Architektur - Tourismusregion Anhalt-Dessau-Wittenberg
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DÜBENER HEIDE<br />
„ ... die produktionssteigernde Wirkung einer Bildungseinrichtung<br />
[kann] mittelbar, wenn auch nicht immer exakt<br />
nachweisbar, an anderer Stelle zum Ausdruck kommen. Es<br />
ist also zu fragen, ob die Verwirklichung des neuen Bauhaus-Gedankens<br />
für <strong>Dessau</strong> und für <strong>Anhalt</strong> einer wesentlichen<br />
und ideellen Produktionssteigerung entspricht. Diese<br />
Frage aber ist zweifelslos zu bejahen.“<br />
[Prof. Theodor Blum, Leiter der <strong>Dessau</strong>er Volkshochschule<br />
im ‚<strong>Anhalt</strong>er Anzeiger‘ 1925]
Von Erdmannsdorff zum Bauhaus<br />
Renaissance, Aufklärung und Moderne<br />
<strong>Dessau</strong> war über Jahrhunderte ein Schauplatz der Avantgarde.<br />
Bedeutende Bauten aus der Zeit der Renaissance, des Barock, des<br />
Klassizismus und der Moderne künden noch heute davon. Die Geburtsstätte<br />
der klassizistischen <strong>Architektur</strong> auf dem europäischen<br />
Festland ist mit dem Namen des Baumeisters Friedrich Wilhelm<br />
von Erdmannsdorff verbunden, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
im Dienst des Fürsten Franz stand und der neben den Wörlitzer<br />
Bauten auch im Luisium, Georgium und in der Innenstadt Spuren<br />
seines Schaffens hinterließ.<br />
Als 1925 das Bauhaus von Weimar nach <strong>Dessau</strong> übersiedelte,<br />
traf es auf eine Stadt des kulturellen Aufbruchs. Walter Gropius,<br />
Hannes Meyer, Carl Fieger und Richard Paulick machten <strong>Dessau</strong> zu<br />
der einzigartigen Stadt der Bauhausarchitektur. Nirgendwo sonst<br />
lässt sich das Bauhaus in seiner ganzen Vielfalt erfahren. Nachdem<br />
<strong>Dessau</strong> im März 1945 zu achtzig Prozent zerstört wurde, sollte<br />
eine moderne sozialistische Stadt mit Vorbildcharakter entstehen.<br />
So liegen in <strong>Dessau</strong> architektonische Zeitschichten wie Flöze übereinander.<br />
Das Heft möchte zu einem Spaziergang durch die gebaute<br />
Stadtgeschichte anregen.<br />
Seite<br />
Bauhaus <strong>Dessau</strong> 2<br />
Kulinarischer Tipp: Klub im Bauhaus<br />
Meisterhäuser 6<br />
Kornhaus 8<br />
Siedlung Törten; Tipp: Haus Anton 10<br />
Arbeitsamt 12<br />
Umweltbundesamt 14<br />
Schlösser 16<br />
Historischer Friedhof 20<br />
Palais Dietrich 21<br />
Kleinarchitekturen 22<br />
Mein Tipp: Baukunst von Erdmannsdorff<br />
Junkers als Baumeister; Bauten der Moderne 24<br />
„Stadtgang“ 26<br />
Aktivtipp: DDR-<strong>Architektur</strong> in der Innenstadt 28
Bauhaus <strong>Dessau</strong><br />
Bauhaus (Walter Gropius, 1925/26)<br />
Wer vom Bahnhof den Westausgang nimmt, steht nach einigen<br />
Schritten vor einem markanten, weißen Haus mit kleinen Balkonen,<br />
die herausgezogen scheinen wie Küchenschütten. Der vierstöckige<br />
Quader gehört zur Stadtseite des Bauhauses und darf als<br />
eines der ersten Studentenwohnheime in Deutschland gelten. Als<br />
Walter Gropius 1926 sein mehrflügeliges <strong>Architektur</strong>wunder in den<br />
anhaltischen Acker stellte, dachte er auch daran, dass die Bauhausstudenten<br />
als erste in den Genuss des Neuen Wohnens kommen<br />
sollten. 20 Quadratmeter Wohnfläche, fließend warmes und kaltes<br />
Wasser, Möbel von Marcel Breuer und eine eigens von Gunta Stölzl<br />
gewebte Tagesdecke, das war für damalige Verhältnisse unvorstellbarer<br />
Luxus. Heute stehen die früheren Studentenzimmer den<br />
Gästen der Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong> zur Verfügung. Die FAZ nannte<br />
sie „Mönchszellen der minimalistischen Ästhetik“, weil es außer<br />
Bett, Schrank, Schreibtisch und zwei Freischwingern nichts gibt,<br />
was den klaren Gedanken stören würde. „Und trotzdem schwelgt<br />
man im Luxus der Überflussbefreiung, der Reduktion, der Helligkeit,<br />
der Klarheit. Man schläft sehr gut ohne Ballast und würde sich das<br />
Studentenzimmer am liebsten gleich einpacken lassen“, schreibt<br />
die Zeitung weiter. Und vielleicht auch ein paar Geschichten, denn<br />
auf den Balkonen, der Dachterrasse, in den Teeküchen und Gemeinschaftsbalkonen<br />
zeigte sich das Bauhaus von seiner vergnüglichen<br />
Seite. Hier wurde getanzt und gekocht, geturnt und gesungen,<br />
wenn die Arbeit in den Werkstätten getan war. Morgens gibt es<br />
in ganz <strong>Dessau</strong> keinen schöneren Ort, als die Bauhaus-Mensa. Bei<br />
Kaffee und Käsebrötchen wandert der Blick durch den Raum, der<br />
zur von Gropius erdachten Festebene gehört, weil er direkt hinter<br />
der Bauhausbühne und der Aula liegt. Die weißen Schleiflacktische<br />
und die Bauhaushocker B9 von Marcel Breuer sind zwar nachgebaut,<br />
halten sich aber an die Originalausstattung von 1926. An der<br />
Decke lässt sich erstmals ablesen, was man im Bauhaus immer<br />
wieder beobachten kann: der für Gropius typische Wechsel in der<br />
Beschaffenheit der Oberflächen aus rauem und glattem Putz. Diese<br />
Art Deckenspiegel werden ergänzt durch Unterzüge, die an den Seiten<br />
matt und dunkel, unten aber hell und glänzend sind. Und noch<br />
etwas kommt hinzu: Die Farbgebung. Der Leiter der Wandmalereiwerkstatt<br />
Hinnerk Scheper hatte für das ganze Haus einen farbigen<br />
Orientierungsplan entworfen, der das Gebäude von innen ordnen<br />
sollte. Während in der Mensa Rot und Orange zum Einsatz kamen,<br />
erhielt die Bühnenwerkstatt Blau, die Wandmalerei Violett, die Druckerei<br />
Orange, die Weberei Rot und die Vorlehre Schwarz.<br />
Es ist ein Fest der Farbe in diesem Haus, ein ständiges Ineinanderfließen<br />
von harmonischen und aufregenden Tönen, von Vornehmheit<br />
und Achtungszeichen. Dass Bunt die Lieblingsfarbe von Gropius<br />
gewesen sein soll, ist durchaus vorstellbar. Auch wenn die meisten<br />
Besucher das Bauhaus wohl durch den Haupteingang betreten<br />
werden, kann man – quasi durch die Küche – von der Mensa in die<br />
Aula und dann ins Foyer gelangen. Auf der schwarzen Bauhausbühne<br />
hat Oskar Schlemmer seine Theaterexperimente betrieben und<br />
Gret Palucca beim Tanzen zugesehen. Damals wie heute sind die<br />
heiligen Bretter ideal für Feste, Konzerte und darstellende Kunst.<br />
Die Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong> lässt Tanzperformances aufführen,<br />
der Digitalkanal ZDFkultur zeichnet hier die Popsendung zdf@bauhaus<br />
auf.<br />
Die Aula trägt die Handschrift von Marcel Breuer, der das Stahlrohrgestühl<br />
mit der grau-braunen Stoffbespannung entwarf. In den<br />
Armstützen spiegelt sich die Silberdecke mit den Soffitten, die den<br />
Saal in eine elegante Stimmung taucht. Die Farbgebung für Aula<br />
und auch das davorliegende Foyer stammt übrigens von László<br />
Moholy-Nagy, der sich auch nicht davor scheute, für den Gäste-<br />
2 3
Mein Tipp: Wohlfühlen im Klub<br />
Der Klub im Bauhaus ist für mich der perfekte Rückzugsort<br />
während der Aufzeichnungen zu zdf@bauhaus<br />
geworden. Er hat immer das, was ich brauche: Schneller<br />
Espresso in der kurzen Drehpause, das richtige Getränk<br />
plus lecker Essen zum Relaxen und vor allem: Zu jeder<br />
Zeit das richtige Ambiente.<br />
Ob mit Milow oder Thees Uhlmann, Interviews im Klub<br />
machen Spaß und sehen zudem immer gut aus. So wie<br />
die meisten Gäste. Wohlfühlfaktor: hoch.<br />
Jo Schück, Moderator von zdf@bauhaus<br />
empfang einen Rosa-Ton vorzusehen. Die Soffitten an der Decke<br />
sind so etwas wie die Hinweisschilder in der Festebene. Sie weisen<br />
vom Foyer zum Saal – und wieder zurück.<br />
Der „normale“ Besucher betritt das Bauhaus freilich durch den<br />
Eingang und strebt dann in den Werkstattflügel, der sich hinter<br />
der markanten Metall-Glas-Vorhangfassade befindet. Hier waren<br />
die gut belichteten Arbeitsplätze für Tischler und Metallgestalter,<br />
Weberinnen und Plakatgestalter, Fotografen und Wandmaler. Hier<br />
ist der Gedanke von Walter Gropius, einer Idee eine <strong>Architektur</strong> zu<br />
verleihen, am besten nachvollziehbar. Das Haus zitiert sich ständig<br />
selbst, es ist ein dauerndes Hinein- und Hinausschauen, ein Spiel<br />
der Proportionen aus Vertikale und Horizontale, Stein und Glas, die<br />
reine Form in Balance mit der Funktion. Hier ließ sich das Laboratorium<br />
Bauhaus förmlich auf die Finger schauen, und die ausgerufene<br />
Einheit von Kunst und Technik wurde transparent. Das Bauhaus ist<br />
heute nicht nur der materialisierte Inbegriff für die Moderne, sondern<br />
für das Gesamtkunstwerk schlechthin. Jeder Alltagsgegenstand,<br />
der hier produziert wurde, jede Skizze in der Baulehre und<br />
jede Vorkursarbeit verwies auf eine höhere Idee. „Wollen, erdenken,<br />
erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles<br />
in einer Gestalt sein wird: <strong>Architektur</strong> und Plastik und Malerei, der<br />
aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen<br />
wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“,<br />
schrieb Gropius 1919 in seinem Manifest.<br />
Wer das Bauhausgebäude ganz verstehen will, muss einmal drumherum<br />
laufen. Es mangelt an einer zentralen Ansicht. Walter Gropius<br />
hatte 1926 von der Stadt <strong>Dessau</strong> den Auftrag bekommen, neben<br />
dem Bauhaus auch die Technischen Lehranstalten unterzubringen<br />
und deren Eigenständigkeit mit architektonischen Mitteln herauszuarbeiten.<br />
So entstand die Idee der zwei separaten, kubischen<br />
Baukörper, die über dem Erdgeschoss mit einer „Brücke“ verbunden<br />
sind. Wer das Bauhaus von fern betrachtet, sieht es förmlich<br />
schweben und merkt, dass diese perfekt proportionierte Ikone von<br />
zeitloser Schönheit ist.<br />
Die öffentliche Führung durch das Bauhausgebäude zeigt verschiedene historische<br />
Räume: Aula, Direktorenzimmer und ein früheres Studentenzimmer.<br />
Dauerausstellung „Werkstatt der Moderne“<br />
Besucherzentrum im Bauhaus <strong>Dessau</strong><br />
Gropiusallee 38 | 06846 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
www.bauhaus-dessau.de<br />
4 5
Meisterhäuser<br />
Meisterhaus Kandinsky/Klee<br />
Nur sechshundert Meter hatten die Bauhausmeister Lyonel Feininger,<br />
László Moholy-Nagy, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Georg Muche,<br />
Paul Klee und Wassily Kandinsky von der Arbeitsstätte zu ihrer<br />
Wohnung zurückzulegen. In einem kleinen Kiefernwäldchen hatte<br />
Walter Gropius 1926 für sich und den Lehrkörper vier Meisterhäuser<br />
setzen lassen, eines für sich als Direktor und drei Doppelhäuser<br />
für den Rest der Mannschaft. Die weißen, in sich verschachtelten<br />
Kuben wirken wie Mittelmeervillen ohne Wasser. Der architektonische<br />
Klang der Siedlung entsteht durch das mehrfache Drehen<br />
und Spiegeln der Formen. Noch allerdings fehlen dafür wichtige<br />
Töne. Das Direktorenhaus und die Doppelhaushälfte Moholy-Nagy<br />
wurden im Krieg zerstört und warten nun auf einen zeitkritischen<br />
Wiederaufbau. Dann soll im wiederhergestellten Ensemble die<br />
Geschichte einer der wichtigsten Künstlerkolonien des 20. Jahrhunderts<br />
erzählt werden. Das wird auch jetzt schon spürbar, wenn<br />
man die restaurierten Häuser betritt. Wieder ist es ein Rausch der<br />
Farbigkeit, den die Malereiwerkstatt des Bauhauses auszulösen verstand.<br />
Indessen: Kandinsky lebte in blassem Rosa und leistete sich<br />
eine goldene Wand, Muche bettete sein Haupt in einem schwarzgestrichenen<br />
Schlafzimmer zur Ruhe und Feininger geriet über sein<br />
rotes Geländer und die kobaltblauen glatten Treppenwangen schier<br />
aus dem Häuschen. Nach den Jahren der Verwahrlosung in DDR-<br />
Zeiten wurden die Meisterhäuser Mitte der Neunzigerjahre saniert<br />
und erhielten ihre ursprüngliche Farbgebung zurück. Allein im Haus<br />
Feininger sind es 40 verschiedene Nuancen. Wie im Bauhaus lässt<br />
sich auch hier ein Spiel mit Oberflächen beobachten, die zwischen<br />
seidenmatt, seidenglänzend und glänzend changieren.<br />
Meisterhaus Muche/Schlemmer<br />
In den Häusern ordnen sich alle Räume dem großzügig geschnittenen<br />
Atelier unter. Schlafzimmer, Kinderzimmer und Wohnbereich<br />
sind nicht eben groß. Sie erzählen viel darüber, was Gropius meinte,<br />
wenn er von der Neuorganisation von „Lebensvorgängen“ und der<br />
Befreiung „von unnötigem Ballast“ sprach. Das moderne Leben sollte<br />
mit völlig neuen Erfindungen verbunden werden – von der Durchreiche<br />
über die Spülküche bis hin zu einer rohrpostartigen Anlage,<br />
mit der schmutzige Wäsche in der Waschküche landete. Besonders<br />
das Direktorenhaus galt als Demonstrationsobjekt ersten Ranges.<br />
Ungläubige Bürger wurden gern empfangen, um die neuen Möbel,<br />
Lampen oder Alltagsgegenstände aus den Bauhaus-Werkstätten<br />
vorgeführt zu bekommen.<br />
Die Ateliers in den Meisterhäusern müssen anregende Orte gewesen<br />
sein, schließlich entstanden hier wichtige Arbeiten von Klee,<br />
Kandinsky, Moholy-Nagy und Feininger. Und auch als Ort des guten<br />
Gesprächs wusste die europäische Avantgardeszene das schmucke<br />
Wäldchen zu schätzen. Gret Palucca, Kasimir Malewitsch, George<br />
Grosz, Marcel Duchamp, Béla Bartok und Paul Hindemith gaben<br />
sich hier die Klinke in die Hand. Die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft<br />
des Bauhauses hatte hier ihre schönste Entsprechung gefunden,<br />
auch wenn sich einige Meister damit schwer taten, in einer<br />
extravaganten Villensiedlung zu leben. Doch das Bekenntnis zum<br />
modernen Menschen wog dann schwerer.<br />
Meisterhäuser<br />
Ebertallee 59-71 | 06846 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
www.bauhaus-dessau.de<br />
6<br />
7
Kornhaus<br />
<strong>Dessau</strong>s nördlichster Punkt ist auch einer seiner schönsten. Welche<br />
Stadt kann schon für sich in Anspruch nehmen, ein Ausflugslokal in<br />
der <strong>Architektur</strong>sprache des Bauhauses zu besitzen? Direkt an der<br />
Elbe, in Nachbarschaft zum Leopoldhafen, wo auch die Bauhäusler<br />
gern zum erfrischenden Bade schritten, liegt das Kornhaus. Der<br />
Name stammt von einem alten Getreidespeicher, der hier bis in die<br />
1870er Jahre stand. Später wurde hier eine Ausflugsgaststätte errichtet,<br />
die jedoch 1926 ausgedient hatte und abgerissen wurde. Im<br />
Frühjahr 1929 schrieb die Stadt einen Wettbewerb für ortsansässige<br />
Architekten aus, der einen modernen Neubau zum Ziel hatte. Untergebracht<br />
werden sollten ein Restaurant, ein Saal und eine Stehbierhalle<br />
im Erdgeschoss. Das Rennen machte Carl Fieger, der seit 1921<br />
im <strong>Architektur</strong>büro von Walter Gropius Dienst tat und vor allem für<br />
den Meister zeichnete, was dieser nicht sonderlich gut beherrschte.<br />
Auf dem zweiten Rang fand sich übrigens der damalige Bauhausdirektor<br />
Hannes Meyer und die Bauabteilung des Bauhauses wieder.<br />
Bei so viel Bauhaus konnte es nicht ohne Zitate abgehen. Es sollte<br />
übrigens der einzige Bauhausbau auf einem Wassergrundstück<br />
bleiben.<br />
Fieger suchte für das neue Kornhaus nach einem Dampfermotiv,<br />
das er auf einen L-förmigen Grundriss stellte. Die einzelnen Kuben<br />
aus Ziegelmauerwerk und Stahlbetonstützen sind um die Küche<br />
und die Wirtschaftsräume gruppiert. Vom Elbdamm aus gesehen,<br />
wirkt das Gebäude eingeschossig, erst von der Straßenseite<br />
erschließt sich die zweistöckige Konstruktion. Der Baukörper verdankt<br />
seine Eleganz dem halbrunden, verglasten Wintergarten, der<br />
ursprünglich als offener Balkon geplant war. Der Zylinder ragt weit<br />
Kornhaus (Carl Fieger, 1929-1930)<br />
über den Sockel hinaus, so dass er einer fliegenden Untertasse vor<br />
dem Abflug gleicht. Der Architekt nutzt hier bewusst die bekannte<br />
Wirkung des Bauhausgebäudes vom Meister Gropius, das ja ähnlich<br />
schwebend und leicht auf den Betrachter wirkt. Carl Fieger geht<br />
noch einen Schritt weiter. Sein Kornhaus besitzt mehr Schwung. Alles<br />
scheint sich hier zu drehen wie in einem Walzertraum. Der Gast<br />
betritt das Kornhaus über eine Treppe, die sich linksdrehend nach<br />
oben schraubt, steht dann vor einem Büffetbogen und findet draußen<br />
einen kreisrunden Betonpilz, der Tanzenden Platz bieten sollte,<br />
wenn sie von Regenschauern überrascht würden. Und dann natürlich<br />
der halbkreisförmige Wintergarten! Das Haus öffnet sich mit<br />
einer großzügigen Terrasse zur Natur hin und neigt sich förmlich ihr<br />
zu. Es dreht der Stadt den Rücken zu und gibt den Blick frei auf die<br />
Elbwiesen und den hier stark strömenden Fluss.<br />
Das Licht der Landschaft wird in den Gastraum hineingelenkt und<br />
lädt das Haus mit Energie auf. Vor allem im Sommer gibt es weit<br />
und breit keinen schöneren Ort, als hier den Tag zu verabschieden.<br />
Das Kornhaus mit seinen türkisfarbenen Fensterrahmen, den roten<br />
Lampenfassungen und den farbigen Unterzügen hatte den Krieg<br />
unbeschadet überstanden und wurde Mitte der Neunzigerjahre<br />
weitgehend saniert. Geblieben ist ein Ort gehobener Gastlichkeit.<br />
Gaststätte Kornhaus<br />
Kornhausstraße 146 | 06846 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
www.bauhaus-dessau.de<br />
8 9
Siedlung Törten<br />
Konsumgebäude (Walter Gropius, 1928), Am Dreieck 1<br />
Die Bauhaussiedlung <strong>Dessau</strong>-Törten mag nicht so bekannt sein wie<br />
der Stuttgarter Weißenhof, aber sie war ebenso eine Bühne des Neuen<br />
Bauens. 1923 eingemeindet, entstand hier wenig später ein einzigartiges<br />
Versuchsfeld des rationellen Wohnungsbaus. 314 Einfamilienhäuser<br />
mit großen Gärten ließ Bauhausdirektor Walter Gropius hier<br />
zwischen 1926 und 1928 bauen. Es ging ihm nicht nur darum, eine<br />
schlüssige Antwort auf die drängende Wohnungsmisere zu finden, er<br />
wollte als Pionier für kostenbewusstes Bauen in die Geschichte eingehen.<br />
Doch Gropius war mit seinem Experiment nicht allein. In Törten<br />
rangen unterschiedliche Haltungen und Ideen miteinander. Ab 1928<br />
setzte die Bauabteilung des Bauhauses unter dem zweiten Direktor<br />
Hannes Meyer mit den Laubenganghäusern ganz andere städtebauliche<br />
Prämissen. Die bauhausweißen Reihenhäuser bekamen rötliche<br />
Ziegelkonkurrenz von den Meyerschen Laubenganghäusern: ländlicher<br />
Charme traf auf städtisches Flair. Und auch der Baustoff Stahl<br />
spielte in Törten eine Rolle. Der Maler Georg Muche und der Architekt<br />
Richard Paulick priesen 1927 die Vorzüge eines Metallhauses, doch blieb<br />
der graue Bungalow ein Solitär. Paulick setzte später mit den DEWOG-<br />
Bauten, die sich ebenfalls in Törten finden lassen, die serielle Bauweise<br />
fort. Schön, funktional, aber leider auch nicht massentauglich nimmt<br />
sich das Kleinhaus von Carl Fieger von 1927 aus. Sein Prototyp für Minivillen<br />
ist heute in Privatbesitz und deshalb leider nicht zugänglich.<br />
Moses Mendelssohn Zentrum in <strong>Dessau</strong><br />
Die 1993 gegründete Moses-Mendelssohn-Gesellschaft fühlt sich dem geistigen Erbe<br />
des in <strong>Dessau</strong> geborenen Aufklärers und Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786)<br />
verpflichtet. Wissenschaftliche Forschung zur deutsch-jüdischen Geschichte unserer<br />
Region und vielfältige Bildungsangebote (Vorträge, Projekttage, Führungen u.a.) stehen<br />
im Zentrum der Arbeit. Der Verein gibt eine eigene Schriftenreihe heraus und hat<br />
im Mittelring 38 in der Siedlung Törten sowie in der ehemaligen Synagoge Wörlitz Dauerausstellungen<br />
zu Mendelssohn und zur Geschichte der Juden in <strong>Anhalt</strong> eingerichtet.<br />
Dr. Bernd G. Ulbrich, 2. Vors. der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft <strong>Dessau</strong> e. V.<br />
Besonderer Tipp: Haus Anton<br />
Ein kleiner Flur führt links an einem<br />
Wohnzimmer vorbei direkt in die Küche,<br />
wo sich Waschtrog und Sitzbadewanne<br />
finden. Rechts geht es in den Garten, links<br />
direkt in den Stall und geradeaus zu einem<br />
Trockenklosett mit Torfschütte. Eine solche<br />
Wohnungsanzeige würde heute wohl<br />
Interessenten erschrecken. Hedwig Anton<br />
war es 1927 vergönnt, gemeinsam mit<br />
ihren Eltern in ein solches neugebautes<br />
Haus in der Siedlung Törten zu ziehen. Sie<br />
wohnte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 2001<br />
und hatte nur Weniges verändert. So ist<br />
Haus Anton das einzige noch im Originalzustand<br />
verbliebene Wohnhaus in der von<br />
Walter Gropius erdachten Siedlung. Nach<br />
einer umfassenden Sanierung steht es Besuchern<br />
bei Führungen offen. Sie können<br />
sich ansehen, wie auf wenigen Quadratmetern<br />
eine 4-Raum-Wohnung, Terrasse,<br />
Nebengelass, Hof und Gartenland genial<br />
einfach eingerichtet wurden.<br />
Siedlung Törten (Walter Gropius, 1926-1928), Haus Anton, Doppelreihe 35<br />
Nebendran, im Stahlhaus, wohnt hingegen niemand mehr und deshalb<br />
sind Besucher sehr willkommen. Diese ineinander gestellten Container<br />
bieten mit raumhohen Türen und Fenstern noch heute das Modernste,<br />
das in <strong>Dessau</strong> zu bewundern ist.<br />
Starten sollte man seine Törten-Tour jedoch am besten am Konsumgebäude.<br />
Der weithin sichtbare Hochbau von Walter Gropius bildet<br />
noch immer die gefühlte Mitte der Siedlung und beherbergt heute<br />
ein Informationszentrum. Hier lässt sich viel über Idee, Vision und<br />
Geschichte der Versuchsbaustelle erfahren. Bei einem einstündigen<br />
Rundgang wird auch die Frage beantwortet, warum in der Siedlung<br />
schon nach der Fertigstellung der ersten Gropius-Häuser die reinste<br />
Umbaufreude herrschte und was die Bewohner an den Bauhausbauten<br />
schätzen. Lebendiger ist das Bauhaus nirgendwo!<br />
Wer mehr über die <strong>Dessau</strong>er Siedlungsgeschichte erfahren will, sollte<br />
auch die Knarrberg-Siedlung in Ziebigk besuchen. Hier baute die architektonische<br />
Konkurrenz außerhalb von Gropius´ Gnaden! Leopold<br />
Fischer und Leberecht Migge schufen zwischen 1926 und 1928 eine<br />
Gartensiedlung nach dem Prinzip des organischen Funktionalismus<br />
und sahen im Haus- und Gartenleben eine Einheit. Auch die sogenannte<br />
Wolfener Siedlung (AGFA Werksiedlung) und das Achteck<br />
sind Siedlungen, in denen das moderne Leben erprobt werden sollte.<br />
Leerstand kennt man hier nicht. Und das ist gut so!<br />
Stahlhaus (Georg Muche und Richard Paulick), Südstraße 5<br />
Laubenganghäuser (Hannes Meyer), Peterholzstr. 40, 48<br />
10 11
Historisches Arbeitsamt<br />
Den Askanischen Platz zierten einst prächtige Gründerzeithäuser.<br />
Der Krieg ließ davon nichts übrig und die Nützlichkeit des DDR-Wiederaufbaus<br />
sah einen Plattenbau vor, der sich am heutigen August-<br />
Bebel-Platz in die Höhe wuchtet. Davor steht ein Bauhausbau der<br />
besonderen Klasse: das historische Arbeitsamt von Walter Gropius.<br />
Am Treppenturm ist die bestimmende Inschrift noch gut zu erkennen.<br />
Lange bevor es die Agentur für Arbeit mit ihren oft seelenlosen<br />
Warteräumen gab, versuchte sich Gropius in die Seelenlage der Beschäftigungslosen<br />
hineinzudenken. 1927 hatte die Arbeitslosigkeit<br />
als Massenphänomen die Industriegesellschaft längst erreicht und<br />
war kommunal nicht mehr zu bewältigen. Eine Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung<br />
und Arbeitslosenversicherung wurde gegründet,<br />
für dessen Dependancen es keine architektonischen Vorbilder gab.<br />
Wieder war es die Stadt <strong>Dessau</strong>, die hier eine Vorreiterrolle spielen<br />
und den Neubau eines Arbeitsamtes ins Werk setzen sollte. Funtional,<br />
wandlungsfähig und offen für die Bedürfnisse der Geplagten<br />
sollte es sein, das neue Haus der Arbeit. Als es im Januar 1927 zu<br />
einem beschränkten Wettbewerb kam, setzte sich Gropius gegen<br />
Max Taut durch. Der Bauhausdirektor entwarf für den damals noch<br />
dreieckig angelegten Askanischen Platz einen halbrunden Flachbau<br />
aus gelbem Greppiner Klinker, an den sich ein zweigeschossiger<br />
Verwaltungsriegel anschloss. Seine „Arbeitsvermittlung für eine<br />
große Anzahl Arbeitssuchender verschiedener Berufsgebiete mit einer<br />
möglichst geringen Anzahl von Beamten“ funktionierte wie ein<br />
begehbarer Karteikasten. Vor den sechs Außentüren sollten sich die<br />
Arbeitssuchenden bereits vorsortieren: männliche und weibliche<br />
Angestellte hier, Metall- und Industriearbeiter dort, Bauhandwerker<br />
oder höhere Berufe Türen weiter. Hinter den Eingängen waren<br />
die Warteräume angeordnet, an die sich im zweiten Ring die Büros<br />
Arbeitsamt (Walter Gropius, 1927/1928)<br />
der Arbeitsvermittler anschlossen. Wer also eine Arbeitsstelle fand,<br />
gelangte über den Ringflur direkt nach draußen; wer leer ausging,<br />
fand sich beim Stempeln wieder, und ging durch dieselbe Tür, durch<br />
die er gekommen war. Gropius‘ <strong>Architektur</strong> gliederte die Wege nach<br />
ihren Funktionen und machte die für viele unangenehmen Gänge<br />
kurz.<br />
Als das Haus 1929 eröffnet wurde, gelangte das Tageslicht nur über<br />
das Sheddach und ein Oberlichtband ins Innere. Das Licht sollte<br />
durch die Glasinnenwände im oberen Teil durch die Räume fluten.<br />
Die Innenausstattung besorgten übrigens die Bauhauswerkstätten.<br />
Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, diffamierten<br />
sie das Haus als „zirkusähnliches Gebäude“. Sie verteufelten Gropius‘<br />
Werk als bolschewistisch, undeutsch und unpraktisch. Die Folge<br />
war, dass sie „richtige“ Fenster in die Ziegelwand brechen ließen<br />
und die äußeren Warteräume zu Büros umbauten. Trotz dieser entschiedenen<br />
Verstümmelung ist dem Haus Schlimmeres erspart geblieben:<br />
Ein vorgesehener Abriss kam durch den Kriegsbeginn nicht<br />
mehr zustande. Nach dem Krieg zog der Amerikanische Militärstab<br />
in das Arbeitsamt, bekanntlich nur für kurze Zeit. Sie fanden Chicago<br />
in <strong>Dessau</strong>! Heute beherbergt der gelb leuchtende Rundbau, der<br />
zwischen 2002 und 2003 saniert wurde, das <strong>Dessau</strong>er Verkehrsamt,<br />
und es ist noch immer eine Freude, durch die klaren und funktionalen<br />
Räume zu gehen. Wenn man Glück hat, holen die Angestellten<br />
ihre historische Kurbel hervor, um damit ein Klappfenster im Sheddach<br />
zu öffnen. Das historische Arbeitsamt gehört ganz sicher zu<br />
den besten Entwürfen von Walter Gropius und es war auch sein<br />
letztes Projekt in <strong>Dessau</strong>. Als die Arbeiten an dem Stahlskelettbau<br />
begannen, hatte er das Bauhaus bereits verlassen.<br />
August-Bebelplatz | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
12 13
Umweltbundesamt<br />
Wer früh mit dem Zug nach <strong>Dessau</strong> kommt, wird sie kaum übersehen:<br />
die Berufspendler aus dem Umweltbundesamt. Sie streben<br />
vom Hauptbahnhof hinüber zu ihrem Arbeitsplatz, der sicher zu<br />
den schönsten in <strong>Dessau</strong> gehört, auch wenn der Alltagsblick das natürlich<br />
nicht immer wertschätzen kann. Nur einen Steinwurf vom<br />
Bahndamm entfernt, windet sich eine viergeschossige Büroschlange<br />
der Architekten Sauerbruch Hutton, die zu den Glücksfällen<br />
des ökologischen Bauens gehört. 2005 wurde das geschwungene,<br />
mäandernde Gebäude mit dem gefalteten Glasdach eröffnet und<br />
ist inzwischen zu einem <strong>Dessau</strong>er Wahrzeichen geworden. Schon<br />
aus dem Zugfenster heraus erkennt man dieses exotische Reptil,<br />
das sich um ein luftiges Atrium mit gläsernen Sheddächern schlängelt.<br />
Die schöne Lärchenholzfassade (natürlich aus nachhaltiger<br />
Forstwirtschaft) wird kombiniert mit hochrechteckigen, farbigen<br />
Glasflächen – draußen Orange und Rot, innen Grün und Blau. Eine<br />
Spezialität des Architektenduos. Das Umweltbundesamt ist ökologisch<br />
durchdacht: Durch die Fensterbänder fällt natürliches Licht,<br />
ein Erdwärmeaustauschsystem wurde installiert, eine Fotovoltaikanlage<br />
und thermische Sonnenkollektoren obendrein. Das Gebäude<br />
denkt mit, es atmet förmlich und hält den Energieverbrauch in der<br />
Balance. Doch die Architekten addierten bei diesem Projekt nicht<br />
einfach die Zutaten des nachhaltigen Bauens, sondern sie schufen<br />
einen hochsinnlichen Ort, der Ökologie und Ästhetik elegant miteinander<br />
verbindet. Matthias Sauerbruch und Luisa Hutton sprechen<br />
in Bezug auf ihr Haus gern von „Landschaftsarchitektur“, was sich<br />
schon daran zeigt, dass sich das Amt durch einen Park erschließt,<br />
der sich bis ins Gebäude hineinzieht. Das Forum empfängt drinnen<br />
mit einem elliptischen Hörsaal, der sich förmlich hineindrängt<br />
Umweltbundesamt (Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton, 2005)<br />
in das offene Haus. Ein Gewächshaus für gute Gedanken, ein kontemplativer,<br />
schwebender Ort mit Grünflächen und Wasserbecken.<br />
Wie stark das Haus als Reverenz zum Gartenreich <strong>Dessau</strong>-Wörlitz<br />
gemeint ist, lässt sich auch daran erkennen, dass der alte Wörlitzer<br />
Bahnhof – ein Schmuckstück in historischer Backsteinarchitektur<br />
– in den Campus einbezogen wurde. Von hier aus fuhren die Ausflugszüge<br />
ins grüne Arkadien, die jetzt am Gleis 1 des Hauptbahnhofes<br />
starten. Doch das ist nicht der einzige Bezug der Architekten<br />
zur <strong>Dessau</strong>er Geschichte: Die Bibliothek des Umweltbundesamtes<br />
nutzt eine respektvoll sanierte Industriehalle von 1890, und darf<br />
als schöner Verweis auf das alte <strong>Dessau</strong>er Gasviertel gelten, eine<br />
Wiege der <strong>Dessau</strong>er Industrie.<br />
Wörlitzer Platz 1 | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
www.umweltbundesamt.de<br />
14 15
Reich an Schlössern<br />
„Papa, warum gab es früher bessere Architekten?“ fragte mich meine<br />
Tochter im Johannbaugewölbe am <strong>Dessau</strong>er Stadtmodell der Vorkriegszeit.<br />
Eben studierten wir die Wendeltreppe im Schlossturm –<br />
den Wendelstein. Die Steinmetze hinterließen dort ihre Kennzeichen<br />
im Elbesandstein. Eines ist von Ludwig Binder, dem Entwurf und Gesamtbauleitung<br />
des <strong>Dessau</strong>er Renaissanceschlosses zugeschrieben<br />
wurde. Er war aber wohl damals noch zu jung für die große Aufgabe,<br />
sein Vater Bastian Binder wird der Baumeister des Langbaues mit<br />
den Renaissance-Zwerchgiebeln gewesen sein. Er hat sicherlich seinen<br />
Sohn auf der fürstlichen Baustelle untergebracht. Dessen Werkstück<br />
ist makellos, wie die Wendelstufen auch der anderen Gesellen.<br />
Nutzungsspuren und Reparaturstellen schaffen die Patina, die uns an<br />
500 Jahren Steinleben teilnehmen lässt.<br />
Management, <strong>Architektur</strong> und Kunst, Technik und Handwerk, alles<br />
in einer Hand, das war real in den Bauhütten und Gilden vergangener<br />
Zeiten. Gropius träumte im Weimarer Bauhaus noch von diesem<br />
verlorenen Pfad der Einheit von Kopf und Hand, Kunst und Werk, aus<br />
dem in <strong>Dessau</strong> das weltbewegende Konzept hervorging, im Bauwesen<br />
Gestaltungskraft mit moderner Technik zu verschmelzen.<br />
Jahre nach Bastian und Ludwig Binders Wendelstein überformte der<br />
preußisch-spätbarocke Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff<br />
Süd- und Ostflügel zu einem stolzen Residenzschloss. Die Steinlinie<br />
im Hof des <strong>Dessau</strong>er Schlosses markiert den Umriss der im Krieg<br />
verlorenen Knobelsdorffschen Schlossflügel. Und auch der Festsaal<br />
im Binderbau überlebt als Abbild in Cranachs „Abendmahl“, das in St.<br />
Johannis zu sehen ist. An Ort und Stelle bleibt uns der übriggebliebene<br />
Johannbau mit seinen neuen gewichtigen Stahlbetondecken<br />
und dem Glasaufzug, mit dem jedermann die komprimierte Stadtgeschichte<br />
mit Kunst, <strong>Architektur</strong>, Technik, Natur und Service erreichen<br />
kann.<br />
Johannbau, Marienkirche, Rathausturm<br />
Das <strong>Dessau</strong>er Schloss steht trotz Verlust seiner großen Baumasse<br />
in der ersten Reihe der askanischen Geschwisterschlösser in <strong>Anhalt</strong>.<br />
Diese prägen die Stadtbilder von Ballenstedt am Harz, von Bernburg<br />
über der Saale als „Krone <strong>Anhalt</strong>s“, in Johann Sebastian Bachs Köthen<br />
und als Ruinenrest in Zerbst. Auch in Coswig und in Dornburg an der<br />
Elbe ebenso wie in Plötzkau dominieren sie die Silhouette. In Biendorf<br />
unweit von Bernburg hat unlängst ein freundlicher Niederländer<br />
die Schlossanlage gekauft und seine siebenundfünfzigtausend Stück<br />
zählende Fingerhutsammlung eingerichtet.<br />
„Schloss“ hatte ursprünglich und im Wortsinn nur die Bedeutung als<br />
Vorrichtung zum Schließen. Im 13. Jahrhundert fand das Wort seine<br />
Verwendung auch für Absperrungen von Straßen oder für Burgen,<br />
die etwas abschließen, ein Tal abschließen. Und später für prachtvolle<br />
Fürsten- und Herrensitze, die zu „<strong>Architektur</strong>“ aufstiegen und nicht<br />
mehr zur Verteidigung der Insassen dienen mussten. Ein Schloss ist<br />
der Wohnsitz des Fürsten, der andere ausschließt von seiner Ein-<br />
Herrschaft, Synonym für dessen unantastbares und vererbbares Eigentum.<br />
Heute wird „Schloss“ allgemein für repräsentative Wohnsitze<br />
oder überhaupt für ein wunderbares Gebäude verwandt.<br />
Der Fürst von <strong>Anhalt</strong>, Leopold III. Friedrich Franz von <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong><br />
wusste, was er an seinem Architekten Friedrich Wilhelm Freiherr von<br />
Erdmannsdorff hatte, seinem Freund und Reisebegleiter durch halb<br />
Europa. Die bedeutendsten Bauten im <strong>Dessau</strong>-Wörlitzer Gartenreich<br />
entstammen seinem Genie: Beim Wörlitzer Schlossbau, dem Wörlitzer<br />
Landhaus, ahnt man die Weltgeltung des Franzschen <strong>Anhalt</strong>-<br />
<strong>Dessau</strong>, wenn man erfährt, dass die Gartenseite des etwas später<br />
errichteten Weißen Hauses in Washington ein Abbild des Wörlitzer<br />
Schlosses ist. Die Tradition, fürstliche Weitsicht mit herrschaftlichem<br />
Vergnügen zu verbinden, sichtbar als Belvedere auf dem Dach, war<br />
ein Lieblingsmotiv Erdmannsdorffs; solches lebt weiter beispielswei-<br />
16 17
Schloss Wörlitz<br />
Schloss Mosigkau<br />
se mit der Glaskuppel auf dem ehemaligen Reichstagsgebäude in<br />
Berlin, dem Sitz des Deutschen Bundestages (Architekt Lord Norman<br />
Foster, 1999). Auch das Luisium ist ein „Landhaus“, vom Fürsten und<br />
Erdmannsdorf für die Fürstin geplant, ein elegantes einfaches Gebäude,<br />
ein Würfel inmitten gestylter Natur, innen lückenlos über alle<br />
Wände und Decken klassisch dekoriert, eine wohlgeordnete Fülle der<br />
Anschauung, Kopien aus der antiken Welt und in Rahmen gefasste<br />
Reiseerinnerungen, ein Nachschlagewerk für allerfeinste Sentimentalitäten.<br />
Der Fürst wollte – im Sinne der Aufklärung – die Schlösser aufschließen.<br />
Aufklären ist die immerwährende Konditionierung des Menschen,<br />
um erkennen zu können, was sich aus einer eigenen Handlung<br />
für die ganze Menschheit ergeben würde. Deshalb war es damals wie<br />
heute möglich, im Schloss Wörlitz herumzugehen, lernend Kunstschätze<br />
ausgebreitet und arrangiert zu finden und frei spazierend in<br />
den Gartenanlagen schöne Bildwerke und Sprüche wahrzunehmen,<br />
Bildergalerien, <strong>Architektur</strong>en und andere nützliche Werke zu studieren.<br />
Auch so befohlen im Luisium, dem Privatsitz der fürstlichen Gemahlin<br />
Luise! Das wollte dieser allerdings nicht so sehr gefallen.<br />
Vom Besten, was in Freundschaft und geistiger Gemeinsamkeit von<br />
gebildeter Bauherrschaft und ebensolchem Architekten entstand,<br />
ist noch zu nennen das Georgium (Mittelbau 1781, später Anbauten,<br />
jetzt <strong>Anhalt</strong>ische Gemäldegalerie), die vielen kleinen <strong>Architektur</strong>en in<br />
den Parks, die Stadtpaläste – alles in einem gänzlich einfachen Stil.<br />
Sogar die zeitfernen Nachahmungen der sozialistischen <strong>Architektur</strong>en<br />
der 1950-er Jahre in <strong>Dessau</strong> beziehen sich auf Erdmannsdorff.<br />
Der baugeschichtliche Reichtum <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong>s ist vor dem Wirken<br />
des Meisters des Klassizismus schon angelegt: Oranienbaum, 1698 im<br />
holländisch-barocken Stil (für die Fürstgemahlin Henriette Katharina<br />
aus dem Hause Oranien) von Cornelis Ryckwaert samt dazugehöriger<br />
Kleinstadt; das Schloss Mosigkau 1757 im Stil des Rokoko (für die Prinzessin<br />
Anna Wilhelmine) von Christian Friedrich Damm; das barocke<br />
Wohnschloss in Großkühnau, 1754 auch von Damm. Das Treppenhaus<br />
und der Gartensaal sind nach Erdmannsdorff´schem Entwurf später<br />
umgebaut worden. Das Alter adelt die Bauwerke, wenn sie vom Unfug<br />
der Zeiten verschont bleiben.<br />
<strong>Dessau</strong>er Türme: Aus allen Zufahrtsrichtungen erlebt man ihre Konstellationen:<br />
die Wassertürme, der schlanke Rathausturm (1901, Neurenaissance,<br />
Reinhardt & Süßenguth), die Kirchen St. Petrus (1902,<br />
neuromanisch, Gustav Teichmüller), die katholische Kirche St. Peter<br />
und Paul (1857, neugotisch, Vinzenz Statz), St. Johannis (1697, holländisch<br />
barock, Martin Grünberg), St. Marien (Ludwig Binder 1554), St.<br />
Georg (1717, holländisch barock, vormals reformierte Rundkirche, Portikus<br />
klassizistisch, Ignaz Pozzi, 1966 moderne Empore), Paulus (1992,<br />
neufrühgotisch, Johannes Otzen), in Wörlitz die reich ausgestattete<br />
neogotische Backsteinkirche St. Petri (Georg Christoph Hesekiel,<br />
1809), die Dorfkirchen in Riesigk und in Vockerode, in Mosigkau die<br />
doppeltürmige Martin-Luther-Kirche (Hesekiel, engl. neogotisch), in<br />
Oranienbaum die – wie das Schloss – holländisch geprägte Stadtkirche,<br />
in Großkühnau die neoromanisch empfundene Kirche von Carlo<br />
Ignazio Pozzi (1829). Vom Luisium führt eine Sichtschneise zur Jonitzer<br />
Kirche mit dem eigenartigen Obelisken obenauf und der Grablege<br />
von Franz und Luise darunter, unweit posiert in Mildensee der „Turm<br />
der Winde“, einst Napoleon gewidmet. Türme auf Post, Amtsgericht,<br />
Sparkasse und den Straßenecken von <strong>Dessau</strong> Nord!<br />
Wem ist denn der italienische Turm an der Museumskreuzung zu<br />
verdanken? Dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Fürstlichen<br />
Hofkammer 1844. Das bescheidene Leopolddankstift von 1740 für<br />
Kriegsinvaliden kam zu einem Turmreplikat des Klosters St. Spirito<br />
bei Rom, jetzt der unübersehbare Eingangsbau für das Museum für<br />
Naturkunde und Vorgeschichte, das seit 1927 hier eingerichtet ist.<br />
<strong>Dessau</strong>er Glocken: Jeden 7. März erinnert das große Stadtgeläut an<br />
das nächtliche, verheerende Bombardement 1945 auf die Innenstadt<br />
der Deutschen Waffenschmiede. Die Friedensglocke neben dem stolzen<br />
Rathaus wird mit einem cis‘ für „Frieden und Freiheit“ am Tag<br />
der deutschen Einheit (Bild S. 25) angeschlagen. Sie erhält die Vernichtung<br />
der Kampfgruppenwaffen im Januar 1990 durch beherzte<br />
<strong>Dessau</strong>er Bürger im Gedächtnis. Der Waffenschrott wurde im Sinne<br />
der biblischen Botschaft „Schwerter zu Pflugscharen“ im Guss eingeschmolzen.<br />
Neben dem Glockenstuhl trifft man sich auch ganz<br />
privat zur Verabredung. Dort hört man täglich 9 - 12 - 15 - 18 Uhr das<br />
Glockenspiel vom Rathausturm bimmeln: „So leben wir, so leben<br />
wir, so leb´n wir alle Tage ...“, den geliebten <strong>Dessau</strong>er Marsch.<br />
18 19
Historischer Friedhof<br />
Neuer Begräbnisplatz<br />
Palais Dietrich (Philanthropinum)<br />
Als Friedrich Hölderlin 1795 nach <strong>Dessau</strong> kam, besuchte er zuerst<br />
den Friedhof. Und war beeindruckt. Denn der Neue Begräbnisplatz,<br />
wie es korrekt heißen muss, verdankt Form und Verfassung der Aufklärung.<br />
<strong>Dessau</strong>s größter Baumeister dieser Zeit, Friedrich Wilhelm<br />
von Erdmannsdorff, schuf zwischen 1787 und 1789 einen Hain der<br />
letzten Ruhe, auf dem der Gleichheitsgrundsatz herrschte. Und so<br />
liegen unterm Rasen im „Grab der Namenlosen“ Berühmte und Namenlose,<br />
Kaufleute und Tagediebe, Regierungsbeamte und Nachtwächter.<br />
Erdmannsdorff gliederte den Friedhof streng symmetrisch<br />
auf einer quadratischen Grundfläche durch gekreuzte Wege, die ein<br />
Mittelrondell durchschneiden. Doch die Idee eines Begräbnisplatzes<br />
für alle hielt nicht lang und Erdmannsdorff musste einsehen,<br />
dass die Standesunterschiede doch manifester waren als von ihm<br />
gedacht. Die Gräber bekamen wieder Namen und auch der Trend<br />
zu Gruft oder zum Mausoleum war nicht mehr zu stoppen. Als einer<br />
der ersten kommunalen Friedhöfe außerhalb der Kirchenäcker galt<br />
er als perfekter Ort für die ewige Ruhe. Und so finden sich hier u. a.<br />
die Gräber von Erdmannsdorff (mit Epitaph), des Bildungsrevolutionärs<br />
Basedow, des Liedschreibers Wilhelm Müller („Das Wandern<br />
ist des Müllers Lust“, „Am Brunnen vor dem Tore“). Noch immer übt<br />
der Neue Begräbnisplatz mit seiner Erdmannsdorff´schen „Revolutionsarchitektur“<br />
eine durchaus unbeschwerte Faszination aus, was<br />
sicherlich auch an der freidenkerischen Aufschrift über dem Torbogen<br />
liegt: „Tod ist nicht Tod, ist nur Veredlung sterblicher Natur!“<br />
In der eleganten Sprache des zurückhaltenden Barock präsentiert<br />
sich das Palais Dietrich in der Zerbster Straße. Es ist eines der wenigen<br />
Häuser der historischen Innenstadt, die die Bombardierung<br />
<strong>Dessau</strong>s am Ende des Zweiten Weltkrieges unbeschadet überstanden<br />
haben. Fürst Leopold I. von <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong> hatte diese feine<br />
Stadtresidenz zwischen 1747 und 1752 für seinen jüngsten Sohn Dietrich<br />
errichten lassen. In die Geschichte ging es aber als Heimstätte<br />
des Philanthropinums und damit einer Bastion der Aufklärung ein.<br />
Johann Bernhard Basedow hatte 1774 eine „Schule der Menschenfreundschaft“<br />
gegründet, die nur drei Jahre später hierhin umzog.<br />
Das Philanthropinum wurde zu einem frühen Experimentierfeld für<br />
eine Pädagogik, die mit modernen Bildungsprogrammen auf die<br />
Anforderungen der Zeit reagieren wollte. Ziel war es, eine natürliche,<br />
kindgerechte Erziehung zu erreichen, die eine Unterweisung in<br />
den Naturwissenschaften ebenso vorsah wie Körperertüchtigung<br />
und Handwerk. Die allseits gebildete Persönlichkeit, hier wurde sie<br />
erstmals erzogen. Das Philanthropinum wurde so bekannt, dass<br />
sich die großen Persönlichkeiten der Aufklärung – von Gleim bis<br />
Kant – zu diesem Bildungsmodell bekannten. Bis 1793 währte das<br />
Bildungsexperiment, dann sanken die Schülerzahlen dramatisch<br />
und Basedow zog sich auch in Ermangelung weiterer finanzieller<br />
Unterstützung durch den Fürsten zurück. Wie maßstabsetzend die<br />
Schule war, lässt sich noch heute in der Wissenschaftlichen Bibliothek<br />
der <strong>Anhalt</strong>ischen Landesbücherei erfahren, die im Palais Dietrich<br />
ihren Sitz hat und neben bedeutenden historischen Beständen,<br />
wie mittelalterlichen Handschriften, Inkunabeln, Sammlungen der<br />
Reformationszeit und der Aufklärung auch den Nachlass des Philanthropinums<br />
bewahrt.<br />
Chaponstraße | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
Wissenschaftliche Bibliothek Zerbster Straße 35 | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
20 21
Kleinarchitekturen<br />
„Sieben Säulen“<br />
Das Georgium ist sozusagen der Korridor des Gartenreiches. Als<br />
sich Prinz Johann Georg, der jüngere Bruder des legendären Fürsten<br />
Franz, 1780 anschickte, <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong> eine landschaftliche<br />
Verschönerung zu bescheren und aus den Resten eines sumpfigen<br />
Auenwaldes einen Park formte, tat er das ähnlich englisch, klassizistisch<br />
und romantisierend wie in Wörlitz. Auch die Italien-Sehnsucht<br />
kam hier zum Tragen. Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff ging<br />
dem Prinzen zur Hand und schuf das Schloss Georgium, das freilich<br />
nur Landhaus genannt wird und heute die <strong>Anhalt</strong>ische Gemäldegalerie<br />
beherbergt. Im weitläufigen Park findet sich überdies charmante<br />
Kleinarchitektur, die ebenfalls die stilsichere Handschrift des<br />
Baumeisters trägt und von der hier ausschließlich die Rede sein soll.<br />
Am bekanntesten sind sicher die Sieben Säulen. Natürlich sind es<br />
in Wahrheit acht, aber eine Säule hat sich so raffiniert versteckt,<br />
dass sie von Ferne beim Abzählen zu übersehen ist und dem Stückchen<br />
Rom in <strong>Dessau</strong> den Namen gab. Der Prinz hatte die Trümmer<br />
der Vorhalle eines römischen Saturntempels auf einer Italien-Reise<br />
am Forum Romanum entdeckt, kam davon nicht los und ließ sie<br />
schließlich – in verkleinerter Form – einfach abkupfern. Eine gute<br />
Vorlage besitzt auch der Triumphbogen, der dem Drususbogen in<br />
Rom nachempfunden wurde. Während droben Schafe und Ziegen<br />
über die Brücke getrieben wurden, bot der Bogen unten die perfekte<br />
Kulisse für fürstliche Standbilder. Einst stand hier Fürst Franz<br />
sogar als römischer Gelehrter, davon blieb aber nur ein Sockel übrig.<br />
Eine Lobpreisung der Antike verbunden mit englischer Gartenkunst<br />
symbolisiert der Ionische Tempel. Der zehnsäulige Monopteros<br />
geht natürlich auch auf Erdmannsdorff zurück, der den Bau wie<br />
eine Art Panoramafenster verstand. Auf einem leicht ansteigenden<br />
Rasenhügel steht er in strahlendem Weiß, bildet so etwas wie ein<br />
Zentrum des Sehens und gibt den Blick frei auf das Schloss und die<br />
Sieben Säulen. Weit sollte man einst in den Park hinein schauen,<br />
zwischen zwei Säulen sollte jeweils ein neues Bild entstehen. Das<br />
Bauwesen des 20. Jahrhunderts freilich gestattet solche Blicke in<br />
die Umgebung heute nur noch eingeschränkt. Dennoch lohnt der<br />
Weg zum Tempel, denn hier wird klar, wie die einzelnen Teile des<br />
Ionischer Tempel<br />
Parks miteinander verwoben waren. Eichen säumen den Weg zum<br />
Vasenhaus, das um 1785 entstand und auch von Erdmannsdorff<br />
gezeichnet wurde. Seinen Namen verdankt der kleine Pavillon in<br />
gebrochenem Weiß seiner etwas exzentrischen Dachverkleidung<br />
– der Baumeister bekrönt die Gartenstaffage mit zehn Vasen. Weiter<br />
nördlich, direkt an der Elbe, liegt die winzig kleine, mittelalterlich<br />
anmutende Wallwitzburg, die aber von 1790 stammt und von<br />
jungen <strong>Dessau</strong>ern wieder aufgebaut wird. Von hier hat man einen<br />
herrlichen Blick über die Elbauen bis nach Roßlau. Mehr als einen<br />
beruhigenden Blick in die Landschaft sollte der Erdmannsdorff-Bau<br />
schon zu seiner Entstehungszeit nicht leisten. Kerkerdienste verrichtete<br />
die verzwergte Burg nicht. Praktisch, erholsam und anregend<br />
gleichermaßen sollte auch der Amaliensitz wirken. Das hellgelbe<br />
Wetterhäuschen mit einer Prise Palladio, das auch Erdmannsdorff<br />
entwarf, bezieht sich auf ein heute nicht mehr existentes Gebäude<br />
in Stourhead in Wiltshire. Benannt nach der Schwiegertochter<br />
des Fürsten Franz, Christiane Amalie, beschützte es zu allen Zeiten<br />
Wanderer, die nach Großkühnau unterwegs waren und vom Unwetter<br />
überrascht wurden.<br />
Mein Tipp: Baukunst von Erdmannsdorff<br />
Wenn von architektonischen Innovationen die Rede ist,<br />
die von <strong>Dessau</strong> die Welt eroberten, denkt jeder nur ans<br />
Bauhaus. Doch mit dem Frühklassizismus des Friedrich<br />
Wilhelm von Erdmannsdorff begann bereits 170 Jahre<br />
zuvor in <strong>Dessau</strong> ein neues Kapitel in der <strong>Architektur</strong>geschichte,<br />
das von Gilly und Schinkel später weitergeschrieben<br />
wurde. Fast das gesamte Werk Erdmannsdorff<br />
steht in <strong>Dessau</strong> und Wörlitz. Nicht nur seine berühmten<br />
Schlösser, Wohnhäuser und Kulturbauten gibt es hier zu<br />
entdecken. Einen besonderen Reiz haben die Kleinarchitekturen,<br />
die überall in den arkadischen Landschaften zu<br />
finden sind. Am besten, man fährt mit dem Fahrrad auf<br />
den Wegen des Gartenreichs und stößt dann immer wieder<br />
überraschend auf kleine Tempel, Deichwärterhäuser,<br />
beschauliche Tempel, Rastplätze und Folien verschiedenster<br />
Art. An heißen Tagen sollte man die Badehose<br />
nicht vergessen, dann kann man sich in einem der vielen<br />
Badeseen abkühlen.<br />
Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong><br />
22 23
Rathausturm und Friedensglocke,<br />
Platz der Deutschen Einheit<br />
Stahllamellen der Rundbogenhalle (1929, Patent Hugo Junkers, 1924), Altener Straße<br />
Junkers und andere Baumeister der Moderne<br />
Der Flugpionier Hugo Junkers ist in <strong>Dessau</strong> immer noch eine Legende,<br />
seine Bedeutung für die Luftfahrtgeschichte wird immer wieder<br />
gewürdigt. Wenige aber wissen, dass er mit seinen fliegenden Kisten<br />
nicht ausgelastet war und sich auch Gedanken um den industriellen<br />
Hausbau machte. Junkers hielt anders als Gropius Metall statt<br />
Beton und Stein für den Baustoff der Zukunft. Er entwarf Prototypen,<br />
die sich allerdings nicht durchsetzten. Und dennoch hat das Baubüro<br />
Junkers mit einer Rundbogenhalle aus einer Stahllamellenkonstruktion<br />
eine Idee umgesetzt, die später überall auf der Welt Nachahmer<br />
fand. Zu besichtigen ist sie heute noch auf dem ehemaligen<br />
Junkalor-Gelände.<br />
Ein anderer Architekt, der moderne Spuren in <strong>Dessau</strong> hinterließ, ist Karl<br />
Overhoff. Von ihm stammt das Druckerei- und Redaktionsgebäude für<br />
das „Volksblatt für <strong>Anhalt</strong>“. 1931 in einer dem Bauhaus verwandten Formensprache<br />
realisiert, beheimatete das Gebäude nur kurz das Organ<br />
der sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Die Nazis stürmten das Haus,<br />
um eigene Blätter zu drucken. Nach dem Krieg zog hier die Bezirkszeitung<br />
„Freiheit“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands<br />
(SED) ein. Gedruckt wird noch immer, allerdings demokratischer.<br />
Versteckt und wenig bekannt sind mit Haus Hahn und Haus Naurath<br />
im Ortsteil Ziebigk zwei frühe Werke des Bauhäuslers Richard Paulick.<br />
Nur einen Steinwurf davon entfernt liegt das Wohnhaus, das sich<br />
der Architekt Friedrich Engemann zu Beginn der Dreißigerjahre baute<br />
und das auf den ersten Blick gar nicht wirkt, als sei es aus dem Geist<br />
des Bauhauses entstanden. Doch Engemann lehrte genau dort.<br />
Druckerei- und Redaktionsgebäude (Karl Overhoff, 1931), Askanische Straße<br />
24 25
Vom Schwabehaus zum Johannbau – ein Stadtgang<br />
St. Johannis<br />
in der Kavalierstraße, am Stadtpark<br />
Ein Spaziergang durch <strong>Dessau</strong> beginnt immer mit einer Erklärung.<br />
Der einstigen Residenzstadt, das Silicon Valley der Zwanzigerjahre,<br />
ist von der Geschichte übel mitgespielt worden. Im Zweiten Weltkrieg<br />
wurde die Stadt zu achtzig Prozent zerstört, weil hier die Junkers-Flugzeugwerke<br />
und die Schwerindustrie zu Hause waren. Der<br />
Wiederaufbau folgte den Zielen einer sozialistischen Stadt und die<br />
Nachwendezeit steuerte architektonischen Abklatsch bei. Und doch<br />
lässt sich in der Stadt mit einer jahrhundertealten Avantgardegeschichte<br />
viel entdecken. Wir nehmen den Stadtausgang des Hauptbahnhofs<br />
und laufen geradeaus am „Fürst-Leopold-Carré“ vorbei<br />
und biegen dann nach links ab. Nach wenigen Metern stehen wir in<br />
der Johannisstraße und damit in einem der ältesten Viertel <strong>Dessau</strong>s.<br />
Das Schwabehaus, ein Fachwerktraum aus der ersten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts, wurde in den Neunzigerjahren durch Bürgersinn dem<br />
Verfall entrissen und wieder instandgesetzt. Heute ist es ein Haus<br />
von Bürgern für Bürger. Es empfiehlt sich, eine Erfrischung im Innenhof<br />
mit seinen schönen, hölzernen Laubengängen zu nehmen. Und<br />
natürlich sei die kleine Ausstellung über den früheren Besitzer und<br />
Namensgeber Samuel Heinrich Schwabe (1789-1875) empfohlen, der<br />
ein großer Astronom und Botaniker war. Der Weg führt weiter durch<br />
das alte Johannisviertel – rechts grüßt die Gründerzeit, links schaut<br />
der „nationale Stil“ der Fünfzigerjahre um die Ecke. Gegenüber der<br />
spätbarocken, klassizistisch aufgeladenen St. Johanniskirche, die im<br />
Jahr 1702 geweiht wurde, um den zugezogenen Lutheranern eine<br />
Heimstatt zu geben, liegt das fein sanierte Palais Minckwitz. Hinter<br />
der rosafarbenen Fassade verbirgt sich das letzte kleine Barockpalais<br />
<strong>Dessau</strong>s, das einst dem Hofbildhauer und Schadow-Schüler Hunold<br />
gehörte. Wir biegen dann nach links ab und überqueren die Kavalierstraße,<br />
um in die Nantegasse zu gelangen. Gegenüber einem Neubau<br />
für die IHK im eleganten Weiß liegen die Reste der einstigen Schade-<br />
Brauerei aus dem 19. Jahrhundert. Im ehemaligen Sudhaus befindet<br />
sich heute ein Brauhaus. Nach einer kurzen Rast lassen wir die Destille<br />
rechterhand liegen und gelangen durch einen Durchgang zur<br />
Zerbster Straße, einem Boulevard mit Zentrumscharakter. Die Fünfzigerjahre<br />
und eine offenkundige Rückbesinnung auf Heimatliches<br />
haben den Häusern mit ihren kleinen Fachwerkerkern ihr Gepräge<br />
gegeben. <strong>Dessau</strong>er Künstler versahen die Mauerwerksflächen mit<br />
„lebensbejahenden Motiven“. Die Neubauten treten etwas zurück,<br />
um dem Pfeifferhaus mit seinem schönen Portal von 1691 den großen<br />
Auftritt zu gönnen. Wir gehen weiter und durchqueren links den<br />
Innenhof des Rathauses, um dann in den Achtzigerjahren anzukommen.<br />
Ein Plattenbau mit einer <strong>Dessau</strong>er Besonderheit – haubenartigen<br />
Loggien – empfängt das Auge in der Schlossstraße. Weiter geht<br />
es in Richtung Schlossplatz, plötzlich stehen wir vor dem Johannbau.<br />
Bis zum 7. März 1945 stand hier das dreiflügelige Residenzschloss. Von<br />
der Bombardierung am Ende des Krieges blieb nur der Westflügel,<br />
der sogenannte Johannbau (Renaissance) mit seinem herrlichen Giebel,<br />
stehen. Hier ist heute das Museum für Stadtgeschichte untergebracht.<br />
Eine Spur der Steine zeichnet die ursprüngliche Kubatur des<br />
Schlosses nach und doch lässt sich nur noch wenig von der einstigen<br />
Pracht erahnen. Kurzer Blick hinüber zur Muldeaue, dann weiter in<br />
Richtung Askanische Straße. Hier befand sich einst das Jüdische Viertel<br />
<strong>Dessau</strong>s. Der große Philosoph der Aufklärung, Moses Mendelssohn,<br />
wurde hier 1729 geboren. Der Blick bleibt an einem schlichten,<br />
zweigeschossigen Bau mit einem klassizistischen Portal und einem<br />
Türmchen auf dem Dach hängen: das Kantorhaus. Hier lebten die<br />
Rabbiner und Kantoren der Jüdischen Gemeinde, nebenan stand die<br />
Alte Synagoge, die die Nationalsozialisten in der Pogromnacht 1938<br />
zerstörten. Das Kantorhaus blieb stehen und ist heute Sitz der Jüdischen<br />
Gemeinde <strong>Dessau</strong>. Eine Tafel am Haus erinnert noch an einen<br />
anderen großen <strong>Dessau</strong>er: Kurt Weill. Der weltberühmte Komponist<br />
wuchs hier auf, weil sein Vater Kantor war. Zurück geht es über die<br />
Friedrich-Naumann-Straße, wo wir vorbei am heutigen Gymnasium<br />
Philanthropinum die Kavalierstraße kreuzen und quer durch<br />
den Stadtpark laufen, vorbei an den einmaligen Hochhäusern auf<br />
Y-Grundriss, um schließlich in der Antoinettenstraße anzukommen:<br />
Ein Karree im Neoklassizismus der Fünfzigerjahre. Es ist so, als hätte<br />
die Berliner Karl-Marx-Allee hier einen kleinen Ableger. Über den<br />
Friedensplatz, vorbei am <strong>Anhalt</strong>ischen Theater, kommen wir dort an,<br />
wo wir vor gut zwei Stunden losgelaufen waren: am Hauptbahnhof.<br />
Dass die Fassade an die Farben der Toskana erinnert, war uns beim<br />
Loslaufen gar nicht aufgefallen.<br />
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„Bau auf, bau auf ...“ Eine Tour zur DDR-<strong>Architektur</strong><br />
Die <strong>Dessau</strong>er Innenstadt ist auch geprägt durch die gebaute Hinterlassenschaft<br />
der DDR. Bei genauerem Hinsehen ist hier gar ein steingewordenes<br />
Lexikon des Städtebaus und der <strong>Architektur</strong> jener Epoche<br />
zu finden. Im Zweiten Weltkrieg fast flächendeckend zerstört, sollte<br />
<strong>Dessau</strong> als sozialistische Großstadt wieder aufgebaut werden. In den<br />
Anfangsjahren wurden ganze Straßenzüge mit klassizistischen Stilelementen<br />
gestaltet („National in der Form, sozialistisch im Inhalt“). Zunehmend<br />
wechselte das Leitbild zur aufgelockerten „Stadt im Grünen“<br />
mit oft als Versuchsbauten ausgeführten „städtebaulichen Dominanten“<br />
um den unvollendeten zentralen Platz und den Stadtpark.<br />
Das Reisewerk StattReisen <strong>Dessau</strong> bietet Führungen zur überraschend<br />
vielfältigen DDR-Nachkriegsarchitektur an und hat den Titel einem<br />
alten Propagandalied entliehen: „Bau auf, bau auf“. Das Wechselspiel<br />
zwischen sorgsam recherchierten, oft ambitionierten städtebaulichen<br />
Entwürfen und real umgesetzten Fragmenten macht den Rundgang<br />
zu einem spannenden zeitgeschichtlichen Exkurs. „Bau auf, bau auf“<br />
dauert 120 Minuten, wird zwei Mal im Jahr im öffentlichen Programm<br />
angeboten und ist auch für Gruppen buchbar. www.reisewerk.de<br />
Bildnachweis<br />
© Kulturstiftung <strong>Dessau</strong>Wörlitz, Bildarchiv, Heinz Fräßdorf S. 23 o.<br />
© Christoph Petras, Berlin Umschlag, S. 3, 5, 6, 7, 10, 11 u. re., 12/13, 19, 20, 24 u., 26, 27<br />
© Thomas Ruttke, <strong>Dessau</strong> S. 15 u. re.; U. Knebler S. 21; Florian Krause, <strong>Dessau</strong> S. 28<br />
Anne Sommer, Dieter Bankert, <strong>Dessau</strong> S. 2, 8/9, 11 o., 11 u. li., 14/15 o., 16/17, 18, 22, 24 o., 25<br />
Foto: Jo Schück S. 4; Foto: Philipp Oswalt S. 23<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: Stadt <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />
Konzept und Gestaltung: bankertsommer ARCHITEKTEN<br />
Text: Ingolf Kern, außer S. 16-19: Dieter Bankert, S 28: Guido Fackiner<br />
Redaktion: Christin Irrgang, Ingolf Kern, Jutta Stein<br />
Fotografie: Christoph Petras<br />
Fachliche Beratung: AK „Aufklärung und Moderne“ des TourismusRegion <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong>-<strong>Wittenberg</strong> e.V.<br />
(Stadt <strong>Dessau</strong>-Roßlau, Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong>, Kulturstiftung <strong>Dessau</strong>Wörlitz, Reisewerk StattReisen <strong>Dessau</strong>)<br />
Druck: DRUCKWERK, Talstraße 7-8 | 06120 Halle<br />
1. Auflage November 2012