29.12.2013 Aufrufe

Architektur - Tourismusregion Anhalt-Dessau-Wittenberg

Architektur - Tourismusregion Anhalt-Dessau-Wittenberg

Architektur - Tourismusregion Anhalt-Dessau-Wittenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!

Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.

ENTDECKEN<br />

ARCHITEKTUR<br />

Stadt <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

Amt für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Marketing<br />

Reisebegleiter für <strong>Dessau</strong> und Umgebung


GOSLAR BERNBURG KÖTHEN AKEN ELBE ZERBST MAGDEBURG<br />

HALLE LEIPZIG<br />

DESSAU<br />

DESSAU SÜD<br />

ROSSLAU<br />

Burg<br />

Grosskühnau<br />

Luisium<br />

Georgium<br />

Mildensee<br />

Mosigkau<br />

F L Ä M I N G<br />

Klieken<br />

VOCKERODE<br />

Waldersee<br />

DESSAU OST<br />

M Ü N C H E N A 9 BITTERFELD- WOLFEN GOITZSCHE MULDE RAGUHN JESSNITZ ALTJESSNITZ<br />

ORANIENBAUM<br />

A 9 B E R L I N<br />

COSWIG<br />

COSWIG<br />

Buro<br />

FERROPOLIS<br />

WÖRLITZ<br />

GRÄFENHAINICHEN<br />

WITTENBERG<br />

DÜBENER HEIDE<br />

„ ... die produktionssteigernde Wirkung einer Bildungseinrichtung<br />

[kann] mittelbar, wenn auch nicht immer exakt<br />

nachweisbar, an anderer Stelle zum Ausdruck kommen. Es<br />

ist also zu fragen, ob die Verwirklichung des neuen Bauhaus-Gedankens<br />

für <strong>Dessau</strong> und für <strong>Anhalt</strong> einer wesentlichen<br />

und ideellen Produktionssteigerung entspricht. Diese<br />

Frage aber ist zweifelslos zu bejahen.“<br />

[Prof. Theodor Blum, Leiter der <strong>Dessau</strong>er Volkshochschule<br />

im ‚<strong>Anhalt</strong>er Anzeiger‘ 1925]


Von Erdmannsdorff zum Bauhaus<br />

Renaissance, Aufklärung und Moderne<br />

<strong>Dessau</strong> war über Jahrhunderte ein Schauplatz der Avantgarde.<br />

Bedeutende Bauten aus der Zeit der Renaissance, des Barock, des<br />

Klassizismus und der Moderne künden noch heute davon. Die Geburtsstätte<br />

der klassizistischen <strong>Architektur</strong> auf dem europäischen<br />

Festland ist mit dem Namen des Baumeisters Friedrich Wilhelm<br />

von Erdmannsdorff verbunden, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

im Dienst des Fürsten Franz stand und der neben den Wörlitzer<br />

Bauten auch im Luisium, Georgium und in der Innenstadt Spuren<br />

seines Schaffens hinterließ.<br />

Als 1925 das Bauhaus von Weimar nach <strong>Dessau</strong> übersiedelte,<br />

traf es auf eine Stadt des kulturellen Aufbruchs. Walter Gropius,<br />

Hannes Meyer, Carl Fieger und Richard Paulick machten <strong>Dessau</strong> zu<br />

der einzigartigen Stadt der Bauhausarchitektur. Nirgendwo sonst<br />

lässt sich das Bauhaus in seiner ganzen Vielfalt erfahren. Nachdem<br />

<strong>Dessau</strong> im März 1945 zu achtzig Prozent zerstört wurde, sollte<br />

eine moderne sozialistische Stadt mit Vorbildcharakter entstehen.<br />

So liegen in <strong>Dessau</strong> architektonische Zeitschichten wie Flöze übereinander.<br />

Das Heft möchte zu einem Spaziergang durch die gebaute<br />

Stadtgeschichte anregen.<br />

Seite<br />

Bauhaus <strong>Dessau</strong> 2<br />

Kulinarischer Tipp: Klub im Bauhaus<br />

Meisterhäuser 6<br />

Kornhaus 8<br />

Siedlung Törten; Tipp: Haus Anton 10<br />

Arbeitsamt 12<br />

Umweltbundesamt 14<br />

Schlösser 16<br />

Historischer Friedhof 20<br />

Palais Dietrich 21<br />

Kleinarchitekturen 22<br />

Mein Tipp: Baukunst von Erdmannsdorff<br />

Junkers als Baumeister; Bauten der Moderne 24<br />

„Stadtgang“ 26<br />

Aktivtipp: DDR-<strong>Architektur</strong> in der Innenstadt 28


Bauhaus <strong>Dessau</strong><br />

Bauhaus (Walter Gropius, 1925/26)<br />

Wer vom Bahnhof den Westausgang nimmt, steht nach einigen<br />

Schritten vor einem markanten, weißen Haus mit kleinen Balkonen,<br />

die herausgezogen scheinen wie Küchenschütten. Der vierstöckige<br />

Quader gehört zur Stadtseite des Bauhauses und darf als<br />

eines der ersten Studentenwohnheime in Deutschland gelten. Als<br />

Walter Gropius 1926 sein mehrflügeliges <strong>Architektur</strong>wunder in den<br />

anhaltischen Acker stellte, dachte er auch daran, dass die Bauhausstudenten<br />

als erste in den Genuss des Neuen Wohnens kommen<br />

sollten. 20 Quadratmeter Wohnfläche, fließend warmes und kaltes<br />

Wasser, Möbel von Marcel Breuer und eine eigens von Gunta Stölzl<br />

gewebte Tagesdecke, das war für damalige Verhältnisse unvorstellbarer<br />

Luxus. Heute stehen die früheren Studentenzimmer den<br />

Gästen der Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong> zur Verfügung. Die FAZ nannte<br />

sie „Mönchszellen der minimalistischen Ästhetik“, weil es außer<br />

Bett, Schrank, Schreibtisch und zwei Freischwingern nichts gibt,<br />

was den klaren Gedanken stören würde. „Und trotzdem schwelgt<br />

man im Luxus der Überflussbefreiung, der Reduktion, der Helligkeit,<br />

der Klarheit. Man schläft sehr gut ohne Ballast und würde sich das<br />

Studentenzimmer am liebsten gleich einpacken lassen“, schreibt<br />

die Zeitung weiter. Und vielleicht auch ein paar Geschichten, denn<br />

auf den Balkonen, der Dachterrasse, in den Teeküchen und Gemeinschaftsbalkonen<br />

zeigte sich das Bauhaus von seiner vergnüglichen<br />

Seite. Hier wurde getanzt und gekocht, geturnt und gesungen,<br />

wenn die Arbeit in den Werkstätten getan war. Morgens gibt es<br />

in ganz <strong>Dessau</strong> keinen schöneren Ort, als die Bauhaus-Mensa. Bei<br />

Kaffee und Käsebrötchen wandert der Blick durch den Raum, der<br />

zur von Gropius erdachten Festebene gehört, weil er direkt hinter<br />

der Bauhausbühne und der Aula liegt. Die weißen Schleiflacktische<br />

und die Bauhaushocker B9 von Marcel Breuer sind zwar nachgebaut,<br />

halten sich aber an die Originalausstattung von 1926. An der<br />

Decke lässt sich erstmals ablesen, was man im Bauhaus immer<br />

wieder beobachten kann: der für Gropius typische Wechsel in der<br />

Beschaffenheit der Oberflächen aus rauem und glattem Putz. Diese<br />

Art Deckenspiegel werden ergänzt durch Unterzüge, die an den Seiten<br />

matt und dunkel, unten aber hell und glänzend sind. Und noch<br />

etwas kommt hinzu: Die Farbgebung. Der Leiter der Wandmalereiwerkstatt<br />

Hinnerk Scheper hatte für das ganze Haus einen farbigen<br />

Orientierungsplan entworfen, der das Gebäude von innen ordnen<br />

sollte. Während in der Mensa Rot und Orange zum Einsatz kamen,<br />

erhielt die Bühnenwerkstatt Blau, die Wandmalerei Violett, die Druckerei<br />

Orange, die Weberei Rot und die Vorlehre Schwarz.<br />

Es ist ein Fest der Farbe in diesem Haus, ein ständiges Ineinanderfließen<br />

von harmonischen und aufregenden Tönen, von Vornehmheit<br />

und Achtungszeichen. Dass Bunt die Lieblingsfarbe von Gropius<br />

gewesen sein soll, ist durchaus vorstellbar. Auch wenn die meisten<br />

Besucher das Bauhaus wohl durch den Haupteingang betreten<br />

werden, kann man – quasi durch die Küche – von der Mensa in die<br />

Aula und dann ins Foyer gelangen. Auf der schwarzen Bauhausbühne<br />

hat Oskar Schlemmer seine Theaterexperimente betrieben und<br />

Gret Palucca beim Tanzen zugesehen. Damals wie heute sind die<br />

heiligen Bretter ideal für Feste, Konzerte und darstellende Kunst.<br />

Die Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong> lässt Tanzperformances aufführen,<br />

der Digitalkanal ZDFkultur zeichnet hier die Popsendung zdf@bauhaus<br />

auf.<br />

Die Aula trägt die Handschrift von Marcel Breuer, der das Stahlrohrgestühl<br />

mit der grau-braunen Stoffbespannung entwarf. In den<br />

Armstützen spiegelt sich die Silberdecke mit den Soffitten, die den<br />

Saal in eine elegante Stimmung taucht. Die Farbgebung für Aula<br />

und auch das davorliegende Foyer stammt übrigens von László<br />

Moholy-Nagy, der sich auch nicht davor scheute, für den Gäste-<br />

2 3


Mein Tipp: Wohlfühlen im Klub<br />

Der Klub im Bauhaus ist für mich der perfekte Rückzugsort<br />

während der Aufzeichnungen zu zdf@bauhaus<br />

geworden. Er hat immer das, was ich brauche: Schneller<br />

Espresso in der kurzen Drehpause, das richtige Getränk<br />

plus lecker Essen zum Relaxen und vor allem: Zu jeder<br />

Zeit das richtige Ambiente.<br />

Ob mit Milow oder Thees Uhlmann, Interviews im Klub<br />

machen Spaß und sehen zudem immer gut aus. So wie<br />

die meisten Gäste. Wohlfühlfaktor: hoch.<br />

Jo Schück, Moderator von zdf@bauhaus<br />

empfang einen Rosa-Ton vorzusehen. Die Soffitten an der Decke<br />

sind so etwas wie die Hinweisschilder in der Festebene. Sie weisen<br />

vom Foyer zum Saal – und wieder zurück.<br />

Der „normale“ Besucher betritt das Bauhaus freilich durch den<br />

Eingang und strebt dann in den Werkstattflügel, der sich hinter<br />

der markanten Metall-Glas-Vorhangfassade befindet. Hier waren<br />

die gut belichteten Arbeitsplätze für Tischler und Metallgestalter,<br />

Weberinnen und Plakatgestalter, Fotografen und Wandmaler. Hier<br />

ist der Gedanke von Walter Gropius, einer Idee eine <strong>Architektur</strong> zu<br />

verleihen, am besten nachvollziehbar. Das Haus zitiert sich ständig<br />

selbst, es ist ein dauerndes Hinein- und Hinausschauen, ein Spiel<br />

der Proportionen aus Vertikale und Horizontale, Stein und Glas, die<br />

reine Form in Balance mit der Funktion. Hier ließ sich das Laboratorium<br />

Bauhaus förmlich auf die Finger schauen, und die ausgerufene<br />

Einheit von Kunst und Technik wurde transparent. Das Bauhaus ist<br />

heute nicht nur der materialisierte Inbegriff für die Moderne, sondern<br />

für das Gesamtkunstwerk schlechthin. Jeder Alltagsgegenstand,<br />

der hier produziert wurde, jede Skizze in der Baulehre und<br />

jede Vorkursarbeit verwies auf eine höhere Idee. „Wollen, erdenken,<br />

erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles<br />

in einer Gestalt sein wird: <strong>Architektur</strong> und Plastik und Malerei, der<br />

aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen<br />

wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“,<br />

schrieb Gropius 1919 in seinem Manifest.<br />

Wer das Bauhausgebäude ganz verstehen will, muss einmal drumherum<br />

laufen. Es mangelt an einer zentralen Ansicht. Walter Gropius<br />

hatte 1926 von der Stadt <strong>Dessau</strong> den Auftrag bekommen, neben<br />

dem Bauhaus auch die Technischen Lehranstalten unterzubringen<br />

und deren Eigenständigkeit mit architektonischen Mitteln herauszuarbeiten.<br />

So entstand die Idee der zwei separaten, kubischen<br />

Baukörper, die über dem Erdgeschoss mit einer „Brücke“ verbunden<br />

sind. Wer das Bauhaus von fern betrachtet, sieht es förmlich<br />

schweben und merkt, dass diese perfekt proportionierte Ikone von<br />

zeitloser Schönheit ist.<br />

Die öffentliche Führung durch das Bauhausgebäude zeigt verschiedene historische<br />

Räume: Aula, Direktorenzimmer und ein früheres Studentenzimmer.<br />

Dauerausstellung „Werkstatt der Moderne“<br />

Besucherzentrum im Bauhaus <strong>Dessau</strong><br />

Gropiusallee 38 | 06846 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

www.bauhaus-dessau.de<br />

4 5


Meisterhäuser<br />

Meisterhaus Kandinsky/Klee<br />

Nur sechshundert Meter hatten die Bauhausmeister Lyonel Feininger,<br />

László Moholy-Nagy, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Georg Muche,<br />

Paul Klee und Wassily Kandinsky von der Arbeitsstätte zu ihrer<br />

Wohnung zurückzulegen. In einem kleinen Kiefernwäldchen hatte<br />

Walter Gropius 1926 für sich und den Lehrkörper vier Meisterhäuser<br />

setzen lassen, eines für sich als Direktor und drei Doppelhäuser<br />

für den Rest der Mannschaft. Die weißen, in sich verschachtelten<br />

Kuben wirken wie Mittelmeervillen ohne Wasser. Der architektonische<br />

Klang der Siedlung entsteht durch das mehrfache Drehen<br />

und Spiegeln der Formen. Noch allerdings fehlen dafür wichtige<br />

Töne. Das Direktorenhaus und die Doppelhaushälfte Moholy-Nagy<br />

wurden im Krieg zerstört und warten nun auf einen zeitkritischen<br />

Wiederaufbau. Dann soll im wiederhergestellten Ensemble die<br />

Geschichte einer der wichtigsten Künstlerkolonien des 20. Jahrhunderts<br />

erzählt werden. Das wird auch jetzt schon spürbar, wenn<br />

man die restaurierten Häuser betritt. Wieder ist es ein Rausch der<br />

Farbigkeit, den die Malereiwerkstatt des Bauhauses auszulösen verstand.<br />

Indessen: Kandinsky lebte in blassem Rosa und leistete sich<br />

eine goldene Wand, Muche bettete sein Haupt in einem schwarzgestrichenen<br />

Schlafzimmer zur Ruhe und Feininger geriet über sein<br />

rotes Geländer und die kobaltblauen glatten Treppenwangen schier<br />

aus dem Häuschen. Nach den Jahren der Verwahrlosung in DDR-<br />

Zeiten wurden die Meisterhäuser Mitte der Neunzigerjahre saniert<br />

und erhielten ihre ursprüngliche Farbgebung zurück. Allein im Haus<br />

Feininger sind es 40 verschiedene Nuancen. Wie im Bauhaus lässt<br />

sich auch hier ein Spiel mit Oberflächen beobachten, die zwischen<br />

seidenmatt, seidenglänzend und glänzend changieren.<br />

Meisterhaus Muche/Schlemmer<br />

In den Häusern ordnen sich alle Räume dem großzügig geschnittenen<br />

Atelier unter. Schlafzimmer, Kinderzimmer und Wohnbereich<br />

sind nicht eben groß. Sie erzählen viel darüber, was Gropius meinte,<br />

wenn er von der Neuorganisation von „Lebensvorgängen“ und der<br />

Befreiung „von unnötigem Ballast“ sprach. Das moderne Leben sollte<br />

mit völlig neuen Erfindungen verbunden werden – von der Durchreiche<br />

über die Spülküche bis hin zu einer rohrpostartigen Anlage,<br />

mit der schmutzige Wäsche in der Waschküche landete. Besonders<br />

das Direktorenhaus galt als Demonstrationsobjekt ersten Ranges.<br />

Ungläubige Bürger wurden gern empfangen, um die neuen Möbel,<br />

Lampen oder Alltagsgegenstände aus den Bauhaus-Werkstätten<br />

vorgeführt zu bekommen.<br />

Die Ateliers in den Meisterhäusern müssen anregende Orte gewesen<br />

sein, schließlich entstanden hier wichtige Arbeiten von Klee,<br />

Kandinsky, Moholy-Nagy und Feininger. Und auch als Ort des guten<br />

Gesprächs wusste die europäische Avantgardeszene das schmucke<br />

Wäldchen zu schätzen. Gret Palucca, Kasimir Malewitsch, George<br />

Grosz, Marcel Duchamp, Béla Bartok und Paul Hindemith gaben<br />

sich hier die Klinke in die Hand. Die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft<br />

des Bauhauses hatte hier ihre schönste Entsprechung gefunden,<br />

auch wenn sich einige Meister damit schwer taten, in einer<br />

extravaganten Villensiedlung zu leben. Doch das Bekenntnis zum<br />

modernen Menschen wog dann schwerer.<br />

Meisterhäuser<br />

Ebertallee 59-71 | 06846 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

www.bauhaus-dessau.de<br />

6<br />

7


Kornhaus<br />

<strong>Dessau</strong>s nördlichster Punkt ist auch einer seiner schönsten. Welche<br />

Stadt kann schon für sich in Anspruch nehmen, ein Ausflugslokal in<br />

der <strong>Architektur</strong>sprache des Bauhauses zu besitzen? Direkt an der<br />

Elbe, in Nachbarschaft zum Leopoldhafen, wo auch die Bauhäusler<br />

gern zum erfrischenden Bade schritten, liegt das Kornhaus. Der<br />

Name stammt von einem alten Getreidespeicher, der hier bis in die<br />

1870er Jahre stand. Später wurde hier eine Ausflugsgaststätte errichtet,<br />

die jedoch 1926 ausgedient hatte und abgerissen wurde. Im<br />

Frühjahr 1929 schrieb die Stadt einen Wettbewerb für ortsansässige<br />

Architekten aus, der einen modernen Neubau zum Ziel hatte. Untergebracht<br />

werden sollten ein Restaurant, ein Saal und eine Stehbierhalle<br />

im Erdgeschoss. Das Rennen machte Carl Fieger, der seit 1921<br />

im <strong>Architektur</strong>büro von Walter Gropius Dienst tat und vor allem für<br />

den Meister zeichnete, was dieser nicht sonderlich gut beherrschte.<br />

Auf dem zweiten Rang fand sich übrigens der damalige Bauhausdirektor<br />

Hannes Meyer und die Bauabteilung des Bauhauses wieder.<br />

Bei so viel Bauhaus konnte es nicht ohne Zitate abgehen. Es sollte<br />

übrigens der einzige Bauhausbau auf einem Wassergrundstück<br />

bleiben.<br />

Fieger suchte für das neue Kornhaus nach einem Dampfermotiv,<br />

das er auf einen L-förmigen Grundriss stellte. Die einzelnen Kuben<br />

aus Ziegelmauerwerk und Stahlbetonstützen sind um die Küche<br />

und die Wirtschaftsräume gruppiert. Vom Elbdamm aus gesehen,<br />

wirkt das Gebäude eingeschossig, erst von der Straßenseite<br />

erschließt sich die zweistöckige Konstruktion. Der Baukörper verdankt<br />

seine Eleganz dem halbrunden, verglasten Wintergarten, der<br />

ursprünglich als offener Balkon geplant war. Der Zylinder ragt weit<br />

Kornhaus (Carl Fieger, 1929-1930)<br />

über den Sockel hinaus, so dass er einer fliegenden Untertasse vor<br />

dem Abflug gleicht. Der Architekt nutzt hier bewusst die bekannte<br />

Wirkung des Bauhausgebäudes vom Meister Gropius, das ja ähnlich<br />

schwebend und leicht auf den Betrachter wirkt. Carl Fieger geht<br />

noch einen Schritt weiter. Sein Kornhaus besitzt mehr Schwung. Alles<br />

scheint sich hier zu drehen wie in einem Walzertraum. Der Gast<br />

betritt das Kornhaus über eine Treppe, die sich linksdrehend nach<br />

oben schraubt, steht dann vor einem Büffetbogen und findet draußen<br />

einen kreisrunden Betonpilz, der Tanzenden Platz bieten sollte,<br />

wenn sie von Regenschauern überrascht würden. Und dann natürlich<br />

der halbkreisförmige Wintergarten! Das Haus öffnet sich mit<br />

einer großzügigen Terrasse zur Natur hin und neigt sich förmlich ihr<br />

zu. Es dreht der Stadt den Rücken zu und gibt den Blick frei auf die<br />

Elbwiesen und den hier stark strömenden Fluss.<br />

Das Licht der Landschaft wird in den Gastraum hineingelenkt und<br />

lädt das Haus mit Energie auf. Vor allem im Sommer gibt es weit<br />

und breit keinen schöneren Ort, als hier den Tag zu verabschieden.<br />

Das Kornhaus mit seinen türkisfarbenen Fensterrahmen, den roten<br />

Lampenfassungen und den farbigen Unterzügen hatte den Krieg<br />

unbeschadet überstanden und wurde Mitte der Neunzigerjahre<br />

weitgehend saniert. Geblieben ist ein Ort gehobener Gastlichkeit.<br />

Gaststätte Kornhaus<br />

Kornhausstraße 146 | 06846 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

www.bauhaus-dessau.de<br />

8 9


Siedlung Törten<br />

Konsumgebäude (Walter Gropius, 1928), Am Dreieck 1<br />

Die Bauhaussiedlung <strong>Dessau</strong>-Törten mag nicht so bekannt sein wie<br />

der Stuttgarter Weißenhof, aber sie war ebenso eine Bühne des Neuen<br />

Bauens. 1923 eingemeindet, entstand hier wenig später ein einzigartiges<br />

Versuchsfeld des rationellen Wohnungsbaus. 314 Einfamilienhäuser<br />

mit großen Gärten ließ Bauhausdirektor Walter Gropius hier<br />

zwischen 1926 und 1928 bauen. Es ging ihm nicht nur darum, eine<br />

schlüssige Antwort auf die drängende Wohnungsmisere zu finden, er<br />

wollte als Pionier für kostenbewusstes Bauen in die Geschichte eingehen.<br />

Doch Gropius war mit seinem Experiment nicht allein. In Törten<br />

rangen unterschiedliche Haltungen und Ideen miteinander. Ab 1928<br />

setzte die Bauabteilung des Bauhauses unter dem zweiten Direktor<br />

Hannes Meyer mit den Laubenganghäusern ganz andere städtebauliche<br />

Prämissen. Die bauhausweißen Reihenhäuser bekamen rötliche<br />

Ziegelkonkurrenz von den Meyerschen Laubenganghäusern: ländlicher<br />

Charme traf auf städtisches Flair. Und auch der Baustoff Stahl<br />

spielte in Törten eine Rolle. Der Maler Georg Muche und der Architekt<br />

Richard Paulick priesen 1927 die Vorzüge eines Metallhauses, doch blieb<br />

der graue Bungalow ein Solitär. Paulick setzte später mit den DEWOG-<br />

Bauten, die sich ebenfalls in Törten finden lassen, die serielle Bauweise<br />

fort. Schön, funktional, aber leider auch nicht massentauglich nimmt<br />

sich das Kleinhaus von Carl Fieger von 1927 aus. Sein Prototyp für Minivillen<br />

ist heute in Privatbesitz und deshalb leider nicht zugänglich.<br />

Moses Mendelssohn Zentrum in <strong>Dessau</strong><br />

Die 1993 gegründete Moses-Mendelssohn-Gesellschaft fühlt sich dem geistigen Erbe<br />

des in <strong>Dessau</strong> geborenen Aufklärers und Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786)<br />

verpflichtet. Wissenschaftliche Forschung zur deutsch-jüdischen Geschichte unserer<br />

Region und vielfältige Bildungsangebote (Vorträge, Projekttage, Führungen u.a.) stehen<br />

im Zentrum der Arbeit. Der Verein gibt eine eigene Schriftenreihe heraus und hat<br />

im Mittelring 38 in der Siedlung Törten sowie in der ehemaligen Synagoge Wörlitz Dauerausstellungen<br />

zu Mendelssohn und zur Geschichte der Juden in <strong>Anhalt</strong> eingerichtet.<br />

Dr. Bernd G. Ulbrich, 2. Vors. der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft <strong>Dessau</strong> e. V.<br />

Besonderer Tipp: Haus Anton<br />

Ein kleiner Flur führt links an einem<br />

Wohnzimmer vorbei direkt in die Küche,<br />

wo sich Waschtrog und Sitzbadewanne<br />

finden. Rechts geht es in den Garten, links<br />

direkt in den Stall und geradeaus zu einem<br />

Trockenklosett mit Torfschütte. Eine solche<br />

Wohnungsanzeige würde heute wohl<br />

Interessenten erschrecken. Hedwig Anton<br />

war es 1927 vergönnt, gemeinsam mit<br />

ihren Eltern in ein solches neugebautes<br />

Haus in der Siedlung Törten zu ziehen. Sie<br />

wohnte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 2001<br />

und hatte nur Weniges verändert. So ist<br />

Haus Anton das einzige noch im Originalzustand<br />

verbliebene Wohnhaus in der von<br />

Walter Gropius erdachten Siedlung. Nach<br />

einer umfassenden Sanierung steht es Besuchern<br />

bei Führungen offen. Sie können<br />

sich ansehen, wie auf wenigen Quadratmetern<br />

eine 4-Raum-Wohnung, Terrasse,<br />

Nebengelass, Hof und Gartenland genial<br />

einfach eingerichtet wurden.<br />

Siedlung Törten (Walter Gropius, 1926-1928), Haus Anton, Doppelreihe 35<br />

Nebendran, im Stahlhaus, wohnt hingegen niemand mehr und deshalb<br />

sind Besucher sehr willkommen. Diese ineinander gestellten Container<br />

bieten mit raumhohen Türen und Fenstern noch heute das Modernste,<br />

das in <strong>Dessau</strong> zu bewundern ist.<br />

Starten sollte man seine Törten-Tour jedoch am besten am Konsumgebäude.<br />

Der weithin sichtbare Hochbau von Walter Gropius bildet<br />

noch immer die gefühlte Mitte der Siedlung und beherbergt heute<br />

ein Informationszentrum. Hier lässt sich viel über Idee, Vision und<br />

Geschichte der Versuchsbaustelle erfahren. Bei einem einstündigen<br />

Rundgang wird auch die Frage beantwortet, warum in der Siedlung<br />

schon nach der Fertigstellung der ersten Gropius-Häuser die reinste<br />

Umbaufreude herrschte und was die Bewohner an den Bauhausbauten<br />

schätzen. Lebendiger ist das Bauhaus nirgendwo!<br />

Wer mehr über die <strong>Dessau</strong>er Siedlungsgeschichte erfahren will, sollte<br />

auch die Knarrberg-Siedlung in Ziebigk besuchen. Hier baute die architektonische<br />

Konkurrenz außerhalb von Gropius´ Gnaden! Leopold<br />

Fischer und Leberecht Migge schufen zwischen 1926 und 1928 eine<br />

Gartensiedlung nach dem Prinzip des organischen Funktionalismus<br />

und sahen im Haus- und Gartenleben eine Einheit. Auch die sogenannte<br />

Wolfener Siedlung (AGFA Werksiedlung) und das Achteck<br />

sind Siedlungen, in denen das moderne Leben erprobt werden sollte.<br />

Leerstand kennt man hier nicht. Und das ist gut so!<br />

Stahlhaus (Georg Muche und Richard Paulick), Südstraße 5<br />

Laubenganghäuser (Hannes Meyer), Peterholzstr. 40, 48<br />

10 11


Historisches Arbeitsamt<br />

Den Askanischen Platz zierten einst prächtige Gründerzeithäuser.<br />

Der Krieg ließ davon nichts übrig und die Nützlichkeit des DDR-Wiederaufbaus<br />

sah einen Plattenbau vor, der sich am heutigen August-<br />

Bebel-Platz in die Höhe wuchtet. Davor steht ein Bauhausbau der<br />

besonderen Klasse: das historische Arbeitsamt von Walter Gropius.<br />

Am Treppenturm ist die bestimmende Inschrift noch gut zu erkennen.<br />

Lange bevor es die Agentur für Arbeit mit ihren oft seelenlosen<br />

Warteräumen gab, versuchte sich Gropius in die Seelenlage der Beschäftigungslosen<br />

hineinzudenken. 1927 hatte die Arbeitslosigkeit<br />

als Massenphänomen die Industriegesellschaft längst erreicht und<br />

war kommunal nicht mehr zu bewältigen. Eine Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung<br />

und Arbeitslosenversicherung wurde gegründet,<br />

für dessen Dependancen es keine architektonischen Vorbilder gab.<br />

Wieder war es die Stadt <strong>Dessau</strong>, die hier eine Vorreiterrolle spielen<br />

und den Neubau eines Arbeitsamtes ins Werk setzen sollte. Funtional,<br />

wandlungsfähig und offen für die Bedürfnisse der Geplagten<br />

sollte es sein, das neue Haus der Arbeit. Als es im Januar 1927 zu<br />

einem beschränkten Wettbewerb kam, setzte sich Gropius gegen<br />

Max Taut durch. Der Bauhausdirektor entwarf für den damals noch<br />

dreieckig angelegten Askanischen Platz einen halbrunden Flachbau<br />

aus gelbem Greppiner Klinker, an den sich ein zweigeschossiger<br />

Verwaltungsriegel anschloss. Seine „Arbeitsvermittlung für eine<br />

große Anzahl Arbeitssuchender verschiedener Berufsgebiete mit einer<br />

möglichst geringen Anzahl von Beamten“ funktionierte wie ein<br />

begehbarer Karteikasten. Vor den sechs Außentüren sollten sich die<br />

Arbeitssuchenden bereits vorsortieren: männliche und weibliche<br />

Angestellte hier, Metall- und Industriearbeiter dort, Bauhandwerker<br />

oder höhere Berufe Türen weiter. Hinter den Eingängen waren<br />

die Warteräume angeordnet, an die sich im zweiten Ring die Büros<br />

Arbeitsamt (Walter Gropius, 1927/1928)<br />

der Arbeitsvermittler anschlossen. Wer also eine Arbeitsstelle fand,<br />

gelangte über den Ringflur direkt nach draußen; wer leer ausging,<br />

fand sich beim Stempeln wieder, und ging durch dieselbe Tür, durch<br />

die er gekommen war. Gropius‘ <strong>Architektur</strong> gliederte die Wege nach<br />

ihren Funktionen und machte die für viele unangenehmen Gänge<br />

kurz.<br />

Als das Haus 1929 eröffnet wurde, gelangte das Tageslicht nur über<br />

das Sheddach und ein Oberlichtband ins Innere. Das Licht sollte<br />

durch die Glasinnenwände im oberen Teil durch die Räume fluten.<br />

Die Innenausstattung besorgten übrigens die Bauhauswerkstätten.<br />

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, diffamierten<br />

sie das Haus als „zirkusähnliches Gebäude“. Sie verteufelten Gropius‘<br />

Werk als bolschewistisch, undeutsch und unpraktisch. Die Folge<br />

war, dass sie „richtige“ Fenster in die Ziegelwand brechen ließen<br />

und die äußeren Warteräume zu Büros umbauten. Trotz dieser entschiedenen<br />

Verstümmelung ist dem Haus Schlimmeres erspart geblieben:<br />

Ein vorgesehener Abriss kam durch den Kriegsbeginn nicht<br />

mehr zustande. Nach dem Krieg zog der Amerikanische Militärstab<br />

in das Arbeitsamt, bekanntlich nur für kurze Zeit. Sie fanden Chicago<br />

in <strong>Dessau</strong>! Heute beherbergt der gelb leuchtende Rundbau, der<br />

zwischen 2002 und 2003 saniert wurde, das <strong>Dessau</strong>er Verkehrsamt,<br />

und es ist noch immer eine Freude, durch die klaren und funktionalen<br />

Räume zu gehen. Wenn man Glück hat, holen die Angestellten<br />

ihre historische Kurbel hervor, um damit ein Klappfenster im Sheddach<br />

zu öffnen. Das historische Arbeitsamt gehört ganz sicher zu<br />

den besten Entwürfen von Walter Gropius und es war auch sein<br />

letztes Projekt in <strong>Dessau</strong>. Als die Arbeiten an dem Stahlskelettbau<br />

begannen, hatte er das Bauhaus bereits verlassen.<br />

August-Bebelplatz | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

12 13


Umweltbundesamt<br />

Wer früh mit dem Zug nach <strong>Dessau</strong> kommt, wird sie kaum übersehen:<br />

die Berufspendler aus dem Umweltbundesamt. Sie streben<br />

vom Hauptbahnhof hinüber zu ihrem Arbeitsplatz, der sicher zu<br />

den schönsten in <strong>Dessau</strong> gehört, auch wenn der Alltagsblick das natürlich<br />

nicht immer wertschätzen kann. Nur einen Steinwurf vom<br />

Bahndamm entfernt, windet sich eine viergeschossige Büroschlange<br />

der Architekten Sauerbruch Hutton, die zu den Glücksfällen<br />

des ökologischen Bauens gehört. 2005 wurde das geschwungene,<br />

mäandernde Gebäude mit dem gefalteten Glasdach eröffnet und<br />

ist inzwischen zu einem <strong>Dessau</strong>er Wahrzeichen geworden. Schon<br />

aus dem Zugfenster heraus erkennt man dieses exotische Reptil,<br />

das sich um ein luftiges Atrium mit gläsernen Sheddächern schlängelt.<br />

Die schöne Lärchenholzfassade (natürlich aus nachhaltiger<br />

Forstwirtschaft) wird kombiniert mit hochrechteckigen, farbigen<br />

Glasflächen – draußen Orange und Rot, innen Grün und Blau. Eine<br />

Spezialität des Architektenduos. Das Umweltbundesamt ist ökologisch<br />

durchdacht: Durch die Fensterbänder fällt natürliches Licht,<br />

ein Erdwärmeaustauschsystem wurde installiert, eine Fotovoltaikanlage<br />

und thermische Sonnenkollektoren obendrein. Das Gebäude<br />

denkt mit, es atmet förmlich und hält den Energieverbrauch in der<br />

Balance. Doch die Architekten addierten bei diesem Projekt nicht<br />

einfach die Zutaten des nachhaltigen Bauens, sondern sie schufen<br />

einen hochsinnlichen Ort, der Ökologie und Ästhetik elegant miteinander<br />

verbindet. Matthias Sauerbruch und Luisa Hutton sprechen<br />

in Bezug auf ihr Haus gern von „Landschaftsarchitektur“, was sich<br />

schon daran zeigt, dass sich das Amt durch einen Park erschließt,<br />

der sich bis ins Gebäude hineinzieht. Das Forum empfängt drinnen<br />

mit einem elliptischen Hörsaal, der sich förmlich hineindrängt<br />

Umweltbundesamt (Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton, 2005)<br />

in das offene Haus. Ein Gewächshaus für gute Gedanken, ein kontemplativer,<br />

schwebender Ort mit Grünflächen und Wasserbecken.<br />

Wie stark das Haus als Reverenz zum Gartenreich <strong>Dessau</strong>-Wörlitz<br />

gemeint ist, lässt sich auch daran erkennen, dass der alte Wörlitzer<br />

Bahnhof – ein Schmuckstück in historischer Backsteinarchitektur<br />

– in den Campus einbezogen wurde. Von hier aus fuhren die Ausflugszüge<br />

ins grüne Arkadien, die jetzt am Gleis 1 des Hauptbahnhofes<br />

starten. Doch das ist nicht der einzige Bezug der Architekten<br />

zur <strong>Dessau</strong>er Geschichte: Die Bibliothek des Umweltbundesamtes<br />

nutzt eine respektvoll sanierte Industriehalle von 1890, und darf<br />

als schöner Verweis auf das alte <strong>Dessau</strong>er Gasviertel gelten, eine<br />

Wiege der <strong>Dessau</strong>er Industrie.<br />

Wörlitzer Platz 1 | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

www.umweltbundesamt.de<br />

14 15


Reich an Schlössern<br />

„Papa, warum gab es früher bessere Architekten?“ fragte mich meine<br />

Tochter im Johannbaugewölbe am <strong>Dessau</strong>er Stadtmodell der Vorkriegszeit.<br />

Eben studierten wir die Wendeltreppe im Schlossturm –<br />

den Wendelstein. Die Steinmetze hinterließen dort ihre Kennzeichen<br />

im Elbesandstein. Eines ist von Ludwig Binder, dem Entwurf und Gesamtbauleitung<br />

des <strong>Dessau</strong>er Renaissanceschlosses zugeschrieben<br />

wurde. Er war aber wohl damals noch zu jung für die große Aufgabe,<br />

sein Vater Bastian Binder wird der Baumeister des Langbaues mit<br />

den Renaissance-Zwerchgiebeln gewesen sein. Er hat sicherlich seinen<br />

Sohn auf der fürstlichen Baustelle untergebracht. Dessen Werkstück<br />

ist makellos, wie die Wendelstufen auch der anderen Gesellen.<br />

Nutzungsspuren und Reparaturstellen schaffen die Patina, die uns an<br />

500 Jahren Steinleben teilnehmen lässt.<br />

Management, <strong>Architektur</strong> und Kunst, Technik und Handwerk, alles<br />

in einer Hand, das war real in den Bauhütten und Gilden vergangener<br />

Zeiten. Gropius träumte im Weimarer Bauhaus noch von diesem<br />

verlorenen Pfad der Einheit von Kopf und Hand, Kunst und Werk, aus<br />

dem in <strong>Dessau</strong> das weltbewegende Konzept hervorging, im Bauwesen<br />

Gestaltungskraft mit moderner Technik zu verschmelzen.<br />

Jahre nach Bastian und Ludwig Binders Wendelstein überformte der<br />

preußisch-spätbarocke Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff<br />

Süd- und Ostflügel zu einem stolzen Residenzschloss. Die Steinlinie<br />

im Hof des <strong>Dessau</strong>er Schlosses markiert den Umriss der im Krieg<br />

verlorenen Knobelsdorffschen Schlossflügel. Und auch der Festsaal<br />

im Binderbau überlebt als Abbild in Cranachs „Abendmahl“, das in St.<br />

Johannis zu sehen ist. An Ort und Stelle bleibt uns der übriggebliebene<br />

Johannbau mit seinen neuen gewichtigen Stahlbetondecken<br />

und dem Glasaufzug, mit dem jedermann die komprimierte Stadtgeschichte<br />

mit Kunst, <strong>Architektur</strong>, Technik, Natur und Service erreichen<br />

kann.<br />

Johannbau, Marienkirche, Rathausturm<br />

Das <strong>Dessau</strong>er Schloss steht trotz Verlust seiner großen Baumasse<br />

in der ersten Reihe der askanischen Geschwisterschlösser in <strong>Anhalt</strong>.<br />

Diese prägen die Stadtbilder von Ballenstedt am Harz, von Bernburg<br />

über der Saale als „Krone <strong>Anhalt</strong>s“, in Johann Sebastian Bachs Köthen<br />

und als Ruinenrest in Zerbst. Auch in Coswig und in Dornburg an der<br />

Elbe ebenso wie in Plötzkau dominieren sie die Silhouette. In Biendorf<br />

unweit von Bernburg hat unlängst ein freundlicher Niederländer<br />

die Schlossanlage gekauft und seine siebenundfünfzigtausend Stück<br />

zählende Fingerhutsammlung eingerichtet.<br />

„Schloss“ hatte ursprünglich und im Wortsinn nur die Bedeutung als<br />

Vorrichtung zum Schließen. Im 13. Jahrhundert fand das Wort seine<br />

Verwendung auch für Absperrungen von Straßen oder für Burgen,<br />

die etwas abschließen, ein Tal abschließen. Und später für prachtvolle<br />

Fürsten- und Herrensitze, die zu „<strong>Architektur</strong>“ aufstiegen und nicht<br />

mehr zur Verteidigung der Insassen dienen mussten. Ein Schloss ist<br />

der Wohnsitz des Fürsten, der andere ausschließt von seiner Ein-<br />

Herrschaft, Synonym für dessen unantastbares und vererbbares Eigentum.<br />

Heute wird „Schloss“ allgemein für repräsentative Wohnsitze<br />

oder überhaupt für ein wunderbares Gebäude verwandt.<br />

Der Fürst von <strong>Anhalt</strong>, Leopold III. Friedrich Franz von <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong><br />

wusste, was er an seinem Architekten Friedrich Wilhelm Freiherr von<br />

Erdmannsdorff hatte, seinem Freund und Reisebegleiter durch halb<br />

Europa. Die bedeutendsten Bauten im <strong>Dessau</strong>-Wörlitzer Gartenreich<br />

entstammen seinem Genie: Beim Wörlitzer Schlossbau, dem Wörlitzer<br />

Landhaus, ahnt man die Weltgeltung des Franzschen <strong>Anhalt</strong>-<br />

<strong>Dessau</strong>, wenn man erfährt, dass die Gartenseite des etwas später<br />

errichteten Weißen Hauses in Washington ein Abbild des Wörlitzer<br />

Schlosses ist. Die Tradition, fürstliche Weitsicht mit herrschaftlichem<br />

Vergnügen zu verbinden, sichtbar als Belvedere auf dem Dach, war<br />

ein Lieblingsmotiv Erdmannsdorffs; solches lebt weiter beispielswei-<br />

16 17


Schloss Wörlitz<br />

Schloss Mosigkau<br />

se mit der Glaskuppel auf dem ehemaligen Reichstagsgebäude in<br />

Berlin, dem Sitz des Deutschen Bundestages (Architekt Lord Norman<br />

Foster, 1999). Auch das Luisium ist ein „Landhaus“, vom Fürsten und<br />

Erdmannsdorf für die Fürstin geplant, ein elegantes einfaches Gebäude,<br />

ein Würfel inmitten gestylter Natur, innen lückenlos über alle<br />

Wände und Decken klassisch dekoriert, eine wohlgeordnete Fülle der<br />

Anschauung, Kopien aus der antiken Welt und in Rahmen gefasste<br />

Reiseerinnerungen, ein Nachschlagewerk für allerfeinste Sentimentalitäten.<br />

Der Fürst wollte – im Sinne der Aufklärung – die Schlösser aufschließen.<br />

Aufklären ist die immerwährende Konditionierung des Menschen,<br />

um erkennen zu können, was sich aus einer eigenen Handlung<br />

für die ganze Menschheit ergeben würde. Deshalb war es damals wie<br />

heute möglich, im Schloss Wörlitz herumzugehen, lernend Kunstschätze<br />

ausgebreitet und arrangiert zu finden und frei spazierend in<br />

den Gartenanlagen schöne Bildwerke und Sprüche wahrzunehmen,<br />

Bildergalerien, <strong>Architektur</strong>en und andere nützliche Werke zu studieren.<br />

Auch so befohlen im Luisium, dem Privatsitz der fürstlichen Gemahlin<br />

Luise! Das wollte dieser allerdings nicht so sehr gefallen.<br />

Vom Besten, was in Freundschaft und geistiger Gemeinsamkeit von<br />

gebildeter Bauherrschaft und ebensolchem Architekten entstand,<br />

ist noch zu nennen das Georgium (Mittelbau 1781, später Anbauten,<br />

jetzt <strong>Anhalt</strong>ische Gemäldegalerie), die vielen kleinen <strong>Architektur</strong>en in<br />

den Parks, die Stadtpaläste – alles in einem gänzlich einfachen Stil.<br />

Sogar die zeitfernen Nachahmungen der sozialistischen <strong>Architektur</strong>en<br />

der 1950-er Jahre in <strong>Dessau</strong> beziehen sich auf Erdmannsdorff.<br />

Der baugeschichtliche Reichtum <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong>s ist vor dem Wirken<br />

des Meisters des Klassizismus schon angelegt: Oranienbaum, 1698 im<br />

holländisch-barocken Stil (für die Fürstgemahlin Henriette Katharina<br />

aus dem Hause Oranien) von Cornelis Ryckwaert samt dazugehöriger<br />

Kleinstadt; das Schloss Mosigkau 1757 im Stil des Rokoko (für die Prinzessin<br />

Anna Wilhelmine) von Christian Friedrich Damm; das barocke<br />

Wohnschloss in Großkühnau, 1754 auch von Damm. Das Treppenhaus<br />

und der Gartensaal sind nach Erdmannsdorff´schem Entwurf später<br />

umgebaut worden. Das Alter adelt die Bauwerke, wenn sie vom Unfug<br />

der Zeiten verschont bleiben.<br />

<strong>Dessau</strong>er Türme: Aus allen Zufahrtsrichtungen erlebt man ihre Konstellationen:<br />

die Wassertürme, der schlanke Rathausturm (1901, Neurenaissance,<br />

Reinhardt & Süßenguth), die Kirchen St. Petrus (1902,<br />

neuromanisch, Gustav Teichmüller), die katholische Kirche St. Peter<br />

und Paul (1857, neugotisch, Vinzenz Statz), St. Johannis (1697, holländisch<br />

barock, Martin Grünberg), St. Marien (Ludwig Binder 1554), St.<br />

Georg (1717, holländisch barock, vormals reformierte Rundkirche, Portikus<br />

klassizistisch, Ignaz Pozzi, 1966 moderne Empore), Paulus (1992,<br />

neufrühgotisch, Johannes Otzen), in Wörlitz die reich ausgestattete<br />

neogotische Backsteinkirche St. Petri (Georg Christoph Hesekiel,<br />

1809), die Dorfkirchen in Riesigk und in Vockerode, in Mosigkau die<br />

doppeltürmige Martin-Luther-Kirche (Hesekiel, engl. neogotisch), in<br />

Oranienbaum die – wie das Schloss – holländisch geprägte Stadtkirche,<br />

in Großkühnau die neoromanisch empfundene Kirche von Carlo<br />

Ignazio Pozzi (1829). Vom Luisium führt eine Sichtschneise zur Jonitzer<br />

Kirche mit dem eigenartigen Obelisken obenauf und der Grablege<br />

von Franz und Luise darunter, unweit posiert in Mildensee der „Turm<br />

der Winde“, einst Napoleon gewidmet. Türme auf Post, Amtsgericht,<br />

Sparkasse und den Straßenecken von <strong>Dessau</strong> Nord!<br />

Wem ist denn der italienische Turm an der Museumskreuzung zu<br />

verdanken? Dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Fürstlichen<br />

Hofkammer 1844. Das bescheidene Leopolddankstift von 1740 für<br />

Kriegsinvaliden kam zu einem Turmreplikat des Klosters St. Spirito<br />

bei Rom, jetzt der unübersehbare Eingangsbau für das Museum für<br />

Naturkunde und Vorgeschichte, das seit 1927 hier eingerichtet ist.<br />

<strong>Dessau</strong>er Glocken: Jeden 7. März erinnert das große Stadtgeläut an<br />

das nächtliche, verheerende Bombardement 1945 auf die Innenstadt<br />

der Deutschen Waffenschmiede. Die Friedensglocke neben dem stolzen<br />

Rathaus wird mit einem cis‘ für „Frieden und Freiheit“ am Tag<br />

der deutschen Einheit (Bild S. 25) angeschlagen. Sie erhält die Vernichtung<br />

der Kampfgruppenwaffen im Januar 1990 durch beherzte<br />

<strong>Dessau</strong>er Bürger im Gedächtnis. Der Waffenschrott wurde im Sinne<br />

der biblischen Botschaft „Schwerter zu Pflugscharen“ im Guss eingeschmolzen.<br />

Neben dem Glockenstuhl trifft man sich auch ganz<br />

privat zur Verabredung. Dort hört man täglich 9 - 12 - 15 - 18 Uhr das<br />

Glockenspiel vom Rathausturm bimmeln: „So leben wir, so leben<br />

wir, so leb´n wir alle Tage ...“, den geliebten <strong>Dessau</strong>er Marsch.<br />

18 19


Historischer Friedhof<br />

Neuer Begräbnisplatz<br />

Palais Dietrich (Philanthropinum)<br />

Als Friedrich Hölderlin 1795 nach <strong>Dessau</strong> kam, besuchte er zuerst<br />

den Friedhof. Und war beeindruckt. Denn der Neue Begräbnisplatz,<br />

wie es korrekt heißen muss, verdankt Form und Verfassung der Aufklärung.<br />

<strong>Dessau</strong>s größter Baumeister dieser Zeit, Friedrich Wilhelm<br />

von Erdmannsdorff, schuf zwischen 1787 und 1789 einen Hain der<br />

letzten Ruhe, auf dem der Gleichheitsgrundsatz herrschte. Und so<br />

liegen unterm Rasen im „Grab der Namenlosen“ Berühmte und Namenlose,<br />

Kaufleute und Tagediebe, Regierungsbeamte und Nachtwächter.<br />

Erdmannsdorff gliederte den Friedhof streng symmetrisch<br />

auf einer quadratischen Grundfläche durch gekreuzte Wege, die ein<br />

Mittelrondell durchschneiden. Doch die Idee eines Begräbnisplatzes<br />

für alle hielt nicht lang und Erdmannsdorff musste einsehen,<br />

dass die Standesunterschiede doch manifester waren als von ihm<br />

gedacht. Die Gräber bekamen wieder Namen und auch der Trend<br />

zu Gruft oder zum Mausoleum war nicht mehr zu stoppen. Als einer<br />

der ersten kommunalen Friedhöfe außerhalb der Kirchenäcker galt<br />

er als perfekter Ort für die ewige Ruhe. Und so finden sich hier u. a.<br />

die Gräber von Erdmannsdorff (mit Epitaph), des Bildungsrevolutionärs<br />

Basedow, des Liedschreibers Wilhelm Müller („Das Wandern<br />

ist des Müllers Lust“, „Am Brunnen vor dem Tore“). Noch immer übt<br />

der Neue Begräbnisplatz mit seiner Erdmannsdorff´schen „Revolutionsarchitektur“<br />

eine durchaus unbeschwerte Faszination aus, was<br />

sicherlich auch an der freidenkerischen Aufschrift über dem Torbogen<br />

liegt: „Tod ist nicht Tod, ist nur Veredlung sterblicher Natur!“<br />

In der eleganten Sprache des zurückhaltenden Barock präsentiert<br />

sich das Palais Dietrich in der Zerbster Straße. Es ist eines der wenigen<br />

Häuser der historischen Innenstadt, die die Bombardierung<br />

<strong>Dessau</strong>s am Ende des Zweiten Weltkrieges unbeschadet überstanden<br />

haben. Fürst Leopold I. von <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong> hatte diese feine<br />

Stadtresidenz zwischen 1747 und 1752 für seinen jüngsten Sohn Dietrich<br />

errichten lassen. In die Geschichte ging es aber als Heimstätte<br />

des Philanthropinums und damit einer Bastion der Aufklärung ein.<br />

Johann Bernhard Basedow hatte 1774 eine „Schule der Menschenfreundschaft“<br />

gegründet, die nur drei Jahre später hierhin umzog.<br />

Das Philanthropinum wurde zu einem frühen Experimentierfeld für<br />

eine Pädagogik, die mit modernen Bildungsprogrammen auf die<br />

Anforderungen der Zeit reagieren wollte. Ziel war es, eine natürliche,<br />

kindgerechte Erziehung zu erreichen, die eine Unterweisung in<br />

den Naturwissenschaften ebenso vorsah wie Körperertüchtigung<br />

und Handwerk. Die allseits gebildete Persönlichkeit, hier wurde sie<br />

erstmals erzogen. Das Philanthropinum wurde so bekannt, dass<br />

sich die großen Persönlichkeiten der Aufklärung – von Gleim bis<br />

Kant – zu diesem Bildungsmodell bekannten. Bis 1793 währte das<br />

Bildungsexperiment, dann sanken die Schülerzahlen dramatisch<br />

und Basedow zog sich auch in Ermangelung weiterer finanzieller<br />

Unterstützung durch den Fürsten zurück. Wie maßstabsetzend die<br />

Schule war, lässt sich noch heute in der Wissenschaftlichen Bibliothek<br />

der <strong>Anhalt</strong>ischen Landesbücherei erfahren, die im Palais Dietrich<br />

ihren Sitz hat und neben bedeutenden historischen Beständen,<br />

wie mittelalterlichen Handschriften, Inkunabeln, Sammlungen der<br />

Reformationszeit und der Aufklärung auch den Nachlass des Philanthropinums<br />

bewahrt.<br />

Chaponstraße | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

Wissenschaftliche Bibliothek Zerbster Straße 35 | 06844 <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

20 21


Kleinarchitekturen<br />

„Sieben Säulen“<br />

Das Georgium ist sozusagen der Korridor des Gartenreiches. Als<br />

sich Prinz Johann Georg, der jüngere Bruder des legendären Fürsten<br />

Franz, 1780 anschickte, <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong> eine landschaftliche<br />

Verschönerung zu bescheren und aus den Resten eines sumpfigen<br />

Auenwaldes einen Park formte, tat er das ähnlich englisch, klassizistisch<br />

und romantisierend wie in Wörlitz. Auch die Italien-Sehnsucht<br />

kam hier zum Tragen. Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff ging<br />

dem Prinzen zur Hand und schuf das Schloss Georgium, das freilich<br />

nur Landhaus genannt wird und heute die <strong>Anhalt</strong>ische Gemäldegalerie<br />

beherbergt. Im weitläufigen Park findet sich überdies charmante<br />

Kleinarchitektur, die ebenfalls die stilsichere Handschrift des<br />

Baumeisters trägt und von der hier ausschließlich die Rede sein soll.<br />

Am bekanntesten sind sicher die Sieben Säulen. Natürlich sind es<br />

in Wahrheit acht, aber eine Säule hat sich so raffiniert versteckt,<br />

dass sie von Ferne beim Abzählen zu übersehen ist und dem Stückchen<br />

Rom in <strong>Dessau</strong> den Namen gab. Der Prinz hatte die Trümmer<br />

der Vorhalle eines römischen Saturntempels auf einer Italien-Reise<br />

am Forum Romanum entdeckt, kam davon nicht los und ließ sie<br />

schließlich – in verkleinerter Form – einfach abkupfern. Eine gute<br />

Vorlage besitzt auch der Triumphbogen, der dem Drususbogen in<br />

Rom nachempfunden wurde. Während droben Schafe und Ziegen<br />

über die Brücke getrieben wurden, bot der Bogen unten die perfekte<br />

Kulisse für fürstliche Standbilder. Einst stand hier Fürst Franz<br />

sogar als römischer Gelehrter, davon blieb aber nur ein Sockel übrig.<br />

Eine Lobpreisung der Antike verbunden mit englischer Gartenkunst<br />

symbolisiert der Ionische Tempel. Der zehnsäulige Monopteros<br />

geht natürlich auch auf Erdmannsdorff zurück, der den Bau wie<br />

eine Art Panoramafenster verstand. Auf einem leicht ansteigenden<br />

Rasenhügel steht er in strahlendem Weiß, bildet so etwas wie ein<br />

Zentrum des Sehens und gibt den Blick frei auf das Schloss und die<br />

Sieben Säulen. Weit sollte man einst in den Park hinein schauen,<br />

zwischen zwei Säulen sollte jeweils ein neues Bild entstehen. Das<br />

Bauwesen des 20. Jahrhunderts freilich gestattet solche Blicke in<br />

die Umgebung heute nur noch eingeschränkt. Dennoch lohnt der<br />

Weg zum Tempel, denn hier wird klar, wie die einzelnen Teile des<br />

Ionischer Tempel<br />

Parks miteinander verwoben waren. Eichen säumen den Weg zum<br />

Vasenhaus, das um 1785 entstand und auch von Erdmannsdorff<br />

gezeichnet wurde. Seinen Namen verdankt der kleine Pavillon in<br />

gebrochenem Weiß seiner etwas exzentrischen Dachverkleidung<br />

– der Baumeister bekrönt die Gartenstaffage mit zehn Vasen. Weiter<br />

nördlich, direkt an der Elbe, liegt die winzig kleine, mittelalterlich<br />

anmutende Wallwitzburg, die aber von 1790 stammt und von<br />

jungen <strong>Dessau</strong>ern wieder aufgebaut wird. Von hier hat man einen<br />

herrlichen Blick über die Elbauen bis nach Roßlau. Mehr als einen<br />

beruhigenden Blick in die Landschaft sollte der Erdmannsdorff-Bau<br />

schon zu seiner Entstehungszeit nicht leisten. Kerkerdienste verrichtete<br />

die verzwergte Burg nicht. Praktisch, erholsam und anregend<br />

gleichermaßen sollte auch der Amaliensitz wirken. Das hellgelbe<br />

Wetterhäuschen mit einer Prise Palladio, das auch Erdmannsdorff<br />

entwarf, bezieht sich auf ein heute nicht mehr existentes Gebäude<br />

in Stourhead in Wiltshire. Benannt nach der Schwiegertochter<br />

des Fürsten Franz, Christiane Amalie, beschützte es zu allen Zeiten<br />

Wanderer, die nach Großkühnau unterwegs waren und vom Unwetter<br />

überrascht wurden.<br />

Mein Tipp: Baukunst von Erdmannsdorff<br />

Wenn von architektonischen Innovationen die Rede ist,<br />

die von <strong>Dessau</strong> die Welt eroberten, denkt jeder nur ans<br />

Bauhaus. Doch mit dem Frühklassizismus des Friedrich<br />

Wilhelm von Erdmannsdorff begann bereits 170 Jahre<br />

zuvor in <strong>Dessau</strong> ein neues Kapitel in der <strong>Architektur</strong>geschichte,<br />

das von Gilly und Schinkel später weitergeschrieben<br />

wurde. Fast das gesamte Werk Erdmannsdorff<br />

steht in <strong>Dessau</strong> und Wörlitz. Nicht nur seine berühmten<br />

Schlösser, Wohnhäuser und Kulturbauten gibt es hier zu<br />

entdecken. Einen besonderen Reiz haben die Kleinarchitekturen,<br />

die überall in den arkadischen Landschaften zu<br />

finden sind. Am besten, man fährt mit dem Fahrrad auf<br />

den Wegen des Gartenreichs und stößt dann immer wieder<br />

überraschend auf kleine Tempel, Deichwärterhäuser,<br />

beschauliche Tempel, Rastplätze und Folien verschiedenster<br />

Art. An heißen Tagen sollte man die Badehose<br />

nicht vergessen, dann kann man sich in einem der vielen<br />

Badeseen abkühlen.<br />

Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong><br />

22 23


Rathausturm und Friedensglocke,<br />

Platz der Deutschen Einheit<br />

Stahllamellen der Rundbogenhalle (1929, Patent Hugo Junkers, 1924), Altener Straße<br />

Junkers und andere Baumeister der Moderne<br />

Der Flugpionier Hugo Junkers ist in <strong>Dessau</strong> immer noch eine Legende,<br />

seine Bedeutung für die Luftfahrtgeschichte wird immer wieder<br />

gewürdigt. Wenige aber wissen, dass er mit seinen fliegenden Kisten<br />

nicht ausgelastet war und sich auch Gedanken um den industriellen<br />

Hausbau machte. Junkers hielt anders als Gropius Metall statt<br />

Beton und Stein für den Baustoff der Zukunft. Er entwarf Prototypen,<br />

die sich allerdings nicht durchsetzten. Und dennoch hat das Baubüro<br />

Junkers mit einer Rundbogenhalle aus einer Stahllamellenkonstruktion<br />

eine Idee umgesetzt, die später überall auf der Welt Nachahmer<br />

fand. Zu besichtigen ist sie heute noch auf dem ehemaligen<br />

Junkalor-Gelände.<br />

Ein anderer Architekt, der moderne Spuren in <strong>Dessau</strong> hinterließ, ist Karl<br />

Overhoff. Von ihm stammt das Druckerei- und Redaktionsgebäude für<br />

das „Volksblatt für <strong>Anhalt</strong>“. 1931 in einer dem Bauhaus verwandten Formensprache<br />

realisiert, beheimatete das Gebäude nur kurz das Organ<br />

der sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Die Nazis stürmten das Haus,<br />

um eigene Blätter zu drucken. Nach dem Krieg zog hier die Bezirkszeitung<br />

„Freiheit“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands<br />

(SED) ein. Gedruckt wird noch immer, allerdings demokratischer.<br />

Versteckt und wenig bekannt sind mit Haus Hahn und Haus Naurath<br />

im Ortsteil Ziebigk zwei frühe Werke des Bauhäuslers Richard Paulick.<br />

Nur einen Steinwurf davon entfernt liegt das Wohnhaus, das sich<br />

der Architekt Friedrich Engemann zu Beginn der Dreißigerjahre baute<br />

und das auf den ersten Blick gar nicht wirkt, als sei es aus dem Geist<br />

des Bauhauses entstanden. Doch Engemann lehrte genau dort.<br />

Druckerei- und Redaktionsgebäude (Karl Overhoff, 1931), Askanische Straße<br />

24 25


Vom Schwabehaus zum Johannbau – ein Stadtgang<br />

St. Johannis<br />

in der Kavalierstraße, am Stadtpark<br />

Ein Spaziergang durch <strong>Dessau</strong> beginnt immer mit einer Erklärung.<br />

Der einstigen Residenzstadt, das Silicon Valley der Zwanzigerjahre,<br />

ist von der Geschichte übel mitgespielt worden. Im Zweiten Weltkrieg<br />

wurde die Stadt zu achtzig Prozent zerstört, weil hier die Junkers-Flugzeugwerke<br />

und die Schwerindustrie zu Hause waren. Der<br />

Wiederaufbau folgte den Zielen einer sozialistischen Stadt und die<br />

Nachwendezeit steuerte architektonischen Abklatsch bei. Und doch<br />

lässt sich in der Stadt mit einer jahrhundertealten Avantgardegeschichte<br />

viel entdecken. Wir nehmen den Stadtausgang des Hauptbahnhofs<br />

und laufen geradeaus am „Fürst-Leopold-Carré“ vorbei<br />

und biegen dann nach links ab. Nach wenigen Metern stehen wir in<br />

der Johannisstraße und damit in einem der ältesten Viertel <strong>Dessau</strong>s.<br />

Das Schwabehaus, ein Fachwerktraum aus der ersten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts, wurde in den Neunzigerjahren durch Bürgersinn dem<br />

Verfall entrissen und wieder instandgesetzt. Heute ist es ein Haus<br />

von Bürgern für Bürger. Es empfiehlt sich, eine Erfrischung im Innenhof<br />

mit seinen schönen, hölzernen Laubengängen zu nehmen. Und<br />

natürlich sei die kleine Ausstellung über den früheren Besitzer und<br />

Namensgeber Samuel Heinrich Schwabe (1789-1875) empfohlen, der<br />

ein großer Astronom und Botaniker war. Der Weg führt weiter durch<br />

das alte Johannisviertel – rechts grüßt die Gründerzeit, links schaut<br />

der „nationale Stil“ der Fünfzigerjahre um die Ecke. Gegenüber der<br />

spätbarocken, klassizistisch aufgeladenen St. Johanniskirche, die im<br />

Jahr 1702 geweiht wurde, um den zugezogenen Lutheranern eine<br />

Heimstatt zu geben, liegt das fein sanierte Palais Minckwitz. Hinter<br />

der rosafarbenen Fassade verbirgt sich das letzte kleine Barockpalais<br />

<strong>Dessau</strong>s, das einst dem Hofbildhauer und Schadow-Schüler Hunold<br />

gehörte. Wir biegen dann nach links ab und überqueren die Kavalierstraße,<br />

um in die Nantegasse zu gelangen. Gegenüber einem Neubau<br />

für die IHK im eleganten Weiß liegen die Reste der einstigen Schade-<br />

Brauerei aus dem 19. Jahrhundert. Im ehemaligen Sudhaus befindet<br />

sich heute ein Brauhaus. Nach einer kurzen Rast lassen wir die Destille<br />

rechterhand liegen und gelangen durch einen Durchgang zur<br />

Zerbster Straße, einem Boulevard mit Zentrumscharakter. Die Fünfzigerjahre<br />

und eine offenkundige Rückbesinnung auf Heimatliches<br />

haben den Häusern mit ihren kleinen Fachwerkerkern ihr Gepräge<br />

gegeben. <strong>Dessau</strong>er Künstler versahen die Mauerwerksflächen mit<br />

„lebensbejahenden Motiven“. Die Neubauten treten etwas zurück,<br />

um dem Pfeifferhaus mit seinem schönen Portal von 1691 den großen<br />

Auftritt zu gönnen. Wir gehen weiter und durchqueren links den<br />

Innenhof des Rathauses, um dann in den Achtzigerjahren anzukommen.<br />

Ein Plattenbau mit einer <strong>Dessau</strong>er Besonderheit – haubenartigen<br />

Loggien – empfängt das Auge in der Schlossstraße. Weiter geht<br />

es in Richtung Schlossplatz, plötzlich stehen wir vor dem Johannbau.<br />

Bis zum 7. März 1945 stand hier das dreiflügelige Residenzschloss. Von<br />

der Bombardierung am Ende des Krieges blieb nur der Westflügel,<br />

der sogenannte Johannbau (Renaissance) mit seinem herrlichen Giebel,<br />

stehen. Hier ist heute das Museum für Stadtgeschichte untergebracht.<br />

Eine Spur der Steine zeichnet die ursprüngliche Kubatur des<br />

Schlosses nach und doch lässt sich nur noch wenig von der einstigen<br />

Pracht erahnen. Kurzer Blick hinüber zur Muldeaue, dann weiter in<br />

Richtung Askanische Straße. Hier befand sich einst das Jüdische Viertel<br />

<strong>Dessau</strong>s. Der große Philosoph der Aufklärung, Moses Mendelssohn,<br />

wurde hier 1729 geboren. Der Blick bleibt an einem schlichten,<br />

zweigeschossigen Bau mit einem klassizistischen Portal und einem<br />

Türmchen auf dem Dach hängen: das Kantorhaus. Hier lebten die<br />

Rabbiner und Kantoren der Jüdischen Gemeinde, nebenan stand die<br />

Alte Synagoge, die die Nationalsozialisten in der Pogromnacht 1938<br />

zerstörten. Das Kantorhaus blieb stehen und ist heute Sitz der Jüdischen<br />

Gemeinde <strong>Dessau</strong>. Eine Tafel am Haus erinnert noch an einen<br />

anderen großen <strong>Dessau</strong>er: Kurt Weill. Der weltberühmte Komponist<br />

wuchs hier auf, weil sein Vater Kantor war. Zurück geht es über die<br />

Friedrich-Naumann-Straße, wo wir vorbei am heutigen Gymnasium<br />

Philanthropinum die Kavalierstraße kreuzen und quer durch<br />

den Stadtpark laufen, vorbei an den einmaligen Hochhäusern auf<br />

Y-Grundriss, um schließlich in der Antoinettenstraße anzukommen:<br />

Ein Karree im Neoklassizismus der Fünfzigerjahre. Es ist so, als hätte<br />

die Berliner Karl-Marx-Allee hier einen kleinen Ableger. Über den<br />

Friedensplatz, vorbei am <strong>Anhalt</strong>ischen Theater, kommen wir dort an,<br />

wo wir vor gut zwei Stunden losgelaufen waren: am Hauptbahnhof.<br />

Dass die Fassade an die Farben der Toskana erinnert, war uns beim<br />

Loslaufen gar nicht aufgefallen.<br />

26 27


28<br />

„Bau auf, bau auf ...“ Eine Tour zur DDR-<strong>Architektur</strong><br />

Die <strong>Dessau</strong>er Innenstadt ist auch geprägt durch die gebaute Hinterlassenschaft<br />

der DDR. Bei genauerem Hinsehen ist hier gar ein steingewordenes<br />

Lexikon des Städtebaus und der <strong>Architektur</strong> jener Epoche<br />

zu finden. Im Zweiten Weltkrieg fast flächendeckend zerstört, sollte<br />

<strong>Dessau</strong> als sozialistische Großstadt wieder aufgebaut werden. In den<br />

Anfangsjahren wurden ganze Straßenzüge mit klassizistischen Stilelementen<br />

gestaltet („National in der Form, sozialistisch im Inhalt“). Zunehmend<br />

wechselte das Leitbild zur aufgelockerten „Stadt im Grünen“<br />

mit oft als Versuchsbauten ausgeführten „städtebaulichen Dominanten“<br />

um den unvollendeten zentralen Platz und den Stadtpark.<br />

Das Reisewerk StattReisen <strong>Dessau</strong> bietet Führungen zur überraschend<br />

vielfältigen DDR-Nachkriegsarchitektur an und hat den Titel einem<br />

alten Propagandalied entliehen: „Bau auf, bau auf“. Das Wechselspiel<br />

zwischen sorgsam recherchierten, oft ambitionierten städtebaulichen<br />

Entwürfen und real umgesetzten Fragmenten macht den Rundgang<br />

zu einem spannenden zeitgeschichtlichen Exkurs. „Bau auf, bau auf“<br />

dauert 120 Minuten, wird zwei Mal im Jahr im öffentlichen Programm<br />

angeboten und ist auch für Gruppen buchbar. www.reisewerk.de<br />

Bildnachweis<br />

© Kulturstiftung <strong>Dessau</strong>Wörlitz, Bildarchiv, Heinz Fräßdorf S. 23 o.<br />

© Christoph Petras, Berlin Umschlag, S. 3, 5, 6, 7, 10, 11 u. re., 12/13, 19, 20, 24 u., 26, 27<br />

© Thomas Ruttke, <strong>Dessau</strong> S. 15 u. re.; U. Knebler S. 21; Florian Krause, <strong>Dessau</strong> S. 28<br />

Anne Sommer, Dieter Bankert, <strong>Dessau</strong> S. 2, 8/9, 11 o., 11 u. li., 14/15 o., 16/17, 18, 22, 24 o., 25<br />

Foto: Jo Schück S. 4; Foto: Philipp Oswalt S. 23<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber: Stadt <strong>Dessau</strong>-Roßlau<br />

Konzept und Gestaltung: bankertsommer ARCHITEKTEN<br />

Text: Ingolf Kern, außer S. 16-19: Dieter Bankert, S 28: Guido Fackiner<br />

Redaktion: Christin Irrgang, Ingolf Kern, Jutta Stein<br />

Fotografie: Christoph Petras<br />

Fachliche Beratung: AK „Aufklärung und Moderne“ des TourismusRegion <strong>Anhalt</strong>-<strong>Dessau</strong>-<strong>Wittenberg</strong> e.V.<br />

(Stadt <strong>Dessau</strong>-Roßlau, Stiftung Bauhaus <strong>Dessau</strong>, Kulturstiftung <strong>Dessau</strong>Wörlitz, Reisewerk StattReisen <strong>Dessau</strong>)<br />

Druck: DRUCKWERK, Talstraße 7-8 | 06120 Halle<br />

1. Auflage November 2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!