Ludwig Jacobowski — Ein Lebens– und Charakterbild des Dichters
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RUDOLF STEINER<br />
<strong>Ludwig</strong> <strong>Jacobowski</strong><br />
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sen. In solchen Arbeiten entwickelte er einen unvergleichlichen<br />
Fleiß, <strong>und</strong> in der Verarbeitung <strong>des</strong> Stoffes zeichnete ihn ein umfassender<br />
Sinn <strong>und</strong> ein treffsicheres Urteil aus. Die Fre<strong>und</strong>e, die<br />
er im Beginne der neunziger Jahre hatte, waren der Ansicht,<br />
dass auf diesem Gebiete seine eigentliche Begabung liege <strong>und</strong><br />
dass er als Gelehrter einstmals Großes leisten werde. - Er selbst<br />
verfolgte mit hingebender Liebe <strong>und</strong> Ausdauer diese Dinge, in<br />
der Absicht, ein gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong> Werk über «Entwicklungsgeschichte<br />
der Poesie» dereinst zu versuchen. Den Mittelpunkt<br />
seines Schaffens bildete aber diese gelehrte Tätigkeit zunächst<br />
nicht.<br />
In diesem Mittelpunkte standen seine eigenen dichterischen<br />
Leistungen. Um ihretwillen wollte er in erster Linie leben. Dass<br />
er im Kerne seines Wesens ein Dichter war, daran zweifelte er<br />
wohl keinen Augenblick. Ob dieser Kern durch eine harte Schale<br />
durchdringen werde, das mag ihm aber wohl oft als eine bange<br />
Frage an sich selbst vor die Seele getreten sein.<br />
Zwischen zwei Extremen wurde <strong>Jacobowski</strong>s Seele hin <strong>und</strong> her<br />
bewegt. <strong>Ein</strong> starker, unbeugsamer Wille war in ihm neben einem<br />
weichen, sensitiven Gemüt, in dem die Vorgänge der Außenwelt,<br />
mit denen er in Berührung kam, scharfe Spuren hinterließen.<br />
Und es war ihm Lebensbedürfnis, im vornehmsten<br />
Sinne <strong>des</strong> Wortes, den Wert seiner Persönlichkeit zu fühlen.<br />
Alles, was ihm in dieser Richtung störend in den Weg trat, versetzte<br />
ihn in die tiefste Verstimmung. Man denke sich ihn mit<br />
einer solchen Gemütsanlage in den neunziger Jahren inmitten<br />
der brutalen Äußerungen eines für feinere Naturen einfach unverständlichen<br />
Antisemitismus. Und man denke sich seine idealistische<br />
Denkweise in einer Zeit, in der er Strebertum, rohen<br />
Kampf um niedere Güter, frivoles Spiel mit heiligen Gefühlen<br />
Tag für Tag frecher überhandnehmen sah. Welche Stimmungen<br />
durch den Anblick solchen Treibens in ihm aufgerüttelt wurden,<br />
davon erzählt mit kräftigen Worten sein Erstlingsroman<br />
«Werther, der Jude», der 1892 erschienen ist (Pierson, Dresden).<br />
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