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See und staune<br />

Zu DDR-Zeiten galt die Lausitz mit ihren Seen als „Badewanne<br />

der Sachsen“. Jetzt wird die Wanne zum Pool: Bei Hoyerswerda<br />

entsteht die größte künstliche Wasserlandschaft Europas.<br />

Text: Søren Harms Foto: Felix Brüggemann, Peter Radke (LMBV)


Landseitig hängt der Steg schon zur<br />

Hälfte in der Luft. Um einen halben<br />

Meter hat sich der Ponton verschoben.<br />

Wellen zerren daran und schieben Sand<br />

unter den hohlen Beton. Zwei Männer<br />

stopfen einen Holzblock unter den Steg.<br />

Dann verschwinden sie wieder ins Dunkel<br />

der Nacht.<br />

Die Lage da draußen scheint vorerst stabilisiert,<br />

doch Conny packt die Koffer<br />

jetzt nicht wieder aus. Sicherheitshalber.<br />

Man weiß ja nie. Der Sturm über Nordsachsen<br />

pfeift ums Haus. Jan holt ein<br />

drittes Glas für den Besucher, Conny<br />

schenkt Rotwein ein und läuft in der<br />

kleinen Küche noch einige Male auf und<br />

ab. Der Boden schwankt, und das liegt<br />

nicht am Wein. Sondern am Seegang.<br />

Das Haus rollt.<br />

Cornelia und Jan, beide 48 und aus Erfurt,<br />

wohnen in einem Ferienhaus, das<br />

schwimmt (siehe Foto vorige Seite). Es<br />

schwimmt in einem gefluteten ehemaligen<br />

Tagebau, eine gute Stunde nördlich<br />

von Dresden. Unter dem Küchentisch<br />

döst Tanja, die Hündin. Manchmal,<br />

wenn die Wogen wieder einmal an<br />

den zwölf Ankern des Gebäudes rütteln,<br />

scheint sie zu seufzen. Vielleicht ist<br />

sie im Traum auf einem Boot, und ein<br />

Knochen treibt davon wie das letzte<br />

Ruder, unerreichbar.<br />

Das Haus sieht aus, als hätten Kinder<br />

zwei Bauklötze leicht verschoben aufeinandergestapelt.<br />

Es steht auf einem<br />

Ponton, der im sturmwogenden Partwitzer<br />

See schwankt. Hier, auf der größten<br />

Landschaftsbaustelle Europas, zwischen<br />

Lauchhammer in <strong>Brand</strong>enburg<br />

und Boxberg in Sachsen, auf einem Gebiet<br />

von 70 mal 35 Kilometern, soll eine<br />

gigantische künstliche Seenlandschaft<br />

entstehen. Rund zwei Dutzend frühere<br />

Braunkohle-Tagebaue werden dafür geflutet,<br />

2018 soll die letzte Grube gefüllt<br />

sein. Schiffbare Kanäle werden zehn der<br />

Gewässer zu einer Kette verbinden.<br />

Aus dem ehemaligen Energiebezirk,<br />

dieser „Steckdose der DDR“, wird eine<br />

Touristenregion – und für Touristiker<br />

sind Conny und Jan so etwas wie<br />

Wunschgäste: zugewandt, neugierig,<br />

aber auch beständig. Die meisten Besucher<br />

der Region sind Naherholer und<br />

Tagestouristen, so eine aktuelle Studie.<br />

Conny und Jan aber haben, nach den<br />

ersten sieben Tagen 2008, begeistert<br />

gleich wieder gebucht, diesmal 14 Tage<br />

en bloc. Und wenn man ihnen zuhört,<br />

der Mitarbeiterin eines Versandhauses<br />

und dem Innenarchitekten, erfährt man<br />

eine ganze Menge über die Region.<br />

„Ich hörte im Radio von dem schwimmenden<br />

Haus und habe es gleich gebucht,<br />

Jan das Ziel aber nicht verraten.“<br />

„Als Conny auf die A4 fuhr, dachte ich:<br />

Dresden, aha, prima, schöne Stadt. Aber<br />

dann ließen wir Dresden rechts liegen, auf<br />

einem Schild hieß es „Schwarze Pumpe“<br />

und ich dachte: Oh je. Ich war mal mit<br />

der NVA zum <strong>Eins</strong>atz in der Lausitz, irgendeine<br />

Arbeit mit den Gleisen, wo die<br />

Braunkohle ankam. Es war Winter und<br />

saukalt. Seitdem war die Region für mich<br />

grau, braun, schmutzig. Aber dann war<br />

hier alles so grün! Und gleich am ersten<br />

Tag Sonne – wir saßen auf der Terrasse<br />

und schauten aufs Wasser. Einfach toll.“<br />

„Wirklich ein Aha-Erlebnis, auch für<br />

mich. Und in diesem Jahr wieder – trotz<br />

des Sturmes und trotz gepackter Koffer.“<br />

Nicht jeder Mann im Osten, geschweige<br />

denn jeder Bundesbürger, musste mit<br />

der Volksarmee einen <strong>Eins</strong>atz im Tagebaugebiet<br />

leisten. Trotzdem entspricht<br />

das Image der Region deutschlandweit<br />

auch 20 Jahre nach der Wende noch<br />

ziemlich genau dem, was Jan als Bild<br />

mit sich herumtrug: grau, braun,<br />

schmutzig. Die Touristiker hier kennen<br />

es zur Genüge, ihre Umfragen ergeben<br />

aber auch: „Wer erst einmal hier war,<br />

kommt gern wieder“, sagt etwa Claudia<br />

Bieder vom Landratsamt Bautzen.<br />

Man muss nicht im schwimmenden Ferienhaus<br />

wohnen, um von der Wasserseite<br />

das neue Gesicht der Lausitz kennenzulernen.<br />

Es gibt Segler, Surfer und<br />

Kitesurfer, Jetski- und Speedboat-Fahrer<br />

auf den Seen. Oder man entscheidet<br />

sich für eine Landpartie: Conny und Jan<br />

haben Fahrräder dabei, die Radwege um<br />

die Seen sind frisch asphaltiert und<br />

schließen an Fernradrouten an. Andere<br />

mieten sich Quads oder Jeeps, um in<br />

Ex-Tagebauen Sand aufzuwirbeln.<br />

Um die Dimensionen dieser Landschaft<br />

im Wandel zu verstehen, geht man allerdings<br />

am besten in die Luft.<br />

Es ist der Abend vor dem Besuch im<br />

schwimmenden Haus, und es ist die<br />

Ruhe vor dem Sturm. Der Himmel blau,<br />

der Blick weit. 300 Meter Höhe, gemächliche<br />

100 Stundenkilometer, der<br />

Propeller schnurrt. Schwach wellt sich<br />

eine Linie am Horizont. „Das Riesengebirge“,<br />

erklärt Frank-Peter Bär über<br />

das Mikrofon, das mit den Kopfhörern<br />

seines Mitfliegers verbunden ist. Bis zu<br />

80 Kilometer beträgt die Fernsicht an<br />

solchen Tagen.<br />

Bär, 44, in Cargohose und T-Shirt, hebt<br />

seit mehr als einer Dekade vom Flugplatz<br />

Welzow zum Rundflug ab. Für 50<br />

Euro die halbe Stunde zeigt er nicht nur<br />

die Seen, sondern zwischendurch auch,<br />

wie wunderbar sein Ultraleichtflugzeug<br />

gleitet, falls der Motor wirklich mal …<br />

Gelassener als er ist hier keiner.<br />

Unten schiebt sich dunkel bewaldet die<br />

Halbinsel Skado in den Partwitzer See,<br />

daneben das Ferienhaus von Conny und<br />

Jan. Am Seeufer haben übermütige Offroad-Fahrer<br />

ihre Spuren in den Sand<br />

gekreiselt. Im lang gezogenen Sabrodter<br />

See hebt sich graubraun eine Kette von<br />

Abraumhalden aus dem Wasser wie<br />

eine Buckelwal-Familie. Schwer vorstellbar,<br />

dass dort unten drei 18-Loch-Golfplätze<br />

und Hotelbetten für 1540 Gäste<br />

entstehen sollen. Doch der Lüneburger<br />

Projektentwickler Pdi, spezialisiert auf<br />

derlei Großanlagen, sucht bereits nach<br />

Investoren. 161 Millionen Euro will Pdi-<br />

Chef Udo Barth auftreiben.<br />

Aus 300 Metern Höhe mutet die Region<br />

an wie eine nicht enden wollende Großbaustelle.<br />

Bagger und Baufahrzeuge in<br />

der Abendsonne, frisch geschüttete<br />

Sandstrände, Kippmassive aus Tagebau-<br />

Abraum, gebaggerte Gräben für neue<br />

Kanäle zwischen den Seen. Gegen die<br />

Ufer, die hier entstehen, ist „The Palm“<br />

vor Dubais Küste eine Strandburg. Das<br />

brand eins Neuland 05_Region Dresden_Lausitz<br />

mit Hybris und Spekulations-Milliarden<br />

aus dem Meer gehobene und als „achtes<br />

Weltwunder“ vermarktete Neuinselprojekt<br />

ist nicht mal ein Drittel so groß<br />

wie das Lausitzer Seenland. Die Finanzkrise<br />

hat den Ausbau der Palmeninseln<br />

jäh gestoppt, die Lausitz aber wandelt<br />

sich stetig zum Seenland.<br />

Viel wichtiger jedoch: „The Palm“ wird<br />

gemacht, weil es möglich ist, das Seenland,<br />

weil es nötig ist.<br />

Natürlich ist die Lausitz nicht ein einziges<br />

großes Restloch. Dennoch haben<br />

150 Jahre rücksichtsloser Tagebau in<br />

dem Landstrich tiefe Narben hinterlassen,<br />

die auch 15 Jahre Sanierung, Renaturierung<br />

und Modellierung nicht ungeschehen<br />

machen können. Erst von hier<br />

oben begreift man, wie viel Erde hier<br />

bewegt wurde. Und wie viel Wasser<br />

Spree, Neiße und Schwarze Elster noch<br />

hinunterfließen muss, um die Löcher<br />

zu füllen. Allein vergangenes Jahr waren<br />

es 155 Millionen Kubikmeter. Würde<br />

ein künstlerisch veranlagter Gott damit<br />

Wasserspiele veranstalten und Badewannen<br />

als Kette von der Lausitz bis zum<br />

Mond spannen, er könnte jede einzelne<br />

Wanne fünfmal füllen. Angesichts dieser<br />

Dimensionen verwundert es wenig, dass<br />

Spreewaldbewohner bereits über trockene<br />

Kanäle klagen.<br />

Kartografen müssen diesen Landstrich<br />

lieben – oder an ihm verrückt werden.<br />

Eine Auflage pro Jahr scheint angemessen<br />

für den, der die Größe der Seen,<br />

Radwege und Sperrgebiete korrekt und<br />

einigermaßen aktuell darstellen will. Die<br />

„Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-<br />

Verwaltungsgesellschaft mbH“ (LMBV)<br />

druckt ständig Prospekte nach.<br />

Aus der Luft erkennt man die neungeschossige<br />

LMBV-Zentrale am Ostrand<br />

Senftenbergs leicht, obwohl der Plattenbau<br />

noch im DDR-Mausgrau verharrt.<br />

Als Rechtsnachfolgerin hatte die Bundesrepublik<br />

1990 auch die Braunkohleproduktionsstätten<br />

der DDR übernommen,<br />

dafür gründete die Treuhand 1994<br />

die LMBV, eine Gesellschaft im Bundesbesitz.<br />

Fünf Jahre später hatte die<br />

all ihre unrentablen oder auslaufenden<br />

Tagebaue stillgelegt. Seitdem steckt die<br />

LMBV Geld in die Braunkohlesanierung<br />

(bisher rund acht Milliarden Euro),<br />

rekultiviert Flächen (bisher ein Viertel<br />

ihrer deutschlandweit gut 1000 Quadratkilometer),<br />

pflanzt Bäume (bisher<br />

100 Millionen). Baut Häfen, Radwege<br />

und Überleiter zwischen den Seen. Verhindert<br />

durch „Rütteldruckverdichtung“<br />

und „einheitliche Böschungswinkel“<br />

„Setzungsfließrutschungen“ wie jüngst<br />

in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt.<br />

Google Earth hinkt hinterher<br />

„Es ist spannend, all diese Veränderungen<br />

von oben mitzubekommen“, ruft<br />

Rundflieger Bär in sein Mikro. „Nicht<br />

täglich, aber man sieht doch einiges:<br />

Da ist wieder eine Insel untergegangen,<br />

dort wird ein Kanal gebaut.“ Und richtig:<br />

In der PC-Virtualität von Google<br />

Earth ist der Bärwalder See noch grünbraun<br />

gescheckt, weil Bäume und Sandbänke<br />

aus dem Wasser ragen; der Bernsteinsee<br />

angeblich erst zur Hälfte gefüllt.<br />

Aus der Echt-Luft betrachtet aber ähnelt<br />

der Bärwalder See bereits einer blauen<br />

Ente, der Bernsteinsee leuchtet als riesiger<br />

runder Türkis.<br />

Das Flugzeug sackt ab und geht zugleich<br />

in eine scharfe Linkskurve. Die Landepiste<br />

sieht aus wie in diesen Filmen, in<br />

denen Männer mit Sonnenbrillen wortlos<br />

schwarze Koffer übergeben. Rechts<br />

und links drückt sich Gras zwischen den<br />

Betonplatten hindurch, die Wehrmacht<br />

und Sowjetarmee verlegt haben. So wie<br />

die Natur den unbenutzten Teil des<br />

Flugfeldes im brandenburgischen Welzow<br />

bereits erobert hat, soll sie bald<br />

auch die Abraumhalden, Ex-Tagebaue<br />

und Seenränder überwuchern.<br />

„Das machen wir auch, oder?“ Jan<br />

blickt Conny an, sie nickt. Den Rundflug<br />

haben sie gleich auf ihre Seenland-<br />

Unternehmungsliste gesetzt.<br />

Das machen wir auch: Das sagen die<br />

beiden immer wieder in diesen Tagen.<br />

Nicht, weil sie etwas abarbeiten müssten<br />

wie Japaner ihre Fotoliste in Heidelberg<br />

Gegen die Ufer, die<br />

hier entstehen, ist „The<br />

Palm“ vor Dubais<br />

Küste eine Strandburg.<br />

Das mit Hybris und<br />

Spekulations-Milliarden<br />

aus dem Meer<br />

gehobene und als<br />

„achtes Weltwunder“<br />

vermarktete<br />

Neuinselprojekt ist<br />

nicht mal ein<br />

Drittel so groß wie das<br />

Lausitzer Seenland.<br />

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oder Dresden. Sondern weil sie für diese<br />

Gegend brennen.<br />

„Mich beeindruckt das Marketing. Das<br />

Seenland gemeinsam mit einem großen<br />

Konzept zu bewerben. Bei uns im Thüringer<br />

Wald klappt das nicht.“ – „Stimmt.<br />

Alles unter einem Design, und die Schrift:<br />

richtig gut!“ Conny tippt auf ein Ferienjournal,<br />

überschrieben mit „Lausitzer<br />

Seenland“ in einer Handschrift-Type,<br />

daneben vier unterschiedlich große Quadrate<br />

in den Farben der Region: Hellund<br />

Dunkelblau, Grün und Rostrot.<br />

Natürlich würden die Damen und Herren<br />

längst nicht alle im schwimmenden<br />

Haus Platz finden – aber mal angenommen,<br />

Vertreter der zwei touristischen<br />

Zweckverbände in <strong>Brand</strong>enburg, die für<br />

die Niederlausitz zuständig sind, und der<br />

zwei touristischen Zweckverbände in<br />

Sachsen, die für die Oberlausitz zuständig<br />

sind, und Repräsentanten der Kommunen<br />

zwischen Lauchhammer und<br />

Boxberg und der jeweiligen Landesministerien<br />

für Umwelt und Wirtschaft und<br />

der LMBV und der Internationalen Bauausstellung<br />

(IBA) – mal angenommen<br />

also, sie alle säßen jetzt hier und hörten<br />

Jans Lob, würden sie in diesem Moment<br />

wohl vor sich auf den Tisch schauen und<br />

verlegen mit ihren Brillen und Kugelschreibern<br />

spielen. Denn bislang gibt es<br />

kein gemeinsames Marketing.<br />

Immerhin, inzwischen treffen sich die<br />

vier Zweckverbände in einer Arbeitsgruppe,<br />

und sie haben gemeinsam das<br />

Berliner Büro „Projekt M“ beauftragt,<br />

Konzept und Analyse zu erstellen. „Eine<br />

hohe Akzeptanz der Wort-Bild-Marke<br />

,Lausitzer Seenland‘ in der Region“<br />

erkennen die Berliner zwar – dann aber<br />

gehen sie mit den Verantwortlichen hart<br />

ins Gericht: Touristische Angebote endeten<br />

an der brandenburgisch-sächsischen<br />

Landesgrenze; Kommunen identifizierten<br />

sich kaum, sobald sie nicht direkt an<br />

den Seen lägen, oder versuchten eigene<br />

Marken zu etablieren; jeder ziehe die<br />

Grenzen des Seenlandes anders. „Eine<br />

zentrale Vermarktung existiert derzeit<br />

nicht“, bilanziert die Studie. „Dadurch<br />

bleiben viele gut gemeinte Aktivitäten<br />

,Stückwerk‘, ohne die erforderliche<br />

Schlagkraft zu entwickeln.“<br />

Solches Kirchturmdenken soll sich nun<br />

peu à peu auflösen. Vielleicht sind ja bis<br />

2010 beiderseits der Landesgrenze je<br />

zwei Zweckverbände fusioniert. Und<br />

vielleicht gibt es bald ein gemeinsames<br />

Büro für die Arbeitsgruppe.<br />

Derweil sind offenbar Superlative Pflicht<br />

im Kampf um mediale und touristische<br />

Aufmerksamkeit. Die mehr als 500 Meter<br />

langen Abraumförderbrücken F60<br />

sind die größten beweglichen Objekte<br />

der Erde. Im Seenland liegt Deutschlands<br />

einziger ständiger Wasserflugplatz.<br />

Der Bärwalder See ist der größte Sachsens,<br />

das neue Amphitheater dort das<br />

größte Ohr der Welt und so weiter.<br />

Selbst die IBA-Künstler, -Gestalter und<br />

-Planer ziehen ab und zu einen solchen<br />

Trumpf, um „Alleinstellungsmerkmale“<br />

zu demonstrieren. Und zur Freude der<br />

„Projekt M“-Autoren steigen viele Medien<br />

darauf ein (dieser Text nicht ausgenommen):<br />

Sie zeigten ein „durchgängig<br />

positives Bild von der Landschaft im<br />

Wandel“, so die Studie. Nur die Zeitung<br />

Die Welt hob sich davon ab und nutzte<br />

einen Superlativ des Wunderns, um<br />

Neu-Seenland zu beschreiben. Sie fand<br />

hier „die wohl seltsamste Zivilisationskante<br />

der Welt“.<br />

Ein See wird vermisst<br />

Lässig in die Liegestühle der Uferpromenade<br />

gelümmelt, halten Gäste ihr<br />

Gesicht in die Sonne. Manche sind im<br />

nahen Seehotel einquartiert und haben<br />

ihren Wagen an der Seestraße abgestellt,<br />

die früher Ernst-Thälmann-Straße hieß.<br />

Eine sanfte Brise weht, Flaggen knattern<br />

leicht, Seile klackern an Fahnenmasten.<br />

Und die Seebrücke führt einige<br />

Dutzend Meter ins …<br />

… Nichts.<br />

Es fehlt der See. Es gähnt das Loch.<br />

Eine Zivilisationskante.<br />

„Eine Zwischenlandschaft“, sagt Rolf<br />

Kuhn, „nicht mehr Tagebau, noch nicht<br />

See.“ Kuhn ist Geschäftsführer der „Internationalen<br />

Bauausstellung Fürst-Pückler-Land<br />

2000–2010“ und damit Begleiter<br />

dieser Landschaft im Wandel. Die<br />

IBA Fürst-Pückler-Land mit Sitz im brandenburgischen<br />

Großräschen ist neben<br />

der IBA Hamburg und der IBA Stadtumbau<br />

Sachsen-Anhalt eine von drei derzeit<br />

parallel laufenden Bauausstellungen<br />

in Deutschland, mit deren Hilfe man<br />

Regionen und Landstrichen innovative<br />

städtebauliche Impulse geben will.<br />

Kuhn ist ein Visionär mit Rauschebart<br />

und dem IBA-Logo am Sakko, einem<br />

himmelblauen Viereck mit dem doppeldeutigen<br />

Schriftzug „see“. Wenn er zurückblickt<br />

auf mittlerweile neun Jahre<br />

Bretterbohren im und fürs Seenland,<br />

spürt man, dass mancher unterdrückte<br />

Fluch auf kleinkarierte Funktionäre hier<br />

durch sein Büro gehallt ist. Er selbst<br />

drückt das so aus: „Seenland und Sanierung<br />

wären auch ohne uns entstanden.<br />

Aber wir konnten mit allen Beteiligten<br />

ein Konzept entwickeln, um dem Seenland<br />

ein Gesicht zu geben.“<br />

Doch auch wenn Kuhns Leute anfangs<br />

öfter mit dem LMBV-Ingenieurssprech<br />

kollidierten, mittlerweile harmonieren<br />

die Gruppen. Es gilt, das Machbare mit<br />

der Vision langfristig zu verknoten. „In<br />

der Lausitz wurde anderthalb Jahrhunderte<br />

lang Kohle gefördert“, sagt Kuhn,<br />

„diese Industriekultur kann man nicht<br />

einfach beiseite räumen. Im Gegenteil,<br />

wir stellen sie aus, weil sie diese Landschaft<br />

geprägt und gestaltet hat.“ Davon<br />

zeugen Landmarken wie die Abraumförderbrücke<br />

in Lichterfeld und die Biotürme<br />

in Lauchhammer, einst mächtige<br />

Anlagen, heute identitätsstiftende Zeugen<br />

der Vergangenheit. Auch wenn die<br />

Landschaft sich wandelt, die Lausitzer<br />

sollen sich darin wiederfinden.<br />

Nur einen, nun ja, Wermutstropfen hat<br />

die IBA: Sachsen macht nicht mit. <strong>Brand</strong>enburg<br />

gibt jedes Jahr 1,2 Millionen<br />

Euro in den IBA-Etat, Sachsen null Euro.<br />

In einem Grenzprojekt.<br />

Entsprechend zurückhaltend agiert die<br />

IBA in der Oberlausitz, auf sächsischer<br />

Seite. Entsprechend unglücklich darüber<br />

ist mancher Dresdner Minister. Und<br />

brand eins Neuland 05_Region Dresden_Lausitz<br />

Wasser marsch! Das ehemalige Braunkohle-Tagebaugebiet an der Grenze zwischen Sachsen und <strong>Brand</strong>enburg wird<br />

nach und nach geflutet und zur größten künstlich geschaffenen Seenplatte Europas umfunktioniert.<br />

entsprechend ärgerlich sagt ein Mitglied<br />

der nordsächsischen Verwaltung: „Machen<br />

wir uns nichts vor: Dies hier ist<br />

Provinz. Die IBA hat es richtig gemacht<br />

und kluge Köpfe geholt – wir nicht.“<br />

Aber vielleicht engagiert sich die Sächsische<br />

Landesregierung ja beim Nachfolger<br />

der IBA. Die schließt 2010 ihre<br />

Ausstellungstüren, und dann soll eine<br />

„Energieregion GmbH“ wohl eine ähnliche<br />

Vernetzungs- und Impulsgeberfunktion<br />

übernehmen.<br />

„Zum Ende der IBA 2010 wollen wir<br />

auch“, sagt Conny.<br />

„Dass da ‘ne IBA ist und dass die mehr<br />

als ein Jahr geht, war mir völlig unbekannt.<br />

Auch dass die lang angelegte<br />

Projekte verfolgt, habe ich erst begriffen,<br />

als ich einen Flyer darüber gelesen habe“,<br />

sagt Jan.<br />

„Das war letztes Jahr, da waren wir auf<br />

den Terrassen, da war so gut wie kein<br />

Wasser im Ilse-See. Dieses Jahr ist der<br />

Wasserstand schon enorm angestiegen.“<br />

Die IBA-Leute betonen das Prozesshafte,<br />

zeitlich wie geografisch. Manchmal<br />

sorgt das für Ungeduld bei den Lausitzern:<br />

Wann ist endlich unser See voll?<br />

Zur Hälfte gefüllt ist der Sedlitzer See,<br />

der Partwitzer zu gut zwei Dritteln.<br />

Anders gesagt: Der Sedlitzer wird noch<br />

um neun Meter ansteigen, der Partwitzer<br />

um vier – und im Ilse-See, direkt vor<br />

den IBA-Terrassen, sollen noch 26 Meter<br />

dazukommen. Im Jahr 2015 soll er<br />

den Endstand erreichen, als einer der<br />

letzten der Restlochkette.<br />

Dann wird die IBA-Terrasse schon weniger<br />

Zivilisationskante sein, im Seehotel<br />

werden auch normale Urlaubsgäste einchecken,<br />

nicht nur Tagungsteilnehmer.<br />

Und ab 2045, so der heutige Stand,<br />

werden die jetzt noch aktiven Tagebaue<br />

Welzow-Süd und Nochten geflutet.<br />

„Manchmal frage ich mich, wer das alles<br />

hier am Ende nutzen soll, so schön alles<br />

auch wird. Man muss sich das schon<br />

leisten können.“<br />

„Du hast recht. Gerade hier, wo die<br />

Arbeitslosigkeit so groß ist. Ich kann mir<br />

auch nicht vorstellen, dass alle einen<br />

Job in der Touristikbranche bekommen.<br />

Vielleicht können ein paar zumindest<br />

Führungen machen.“<br />

„Das ist wahrscheinlich noch der beste<br />

Fall. Kann sich aber ja nicht jeder gut<br />

verkaufen.“<br />

Flugkapitän Bär kann es zweifelsohne,<br />

Karin Mietke kann es weniger, dafür ist<br />

sie eine prächtige Unternehmerin. Mietke,<br />

47, hat in einem früheren Leben die<br />

Rechner von Tagebaugroßgeräten programmiert.<br />

Und wer sieht, wie sie beim<br />

Sprechen ständig vor sich auf den Tisch<br />

blickt, kurz aufschaut mit rotrandiger<br />

Brille und den Blick wieder senkt, kann<br />

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kaum glauben, dass sie mit ihrem Mann<br />

Unternehmungen begonnen hat, die in<br />

drei Lebensläufen Platz fänden.<br />

Die Frau steht unter Strom, sie ist ein<br />

Kraftwerk. Mit kleinen, flinken Schritten<br />

ist sie um ihren Reiterhof geeilt, hinein<br />

in die Gaststätte, hin zum Tisch, los<br />

geht das Gespräch, sie hat wenig Zeit.<br />

Karin Mietke ist die Vermieterin von<br />

Conny und Jan und damit stolze Besitzerin<br />

des ersten schwimmenden Ferienhauses<br />

der Region. Angeregt vom IBA-<br />

Konzept der schwimmenden Architektur,<br />

hat sie den Holzwürfel auf dem Partwitzer<br />

See bauen lassen – und war einige<br />

Monate früher fertig als die Tauchschule<br />

im Gräbendorfer See. Aber das<br />

war erst im dritten Leben.<br />

Im ersten war sie eine Erfurterin, die in<br />

Zittau „Wirtschaftliche Energieanwendung“<br />

studierte und Hans-Peter kennenlernte,<br />

Student der Kraftwerkstechnik.<br />

Beide fanden in der Lausitz Arbeit<br />

im Braunkohlenkombinat (BKK). Karin<br />

Mietke „musste auf der Arbeit eigentlich<br />

nur noch Zahlen fälschen“, Hans-<br />

Peter entwarf BKK-Projekte, die im Papierkorb<br />

landeten. Sie waren unterfordert<br />

und träumten vom Westen. Doch erst<br />

kam ihr Sohn Christian zur Welt. Und<br />

dann kam der Westen zu ihnen.<br />

Drei Versuche, drei Treffer<br />

Da begann Mietkes zweites Leben, eines<br />

ohne Braunkohle. Wie 133 000 der einst<br />

140 000 Beschäftigten in den BKK der<br />

DDR wurde sie arbeitslos. Ihr Mann<br />

kündigte selbst. Die Mietkes hauten<br />

einen Onkel im bayerischen Erlangen an,<br />

der in einem Pressegroßhandel arbeitete.<br />

Der führte all die bunten Magazine, die<br />

die Leute damals wollten. Mietkes fuhren<br />

nach Hoyerswerda vor das Centrum<br />

Warenhaus, verkauften erst aus dem<br />

Kleintransporter heraus im Kurs 1:2<br />

und bauten dann ein Verteilersystem für<br />

die entstehenden Kioske auf.<br />

Sie wurden Pressegrossisten, verkauften<br />

anderthalb Jahre später die Firma und<br />

stellten auf Bier für die Kioske um. Auch<br />

das lief gut, Ende 1991 verkauften sie<br />

wieder mit Gewinn und gründeten eine<br />

Heizungsfirma: „Die Leute wollten ja<br />

ihre Häuser modernisieren.“ Drei Firmen<br />

in drei Jahren, drei Goldgruben. Rasch<br />

hatten sie 50 Mitarbeiter. Doch der<br />

Kraftwerkstechniker Hans-Peter Mietke<br />

sah, dass irgendwann die Häuser der<br />

Region saniert sein würden.<br />

Hier beginnt das dritte Leben der Mietkes.<br />

Das Dorf Partwitz, in dem Hans-<br />

Peter Mietke groß wurde, gibt es nicht<br />

mehr, abgebaggert wie 500 weitere Dörfer<br />

im ostdeutschen Braunkohlerevier.<br />

Irgendwo dort stand es, wo heute die<br />

Ferienhütte schwimmt. Die Mietkes<br />

kauften einen ehemaligen Schafstall in<br />

der Nähe und bauten ihn zu einem<br />

Reiterhof aus. 50 Pferde finden mittlerweile<br />

dort Platz, eigene und Pensionspferde.<br />

In der Reithalle fanden gerade<br />

erst die Deutschen Meisterschaften im<br />

Voltigieren statt.<br />

Karin Mietke war gleich elektrisiert von<br />

der IBA-Idee schwimmender Häuser.<br />

Ihr Hof liegt nur einen Steinwurf vom<br />

See entfernt, ideal für Strom- und Abwasseranschlüsse.<br />

2005 kaufte sie von<br />

der LMBV das Uferstück und focht die<br />

Genehmigungsverfahren für das Haus<br />

durch: Nach Bergbaurecht, Wasserrecht<br />

und Baurecht, ein Kampf mit den Behörden,<br />

klar, war ja alles neu. Mietke<br />

winkt ab: „Was die nicht kennen, gibt’s<br />

auch nicht.“ Und so langsam wird klar,<br />

dass diese Frau nicht nur ein starker<br />

Motor antreibt, sondern auch das Beharren<br />

auf einer Vision.<br />

Da ist etwa die Sache mit der Qualität<br />

des Seewassers. Der pH-Wert des Partwitzer<br />

Sees liegt erst bei 3,2 – noch<br />

immer nicht viel neutraler als Haushaltsessig,<br />

aber dank Kalkeinstreuungen zumindest<br />

schon besser als direkt nach der<br />

Flutung. Immerhin darf man inzwischen<br />

baden (wenn man will und sich an dem<br />

mitunter brackigen Geruch nicht stört).<br />

Gesundheitsschädlich ist es wohl nicht,<br />

auch wenn für Badewasser ein pH-Wert<br />

von ungefähr 6 empfohlen wird.<br />

Schuld an der Misere ist der Lausitzboden,<br />

der reichlich Pyrit enthält, eine<br />

Schwefel-Eisen-Verbindung, die an der<br />

Luft oxidiert; beim Fluten lösen sich die<br />

Sulfate und werden zu Schwefelsäure.<br />

Karin Mietke nimmt das saure Wasser<br />

stoisch. „Das dauert noch 25 Jahre, bis<br />

der See neutral ist. Aber dafür, sag’ ich<br />

immer, spart man sich das teure Peeling<br />

beim Kosmetiker. Und das Wasser ist<br />

klar, Algen und Bakterien haben in dem<br />

essigsauren Wasser keine Chance.“ Sie<br />

hat den Spruch schon öfter gesagt, das<br />

merkt man. Lustig ist er trotzdem.<br />

Conny blättert durch das Gästebuch des<br />

Ferienhauses. Viel Lob darin – nur eine<br />

Leipzigerin motzt über die Motorboote<br />

auf dem See. Conny runzelt die Stirn:<br />

„Weiß man doch, dass so etwas auf<br />

einem See stattfindet. Ich finde ein bisschen<br />

Leben auf dem See hier schön.<br />

Wenn ich Ruhe will, gehe ich auf den<br />

Friedhof. Ist doch wahr.“<br />

Sie verteidigt den Partwitzer See, als<br />

hätte sie persönlich das Wasser eingelassen.<br />

Sogar das Hausinnere findet sie<br />

schön, dabei ist die Einrichtung geschmackfrei<br />

neutral. Karin Mietke selbst<br />

würde mittlerweile Fenster in Richtung<br />

See einsetzen lassen und nicht Richtung<br />

Land, und die Treppe sollte ihrer Ansicht<br />

nach auch weniger Raum einnehmen.<br />

Aber das kann sie demnächst<br />

besser machen – mit ihrer „Aqua Terra<br />

Lausitz GbR“ plant sie eine ganze Feriensiedlung,<br />

ein Teil davon soll ebenfalls<br />

auf dem See schwimmen.<br />

Der Sturm ist vorbei. Die Anker haben<br />

gehalten. Das erste schwimmende Haus<br />

des Lausitzer Seenlandes dümpelt wieder<br />

ruhig in der Sonne. Conny und Jan<br />

sind zurück nach Erfurt. „Ach ja, das<br />

auch!“, werden sie häufiger rufen auf<br />

der Fahrt, „das möchte ich nächstes Jahr<br />

auch sehen!“ Die Landmarke etwa am<br />

Sedlitzer See, eine 30 Meter hohe Stahlstele;<br />

die noch aktiven Tagebaue; die<br />

Seenplatte von oben mithilfe von Pilot<br />

Frank-Peter Bär.<br />

Das Paar hat 2010 viel vor in der Gegend.<br />

Hinten im Kombi schläft Tanja.<br />

Die Hündin ist immer noch ein klein<br />

wenig seekrank.<br />

brand eins Neuland 05_Region Dresden_Lausitz<br />

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