Leseprobe - Theiss-Verlag
Leseprobe - Theiss-Verlag
Leseprobe - Theiss-Verlag
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
14 | Der römische Handwerker in seinem Umfeld<br />
Die Arbeitswelt der Handwerker |<br />
15<br />
Der Markt bestimmte weitestgehend Löhne und Preise,<br />
die in Quellen aber nur dann auftauchen, wenn sie<br />
wie der Weizenpreis im September 45/46 n.Chr. in<br />
Tebtynis um 82% extrem stiegen oder in unerwartetem<br />
Maße fielen und damit außerhalb der gewohnten<br />
Normen lagen. Preiswerte Angebote wie günstiger<br />
Saatweizen wurden jedenfalls schon damals von den<br />
Verbrauchern gerne genutzt. Fehlkalkulationen gingen<br />
alleine zu Lasten des Verkäufers, der in Ägypten<br />
einmal für Gefäße wohl unter einem gewissen Marktdruck<br />
jeden Preis zu akzeptieren hatte, nachdem ihm<br />
nur wenige Stücke zu der geforderten Summe ab -<br />
genommen worden waren. Als es an geeigneten Arbeits<br />
kräften fehlte, versuchte ein conductor 116 n.Chr.,<br />
mit einer deutlich höheren Bezahlung in Ägypten die<br />
dringend benötigten Weber von anderen Stellen abzuwerben.<br />
Erst das Preisedikt von Diocletian fixierte<br />
301 n.Chr. Löhne für die verschiedensten Berufe und<br />
Tätigkeiten, auch wenn diese Bestimmungen reichsweit<br />
kaum strikt eingehalten wurden.<br />
Im Neuen Testament wird als Lohn für die Arbeit<br />
eines ganzen Tages ein Silbergroschen – also ein Denar<br />
– vereinbart, aber eine solche vereinzelte Angabe<br />
bleibt ohne Kenntnis der Kaufkraft wertlos. In den<br />
Werkverträgen des Grubenbezirks von Alburnus<br />
maior/ Roşia Montană schwankten die vereinbarten<br />
Zahlungen zwischen 70 Denaren für eine halbjährige<br />
Tätigkeit und 210 Denaren für die Dauer eines Jahres.<br />
Bei 46 unbezahlten Feiertagen hat der tägliche<br />
Verdienst also rund 4 ¼ Asse betragen. In diesem Fall<br />
lassen sich die Einkünfte sogar einmal bewerten, weil<br />
bekannt ist, dass Lämmer und Ferkel dort 14 bzw. 20<br />
Sesterze (HS) kosteten. In Pompeji benötigte man für<br />
den täglichen Lebensunterhalt rund 8 Asse. Durch<br />
den ausdrücklich vermerkten Zusatzverdienst von einem<br />
Denar (accepi denarium I) konnte der anhand<br />
einer Liste mit Preisangaben geplante Einkauf deutlich<br />
reichhaltiger ausfallen.<br />
Kostenvoranschläge weisen die eigene Arbeitsleistung<br />
mit und ohne gestelltes Arbeitsmaterial aus.<br />
316 n.Chr. veranschlagte Aurelius Artemidoros, der<br />
offenbar weder lesen noch schreiben konnte und das<br />
Angebot daher von einem amtlichen Schreiber aufsetzen<br />
lassen musste, für die umfassende Sanierung<br />
der Hadriansthermen von Oxyrhynchos für Farben<br />
und andere Materialien zehn Myriaden D…, beanspruchte<br />
aber nur eine Myriade als Lohn für sich. Dabei<br />
fällt das unabhängig von der Interpretation D als<br />
Denare oder Drachmen deutliche Missverhältnis zwischen<br />
Material- und Lohnkosten auf. Auch zwei<br />
Handwerker, die sich 263 n.Chr. in Antinoopolis Vergoldungsarbeiten<br />
an der Decke des Gymnasiums teilen<br />
wollten, veranschlagten Gesamtkosten von 106<br />
Drachmen. Da sie mit Putz, Leim, Goldputz, dem gesamten<br />
anderen Bedarf sowie Blattgold erster Qualität<br />
dann zum Ausgleich das Material selbst stellen wollten,<br />
kann ihnen nach den bekannten Materialpreisen<br />
ein Lohn von nur ungefähr 30 Obolen verblieben sein,<br />
auch wenn der Arbeitsumfang nicht zu erkennen ist.<br />
Den in klingender Münze ausgezahlten Lohn ergänzten<br />
Natural- und/ oder Sachleistungen. So forderten<br />
im 2. Jh. zwei Steinmetze in Oxyrhynchos für<br />
die Bearbeitung von bauseits gestelltem, aber nicht zu<br />
verzierendem Baumaterial folgende Summen:<br />
– 16 Kamelladungen Steine für Außenwände<br />
4 Drachmen<br />
– 30 Kamelladungen Steine für Innenwände<br />
4 Drachmen<br />
– 100 Kamelladungen Füllgestein 3 Drachmen<br />
– 16 Kamelladungen längliche Außenecksteine<br />
8 Drachmen<br />
– 30 Kamelladungen längliche Innenecksteine<br />
8 Drachmen<br />
– 50 Kamelladungen behauenes Füllgestein<br />
4 Drachmen<br />
– 50 Kamelladungen behauenes längliches Füllgestein<br />
8 Drachmen,<br />
– dazu pro Person täglich ein Brot und Zukost.<br />
Falls sie zu Maurerarbeiten eingesetzt werden sollten,<br />
würde ihr Lohn 4 Drachmen betragen. Da eine Abrechnung<br />
aus Pompeji explizit Brot und einen Denar<br />
aufführt, könnten differierende Lohnangaben eine<br />
Bezahlung mit oder ohne Verpflegung benennen. In<br />
ägyptischen Papyri werden Handwerker wie Bronzegießer<br />
vereinzelt sogar nur in Naturalien bezahlt.<br />
Aber auch im Nordwesten des Reiches erhielten die<br />
Gärtner nach den Bestimmungen des Lingonentestaments<br />
jährlich außer ihrem Lohn noch 60 Scheffel<br />
(modius) Weizen und 20 bis 30 Denare Kleidergeld.<br />
Kleidungsstücke stellten damals einen so beträchtlichen<br />
Wert dar, dass ihr Bestand oft in Ehe- oder<br />
Scheidungsverträgen sowie in Testamenten genauestens<br />
aufgeführt wurde.<br />
Neben den von allen Reichsbewohnern zu zahlenden<br />
Grund- und Kopfsteuern (solis/capitis) fielen für die<br />
professionell tätigen Handwerker und ihre Lehrlinge<br />
seit dem frühen 1. Jh. reichsweit direkte und indirekte<br />
kaiserliche und munizipale Abgaben an, deren Höhe<br />
offenbar nach den Berufen variierte. Über sie sind<br />
wir vor allem durch Quellen aus dem östlichen<br />
Reichsteil unterrichtet.<br />
Die cheironaxion oder chrysargyron genannte<br />
Steuer war als Lizenzgebühr für jede Tätigkeit auch<br />
von den Frauen und Sklaven zu entrichten, und die<br />
Markttage (nundinae) waren<br />
für die Handwerker im ganzen<br />
Imperium wichtig, weil sie als<br />
Produzentenhändler dort die<br />
von ihnen hergestellten Waren<br />
auch verkauften. Deshalb<br />
achteten die lokalen Behörden<br />
sorgfältig darauf, dass<br />
sich die Termine von Markt -<br />
tagen in der näheren Umgebung<br />
nicht überschnitten.<br />
Dieser in einer Werkstatt an<br />
die Wand gekritzelte Kalen -<br />
der informiert darüber, an<br />
welchem Tag im Umkreis von<br />
Pompeji in den verschiedenen<br />
Orten Märkte abgehalten<br />
wurden.<br />
103/ 107 n.Chr. beschlossene Steuerfreiheit für Lehrlinge<br />
blieb wohl nicht lange in Kraft. Der Betrag wurde<br />
später als collectio lustralis alle fünf Jahre eingezogen.<br />
Diese vom Staat festgesetzte Summe war nicht<br />
von den Einnahmen oder der Qualifikation des<br />
Handwerkers abhängig, wird aber die unterschiedliche<br />
Verdienstspanne der einzelnen Gewerbe berücksichtigt<br />
haben. 128 n.Chr. betrug sie für die Goldschmiede<br />
in Ägypten jährlich 264 Drachmen. Sie<br />
entfiel, wenn der Handwerker seinen Beruf vorübergehend<br />
wegen einer anderen Beschäftigung nicht ausübte<br />
oder seine Tätigkeit ganz beendete.<br />
Beim Verkauf der Erzeugnisse fiel für den Produzentenhändler<br />
grundsätzlich eine 1%-ige Verkaufssteuer<br />
an (centesima rerum venalium). Diese von Augustus<br />
eingeführte Abgabe reduzierte schon Tiberius<br />
auf 0,5% (ducentesima), bevor Caligula sie für Italien<br />
offenbar ganz aussetzen ließ. In Soknopaiu Nesos, wo<br />
viele der bekannten Mumienporträts angefertigt<br />
worden sein könnten, wurde um 200 n.Chr. eine<br />
télos, phóros oder telísmator genannte Steuer auf<br />
Malerprodukte erhoben, die wohl 25% des Kaufpreises<br />
eines Bildes betrug. Ein zusätzliches, relativ<br />
kleines Entgelt mussten Handwerker für die Bedürfnisse<br />
der Armee zahlen, da sie seit dem frühen Prinzipat<br />
keinen Mi litärdienst mehr zu leisten brauchten.<br />
Außerdem hatten die Gewerbetreibenden kostenlos<br />
für die Verwaltung bestimmte, von Augustus festgesetzte<br />
Dienstleistungen zu erbringen. Dazu zählte vor<br />
allem das Schätzen des in notariellen Verträgen wie<br />
Heiratsurkunden oder Testamenten genannten<br />
Schmuckes, der bei staatlichen Behörden hinterlegt<br />
wurde.<br />
Wochenmärkte mit saisonal unterschiedlichen<br />
Angeboten mussten grundsätzlich in Rom genehmigt<br />
werden. Sie fanden während der gesamten Kaiserzeit<br />
nicht nur in Städten, sondern regelmäßig auch in kleineren<br />
Weilern sowie den privaten Latifundien auf<br />
dem Land statt und wurden in den einzelnen Regionen<br />
von den Dekurionen so terminiert, dass Handwerker<br />
und Händler möglichst alle besuchen konnten.<br />
Die dafür von den Behörden mit kaiserlicher<br />
Erlaubnis erhobenen Steuern (vectigalia) oder indirekten<br />
Abgaben (portoria) wie warenspezifische Umsatzsteuern,<br />
Standgebühren und Händlerlizenzen<br />
flossen sicher in die öffentlichen Kassen, auch wenn<br />
sie sich aufgrund dürftiger Quellen kaum benennen<br />
lassen und sich von ihrer Höhe und der Art her lokal<br />
stark unterschieden haben dürften. Dass einfache<br />
Handwerker manchmal schon diese Beträge kaum<br />
aufzubringen vermochten, beweisen Schuldverschreibungen<br />
des L. Caecilius Iucundus, der in Pompeji<br />
einem Walker das Geld lieh, um die Pachtgebühren<br />
für seine fullonica zu zahlen, und in einem<br />
anderen Fall die bei dem Besuch lokaler Märkte erhobenen<br />
Gebühren vorstreckte. Die Laufzeit dieser<br />
Kleinkredite betrug bei einem Zinssatz von 12% zwischen<br />
16 Tagen und zehn bis elf Monaten.<br />
Ähnliche Gebühren fielen wohl auch auf den<br />
ganzjährig abgehaltenen städtischen Märkten an, deren<br />
Höhe offenbar ebenfalls für die unterschiedlichen<br />
Handwerker gestaffelt war. Monatlich von den Steuerpächtern<br />
(manceps mercaturus) eingeforderte Abgaben<br />
sind für Oxyrhynchos ebenso bezeugt wie<br />
143 n.Chr. bei den Webern in Magnesia. Das Serapeion<br />
in Soknopaiou Nesos rechnete diese Beträge<br />
aber nicht nur nach einzelnen Werkstätten, sondern<br />
oft auch gemeinsam für die Handwerker einer ganzen<br />
Berufsgruppe ab. In diesem Fall konnten die collegia<br />
(Handwerkervereine) kollektiv die Summen bezahlen<br />
und anteilig auf die Mitglieder umlegen, was<br />
vielleicht wirtschaftliche Vorteile bot.<br />
Bisweilen wurden diese allgemein wohl zu den<br />
wichtigsten öffentlichen Einnahmen zählenden Abgaben<br />
von einem großzügigen Mitbürger übernommen<br />
oder als besonderes Privileg für eine bestimmte<br />
Zeit erlassen. Das galt vor allem für die oft mehrere<br />
Tage dauernden Festmärkte, die sich nicht zuletzt aus<br />
diesem Grund einer besonderen Anziehungskraft erfreuten.<br />
Den alle vier Jahre im kleinasiatischen Oinoanda<br />
hoch im Taurus-Gebirge stattfindenden 23-<br />
tägigen Wettkampf besuchten auch Gäste, die<br />
außerhalb der Provinz Lykien lebten. Dass sich sogar<br />
bekannte Heiligtümer wie das Artemision von Ephesos<br />
oder der Aphrodite-Tempel von Aphrodisias solche<br />
im frühen 1. Jh. durch ein senatus consultum erhaltene<br />
Privilegien bis in das 3. Jh. hinein nach einem