29.12.2013 Aufrufe

Beitrag

Beitrag

Beitrag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wiener Zeitschrift für Suchtforschung Jg. 31 2008 Nr. 1<br />

Liebe ist nicht diejenige, die auf die Befriedigung verzichtet<br />

oder in der Ansprüche versagt werden, sondern die<br />

ideale Liebe generiert sich aus der Möglichkeit der Vorstellung<br />

der Nicht-Befriedigung. Lacans Beispiel dafür ist<br />

die höfische Liebe, in der das geliebte Objekt, die Dame,<br />

niemals zu einem realen Objekt wird, sondern stets imaginär<br />

verbleibt. „Dies ist die eigentliche Ordnung, in der<br />

die ideale Liebe sich entfalten kann – die Stiftung des<br />

Mangels in der Beziehung zum Objekt“ (Lacan 2003,<br />

S.126).<br />

In allen drei vorgestellten Ansätzen, die Gabe zu denken,<br />

bleibt das Verhältnis von Gabe und Gift indifferent, unentscheidbar,<br />

ambivalent, oszillierend. Die Gabe als<br />

Bedingung der sozialen Bindung bedingt das „Gift“ der<br />

Verpflichtung zur Gegengabe. Die Gabe als das Unmögliche<br />

zu denken impliziert eine Unentscheidbarkeit von<br />

Gabe und Gift, schließlich wird die Gabe der Liebe nur<br />

möglich, wenn das „Gift“ des Anspruchs an die geliebte<br />

Person in der Anerkennung des Mangels aufgeht.<br />

5. „Darauf kannst Du Gift nehmen“ –<br />

Die Unentscheidbarkeit von Gabe und Gift<br />

und die vermeintliche Gewissheit der Droge<br />

Der Begriff Droge hat seine etymologische Wurzel im<br />

Niederländischen droog, zu Deutsch trocken. Droog<br />

bezeichnete in den Zeiten der niederländischen Kolonialherrschaft<br />

getrocknete Pflanzen und Pflanzenprodukte.<br />

In der deutschen Sprache findet sich beim Begriff Droge<br />

eine ähnliche Ambivalenz im Sprachgebrauch wie bei<br />

Gabe/Gift. Wenn auch der Begriff der Droge als Arznei<br />

durch die fast ausschließliche Bedeutung von Droge als<br />

selbstschädigender bzw. illegaler Substanz immer weniger<br />

Verwendung findet, bleibt er z.B. im Wort „Drogerie“<br />

gebräuchlich.<br />

Der Begriff Droge bezieht sich auf ein eindeutig abgegrenztes<br />

semantisches Feld. Derrida spricht von einer<br />

„instituierten“ bzw. „institutionellen Definition“ und einer<br />

„expliziten oder elliptischen Rhetorik“. Der Begriff Droge<br />

ist nicht auf eine Natur von spezifischen Giftstoffen zu<br />

reduzieren, er ist nicht wissenschaftlich und seine moralischen<br />

und politischen Bewertungen führen zu einer Verwendung<br />

als „Losungswort“, welches vor allem prohibitiven,<br />

aber auch erhöhenden, „lobpreisenden“ Charakter<br />

annehmen kann. Die Verwendung des Begriffs Droge<br />

setzt eine gewisse Konvention des Verbots voraus (vgl.<br />

Derrida 1998, S.242).<br />

Die Institutionalisierung des Begriffs verdrängt jedoch die<br />

Unentscheidbarkeit des Begriffs Droge zu Gunsten einer<br />

determinierenden und verschleiernden Rhetorik. Dem<br />

verdammenden Diskurs rund um die Droge (z.B. die<br />

Entwertung drogenkranker Personen, der Drogenkonsum<br />

als Weg in die Kriminalität, die Droge als Flucht vor der<br />

Realität etc.) steht eine heimlich idealisierende Faszination<br />

gegenüber (die Süchtigen als Opfer von Verführern,<br />

die Droge als Wirkform verloren gegangener religiöser<br />

Praxen, die Droge als Mittel zur Bewusstseinserweiterung<br />

etc.). Die Droge ist entschieden Gabe oder Gift,<br />

Erhöhung oder Erniedrigung, Erlösung oder Verdammung,<br />

Erweckung oder Verfall, Linderung oder Leiden,<br />

Selbstfindung oder Abhängigkeit. Der Unterscheidbarkeit<br />

vorausgesetzt ist die Gewissheit um die Differenz von<br />

Gabe und Gift in Bezug auf die Droge.<br />

Einige Theorien gehen davon aus, dass die Droge sowohl<br />

schädigende als auch heilende Wirkung hat. In<br />

diesem Zusammenhang wird auch von der Drogeneinnahme<br />

als Selbstmedikation bzw. als Selbstheilungsversuch<br />

gesprochen, als Versuch, schwer zu bewältigende<br />

Lebenssituationen, verwirrende oder widersprüchliche<br />

Gefühle, traumatische Erfahrungen, Defizite etc. erträglicher<br />

zu machen.<br />

In struktural-psychoanalytischer Sicht ist die Droge als<br />

Antwort auf die Versagung zu denken, die das Kind in<br />

Bezug auf die Befriedigung durch die Mutter erfährt. Der<br />

„Entzug“ der Befriedigung durch die Mutter (z.B. das<br />

„Abstillen“) kann je nachdem vorgestellt werden, wie das<br />

Kind die Mutter als symbolische Mutter anerkennen kann,<br />

d.h. als Mutter, die das Kind „zur Sprache bringt“. Der Akt<br />

der Drogeneinnahme ist als Versuch der Gabe zu verstehen,<br />

wobei die Anerkennung der Versagung und die<br />

damit einhergehenden Gefühle verleugnet werden,<br />

gleichzeitig ist diese Gabe aber auch immer als Gift zu<br />

verstehen: Gift für das Selbst bzw. Gift für den Anderen.<br />

Die Droge ist eine als unbedingt und unabdingbar phantasierte<br />

Gabe, die als reale Substanz die Wahrnehmung<br />

beeinflussende Auswirkungen auf Körper, Psyche und<br />

Existenz hat und deren schädigender Charakter verleugnet<br />

wird. Die Droge wird real zur unabdingbaren Gabe,<br />

wenn ihr alle anderen Lebensinteressen untergeordnet<br />

werden, wenn der Konsum als unverzichtbar erlebt wird<br />

und ohne Rücksicht auf Verluste geschieht: Verlust von<br />

intimen Beziehungen, von familiären Bindungen, von<br />

Freundschaften, Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung,<br />

der Freiheit, der Gesundheit – bis hin zum Verlust<br />

des eigenen Lebens. Die Droge steht für das Phantasma<br />

der einen Gabe, die Alles verspricht und Alles zunichte<br />

machen kann, die Alles geben, aber auch Alles nehmen<br />

kann, einer Gabe, die das Absolute und die Absolution<br />

bedeuten will, eine Gabe, welche selbst die Unentscheidbarkeit<br />

von Gabe und Gift verleugnet, also eine<br />

ent-scheidende Gabe, die Gabe und Gift zugleich eint<br />

und zu trennen vermag.<br />

Die Unterscheidung der Droge in Gabe oder Gift folgt den<br />

jeweiligen prohibitiven/permissiven Praktiken eines sozialen<br />

Gefüges. Die Gabe ist in unserem Denken dem medizinischen<br />

Diskurs zugeordnet, sie ist normal, legal und<br />

den Genuss bzw. den Rausch bzw. die Selbstgabe ausschließend.<br />

Gift betrifft dagegen den verbotenen Genuss<br />

bzw. den Rausch, dessen zivilisatorische Eindämmung<br />

nicht restlos zu gelingen vermag, die Droge wird zum<br />

Symptom der Gesellschaft und ihrem jeweiligen Bezug<br />

zum Genießen.<br />

Die Droge in ihrer relativen Unentschiedenheit von Gabe/Gift<br />

zu akzeptieren, heißt die vorgegebene Entschiedenheit<br />

von Droge als „Losungswort“ zu überwinden und<br />

die singuläre Bedeutung für das Subjekt ernst zu neh-<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!