaltung der Plätze <strong>für</strong><br />
Eltern, <strong>die</strong> keinen Vollzeitplatz in Anspruch nehmen möchten. Neben <strong>die</strong>sen positiven<br />
Effekten erfordert <strong>die</strong>ses System ebenso eine differenzierte pädagogische Pla-<br />
3
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
nung und genaue Beobachtung, wie Kinder sich mit den gewählten zeitlichen Mustern<br />
zu Recht finden.<br />
Nicht immer können alle Bildungs- und Betreuungsangebote im Rahmen der Ressourcenausstattung<br />
von Kitas angeboten werden. Wenn <strong>die</strong> Eltern einer Einrichtung<br />
ihren Bedarf <strong>für</strong> z.B. erweiterte Betreuungsangebote am Abend oder eine Kurzzeitbetreuung<br />
<strong>für</strong> den (normalen) „Notfall“ äußern, <strong>die</strong>se jedoch nicht im Haus selbst abgedeckt<br />
werden können, bieten Kooperation und Vernetzungen mit anderen<br />
Fach<strong>die</strong>nsten <strong>die</strong> Chance, eine Antwort <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bedarfslage der Familien zu finden.<br />
Hier gehen <strong>die</strong> konzeptionellen Ansätze sehr stark in <strong>die</strong> Entwicklung von Eltern-<br />
Kind-Zentren bzw. Familienzentren, <strong>die</strong> insgesamt darauf abzielen, das bestehende<br />
Leistungsspektrum durch eine integrative und vernetzte Angebotsspektrum zu erweitern<br />
(Diller 2006).<br />
Wesentliche Merkmale flexibler Kindertageseinrichtungen<br />
• individuelle, am Bedarf der Familien orientierte Betreuungsverträge (Buchungssystem)<br />
• Modularisierung von pädagogischen Angeboten im Rahmen verlängerter Öffnungszeiten<br />
„Kernzeitangebot“ + Zusatzleistungen<br />
• interne Umstrukturierung<br />
häufig: System des ‚Platz-Sharing‘<br />
häufig: von geschlossener hin zu offener Gruppen bzw. gruppenübergreifenden Formen<br />
• Kooperation und Vernetzung mit externen Fach<strong>die</strong>nsten<br />
Tagesmütter/-väter, Familienservice o.ä. zum Abdecken von „Randzeiten“<br />
Diese benannten Eckwerte sollen in erster Linie verdeutlichen, dass <strong>Flexibilität</strong> in der<br />
Kinderbetreuung nicht einher geht mit einer Struktur- oder Grenzenlosigkeit im Alltag.<br />
Von Seiten der Einrichtung gilt es klar abzustecken, wie <strong>Flexibilität</strong> vom Team und im<br />
Haus umgesetzt werden soll, welche Ressourcen vorhanden sind und wie durch Kooperationsformen<br />
Angebote ermöglicht werden können. Maßgebend sollte dabei immer<br />
sein, ein qualifiziertes und bedarfsgerechtes Bildungs- und Betreuungsangebot<br />
<strong>für</strong> Kinder zu stellen, <strong>die</strong> zum einen da<strong>für</strong> Sorge tragen, dass sich Kinder wohl und<br />
geborgen fühlen und zum anderen Eltern, insbesondere allein Erziehende, in der<br />
Bewältigung ihres familialen Alltags entlastet werden.<br />
3. <strong>Flexibilität</strong> im Betreuungsalltag: Auswirkungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> pädagogische Arbeit<br />
mit den Kindern<br />
Wenn jede Familie im Haus einen „individuellen Betreuungsplan“ erstellen kann, welchen<br />
Einfluss hat <strong>die</strong>s dann auf <strong>die</strong> pädagogische Arbeit der Fachkräfte? Wie hat<br />
sich deren Arbeit durch <strong>die</strong> Flexibilisierung und Erweiterung der Angebote verändert?<br />
Um <strong>die</strong>s herauszufinden, wurden in der Stu<strong>die</strong> „Tageseinrichtungen mit flexiblen Angebotsstrukturen“<br />
Interviews mit Erzieher/innen in zehn ausgewählten Modellstandorten<br />
geführt. Die Themenbereiche konzentrierten sich auf Fragen, wie z.B. <strong>die</strong> Organisation<br />
des pädagogischen Alltags, Konsequenzen der Flexibilisierung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Arbeit<br />
4
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
mit den Kindern und Aspekte der Zusammenarbeit mit den Eltern. Die Implementierung<br />
flexibler Betreuungsangebote hat im Rahmen des Arbeitsbereiches der interviewten<br />
Erzieher/innen in vielerlei Hinsicht zu enormen Veränderungen geführt. Dies<br />
betrifft im Wesentlichen <strong>die</strong> Abstimmung und Arbeit im Team, <strong>die</strong> Kommunikation<br />
und den Austausch mit Eltern sowie Gestaltung und Organisation des pädagogischen<br />
Alltags mit den Kindern. Im Folgenden können <strong>die</strong>se Aspekte nur kurz skizziert<br />
werden; eine ausführliche Darstellung finden sich im Projektbericht (s. Klinkhammer<br />
2005).<br />
Wie bereits in Teil 2, den Merkmalen flexibler Kitas, deutlich wurde, zeichnen sich<br />
<strong>die</strong>se Einrichtungen durch ein zeitlich wie inhaltlich differenziertes Angebot aus. Orientiert<br />
an den veränderten Lebenssituationen von Familien, den daraus resultierenden<br />
Bedarfen von Eltern und Bedürfnissen von Kindern ist eine komplexere Ordnung<br />
des Alltags entstanden. Für <strong>die</strong> interviewten Erzieher/innen, <strong>die</strong> fast alle zuvor in einer<br />
traditionellen Regeleinrichtung gearbeitet haben, war der Übergang in <strong>die</strong>ses<br />
differenzierte Angebotssystem eine wirkliche Herausforderung. Das einzelne Kind<br />
gerät durch <strong>die</strong> individuelle Buchbarkeit von Zeiten und zusätzlichen Angeboten viel<br />
mehr in den Blick. In der offenen Arbeit gibt es zwar das System der „Bezugserzieherin“,<br />
bei der eine Erzieherin <strong>für</strong> eine gewisse Anzahl von Kindern primär zuständig ist,<br />
allerdings sind alle Erzieher/innen durch <strong>die</strong> Projektarbeit mit den Kindern und den zu<br />
Randzeiten bestehenden variablen Gruppenzusammenhang der Kinder, zu einem<br />
gewissen Zeitpunkt mal mit allen Kindern in Kontakt gewesen (z.B. Projektarbeit, Begleitung<br />
bei Mahlzeiten, Betreuung in bestimmten Funktionsräumen, Ausflüge). Daraus<br />
resultiert ein erweiterter Arbeitszusammenhang <strong>für</strong> <strong>die</strong> pädagogischen Fachkräfte.<br />
Neben der Dokumentation und Beobachtung von Lern- und Bildungsprozessen<br />
der Kinder, ist <strong>die</strong> schriftliche Dokumentation über Organisatorisches durchgehend<br />
wichtig, wie beispielsweise <strong>die</strong> Anwesenheit eines Kindes oder wichtige Dinge, <strong>die</strong><br />
Eltern bei der Bringsituation vermerkt haben. Diese Schrift- und Dokumentationskultur<br />
ist <strong>die</strong> Basis <strong>für</strong> eine erfolgreiche Abstimmung im pädagogischen Alltag.<br />
Ein weiterer Punkt Aspekt in <strong>die</strong>sem Kontext stellt <strong>die</strong> Teamarbeit dar. Ähnlich wie<br />
bei den veränderten Zuständigkeiten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder, löst sich <strong>die</strong> primäre Teamzuständigkeit<br />
in einer (geschlossenen) Gruppe auf. Die Abstimmung und Koordination<br />
im Gesamtteam, <strong>die</strong> Kommunikation und Absprache mit anwesenden Fachkräften ist<br />
Teil der alltäglichen Arbeitsprozesse. Die interviewten Erzieher/innen bewerten <strong>die</strong>ses<br />
komplexere Zusammenspiel als Herausforderung und Bereicherung zugleich: <strong>die</strong><br />
veränderte Organisation von Zuständigkeiten hat zu der Vielfältigkeit der pädagogischen<br />
Angebote beigetragen, was <strong>die</strong> Arbeit mit den Kindern wiederum positiv belebt.<br />
Die Aufgabe des Teams ist es, <strong>die</strong>se Vielfalt in einen sinnvollen, abgestimmten<br />
Zusammenhang <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder zu bringen.<br />
Wenngleich <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit den Eltern in jeder Kindertageseinrichtung<br />
von hoher Relevanz ist, nimmt sie aufgrund der Öffnung <strong>für</strong> flexiblere Nutzungsmöglichkeiten<br />
ein stärkeres Gewicht in den recherchierten Einrichtungen ein. Dies beginnt<br />
bereits beim ersten Gespräch über <strong>die</strong> Buchung der Bildungs- und Betreuungs-<br />
5
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
bausteine und setzt sich fort im täglichen Austausch bei Bring- und Abholsituationen.<br />
Bei <strong>die</strong>sen ‚Tür- und Angelgesprächen’ werden beispielsweise Informationen über<br />
anstehende Termine und damit verbundene, evtl. vom Betreuungsvertrag abweichende,<br />
Abholzeiten abgestimmt; Thema kann wiederum genauso <strong>die</strong> Befindlichkeit<br />
des Kindes sein. Um Transparenz und eine klare Organisationsstruktur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder<br />
zu schaffen, ist <strong>die</strong>ses ‚informiert sein’ über relevante Alltagsgeschehnisse in der<br />
Familie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kita essentiell.<br />
Dies haben <strong>die</strong> Interviews mit den Kindern 3 noch einmal deutlich hervorgebracht. Um<br />
ein möglichst vollständiges Bild über den Alltag in flexiblen Einrichtungsformen zu<br />
erhalten, war <strong>die</strong> Perspektive der Kinder, ihre Meinung und ihre Interessen in der<br />
Kita von entscheidender Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Recherchearbeit. In den methodisch entsprechend<br />
aufbereiteten Kinderinterviews ging es u.a. um typische Situationen im<br />
Alltag der Kita, wie Bring- und Abholsituationen, Projektangebote, <strong>die</strong> Anwesenheit<br />
von Freunden und deren unter Umständen variierenden Aufenthaltszeiten. Die von<br />
den Kindern benannten Themenfeldern verdeutlichen, dass nicht <strong>die</strong> <strong>Flexibilität</strong> in<br />
den Angeboten von Relevanz ist, sondern <strong>die</strong> <strong>Qualität</strong> der Organisation und Gestaltung<br />
der Angebote sowie <strong>die</strong> Anerkennung und Wahrnehmung der Kinderperspektive<br />
in <strong>die</strong>sem Prozess. Denn Kinder möchten informiert, einbezogen und integriert<br />
werden, sie möchten <strong>die</strong> Möglichkeit haben, auch mal ‚frei wählen’ zu können<br />
und <strong>für</strong> manche Dinge im Alltag selbst Verantwortung zu übernehmen. Verlässliche<br />
Absprachen mit Eltern und Erzieher/innen über Bring- und Abholzeiten oder anstehende<br />
Aktivitäten nehmen sehr hohe Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder ein. Die Einrichtungen<br />
haben teils sehr kreative Wege gefunden, <strong>die</strong> Kinder in <strong>die</strong> Gestaltung und Planung<br />
des Alltags mit einzubeziehen. So werden beispielsweise in morgendlichen Spielkreisen<br />
<strong>die</strong> Pläne des Tages besprochen, es gibt einmal in der Woche eine Kinderkonferenz,<br />
bei der sich über positive wie negative Dinge in der Woche gemeinsam ausgetauscht<br />
wird oder zwei der Einrichtungen haben Patenkindregelungen eingeführt, in<br />
der ältere Kinder <strong>für</strong> Jüngere bzw. neue Kinder in der Kita Verantwortung übernehmen<br />
(u.a. das Haus zeigen, Freunde vorstellen, Bezugsperson sein etc.; s. Klinkhammer<br />
2005:100-102).<br />
Kinder und ihre Interessen ernst nehmen, in einem Betreuungskontext, der sich <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Belange der Familien öffnet, ist von hoher Bedeutung <strong>für</strong> das Wohlbefinden der<br />
Kinder. Sie fordern Stabilität und Verlässlichkeit wie <strong>Flexibilität</strong> und Vielfalt im Kita-<br />
Alltag ein, so dass <strong>die</strong> professionelle Begleitung der pädagogischen Fachkräfte und<br />
das sinnvolle Zusammenspiel von Projektangebot und Betreuungszeit ein Schlüssel<br />
da<strong>für</strong> sind, <strong>die</strong> Bildungs- und Handlungschancen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder fruchtbar zu machen.<br />
Die Frage ist demnach nicht, ob <strong>Flexibilität</strong> ja oder nein, sondern wie kann eine flexiblere<br />
Angebotsstruktur mit und im Interesse der Kinder gestaltet werden.<br />
3 Den Ansätzen der neuen sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung folgend, werden Kinder als kompetente<br />
soziale Akteure begriffen, <strong>die</strong> ihr Umfeld mitgestalten und mit beeinflussen.<br />
6
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
4. Die Sicherung pädagogischer <strong>Qualität</strong> in flexiblen Kindertageseinrichtungen.<br />
Erste Überlegungen<br />
Aus den Beobachtungen und Erfahrungen der recherchierten Modelle flexibler Kinderbetreuung,<br />
<strong>die</strong> exemplarisch <strong>für</strong> eine Vielfalt von Möglichkeiten stehen, lassen<br />
sich folgende Aspekte mit Blick auf <strong>die</strong> <strong>Qualität</strong> von Angeboten herausarbeiten.<br />
<strong>Flexibilität</strong> bedarfsgerecht im Kita-Kontext definieren<br />
Angesichts der kontroversen Debatten über mehr <strong>Flexibilität</strong> in der Kinderbetreuung,<br />
der Frage, wo <strong>die</strong>se beginnen und aufhören kann, erscheint es notwendig, <strong>die</strong>ser<br />
<strong>Flexibilität</strong> im Einrichtungskontext ein klares Profil zu verleihen. Das bedeutet, orientiert<br />
an den geäußerten Bedarfen der Familien gilt es ein Angebot zu entwickeln, das<br />
von der Kita, dem Team und jeder einzelnen Fachkraft auch „gelebt“ und umgesetzt<br />
werden kann. Dabei geht es nicht nur darum, transparent Entwicklungsmöglichkeiten<br />
in der zeitlichen Organisationsstruktur aufzuzeigen (Stichwort: Modularisierung und<br />
Erweiterung der Angebote), sondern es geht darüber hinaus gleichermaßen um eine<br />
offene und verständnisvolle Haltung gegenüber der veränderten Lebenswirklichkeit<br />
von heutigen Familien. Kindertageseinrichtungen bilden dabei eine wichtige Stütze.<br />
Verbindlichkeiten und verlässliche Kontinuität schaffen<br />
Durch eine flexiblere Organisation und Planung soll eine Vielfältigkeit des Angebotes<br />
ermöglicht werden, <strong>die</strong> Eltern mit unterschiedlichen Bedürfnissen eine Wahlfreiheit<br />
ermöglicht. Dabei ist es <strong>die</strong> Aufgabe der Einrichtung, <strong>die</strong>ses Angebot sinnvoll zu<br />
strukturieren und zu gestalten. Durch <strong>die</strong> Modularisierung des pädagogischen Alltags<br />
werden ebenfalls Zeitvorgaben geschaffen: Eltern haben zwar durch <strong>die</strong> flexible Buchung<br />
einen eigenen Gestaltungsraum, sie müssen sich aber zugleich am Tagesablauf<br />
in der Einrichtung orientieren.<br />
Auch im Kontext flexibler Organisationsformen fordern Kinder stabile und verlässliche<br />
Zeitstrukturen ein. Zudem sollte ihre Perspektive bei der Gestaltung des Betreuungsvertrages<br />
mit einbezogen werden. Nicht nur <strong>die</strong> Arbeitszeiten der Eltern, sondern <strong>die</strong><br />
Interessen und Wünsche der Kinder nach Teilhabe und Partizipation an Projekten<br />
und dem sozialen Miteinander mit anderen Kindern sind ebenfalls von zentraler Bedeutung.<br />
Dabei ist es <strong>die</strong> Aufgabe der Leitung wie der Erzieher/innen, Eltern in <strong>die</strong>sem<br />
Punkt zu beraten, aber auch Kinder zu beobachten – nicht nur, wenn Probleme<br />
mit den vereinbarten Betreuungszeiten auftauchen, sondern mit Blick auf <strong>die</strong> Unterstützungs-<br />
und Fördermöglichkeiten der Kinder in der Kita.<br />
Die Trias: Bildung, Erziehung und Betreuung<br />
Kritiker/innen verweisen häufig mit Rekurs auf den Bildungsauftrag der Einrichtungen<br />
auf <strong>die</strong> Inkompatibilität von <strong>Flexibilität</strong> und den Bildungsprozessen der Kinder. Die<br />
Forschung weist <strong>die</strong>sbezüglich noch Lücken auf, so dass an <strong>die</strong>ser Stelle nur der<br />
Versuch einer Antwort unternommen werden kann. Mit Blick auf <strong>die</strong> Selbstbildungsprozesse<br />
von Kindern stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob eine genaue Festlegung von ‚Bildungszeit’<br />
im Kita-Alltag überhaupt sinnvoll und möglich ist. Dem Verständnis fol-<br />
7
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
gend, dass das Kind „Subjekt seiner eigenen Bildung“ (Leu 1999) ist, dessen Lernund<br />
Bildungsprozesse durch eine individuelle Auseinandersetzung mit der Welt angeregt<br />
werden, erweist es sich als schwierig Bildungsprozesse im Rahmen des Erziehungs-<br />
und Betreuungskontextes der Kita in ‚Zeiteinheiten’ festzulegen. Die Entwicklungs-<br />
und Bildungsforschung der Frühpädagogik zeigt darüber hinaus, dass <strong>die</strong><br />
Bildung von Kindern ein Ko-Konstruktionsprozess ist, indem das Kind einen wichtigen<br />
Eigenanteil hat; zugleich ist jedoch ebenso eine anregende, fördernde soziale<br />
Umwelt und <strong>die</strong> Interaktion von Kindern mit anderen – Eltern, Erzieher/innen, Kindern<br />
– von essentieller Bedeutung (vgl. u.a. Schäfer 2003; Laewen/Andres 2002; Leu<br />
2002; 2005; 2006).<br />
Unter <strong>die</strong>sem Blickwinkel hat <strong>die</strong> angeleitete, meist themenbezogene Projektarbeit<br />
mit den Kindern eine zentrale Funktion im pädagogischen Alltag. Folglich gilt es mit<br />
Blick auf <strong>die</strong> Organisation flexibler Angebote feste Zeitkorridore zu schaffen, <strong>die</strong> eine<br />
solche angeleitete Bildungsarbeit am Vor- und Nachmittag <strong>sichern</strong>. Einem solchen<br />
Verständnis folgend, könnte ebenso eine Differenzierung zwischen Bildungs- und<br />
Betreuungszeiten einer Kita vorgenommen werden: So muss <strong>die</strong> Einrichtung mit einem<br />
Angebot am frühen Morgen oder späten Abend sicher keinen Bildungsauftrag<br />
mehr erfüllen, sondern es ist ihr Auftrag, Kinder in einer Atmosphäre zu betreuen, in<br />
der sie sich wohl und geborgen fühlen. Damit schließen sich <strong>die</strong> Elemente der Trias<br />
Bildung, Erziehung und Betreuung in flexiblen Kitas nicht aus; im Gegenteil: sie ergänzen<br />
und bedingen einander.<br />
5. <strong>Flexibilität</strong> im Betreuungskontext konstruktiv gestalten und weiter entwickeln<br />
– Ein Ausblick<br />
Die Rechercheergebnisse aus der Stu<strong>die</strong> verdeutlichen, welche innovativen Chancen<br />
sich durch eine sinnvolle und pädagogisch durchdachte Flexibilisierung der Kindertagesbetreuung<br />
und damit verbundener Neustrukturierungen und Organisationsformen<br />
ergeben können. Wichtig ist jedoch immer wieder das Gleichgewicht zwischen den<br />
Interessen und Bedürfnissen der Kinder und dem elterlichen Bedarf nach mehr <strong>Flexibilität</strong><br />
zu finden. Von den in der Stu<strong>die</strong> interviewten pädagogischen Fachkräften wird<br />
<strong>die</strong>se Gratwanderung als eine Kernherausforderung hervorgehoben: So gibt es immer<br />
wieder Situationen, in denen Erzieher/innen in ihrer Arbeit <strong>die</strong> Ansprüchen der<br />
Eltern und <strong>die</strong> Interessen der Kinder ausbalancieren müssen. In <strong>die</strong>ser Aushandlung<br />
verstehen sich Erzieher/innen meist als ‚Anwälte der Kinder’. Hinzu kommen natürlich<br />
<strong>die</strong> eigenen Interessen und Bedarfe der Fachkraft, z.B. mit Blick auf Arbeitszeiten.<br />
In den Interviews mit den Erzieher/innen wurde zudem deutlich, dass <strong>die</strong>ser Aushandlungsprozess<br />
über Interessen und Gestaltungswege sehr häufig mit Unsicherheiten<br />
auf Seiten der Fachkraft verbunden ist. Um <strong>die</strong> <strong>Herausforderungen</strong>, <strong>die</strong> eine<br />
flexiblere Angebotsstruktur mit sich bringt, kreativ und bereichernd gestalten zu können,<br />
sind Fort- und Weiterbildung, das Coaching und <strong>die</strong> fachliche Beratung (im<br />
8
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
Team oder individuell) eine wichtiger Baustein, welcher vieles in der Definition und<br />
konzeptionellen Rahmung von <strong>Flexibilität</strong> der Kita erleichtert.<br />
Im Austausch mit den Erzieher/innen und Leitungen der Kitas stellte sich des Weiteren<br />
heraus, dass zukünftig insgesamt eine weiterführende fachlich-konzeptionelle<br />
Auseinandersetzung mit „<strong>Flexibilität</strong>“ im Kontext Kinderbetreuung notwendig ist. Die<br />
eingangs umrissene Kontroverse zeigt, dass eine breite Diskussion über Entwicklungschancen<br />
und auch -risiken in der Umsetzung von <strong>Flexibilität</strong> in Wissenschaft<br />
und Praxis wichtig ist. Der bereits im Jahr 2000 von Rauschenbach diskutierte Ansatz<br />
der ‚mehrfachen Flexibilisierung’ bietet einen Ausgangspunkt <strong>für</strong> solche Diskussionen<br />
und Überlegungen. Mit einer mehrfachen Flexibilisierung öffnen sich Kitas<br />
nicht nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> veränderten zeitlichen Bedarfe der Familien, sondern Ziel ist, dass<br />
sich der Gesamtauftrag sowie das Gesamtkonzept institutioneller Betreuung, Bildung<br />
und Erziehung stärker <strong>für</strong> neue, übergreifende Aufgabenfelder öffnet. Wie im 12.<br />
Kinder- und Jugendbericht gefordert (BMFSFJ 2005b), geht es vor allem darum, Angebotsstrukturen<br />
noch mehr zu vernetzen, wie <strong>die</strong> Kindertagesbetreuung mit Angeboten<br />
der Kinder- und Jugendhilfe, um so eine soziale Infrastruktur <strong>für</strong> Kinder und<br />
Familien zu schaffen, <strong>die</strong> den differenzierten Bedarfen gerecht werden kann. Dabei<br />
haben <strong>die</strong> untersuchten Einrichtungen gezeigt, dass es nicht immer hausinterne Lösungen<br />
geben muss, um den Bedarfen der Familien gerecht zu werden, sondern<br />
dass Vernetzungen und Kooperationen das Spektrum erweitern.<br />
Ingesamt geht es also nicht nur um <strong>die</strong> Förderung der Vereinbarkeit von Familie und<br />
Beruf. Vielmehr geht es bei einer Flexibilisierung der Kindertagesbetreuung gleichermaßen<br />
um eine dringend notwendige Modernisierung sozialer Infrastruktur <strong>für</strong><br />
Kinder und ihre Familien. Dabei sind <strong>die</strong> Möglichkeiten der Betreuung zu atypischen<br />
Zeiten ein ebenso wichtiger Baustein, wie Bildungs- Gesundheits- und Sprachförderangebote<br />
<strong>für</strong> Kinder und Erziehungsberatung oder Austauschmöglichkeiten <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Eltern. Eine solche Aufgabenerweiterung kann nur gelingen, wenn grundsätzlich <strong>die</strong><br />
Bereitschaft zur Öffnung und Kooperation bei den beteiligten Akteuren bzw. Institutionen<br />
sowie <strong>die</strong> notwendigen finanziellen Ressourcen vorhanden sind. Neben einer<br />
neuen Gesamtkonzeption der sozialen Infrastrukturangebote <strong>für</strong> Kinder und Familien<br />
gilt es zukünftig <strong>die</strong> Überlegungen zu den da<strong>für</strong> notwendigen Rahmenbedingungen<br />
zu forcieren. Neue Finanzierungsmechanismen und Gesetzesgrundlagen sowie eine<br />
Reform der Ausbildungs- und Vergütungsstrukturen von Erzieher/innen sind gerade<br />
mit Blick auf <strong>die</strong> Gestaltung flexibler Betreuungsangebote von elementarer Bedeutung.<br />
___________________________________________________________________<br />
Nicole Klinkhammer, M.A. ist wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut<br />
München, Abteilung Kinder und Kinderbetreuung und beschäftigt sich derzeit mit einem Projekt<br />
zum Thema innovative Finanzierungsstrukturen von erweiterten, flexiblen Angebotsstrukturen<br />
in der Kinderbetreuung (www.dji.de/flexible_betreuung).<br />
9
Nicole Klinkhammer<br />
Stand: Februar 2007<br />
erschienen in: Altgeld/Klaudy/Stöbe-Blossey<br />
Flexible Kinderbetreuung – online Handbuch<br />
Literatur:<br />
Bien, W./ Rauschenbach, Th./ Riedel, B. (2006). Wer betreut Deutschlands Kinder? DJI-<br />
Kinderbetreuungsstu<strong>die</strong>, Weinheim/Basel: Beltz.<br />
Bundesfamilienministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005a). Wirtschaft fragt Kinderbetreuung<br />
nach. Bundesministerin Renate Schmidt begrüßt Kita-Check des DIHK, Infoletter-<br />
Extra – Balance von Familie und Arbeitswelt, 08. Februar 2005.<br />
Bundesfamilienministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005b). 12. Kinder- und Jugendbericht.<br />
Bericht über <strong>die</strong> Lebenssituation junger Menschen und <strong>die</strong> Leistung der Kinderund<br />
Jugendhilfe, Berlin.<br />
Bundesfamilienministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005c). 7. Familienbericht –<br />
Familie zwischen <strong>Flexibilität</strong> und Verlässlichkeit, Berlin.<br />
Bundesfamilienministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006). Thema Familie. Pressemitteilung<br />
Nr.104/ 2006, veröffentlicht am 19.10.2006. BMFSFJ Internetredaktion.<br />
Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK)(2005). Zukunftsfaktor Kinderbetreuung. Mehr<br />
Freiraum <strong>für</strong> Beruf und Familie. Ergebnisse einer DIHK-Kitabefragung, Berlin/Brüssel (Broschüre).<br />
Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.)(1994). „Orte <strong>für</strong> Kinder“. Auf der Suche nach neuen Wegen in der<br />
Kinderbetreuung, München.<br />
Diller, A. (2006). Eltern-Kind-Zentren Grundlagen und Rechercheergebnisse. hrsg. vom Deutschen<br />
Jugendinstitut, München: DJI.<br />
Erler, G. A. (2002). Flexible Eltern – flexible Kinder? Neue Wege einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung.<br />
In: Diskurs (3), Thema: Moderne Zeiten. Zur Entgrenzung von Arbeit und Leben,<br />
Stu<strong>die</strong>n zur Kindheit, Jugend, Familie und Gesellschaft, 32-36.<br />
Esch, K./ Klaudy, E. K./ Stöbe-Blossey, S. (2005). Bedarfsorientierte Kinderbetreuung. Gestaltungsfelder<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Kinder- und Jugendpolitik, Wiesbaden: VS Verlag <strong>für</strong> Sozialwissenschaften.<br />
Gerzer-Sass, A. (1994). Private und öffentliche Ressourcen neu gemischt - Entstandardisierung heißt<br />
nicht <strong>Qualität</strong>sverlust. In: DJI (Hrsg.). Orte <strong>für</strong> Kinder, München, 235-254.<br />
Heitkötter, M. (2006). Von Zeitlücken und Zeitbrücken in der institutionellen Kinderbetreuung. Wo erwerbstätigen<br />
und erwerbssuchenden Eltern der Schuh drückt. In: Bien, W./ Rauschenbach, Th./<br />
Riedel, B. (Hrsg.). Wer betreut Deutschlands Kinder?, Weinheim/Basel: Beltz, 215-235.<br />
Klinkhammer, N. (2005). Tageseinrichtungen mit flexiblen Angebotsstrukturen. Neue <strong>Herausforderungen</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Gestaltung des pädagogischen Alltags von ErzieherInnen und Kindern. Projektbericht.<br />
München: Deutsches Jugendinstitut.<br />
Krappmann, L. (2001). Keine Angst vor der Flexibilisierung. Wie Beziehungen auch unter veränderten<br />
Bedingungen gelingen kann. In: Kindergarten heute, H.11-12, 7-13.<br />
Laewen, H.-J./ Andreas, B. (Hrsg.)(2002). Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Bausteine<br />
zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen, Weinheim/Berlin/Basel: Beltz.<br />
Ledig, M./Schneider, K./Zehnbauer, A. (1996). „Orte <strong>für</strong> Kinder“: Pluralisierung von Betreuungsformen<br />
– Öffnen von Institutionen. In: Zeitschrift <strong>für</strong> Pädagogik, 42. Jg. (3), 347-363.<br />
Leu, H. R. (1999). Prozesse der Selbst-Bildung bei Kindern – eine Herausforderung an Forschung und<br />
Pädagogik. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Das Forschungsjahr 1998, München: DJI-<br />
Verlag, 168-185.<br />
Leu, H. R. (2002). Bildungs- und Lerngeschichten. Ein Weg zur Qualifizierung des Bildungsauftrags im<br />
Elementarbereich. In: Diskurs, H.2, 19-25.<br />
Leu, H. R. (2005). Bildung in der frühen Kindheit - Anforderungen an <strong>die</strong> Institutionen. In: Esch, K./<br />
Mezger, E./ Stöbe-Blossey, S. (Hrsg.). Kinderbetreuung - Dienstleistung <strong>für</strong> Kinder. Handlungsfelder<br />
und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag <strong>für</strong> Sozialwissenschaften, 73-93.<br />
Leu, H. R. (2006). Lernen zwischen Anleitung und Selbstbildung. Die Anteile kindorientiert zur Geltung<br />
bringen. In:Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (10), 4-8.<br />
Rauschenbach, Th. (2000). Kindertageseinrichtungen im System der sozialen Infrastruktur. Perspektiven<br />
pädagogischen Handelns. In: Ministerium <strong>für</strong> Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.). Die Zukunft der Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-<br />
Westfalen. Neue Anforderungen – Neue Wege. Fachpolitischer Diskurs, Düsseldorf, 13-44.<br />
Rühl, M./ Seehausen, H. (1999). Flexibilisierung von Arbeits- und Betreuungszeiten. Chancen und<br />
Risiken <strong>für</strong> Kinder, Eltern und Unternehmen. In: Hagemann, Ulrich/ Kreß, Brigitta/ Seehausen,<br />
Harald (Hrsg.). Betrieb und Kinderbetreuung. Kooperation zwischen Jugendhilfe und Wirtschaft,<br />
Opladen: Leske und Budrich, 77-98.<br />
Schäfer, G. E. (2003). Bildung beginnt mit der Geburt. Förderung von Bildungsprozessen in den ersten<br />
sechs Lebensjahren, Weinheim/Basel/Berlin: Beltz.<br />
Stöbe-Blossey, S. (2004). Arbeitszeit und Kinderbetreuung. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung<br />
in NRW, IAT- Report.<br />
10