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Magazin #13 - Der Club zu Bremen

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<strong>Magazin</strong> <strong>#13</strong><br />

2008<br />

<strong>Club</strong> Spezial: 225 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Dächer aus <strong>Bremen</strong><br />

Luxus und Dekadenz<br />

<strong>Club</strong>-Test: BMW 1er<br />

100 Jahre Lampe & Schwartze<br />

Overbecks Garten<br />

Gustave Caillebotte<br />

ABC-Interview<br />

4,50 Euro<br />

225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>


<strong>Magazin</strong> <strong>#13</strong><br />

2008<br />

<strong>Club</strong> Spezial: 225 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Dächer aus <strong>Bremen</strong><br />

Luxus und Dekadenz<br />

<strong>Club</strong>-Test: BMW 1er<br />

100 Jahre Lampe & Schwartze<br />

Overbecks Garten<br />

Gustave Caillebotte<br />

ABC-Interview<br />

4,50 Euro<br />

225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>


1 <strong>Club</strong>-Kommentar<br />

Prof. Dr. Klaus Berthold<br />

Vorsitzender <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

225 Jahre<br />

<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

In diesem Jahr können wir mit Stolz, Dankbarkeit und Selbstvertrauen<br />

auf unsere nunmehr 225-jährige Geschichte <strong>zu</strong>rückblicken,<br />

die viele der umwälzenden Ereignisse im ausgehenden<br />

18., im 19., im 20. und im gerade angebrochenen 21. Jahrhundert<br />

widerspiegelt. Unsere beiden Vorgängergesellschaften, die<br />

Gesellschaft Museum von 1783 und die Bremer Gesellschaft von<br />

1914, aus deren Vereinigung 1931 der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> hervorging,<br />

wurden von Menschen geprägt, die vom Drang nach Wissen<br />

beseelt waren, die Anregung durch Vorträge und Experimente<br />

sowie freien Gedankenaustausch suchten und denen das<br />

Gemeinwohl <strong>Bremen</strong>s am Herzen lag. Nicht umsonst nannten<br />

Zeitgenossen die Gesellschaft Museum eine der größten Zierden<br />

<strong>Bremen</strong>s und den gesellschaftlichen Mittelpunkt des geistigen<br />

Lebens. Fast alle der für die Entwicklung <strong>Bremen</strong>s wichtigen<br />

unternehmerischen Entscheidungen in Handel und Schifffahrt<br />

sind in den <strong>Club</strong>räumen der Gesellschaft Museum angedacht und<br />

besprochen worden. Damals wie heute gilt für uns der von<br />

Immanuel Kant 1784 formulierte Wahlspruch der Aufklärung<br />

“Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes <strong>zu</strong> bedienen!“<br />

Das Begehen von Jubiläen ist kein Selbstzweck. Es ist unverzichtbar<br />

für die identitätsstiftende Auffrischung unseres kollektiven<br />

Gedächtnisses. Erinnerungen können nur bewahrt werden,<br />

wenn sie immer wieder aufs Neue von Generation <strong>zu</strong> Generation<br />

weitergegeben werden, nicht nur durch mündliche Überlieferung,<br />

sondern in Schriftform mit Bildern. Deshalb hat der Vorstand<br />

einstimmig beschlossen, die lange und wechselvolle<br />

Geschichte unseres <strong>Club</strong>s aus heutiger Sicht unter Nut<strong>zu</strong>ng<br />

unterschiedlichster Quellen wissenschaftlich aufarbeiten <strong>zu</strong> lassen.<br />

Wir hoffen, dass wir Ihnen die reich bebilderten Ergebnisse<br />

dieser Arbeit noch im Herbst dieses Jahres in Buchform präsentieren<br />

können. Einen kleinen Vorgeschmack bieten mehrere<br />

Seiten dieses Heftes.<br />

<strong>Der</strong> würdevolle und dennoch heitere Festakt in der Oberen Halle<br />

des Rathauses, das uns <strong>zu</strong>r Ehren geflaggt war, hat, mit über<br />

600 Teilnehmern, gezeigt, dass unsere Tradition gelebt wird. Wir<br />

sind, samt Damen, im 21. Jahrhundert angelangt. In Anwesenheit<br />

namhafter Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur,<br />

Wissenschaft, Kirchen, Bundeswehr und Verwaltung haben sich<br />

die Redner, besonders Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der<br />

Zeitung DIE ZEIT, der Frage nach den vergangenen, derzeitigen<br />

und künftigen Werten unserer Gesellschaft gestellt. Ihre viel<br />

beachteten Beiträge fanden ein sehr großes Echo in den Medien.<br />

Unser <strong>Club</strong> hat in diesen Tagen wieder einmal mehr gezeigt,<br />

dass er seinen Mitgliedern und der Gesellschaft ein bedeutendes<br />

Forum <strong>zu</strong> Diskussion der drängenden Fragen unserer Zeit bietet.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> versteht seine in 225 Jahren erworbene<br />

Reputation als Vereinigung engagierter weltoffener Bürger in<br />

der bremischen Gesellschaft als Verpflichtung, auch in Zukunft<br />

im kulturellen und im wirtschaftlichen Bereich Anstöße <strong>zu</strong>m<br />

Wohle der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong>s <strong>zu</strong> geben.<br />

Prof. Dr. Klaus Berthold<br />

Dr. Rüdiger Hoffmann


Komfort lässt sich<br />

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3<br />

Inhalt<br />

Themen<br />

<strong>Club</strong>-Kommentar<br />

Erwartungen 1<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Festakt 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> 4<br />

Reden<br />

Empfang<br />

<strong>Club</strong>leben von 1783 – 1945 28<br />

Herrenclubs im 18. Jahrhundert 36<br />

Die kaiserliche Flotte 54<br />

<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Veranstaltungen 42<br />

Podiumsdiskussion Roth/Pfeiffer 48<br />

Overbecks Garten 64<br />

Menschen im <strong>Club</strong><br />

Wilhelm Klocke 60<br />

Wirtschaft<br />

Lampe & Schwartze 70<br />

Test BMW 1er 74<br />

Dächer aus <strong>Bremen</strong> 78<br />

<strong>Bremen</strong><br />

ABC-Interview 82<br />

Ehrfurcht Wort für Wort 84<br />

Bremer Geschichten<br />

Carl Philipp Cassel 88<br />

Kultur<br />

Luxus + Dekadenz 94<br />

Gustave Caillebotte 98<br />

Die Deutsche Kammerphilharmonie <strong>Bremen</strong> 106<br />

Literatur<br />

Gerald Sammet rezensiert 102<br />

Impressum 112


4 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Festakt in der Oberen Rathaushalle am 16. Mai 2008<br />

Christian Weber Präsident der Bürgerschaft<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

und ich sage das hier mit Nachdruck: meine Damen und Herren.<br />

Eine so urtypische Institution wie „<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“, der die<br />

Geschichte der Hansestadt maßgeblich mit geschrieben hat, und<br />

der <strong>zu</strong> den herausragenden Traditionseinrichtungen gehört, die<br />

den Ruf <strong>Bremen</strong>s überregional beflügeln – dieser <strong>Club</strong> öffnete<br />

inzwischen seine über Jahrhunderte vorherrschenden patriarchalischen<br />

Sit<strong>zu</strong>ngen. Ich erinnere an andere Traditionsgesellschaften,<br />

die zwar gerne die weibliche Form wie „die Schaffermahlzeit“<br />

oder „die Eiswette“ für ihre Zwecke nutzen, Frauen selbst<br />

bleiben allerdings grundsätzlich von den Runden ausgeschlossen.<br />

Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Männer des <strong>Club</strong>s <strong>zu</strong><br />

<strong>Bremen</strong> seit dem letzten großen Jubiläum über ihren Schatten<br />

gesprungen und seitdem Frauen als Mitglieder willkommen sind.<br />

Also nochmals: Meine Damen und Herren, ich beglückwünsche<br />

Sie an dieser Stelle ganz herzlich <strong>zu</strong> dem 225-jährigen Bestehen<br />

Ihres <strong>Club</strong>s. Was Sie als seine Mitglieder für das gesellschaftliche<br />

Leben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer<br />

Stadt leisten, verdient Respekt und hohe Anerkennung. Und es<br />

ist historisch wertvoll. Ich habe ein aufschlussreiches Buch von<br />

Matthias Wegner mit dem Titel „Hanseaten“ gelesen. <strong>Der</strong> Hanseat<br />

konnte im 18. und 19. Jahrhundert im Gegensatz <strong>zu</strong> den<br />

Leuten in deutschen Feudalstaaten das hohe Potential an Freiheiten<br />

in seiner bürgerlichen und städterepublikanischen Umgebung<br />

nutzen. Und er wusste es ausgiebig <strong>zu</strong> nutzen. Beizeiten<br />

wurde von einer Bremer Gesellschaft berichtet, in der einige vor<br />

allem mit dem Geldbeutel und dem richtigen Gesangbuch regierten.<br />

In dem Buch wird vor allem aber geschildert, wie sich der angesehene<br />

Bürger in <strong>Bremen</strong> nicht nur durch Wohlstand und Augenmaß,<br />

Fairness und Vertrauenswürdigkeit auszeichnet, sondern<br />

darüber hinaus durch den persönlichen Einsatz für das Gemeinwesen,<br />

durch kulturelles und soziales Engagement für die eigene<br />

Stadt. <strong>Der</strong> Hanseat erhielt <strong>zu</strong>r Zeit der Aufklärung eine sehr<br />

positive Nuance und besonderen Stellenwert. Diesen besitzt er<br />

noch heute. Was wären wir ohne die Stifter, Sponsoren, Mäzene<br />

und Ehrenamtlichen unter Ihnen, die mit viel Geld, hohem Sachverstand<br />

und freiwilligem Einsatz unseren öffentlichen Wohlstand<br />

mehren? Ja, wir wären deutlich ärmer.<br />

Kehren wir <strong>zu</strong>rück in das Jahr 1783, eine Zeit des Aufbruchs, als<br />

sich die „Gesellschaft Museum“ etablierte, in der Bremer Kaufmannsfamilien<br />

sich als Kunstmäzene betätigten, und die<br />

Geburtsstunde Ihres <strong>Club</strong>s schlug. Seine Gründung ist untrennbar<br />

verbunden mit dem Aufkommen der ersten Lesezirkel, in<br />

denen sich Menschen mit geistiger Nahrung versorgten und<br />

geistige Nahrung austauschten. An diesen Treffen beteiligten<br />

sich wie selbstverständlich Frauen – gerne auch mit ihren<br />

Kindern. Insofern, meine Damen und Herren, empfinde ich Ihre<br />

Pro-Frauen-Entscheidung klug und nur konsequent.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> hat im Laufe der 225-jährigen Geschichte<br />

seine Erscheinung, sein Auftreten und seine Statuten immer wieder<br />

verändert. Eines zieht sich jedoch wie ein roter Faden durch<br />

seine Entwicklung: der Wille und die Verpflichtung, Menschen<br />

auf<strong>zu</strong>klären und Wissen <strong>zu</strong> vermitteln. Das betrachte ich als<br />

Segen für unser Gemeinwesen. Den Aktivitäten Ihres <strong>Club</strong>s ist es<br />

<strong>zu</strong> verdanken, dass beispielsweise das Interesse für technische<br />

und naturwissenschaftliche Vorgänge stetig wuchs. <strong>Der</strong> Astronom<br />

und Arzt Wilhelm Olbers beispielsweise trug mit seinen<br />

diversen Vorträgen wesentlich da<strong>zu</strong> bei.<br />

Anfang und Fortschritt des <strong>Club</strong>s <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> spiegeln ein großes<br />

Kapitel Bürgergeschichte, bedeuten den Aufschwung bürgerli-


cher Kultur. Sie beinhalten insbesondere viele geistige Wurzeln,<br />

die uns heute mehr denn je <strong>zu</strong>gute kommen. Sie vom <strong>Club</strong> <strong>zu</strong><br />

<strong>Bremen</strong> dürfen sich mit Fug und Recht als Vorläufer und Förderer<br />

eines Bildungsstandes betrachten, der in der Freien Hansestadt<br />

<strong>Bremen</strong> mittlerweile auf vielen Gebieten Spitzenqualität<br />

erreicht hat.<br />

Wenn es Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen<br />

betrifft, spielen wir mittlerweile bei Exzellenz-Initiativen und<br />

Best-Practice-Modellen in der ersten Liga mit. Wissen ist <strong>zu</strong><br />

einem international erstklassigen Standortfaktor geworden. <strong>Bremen</strong><br />

und Bremerhaven verfügen über zwei bedeutende Universitäten,<br />

renommierte Hochschulen und weltweit angesehene<br />

Forschungsinstitute. <strong>Bremen</strong> war und ist erste Stadt der Wissenschaft.<br />

Und wir verstehen es immer besser, Wissenschaft mit der<br />

Wirtschaft erfolgreich <strong>zu</strong> verzahnen. Gleichwohl, meine ich,<br />

bleibt noch viel und ständig etwas <strong>zu</strong> tun.<br />

Warum sage ich das an dieser Stelle?<br />

Viele Probleme und Weichenstellungen in die Zukunft lassen sich<br />

nur gemeinsam lösen. <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> und die Freie Hansestadt<br />

<strong>Bremen</strong> verfügen über eine reiche Geschichte, die die Bürgerinnen<br />

und Bürger nicht ohne Stolz an künftige Generationen<br />

weitergeben. „Buten un binnen, wagen un winnen“ lautet seit<br />

Jahrhunderten ihr Handlungsmotiv. Wir haben hier am Marktplatz<br />

auf engem Raum und über kurze Wege erreichbar 4 gesellschaftlich<br />

relevante Kräfte versammelt: das Rathaus als Exekutive,<br />

das Haus der Bürgerschaft als Legislative, den Dom als Kirche<br />

und vor allem auch den Schütting mit der ältesten, verbrieften<br />

Kaufmannschaft, die in Deutschland existiert. <strong>Der</strong> Austausch<br />

untereinander, durchaus kritisch und kontrovers, war in der Vergangenheit<br />

nicht immer unumstritten, aber in der Regel fruchtbar.<br />

Und er ist zwingend im Interesse unseres Bundeslandes.<br />

Gerade vom <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> sind viele Impulse ausgegangen,<br />

damit sich die verschiedenen Institutionen füreinander interessieren<br />

und Ideen bündeln. Das wünsche ich mir auch für die<br />

nächsten Jahre und Jahrzehnte. Aus Tradition lassen sich sicherlich<br />

Kraft und Stärke schöpfen; sie macht aber modernes,<br />

<strong>zu</strong>kunftsorientiertes Handeln nicht überflüssig.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

als ich Ihren <strong>Club</strong>-Vorstand kürzlich fragte, welchen Inhalt er<br />

sich denn für mein Grußwort wünschen würde, lautete die Antwort:<br />

Blumen streuen. Nun bin ich es in meiner Position<br />

gewohnt, dass man bevor<strong>zu</strong>gt Belobigungen von mir erwartet.<br />

Ich gebe sie am heutigen Tag sehr gerne und reichlich – und aus<br />

tiefer Überzeugung. <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> hat Lob verdient. Lassen<br />

Sie mich noch einen Gedanken <strong>zu</strong>m Wunsch des Vorstandes<br />

erwähnen: Blumen streuen ist bunt und eine vorauseilende<br />

Tätigkeit bei Eheschließungen. Nun möchte ich hier gewiss nicht<br />

<strong>zu</strong> Eheversprechen anstiften, sondern dafür werben, dass Wirtschaft,<br />

die Sie vertreten, und Politik, die ich und einige andere<br />

hier im Saal repräsentieren, sich wieder stärker aufeinander <strong>zu</strong><br />

bewegen. Dass wir die beiderseitigen Kompetenzen gemeinsam<br />

<strong>zu</strong>m Wohle <strong>Bremen</strong>s und Bremerhavens einsetzen. Manchmal bin<br />

ich in Sorge, die Basis für Verständnis und Verständigung könnte<br />

brüchig werden. Das dürfen wir nicht riskieren. Ein solches<br />

Auseinanderdriften würde der starken Mentalität des Hanseatischen,<br />

die ich gerade schilderte, ganz und gar nicht mehr entsprechen.<br />

Pflegen wir deshalb den Dialog, verstärken wir ihn,<br />

entdecken wir das Verbindende.<br />

Mir fällt ein spannendes Programm ein, das die Bürgerschaft<br />

<strong>zu</strong>sammen mit den Wirtschaftsjunioren der Handelskammer auflegt<br />

und das für dieses Jahr sehr vielversprechend anläuft:<br />

Unternehmerinnen und Unternehmer begleiten Abgeordnete<br />

durch den politischen Alltag. <strong>Der</strong> eine soll den anderen in seinem<br />

Denken und Tun besser und praxisnah verstehen – und<br />

umgekehrt. Solche Näherungsversuche unterstütze ich nachdrücklich.<br />

Und ich träume: Eines Tages wird das Unternehmertum<br />

– im bremischen Parlament stark unterrepräsentiert – dem<br />

Reiz eines politisches Mandats erliegen und sich um ein solches<br />

bewerben – dem Gemeinwohl, der Demokratie <strong>zu</strong> Liebe, aus Verantwortung<br />

für den aktiven Staat, der die Menschen <strong>zu</strong>r Teilhabe<br />

aktiviert.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> hat eine wechselvolle, inhaltsreiche<br />

Geschichte hinter sich und eine große Zukunft vor sich. Davon<br />

bin ich überzeugt. Und ich bin sicher, dass dieser <strong>Club</strong> mit seinen<br />

Akteurinnen und Akteuren <strong>Bremen</strong> weiterhin sehr gut tun<br />

wird. Nochmals meine Gratulation <strong>zu</strong> dem Jubiläum und vielen<br />

Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


6 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Festakt in der Oberen Rathaushalle am 16. Mai 2008<br />

Prof. Dr. Claus Berthold Vorsitzender <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Herr Präsident<br />

Frau Bürgermeisterin<br />

Herr Dr. Scherf<br />

Hochansehnliche Festversammlung!<br />

Seit der Feier <strong>zu</strong>m 200. Bestehen des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> im Jahre<br />

1983 ist buten un binnen ein an Ereignissen reiches Vierteljahrhundert<br />

vergangen. Grund genug für uns, nach 25 Jahren wiederum<br />

ein Jubiläum in diesem altehrwürdigen, inzwischen samt<br />

Roland <strong>zu</strong>m Weltkulturerbe der Unesco ernannten Rathaus <strong>zu</strong><br />

begehen.<br />

Damals, nach dem Vorsitzenden Friedrich Wilhelm Bracht, hatte<br />

uns Bürgermeister Hans Koschnick begrüßt. Bundespräsident<br />

Karl Carstens, unser langjähriges Mitglied und Ehrenmitglied,<br />

würdigte den <strong>Club</strong> als echtes Kind hanseatischen Geistes, dessen<br />

Blick weit über <strong>Bremen</strong> hinausgeht, und gratulierte uns <strong>zu</strong>r<br />

Bewahrung von Aufgeschlossenheit und Offenheit. Die Hauptrede<br />

hielt der im vorigen Jahr verstorbene Joachim Fest, einer der<br />

großen Männer der deutschen Literatur und Publizistik, der<br />

lange Jahre Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung<br />

war. Mit seinem bundesweit viel beachteten Vortrag „<strong>Der</strong> verlorene<br />

Schatten, Gedanken <strong>zu</strong>r Zeitwende in Aufklärung und<br />

Gegenwart“ schenkte er uns wertvolle Einsichten und Denkanstöße,<br />

verbunden mit dem von Alexis de Tocqueville stammenden<br />

Rat, den Weg in die Zukunft durch das Licht der Vergangenheit<br />

<strong>zu</strong>mindest ein Stück weit <strong>zu</strong> erhellen.<br />

Heute können wir voller Stolz, Dankbarkeit und Selbstvertrauen<br />

auf unsere nunmehr 225-jährige Geschichte <strong>zu</strong>rückblicken, die<br />

viele der umwälzenden Geschehnisse im ausgehenden 18., im<br />

19., im 20. und im gerade angebrochenen 21. Jahrhundert<br />

widerspiegelt. Unsere beiden Vorgängergesellschaften, die<br />

Gesellschaft Museum von 1783 und die Bremer Gesellschaft von<br />

1914, aus deren Vereinigung 1931 der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> hervorging,<br />

wurden von Menschen geprägt, die vom Drang nach Wissen<br />

beseelt waren, die Anregung durch Vorträge und Experimente<br />

sowie freien Gedankenaustausch suchten und denen das<br />

Gemeinwohl <strong>Bremen</strong>s am Herzen lag. Damals wie heute gilt der<br />

von Immanuel Kant 1784 formulierte Wahlspruch der Aufklärung<br />

„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes <strong>zu</strong> bedienen!“<br />

Das Begehen von Jubiläen ist kein Selbstzweck. Es ist unverzichtbar<br />

für die identitätsstiftende und -bewahrende Auffrischung<br />

unseres kollektiven Gedächtnisses. Die Wissenschaft hat<br />

schon länger erkannt, dass nicht nur das einzelne Individuum,<br />

sondern auch Organisationen wie unser <strong>Club</strong> ein Gedächtnis und<br />

damit auch ein Selbstbild haben. Erinnerungen können nur<br />

bewahrt werden, wenn sie immer wieder aufs Neue von Generation<br />

<strong>zu</strong> Generation weitergegeben werden, nicht nur durch<br />

mündliche Überlieferung, sondern schriftlich. Es ist wichtig <strong>zu</strong><br />

wissen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen.<br />

Unser gemeinsames Gedächtnis wandelt sich im Laufe der Jahrhunderte,<br />

weil sich die Sicht der Dinge ändert, bestimmte Ereignisse<br />

oder Zusammenhänge aus zeitlicher Distanz anders gesehen<br />

und gewertet werden oder neue Aspekte hin<strong>zu</strong>kommen. Deshalb<br />

hat der Vorstand auf Anregung von Dr. Rüdiger Hoffmann<br />

einstimmig beschlossen, die lange und wechselvolle Geschichte<br />

unseres <strong>Club</strong>s aus heutiger Sicht unter Nut<strong>zu</strong>ng unterschiedlichster<br />

Quellen wissenschaftlich aufarbeiten <strong>zu</strong> lassen. Wir hoffen,<br />

dass wir Ihnen die reich bebilderten Ergebnisse dieser Arbeit<br />

noch in diesem Jahr in Buchform präsentieren können. Einen<br />

kleinen Vorgeschmack wird Ihnen das anlässlich unseres<br />

Jubiläums in den nächsten Tagen erscheinende umfangreiche<br />

<strong>Club</strong> <strong>Magazin</strong> bieten.<br />

Gegründet wurde unser <strong>Club</strong> im 18. Jahrhundert, das in der Literatur<br />

auch als das „gesellige Jahrhundert“ bezeichnet wird, da in<br />

dieser Zeit unter dem Einfluss der Aufklärung viele Vereinigungen,<br />

damals Sozietäten genannt, entstanden. Geselligkeit ist<br />

laut Wörterbuch der Gebrüder Grimm „das <strong>zu</strong>sammensein als<br />

genossen und freunde, das freundschaftliche Verhältnis von<br />

gesellen <strong>zu</strong> einander.“


Geselligkeit unter Gleichen setzt einen gemeinsamen Wertehorizont<br />

voraus. Vielleicht waren damals deshalb so viele Freimaurer<br />

unter unseren Gründern und Mitgliedern. Eine Tatsache über die<br />

1933 in dem Jubiläumsbuch „150 Jahre Bremer <strong>Club</strong>leben“ nicht<br />

berichtet wurde, vielleicht weil sie nicht bekannt war, nicht<br />

erwähnenswert schien oder aus politischen Gründen einfach<br />

unterdrückt werden musste. Zunächst war es eine reine Lesegesellschaft,<br />

in der sich seit 1774 interessierte Herren <strong>zu</strong>sammenfanden.<br />

Seit 1783 aber konzentrierte sich das Interesse auf den<br />

Bereich der Naturwissenschaften. Zweck der Vereinigung war:<br />

„Eine ernsthafte wissenschaftliche Unterhaltung für Männer, verbunden<br />

mit der mannigfaltigen Abwechselung, die ein freundschaftlicher<br />

Umgang gewährt“. Welche mittelbaren Folgen so<br />

etwas haben kann, sieht man daran, dass <strong>Bremen</strong> 2005 „Stadt<br />

der Wissenschaft“ war.<br />

Im 19. Jahrhundert, das das „lange“ Jahrhundert genannt wird,<br />

weil es nach Meinung vieler Historiker bereits mit der Französischen<br />

Revolution begann, hat unser <strong>Club</strong> Höhen und Tiefen<br />

durchlebt. Er wurde wegen seiner umfangreichen Sammlungen<br />

„Gesellschaft Museum“ genannt und war, so die Aussage von<br />

Zeitgenossen, eine der „größten Zierden <strong>Bremen</strong>s“ und gesellschaftlicher<br />

Mittelpunkt des geistigen Lebens. Die Gesellschaft<br />

Museum besaß immer prächtigere Domizile am Domshof und war<br />

durch ihre Mitglieder vielfacher Impulsgeber für Wirtschaft, Wissenschaft,<br />

Technik, Kultur und Politik. Sowohl der Kunstverein<br />

von 1823 als auch der Ärztliche Verein von 1832 verdanken ihre<br />

Existenz zahlreichen namhaften Persönlichkeiten der Gesellschaft<br />

Museum. Fast alle für die Entwicklung <strong>Bremen</strong>s wichtigen<br />

unternehmerischen Entscheidungen in Handel und Schifffahrt<br />

sollen ihren Ursprung in den <strong>Club</strong>räumen der Gesellschaft Museum<br />

gehabt haben, sollen dort angedacht, besprochen und<br />

geplant worden sein.<br />

Das sorglose Leben eines erstklassigen Herrenclubs, in den sich<br />

die Gesellschaft Museum immer mehr verwandelte, war schon<br />

beim 100-jährigen Jubiläum im Jahre 1873, <strong>zu</strong> dem jeder Herr<br />

eine Dame einführen durfte, von finanziellen Sorgen überschattet.<br />

Die 1875 von vielen Mitgliedern als schmerzlich empfundene,<br />

aber notwendige Trennung von großen Teilen der 30.000<br />

Bände umfassenden Bibliothek und den viel gerühmten naturwissenschaftlichen<br />

Sammlungen, dem Kern des <strong>Club</strong>s, war mit<br />

dem Verlust eines wichtigen Stückes der Identität verbunden.<br />

<strong>Der</strong> noch heute anerkannte international herausragende Rang<br />

der damals von namhaften Wissenschaftlern aufgebauten und<br />

gepflegten Sammlungen führte erfreulicherweise indirekt mit <strong>zu</strong>r<br />

Gründung des heutigen Überseemuseums. Unsere Schätze sind<br />

also nicht verloren gegangen. Im Gegenteil, sie sind nicht wie<br />

früher nur wenigen privilegierten Bildungsbürgern, sondern der<br />

Allgemeinheit <strong>zu</strong>gänglich. Das gilt auch für die vielen Bücher,<br />

die eine neue Heimat in öffentlichen Büchereien in <strong>Bremen</strong> und<br />

Bremerhaven fanden. Anfang des 20. Jahrhunderts, das <strong>zu</strong><br />

einem Jahrhundert der Kriege wurde, führten die Bemühungen<br />

von Ludwig Roselius schließlich <strong>zu</strong>m Zusammengehen der rasch<br />

wachsenden Bremer Gesellschaft von 1914 mit der traditionsreichen<br />

Gesellschaft Museum, die inzwischen in der Bel étage<br />

eines Geschäftshauses am Wall residierte. Es hatte schließlich<br />

auf beiden Seiten die Einsicht gesiegt, dass eine Vereinigung<br />

unter dem Namen „<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ langfristig, auch wirtschaftlich<br />

gesehen, die gedeihlichere Lösung sei. Die 150-Jahr-<br />

Feier fand als Herrenabend am 16. Dezember 1933, einem Samstag,<br />

um 20.45 Uhr, im großen Saal der Glocke statt. Unter der<br />

„dicht gedrängten Zuhörerschar“ in Gesellschaftsan<strong>zu</strong>g oder<br />

Uniform waren auch Herren der Reichsregierung und führende<br />

Persönlichkeiten der hiesigen nationalsozialistischen Bewegung.<br />

Mit in der damaligen Zeit durchaus ungewohnt kritischen<br />

Untertönen sprach Vizekanzler Franz v. Papen, über „Privates<br />

Dasein des Menschen im Dritten Reich“. Unter großem Beifall<br />

nahm er anschließend die ihm angetragenen Ehrenmitgliedschaft<br />

an.<br />

In der Zeit des Nationalsozialismus folgten auf Aufbegehren,<br />

Rück<strong>zu</strong>g, Anpassung, Resignation oder Teilhabe. <strong>Der</strong> 1934<br />

zwangsweise in „Haus der Hanse“ umbenannte <strong>Club</strong> erhielt nach<br />

zahlreichen Austritten und auf Druck der verbliebenen Mitglieder<br />

nach einem Jahr wieder den alten Namen <strong>zu</strong>rück. <strong>Der</strong> dem<br />

<strong>Club</strong> <strong>zu</strong>vor als Präsident aufoktroyierte Parteigenosse Kurt Thiele<br />

kündigte daraufhin, nicht ganz freiwillig, im Januar 1936 seinen<br />

Rück<strong>zu</strong>g aus diesem Amt an. Gleichwohl wurde der <strong>Club</strong><br />

weiterhin von den Nationalsozialisten beeinflusst und argwöhnisch<br />

beobachtet. Die von Ludwig Roselius in der neu erbauten<br />

Böttcherstraße bereitgestellten großzügigen <strong>Club</strong>räume im Stil<br />

des Art déco fielen den Bomben <strong>zu</strong>m Opfer. 1947 wagte der <strong>Club</strong><br />

<strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>, nach einer schwierigen Suche nach einem politisch<br />

unbelasteten Vorsitzenden, den erfolgreichen Neustart an wechselnden<br />

Veranstaltungsorten. Es war ein großer Glücksfall, dass<br />

die traditionsreiche Handelskammer Anfang der 50er Jahre in


8 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

alter Verbundenheit ohne Zögern ihre aus der Zeit der Renaissance<br />

stammenden Gewölbekeller nach und nach dem <strong>Club</strong> <strong>zu</strong><br />

<strong>Bremen</strong> als neues Domizil <strong>zu</strong>r Verfügung stellte. Die Finanzierung<br />

des Umbaus war nicht einfach, aber danach blühte das<br />

gesellige Leben, insbesondere das Vortragswesen, im <strong>Club</strong> wieder<br />

auf. Damen waren, wie auch in der Sat<strong>zu</strong>ng von 1931, explizit<br />

von einer Mitgliedschaft ausgeschlossen. 1983 war die 200<br />

Jahrfeier Anlass, uns hier in diesem prachtvollen Raum <strong>zu</strong> versammeln.<br />

Geladen waren damals „die Mitglieder mit ihren<br />

Damen“. Die Damen waren also noch immer „nur“ schmückendes<br />

Beiwerk beim Festakt, aber unverzichtbar als Partnerinnen beim<br />

rauschenden Ball am Abend im Parkhotel. Heute haben wir,<br />

dank der von unserem Ehrenmitglied Friedrich Wilhelm Bracht<br />

jahrelang geleisteten Überzeugungsarbeit, eine erst nach mehreren<br />

Anläufen verabschiedete neue Sat<strong>zu</strong>ng, in der in § 3 festgeschrieben<br />

ist: „Mitglied kann jede unbescholtene volljährige<br />

Person sein, die dem Vereinszweck <strong>zu</strong>stimmt.“ Zur Zeit sind 64<br />

Damen Mitglied, davon sind 2 Damen im Beirat und 3 Damen im<br />

Vorstand. Da folglich jetzt auch Herren „nur“ attraktives Beiwerk<br />

sein können, haben wir geschlechtsneutral, aber politisch<br />

vollkommen korrekt, für heute „die Mitglieder und Ihre Begleitung“<br />

eingeladen. Hochansehnliche Festversammlung, meine<br />

Damen und Herren, im Namen des Vorstands heiße ich Sie ganz<br />

herzlich willkommen <strong>zu</strong>m 225. Jubiläum, seien Sie nun Mitglied<br />

oder Begleitperson. Besonders herzlich grüßen wir ebenfalls alle<br />

anderen eingeladenen Persönlichkeiten, darunter die Präsidenten<br />

und Geschäftsführer der auswärtigen <strong>Club</strong>s, mit denen wir in<br />

freundschaftlichem Austausch stehen und ein Gastverhältnis<br />

unterhalten. Die Globalisierung der Wirtschaft und die, durch<br />

das erst 15 Jahre alte Internet beschleunigte Kommunikation,<br />

aber auch die <strong>zu</strong>nehmende Gewalt, haben die Welt und damit<br />

das wiedervereinte Deutschland in den letzten Jahren einschneidend<br />

verändert. Wie und wohin sich unser <strong>Club</strong> im 21.<br />

Jahrhundert entwickeln wird, ist entscheidend davon abhängig,<br />

wie wir als <strong>Club</strong> unser kollektives Gedächtnis in die Zukunft tradieren<br />

und welche Wertvorstellungen die Gesellschaft künftig<br />

haben wird. Wir freuen uns sehr, dass Giovanni di Lorenzo, der<br />

Chefredakteur der ZEIT, versuchen wird, uns nachher in seinem<br />

Vortrag „Über die schwierige Suche nach Werten: Was bleibt<br />

nach dem Zusammenbruch der großen Ideologien?“ Antworten<br />

auf diese drängende Frage <strong>zu</strong> geben. Herr Lorenzo wir begrüßen<br />

Sie sehr herzlich in dem Ihnen seit langem sehr vertrauten <strong>Bremen</strong>.<br />

Nach dem jetzt folgenden Musikstück, gespielt vom<br />

Ensemble Lesmona, das aus Mitgliedern der Deutschen Kammerphilharmonie<br />

<strong>Bremen</strong> besteht, wird <strong>zu</strong>nächst der Präsident der<br />

Bremischen Bürgerschaft <strong>zu</strong> uns sprechen. Meine Damen und<br />

Herren, lassen Sie uns gemeinsam an diesem Vormittag das 225-<br />

jährige Jubiläum feiern, in der Hoffnung, dass unser traditionsreicher<br />

<strong>Club</strong> in hoffentlich friedlichen Zeiten in einem unabhängigen<br />

<strong>Bremen</strong> eine gedeihliche Entwicklung nehmen möge.


10 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Festakt in der Oberen Rathaushalle am 16. Mai 2008<br />

Festansprache:<br />

Über die schwierige Suche nach Werten<br />

Was bleibt nach dem Zusammenbruch der großen Ideologien?<br />

Giovanni di Lorenzo Chefredakteur Die Zeit


11<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

lassen Sie uns <strong>zu</strong> Beginn der Reise einen Spaziergang machen.<br />

Wir befinden uns am östlichen Ufer der Außenalster in Hamburg.<br />

Dort steht seit einigen Jahren eine abstrakte Bronzeskulptur. Sie<br />

ist so unscheinbar, dass sie den meisten, die hier vorbeikommen,<br />

gar nicht auffällt. In die Skulptur sind diese Worte eingelassen:<br />

„Wir sind eine Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere<br />

Tiefe ist der Abgrund.“ Es ist ein Zitat des Hamburger Schriftstellers<br />

Wolfgang Borchert, der 1947 gestorben ist, 26 Jahre alt.<br />

Er hatte sich an der Ostfront die Gelbsucht geholt. Als ich vor<br />

einigen Wochen an diesem Denkmal vorbeispazierte, hatte ein<br />

Unbekannter etwas mit weißer Farbe darüber geschmiert. Nun<br />

stand dort das selten blöde Wort: „Von solchen Nullen stammen<br />

wir ab.“<br />

Eine Generation ohne Bindung und ohne Tiefe – kommt uns die<br />

Beschreibung nicht seltsam vertraut vor? Haben wir nicht, sechs<br />

Jahrzehnte nach Borcherts Tod, wieder so eine Generation in<br />

Deutschland? Passen Borcherts Worte nicht exakt <strong>zu</strong> den Jahrgängen<br />

der heute 40- bis 50-Jährigen? Die Kriegsgeneration und<br />

die Generation der Achtundsechziger hielten voneinander nichts<br />

Gutes. Doch definierten sich beide über das stolze Selbstbewusstsein,<br />

für klare Überzeugungen ein<strong>zu</strong>treten. Die Überlebenden<br />

des Krieges stritten für Frieden, Freiheit und Demokratie.<br />

Ihre Kinder kämpften gegen Ausbeutung, Unterdrückung und<br />

Klassenunterschiede. Sie geißelten das „Schweigen der Väter“.<br />

Als jedoch meine Generation erwachsen wurde, da standen wir<br />

plötzlich vor der Frage: Wofür steht ihr eigentlich? Heute will ich<br />

mit Ihnen gemeinsam das Wagnis eingehen, eine Antwort <strong>zu</strong> finden.<br />

Ich behaupte nämlich: Auch unsere Generation hat Werte.<br />

Die Frage ist nur: welche?<br />

Zeitungsartikel, Aufsätze und Bücher über das Thema Wertewandel<br />

füllen ganze Regale. Ich habe sie, das muss ich gestehen,<br />

nicht alle gelesen. Dennoch glaube ich behaupten <strong>zu</strong> können:<br />

Nirgendwo ist die Kritik am Zeitgeist so pointiert und scharfzüngig<br />

formuliert worden wie in einer Rede, deren Manuskript mir<br />

<strong>zu</strong>r Vorbereitung auf meinen Auftritt hier in <strong>Bremen</strong> mehr oder<br />

weniger konspirativ <strong>zu</strong>gespielt worden ist. Lassen Sie mich daraus<br />

zitieren, und Ihnen werden Hören und Sehen vergehen:<br />

„Zum ersten Mal“, so hebt der Redner an, „sind wir Zeugen eines<br />

gesellschaftlichen Auflösungsprozesses, der dem Bewusstsein<br />

vom nahenden Ende weder Form noch Stil noch Zukunftsgewissheit<br />

abgewinnt, und in dem die Institutionen <strong>zu</strong>sammen mit<br />

dem Geschmack verfallen.“ <strong>Der</strong> Redner weist der jungen Generation<br />

die „resignierte Einsicht“ <strong>zu</strong>, „dass die Gegenwart keine Versprechungen<br />

mehr bietet und die Zukunft nur apokalyptische<br />

Vorstellungen weckt. Es ist eine Zeit ohne Suggestion, selbst der<br />

›Widerstand‹, der sich in ihr mobilisiert, die zahlreichen Erscheinungsformen<br />

von Angst und Abwehr, sind nur Formen der<br />

Flucht.“ Weiter beklagt der Redner einen „Brutalismus der Architektur<br />

wie der Künste überhaupt“ sowie die „Primitivierung<br />

der Sprache und der Umgangsformen“. Er schimpft über einen<br />

„Hang <strong>zu</strong>m Massenhaften“, eine „Tendenz <strong>zu</strong>r Egalisierung“,<br />

einen „Gleichschaltungswillen der Gegenwart“ und über ein<br />

„privatistisches Lebensgefühl, das auf Selbstverwirklichung<br />

drängt.“ Eine typische Ausdrucksform dieses Zeitgeistes sieht<br />

unser Redner schließlich in „jener Jeans-Kultur, in der die<br />

Gleichheitsidee der Aufklärer fast bis <strong>zu</strong>r Ununterscheidbarkeit<br />

des einen Geschlechts vom anderen vorangetrieben ist, auch<br />

wenn die Absicht unübersehbar ist, im strammen Dress die<br />

eigenen Lustqualitäten demonstrativ hervor<strong>zu</strong>kehren.“<br />

Sicher möchten Sie jetzt wissen, von wem denn diese Anklage<br />

stammt. Die Zitate sind einer Rede entnommen, die der von<br />

mir hochgschätzte und verehrte Publizist Joachim Fest gehalten<br />

hat – und zwar vor genau 25 Jahren hier an dieser Stelle,<br />

anlässlich der 200-Jahr-Feier des <strong>Club</strong>s <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>, im fernen<br />

1983. Gewiss müssen wir Joachim Fests Worte im historischen<br />

Kontext verstehen. Es war die Zeit der großen Friedensdemonstrationen<br />

und Umweltinitiativen. Aus den Neuen<br />

Sozialen Bewegungen war die Partei der Grünen hervorgegangen,<br />

im Jahr 1983 zogen ihre Abgeordneten erstmals in den<br />

Bundestag ein, bekleidet mit Turnschuhen, Strickpullis und<br />

Jeans. Im Radio liefen Hits wie „99 Luftballons“ und „Völlig<br />

losgelöst von der Erde“. Ich selbst war damals 24 Jahre alt und<br />

bin genau in dieser Zeit politisch sozialisiert worden. Und, ja,<br />

auch ich trug Jeans – ein Luxus, den ich mir heute in der<br />

Redaktion der ZEIT nur noch selten erlaube. Mittlerweile ist<br />

die Jeans- und Protestkultur einer neuen Bürgerlichkeit sogar<br />

unter jungen Leuten gewichen. Aber Joachim Fest bliebe<br />

sicherlich bei seinem Verdikt, dass der Rück<strong>zu</strong>g ins Private und<br />

die moralische Resignation Kennzeichen unserer Zeit sind.


12 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Auch wenn kaum jemand die Klage vom Werteverlust so <strong>zu</strong>gespitzt<br />

auf den Punkt gebracht hat wie Joachim Fest, will ich<br />

doch zwei weitere Stimmen zitieren. Die eine ist Marion Gräfin<br />

Dönhoff, die unvergessene Herausgeberin der ZEIT. In einem<br />

Interview kurz vor ihrem Tod vor sechs Jahren hat sie gesagt:<br />

„Ich glaube, dass die jungen Menschen heute ein Gefühl der<br />

Unbefriedigtheit, der Unerfülltheit haben. Wenn ich mir dieses<br />

Leben im Hamsterrad vorstelle, ist das auch kein Wunder. In<br />

Ostpreußen sagte man: Das letzte Hemd hat keine Taschen.<br />

Jetzt aber arbeiten die Leute ihr ganzes Leben über wie verrückt.<br />

Wer diskutiert noch über Fragen des Warum und Wo<strong>zu</strong>?<br />

Also, das macht mir große Sorgen.“ Das andere Zitat stammt aus<br />

einem Brief, den mir ein alter Leser und gelegentlicher Autor<br />

der ZEIT schrieb. Er bezog sich auf ein Interview, das ich kurz<br />

<strong>zu</strong>vor der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegeben hatte. In<br />

traurigem Ton klagte er: „Sie bestätigen den Eindruck, den die<br />

Lektüre der ZEIT schon seit ein bis anderthalb Jahrzehnten<br />

erweckt: Die schreiben nur noch und wollen nichts mehr.“ In<br />

dem „FAZ“-Interview war ich gefragt worden, ob die ZEIT noch<br />

linksliberal sei. Ich hatte geantwortet, dass wir Äquidistanz <strong>zu</strong><br />

den politischen Lagern wahren. <strong>Der</strong> Leserbriefschreiber zog daraus<br />

den Schluss, das könne nur eines heißen, nämlich, dass wir<br />

gar nichts sein wollten. Nun frage ich Sie: Wie kann ein kluger<br />

Mensch meine Worte bloß derart fürchterlich missverstehen?<br />

Fassen wir sämtliche Urteile und Vorurteile <strong>zu</strong>sammen, so lautet<br />

der Befund folgendermaßen: Wir sind die Generation der<br />

Weich-Eier und Streber. Unsere größten Herausforderungen<br />

waren nicht Krieg und Klassenkampf, sondern Waldsterben und<br />

Brunsbüttel. Unser Gemüts<strong>zu</strong>stand schwankt zwischen Hasenfüßigkeit<br />

und Hysterie. Politik betreiben wir nur noch als Event,<br />

wie die Lichterkette gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit,<br />

oder als schrillen Alarmismus. Spätestens seit dem<br />

Fall der Mauer haben wir alle Sorgen hinter uns gelassen und<br />

machen nur noch Party, Jogging und Karriere. Kur<strong>zu</strong>m: Wir sind<br />

die Generation der Beckmanns, Westerwelles und Schirrmachers<br />

– Schicksalsgenossen, die ich übrigens durchaus schätze.<br />

Nun will ich aber endlich <strong>zu</strong>m Gegenschlag ausholen. Richtig ist<br />

nämlich auch, dass meine Generation <strong>zu</strong>rückblickt auf ein Jahrhundert<br />

der totalitären Ideologien, der Kriege, Völkermorde und<br />

Verbrechen an der Menschheit. Wir haben daraus vor allem eines<br />

gelernt: Werte schützen vor Dummheit nicht. Wir sind mit der<br />

zweifachen historischen Erkenntnis aufgewachsen, dass Ideologien<br />

ins Verderben führen. Daher unser Misstrauen, wenn die<br />

Handelsvertreter der Marke „Gewissheit“ auftreten, sei es eine<br />

politische, sei es eine spirituelle. Doch dieses Misstrauen<br />

schützt uns nicht vor einem Irrglauben ganz anderer Art. Hier<br />

lauert eine Gefahr, vor der ich nachdrücklich warne. Viele von<br />

uns leben nämlich in dem Glauben, wir wären heute gegen jede<br />

Weltanschauung immun, die auf „ismus“ endet. Aber ist das<br />

wirklich so? Ist nicht diese Haltung, alles und jedes immer und<br />

grundsätzlich infrage stellen <strong>zu</strong> müssen, selbst schon wieder<br />

eine Art Ideologie? Begriffe wie „Skeptizismus“ oder „Relativismus“<br />

drängen sich auf. Beides sind Jahrtausende alte Denkrichtungen<br />

in der Geschichte der Philosophie. <strong>Der</strong> Skeptizismus,<br />

begründet im dritten Jahrhundert vor Christus, verneint die<br />

Erkenntnismöglichkeit von Wahrheit und Wirklichkeit und allgemein<br />

gültigen Normen. Dem Skeptizismus verwandt ist der Relativismus,<br />

der die Existenz von Werten und Normen zwar nicht<br />

grundsätzlich ausschließt, allerdings darauf besteht, dass sie<br />

immer nur relativ <strong>zu</strong> bestimmten Be<strong>zu</strong>gspunkten gelten. Papst<br />

Benedikt XVI. gebraucht den Begriff „Relativismus“ gerne, um<br />

den Glaubensverfall der Moderne <strong>zu</strong> markieren. Hören Sie ein<br />

Beispiel aus einer Predigt, die Joseph Ratzinger, damals noch<br />

als Kardinal, im April 2005 in Rom gehalten hat, kurz vor seiner<br />

Wahl <strong>zu</strong>m Papst. Damals sagte er: „<strong>Der</strong> Relativismus, also das<br />

›hin und her getrieben Sein vom Widerstreit der Meinungen‹<br />

erscheint als die einzige Einstellung, die heute auf der Höhe der<br />

Zeit ist. Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus, die<br />

nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das<br />

eigene Ich und seine Bedürfnisse gelten lässt.“<br />

Nun wird es Sie vielleicht überraschen, dass gerade diese<br />

Beschreibung Ratzingers sich mit einer Beobachtung deckt, die<br />

ich aus vielen Gesprächen mit Gleichaltrigen kenne. Denn wir<br />

sind in ein Zeitalter des Relativismus Hineingeborene, die wieder<br />

eine Sehnsucht nach Orientierung und Bindung spüren. Im<br />

Journalismus ist es zwar gute Tradition, alles <strong>zu</strong> hinterfragen<br />

und nichts ungeprüft <strong>zu</strong> glauben. Davon wollen wir auch niemals<br />

abrücken. Und das nenne ich nicht Relativismus, sondern<br />

kritisches Denken. Zweifelhaft wird es jedoch, wenn kritisches<br />

Denken <strong>zu</strong> einer Marotte verkommt. Wenn es nicht mehr um<br />

Erkenntnis geht, sondern nur noch darum, „gegen den Strich <strong>zu</strong><br />

bürsten“, wie es professionell heißt. Gerade Journalisten neigen<br />

da<strong>zu</strong>, <strong>zu</strong> jedem Trend gleich den Gegentrend aus<strong>zu</strong>rufen, <strong>zu</strong><br />

jeder These gleich die Antithese. In den 90er Jahren wurde von<br />

den meisten Journalisten eine Entschlackung des überbordenden<br />

Sozialstaats angemahnt. Als dann aber die Hartz-Gesetze in<br />

Kraft traten, wurden diese als unsozial gebrandmarkt. Und vor<br />

der letzten Bundestagswahl schwenkten einige Medien schon<br />

wieder um und schlugen sich auf die Seite Angela Merkels, die<br />

damals noch für einen radikalen Reformkurs stand – was heute<br />

auch schon wieder Geschichte ist. Wenn einem da<strong>zu</strong> überhaupt<br />

noch irgendwas einfällt, dann das berühmte Wort von Bertold<br />

Brecht: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/ Den<br />

Vorhang <strong>zu</strong> und alle Fragen offen.“<br />

Aber damit soll nun Schluss sein. Meine Damen und Herren, ich<br />

will heute, stellvertretend für meine Generation, einige Werte<br />

formulieren, die ich für zeitgemäß und unumstößlich halte –<br />

darunter mache ich es nicht. <strong>Der</strong> „Stern“ hat vor zwei Jahren


13<br />

eine siebenteilige Serie herausgebracht, mit dem Titel „Neue<br />

Sehnsucht nach Werten“. Die sieben Werte hießen: Ehrlichkeit,<br />

Gerechtigkeit, Mut, Verantwortung, Anstand, Solidarität und<br />

Treue. Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte das Institut<br />

für Demoskopie Allensbach in der „FAZ“ eine Studie, der <strong>zu</strong>folge<br />

bürgerliche Werte und Tugenden in Deutschland seit den 90er<br />

Jahren wieder stark im Kommen sind: Familiensinn, Treue, Bildung,<br />

Höflichkeit, Sparsamkeit. Dies alles sind gewiss lobenswerte<br />

Eigenschaften. Es sind aber größtenteils Tugenden, die<br />

den persönlichen Charakter, das individuelle Glück oder das zwischenmenschliche<br />

Zusammenleben fördern. Es sind keine politischen<br />

Werte, die am Gemeinwohl orientiert wären. Joachim<br />

Fests Vorwurf der Selbstbezogenheit können sie nicht ganz entkräften.<br />

Werte sind auch Antworten auf Missstände. Was sind<br />

die Missstände unserer Zeit? Mir fällt da <strong>zu</strong>erst vor allem eines<br />

ein, nämlich der grassierende Wachstumswahn. Nun habe ich<br />

gar nichts gegen Wachstum. Im Gegenteil: Als Chefredakteur<br />

fühle ich mich durchaus wohler, wenn die Auflage unserer Zeitung<br />

wächst. Und wenn unser Verlag Gewinne macht, dann weiß<br />

ich, dass das gut für die Redaktion ist, denn dann haben wir<br />

mehr Geld, um guten Journalismus <strong>zu</strong> machen.<br />

Was ich meine, ist etwas anderes. Es aus<strong>zu</strong>sprechen, kommt mir<br />

beinahe komisch vor, weil es so banal und selbstverständlich<br />

ist: Bei all unserem Wohlstand verdrängen wir, dass Wachstum<br />

natürliche Grenzen hat. Dabei kennt die Fakten jeder, der nur ab<br />

und <strong>zu</strong> in die Zeitung schaut. Nehmen wir bloß die beiden wichtigsten<br />

Elixiere des Lebens: Öl und Wasser. Schon heute werden<br />

jeden Tag 86 Millionen Fass Öl auf der Welt verbraucht, in 30<br />

Jahren soll es doppelt so viel sein. Jeder weiß: <strong>Der</strong> Tag wird<br />

kommen, an dem der letzte Tropfen Öl verbraucht ist. Eher noch<br />

aber werden wir erleben, was es bedeutet, wenn das Wasser <strong>zu</strong>r<br />

Neige geht. Zurzeit wächst der weltweite Wasserverbrauch doppelt<br />

so schnell wie die Bevölkerung. Schon heute leiden 12 Prozent<br />

der Menschen, vor allem in armen Regionen, unter Wasserknappheit.<br />

Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung hat ausgerechnet,<br />

dass es im Jahr 2025 schon fast 40 Prozent der<br />

Menschheit sein werden, die nicht genügend Wasser haben. Das<br />

mag eine arg pessimistische Prognose sein. Aber es hat schon<br />

aus geringeren Anlässen Krieg gegeben.<br />

Wie werden die nachkommenden Generationen eines Tages über<br />

uns richten? Man muss ja nicht gleich <strong>zu</strong>m Öko-Apostel werden,<br />

aber ist es normal, dass Fliegen heute oft billiger ist als Bahnfahren?<br />

Müssen wir wirklich dreimal täglich Fleisch essen? Und<br />

sollen wir darüber lachen, wenn Woche für Woche hunderte Tonnen<br />

Krabben mit Lkws von der Nordsee nach Marokko gefahren<br />

werden, dort gepult und anschließend wieder <strong>zu</strong>rück nach<br />

Deutschland transportiert werden, wo sie dann bei uns auf dem<br />

Teller landen? <strong>Der</strong> Wahnsinn ist heute oft schon so alltäglich,<br />

dass er uns kaum noch auffällt. Dabei hat unsere Generation die<br />

Chance, nicht dieselben Fehler <strong>zu</strong> begehen wie die Umweltbewegung<br />

und die Grünen in ihren Anfangsjahren. <strong>Der</strong>en sektiererischen<br />

und apokalyptischen Auswüchse wirkten auf viele erstmal<br />

abschreckend. Birkenstocksandalen und Norwegerpullover sind<br />

auch heute nicht mehrheitsfähig. Doch ist der Handlungsdruck<br />

größer als je <strong>zu</strong>vor. <strong>Der</strong> Klimawandel ist eine Bedrohung ganz<br />

neuer Dimension, und jedes Kind weiß: Wenn wir jetzt nichts<br />

tun, ist es irgendwann <strong>zu</strong> spät. Zum Glück hat sich die Umwelthysterie<br />

rechtzeitig entladen und die Ökobewegung entideologisiert.<br />

So können wir besonnen, aber entschlossen nach pragmatischen<br />

Lösungen suchen.<br />

Die zerstörerische Kraft des Wachstums trifft aber nicht nur<br />

lebensnotwendige Rohstoffe. Sie trifft auch Kulturgüter und die<br />

Schönheit der Natur. Altes soll weichen, damit Neues wachsen<br />

möge. Besonders schmerzlich kann man das in Ostdeutschland<br />

beobachten. Als ich Ende der 80er Jahre als Reporter der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ erstmals in die DDR fuhr, kam ich aus dem<br />

Staunen nicht mehr heraus. An vielen Straßenecken konnte man


14 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

sehen, was im Westen rigoros dem Fortschritt <strong>zu</strong>m Opfer gefallen<br />

war: barocke Bürgerhäuser, Bauten aus der Zeit des Biedermeier,<br />

Mietshäuser aus dem späten 19. Jahrhundert. Manche<br />

Häuserzeilen kamen mir vor wie Märchenkulissen. Seit der<br />

Wende werden diese Kostbarkeiten auch in Ostdeutschland hemmungslos<br />

abgerissen. Die Rechtfertigungen lauten immer<br />

gleich: Die Wohnungen stünden leer, die Menschen wanderten<br />

ab, Einmotten sei <strong>zu</strong> teuer. Merkwürdig bloß, dass trotz der<br />

Abwanderung offenbar ein ungeminderter Bedarf an „McDonald’s“-Filialen<br />

und „Wal-Mart“- Supermärkten besteht.<br />

Aus all dem leite ich einen ersten Wert ab, dem wir dem Wachstumswahn<br />

entgegenstellen wollen. Dieser Wert heißt: Nachhaltigkeit.<br />

Nun lese ich schon die Enttäuschung in Ihren Gesichtern.<br />

Ich weiß, das Wort klingt nicht besonders schön, doch<br />

gibt es leider kein besseres. Ursprünglich stammt der Begriff<br />

„Nachhaltigkeit “ aus der Forstwirtschaft. Er besagt, dass immer<br />

nur so viele Bäume abgeholzt werden sollen, wie nachwachsen<br />

können, damit sich der Wald selbst regenerieren kann. Später<br />

tauchte das Wort in einem anderen Zusammenhang auf, nämlich<br />

im Jahre 1973 in dem viel zitierten Bericht „Die Grenzen des<br />

Wachstums“, herausgegeben vom „<strong>Club</strong> of Rome“. Heute findet<br />

sich das Wort Nachhaltigkeit in den Programmen von CDU, SPD,<br />

FDP, Grünen und Linkspartei gleich mehrfach wieder, wenn auch<br />

in unterschiedlicher Konnotation: Wird Nachhaltigkeit bei der<br />

FDP vor allem auf die Wirtschaftspolitik bezogen, verstehen die<br />

Grünen darunter <strong>zu</strong>nächst ein Prinzip der Umweltpolitik. Leider<br />

droht Nachhaltigkeit damit auch <strong>zu</strong> einem Allerweltswort <strong>zu</strong> verkommen.<br />

Doch wird das Problem dadurch nicht weniger dringlich.<br />

Es wäre so einfach: Immer nur so viel verbrauchen, wie sich<br />

von selbst regenerieren kann. Bei allem, was wir bauen oder<br />

zerstören, auch an die kommenden Generationen denken.<br />

Wachstum und Konsum ja, aber nicht gedankenlos und unbegrenzt.<br />

Doch so einfach es alles wäre – dem entgegen steht die größte<br />

Plage der Menschheit, nämlich rätselhafte Widerspruch zwischen<br />

Wissen und Handeln. Oder wie es der österreichische<br />

Dichter Ödön von Horváth punktgenau, aber grammatisch<br />

absichtsvoll falsch formuliert hat: „Nichts verleiht einem so sehr<br />

das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“ Leider<br />

nimmt unsere Neigung, Fehler <strong>zu</strong> wiederholen, auch bei steigendem<br />

Wissen nicht ab. Psychologen nennen das „kognitive Dissonanz“.<br />

Unser aller Lebenswandel ist vergleichbar mit einem<br />

Lungenarzt, der täglich eine Schachtel „Rothändle“ raucht.<br />

Jeder weiß, worin die Risiken unseres Lebenswandels bestehen.<br />

Trotzdem verlässt uns der Mut, unsere Gewohnheiten <strong>zu</strong> ändern.<br />

Besonders evident wird diese kognitive Dissonanz, wenn wir uns<br />

im eigenen Land umschauen.<br />

Ich will Ihnen mal ein paar Sätze aus einer berühmten Rede vorlesen.<br />

Sie dürfen inzwischen raten, von wem sie stammen und<br />

wann die Rede gehalten wurde. Vorab verrate ich nur soviel: Sie<br />

ist nicht von Joachim Fest. Aber hören Sie selbst: „Unser<br />

eigentliches Problem ist ein mentales: Es ist ja nicht so, als ob<br />

wir nicht wüssten, dass wir Wirtschaft und Gesellschaft dringend<br />

modernisieren müssen. Trotzdem geht es nur mit quälender<br />

Langsamkeit voran. Ich vermisse bei unseren Eliten in Politik,<br />

Wirtschaft, Medien und gesellschaftlichen Gruppen die<br />

Fähigkeit und den Willen, das als richtig Erkannte auch durch<strong>zu</strong>setzen.<br />

Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen<br />

Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen,<br />

alle müssen mitmachen.“ Sie haben es bestimmt erkannt:<br />

Das war die berühmte „Ruck-Rede“, gehalten von Bundespräsident<br />

Roman Herzog am 26. April 1997 im Hotel „Adlon“ <strong>zu</strong> Berlin<br />

– das ist elf Jahre her. Hat irgendjemand einen Ruck<br />

gespürt? Die Regierung Schröder ist mit ihrem Versuch kläglich<br />

gescheitert, ein „Bündnis für Arbeit“ <strong>zu</strong> schmieden, bei dem<br />

alle ihren Beitrag leisten sollten: Arbeitgeber, Gewerkschaften<br />

und Politik. In der zweiten Legislaturperiode hat Rot-Grün dann<br />

die berüchtigte Agenda 2010 umgesetzt – und wäre dafür in<br />

Bausch und Bogen abgestraft worden, hätte nicht Schröder im<br />

Wahlkampf 2005 so getan, als stünde er in Opposition <strong>zu</strong>r<br />

Regierung, deren Chef er <strong>zu</strong> dieser Zeit noch selbst war.<br />

Nun ist alles wie früher oder sogar noch schlimmer: Sämtliche<br />

Reformen, die eigentlich kaum noch jemand ernsthaft bezweifelt<br />

hatte, außer einigen ewig Gestrigen, stehen plötzlich <strong>zu</strong>r<br />

Disposition. Die Menschen wollen <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> mehr Staat, mehr<br />

Umverteilung, mehr Sozialleistungen. Und obwohl seit den<br />

Hartz-Reformen die Arbeitslosigkeit deutlich sinkt, werden sie<br />

teilweise schon wieder <strong>zu</strong>rückgenommen. Notwendige Verände-


15<br />

rungen wie die Gesundheitsreform oder die Studiengebühren<br />

werden allenfalls wie bittere Pillen geschluckt. Viele Menschen<br />

haben das Gefühl, dass die Belastungen einseitig verteilt sind.<br />

Wir brauchen deshalb einen echten New Deal. Mir fallen da<strong>zu</strong><br />

ein paar Beispiele ein, von denen man natürlich jedes Einzelne<br />

im Detail hinterfragen und verwerfen kann – wo<strong>zu</strong> leben wir im<br />

Zeitalter des Relativismus? Aber ich will schließlich das Prinzip<br />

deutlich machen.<br />

Also, erstes Beispiel: Erfolgsgebundene Gehälter für Manager –<br />

dafür keine Neiddiskussionen mehr, wenn jemand ein paar Millionen<br />

verdient. Zweitens: Für Politiker keine Pensionen auf<br />

Lebenszeit – dafür aber durchaus höhere Diäten. Die jetzt<br />

geplante Diätenerhöhung hingegen ist wieder ein typisches Beispiel<br />

dafür, dass der Politik manchmal der Sinn für das Prinzip<br />

des Gebens und Nehmens abgeht, denn natürlich sollen die<br />

üppigen Pensionen auf keinen Fall angetastet werden. Drittens:<br />

Einschränkung des Kündigungsschutzes – dafür die besten<br />

Arbeitsagenturen der Welt sowie ein Recht auf Weiterbildung<br />

und Qualifikation. Meine Generation könnte die erste sein, die<br />

dieses Wagnis eines neuen Gesellschaftsvertrags eingeht. Es<br />

kann aber nur funktionieren, wenn alle wissen, dass es <strong>zu</strong>m<br />

Wohl der Gemeinschaft geschieht. Und wenn es alle als gerecht<br />

empfinden. Es könnte ein echtes Generationenprojekt sein. Und<br />

das Motto dieses Projekts hieße: „Hart, aber fair.“<br />

Damit hätten wir schon einen zweiten Wert, den ich hier herausstreichen<br />

will. Er heißt: Fairness. Geprägt hat diesen Begriff<br />

vor etwa dreißig Jahren der amerikanische Philosoph John<br />

Rawls in seinem Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit “. Wer in<br />

meiner Generation ein paar Semester Sozialwissenschaft studiert<br />

hat, ist an diesem Buch nicht vorbeigekommen. Mit Fairness<br />

meinte John Rawls eine bestimmte Form von Chancengerechtigkeit,<br />

die vor allem die Menschen am unteren Rand der<br />

Gesellschaft im Blick hat. Denn eines wird gerne vergessen beim<br />

dauernden Gezänk zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern,<br />

Rentnern, Studenten und anderen Interessengruppen: Die wirklich<br />

Bedürftigen in dieser Gesellschaft sind nicht organisiert.<br />

Sie haben keine Lobby. Bevor wir über Pendlerpauschale und<br />

Mindestlohn reden, sollten wir also erstmal sicherstellen, dass<br />

wirklich jeder in diesem Land eine faire Chance hat. Da mag der<br />

gut situierte Teil der Mittelschicht mit den Schultern <strong>zu</strong>cken.<br />

Doch wer Angst vor Verlust und Abstieg hat, dem sollte erst<br />

recht daran gelegen sein, dass es für jeden eine faire Chance<br />

gibt, eines Tages auch wieder auf<strong>zu</strong>steigen.<br />

Das alles hört sich nach einer Zumutung an in einem Land, das<br />

so sehr an die Konsens- und Sicherheitskultur des rheinischen<br />

Kapitalismus gewöhnt ist. Jahrzehntelang haben Unternehmen,<br />

Verbände, Gewerkschaften und Politik ein Geflecht aus Beziehungen,<br />

Absprachen und Kompromissen gestrickt, von dessen<br />

Stabilität fast alle profitiert haben. Doch mit dieser Nestwärme<br />

der „Deutschland AG“ ist es durch den Klimawandel der Globalisierung<br />

vorbei. Trotzdem müssen wir dem rheinischen Kapitalismus<br />

nicht hinterherweinen und immer nur über Heuschrecken<br />

und kaltherzige Managertypen von heute lamentieren. Die<br />

Deutschland AG war nicht nur ein Segen. Ich sage nur: Klüngel,<br />

Lobbyismus, Korruption, bis hin <strong>zu</strong> Lustreisen von Betriebsräten,<br />

die vom eigenen Unternehmen finanziert werden. Das sollte<br />

auch all jenen <strong>zu</strong> denken geben, die der jungen Generation<br />

von Managern nur Misstrauen entgegenbringen und geneigt<br />

sind, die alte Garde der Unternehmensführer <strong>zu</strong> verklären. So<br />

fragte jüngst die FAZ in einem Leitartikel: „Wieso müssen heute<br />

fast alle prominenten Vertreter aus der vermeintlich guten alten<br />

Zeit Rechtsanwälte beschäftigen?“ Die Herren Hartz (66), Breuer<br />

(70), Pierer (67) und Zumwinkel (64) gehören <strong>zu</strong> einer Generation,<br />

die in jüngster Zeit viel Vertrauenskapital verspielt hat.<br />

Völlig unverschuldet wurden in diesen Strudel auch vielversprechende<br />

Jungtalente wie der ehemalige Siemens-Chef Klaus<br />

Kleinfeld hineingezogen. Wie Sie wissen, hat Klaus Kleinfeld die<br />

„Deutschland AG“ inzwischen verlassen und ist heute Chef des


16 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

amerikanischen Aluminiumkonzerns „Alcoa“. Auch andere, wie<br />

etwa der junge Telekom-Chef René Obermann, haben im Übergang<br />

von der alten „Deutschland AG“ <strong>zu</strong> einer globalisierten<br />

Wirtschaft gewiss noch manche Bewährungsprobe <strong>zu</strong> bestehen.<br />

Dieser Übergang bringt sicher harte Veränderungen mit sich, für<br />

jeden von uns. Aber er bietet vielleicht auch die Chance auf eine<br />

neue Kultur des Miteindanders, die weniger von Klüngel und<br />

Besitzstandswahrung geprägt ist und mehr von Chancengleichheit<br />

und Fairness. Leider sind die Biografien von Klaus Kleinfeld<br />

und René Obermann, die beide in einfachen Verhältnissen aufgewachsen<br />

sind, alles andere als typisch für die neue Generation<br />

von Managern. Anders als in Amerika hat man bei uns vor<br />

allem dann eine Chance, wohlhabend und erfolgreich <strong>zu</strong> werden,<br />

wenn man als Kind wohlhabender und erfolgreicher Eltern <strong>zu</strong>r<br />

Welt kommt. Auch um dieses moderne Kastenwesen <strong>zu</strong> überwinden,<br />

lautet das Zauberwort: Fairness.<br />

Fairness also, und Nachhaltigkeit. Zwei Begriffe, zwei Werte.<br />

Aber kann man heut<strong>zu</strong>tage überhaupt eine Rede über Werte halten,<br />

ohne auf das Datum ein<strong>zu</strong>gehen, das die ganze Welt verändert<br />

hat? Reden wir also noch kurz über den 11. September<br />

2001. Sie alle haben schon einmal gehört von dem amerikanischen<br />

Politologen Samuel Huntington und seinem oft zitierten<br />

Wort vom „Zusammenprall der Kulturen“. Seine These lautet,<br />

dass die Konflikte der Zukunft nicht mehr in erster Linie zwischen<br />

Nationalstaaten oder Ideologien entstehen werden. Huntington<br />

prophezeite schon Anfang der 90er Jahre, dass der<br />

Zusammenprall verschiedener Kulturen die Konflikte der Zukunft<br />

prägen werde. Heute sehen wir diesen Zusammenprall täglich in<br />

den Nachrichten. Sei es international, nach dem Zusammenbruch<br />

der beiden Blöcke, wodurch eine amorphe Weltordnung<br />

entstanden ist. Sei es im eigenen Land, weil Deutschland längst<br />

ein Einwanderungsland geworden ist und weil die Diskussion<br />

über die Frage, wie wir die Einwanderer integrieren, gerade erst<br />

begonnen hat. Warum zähle ich Ihnen diese sattsam bekannten<br />

Probleme auf? Weil sich daraus ein dritter Wert ergibt, der für<br />

unsere Generation von immenser Bedeutung wird. Dieser Wert<br />

heißt: Toleranz.<br />

anerkennen. Wer hier Geld verdienen will, muss dies von seiner<br />

eigenen Hände Arbeit tun. Und wer die Chancen, die einem hier<br />

geboten werden, nutzen will, der muss auch die Landessprache<br />

beherrschen. Toleranz bedeutet auch nicht, jede Weltanschauung<br />

gut<strong>zu</strong>heißen und <strong>zu</strong> billigen. Toleranz bedeutet vielmehr,<br />

andere Lebensweisen, auch wenn sie einem widerstreben, <strong>zu</strong><br />

ertragen, sofern sie nicht die universalen Menschenrechte verletzen.<br />

Es gilt das Wort Thomas Manns, der einmal gesagt hat:<br />

„Toleranz wird <strong>zu</strong>m Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt.“<br />

Heute noch ist mir unbegreiflich wie schnell Politik und Medien<br />

gekuscht haben, als nach der Veröffentlichung Mohammed-<br />

Karikaturen plötzlich dänische Flaggen brannten und in Indonesien<br />

die dänische Botschaft gestürmt wurde.<br />

Meine Damen und Herren, ich weiß, was Sie jetzt denken: „Toleranz“,<br />

„Fairness“, „Nachhaltigkeit“, das sind doch alles lahme<br />

Enten. Wie schwungvoll dagegen waren die Schlagworte früherer<br />

Zeiten: „Nie wieder Faschismus!“, „Mehr Demokratie<br />

Respekt gegenüber dem Fremden und Anderen ist eine Grundvorausset<strong>zu</strong>ng,<br />

um unter der Bedingung des Zusammenpralls der<br />

Kulturen <strong>zu</strong> leben. In Deutschland leben 1,7 Millionen Türken,<br />

und sie sind über kurz oder lang unsere Landsleute. Das haben<br />

inzwischen alle begriffen, und deshalb sind wir deutlich toleranter<br />

als noch vor dreißig Jahren. Andererseits muss man kein<br />

nationaler Hardliner mehr sein, um gewisse Forderungen <strong>zu</strong> stellen<br />

– nicht aus Angst vor Überfremdung, sondern als ein Gebot<br />

der Vernunft, weil nämlich Integration anders nicht funktioniert.<br />

Toleranz bedeutet also nicht Wischiwaschi und Multikulti,<br />

sondern braucht die Mitarbeit der Einwanderer. Die Forderungen<br />

lauten: Wer in Deutschland lebt, muss bestimmte Grundwerte


17<br />

wagen!“, „Wir sind das Volk!“ – für solche Parolen hat es sich<br />

noch gelohnt <strong>zu</strong> kämpfen. Wer aber will sich Ausdrücke wie<br />

„Toleranz“, „Fairness“ und „Nachhaltigkeit“ auf die Fahnen<br />

schreiben? Dann erlauben Sie mir jedoch eine Gegenfrage: Liegt<br />

nicht gerade darin die Krux? Toleranz, Fairness und Nachhaltigkeit<br />

sind eben komplexe Werte in einer komplizierter gewordenen<br />

Welt. So sagte auch Joachim Fest in seiner Rede vor 25 Jahren:<br />

„Naheliegend wäre, das Verlangen nach Selbstaufgabe im<br />

Sein wie im Denken als eine Reaktion des haltsuchenden<br />

Bewusstseins auf einen verwirrenden Welt<strong>zu</strong>stand <strong>zu</strong> deuten.“<br />

Wie gesagt, die Rede damals richtete sich vor allem auch gegen<br />

den Protest der Neuen Sozialen Bewegungen. Heute, 25 Jahre<br />

später, würde Joachim Fest mir vielleicht darin <strong>zu</strong>stimmen, dass<br />

es sich auch ganz anders verhalten könnte: <strong>Der</strong> „verwirrende<br />

Welt<strong>zu</strong>stand“ könnte gerade eine Erklärung dafür sein, warum<br />

sich der – falsche – Eindruck eines Werteverlusts so hartnäckig<br />

hält: Die Werte, die wir heute haben, sind nicht so einfach auf<br />

den Begriff <strong>zu</strong> bringen. Aber deswegen nehmen wir sie nicht<br />

weniger ernst. Es mag so sein, dass unsere Generation von<br />

den Problemen geprägt wird, und nicht umgekehrt. Mir ist<br />

dieser Weg jedenfalls lieber, als die von jeder Wirklichkeit<br />

abgetrennte Gewissheit.<br />

Am Ende kann das für uns nur eines heißen: Wir haben riesige<br />

Probleme <strong>zu</strong> bewältigen, und deshalb lautet die Frage<br />

für uns heute nicht mehr: Gegen wen handeln wir? Sondern:<br />

Mit wem? Nicht: Wer ist mein Feind? Sondern: Wer macht<br />

mit? Nicht: Was bringt mir Vorteile. Sondern: Was können wir<br />

gemeinsam schaffen? Meine Damen und Herren, als ich diese<br />

Rede <strong>zu</strong> Papier gebracht habe und über den Schluss nachdachte,<br />

kam mir ein Wort aus Amerika in den Sinn, dass wir<br />

in den letzten Wochen oft gehört haben, aber plötzlich fand<br />

ich es besonders passend, weil es eben nicht nur etwas für<br />

Träumer ist, sondern für uns Pragmatiker. Es lautet: „Yes, we<br />

can!“ Vielen Dank.


18 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Festakt in der Oberen Rathaushalle am 16. Mai 2008<br />

Dr. Rüdiger Hoffmann Stv. Vorsitzender <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Herr Präsident der Bürgerschaft,<br />

Frau Bürgermeisterin<br />

Herr Dr. Scherf<br />

Verehrte Gäste,<br />

liebe Mitglieder des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

„Am Samstag, dem 14. Juni 1783 verdunkelte sich der Himmel<br />

über <strong>Bremen</strong>. Ein trockener Nebeldampf, der mit scharfem Wind<br />

und Gewittern einher ging, hinterließ verbrannte Blätter und<br />

Zweige, ausgetrocknete Brunnen, ja sogar ein „stickendes Gefühl<br />

in der Lunge“.<br />

Höllenphantasien drängen sich auf, wenn ein Zeitzeuge von<br />

rauchartigen Nebeln berichtet, „der auf den Blättern einen wie<br />

Salz und Schwefel schmeckenden Über<strong>zu</strong>g“ hinterließ. Die Folgen<br />

eines verheerenden Vulkanausbruchs auf Island, die 1783 in<br />

ganz Europa „Staunen und Schauer“ hervorriefen. Mit diesen vier<br />

Sätzen beginnt die von Professor Berthold bereits angekündigte<br />

Chronologie „225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“. Zwei Bremer Historikerinnen,<br />

Gerda Engelbracht und Andrea Hauser, die ich ganz<br />

herzlich in unserem Kreise begrüße, haben die Geschichte des<br />

<strong>Club</strong>s von 1783 bis 1945 neu aufgearbeitet und dabei höchst<br />

überraschende, bislang nicht bekannte Erkenntnisse, Zusammenhänge<br />

und Akzente <strong>zu</strong> Tage gefördert.<br />

Ohne Übertreibung kann man sagen: Die Geschichte des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong><br />

<strong>Bremen</strong> ist eine verdichtete Gesellschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte<br />

<strong>Bremen</strong>s. An der Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte<br />

arbeiten wir z.Z. und wir sind <strong>zu</strong>versichtlich, Ihnen Ende des<br />

Jahres das große Buch „225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“ mit vielen<br />

Dokumenten und Illustrationen als Abschluss unseres<br />

Jubiläumsjahres präsentieren <strong>zu</strong> können. Die Geschichte des <strong>Club</strong><br />

<strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> ist mit der Aufklärung und dem, was daraus geworden<br />

ist, untrennbar verbunden. <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> ist ein Kind<br />

der Aufklärung. Die auf Vernunft und Erkenntnis vertrauende<br />

Dynamik der Aufklärung hatte sich im Umfeld der französischen<br />

Revolution auf den Weg gemacht, nicht nur das Denken der Menschen<br />

von überkommenen Vorstellungen, Mustern und Ideologien<br />

<strong>zu</strong> befreien, sondern gleichzeitig auch Bürger abseits der tradierten<br />

Gesellschaftsordnung <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>führen und ihnen<br />

Stück für Stück gleichberechtigte Teilhabe an der Gestaltung des<br />

Gemeinwesens <strong>zu</strong> verschaffen.<br />

Dieser von der Aufklärung induzierte Übergang von der ständischen<br />

<strong>zu</strong>r bürgerlichen Gesellschaft, vom autoritären <strong>zu</strong>m demokratischen<br />

Staatswesen hatte <strong>zu</strong>r Folge, dass die politische Verantwortung<br />

auch in <strong>Bremen</strong> Schritt für Schritt auf immer mehr<br />

Schultern verteilt wurde.<br />

<strong>Der</strong> lange Zeit privilegierte republikanische Bürgeradel, eine<br />

knapp tausend Köpfe zählende Elite aus vermögenden Kaufleuten<br />

und gutsituierten Rechtsgelehrten, sogenannte Vollbürger,<br />

wurde nach und nach ergänzt durch Angehörige einer neuen Verantwortungs-<br />

und Leistungselite. Und die Gesellschaft Museum<br />

entwickelte sich schnell <strong>zu</strong> der bürgerlichen Institution, in der<br />

sich diese Elite <strong>zu</strong>sammenfand.<br />

Die Deckungsgleichheit von politischer und gesellschaftlicher<br />

Elite mit dem Mitgliederverzeichnis der Gesellschaft Museum,<br />

der Geburtsorganisation des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>, hatte lange<br />

Bestand. Wer in <strong>Bremen</strong> etwas galt, wer etwas <strong>zu</strong> sagen hatte in<br />

der Politik, der war auch Mitglied in der Gesellschaft Museum.<br />

Kaufleute, Gelehrte, Professoren, Mediziner, Theologen und<br />

Pädagogen. Sie waren damals tonangebend im politischen und<br />

gesellschaftlichen Leben <strong>Bremen</strong>s als Bürgermeister, Senatoren,<br />

Syndizi, Domprediger, Hochschullehrer, Richter, Rechtsanwälte<br />

und Notare.<br />

Selbst nach der Eingliederung <strong>Bremen</strong>s in das französische Kaiserreich<br />

Napoleons 1810 gehörte jeder zweite Funktionsträger<br />

der französischen Präfekturverwaltung der Gesellschaft Museum<br />

an. Dies zeigt, dass das „Museum“ als Sammelpunkt der städti-


schen Elite selbst unter fremder Herrschaft das Leben in <strong>Bremen</strong><br />

entscheidend mitbestimmt hat. Tua res agitur. Es geht um Deine<br />

Angelegenheiten. Die Stadtrepublik <strong>Bremen</strong> verdankt Wohlstand<br />

und Wohlergehen in diesen Zeiten dem republikanischen Engagement<br />

ihrer bürgerlichen Eliten. Aber: Was ist daraus geworden<br />

in zwei Jahrhunderten? Joachim Fest hat diese Frage vor 25 Jahren<br />

an dieser Stelle gestellt und seine Antworten waren alles<br />

andere als <strong>zu</strong>versichtlich, Giovanni di Lorenzo hat das eben<br />

bereits erwähnt.<br />

Die Kraft der Aufklärung habe sich verbraucht, meinte Joachim<br />

Fest 1983 hier in der Oberen Rathaushalle und sprach von dem<br />

Ende der Aufklärung, deren Ideen und Wunschbilder für eine<br />

bessere Welt ihren Nutzen zwar erbracht hätten, nunmehr aber<br />

aufgebraucht seien. Dass die Tugenden der Aufklärung zwei Weltkriege<br />

und eine nationalsozialistische Diktatur nicht verhindern<br />

konnten, musste er konstatieren.<br />

Was ihm damals aktuell Sorge bereitet hat, war der Zeitgeist.<br />

Beklagt hat er einen Kult <strong>zu</strong>m Individuellen bei einer gleichzeitigen<br />

Tendenz <strong>zu</strong>r Egalisierung. Dahinter ein privatistisches<br />

Lebensgefühl, das auf Selbstverwirklichung dränge und die<br />

Ansprüche der Gesellschaft an den Einzelnen auf Dienst,<br />

Leistung und Anpassung entschieden <strong>zu</strong>rückweise. In meinen<br />

Worten: Joachim Fest hat bereits vor 25 Jahren das beklagt,<br />

worüber Giovanni di Lorenzo heute so facettenreich reflektiert<br />

hat, den Verlust von klassischen Werten in unserer Gesellschaft.<br />

Die <strong>zu</strong>nehmende Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber ihrem<br />

Staat, ihrer Gesellschaft, gegenüber dem Einzelnen. Für unsere<br />

Gründerväter und viele Generationen nach ihnen war es in der<br />

Zeitenwende vom 18. <strong>zu</strong>m 19. Jahrhundert selbstverständlich,<br />

sich nicht nur in der Politik für <strong>Bremen</strong> und das Gemeinwohl <strong>zu</strong><br />

engagieren. Die Bereitschaft der bürgerlichen Elite, Verantwortung<br />

für das Ganze <strong>zu</strong> übernehmen, war damals konstituierend<br />

für Wohlstand und Wohlergehen der Bremer. Tua res agitur, das<br />

war Anspruch und Ansporn <strong>zu</strong>gleich.<br />

Gerne werden solche republikanischen Bürgertugenden auch<br />

heute noch in Festreden hier in der Oberen Rathaushalle<br />

beschworen. Die Realität sieht längst anders aus. Die Bürgerschaft<br />

mit ihren 84 Abgeordneten ist alles andere als ein<br />

Spiegelbild der Leistungs- und Verantwortungselite unseres<br />

Gemeinwesens.<br />

Das Parlament ist – <strong>zu</strong>gegeben, von der Verfassung so gewollt –<br />

fest in der Hand der politischen Parteien. Ob die Väter unserer<br />

Verfassung gewollt haben, dass Beamte und Angestellte die<br />

Mehrheit in den Parlamenten stellen, (in <strong>Bremen</strong> immerhin 3/4<br />

aller Abgeordneten), sei dahingestellt. Die jedenfalls, auf deren<br />

Tun sich einst und heute Wohlstand und Wohlergehen der Freien<br />

Hansestadt <strong>Bremen</strong>s begründen, Unternehmer, Kaufleute, Manager<br />

und Wissenschaftler, die sind in der Politik nicht mehr oder<br />

nur marginal vertreten.<br />

Was macht die Leistungs- und Verantwortungselite in unserer<br />

alten Hansestadt? Wo sind die Kaufleute, die Unternehmer, Wissenschaftler<br />

und Manager, wenn es heißt: Tua res agitur?<br />

Im Haus Schütting, gegenüber Rathaus und Bürgerschaft kann<br />

man sie noch finden. Da haben sie sich eingerichtet. Wenn es<br />

um Wirtschafts- und Standortfragen geht, die eigentliche Opposition<br />

sitzt im Schütting.<br />

Das Plenum der Handelskammer vereinigt die erfolgreichsten,<br />

die besten Köpfe der Bremischen Wirtschaft. Aber in der Regel<br />

bleiben die unter sich. Ganze fünf Plenumsmitglieder sind nach<br />

1945 in den Senat gewechselt. Josef Hattig war der letzte von<br />

ihnen. Die Gründung einer eigenen Wirtschaftspartei „Arbeit für<br />

<strong>Bremen</strong>“ blieb Episode. <strong>Der</strong> Befund ist unabweisbar: Die bürgerliche<br />

Verantwortungs- und Leistungselite <strong>Bremen</strong>s hat der aktiven<br />

Politik weitgehend den Rücken <strong>zu</strong>gekehrt. Die eine oder<br />

andere Ausnahme bestätigt nur diese Regel.<br />

Es ist wohl kein Zufall, dass weder ein Schaffer noch ein Mitglied<br />

des Plenums der Handelskammer in der Bremischen Bürgerschaft<br />

ist. Immerhin sind drei von 84 Bürgerschaftsabgeordneten<br />

Mitglieder im <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>. Regelmäßig müssen die<br />

Bremischen Parteien außerhalb <strong>Bremen</strong>s auf die Suche gehen,<br />

um senatorable Persönlichkeiten <strong>zu</strong> finden. Manchmal hat man<br />

den Eindruck, sie hätten lieber das genommen, was in <strong>Bremen</strong><br />

<strong>zu</strong>r Verfügung steht.<br />

Und die Bürger? Die Bürger melden sich <strong>zu</strong>nehmend ab von<br />

ihren Aktivfunktionen als Wähler. Gerade einmal 58% der Wahlberechtigten<br />

in <strong>Bremen</strong> sind im Mai 2007 bei der Bürgerschaftswahl<br />

an die Wahlurnen gegangen. Das heißt, fast jeder zweite<br />

Wähler in <strong>Bremen</strong> hat auf sein Wahlrecht verzichtet. Tua res agi-


20 <strong>Club</strong> Spezial 225 Jahre <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

tur, der lateinische Wahlspruch „es geht um Deine Angelegenheiten“<br />

hat in der ältesten Stadtrepublik der Welt dramatisch<br />

an Bedeutung verloren, müsste man konstatieren, ja wenn, ja<br />

wenn die vielen privaten Engagements nicht wären, ohne die in<br />

<strong>Bremen</strong> so manches anders wäre.<br />

Ohne diesen gelebten Bürgersinn hätten wir keine bundesweit<br />

beachtete Kunsthalle und keinen Bürgerpark, keine Kammerphilharmonie<br />

und kein Musikfest, keine so lebendige Vereinsszene<br />

mit den vielen Ehrenamtlichen und keine stillen Netzwerke aus<br />

fast 300 Stiftungen und Bruderschaften, die im Verborgenen<br />

sozial so viel Gutes tun.<br />

An bürgerschaftlichem Engagement des Einzelnen, an privatem<br />

oder unternehmerischem Engagement als großzügige Sponsoren<br />

oder Spender fehlt es nicht in <strong>Bremen</strong>. Nur wenn es um die Politik<br />

geht, kneift ein Teil der Bürger, dann geht die Leistungs- und<br />

Verantwortungselite hinter den dicken Mauern des Schütting in<br />

Deckung.<br />

Fast könnte man meinen, es gäbe eine stillschweigend abgesprochene<br />

Arbeitsteilung zwischen den Leistungs- und Verantwortungseliten<br />

auf der einen und der Politik auf der anderen<br />

Seite. Die einen schaffen an, sorgen als Unternehmer und Manager<br />

für ein ordentliches Steueraufkommen, für Arbeitsplätze und<br />

Einkommen in <strong>Bremen</strong> und die anderen gegenüber in der Bürgerschaft<br />

am Markt sind für das Geld ausgeben verantwortlich.<br />

Was würden die Väter unseres <strong>Club</strong>s, die Abeggs, Bredenkamps,<br />

Gildemeisters, Kulenkampffs und Paulis eigentlich sagen, wenn<br />

man sie fragen würde, was bedeutet Aufklärung im Jahr 2008?<br />

Ich bin sicher, die ehrenhaften Herren müssten nicht lange<br />

nachdenken: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner<br />

selbstverschuldeten Unmündigkeit.<br />

Das war 1783 gültig und das gilt auch heute wieder, jedenfalls<br />

dann, wenn es um die Teilhabe an der politischen Willensbildung<br />

geht.<br />

Und deshalb hat sich der Auftrag des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> auch nach<br />

225 Jahren nicht erledigt: Forum <strong>zu</strong> sein für aufgeklärte Bürger,<br />

die frei und engagiert über die Dinge ihrer Zeit reflektieren und<br />

dabei Mut machen, nicht nur <strong>zu</strong> diskutieren, sondern sich auch<br />

politisch für das Gemeinwesen <strong>zu</strong> engagieren, so, wie das die<br />

Gründungsväter des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> vor 225 Jahren getan<br />

haben.


26<br />

<strong>Club</strong><br />

Mitgliederversammlung<br />

Danke Prof. Dr. Klaus Berthold !<br />

Mitgliederversammlung <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> am 22. Mai 2008<br />

Nach 22 Jahren Tätigkeit im Vorstand des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />

davon die letzten 6 Jahre als Vorsitzender, gab Prof. Dr. Klaus<br />

Berthold den Staffelstab weiter an seinen bisherigen Stellvertreter<br />

Dr. Rüdiger Hoffmann, der von der Mitgliederversammlung<br />

einstimmig <strong>zu</strong>m neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Professor<br />

Berthold war 1986 auf Vorschlag des damaligen Vorsitzenden<br />

Friedrich Wilhelm Bracht in den Vorstand gewählt worden. 2002<br />

hatte er das Amt von Friedrich Wilhelm Bracht übernommen. In<br />

seiner Amtszeit gelang es, den Vorstand deutlich <strong>zu</strong> verjüngen<br />

und mit Prof. Dr. Wiebke Arndt, Melanie Köhler und Dr. Claudia<br />

Nottbusch drei Damen in den Vorstand <strong>zu</strong> berufen. Professor<br />

Berthold hat die von seinem Vorgänger<br />

eingeleitete inhaltliche<br />

Erneuerung und Modernisierung<br />

des <strong>Club</strong>s mit dem von rahe & rahe<br />

entwickelten, neuen Corporate<br />

Design und der darauf fußenden<br />

Neugestaltung der <strong>Club</strong>räume<br />

konsequent <strong>zu</strong> Ende geführt. In<br />

seiner Amtszeit entstand das<br />

<strong>Magazin</strong> „<strong>Club</strong>“. Neue Akzente<br />

prägten das Vortragsprogramm.<br />

Ein Höhepunkt war die China-Reise des <strong>Club</strong> im Jahr 2006. Die<br />

großen finanziellen Belastungen aus der Neuausrichtung und<br />

Neugestaltung des <strong>Club</strong>s, insbesondere der umfangreichen<br />

Renovierungsarbeiten sind mittlerweile abgetragen. <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> ist<br />

wieder schuldenfrei. Einstimmig wurde Professor Berthold, auf<br />

Antrag von Dr. Hoffmann, von der Mitgliederversammlung <strong>zu</strong>m<br />

Ehrenmitglied gewählt, was er in der ihm eigenen Art mit den<br />

Worten quittierte: „Die Bürde ist man los, die Ehre bleibt.“ Dass<br />

er „seinem“ <strong>Club</strong> und dem Vorstand, der als bewährtes Team einstimmig<br />

wiedergewählt wurde, weiter die Treue halten werde,<br />

versprach Professor Berthold.


28<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Ein Arbeitsbericht<br />

<strong>Club</strong>leben von 1783-1945<br />

Lesegesellschaft im 18. Jahrhundert<br />

Kupferstich von Friedrich Chr. Geyser nach einer Zeichnung von Daniel Chodowiecki, 1797


29<br />

Engelbracht/Hauser<br />

Wussten Sie eigentlich, dass<br />

… der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> früher Physikalische Gesellschaft, Gesellschaft<br />

Museum (kurz „Museum“) und sogar für ein knappes Jahr<br />

Haus der Hanse hieß?<br />

… die Initialzündung <strong>zu</strong>r <strong>Club</strong>gründung die Veröffentlichung<br />

über eine Südsee-Expedition gab?<br />

… im 18. Jahrhundert 17% der <strong>Club</strong>mitglieder einer Freimaurerloge<br />

angehörten?<br />

… der Bremer Arzt und Astronom Wilhelm Olbers vor den <strong>Club</strong>mitgliedern<br />

mindestens neunzig Vorträge hielt?<br />

… im Oktober 1817 <strong>Bremen</strong>s erste Gasbeleuchtung das <strong>Club</strong>haus<br />

am Domshof erhellte?<br />

… die Gesellschaft Museum eine riesige naturwissenschaftliche<br />

Sammlung besaß, in der es u.a. 32.100 Insekten und Krustentiere<br />

gab?<br />

… im „Museum“ 1831 der abgeschlagene Kopf Gesche Gottfrieds<br />

besichtigt werden konnte?<br />

… der Bremer Kaffeeproduzent Ludwig Roselius im 20. Jahrhundert<br />

mehrmals als „<strong>Club</strong>retter“ in Erscheinung trat?<br />

… der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> aus einer Fusion der Bremer Gesellschaft<br />

von 1914 und der Gesellschaft Museum entstand?<br />

Nein? Wir wussten das auch nicht, als wir uns Ende März letzten<br />

Jahres mit Dr. Rüdiger Hoffmann trafen, um über eine mögliche<br />

Beteiligung an der Festschrift <strong>zu</strong>m 225jährigen <strong>Club</strong>jubiläum <strong>zu</strong><br />

reden. Als wir uns nach knapp zwei Stunden verabschiedeten,<br />

hatten wir im Gepäck wichtige Literatur <strong>zu</strong>r <strong>Club</strong>geschichte und<br />

im Kopf viele Ideen, um die Geschichte des Traditionsvereins von<br />

der Gründung bis 1945 <strong>zu</strong> bearbeiten.<br />

Wir entschieden uns für ein chronologisch aufgebautes Konzept,<br />

das durch die multiperspektivische und biographische Herangehensweise<br />

einen lebendigen Zugang <strong>zu</strong>r <strong>Club</strong>geschichte ermöglichen<br />

sollte. Als geeignete zentrale Leitlinien erwiesen sich dabei<br />

die Aspekte „Portrait“ und „Domizil“, in denen die verschiedenen<br />

Residenzen des <strong>Club</strong>s ebenso wie die Biografien relevanter<br />

Personen der <strong>Club</strong>geschichte vorgestellt werden sollten. Mittlerweile<br />

ist genau ein Jahr vergangen. Wir haben in Archiven,<br />

Bibliotheken, Sammlungen und Museen recherchiert, Literatur<br />

<strong>zu</strong>sammengetragen, eine Datenbank und viele Ordner mit Dokumenten<br />

angelegt, Abbildungen und Objekte gesucht, Texte formuliert,<br />

diskutiert, das Gelesene für gut befunden oder kritisiert<br />

und manchmal um den richtigen Weg gerungen.<br />

Je weiter wir in die Geschichte der Traditionsgesellschaft vordrangen,<br />

zeigte sich, dass der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> einen ganz eigenen<br />

und differenzierten Mikrokosmos darstellt, in dem sich ein<br />

beachtlicher Teil Bremer Kulturgeschichte widerspiegelt. Die<br />

verschiedenen Protagonisten, die unterschiedlichen Ausrichtungen<br />

der <strong>Club</strong>arbeit und die Höhen und Tiefen, die die Gesellschaft<br />

durchlebte, ermöglichten einen facettenreichen Blick auf<br />

die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />

Themen, welche die Hansestadt, ihre Bürgerinnen und<br />

Bürger seit Mitte des 18. Jahrhunderts bewegten.<br />

In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens repräsentierte die<br />

Gesellschaft das Zentrum der bremischen Aufklärung. Es ist ein<br />

schöner Zufall, dass im Gründungsjahr des <strong>Club</strong>s in der Berlinischen<br />

Monatsschrift ein Artikel erschien, der Immanuel Kant <strong>zu</strong>r<br />

Antwort auf die Frage: „Was ist Aufklärung?“ veranlasste. Seine<br />

Antwort gilt bis heute als Definition für eine ganze Epoche.<br />

Will man die frühen Orte der Aufklärung lokalisieren, an denen<br />

sich <strong>zu</strong>m ersten Mal Menschen mit gleichen Interessen <strong>zu</strong>sammenschlossen,<br />

um sich auf „vernünftige Weise“ ihres Verstandes<br />

<strong>zu</strong> bedienen, stößt man unweigerlich auf die sogenannten Aufklärungsgesellschaften.<br />

In dieser besondere Art von Vereinen,<br />

im 18. Jahrhundert sagte man: Sozietäten, entwickelten sich<br />

neue Arten sozialer Gruppenbildung und Interaktion. Die patriotischen<br />

und gemeinnützigen Gesellschaften, Akademien, Lese-,<br />

Gelehrten- und Geheimgesellschaften waren Orte, in denen das<br />

Bürgertum öffentlich und für alle sichtbar seine Forderung nach<br />

Gleichberechtigung umsetzte.


30<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Ein Arbeitsbericht<br />

Auch der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> startete als kleine Lesegesellschaft. Als<br />

offizielles Gründungsdatum gilt das Jahr 1783, da sich die<br />

Gesellschaft in diesem Jahr als demokratisch organisierte Vereinigung<br />

neu konstituierte. Genaugenommen begann die<br />

Geschichte aber bereits neun Jahre <strong>zu</strong>vor. Die Initialzündung<br />

Illustration aus John Hawkesworth<br />

„Geschichte der See-Reisen und Entdeckungen im Süd-Meer“<br />

gab der vierbändige Reisebericht des renommierten englischen<br />

Schriftstellers John Hawkesworth, in dem er u. a. die Schiffstagebücher<br />

von James Cook über dessen erste Südseeexpedition<br />

<strong>zu</strong>sammengefasst hatte. Übrigens war <strong>Bremen</strong> in diesen Jahren<br />

eine Hochburg des organisierten Lesens. Mit 36 großen und kleinen<br />

Lesegesellschaften „in allen Fächern und mancherley Sprachen“<br />

nahm die Hansestadt einen Spitzenplatz ein.<br />

Schnell wurde der Lesegesellschaft eine Physikalische Gesellschaft<br />

angegliedert, die außer der entsprechenden Fachliteratur<br />

auch eine Sammlung von Naturalien und physikalischen Werkzeugen<br />

anlegen sollte, da<strong>zu</strong> kamen eine Kunstsammlung und<br />

eine Physikalisch-ökonomischen Lesegesellschaft.<br />

Als erste Sammlungsobjekte wurden eine Vakuumpumpe, ein<br />

Spiegelteleskop sowie eine Elektrisiermaschine angekauft, die im<br />

18. und beginnenden 19. Jahrhundert <strong>zu</strong>r Standardausrüstung<br />

eines jeden Physikalischen Kabinetts gehörten. Damit war die<br />

junge Bremer Gesellschaft auf dem Höhepunkt ihrer Zeit, denn<br />

die Naturkunde war gesellschaftsfähig geworden. Es gehörte <strong>zu</strong>m<br />

guten Ton über die Elektrizität, die Kometen, die Ballonfahrt<br />

oder die Heilkräfte des Magneten <strong>zu</strong> plaudern. Vom adligen Hof,<br />

über den bürgerlichen Salon bis hin <strong>zu</strong>m Gasthaus und <strong>zu</strong>r Jahrmarktsbude<br />

wurden funkensprühende Versuche demonstriert.<br />

Den Bremer Initiatoren ging es dabei natürlich um viel mehr als<br />

Spiegelteleskop, mit dem <strong>Club</strong>mitglieder seit 1792 den<br />

Sternenhimmel beobachteten.<br />

Foto:<br />

um ein gehobenes Unterhaltungsprogramm, sie verfolgten die<br />

zentralen Forderungen der Aufklärung nach Bildung, Bekämpfung<br />

des Aberglaubens und den Abbau von Vorurteilen.<br />

Innerhalb weniger Jahre avancierte die berufsübergreifende aber<br />

sozial homogene Gemeinschaft dann <strong>zu</strong>m „Centralpunkt bremischer<br />

Cultur“. Die Namen der 277 Männer, die bis 1798 aufgenommen<br />

wurden, lesen sich wie das „Who is Who“ des gebildeten,<br />

besitzenden und einflussreichen bremischen Bürgertums. Es<br />

waren Kaufleute und Gelehrte, die sich als Bürgermeister, Ratsherren,<br />

Professoren, Ärzte, Theologen, Mediziner, Pädagogen<br />

und Elterleute maßgeblich an der Gestaltung des politischen,<br />

sozialen und wirtschaftlichen Stadtlebens beteiligten. Etwa als<br />

Protagonisten der Bildungsreform, als politische Funktionsträger<br />

während der französischen Besat<strong>zu</strong>ng, als Teilhaber am liberalen<br />

Diskurs in der Stadt oder als Mitgestalter großer Events, wie dem<br />

Kongress der Naturforscher und Ärzte 1844 und den „Eiswettenessen“,<br />

die ab 1881 in den <strong>Club</strong>räumlichkeiten am Domshof<br />

gefeiert wurden.<br />

Manche Mitglieder schrieben sogar auf spektakuläre Weise Wissenschaftsgeschichte.<br />

Wie z.B. Wilhelm Olbers mit seinen Entdeckungen<br />

und Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Sternenkunde<br />

oder <strong>Club</strong>gründer Arnold Wienholt, dem Wegbereiter<br />

des „tierischen Magnetismus“, der im 18. und 19. Jahrhundert<br />

<strong>zu</strong> einer „Skandalgeschichte“ avancierte und heute als Initialzündung<br />

bei der Entdeckung des Unbewussten und Wegbereiter<br />

der Psychotherapie und Psychoanalyse gilt. Gottfried Reinhold<br />

Treviranus, ein Grenzgänger zwischen Naturphilosophie und<br />

Empirismus, verkörpert gleichsam den Wendepunkt der Naturge-


31<br />

schichte <strong>zu</strong>r exakten Naturwissenschaft, die im 19. Jahrhundert<br />

die theoretischen Vorausset<strong>zu</strong>ngen für die sich beschleunigende<br />

industrielle und technische Entwicklung schuf. Tatsächlich hat<br />

er den Begriff „Biologie“ als Definition einer neuen Disziplin,<br />

die als Lebenslehre Formen, Erscheinungen, Bedingungen und<br />

Ursachen des Lebens untersuchen sollte, maßgeblich geprägt.<br />

Durch Treviranus Vermittlung wurde es dem umstrittenen deutschen<br />

Arzt, Anatom und Phrenologen Franz Joseph Gall im Jahre<br />

1806 gestattet, das im „Naturalienkabinet“ „befindliche Monstrum,<br />

dem der Kopf fehlt“, <strong>zu</strong> öffnen und <strong>zu</strong> untersuchen. Bis<br />

weit ins 19. Jahrhundert hinein war das „Museum“ Zentrum<br />

(natur)wissenschaftlicher Forschung und Diskussion und ersetzte<br />

so die fehlende Universität und Erwachsenenbildung in <strong>Bremen</strong>.<br />

Doch nicht nur die <strong>Club</strong>mitglieder, auch die <strong>Club</strong>häuser schrieben<br />

Geschichte. Durch ihre Lage im jeweiligen kulturellen Zentrum<br />

der Hansestadt, am Domshof, Am Wall und in der Böttcherstraße,<br />

zählten sie <strong>zu</strong> den besonderen Bremer Sehenswürdigkeiten und<br />

wurden selbst <strong>zu</strong> Orten der Innovation: hier wurde die erste Bremer<br />

Gasbeleuchtung installiert (1817) und hier arbeitete die<br />

erste deutsche Telegraphenlinie (1847). Als <strong>zu</strong> Beginn des 19.<br />

Jahrhunderts die Telegraphie die Nachrichtenübermittlung über<br />

große Entfernungen revolutionierte, verfolgten die Museumsmitglieder<br />

<strong>zu</strong>nächst die Erfindung des optischen, dann des elektrischen<br />

Telegraphen mit großer Aufmerksamkeit. <strong>Der</strong> Bremer Kaufmann,<br />

Schiffskapitän und vierfache Weltumsegler Johann Wilhelm<br />

Wendt richtete sodann nach englischem Vorbild 1844 eine<br />

elektrische Telegraphenversuchsstation in zwei nebeneinander<br />

liegenden Zimmern des Bremer „Museums“ ein und demonstrierte<br />

sie den Bremer Kaufleuten, die sich mittags hier trafen.<br />

Schnell war die Bremer Kaufmannschaft Feuer und Flamme. Ausgehend<br />

vom „Museum“, in der sich eine Station befand, wurde<br />

so 1847 die erste, 65 km lange Telegraphenlinie Deutschlands<br />

von <strong>Bremen</strong> nach Bremerhaven eröffnet.<br />

Wie der Name vermuten lässt, beherbergte die Gesellschaft<br />

Museum über Jahrzehnte ein beachtliches Museum mit einer<br />

großen Bibliothek und umfangreichen Sammlungen. Ethnografische<br />

Objekte, Flora und Fauna aus Übersee, mitgebracht von<br />

Expeditionen und geschenkt von bedeutenden Privatsammlern<br />

waren hier genauso <strong>zu</strong> finden, wie heimische Pflanzen und Tiere.<br />

Es gehört <strong>zu</strong>m fast vergessenen Teil Bremer Geschichte, dass sich<br />

aus dieser Sammlung das erste öffentliche Museum <strong>Bremen</strong>s, das<br />

„Städtische Museum für Naturkunde und Ethnographie“, das spätere<br />

Übersee-Museum entwickelte. Eine hierfür bezeichnende<br />

Geschichte ist die des Skeletts des berühmten Bremer Wals, der<br />

1669 in der Lesum gestrandet war. Aus dem Bremer Rathaus kam<br />

das Walskelett als Sehenswürdigkeit in die Sammlungen des<br />

„Museums“ und befindet sich heute im Eingangsbereich des<br />

Übersee-Museums. Nicht mehr in dessen Sammlungen befinden<br />

sich die sterblichen Überreste Gesche Gottfrieds. Nach ihrer Hinrichtung,<br />

der letzten öffentlichen in <strong>Bremen</strong> 1831, an der ungefähr<br />

35.000 Menschen beiwohnten, wurde ihr abgeschlagener<br />

Kopf „in einem mit Spiritus gefüllten Glasgefäß im Bremer<br />

„Museum“ am Domshof „<strong>zu</strong>m Wohl der Taubstummenanstalt“ <strong>zu</strong>r<br />

Schau gestellt. <strong>Der</strong> übrige Körper wurde skelettiert und das Skelett<br />

in einem Schrank im „Museum“ aufbewahrt.<br />

Bremer Wal von 1669 aus der Sammlung Gesellschaft Museum,<br />

jetzt: Eingangshalle Überseemuseum<br />

Porträt Wienhold


32<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Ein Arbeitsbericht<br />

Ein größerer Bestandteil der Sammlungen im Übersee-Museum<br />

geht auf Privatsammlungen von Museumsmitgliedern <strong>zu</strong>rück. So<br />

die „Bremer Flora“, ein Herbarium mit umfangreichen Belegblättern<br />

von Pflanzen aus der Bremer Umgebung, oder zahlreiche<br />

ethnologische Gegenstände, die Bremer Kaufleute in Übersee der<br />

Gesellschaft Museum vermachten. 1876 trat der Konservator der<br />

Gesellschaft Museum, der Zoologe und Ethnologe Otto Finsch,<br />

<strong>zu</strong>sammen mit dem Tierforscher Alfred Brehm („Tierleben-<br />

Brehm“) und dem Spitzbergen-Fahrer Graf Waldburg-Zeil-Trauchburg<br />

eine Forschungsreise nach Westsibirien an, die nicht nur<br />

eine ungewöhnlich reiche wissenschaftliche und noch heute im<br />

Übersee-Museum <strong>zu</strong> bestaunende sammlerische Ausbeute<br />

erbrachte, sondern auch wichtige Handelsbeziehungen für <strong>Bremen</strong>.<br />

Otto Finsch war es auch, der die 1875 in den Besitz des<br />

Bremer Staates übergegangenen Sammlungsbestände der Gesellschaft<br />

Museum in den neuen Domanbau des Künstlervereinshauses<br />

an der Domsheide überführte und damit das erste öffentliche<br />

Museum <strong>Bremen</strong>s etablierte.<br />

Neben der Beschäftigung mit den verschiedenen Geistes- und<br />

Naturwissenschaften in Form von Vorträgen, Präsentationen,<br />

Versuchen, Buch- und Objektsammlungen war die Geselligkeit<br />

immer ein wichtiger Bestandteil des <strong>Club</strong>lebens. Die kulturprägende<br />

Komponente beim informellen Austausch während der<br />

gemeinsamen Lektürestunden, später beim Billard- und Kartenspiel,<br />

bei den Tanz- und Musikveranstaltungen, den Festessen<br />

und Ausflügen sollte dabei nicht unterschätzt werden. Im 19.<br />

Jahrhundert fanden in dem prächtigen <strong>Club</strong>gebäude zahlreiche<br />

Privatgesellschaften der Mitglieder – Gesellschaftsessen, Casinos,<br />

Tanzgesellschaften – statt, die vom Ökonomen des Hauses<br />

mit ausgefeilten Menüs verköstigt wurden. Wie es sich für einen<br />

Herrenclub gehörte, empfing nun auch ein Portier im Livree-Rock<br />

die Mitglieder. Durch fremde Vereine und auswärtige Redner<br />

wurde das <strong>Club</strong>haus ein beliebter Ort für öffentliche Vorträge<br />

und Veranstaltungen. Das Lesezimmer der Gesellschaft bot eine<br />

breite Auswahl an neuesten wissenschaftlichen und politischen<br />

Zeitungen und Zeitschriften aus allen Teilen der Erde. Seit 1880<br />

war auch die wertvolle Bibliothek dem Bremer Publikum allgemein<br />

<strong>zu</strong>gänglich, was rege genutzt wurde.<br />

Ein Meilenstein der <strong>Club</strong>geschichte im 20. Jahrhundert war die<br />

Fusion der Bremer Gesellschaft von 1914 mit der Gesellschaft<br />

Museum, aus der 1931 der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> hervorging. Die Bremer<br />

Gesellschaft von 1914 war ein Kind des Ersten Weltkrieges.<br />

Ähnlich wie die Deutsche Gesellschaft 1914 in Berlin war sie ein<br />

parteiübergreifender Sammelpunkt des liberalen Bürgertums.<br />

Sat<strong>zu</strong>ngsgemäß war ihr Zweck die „Pflege eines zwanglosen vorurteilsfreien<br />

geselligen Verkehrs von Angehörigen der Kaufmannschaft,<br />

der Industrie, des Gelehrtenstandes und andere Berufe<br />

aller Art, die über das Berufs- und Amtsleben hinaus, insbesondere<br />

über große Zeitereignisse ihre Gedanken aus<strong>zu</strong>tauschen<br />

wünschen … unter Ausschluss von Parteipolitik und Agitation<br />

jeglicher Art.“ Bedeutende Redner aus dem In- und Ausland,<br />

auch kompetente Bürger <strong>Bremen</strong>s, hielten auf Einladung der Bremer<br />

Gesellschaft von 1914 Vorträge <strong>zu</strong> Zeitereignissen, brennenden<br />

Tagesfragen sowie sozialen und kulturellen Fragen. Nach<br />

dem Ende des Ersten Weltkrieges knüpfte man nationale und<br />

internationale Kontakte, besonders gefördert durch Ludwig Roselius,<br />

der der Bremer Gesellschaft von 1914 ein Domizil in der<br />

Böttcherstraße, dem neuen Kulturzentrum <strong>Bremen</strong>s, angeboten<br />

hatte. Dieser war es auch, der den Zusammenschluss der beiden<br />

großen Bremer <strong>Club</strong>s, der Bremer Gesellschaft von 1914 und der<br />

Gesellschaft Museum forcierte, um „das gesellschaftliche Leben<br />

<strong>Bremen</strong>s wieder um einen Mittelpunkt“ <strong>zu</strong> vereinen. <strong>Der</strong> 1931<br />

etablierte, parteipolitisch neutrale <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> bezweckte<br />

„die Fortbildung und den Gedankenaustausch auf allen Gebieten


33<br />

des geistigen, politischen und wirtschaftlichen Lebens“ und<br />

wollte „durch Pflege persönlicher Beziehungen mit dem Ausland<br />

<strong>zu</strong>m Verständnis und der Förderung deutscher Interessen im Ausland<br />

beitragen“. Im Haus Atlantis und im Robinson-Crusoe-Haus<br />

in der Böttcherstaße fand er seine Unterkunft u.a. mit Lese-,<br />

Schreib-, Vortrags- und Filmsaal und Speiseraum. Um Körper und<br />

Geist gleichermaßen <strong>zu</strong> befriedigen, konnten die Mitglieder des<br />

<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> kostenlos die Kurse des Instituts für Körperkultur<br />

– Turnen, Fechten, Boxen – und den Massage- und Ruheraum<br />

sowie die Lichtduschen und Bäder benutzen.<br />

Das Profil des neuen <strong>Club</strong>s als ein Ort der Information, der regionalen<br />

und internationalen Vernet<strong>zu</strong>ng, der wirtschaftlichen,<br />

politischen und sozialen Fragestellungen hat bis heute nicht an<br />

Aktualität verloren.<br />

Nach einem kurzen, sehr erfolgreichen Start geriet die neuformierte<br />

Gesellschaft durch die Auswirkungen der nationalsozialistischen<br />

Gesellschaftspolitik mehr als einmal in eine akute Existenzkrise.<br />

Obwohl <strong>Club</strong>mitglieder, die als Parteigenossen wichtige<br />

Positionen in der neuen Bremer NS-Regierung inne hatten, in<br />

den <strong>Club</strong>vorstand gewählt wurden, konnte eine „Gleichschaltung“<br />

nicht verhindert werden. Anfang 1934 war aus dem <strong>Club</strong><br />

<strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> das Haus der Hanse <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> geworden; den Vorsitzenden<br />

Friedrich Roselius hatte man durch den Präsidenten Kurt<br />

Thiele, einem der führenden Bremer NS-Aktivisten ersetzt.<br />

Während der gesamten NS-Zeit bewegten sich der Vorstand des<br />

<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> – die Umbenennung in Haus der Hanse wurde<br />

bereits nach einem knappen Jahr wieder rückgängig gemacht –<br />

und viele seiner Mitglieder auf einem schmalen Grad zwischen<br />

Teilhabe und Rück<strong>zu</strong>g, zwischen Zustimmung, ja aktiver Beteiligung<br />

an der „nationalen Erneuerung des deutschen Volkes“ auf<br />

Ludwig Roselius<br />

der einen sowie Resignation und Widerstand gegen autoritäre<br />

Interventionen auf der anderen Seite. Die offensive Parteiwerbung<br />

durch den <strong>Club</strong>vorstand sowie der Ausschluss der jüdischen<br />

<strong>Club</strong>mitglieder sind Beispiele dafür, dass die Wirkkräfte der Nazi-<br />

Ideologie keineswegs vor den <strong>Club</strong>türen halt gemacht hatten.<br />

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> äußerlich<br />

wie innerlich zerstört, die repräsentativen <strong>Club</strong>räume zertrümmert,<br />

der Vorstand, wegen der parteipolitischen Belastung<br />

seiner Mitglieder, aufgelöst. Viele <strong>Club</strong>mitglieder waren von den<br />

dteil des<br />

dteil des


34<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Ein Arbeitsbericht<br />

Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs nicht <strong>zu</strong>rückgekehrt,<br />

andere in Gefangenschaft oder aus der bombardierten Großstadt<br />

geflohen.<br />

Erst als sich der Jurist Dr. Richard Ahlers bereit fand, den Vorsitz<br />

<strong>zu</strong> übernehmen, konnte im November 1947 die Fortset<strong>zu</strong>ng<br />

des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> und die Neufassung der Statuten beschlossen<br />

werden.<br />

Dr. Andrea Hauser und Gerda Engelbracht M.A. sind Bremer Kulturwissenschaftlerinnen<br />

mit langjähriger Erfahrung in der Konzeption<br />

und Realisation von Projekten und Ausstellungen. Beide<br />

haben eine Reihe von Publikationen <strong>zu</strong>r Regionalgeschichte<br />

sowie <strong>zu</strong>r Sozial- und Medizingeschichte (Gerda Engelbracht)<br />

bzw. Alltags- und Kulturgeschichte (Andrea Hauser) veröffentlicht.<br />

Andrea Hauser ist <strong>zu</strong>dem an verschiedenen Universitäten,<br />

so auch in <strong>Bremen</strong>, als Lehrbeauftragte tätig.<br />

ENGELBRACHT UND HAUSER<br />

GESCHICHTS- UND KULTURKONZEPTE<br />

www.kulturkonzepte-bremen.de


35<br />

Hapag-Lloyd, und damit auch der Norddeutsche Lloyd, gehört heute <strong>zu</strong> den führenden Reedereien in der<br />

weltweiten Containerschifffahrt. Die <strong>Bremen</strong> Express, einer der jüngsten und <strong>zu</strong>gleich größten Neubauten<br />

der Hapag-Lloyd-Flotte, trägt den Namen der Weserstadt über die Weltmeere.<br />

Unser Credo lautet seit 160 Jahren: Traditionen wahren und offen für neue Entwicklungen bleiben. Dies gilt<br />

auch für den „<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>“, dem wir <strong>zu</strong>m 225. Jubiläum herzlich gratulieren.


36 <strong>Club</strong> Spezial<br />

Prof. Dr. Thomas Rommel<br />

Herrenclubs im 18. Jahrhundert


37<br />

Prof. Dr. Thomas Rommel<br />

„Ich habe mir oft vorgenommen, eine Gesellschaft der besten<br />

Männer <strong>zu</strong> gründen. Wenn sich solche Herren <strong>zu</strong>sammenschließen<br />

würden, könnten sie die Welt deutlich voranbringen“,<br />

schrieb der Autor Jonathan Swift 1723, drei Jahre bevor er seinen<br />

bekannten Roman Gullivers Reisen veröffentlichte. Swift<br />

brachte damit <strong>zu</strong> Ausdruck, was viele erfolgreiche Männer des<br />

18. Jahrhunderts dachten. Dass man, um den Wohlstand und das<br />

Wohlergehen der Gesellschaft <strong>zu</strong> befördern, die besten Köpfe<br />

braucht. Wer als Kaufmann und Unternehmer Erfolg in der Wirtschaft<br />

hatte, wer als Offizier Macht ausübte, als Theologe Einfluss<br />

hatte, als Professor Bildung vermittelte und als Schriftsteller<br />

den Zeitgeist beobachtete, sollte sein Wissen <strong>zu</strong>m Wohle der<br />

Allgemeinheit verwenden. Dieses Denken entsprach dem Selbstbewusstsein<br />

erfolgreicher bürgerlicher Kreise in Großbritannien,<br />

die sich gegen die traditionellen Privilegien der Aristokratie<br />

wandten. Gesellschaftlich bestimmend sollte demnach die Meritokratie<br />

sein, jene bürgerliche Elite, der ihre Verdienste, ihre<br />

Meriten, <strong>zu</strong>m Erfolg verholfen hatte. Was man brauchte war eine<br />

Möglichkeit, diese engagierten Menschen <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>führen.<br />

Mit dem <strong>zu</strong>nehmenden Überseehandel und dem daraus resultierenden<br />

Wohlstand kamen in Großbritannien mit Ende des 17.<br />

Jahrhunderts die sogenannten coffee-houses in Mode. Das waren<br />

Kaffeehäuser, in denen sich meist Kaufleute trafen, um bei Kaffee<br />

oder Kakao die neuesten Nachrichten <strong>zu</strong> erfahren. Kaffee war<br />

als Luxusgut sehr in Mode, er war teuer (und nach heutigen<br />

Maßstäben ungenießbar), und wer sich Kaffee oder Kakao leisten<br />

konnte, demonstrierte im 18. Jahrhundert Wohlstand,<br />

Geschmack und Zeitgeist. In den Kaffeehäusern lagen meist<br />

Informationen über Schiffe und ihre Ladung aus, und Eigner,<br />

Kapitäne und Händler konnten sich aus erster Hand ein Bild<br />

machen. Nachrichten über Schiffe und ihre Ladung, Häfen und<br />

Zölle, aber auch über internationale Politik und Handelsfragen<br />

wurden ausgetauscht. Aus diesen Wirtschafts- und Schiffsmeldungen<br />

entwickelte sich später das Zeitungswesen. Und in dem<br />

Klima eines informierten Meinungs- und Gedankenaustauschs<br />

fanden sich bei Kaffee und Tabak immer mehr Männer <strong>zu</strong>sammen,<br />

um sich neben dem Geschäft auch anderen wichtigen Fragen<br />

<strong>zu</strong> widmen.<br />

Denn für viele wirtschaftlich Erfolgreiche war die Frage nach der<br />

moralischen Legitimation ihres Handelns sehr wichtig. Bedeutet<br />

der Erfolg des Einen, dass ein Anderer Verluste macht? Wird<br />

Reichtum durch Handel umverteilt, oder helfen Import und<br />

Export, den Wohlstand der Nation <strong>zu</strong> sichern? Wie kann man<br />

moralisch vertreten, dass man wohlhabender ist als ein anderer?<br />

Wie müssen Wirtschaft und Gesellschaft aufgebaut sein, damit<br />

jeder, der fleißig und erfolgreich ist, nicht nur das eigene Wohlergehen<br />

befördert, sondern womöglich noch den Wohlstand aller<br />

und damit den der gesamten Gesellschaft erhöht? Fragen dieser<br />

Art, die fundamental wichtig waren für das Selbstverständnis<br />

einer aufstrebenden, selbstbewussten bürgerlichen Schicht,<br />

konnte man am besten im Kreise Gleichgesinnter diskutieren.<br />

Und solche Gleichgesinnten fanden sich in den Kaffeehäusern<br />

und später in den Gentlemen’s <strong>Club</strong>s des 18. Jahrhunderts in<br />

Großbritannien. Diese <strong>Club</strong>s wurden <strong>zu</strong> Treffpunkten für Männer,<br />

auf die das Prädikat „gentleman“ <strong>zu</strong>traf, und es war keineswegs<br />

ein Adelsprädikat, sondern es wurde <strong>zu</strong>nehmend auch geschäftlich<br />

erfolgreichen Bürgerlichen <strong>zu</strong>erkannt. So schreibt Baron<br />

Bolingbroke (1678-1751) über einen neuen Gentlemen’s <strong>Club</strong>:<br />

„We shall begin to meet in a small number, and that will be composed<br />

of some who have wit and learning to recommend them;<br />

of others who, from their own situations, or from their relations,<br />

have power and influence.” Geist und Intelligenz, Eloquenz und<br />

Bildung, sowie Einfluss und Macht sind die Kriterien, die einen<br />

Mann für die Aufnahme und Mitgliedschaft in dieser Form britischer<br />

Geselligkeit prädestinieren. Beredtes Zeugnis über diese<br />

Art von Zusammenkünften legt eine der bekanntesten Zeitschriften<br />

des frühen 18. Jahrhunderts ab, der Spectator. Noch Jahrzehnte<br />

später als Maßstab hervorragender englischer Prosa und<br />

Stilsicherheit geschätzt, ist der Spectator, wörtlich „der Beobachter“,<br />

das angebliche Protokoll von Zusammenkünften in


38<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Prof. Dr. Thomas Rommel<br />

sich Schriftsteller und Gelehrte, Geistliche und Offiziere, Kaufleute,<br />

Unternehmer und leitende Beamte, um sich anspruchsvoll<br />

von kundigen Herren <strong>zu</strong> einem Thema vortragen <strong>zu</strong> lassen, und<br />

dann anschließend in geselliger Runde <strong>zu</strong> diskutieren.<br />

Da sich Frauen nur im Privaten bewegten und nicht selbst<br />

Geschäfte machten, waren es ausschließlich Männer, die sich<br />

regelmäßig in den <strong>Club</strong>s trafen. Was der Göttinger Professor für<br />

Experimentalphysik Georg Christoph Lichtenberg in seinen<br />

Sudelbüchern ironisch über englische Damenclubs berichtet, ist<br />

daher mehr als Spott über Frauen im Allgemeinen <strong>zu</strong> verstehen,<br />

als dass es eine Aussage über englische <strong>Club</strong>s darstellt: „In England<br />

wurde bei einem politischen Frauenzimmer-<strong>Club</strong> festgesetzt,<br />

dass bei wichtigen Vorfällen außer der Präsidentin nur<br />

noch zwei Personen <strong>zu</strong> gleicher Zeit reden sollten.“ Dieser Kommentar<br />

sagt mehr über Lichtenbergs Frauenbild aus als über die<br />

Realität der <strong>Club</strong>s in Großbritannien, in denen nach Möglichkeit<br />

jeder angesehene Beruf vertreten war, und die Herren berichteten<br />

auf hohem intellektuellem Niveau über ihre Arbeit, ihre<br />

Motive und die Relevanz ihrer jeweiligen Beschäftigung.<br />

The Spectator 1711<br />

einem Kaffeehaus. Es sind Gentlemen der unterschiedlichen Professionen,<br />

die sich <strong>zu</strong>m Meinungsaustausch <strong>zu</strong>sammenfinden<br />

und die drängende Fragen der Zeit diskutieren. Sie bilden einen<br />

<strong>Club</strong>, der sich elitär als Treffpunkt ausgewählter Repräsentanten<br />

der Londoner Gesellschaft gibt.<br />

Allerdings werden im Spectator diese <strong>Club</strong>diskussionen nicht<br />

nur bierernst geführt, sondern wenn der weltgewandte und<br />

erfolgreiche Unternehmer Andrew Freeport auf den konservativen<br />

Adeligen Sir Roger de Coverley trifft, dann prallen unterschiedliche<br />

Weltanschauungen aufeinander. Freeport, der schon<br />

mit seinem Namen eine liberale Haltung und freie Häfen, weltumspannenden<br />

Handel und Diplomatie durch geschäftlichen<br />

Erfolg signalisiert, liefert sich amüsante sprachliche Duelle mit<br />

dem etwas verstaubten Adeligen de Coverley, der auf seinen<br />

angestammten Privilegien beharrt. Sehr <strong>zu</strong>r Freude der Leser<br />

des Spectator werden auf hohem Niveau Fragen sozialer Gerechtigkeit<br />

diskutiert (soll man Almosen geben, oder lieber Arbeitsplätze<br />

für Bedürftige schaffen?), es wird nach dem Sinn von Zöllen<br />

gefragt (schaden wir nicht unseren eigenen Interessen?),<br />

und natürlich steht immer wieder im Mittelpunkt der Debatte,<br />

wie der Wohlstand der Nation gerecht und sozial gefördert werden<br />

kann. Die Herrenrunde im Spectator wurde <strong>zu</strong>m Inbegriff<br />

des britischen Gentlemen’s <strong>Club</strong>, und überall im Lande trafen<br />

<strong>Der</strong> gesellschaftliche Erfolg bescherte den <strong>Club</strong>s eine hohe<br />

Anziehungskraft, und so war die Mitgliedschaft in Gentlemen’s<br />

<strong>Club</strong>s sehr begehrt. Mitglied konnte nur werden, wer von anderen<br />

<strong>Club</strong>mitgliedern vorgeschlagen wurde und somit dem Geist<br />

des <strong>Club</strong>s entsprach. Häufig wurde dafür das Verfahren des<br />

„blackballing“ eingesetzt: jedes <strong>Club</strong>mitglied warf eine weiße<br />

Kugel als Zeichen seiner Zustimmung in einen Hut – fand sich<br />

eine einzige schwarze Kugel im Hut, ein „black ball“, wurde der<br />

Kandidat nicht aufgenommen. Noch heute werden Begriffe wie<br />

„schwarze Liste“ (oder das positive Pendante, die „weiße<br />

Liste“), auch im Deutschen verwendet und nur wenige sind sich<br />

bewusst, dass hiermit ein ganz frühes Verfahren der Entscheidung<br />

über Mitgliedschaft beschrieben wird. Dieses „blackballing“,<br />

das elitäre Verfahren der Auswahl durch niemanden anders<br />

als die eigenen Mitglieder des <strong>Club</strong>s, garantierte den Gentlemen’s<br />

<strong>Club</strong>s eine hohe Attraktivität, und gleichzeitig bot sich<br />

damit die Möglichkeit, Netzwerke <strong>zu</strong> etablieren. Das „old boy<br />

network“, das eigentlich die Verbindungen zwischen den Absolventen<br />

englischer Eliteschulen oder der zwei besten Universitäten,<br />

Oxford und Cambridge, beschreibt, wurde bald <strong>zu</strong>m Inbegriff<br />

der Verbindungen und Kontakte, die sich durch die einflussreichen<br />

<strong>Club</strong>s herstellen ließen.<br />

Häufig war mit der <strong>Club</strong>mitgliedschaft das Recht verbunden, die<br />

Insignien des <strong>Club</strong>s <strong>zu</strong> tragen – spezielle Wappen, Visitenkarten<br />

oder später auch besondere Krawatten oder farbige Hosenträger<br />

zeigten den Eingeweihten, wer <strong>zu</strong> welchem <strong>Club</strong> gehörte, wer<br />

einflussreich war und eine hohe gesellschaftliche Position<br />

innehatte. Und mit dem gesellschaftlichen Erfolg kam auch der<br />

finanzielle: die <strong>Club</strong>s konnten sich eigene Räumlichkeiten oder


39<br />

sogar ganze Gebäude<br />

leisten, mit luxuriösen<br />

Aufenthaltsräumen,<br />

umfangreichen Bibliotheken<br />

und Raucherzimmern,<br />

eigener Küche<br />

und Personal. Man<br />

konnte (und kann es in<br />

manchen <strong>Club</strong>s in London<br />

noch heute) im<br />

<strong>Club</strong>haus übernachten,<br />

und nicht wenige Herren<br />

fanden in ihrem<br />

<strong>Club</strong> ein zweites Zuhause.<br />

In zahlreichen englischen<br />

Romanen wird<br />

amüsant auf den <strong>Club</strong><br />

als Refugium gebeutelter<br />

Ehemänner eingegangen<br />

– war die<br />

Stimmung <strong>zu</strong> Hause<br />

schlecht, die Ehefrau<br />

erzürnt oder der Butler<br />

krank, so fand mancher<br />

wohlhabender Brite im <strong>Club</strong> seine Heimat. Umgeben von<br />

Gleichgesinnten, im Kreise mitfühlender Freunde konnte sich<br />

mancher besser entspannen als im eigenen Heim, so stellt es<br />

mancher Romanautor süffisant dar.<br />

In Großbritannien wurden die Gentlemen’s <strong>Club</strong>s damit <strong>zu</strong>m<br />

Inbegriff der gesellschaftlich Erfolgreichen, die sich – natürlich<br />

– dem eigenen Wohl, aber auch dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet<br />

fühlten. Zahlreiche zeitgenössische Dokumente, nicht<br />

nur Romane, sondern alles, von Tagebüchern über Zeitschriften<br />

bis hin <strong>zu</strong> Theaterstücken, Predigten oder philosophischen<br />

Essays verdeutlichen, wie hoch die Rolle der <strong>Club</strong>s eingeschätzt<br />

wurde. <strong>Der</strong> Spectator ist nur eines von vielen Beispielen, wie die<br />

Zeitschriften des 18. Jahrhunderts die informierte Auseinanderset<strong>zu</strong>ng<br />

über Fragen <strong>zu</strong> Wirtschaft und Gesellschaft, Verdienst<br />

und Moral, Wissen und Wohlstand für die Allgemeinheit dokumentierte,<br />

was dadurch weite Verbreitung fand. „It is very natural<br />

for a Man”, schrieb der Spectator, “to delight in that sort of<br />

Conversation which we find in Coffee-houses.” Dass das Vergnügen<br />

an der informierten Unterhaltung auch durchaus Wirkung<br />

zeigte, sieht man an dem ökonomischen Klassiker des Moralphilosophen<br />

Adam Smith, der Wohlstand der Nationen von 1776.<br />

Dieses heute noch wichtige und überaus lesenswerte Buch über<br />

die Arbeitsteilung und das Walten der „unsichtbaren Hand“ in<br />

der Wirtschaft und der Gesellschaft ist durch die Diskussionskultur<br />

der Gentlemen’s <strong>Club</strong>s maßgeblich geprägt. Noch in Jules<br />

Vernes Roman In 80 Tagen um die Welt von 1873 entsteht die<br />

Wette, die Welt <strong>zu</strong> umrunden, im Reform <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> London – der<br />

Abenteurer und Held des Romans, Phileas Fogg, ist dort ein<br />

geschätztes Mitglied.<br />

Lord Lovat<br />

„The Politician“<br />

Waren es in Großbritannien die Männer, die sich im 18. Jahrhundert<br />

<strong>zu</strong>m informierten und engagierten Meinungsaustausch über<br />

Fragen von weitreichender Bedeutung in ihren <strong>Club</strong>s trafen, so<br />

reicht die französische Salonkultur historisch noch weiter<br />

<strong>zu</strong>rück. Hier war es der schöngeistige Austausch im Privaten, im<br />

Kreise kulturell Interessierter, die sich im Haus einer Gastgeberin<br />

trafen und über die schönen Künste, Literatur und Musik<br />

sprachen. Die Zusammenset<strong>zu</strong>ng der Gäste wechselte, und es<br />

ging nicht um Fragen der Wirtschaftsethik oder der hohen Politik,<br />

sondern die „Kultur“ stand im Mittelpunkt. Auch fehlt der<br />

französischen Salonkultur – neben dem Merkantilen – die<br />

bewusste Ausrichtung auf die Meritokratie. Was die Gentlemen’s<br />

<strong>Club</strong>s in Großbritannien auszeichnet, ist die selbstbewusste<br />

Hinwendung <strong>zu</strong>r eigenen Leistung, <strong>zu</strong>r Bedeutung einer aufstrebenden<br />

Schicht in der Gesellschaft. <strong>Der</strong> Rück<strong>zu</strong>g ins edle, empfindsam-künstlerisch<br />

Private, der sich in der ehemals aristokratisch<br />

geprägten Salonkultur ganz besonders offenbart, stellt das<br />

genaue Gegenteil dessen dar, was die britischen Herren an ihren<br />

<strong>Club</strong>s so schätzten. Und in Deutschland? „In Darmstadt befand<br />

sich übrigens eine Gesellschaft von sehr gebildeten Männern.<br />

Geheimrat von Hesse, Minister des Landgrafen, Professor Petersen,<br />

Rektor Wenck und andere waren die Einheimischen, <strong>zu</strong><br />

deren Wert sich mancher fremde Benachbarte und viele Durchreisende<br />

abwechselnd gesellten. Die Geheimerätin von Hesse<br />

und ihre Schwester, Demoiselle Flachsland, waren Frauenzimmer<br />

von seltenen Verdiensten und Anlagen, die letztre, Herders<br />

Braut, doppelt interessant durch ihre Eigenschaften und ihre<br />

Neigung <strong>zu</strong> einem so vortrefflichen Manne. Wie sehr dieser Kreis<br />

mich belebte und förderte, wäre nicht aus<strong>zu</strong>sprechen. Man hörte<br />

gern die Vorlesung meiner gefertigten oder angefangenen


40<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Prof. Dr. Thomas Rommel<br />

Arbeiten, man munterte mich auf, wenn ich offen und umständlich<br />

erzählte, was ich eben vorhatte, und schalt mich, wenn ich<br />

bei jedem neuen Anlass das Früherbegonnene <strong>zu</strong>rücksetzte.“ So<br />

schreibt Johann Wolfgang von Goethe <strong>zu</strong> Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit, und<br />

damit zeichnet er das Bild des deutschen <strong>Club</strong>lebens. Hier versammelten<br />

sich „ Geistliche, Schulmänner, Schriftsteller, gelehrte<br />

und hohe Staatsbeamte, Kaufleute“ und diskutierten über ein<br />

weites Spektrum von Fragen. Denn man war nicht auf die Politik<br />

festgelegt, sondern sprach ebenso über Literatur wie über<br />

die neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. <strong>Der</strong> österreichische<br />

Schriftsteller Franz Grillparzer schreibt im 19. Jahrhundert<br />

in seiner Biographie über einen eindrucksvollen Besuch<br />

in Berlin bei der „literarischen Mittwochsgesellschaft“. Grillparzer<br />

verspricht sich nicht all<strong>zu</strong>viel von dem Besuch, der sich aber<br />

im Lauf des Abends <strong>zu</strong> einem höchst eindrucksvollen Ereignis<br />

ausweiten sollte. Denn Grillparzer lernt zwei Kulturen kennen:<br />

die „Literarische Mittwochsgesellschaft“ und dann die herausragende<br />

Schriftstellerin Rahel Varnhagen, deren Salon <strong>zu</strong>m Inbegriff<br />

des kultivierten, schöngeistig-ästhetischen Dialogs nach<br />

französischem Vorbild wurde.<br />

Grillparzer berichtet: „Ich glaube es war auch Fouqué, der mich<br />

in die literarische Mittwochsgesellschaft einführte. Die Versammlung<br />

war nicht zahlreich, da der schönen Jahreszeit wegen<br />

die meisten sich von Berlin abwesend befanden. Ich lernte da<br />

Varnhagen und Chamisso kennen, der mir bis auf seine langen<br />

Haare sehr wohl gefiel. Varnhagen ging mit mir nach Hause. Als<br />

wir an seiner Wohnung vorüberkamen, meinte er, er wolle seiner<br />

Frau – jener später bekannten Rahel, von der ich aber damals<br />

nichts wußte – meine Bekanntschaft verschaffen. Ich hatte<br />

mich den ganzen Tag herumgetrieben und fühlte mich müde bis<br />

<strong>zu</strong>m Sterben, war daher herzlich froh, als man uns an der Haus<br />

türe sagte, die Frau Legationsrätin sei nicht daheim. Als wir<br />

aber die Treppe hinuntergingen, kam uns die Frau entgegen und<br />

ich fügte mich in mein Schicksal. Nun fing aber die alternde,<br />

vielleicht nie hübsche, von Krankheit <strong>zu</strong>sammengekrümmte,<br />

etwas einer Fee, um nicht <strong>zu</strong> sagen Hexe ähnliche Frau <strong>zu</strong> sprechen<br />

an, und ich war bezaubert. Meine Müdigkeit verflog, oder<br />

machte vielmehr einer Art Trunkenheit Platz. Sie sprach und<br />

sprach bis gegen Mitternacht, und ich weiß nicht mehr, haben<br />

sie mich fortgetrieben, oder ging ich von selbst fort. Ich habe<br />

nie in meinem Leben interessanter und besser reden gehört.“<br />

Dieser eindrucksvolle Besuch verdeutlicht, wie sehr <strong>Club</strong>s,<br />

Salons und Gesellschaften von den Persönlichkeiten geprägt<br />

wurden, die sie besuchten und die ihnen ihren unverwechselbaren<br />

Charakter gaben. Im Lauf der Zeit entwickelten sich auch die<br />

britischen Gentlemen’s <strong>Club</strong>s meist in eine bestimmte Richtung<br />

– Brooks wurde mehrheitlich von Politikern besucht, St. James<br />

von Diplomaten, The Literary <strong>Club</strong> von Autoren, die Select<br />

Society von Ökonomen und Philosophen, im Beefsteak <strong>Club</strong> war<br />

das Essen nicht vegetarisch, der No Pay No Liquor <strong>Club</strong> hatte bei<br />

den Getränken bestimmte Präferenzen und der Kit Kat <strong>Club</strong><br />

wurde anrüchig – und so richtete sich die Auswahl der Mitglieder<br />

stark nach bestimmten, persönlich motivierten Kriterien.<br />

Nicht so in Deutschland. Oft gegründet im Geist der Aufklärung,<br />

waren die deutschen Gesellschaften aber keine Gentlemen’s<br />

<strong>Club</strong>s nach britischem Muster oder Salons feiner empfindsamer<br />

Französinnen, sondern hier wurde ein breites Themenspektrum,<br />

von der Literatur über die Naturwissenschaften bis hin <strong>zu</strong>r Politik,<br />

im Geist der Aufklärung diskutiert. Man las die Manuskripte<br />

neuer Romane vor, trug Kontroversen über zeitgemäße Architektur<br />

aus, man beobachtete durchaus komplizierte wissenschaftliche<br />

Experimente, stritt sich über die neueste Forschung, lauschte<br />

den Berichten unerschrockener Abenteurer und entwickelte<br />

kluge gesellschaftspolitische Erklärungsmodelle. So findet sich<br />

in der Sat<strong>zu</strong>ng des <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>, der prototypisch ist für<br />

einen aufgeklärten <strong>Club</strong> in Deutschland, eine genaue Beschreibung<br />

dieser Zielset<strong>zu</strong>ng, bereits hier mit der Betonung des Nutzens<br />

für die Allgemeinheit: „<strong>Der</strong> Zweck dieser Gesellschaft ist,<br />

dass ihre Mitglieder sich mit gemeinnützigen Kenntnissen der<br />

Naturwissenschaft, Physik, Geschichte und mechanischer und<br />

bildender Künste beschäftigen, ihre Einsicht in dieselben einander<br />

mitteilen und sich bei dieser Gelegenheit <strong>zu</strong>gleich freundschaftlich<br />

unterhalten.“<br />

George Arnold, Ölgemälde von William Hogarth (1738–40)


42 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Veranstaltungen<br />

Prof. Dr. Rainer Stamm<br />

Direktor der Kunstsammlungen Böttcherstraße<br />

Paula Modersohn-Becker und<br />

die ägyptischen Mumienportraits<br />

Dr. Anne Buschhoff<br />

Kuratorin der Kunsthalle <strong>Bremen</strong><br />

Paula Modersohn-Becker und<br />

und die Kunst in Paris um 1900<br />

Ralf Nagel<br />

Senator für Wirtschaft und Häfen<br />

sowie Senator für Justiz und Verfassung<br />

Wirtschaftspolitik im Land <strong>Bremen</strong><br />

16. Januar 2008<br />

Einführung: Dr. Claudia Nottbusch<br />

22. Januar 2008<br />

Einführung: Jan G. Freysoldt<br />

30. Januar 2008<br />

Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann


43<br />

Dr. Markus Merk<br />

FIFA-Schiedsrichter<br />

Sicher entscheiden<br />

Generalleutnant Karlheinz Viereck<br />

Einsatzführungskommando der Bundeswehr<br />

Die Bundeswehr im Einsatz –<br />

Reflexionen über ein erfolgreiches Engagement<br />

Hans-Joachim Frey<br />

Generalintendant Theater <strong>Bremen</strong> GmbH<br />

Konzepte und Perspektiven<br />

der Theaterarbeit in <strong>Bremen</strong><br />

6. Februar 2008<br />

Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann<br />

13. Februar 2008<br />

Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold<br />

20. Februar 2008<br />

Einführung: Dr. Rüdiger Hoffmann


44 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Veranstaltungen<br />

Dr. Christoph Hott<br />

Bankhaus Sal. Oppenheim<br />

Anlagestrategie in Zeiten globaler Anpassungsprozesse<br />

– Chancen nutzen, Risiken begrenzen<br />

Dr. Michael Schirmer<br />

Diplombiologe, Universität <strong>Bremen</strong><br />

Herausgeber des Buches „Klimawandel und Küste“<br />

Wie trifft der Klimawandel <strong>Bremen</strong>?<br />

Neumitgliederabend<br />

Kommunikationsabend für <strong>Club</strong>mitglieder,<br />

die „Neuen“ und ihre Bürgen<br />

27. Februar 2008<br />

Einführung: Dr. Patrick Wendisch<br />

12. März 2008<br />

Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold<br />

2. April 2008<br />

Einführung: Dr. Patrick Wendisch


45<br />

Prof. Dr. Peter H. Richter<br />

Institut für Theoretische Physik<br />

der Universität <strong>Bremen</strong><br />

Ordnung und Chaos im Sonnensystem<br />

16. April 2008<br />

Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold<br />

Dr. Konrad Elmshäuser<br />

Leiter des Staatsarchivs <strong>Bremen</strong><br />

Kleine Geschichte <strong>Bremen</strong>s<br />

23. April 2008<br />

Einführung: Prof. Dr. Klaus Berthold<br />

Prof. Eckard Mordhorst, Polizeipräsident <strong>Bremen</strong><br />

Sabine Postel, Schauspielerin/Tatort-Kommissarin<br />

Tatort <strong>Bremen</strong> – Fiktion kontra Realität<br />

30. April 2008<br />

Moderation: Andreas Neumann,<br />

Abteilungsleiter „buten un binnen“<br />

Einführung: Prof. Dr. Wiebke Ahrndt


46 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Veranstaltungen<br />

Ladies Dinner<br />

Im <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Weinverkostung<br />

„Welcher Wein passt <strong>zu</strong> welcher Speise“<br />

26. Februar 2008<br />

Einladung: Dr. Claudia Nottbusch, Dr. Katerina Vatsella<br />

Einführung: Christoph Meier<br />

Eggers & Franke


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Auf gute<br />

Nachbarschaft<br />

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einem harmonischen Zusammenleben<br />

in einer lebenswerten Umwelt.


48 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Werden wir böse geboren, oder werden wir durch die Umstände da<strong>zu</strong> gemacht?<br />

Podiumsdiskussion Roth/Pfeiffer


49<br />

Christian Cartier<br />

Das Alter macht den Menschen milde. Nicht nur durch Weisheit.<br />

Entscheidender ist, dass seine Kräfte schwinden und die Lust <strong>zu</strong>r<br />

Gewalttätigkeit mit ansteigenden Lebensjahren statistisch<br />

abnimmt: „Die fortschreitende Vergreisung sichert der Republik<br />

in den nächsten Jahren den inneren Frieden.“<br />

<strong>Der</strong> das sagt, darf es ohne falsche Koketterie tun. Christian Pfeiffer<br />

hat selbst schon graue Haare, erreicht im kommenden Jahr<br />

die Pensionsgrenze und weiß, wovon er spricht, wenn vom<br />

Bösen und vom Verbrechen die Rede ist. Er ist Kriminologe –<br />

Deutschlands bekanntester noch da<strong>zu</strong>. Pfeiffer hat mit seiner<br />

Pointe zweierlei deutlich gemacht: Das Böse mag vielleicht<br />

altersschwach werden, aber noch ist es mitten unter uns. Man<br />

sollte es im Auge behalten.<br />

Es gab also gute Gründe dafür, warum die Podiumsdiskussion,<br />

die der <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> und das Überseemuseum gemeinsam veranstalteten,<br />

so übervoll besucht war. 250 Gäste drängten sich im<br />

Lichthof des Museums auf dem blauen Meeresfußboden in der<br />

Ozeanienabteilung. Das Podium stand somit an der richtigen<br />

Stelle für eine Diskussion mit Tiefgang - in vielerlei Hinsicht:<br />

Eine Etage über der Veranstaltung widmet sich die Ausstellung<br />

„All about Evil“ der kulturellen und ethnologischen Aspekten des<br />

Bösen. Und auch die fünf bedrohlichen, überlebensgroßen Masken<br />

mit ihren weit aufgerissenen Mündern und Augen, die aus<br />

der Ozeanien-Ausstellung hinter dem Podium aufragten, schauten<br />

angemessen dämonisch ins Publikum.<br />

Mit dem Bremer Hirnforscher Gerhard Roth und dem Kriminologen<br />

Christian Pfeiffer aus Hannover waren zwei Experten ihrer<br />

Zunft am Platze, die nicht nur etwas <strong>zu</strong> sagen hatten, sondern<br />

die dies auch gut und verständlich konnten. Eine gute Wahl also,<br />

denn das Gespräch trug einen Titel, der jeder akademischen<br />

Preisfrage aus vergangenen Tagen der Aufklärung Ehre gemacht<br />

hätte. Zur Beantwortung stand an diesem Abend nichts Geringeres<br />

als: „Werden wir böse geboren, oder werden wir durch die<br />

Umstände da<strong>zu</strong> gemacht?“ Dies versprach eine spannende Diskussion<br />

und das Nordwestradio, die gemeinsame Welle von Radio<br />

<strong>Bremen</strong> und dem Norddeutschen Rundfunk, schnitt die Diskussion<br />

mit, um die Aufzeichnung später <strong>zu</strong> senden.<br />

Die Beset<strong>zu</strong>ng „vor dem Spiel“ schien klar. Hier Christian Pfeiffer,<br />

Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen<br />

und vormals Justizminister des Landes, der tagtäglich sich<br />

und anderen <strong>zu</strong> erklären hat, wie Menschen aus ihrer sozialen<br />

Lebenslage heraus <strong>zu</strong> Verbrechern geworden sind. Dort Gerhard<br />

Roth, <strong>zu</strong> dessen Profession als Direktor des Bremer Instituts für<br />

Hirnforschung es gehört, die genetische Mitgift des Menschen<br />

als entscheidendes Ausgangsmaterial für jedes menschliche Verhalten<br />

<strong>zu</strong> verstehen. Die Herren taten indes Moderator und<br />

Publikum den Gefallen, mehr als einmal aus ihren Rollen <strong>zu</strong> fallen;<br />

ohne dass jemand <strong>zu</strong> Schaden kam, außer dem einen oder<br />

anderen Vorurteil.<br />

„Es gibt kein Verbrecher-Gen“, dementierte Gerhard Roth <strong>zu</strong>m<br />

Beispiel all<strong>zu</strong> einfache Theorien über den Ursprung extremer<br />

Gewalt, die sich in der Regel nur bei Männern zeigt. Würde es<br />

diesen exakt lokalisierbaren „Sitz des Bösen“ in Hirn geben,<br />

dann wäre Verbrechensbekämpfung nur noch eine Angelegenheit<br />

der Neurochirurgie oder des richtigen Medikaments sein.<br />

Doch so simpel sei es eben nicht, bekräftigte Roth.<br />

Denn auch ein zweites Schlagwort in der Gewaltdebatte büßte<br />

an diesem Abend etwas von seinem Erklärungspotenzial ein: das<br />

Testosteron, das üblicherweise als Antriebsstoff für männliche<br />

Gewalt gehandelt wird. Zwar bildeten die Chemie und Physiologie<br />

des Hirns die Grundlagen des Charakters eines Menschen,<br />

und deswegen sei die Konzentration des Hormons Testosteron<br />

und des Neurotransmitters Serotonin entscheidend für die<br />

Bereitschaft eines Menschen, böses <strong>zu</strong> tun. Doch ob es <strong>zu</strong> einem<br />

Ausbruch der Gewalt kommt, werde jedoch durch soziale Zusammenhänge<br />

bestimmt; da waren sich der Neurobiologe und der


50<br />

<strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Werden wir böse geboren, oder werden wir durch die Umstände da<strong>zu</strong> gemacht?<br />

Kriminologe Pfeifer einig. Eine Vereinfachung des Problems, wie<br />

das Böse in die Welt kommt, bedeutete diese Eintracht der<br />

Experten jedoch keineswegs. Denn wenn das Zusammenspiel<br />

körperlicher und sozialer Bedingungen so vielfältig ist, fällt der<br />

Befund umso diffuser aus, was einen Menschen denn nun böse<br />

macht.<br />

Dennoch drückten sich Gerhard Roth und Christian Pfeifer nicht<br />

um Antworten. Eine überraschende Diagnose beider lautete: Das<br />

Böse ist ein Phänomen der Geselligkeit, weniger ein Problem<br />

des Einzelnen. <strong>Der</strong> Gruppendruck fördere asoziales Verhalten,<br />

wusste Christian Pfeifer durch viele Studien seines Instituts <strong>zu</strong><br />

belegen. „Da will keiner in einer Runde der Spielverderber sein.<br />

Es kommt einer auf eine blöde Idee und plötzlich gibt es<br />

Gewalt. Vor allem, wenn dann noch Alkohol im Spiel ist.“<br />

Doch auch in fest gefügten, institutionellen Bahnen ist das<br />

Böse ein Gruppenphänomen. Gerhard Roth kamen die Polizeibataillone<br />

und die Vernichtungslager der Nationalsozialisten in<br />

den Sinn. „Wie konnte es geschehen, dass brave Familienväter<br />

<strong>zu</strong> KZ-Aufsehern wurden, die prügelten und die grausamsten<br />

Dinge taten?“ fragte er. Und fand eine Erklärung dafür in der<br />

kollektiven Enthemmung. Wo Menschen die absolute Macht über<br />

andere Menschen übertragen wird, komme es fast zwangsläufig<br />

<strong>zu</strong> solchen Unmenschlichkeiten. Selbst Frauen, das fügte Roth<br />

ohne Anflug von Pointenhascherei <strong>zu</strong>, tendierten in solchen<br />

Momenten der Überlegenheit <strong>zu</strong>r Grausamkeit. Es gäbe genug<br />

Belege über KZ-Wärterinnen, die auf erschöpfte Häftlinge am<br />

Boden eintraten. Diese universelle Mixtur aus biologischen Vorgaben<br />

und psychischen Mustern brachte Roth auf die Formel:<br />

„Wir sind alle – vielleicht bis auf fünf Prozent – alle potenzielle<br />

Mörder.“<br />

Dieser Satz saß; das Unbehagen an der Diagnose war manchem<br />

im Publikum an<strong>zu</strong>merken. Und dabei war es nicht einmal nur die<br />

spontane Verführbarkeit, die Wurzel des Bösen sein kann. Christian<br />

Pfeiffer wies auf noch viel perfidere Strategien hin, mit<br />

denen man Menschen <strong>zu</strong>m Bösen gedrängt werden. Durch den<br />

Drill in militärischen Erziehungslagern produziere beispielsweise<br />

die US-Armee gezielt Menschen, denen moralische Bedenken<br />

anhanden kämen. Mit dem Wissen um die Suggestivkraft von<br />

Videospielen, bei denen es nur um die Vernichtung des Gegners<br />

geht, trainiere man gezielt die Hemmungen vor dem Töten ab.<br />

Nicht <strong>zu</strong>letzt neuronale Forschungen haben bewiesen, dass für<br />

das Hirn der Unterschied zwischen Gewalt in der Fiktion und in<br />

der Wirklichkeit unwesentlich sei.<br />

Dies war Anlass genug für Christian Pfeiffer daran <strong>zu</strong> erinnern,<br />

dass die Anfälligkeit für extreme Gewalttätigkeit bei Kindern<br />

und Jugendlichen durch Videospiele oder Angebote im Internet<br />

deutlich erhöht werde. „Deswegen ist es auch ein Wahn, wenn<br />

neuerdings Kindergärten sich damit brüsten, sie seien ‚im<br />

Netz’“, ereiferte sich er sich. Viel wichtiger sei die soziale Kompetenz,<br />

wenn man das Böse - im wahrsten Wortsinn - gar nicht


52 <strong>Der</strong> <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Werden wir böse geboren, oder werden wir durch die Umstände da<strong>zu</strong> gemacht?<br />

erst große werden lassen wolle. Vor einfachen Rezepten<br />

schreckte Pfeiffer dabei nicht <strong>zu</strong>rück: „Was wir brauchen sind<br />

nicht Kindergärtnerinnen, die mit Software umgehen können,<br />

sondern mit der Gitarre.“<br />

Doch was tun, wenn – Pardon! – das Kind schon in den Brunnen<br />

gefallen ist? Wenn der Jugendliche oder Erwachsene<br />

tatsächlich „böse“ geworden ist, sich also durch seine Taten<br />

außerhalb der Gemeinschaft gestellt hat? Bei dieser Frage hätte<br />

Uneinigkeit beim ansonsten in großer Harmonie argumentierenden<br />

Podiums-Duo Roth/Pfeiffer aufkommen können. Denn Gerhard<br />

Roth rüttelt schon seit Jahren gemeinsam mit anderen<br />

Hirnforschern wie Hans Markowitsch (Bielefeld) oder Wolf Singer<br />

(Frankfurt a.M.) die Fachwelt und die Feuilletons mit einer<br />

steilen Thesen <strong>zu</strong>r Strafbarkeit von Schwerstverbrechern auf.<br />

Danach wären die wenigsten von ihnen im moralischen Sinne<br />

schuldig für ihre Taten, sondern durch genetische oder soziale<br />

Vorprägungen im großen Maße unfrei in ihrem Willen <strong>zu</strong>m<br />

Bösen. Die Folgen für die Justiz, nach Meinung Roths: Statt des<br />

einfachen Wegschließens in Haftanstalten oder sogar der Todesstrafe,<br />

wie in den USA möglich, solle das juristische Instrumentarium<br />

stärker die Therapie solcher Täter fördern.<br />

<strong>Der</strong> frühere niedersächsische Justizminister Pfeiffer stand solchen<br />

forschen Vorstößen stets kritisch gegenüber. An diesem<br />

Abend im Überseemuseum zeigte er sich, sicherlich nicht nur<br />

aus Höflichkeit, jedoch aufgeschlossen. Auch er plädierte für<br />

mehr <strong>zu</strong>sätzliche psychologische Betreuung von Gewalttätern.<br />

Die Idee so genannter Bootcamps, also extremer Erziehungsanstalten<br />

für Jugendliche, verabschiedete Pfeiffer als einen Ausdruck<br />

von Hilflosigkeit im Angesicht der Gewalt.<br />

So neigte sich an diesem Abend in der Frage, ob das Böse angeboren<br />

oder anerzogen sei, immer wieder die Waagschale des<br />

Sozialen tiefer. Die Grundlage, um böse <strong>zu</strong> werden, steckten<br />

zwar in den genetischen Anlagen, konnten die Zuhörer nach<br />

rund eineinhalbstündiger, angeregter und anregender Diskussion<br />

als Fazit mit nach Hause nehmen. Doch könne man dem<br />

Bösen Paroli bieten. Es bedarf einer guten Erziehung und persönlicher<br />

Zuwendung für all diejenigen, die ab<strong>zu</strong>gleiten drohen.<br />

Gerhard Roth nannte dies „den Friseur-Effekt“. Dem Mann an der<br />

Schere könne man sich eben anvertrauen: „Endlich hört mir<br />

jemand <strong>zu</strong>“ – schon dieses Gefühl bewirke viel.<br />

An diesem Abend im Übersee-Museum waren es indes die Zuhörer,<br />

die den großen Gewinn hatten.


Innovation verbindet.<br />

Willenbrock Fördertechnik gratuliert dem<br />

<strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>zu</strong>m 225-jährigen Bestehen.<br />

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54<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Das Prachtgemälde in der Kaffeestube<br />

Die kaiserliche Flotte<br />

Ernst Sattler, Die Kaiserliche Flotte 1875


55<br />

Volker Plagemann<br />

„Die kaiserliche Flotte“ im <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Die „Kaffeestube“ des <strong>Club</strong>s <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong> im Hause des Schütting<br />

wird von dem großmächtigen Gemälde „Die kaiserliche Flotte“<br />

(1,95 x 2,46) beherrscht. Altertümliche Schiffe lassen erkennen,<br />

dass das Bild aus dem 19. Jahrhundert stammt, genauer von<br />

„1875“. Und die Signatur „Ernst Sattler“ verrät den Namen des<br />

Malers.<br />

Die Verwunderung über deutsche Marinemalerei, über die Darstellung<br />

einer Flotte so kurz nach der Gründung des deutschen<br />

Kaiserreiches 1871, aber auch die beachtliche malerische Qualität<br />

des Gemäldes wecken regelmäßig die Neugier der Besucher:<br />

Wer mag der Auftraggeber gewesen sein? Was waren das für<br />

Schiffe, die damals der „kaiserlichen Flotte“ angehört haben?<br />

Wer war der Künstler? Und wie kam das Bild in den <strong>Club</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong>?<br />

Soviel wissen wir: eine Marinemalerei hat es in unserem Land, in<br />

dem die Fürstentümer Küsten abgewandte Binnenländer gewesen<br />

sind, lange nicht gegeben. Ganz anders die Marinemalerei in<br />

den seefahrenden Staaten, wie der Republik Venedig seit dem<br />

Mittelalter, Spanien und Portugal seit dem 16. Jahrhundert, den<br />

großen Nationalstaaten England „Britannia rules the Waves“ –<br />

und Frankreich, von höchstem Rang die Niederlande, später<br />

auch Dänemark und Schweden. Deutsche Künstler haben in alten<br />

Zeiten allenfalls die gescheiterten Flottenexperimente des<br />

„Großen Kurfürsten“ von Brandenburg dargestellt.<br />

Bei historischer Marinemalerei kommen uns Darstellungen von<br />

Flottenformierungen, Geschwadern, Seeschlachten und -gefechten<br />

in den Sinn. Aber Meeres- und Küstenorientierung von<br />

Künstlern führten parallel <strong>zu</strong>r Entwicklung der Landschaftsmalerei<br />

auch das Meer, die Küsten, die Flussmündungen, die Häfen<br />

mit Wasserfahrzeugen in den Gesichtskreis. Schiffe erschienen<br />

im Hintergrund oder wurden <strong>zu</strong>m Hauptthema. Genrebilder konnten<br />

Seeleute, Fischer, Schiffszimmerleute und Hafenarbeiter<br />

abbilden. Fassen wir historische Marinemalerei so weit, dann<br />

drängt sich deutsche Flottenmalerei im Dienste der wilhelminischen<br />

Propaganda, wie sie in unserem Gedächtnis herumspukt,<br />

nicht mehr so in den Vordergrund. Im Gegenteil, dann eröffnet<br />

sich eine höchst seriöse kunstgeschichtliche Ahnenreihe der<br />

Marinemalerei mit Orten wie dem Dogenpalast in Venedig, mit<br />

Künstlern wie Claude Lorrain, der Landschaften, Häfen, Schiffe<br />

unter besonderen Lichtbedingungen dargestellt hat, mit Niederländern<br />

des 17. Jahrhunderts, die uns einzigartige Seelandschaften<br />

vor Augen geführt haben.<br />

Natürlich hat es aber auch Meeres-, Hafen- und Schiffsdarstellungen<br />

in den Hansestädten gegeben. Hier war in Deutschland<br />

ein Bewusstsein von Küste und Seefahrt vorhanden. Meister Bertram<br />

widmete sich schon in seinem St. Petri-Altar aus dem 14.<br />

Jahrhundert angelegentlich einer Kogge-Darstellung als Arche<br />

Noah. 1497 wurde im illuminierten Hamburger Stadtrecht der<br />

mittelalterliche Hafen mit Kran und auslaufenden Koggen abgebildet.<br />

Besonders eindrucksvoll sind die Darstellungen der Admiralitäts-Fregatten<br />

in Hamburg und <strong>Bremen</strong>, die Schiffs-Konvois<br />

begleiteten. Auch auf den Stadtansichten von Hamburg und <strong>Bremen</strong><br />

erschienen natürlich Hafen und Schiffe. In Holland ausgebildete<br />

Maler lieferten im 17. Jahrhundert Marinebilder mit<br />

durchaus künstlerischem Anspruch, mit denen sich Hamburger<br />

und Bremer Bürger einrichteten. Schiffseigner oder Kapitäne<br />

hatten seit dem 18. Jahrhundert ein besonderes Interesse an<br />

„Schiffsporträts“ oder „Kapitänsbildern“, bei denen es weniger<br />

auf künstlerischen Anspruch als auf technische Richtigkeit<br />

ankam.<br />

Marinemalerei, die sich im 19. Jahrhundert auch in Deutschland<br />

entwickelte, konnte sich also auf vielfältige Traditionen stützen.<br />

Keineswegs müssen wir sie als vermeintliche Vorläuferin späterer<br />

Marinepropaganda mit Verachtung strafen. Schon der Hinweis<br />

darauf, dass es Philipp Hackert, dessen Biografie niemand Gerin-


56<br />

<strong>Club</strong> Spezial<br />

Gemälde Kaffeestube<br />

gerer als Goethe geschrieben hat, oder Caspar David Friedrich<br />

waren, die die Anfänge der Marinelandschaftsmalerei in<br />

Deutschland vertreten, hindert uns daran. Von Hackert weiß<br />

man, dass er genaueste Studien der Takelage gemacht hat, von<br />

Friedrich und von dem Odysseemaler Friedrich Preller d. Ä., dass<br />

sie genaue Schiffsmodelle für ihre Darstellungen einsetzten, so<br />

dass die Marineenthusiasten ihnen keine Fehler nachweisen<br />

können.<br />

Nach solchen Vorgängern haben sich an den Kunstakademien<br />

Klassen entwickelt, in denen Marinemalerei neben Landschaftsmalerei<br />

gelehrt wurde. Im Vordergrund standen Christopher Wilhelm<br />

Eckersberg an der Kopenhagener und Andreas Achenbach<br />

an der Düsseldorfer Akademie. Diese Künstler waren so vielseitig<br />

tätig, dass „Seestücke“ und „Marinebilder“ nur einen Teil<br />

ihres Werkes ausmachen. Erst 1896 richtete Wilhelm II. an der<br />

Berliner Akademie eine Professur für „Flottenmalerei“ ein,<br />

besetzte sie mit Carl Saltzmann und wurde dessen prominentester<br />

Schüler.<br />

Johann Ernst Sattler, der Maler des Bremer Bildes, kam nicht<br />

von der Küste. Am 31.12.1840 ist er in dem kleinen Schonungen<br />

bei Schweinfurt geboren. Zuerst studierte er an der Karlsruher<br />

Akademie bei Johann Wilhelm Schirmer, der 1840 - 1854<br />

Professor an der Düsseldorfer Akademie war, Kollege von Andreas<br />

Achenbach, und 1854 - 1863 Leiter der Schule in Karlsruhe<br />

wurde. Schirmer hatte sich auf einer Italienreise unter dem<br />

Einfluss der Hafenlandschaften Claude Lorrains <strong>zu</strong> einem Landschaftsmaler<br />

herangebildet, dem die Prophezeiung Gottfried von<br />

Schadows vorausging, „ein Ruisdael“ <strong>zu</strong> werden. Er entwickelte<br />

sich <strong>zu</strong>m Vermittler zwischen der Romantik Caspar David Friedrichs<br />

und dem Naturalismus des Hans Thoma. An der Münchener<br />

Akademie studierte Sattler unter Karl Theodor von Piloty<br />

weiter, <strong>zu</strong> dessen Hauptverdiensten gezählt wird, dass er seinen<br />

Schülern „solidestes technisches Können als Grundlage mitgab“<br />

(Thieme-Becker 1933). Unter diesen Schülern Pilotys waren<br />

auch Wilhelm Leibl, Hans Thoma und Wilhelm Trübner, <strong>zu</strong> denen<br />

Sattler Freundschaften unterhielt und mit denen er den „Leibl-<br />

Kreis“ bildete. Leibl malte in dieser Zeit ein Porträt Sattlers, das<br />

Johann Ernst Sattler – Portrait von Wilhelm Leibl

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