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Nestroy und das Burgtheater 1 - Welcker-online.de

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apartem Mißbrauch, <strong>de</strong>r jetzt mit We<strong>de</strong>kinds Franziska getrieben wird, entgegenzutreten,<br />

<strong>de</strong>m entfesselten Mumpitz, <strong>de</strong>r ja an <strong>und</strong> für sich noch weit abstoßen<strong>de</strong>r<br />

ist als <strong>de</strong>r konventionelle Unfug; <strong>de</strong>r Dissolution geistigen Bestan<strong>de</strong>s,<br />

die <strong>de</strong>n Verfall als letzten Trumpf spielt, während die geistige Insolvenz<br />

zwar hinhalten, aber nicht betrügen kann. Doch mein Übermaß an Fähigkeit,<br />

theatralische Eindrücke zu empfangen, zwingt mich, ihnen wenigstens dann<br />

aus <strong>de</strong>m Wege zu gehen, wenn die Entfesselung <strong>de</strong>n Zuschauer in todsichere<br />

Mitlei<strong>de</strong>nschaft risse, wo die an<strong>de</strong>rn doch zuschauen wollen, da sie dafür<br />

dankbar sind, daß ihnen eine Jazzband nicht nur die Zeit, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>s<br />

Dichters Wort totschlägt. Vor dieser Schiebermusik schützt <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r noch Ohren<br />

hat, nicht zu hören, nichts als daß er sie sich zuhält, <strong>und</strong> wenn <strong>das</strong> ganze<br />

Ungeziefer <strong>de</strong>s Fortschritts auf <strong>de</strong>m Laufen<strong>de</strong>n wäre, <strong>de</strong>r Mut: es laufen zu<br />

lassen, je<strong>de</strong>n Tag, <strong>de</strong>r einem mit tausend Adjektiven <strong>de</strong>s Chaos die Zurückgebliebenheit<br />

attestiert, zu verschlafen <strong>und</strong> also noch treuer im Sachlichen, <strong>und</strong><br />

Geistigen zu beharren. Aber welcher Ernst, <strong>de</strong>r es gegen die Vergänglichkeit<br />

dieses Treibens mit <strong>de</strong>r Beständigkeit <strong>de</strong>s Wesens hält, <strong>das</strong> davon negiert<br />

wird, wäre ernsthaft genug, dieser wirken<strong>de</strong>n Ohnmacht zu imponieren, einer<br />

intellektuellen Anarchie, die nicht <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>das</strong> Maß ihrer<br />

Freiheit, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Naturkräfte <strong>das</strong> System ihrer Schwäche<br />

entgegenhält? Welcher Ernst vermöchte vor <strong>de</strong>m Selbstspott einer Skepsis<br />

zu bestehen, die sich keinen bessern Kronzeugen weiß als eben <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

am wenigsten von ihr wissen will? Da erfahre ich zunächst, daß <strong>de</strong>r szenische<br />

Unfug, zu <strong>de</strong>m sich die Wesenlosigkeit rettet <strong>und</strong> <strong>de</strong>r stolz darauf ist, ein<br />

»Zeitdokument« zu sein (als <strong>das</strong> selbst ich ihn doch nicht leugne), seiner I<strong>de</strong>e<br />

nach »<strong>das</strong> symbolische Gerüst eines Weltbil<strong>de</strong>s« ist, nämlich »die Bühne einer<br />

politischen Generation, die keine Privatangelegenheiten kennt <strong>und</strong> kein Geschehen<br />

an<strong>de</strong>rs als in seinem Verhältnis zum Ganzen <strong>de</strong>r Gesellschaft erleben<br />

<strong>und</strong> begreifen kann« (wozu ihr die Mitarbeit an <strong>de</strong>r Tratschpresse eben nicht<br />

genügt); daß er <strong>de</strong>r »Ausdruck eines steten Totalitätsbewußtseins« einer »be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n<br />

intellektuellen Generation« ist, <strong>das</strong> »Weltbild <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Intellektuellen«,<br />

die »Bühne <strong>de</strong>r anarchistischen Ironie«, <strong>de</strong>ren »Hinterdiekulissenschauen<br />

Weltanschauung ergibt, die Weltanschauung <strong>de</strong>r ironischen Skepsis«,<br />

<strong>und</strong> nicht, wie man meinen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>s Neuen Wiener Journals. Welcher<br />

Dramatiker wäre nun heute so ganz geeignet für alle diese Möglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Weltanschaubühne <strong>und</strong> für welches Dramatikers Möglichkeiten diese, daß sie<br />

einan<strong>de</strong>r nichts schuldig bleiben? Denn man darf nicht etwa meinen, daß <strong>de</strong>r<br />

F<strong>und</strong>us <strong>de</strong>r Weltanschaubu<strong>de</strong> einfach die Klischees <strong>de</strong>s neuen Literaturjargons<br />

als Versatzstücke enthält, son<strong>de</strong>rn er muß, da <strong>das</strong> von ihnen verwaltete<br />

Weltbild doch ein chaotisches ist, gera<strong>de</strong> diesem Charakter Rechnung tragen:<br />

All diese Galerien <strong>und</strong> Stiegen, diese absichtlich wirren Linien zufälliger<br />

Richtungen haben keine konkrete <strong>und</strong> präzise Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>und</strong> stellen zwar ein Weltbild vor, aber es ist <strong>das</strong> abstrakte <strong>und</strong><br />

chaotische Bild einer in banger Hysterie erlebten, unbegreiflichen,<br />

unbezwingbaren Umwelt.<br />

Dazu brauchts aber doch, da <strong>das</strong> Gestänge allein noch nicht diesen Alpdruck<br />

vermittelt, <strong>de</strong>s Dramatikers. Auch die Weltanschauspieler müssen etwas zu<br />

tun bekommen. Und wiewohl die Raumbühne hauptsächlich <strong>de</strong>r Entfesselung<br />

ihres durch Jahrh<strong>und</strong>erte zurückgehaltenen Temperaments dient <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen<br />

Souveränität über <strong>das</strong> Dichterwort einweihen soll (woran völlig mißverstan<strong>de</strong>ne<br />

Aphorismen von mir schuld sind), so bedürfte sie doch einer textlichen Unterlage;<br />

<strong>de</strong>nn <strong>das</strong> fehlte noch, daß die Herrschaften, <strong>de</strong>ren Geistigkeit zulangt,<br />

<strong>de</strong>r Tratschpresse Auskunft zu geben, was sie zu Weihnachten bekom-<br />

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