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EINBLICK Sonderheft „Was heißt schon normal?“ - AGAPLESION ...

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Biografiearbeit<br />

Milieugestaltung<br />

Damit sich unsere Bewohnerinnen<br />

und Bewohner daheim fühlen,<br />

sind ihre Zimmer und die Gemeinschaftsräume<br />

so möbliert, wie die<br />

Wohnräume ihrer Prägungszeit<br />

eingerichtet waren.<br />

Gewohnheiten<br />

Von Herrn Mitzner* wissen wir aus<br />

seiner Kindheit, dass er immer der<br />

Erste in der Badewanne war, wenn<br />

die Mutter Wasser eingelassen hat.<br />

Baden ist<br />

für ihn mit<br />

wohltuenden<br />

Erinnerungen<br />

verbunden.<br />

Wir ermöglichen<br />

ihm<br />

Entspannung<br />

in unserem<br />

Pflegebad, um<br />

seine permanente<br />

motorische Unruhe für einen<br />

Augenblick zu unterbrechen. Es<br />

sind oft gerade die kleinen Dinge,<br />

die den Alltag unser Bewohner bestimmen<br />

und auflockern können.<br />

Mutterwitz<br />

Böhm nimmt an, dass der alte<br />

Mensch in der von ihm definierten<br />

Interaktionsstufe 2 (noch Erwachsenenalter)<br />

kognitiv nachlässt, aber<br />

noch erreichbar ist und auch noch<br />

auf Humor reagiert. Insbesondere<br />

wenn sein „Mutterwitz<strong>“</strong> ehedem<br />

stark ausgeprägt war, kann dieser<br />

ein sehr wichtiger Schlüssel sein,<br />

um Zugang zu ihm zu bekommen.<br />

Als die noch etwas müden Bewohnerinnen<br />

und Bewohner der Wohnetage<br />

Altstadt im Aufenthaltsraum<br />

frühstückten und ich ihre Morgenmedikation<br />

vorbereitete, kam Frau<br />

Husmann* zu mir. Sie wollte wie so<br />

oft die Erste sein. Ich bat um etwas<br />

Geduld. Sie ging zu ihrem Platz<br />

zurück und ich wandte mich erneut<br />

den Medikamenten zu. Ich nahm<br />

den Medikamentenblister von Frau<br />

Husmann, füllte ihn um, drehte<br />

mich zu ihr und… weg war sie!<br />

„Huch, ist Frau Husmann verpufft?<strong>“</strong><br />

entfuhr es mir. Herr Adam* lachte<br />

laut los und klopfte auf den Tisch,<br />

Frau Knorr* meinte lachend und mit<br />

Tränen in den Augen: „Nein die ist<br />

doch gerade rausgegangen.‘‘ Frau<br />

Husmann kam lachend vom Flur<br />

zurück: „Aber nein, ich bin doch<br />

hier.<strong>“</strong> Nun musste auch ich lachen.<br />

Alle anderen wurden von unserer<br />

Fröhlichkeit angesteckt. Der Tagesraum<br />

war plötzlich ganz erfüllt von<br />

einer heiteren lauten Stimmung und<br />

alle unterhielten sich angeregt. Das<br />

lockte weitere Bewohner und meine<br />

Kollegin aus der Wohnküche an.<br />

Wir erlebten einen heiteren Tag.<br />

Ich-Wert<br />

Böhm geht davon aus, dass ein<br />

Mensch nur „lebbar<strong>“</strong> ist, wenn<br />

er mindestens einmal am Tag der<br />

Wichtigste ist.<br />

An einem sehr schönen Sommertag<br />

beschlossen Herr Rosen* und ich,<br />

WELTALZHEIMERTAG<br />

In Deutschland sind rund 1,2<br />

Millionen Menschen an Demenz<br />

erkrankt. Es sind fast ausschließlich<br />

Menschen höheren Alters<br />

betroffen. Seit 1994 finden jedes<br />

Jahr am Welt-Alzheimertag (21.<br />

September) vielfältige Aktivitäten<br />

statt, um die Öffentlichkeit<br />

auf die Situation der Erkrankten<br />

und ihrer Angehörigen aufmerksam<br />

zu machen.<br />

unseren Kaffee im Freien zu trinken,<br />

und bereiteten vor dem Wohnhaus<br />

eine Tafel vor. Sie war gut<br />

besucht, alle unterhielten sich und<br />

genossen das herrliche Wetter. Da<br />

kam Herr Graul*, eine ehemaliger<br />

Schauspieler und extrovertierter<br />

Mensch, hinzu. Alle rollten mit den<br />

Augen. Wie erwartet, riss er gleich<br />

das Gespräch an sich. Die ersten<br />

Bewohner verließen genervt die<br />

Runde. Ich reichte Herrn Graul eine<br />

Tasse mit den Worten: „Romeo, oh<br />

mein Romeo, hier ist ihr Kaffee!<strong>“</strong><br />

„Vielen Dank, ihr holde Maid.<strong>“</strong> Er<br />

verbeugte sich schmunzelnd und<br />

bat mich, für einen Augenblick seine<br />

Assistentin zu sein. Er schlüpfte<br />

in die Rolle des Romeo und spielte<br />

mit mir die Balkonszene, begleitet<br />

von einer gewissen Situationskomik,<br />

da Julia überhaupt nicht textsicher<br />

war und Romeo ihr die Einsätze ins<br />

Ohr flüstern musste. Dann geschah<br />

ein kleines Wunder: Die Kaffeetafel<br />

füllte sich wieder. Mehr und mehr<br />

Bewohner kamen dazu, um sich<br />

das Spektakel anzusehen. Zum Abschluss<br />

verbeugten sich Herr Graul<br />

und ich in alter Theatermanier. Es<br />

gab klatschenden und lachenden<br />

Beifall und Zugaberufe. Herr Graul<br />

genoss diesen Moment. Wir blieben<br />

in lockerer Atmosphäre zusammen<br />

bis zum Abendbrot, das wir auf<br />

Wunsch vieler Bewohner ebenfalls<br />

im Vorgarten einnahmen.<br />

Susanne Schneider<br />

26 | <strong>EINBLICK</strong> <strong>Sonderheft</strong>

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