Werbung ist oft erschreckend platt - Guerilla-Marketing-Portal
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Guerilla Marketing in Presse und Medien
Werbung ist oft erschreckend platt
Das Marketing habe seine Funktion weit gehend verloren, sagt Holger Rust (Bild),
Professor für Soziologie, und plädiert für einen Relaunch: Das Marketing solle mit
einer besseren Sprache und neuen Werbewegen reagieren. Rust ruft in der Folge
Marketing-Strategen im Interview mit der HandelsZeitung auf, wieder die Lust am
Kauf zu wecken.
Der Discountmarkt breitet sich aus. Easyjet und Ryanair haben das Flugticket
zu 19 Fr. erfunden. Fällt den Marketing-Managern außer Kampfpreisen nichts
mehr ein?
Ganz billig, das greift immer mehr um sich. Eigentlich eine unglaublich fantasielose
Praxis. Wir beobachten das bei Autos, Kleidung und Lebensmitteln gleichermassen:
Bei der Jagd auf den Kunden gibt es immer neue Preissenkungen. Hier Rabatte, dort
Zinssenkungen und immer neue Coupon-Aktionen, Gewinnspiele und Lockangebote.
Das ist ungesund, weil einseitig: Güter haben auch nichtmaterielle Seiten. Die
allerdings spricht das Marketing über ihre Kampfpreise gar nicht an. Was verloren
geht, ist die ganzheitliche Sicht, ist die Lust und auch die Freude, die mit dem Kauf
von Dingen verbunden ist. Am unteren Ende des Marktes entsteht ein neues
Konsumverhalten: Da wird nichts mehr zelebriert und genossen -- es geht nur noch
um die rasche und billige Befriedigung von Bedürfnissen. Das wirkt sich auch auf den
Lebensstil im Alltag aus.
Werbung als Ganzes hat einen schweren Stand. Es gibt Umfragen in der
Schweiz, wonach 22 Prozent der Bürger Werbung verbieten wollen, und 45
Prozent plädieren für Beschränkungen.
Die Irritation über Werbung ist allgemein. Aber: Das haben sich die Werber selbst
zuzuschreiben. Viele Werbebotschaften sind erschreckend platt. Ein Beispiel: Ein
Radiosender verspricht: "Wir sorgen für Abwechslung im Programm." Dieser Spruch
wiederholt sich in kurzen Abständen über den ganzen Tag verteilt. Hundert Mal, dazu
die Trailer -- und Nachrichten, Wetterbericht und Verkehrsmeldungen müssen immer
in einem Musikbrei eingerührt sein.
Das ist das Gegenteil von Abwechslung -- die Hörer als Kunden wenden sich ab. Die
Grenze des Zumutbaren ist längst überschritten. Wenn in diesem Kontext Werbung
mit den immer gleichen Botschaften nach dem Muster "Jetzt neu" oder "Noch mehr
Inhalt" oder "Superbillig" daherkommt, verwundert es nicht, dass die Adressaten
abstumpfen.
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Es scheint, dass das eine oder andere Unternehmen schon die Konsequenz
gezogen hat. Coca-Cola etwa hat sein Budget für TV-Werbung reduziert -- seit
2001 um 100 Mio. Dollar auf weltweit heute 188 Mio Dollar. Sind neue,
alternative Marketing-Ansätze in Sicht?
Natürlich, die Absender suchen nach neuen Wegen. Erlebnisse schaffen und
Sponsoring etwa haben, anders als TV-Werbung, hohe Zuwachsraten. Hier läuft eine
ökonomische Überlegung ab -- die Unternehmen sagen sich: "Wir können den
Werbedruck reduzieren, Geld sparen und dennoch 100 Prozent Wirkung erreichen."
Ein Fernsehspot, der nichts mehr auslöst, ist die teuerste Werbung, die man sich
denken kann. Andere Alternativen heißen Guerilla-Marketing oder Ambient-Marketing
-- hinter diesen schillernden Begriffen zeigt sich eine sehr nahe liegende Praxis:
Dinge, die der Kunde kaufen soll, werden wie selbstverständlich direkt im Alltag des
Konsumenten platziert, in ihrem angestammten Sinnzusammenhang.
Marketing-Verantwortliche denken gerne in Zielgruppen. Klappt das noch?
Es wird immer wieder versucht, die Anläufe werden immer verzweifelter. In den
letzten Jahren hörten wir viel von Generationen -- X, Golf, Ally sind nur drei Beispiele
für die vielen Generationen- Modelle. Alle haben sich für das Marketing als
unbrauchbar herausgestellt. Oder die Alten -- der Seniorenmarkt, wie das so schön
heisst. Aber diese Vorstellung ist falsch. Denn die Alten, von denen hier geredet wird,
gibt es bald nicht mehr.
Führen wir uns die Namen vor Augen: Die bisherigen Alten heißen Emma, Hermine,
Gertrud und Hans. Diese Namen stehen für Menschen, die längst im Ruhestand
sind. Ihre Nachfolger heissen Wolfgang, Arno, Ursula, Birgit und Stefan. Diese Baby-
Boomer-Jahrgänge wandern die Alterspyramide hoch. Das Marketing wird ein neues
Bild vom alternden Menschen einblenden müssen, wenn es diese Zielgruppe
erreichen will. Sie verhält sich anders als ihre Vorgänger. Die geburtenstarken
Jahrgänge werden nicht in knochenfarbenen Gesundheitsschuhen die Gangway des
Flugzeugs nach Teneriffa erklimmen. Werber werden lernen müssen: Jedes
Verhalten ist das Produkt einer biografischen Prägung. Deshalb werden Werbung
und Marketing diese Alten von morgen jetzt schon identifizieren müssen, wo sie es
noch nicht sind.
Also doch wieder die Zielgruppe -- nur eine neue eben?
Nein. Der beste Weg ist dieser: Menschliche Bedürfnisse ansprechen, die aus allen
erdenklichen Alltagsbereichen kommen. Es geht um Einstellungen, Haltungen und
Werte, die Konsumenten ganz unterschiedlicher Herkunft miteinander teilen. Ein
Beispiel: Es gibt jede Menge Menschen, die wollen sich Kindheitsträume
verwirklichen. Die kaufen sich einen Roadster, fahren damit nach Umbrien und
suchen jeden Tag ein anderes Weingut auf. Das tun 30-Jährige, aber auch 45- und
65-Jährige. Die Klammer ist der lange gehegte Wunsch nach, sagen wir es so,
italienischen Lebensmomenten -- der verbindet Menschen, die sonst im Leben
getrennte Wege gehen. In diesem Kontext lässt sich vieles platzieren.
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Muss sich deshalb im Marketing etwas ändern?
Ja, zunächst die Sichtweise auf den Alltag. Bleiben wir bei den erwähnten alternden
Menschen. Noch verschwindet jeder Mensch, sobald er seinen 50.Geburtstag feiert,
vom Radarschirm des Marketing. Das wird sich als Fehler herausstellen. Denn: Die
Alternden von morgen werden weiter ihre hellen Sommeranzüge vom italienischen
Schneider und das Polohemd dazu kaufen, das sie schon in ihrer Jugend gut fanden.
Deshalb braucht die Marketing-Abteilung der Zukunft Mitarbeiter, die sehen, was in
dieser Gesellschaft vor sich geht. Reisende in der eigenen Welt, mit sensiblem
Gespür für neue Mentalitätsmilieus jenseits aller klassischen Zielgruppengrenzen.
Welche Anforderungen gelten künftig für die Verantwortlichen von Werbung?
Das alte Modell reicht nicht mehr. Wer sich auf die formalistischen Marktmodelle
verlässt, wer Marktanteile auf die dritte Stelle hinter dem Komma auswendig weiß,
wird nur noch wenig Chancen haben. Die Anforderung an den Marketing-Manager
der Zukunft lautet: Kultur und Wirtschaft verstehen und begreifen, wo die
unausgesprochenen Wünsche und Bedürfnisse des Menschen liegen. Diese
soziologische Sensibilität kann kein Zahlenwerk vermitteln. Dazu muss man sich
Streifräume in die Wirklichkeit eröffnen -- und über das reden, was man im Alltag
entdeckt hat.
Quelle: HandelsZeitung; Interview: Axel Gloger
Datum: August 2004
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