Schule & Job - Süddeutsche Zeitung
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nach<br />
durch<br />
Jonas die Tafel mit seinem Übungsbogen, er<br />
wirkt interessiert.<br />
„Was soll denn ein Reihentanz sein?“, fragt er<br />
und dreht sich nach hinten.<br />
„Eine Polonäse“, sagt Sergey in der zweiten<br />
Reihe.<br />
„Ach, stimmt!“, sagt Jonas und lacht. „Ist schon<br />
etwas her, dass ich feiern war.“<br />
Jonas ist zu 19 Monaten Haft verurteilt, wegen<br />
Diebstahls. Das dritte Mal sitzt er hinter Gittern,<br />
vorher zweimal Jugendgefängnis in Hameln,<br />
jetzt ist er hier. Draußen rutschte er immer<br />
wieder ab, nahm Drogen – Heroin,<br />
Cannabis, Alkohol. In sein hübsches, jungenhaftes<br />
Gesicht haben sich Augenringe eingegraben.<br />
Jonas hat, wie ein Drittel der Insassen, die<br />
Hauptschule draußen abgeschlossen. Ein weiteres<br />
Drittel hat die <strong>Schule</strong> abgebrochen –<br />
normal für ein deutsches Gefängnis. „Aber<br />
das Zeugnis bringt mir nicht viel. Ich hatte nur<br />
Vieren und Fünfen, damit hätte ich eh keine<br />
Chance gehabt“, sagt er. Schließt er nächsten<br />
Sommer die Realschule ab, wird später wahrscheinlich<br />
kaum jemand nach seinem Hauptschulzeugnis<br />
fragen. Aber warum genau er im<br />
Unterricht sitzt, was ihm das Lernen bedeutet,<br />
darauf antwortet Jonas nur schwammig. Er<br />
zuckt mit den Schultern. „Ist halt sinnig.“ „Warum<br />
nicht?“ „Was denn sonst?“ Floskeln.<br />
Dann sagt er: „Vielleicht bekomme ich dadurch<br />
Hafterleichterung.“<br />
Er weiß genau:<br />
Schulbesuch und<br />
gutes Benehmen<br />
werden positiv in<br />
der Sozialprognose<br />
vermerkt.<br />
Alle Gefangenen<br />
müssen arbeiten<br />
oder an Bildungsangeboten<br />
teilnehmen. Wer sich weigert, muss<br />
seine Haftkosten selbst zahlen, pro Tag 13<br />
Euro. Das macht kaum einer. Nichts zu tun sei<br />
sowieso langweilig, sagt Jonas. Die rund zehn<br />
Quadratmeter kleine Zelle engt ein, der Tag<br />
zieht sich in die Länge. Die Schüler verdienen<br />
pro Tag 11,64 Euro, für einfache Arbeiten wie<br />
Flurewischen oder Essenausteilen gibt es 1,39<br />
Euro weniger. Hochgerechnet macht das eine<br />
Dose Tabak Unterschied pro Monat. Ein Anreiz,<br />
Kaffee und Zigaretten sind im Gefängnis<br />
limitiert und begehrt. Aber das Allerwichtigste<br />
für Jonas: Die Zeit, diese endlose Zeit hinter<br />
Gittern, geht beim Lernen schneller vorbei<br />
als beim Flurewischen. Also lieber <strong>Schule</strong>.<br />
Zum Unterrichtsbeginn<br />
läutet keine<br />
In der <strong>Schule</strong><br />
vergeht die endlose<br />
Zeit hinter Gittern<br />
schneller.<br />
Klingel. Nur die<br />
riesigen Schlüsselbunde<br />
am Gürtel<br />
der Lehrer und Justizbeamten<br />
rasseln<br />
in der Stille zwischen<br />
den Stunden.<br />
Wenn die Schüler<br />
von Trakt C2 in Badelatschen und mit einem<br />
Ordner unter dem Arm ins Schulgebäude<br />
schlurfen, interessiert es nicht mehr, was drüben<br />
im Gefängnis passiert ist, wie krass oder<br />
wie stark sie sind. Sie lernen den Satz des Pythagoras,<br />
müssen wissen, wann Gutenberg den<br />
Buchdruck erfand.<br />
8 Uhr. Eine Mischung aus Männerparfüm und<br />
Rauch hängt in der Luft. Die Gitterstreben<br />
Lehrerin Irina Luft hat keine Angst – auch<br />
wenn es auSSer einem Alarmknopf und ihrem<br />
Notfall-Walkie-Talkie keine Sicherheitsvorkehrungen<br />
im Klassenzimmer gibt.<br />
unterteilen die Aussicht auf den Freihof in<br />
Rechtecke, die 5,30 Meter hohe Betonmauer<br />
mit Stacheldraht ist immer in Sicht. Nach einer<br />
halben Stunde Deutsch werden die Schüler<br />
unruhig. „Guck mal“, raunt Oleg Jonas zu<br />
und zeigt in den Duden. „Kanake. Bedeutet:<br />
Bewohner der Südsee.“ Gelächter. Sascha und<br />
Andi in der letzten Reihe schreiben voneinander<br />
ab. Irina Luft ermahnt sie: „Jeder arbeitet<br />
für sich allein!“ Die Lehrerin geht von Schüler<br />
zu Schüler, beugt sich über die Hefte, klopft<br />
hier und da mit ihrem Fingernagel in einen der<br />
Duden, die die Schüler alle vor sich auf dem<br />
Tisch haben. Außer einem Alarmknopf und<br />
einer Art Sicherheits-Walkie-Talkie in ihrer<br />
Hosentasche gibt es keine Sicherheitsvorkehrungen.<br />
Angst habe sie gar nicht, sagt Irina<br />
Luft, Pöbeleien kämen selten vor. „Es sind<br />
kleinere Klassen, und es ist viel ruhiger als an<br />
einer normalen <strong>Schule</strong>.“ Außerdem sind die<br />
Regeln im Kurs streng. „Wenn man Scheiße<br />
baut, fliegt man raus“, sagt Jonas. Manfred Tiemerding,<br />
der Schulleiter mit dreißig Jahren<br />
Erfahrung, kann sich nicht erinnern, dass in<br />
seiner Laufbahn jemals ein Lehrer angegriffen<br />
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