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Tagebuch (PDF) - Webfritz.ch

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Es wird ziemli<strong>ch</strong> ungemütli<strong>ch</strong> an Bord, der Kahn ä<strong>ch</strong>zt und stöhnt und biegt si<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den<br />

Wellenbergen und Wellentälern. Das Getöse des Windes und des Meeres sind ohrenbetäubend.<br />

Die Nervosität der Manns<strong>ch</strong>aft steigt merkli<strong>ch</strong>, und Hektik kommt auf. Es wird der Befehl erteilt,<br />

dass alle Fenster mit Brettern verrammelt werden müssen, alle Türen gesi<strong>ch</strong>ert. Wer jetzt no<strong>ch</strong><br />

auf Deck ist, muss höllis<strong>ch</strong> aufpassen, dass er ni<strong>ch</strong>t über Bord ges<strong>ch</strong>leudert wird. Die Basilea,<br />

immerhin ein stolzer 10‘000-Tonnen-Fra<strong>ch</strong>ter, wird wie ein Ruderboot rumges<strong>ch</strong>leudert, und<br />

was im Innern ni<strong>ch</strong>t gelas<strong>ch</strong>t ist, geht in Trümmer. Stühle werden an die Wand geworfen, im<br />

Salon steht ni<strong>ch</strong>ts mehr. In der Pantry kra<strong>ch</strong>ts, in der Kü<strong>ch</strong>e fliegen die Pfannen, und die «gesi<strong>ch</strong>ert»<br />

geglaubten Teller gehen in S<strong>ch</strong>erben, die Vorratskammer ist ein Chaos. Ni<strong>ch</strong>t auszudenken,<br />

wie es im Laderaum aussieht! Das werden wir erst später sehen.<br />

Der Taifun nähert si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> immer: mit einer Ges<strong>ch</strong>windigkeit von 18 Knoten steuert er auf<br />

uns zu, das ist deutli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>neller, als die MS Basilea je dampfen könnte. Aber sie dampft gar<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr, denn die Diesel mussten abgestellt werden, um die S<strong>ch</strong>raube ni<strong>ch</strong>t zu verlieren. Die<br />

Wellen errei<strong>ch</strong>en jetzt 12 bis 15 Meter Höhe, und wenn das S<strong>ch</strong>iff von einem Wellental auf den<br />

Wellenkamm gehoben wird, dreht die S<strong>ch</strong>raube leer – und die Kardanwelle könnte bre<strong>ch</strong>en.<br />

Also sind wir nun antriebslos den Kräften des Sturmes ausgeliefert, ein beängstigendes Gefühl.<br />

Diese Bilder zeigen ni<strong>ch</strong>t den «ri<strong>ch</strong>tigen»<br />

Sturm während des Taifuns. Sie<br />

stammen vom Tag dana<strong>ch</strong>, als si<strong>ch</strong> die<br />

See na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> beruhigt hatte. Dass<br />

i<strong>ch</strong> im Sturm ni<strong>ch</strong>t fotografiert habe,<br />

liegt ganz einfa<strong>ch</strong> daran, dass es mir<br />

ni<strong>ch</strong>t ums Fotografieren war... man ist<br />

in einer sol<strong>ch</strong>en Situation mehr mit<br />

si<strong>ch</strong> selbst bes<strong>ch</strong>äftigt. Zudem wäre es<br />

zu gefährli<strong>ch</strong> gewesen, an Deck sol<strong>ch</strong>e<br />

Aufnahmen zu ma<strong>ch</strong>en (rede i<strong>ch</strong> mir<br />

jetzt ein..., das ist aber hö<strong>ch</strong>stens<br />

eine billige Ausrede).<br />

Apropos Angst: Da i<strong>ch</strong> ja no<strong>ch</strong> nie einen sol<strong>ch</strong>en Sturm erlebt habe, finde i<strong>ch</strong> das Ganze anfängli<strong>ch</strong><br />

eher spannend. Dann sehe i<strong>ch</strong> aber immer mehr die verängstigten Gesi<strong>ch</strong>ter der erfahrenen<br />

Seeleute, und jetzt wird es au<strong>ch</strong> mir etwas mulmig. Seekrank bin i<strong>ch</strong> zwar ni<strong>ch</strong>t, viellei<strong>ch</strong>t ist es<br />

das Adrenalin, das pumpt und dies verhindert, aber wohl ist mir ni<strong>ch</strong>t mehr in meiner Haut. Und<br />

denno<strong>ch</strong>: Es ist ein unglaubli<strong>ch</strong> tolles Gefühl zu erleben, wie dieses grosse S<strong>ch</strong>iff zum Spielball<br />

der Wellen wird. Wenn man unten im Wellental ist, türmt si<strong>ch</strong> links und re<strong>ch</strong>ts eine ungeheure<br />

Wasserwand auf, die weit über das S<strong>ch</strong>iff hinausragt. Dann wird der Kahn wie im Lift von<br />

verheerenden Kräften na<strong>ch</strong> oben gezogen, und auf dem Wellenkamm angekommen überblickt<br />

man das tobende Meer wieder bis zum Horizont. Für ein paar Sekunden. Dann geht es wieder<br />

runter mit einem Geratter, das si<strong>ch</strong> mit Worten ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>reiben lässt. Und wieder ho<strong>ch</strong>, dann<br />

ist die Wasserwand wieder da. So geht das zwei Tage und zwei Nä<strong>ch</strong>te lang.<br />

Die zweite Na<strong>ch</strong>t. An S<strong>ch</strong>laf ist ni<strong>ch</strong>t zu denken. Man hält si<strong>ch</strong> krampfhaft fest und kann froh<br />

sein, wenn man ni<strong>ch</strong>t von der Prits<strong>ch</strong>e fällt. Am s<strong>ch</strong>limmsten ist es um vier Uhr morgens, der<br />

Taifun hat si<strong>ch</strong> uns weiter genähert. Man<strong>ch</strong>mal geht ein Beben dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>iffsrumpf, dass<br />

man glaubt, er sei jetzt auseinandergebro<strong>ch</strong>en. Aber das trifft ni<strong>ch</strong>t ein. Die MS Basilea ist ein<br />

braves und sehr stabiles S<strong>ch</strong>iff, sie übersteht alle Attacken. Im Laufe des Vormittags dann eine<br />

von allen mit Erlei<strong>ch</strong>terung aufgenommene Funkmeldung: Der Taifun hat seine Ri<strong>ch</strong>tung erneut<br />

gewe<strong>ch</strong>selt und rast nun ni<strong>ch</strong>t mehr auf uns zu! In einer Entfernung von 70 Meilen zieht er an<br />

uns vorbei und erspart uns also sein zerstöreris<strong>ch</strong>es Zentrum.<br />

Gegen Abend des 13. Oktobers lässt die Wu<strong>ch</strong>t der Wellen langsam na<strong>ch</strong>, und wir können die<br />

Diesel wieder anwerfen und langsam Fahrt aufnehmen. Es bessert zusehends, je weiter si<strong>ch</strong><br />

das Zentrum des Taifuns entfernt. In der Na<strong>ch</strong>t laufen die Mas<strong>ch</strong>inen wieder mit voller Kraft.<br />

Ufff! Wir sind alle erlei<strong>ch</strong>tert: No<strong>ch</strong>mal mit einem blauen Auge davongekommen und ri<strong>ch</strong>tig<br />

S<strong>ch</strong>wein gehabt.<br />

PS: Einen Monat später, am 12. November, erfahren wir am Radio, dass in jener Na<strong>ch</strong>t ein<br />

panamesis<strong>ch</strong>er 10‘000-Tonnen-Fra<strong>ch</strong>ter (also ein S<strong>ch</strong>iff in unserer Grösse) in «unserem» Taifun<br />

abgesoffen ist. Ohne Lebenszei<strong>ch</strong>en, ohne Überlebenden.<br />

14. Oktober 1964, auf See<br />

Wir ma<strong>ch</strong>en gute Fahrt und s<strong>ch</strong>affen pro Tag rund 500 km in südli<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tung. Das merkt<br />

man gut an den Temperaturen. Es ist jetzt heiss und feu<strong>ch</strong>t geworden, und die Kleider weden<br />

wegen der hohen Luftfeu<strong>ch</strong>tigkeit – fast 100% – kaum no<strong>ch</strong> trocken. Das Atmen wird zur Qual.<br />

Gegen Abend errei<strong>ch</strong>en wir die grosse Bu<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en Hong Kong und Kanton. Hier liegen wir<br />

vor Anker und warten, bis man uns reinholt.<br />

15. Oktober, Whampoa<br />

Whampoa liegt nördli<strong>ch</strong> von Hong Kong und gehört zu China. No<strong>ch</strong> am Vormittag bringt uns<br />

ein Küstenboot den Lotsen an Bord, der uns den Fluss hinauf na<strong>ch</strong> Whampoa führen wird. Die<br />

Fahrt dauert mehr als se<strong>ch</strong>s Stunden und ist re<strong>ch</strong>t abwe<strong>ch</strong>slungsrei<strong>ch</strong>. Der mä<strong>ch</strong>tige Fluss ist<br />

dreckig gelb, links und re<strong>ch</strong>ts steigen hohe, kahle Felsen auf, dazwis<strong>ch</strong>en liegen au<strong>ch</strong> weite<br />

Reisfelder. Häuser sind selten, aber auf dem Wasser wimmelt es von Ds<strong>ch</strong>unken, Wohnbooten<br />

und Fis<strong>ch</strong>kähnen. Fotografieren ist in diesen <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Gewässern wieder verboten.

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