pfefferminze riecht nach heimat - Heks
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Helen bepflanzt das Beet mit Mangold. Die Blumen der Sorte Tagetas sollen die Setzlinge vor Schädlingen<br />
schützen.<br />
Flüchtlingsreportage – Flüchtlingssonntag 20. Juni 2010 «Chancen geben»<br />
Pfefferminze <strong>riecht</strong> <strong>nach</strong> Heimat<br />
«Neue Gärten Bern» ist ein Integrationsprojekt<br />
der HEKS-Regionalstelle Bern. Seit April 2009<br />
mietet HEKS Familiengärten und bewirtschaftet<br />
diese gemeinsam mit Flüchtlingsfrauen aus<br />
verschiedenen Herkunftsländern: Erde, die wie<br />
Heimat riechen kann und soziale Integration im<br />
Grünen.<br />
Von Bettina Filacanavo (Text), Angela Losert (Fotos)<br />
Helen pflegte früher den Garten ihres Vaters. Einen<br />
kleinen Blumengarten hinter dem Haus. Damals in<br />
Äthiopien. Ursprünglich kommen ihre Eltern aus<br />
Eritrea. Doch als der Krieg ausbrach, flohen sie ins<br />
be<strong>nach</strong>barte Äthiopien. Dort kam Helen vor 26<br />
Jahren zur Welt. Später kehrte sie zurück <strong>nach</strong> Eritrea.<br />
Der Blumengarten ihres Vaters sei eine der schönen<br />
Erinnerungen an ihre Kindheit, sagt Helen, die kleine<br />
zierliche Frau mit dem freundlichen Gesicht, die Haare<br />
eng am Kopf geflochten. «Wenn ich hier in Bern im<br />
HEKS-Garten stehe und arbeite, Gemüse und Blumen<br />
giesse, dann ist das ein bisschen Heimat für mich».<br />
Vor vier Jahren flüchtete sie mit ihrem Mann in die<br />
Schweiz. Im HEKS-Garten lernte sie andere Flüchtlingsfrauen<br />
kennen, es entstanden Kontakte, Freundschaften<br />
und Helen hatte einen Ort gefunden, den sie<br />
auch in ihrer Freizeit nutzen konnte: Das Gartenhaus<br />
an der Mutachstrasse mitten in Bern.
Kinder willkommen<br />
HEKS hat an der Mutachstrasse und am Ostring,<br />
wo sich die Familiengärten befinden, von der Stadtgärtnerei<br />
Parzellen gemietet, im Ganzen 500 Quadratmeter,<br />
und bewirtschaftet diese gemeinsam mit<br />
den Flüchtlingsfrauen. Im Frühling 2009 startete die<br />
HEKS-Regionalstelle Bern das Integrations-Projekt, mit<br />
der finanziellen Unterstützung eines Integrationskredits<br />
des Bundes und der Otto Erich Heynau-Stiftung<br />
sowie kleineren Beiträgen weiterer Stiftungen, die sich<br />
für Flüchtlinge in der Schweiz einsetzen. Im Garten<br />
an der Mutachstrasse nahmen neun Frauen mit sechs<br />
Kindern teil. Am Ostring sechs Frauen mit zwei Kleinkindern.<br />
Die Kinder sind in den Gärten willkommen.<br />
Dort sind sie an der frischen Luft, haben Bewegung,<br />
können ihre Hausaufgaben machen oder im Garten<br />
mithelfen. Die Grösseren zum Beispiel bemalen Steine<br />
Berhana mag vor allem Blumen.<br />
und die Mütter beschriften sie mit den Namen der<br />
Setzlinge. Nach dem Trocknen legen sie die blauen<br />
Steine neben die frisch bepflanzten Beete: Petersilie,<br />
Broccoli, Blumenkohl …<br />
Bekanntes und Unbekanntes<br />
Kinder sind im Garten willkommen: Die dreijährige<br />
Nour hilft fleissig mit.<br />
Auch die Kinder von Nagat kommen regelmässig in<br />
den Garten. Nagat flüchtete mit ihrem Mann vor vier<br />
Jahren aus Darfur, der Region im Westen des Sudans,<br />
aus der hunderttausende Menschen vor der Gewalt<br />
flüchten mussten. Ihre beiden Kinder Karim (1,5) und<br />
Nour (3) wurden in der Schweiz geboren. In Darfur<br />
hatte Nagat einen Garten. Dort wuchs Rucola, Dill und<br />
Pfefferminze. «Wir tranken im Sudan viel Pfefferminztee»,<br />
erzählt sie, «Pfefferminze <strong>riecht</strong> <strong>nach</strong> Heimat».<br />
Nagat und die anderen Frauen pflegen jeweils allein<br />
2 Flüchtlingsreportage – Flüchtlingssonntag 20. Juni 2010 «Chancen geben»
Gemeinsame Verpflegung <strong>nach</strong> getaner Arbeit.<br />
zwei oder zu zweit drei Beete. Was angepflanzt wird,<br />
wird geerntet und zur Selbstversorgung gebraucht:<br />
Stachel- und Johannisbeeren, Kohl, Mais, Fenchel, Spinat,<br />
Zwiebeln, Melonen, Kürbisse, Zucchetti, Trauben,<br />
Tomaten, Dill, Koreander, Petersilie, Blumen und vieles<br />
mehr. Gepflanzt wird, was gewünscht wird, interessiert<br />
oder noch unbekannt ist. «Kürbis zum Beispiel<br />
kannten die meisten nicht», sagt die Projektleiterin<br />
Angela Losert. «Darum werden wir <strong>nach</strong> der Ernte<br />
gemeinsam Kürbissuppe kochen, damit sie auch die<br />
Verarbeitung lernen.» Der Anbau im Garten ist biologisch:<br />
Die Frauen lernen die natürliche Düngung mit<br />
Jauchen und eigener Komposterde, und sie wissen:<br />
Blumen wie Tagetes oder Ringelblumen nützen gegen<br />
Schädlinge. «Wir tragen ganz gezielt zu diesem Thema<br />
Wissen und Informationen zusammen, probieren<br />
aus, schauen, was nützt», sagt Angela Losert.<br />
Gemeinsam lachen<br />
Viel über Saat und Ernte weiss Evrim. Sie ist 31 Jahre<br />
alt und ist vor vier Jahren aus der Türkei (Kurdistan) in<br />
die Schweiz gekommen. Dort hatte sie als Gärtnerin<br />
bei einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet.<br />
Sie wohnt in Bern-Bümpliz. Im HEKS-Garten sei sie<br />
ganz einfach glücklich, sagt Evrim. Die zierliche Frau<br />
spricht leise und zurückhaltend, ihr Lächeln strahlt<br />
eine positive Energie aus. Sie sucht Arbeit in Bern und<br />
schreibt zurzeit viele Bewerbungen. Bis sie eine Stelle<br />
gefunden hat, möchte sie im Garten mitarbeiten und<br />
noch besser Deutsch lernen. In ihren Beeten pflegt<br />
sie Tomaten, Peperoni, Mais und Bohnen, Gurken,<br />
Mangold, Fenchel und Spinat. Sie ist fast jeden Tag<br />
im Garten. Hier hat sie neue Freundinnen gefunden.<br />
Hier kann sie das tun, was sie in ihrer Heimat auch<br />
Flüchtlingssonntag 20. Juni 2010 «Chancen geben» – Flüchtlingsreportage 3
gemacht hat: Im Garten arbeiten. «Das bedeutet mir<br />
sehr viel», sagt sie. Und was sie auch schätzt: «Wir<br />
lachen gerne gemeinsam».<br />
Deutsch üben im Garten<br />
Ist die Arbeit im Garten getan, dann bleibt Raum für<br />
Gespräche, Beratung oder Hilfestellungen. Helen<br />
möchte zum Beispiel einen Brief schreiben, und bittet<br />
Angela Losert um Hilfe. Gemeinsam schreiben sie<br />
den Brief auf Deutsch. Bei solchen administrativen<br />
Arbeiten wird einerseits ein Alltagsproblem gelöst<br />
und gleichzeitig die Deutsche Sprache geübt. Generell<br />
wird im Garten wenn immer möglich Deutsch<br />
gesprochen. Nur im Ausnahmefall wechselt Angela<br />
Losert auf Französisch oder Englisch, oder eine der<br />
Frauen übersetzt in eine andere Sprache. Irgendwie<br />
gehe es immer. Ziel sei aber ganz klar das Üben der<br />
Deutschen Sprache. Angela Losert führt auch regelmässig<br />
Beratungsgespräche mit den Frauen. Sie<br />
informiert über Alltagsthemen und regionale Integrationsangebote.<br />
«Ich schaue, was die Frauen bereits<br />
für ein Wissen mitbringen, und baue auf diesem<br />
Wissen auf», sagt Angela Losert. Dies sei das Prinzip<br />
des Empowerments: Auf die eigenen Ressourcen der<br />
Teilnehmerinnen zurückgreifen, ihnen zeigen, was sie<br />
für Fähigkeiten haben.<br />
Es ist Zeit für eine Verpflegung <strong>nach</strong> getaner Arbeit.<br />
Berhana hat heute für alle gekocht. Einen typischen<br />
Eintopf aus ihrer Heimat Äthiopien: Mit Bohnen,<br />
Kichererbsen und Mais.«Der Mais stammt übrigens<br />
aus dem HEKS-Garten», sagt sie etwas stolz. Sie ist<br />
die Blumenfrau im Projekt an der Mutachstrasse. Am<br />
liebsten bepflanzt sie ihre Beete mit Blumen und verschenkt<br />
sie dann an jene Menschen, die sie mag. Seit<br />
zehn Jahren lebt sie alleine in der Schweiz. Ihre Kinder<br />
durften nie einreisen. Heute sind diese erwachsen<br />
und leben immer noch in Äthiopien. Im HEKS-Garten<br />
in Bern findet Berhana Trost, Gemeinschaft und ein<br />
bisschen Heimat.<br />
Weitere Informationen zum HEKS-Projekt «Neue Gärten Bern»<br />
auf www.heks.ch > Schweiz > Regionalstelle Bern<br />
Seminarstrasse 28<br />
CH-8042 Zürich<br />
Telefon 044 360 88 00<br />
www.heks.ch<br />
PC 80 - 1115 - 1<br />
4 Flüchtlingsreportage – Flüchtlingssonntag 20. Juni 2010 «Chancen geben»