Kognitive- und Verhaltensphänotypen ... - E-LIB - Universität Bremen
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Anja C. Lepach<br />
<strong>Kognitive</strong>- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong><br />
genetischer Syndrome<br />
Neuropsychologische Untersuchungen zum Apert-,<br />
Crouzon- <strong>und</strong> Fragilen-X-Syndrom sowie zum<br />
Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />
Dissertation zur Vorlage beim<br />
Zentralen Prüfungsamt für Sozial- <strong>und</strong> Geisteswissenschaften,<br />
Promotionsausschuss Dr. phil., <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Diese Veröffentlichung lag dem Promotionsausschuss Dr. phil. der <strong>Universität</strong><br />
<strong>Bremen</strong> als Dissertation vor.<br />
Erstgutachter: Prof. Dr. Franz Petermann<br />
Zweitgutachter: Hochschuldozent Dr. Dietmar Heubrock<br />
Das Kolloquium fand am 14.06.2005 statt.<br />
Vorgelegt von: Dipl.-Psych. Anja Christina Lepach<br />
am: 12.04.2005
Danksagung<br />
Ich möchte mich zunächst ganz herzlich bei meinen Betreuern für ihre<br />
Geduld <strong>und</strong> Unterstützung bedanken. Herr Prof. Dr. Petermann<br />
ermöglichte mir diese Promotion <strong>und</strong> ermutigte mich zur Weiterarbeit. Ich<br />
verdanke ihm die Teilnahme an vielen spannenden Projekten <strong>und</strong> meine<br />
Stelle in der Kinderambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong>, die mir viel Freude<br />
bereitet. Herrn Hochschuldozent Dr. Heubrock gilt mein ganz besonderer<br />
Dank für seine Inspiration. Sein Mut <strong>und</strong> seine Hingabe, sich mit der<br />
Thematik zu beschäftigen, entfachte damals in mir erst das Interesse für<br />
die Genetik. Bei Fragen konnte ich mich immer an ihn wenden <strong>und</strong> mir so<br />
manchen Denkanstoß holen.<br />
Den Helferinnen des Projekts, allen voran Frau Dipl.-Psych. Lex, Frau<br />
Dipl.-Psych. Barton <strong>und</strong> Frau Dipl.-Biol. Marotzke, danke ich für ihre<br />
tatkräftige Unterstützung bei den Untersuchungen der Kinder. Herrn Dipl.-<br />
Psych. Macha danke ich für seine kollegiale Supervision im Bereich der<br />
frühkindlichen Entwicklung <strong>und</strong> die Durchführung der Entwicklungstests<br />
(ET 6-6).<br />
Ich bedanke mich auch bei den zuweisenden Ärzten. Hier zeigte sich<br />
Frau Privatdozentin Dr. med. Spranger, Fachärztin für Humangenetik, als<br />
besonders engagiert.<br />
Ohne das Interesse <strong>und</strong> die Mithilfe der Elternvereine, die<br />
Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V., der Elternverein KIDS-22q11 e.V.<br />
<strong>und</strong> die Elterninitiative Apert-Syndrom e.V., wären viele Untersuchungen<br />
nicht möglich gewesen. Ich danke auch für die bereitwillige Zusendung<br />
von Informationsmaterialien. Ich habe dabei gelernt, dass die<br />
Elternvereine besser über die Syndrome ihrer Kinder informiert sind, als<br />
i
manche Experten.<br />
Ich danke auch meiner Familie. Meinen Eltern, denen ich nach Stand<br />
der Wissenschaft nicht nur etwa 50% ererbte (<strong>und</strong> noch einen guten Teil<br />
meiner erworbenen) Intelligenz verdanke, sondern die mich auch seelischmoralisch<br />
unterstützt haben. Vielen Dank auch an Marion, den Rest der<br />
Familie <strong>und</strong> meine Fre<strong>und</strong>e, die mich stets ermutigt <strong>und</strong> auch in Phasen<br />
der Überbeanspruchung ertragen haben.<br />
Last but not least, danke ich meinem geliebten Richard. Du bist die<br />
Quelle meiner Kraft <strong>und</strong> deine Liebe gibt mir die Zuversicht, alle<br />
Hindernisse des Lebens zu bewältigen. Ich verspreche, dich auch auf<br />
deinem Weg zum Doktortitel, <strong>und</strong> hoffentlich auch auf unserem ganzen<br />
gemeinsamen Lebensweg, zu begleiten.<br />
ii
Inhaltsverzeichnis iii<br />
Inhalt<br />
1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit……..……..…...1<br />
1.1 Neuropsychologische Methoden als Instrument zur Ermittlung<br />
kognitiver- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong>……….……………..……………..…6<br />
1.1.1 Verhaltensgenetik………..………..…………………...………….…..12<br />
1.1.2 Formale Gliederung der Arbeit…………………………………….....19<br />
Teil I: Theorie<br />
2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen……………………….………………………...20<br />
2.1 Genetische Syndrome………………………………………………………...20<br />
2.1.1 Mutationen….……………………………………………………….....22<br />
2.1.2 Säuren <strong>und</strong> Proteine, Basis des Lebens……..……………………..25<br />
2.1.3 Chromosomen: Träger der menschlichen Erbinformationen…......26<br />
2.2 Genotyp <strong>und</strong> Phänotyp…..………………...………………………………....28<br />
2.3 Homozygotie <strong>und</strong> Heterozygotie……………..……………………………...34<br />
2.4 Rezessiv <strong>und</strong> dominant…………..…………………………………………...34<br />
2.5 Erbgänge………………..……………………………………………………...35<br />
2.5.1 X-geb<strong>und</strong>en-rezessiver Erbgang…….…………………………..….35<br />
2.5.2 Autosomal-dominanter Erbgang…………….……………………....35<br />
2.5.3 Autosomal-rezessiver Erbgang…………….……………………..…35<br />
2.6 Verhaltensphänotyp……..………………………………………………….…36<br />
2.7 <strong>Kognitive</strong>r Phänotyp………………..……………………………………….…39<br />
2.7.1 Quantitative Trait Loci (QTLs) <strong>und</strong> kognitive - <strong>und</strong><br />
Persönlichkeitsmerkmale…...…………………………………….….41
Inhaltsverzeichnis iv<br />
3 Darstellung der ausgewählten Syndrome…………………...……..…...45<br />
3.1 Das Apert- <strong>und</strong> Crouzon Syndrom<br />
als kraniofaciale Fehlbildungssyndrome…………………………………....45<br />
3.1.1 Ätiopathologie des Apert- <strong>und</strong> des Crouzon-Syndroms…………..45<br />
3.1.1.1 Die Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren…….….…47<br />
3.1.1.2 Kraniosynostosen……………………………………………..48<br />
3.1.2 Körperlich-medizinische Merkmale………………….………………50<br />
3.1.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten………………...61<br />
3.1.3.1 Einfluss der körperlichen Merkmale<br />
auf die kognitive Entwicklung…………………..………..61<br />
3.1.3.2 Einfluss der körperlichen Merkmale<br />
auf die soziale Entwicklung…….………………………..64<br />
3.2 Das Fragile-X-Syndrom……………………..…………………………….…..66<br />
3.2.1 Ätiopathologie des Fragilen-X-Syndroms…………………..……....67<br />
3.2.1.1 Fragile X linked mental retardation gene 1<br />
(FMR1-Gen)……………………………………………….69<br />
3.2.2 Körperlich-medizinische Merkmale………………………………….70<br />
3.2.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten………………...72<br />
3.3 Das Mikrodeletionssyndrom 22q11 (CATCH-22)….……………………….77<br />
3.3.1 Ätiopathologie des Mikrodeletionssyndroms 22q11……………….78<br />
3.3.2 Körperlich-medizinische Merkmale………………………………….79<br />
3.3.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten………………...83<br />
Teil II: Empirie<br />
4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens...86<br />
4.1 Untersuchungsdesign der neuropsychologischen Testbatterie…………..88<br />
4.2 Verhaltensbeobachtungsbogen (VB/KGS)………………………………….90<br />
4.3 Elternfragebogen (E-FB/KGS)………………………………………………..91<br />
4.4 Störvariablen im Untersuchungsdesign……………………………………..93<br />
4.5 Ziele <strong>und</strong> Hypothesen…………………………………………………………94
Inhaltsverzeichnis v<br />
5 Ergebnisse der Forschungsarbeit…………………………………………96<br />
5.1 Ergebnisse zum Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom…………………………….96<br />
5.1.1 Fallbeispiele……………………………………………………………96<br />
5.1.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse…………………...124<br />
5.2 Ergebnisse zum Fragilen-X-Syndrom……………………………………...130<br />
5.2.1 Fallbeispiele…………………………………………………………..131<br />
5.2.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse……………………145<br />
5.3 Ergebnisse zum Mikrodeletionssyndrom 22q11………………………….150<br />
5.3.1 Fallbeispiele…………………………………………………………..150<br />
5.3.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse……………………163<br />
5.4 Vergleich der Ergebnisse der Syndromgruppen…………………………169<br />
5.4.1 Überprüfung der Hypothesen zur Intelligenzverteilung………….169<br />
5.4.1.1 Deskriptive Statistik……………………………………...169<br />
5.4.1.2 Inferenzstatistik…………………………………………..169<br />
5.4.2 Zusammenfassender Vergleich der kognitiven <strong>und</strong><br />
verhaltensbezogenen Ergebnisse………………………………….172<br />
5.4.2.1 Vorschläge für Screeningverfahren……………………178<br />
6 Diskussion der Ergebnisse <strong>und</strong> perspektivischer Ausblick…......182<br />
Literaturverzeichnis………………………………………………………………189<br />
Abbildungsverzeichnis………………………………………………………….203<br />
Tabellenverzeichnis………………………………………………………..........206<br />
Anhang
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 1<br />
1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit<br />
Das Interesse an der Aufschlüsselung der menschlichen Gr<strong>und</strong>bausteine,<br />
unserer Gene, besteht seit langem. Aufgr<strong>und</strong> mangelnder technischer<br />
Möglichkeiten blieben viele Fragestellungen jedoch im Bereich des<br />
Hypothetischen, bisweilen sogar des Mysteriösen. Menschen mit<br />
offensichtlichen körperlichen Entstellungen (Dysmorphien) fielen von jeher<br />
auf, wurden zur Schau gestellt, zum Teil versteckt, ausgegrenzt oder sogar<br />
ermordet. Um die Entstehungen dieser Besonderheiten zu erklären,<br />
entwickelten sich Theorien, die noch bis ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein mehr mit<br />
(Aber-)Glauben <strong>und</strong> Politik („Gottes Strafe“, „rassische Erbges<strong>und</strong>heit“) im<br />
Zusammenhang zu stehen schienen, als mit naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen. Das Auftreten von angeborenen Erkrankungen wurde häufig<br />
mit einer wie auch immer gearteten Schuld der Eltern oder von<br />
missgünstigen Dritten („Fluch“, „Unheilbringer“), in Zusammenhang gebracht.<br />
Mit dem Fortschritt der Forschung <strong>und</strong> der technischen Möglichkeiten,<br />
können unsere Gene, ihre Wirkungen <strong>und</strong> ihre Mutationen zunehmend<br />
besser zugeordnet <strong>und</strong> erklärt werden. Im Jahr 2000 feierte die Welt der<br />
Wissenschaft einen historischen Durchbruch, als dem Humangenomprojekt<br />
die Bekanntgabe der DNA-Sequenz für 90% des menschlichen Genoms<br />
gelang. 2003 wurde die Sequenzierung bereits zu 99,99 % entschlüsselt<br />
(Tariverdian & Buselmaier, 2004).<br />
„Damit hat sich die Humangenetik zu der am schnellsten<br />
fortschreitenden Teildisziplin der Medizin <strong>und</strong> zu ihrer<br />
führenden theoretischen Gr<strong>und</strong>lagenwissenschaft<br />
entwickelt“ (Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. VII).
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 2<br />
Das internationale wissenschaftliche Interesse an der Thematik hat in den<br />
letzten Jahrzehnten geradezu explosiv zugenommen, was man an der<br />
steigenden Zahl der Fachzeitschriften <strong>und</strong> Beiträge zum Thema<br />
nachvollziehen kann. Dennoch wird es wohl gerade in Deutschland noch<br />
dauern, bis sich der besonders im Nationalsozialismus missbrauchte<br />
Genetikbegriff, mit seiner Propaganda zur „Rassenhygiene“ <strong>und</strong> zur<br />
Verhütung <strong>und</strong> Vernichtung „unwerten Lebens“ (Euthanasie), auch im<br />
Bewusstsein der Öffentlichkeit von ihrer dunklen Vergangenheit wird<br />
distanzieren können. Das sozialdarwinistische Primat des Selektionsprinzips<br />
(Schmidt 1983), wurde im Nationalsozialismus mit einer<br />
bevölkerungspolitischen Ideologie verknüpft, bei der nach Pollack (1990), die<br />
Verbindung zwischen politischer Gewalt <strong>und</strong> Wissenschaft extrem<br />
ausgeprägt war (Lehmkuhl, 2001). Mit der Rolle der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendpsychiatrie im Umgang mit den sogenannten „lebensunwerten“<br />
Kindern, haben sich zum Beispiel auch Dahl (2001), Walter (2001) sowie<br />
Nedoschill <strong>und</strong> Castell (2001) auseinandergesetzt. So wurden beispielsweise<br />
1939 in einem R<strong>und</strong>erlass Ärzte <strong>und</strong> Hebammen aufgefordert, Neugeborene<br />
<strong>und</strong> Kinder unter drei Jahren zu melden, die unter anderem an Idiotie sowie<br />
Mongoloismus, Mikrocephalie, Hydrocephalus, Missbildungen jeder Art,<br />
insbesondere an fehlenden Gliedmaßen <strong>und</strong>/oder schwerer Spaltbildung des<br />
Kopfes <strong>und</strong> der Wirbelsäule litten (Lehmkuhl, 2001). Einige der in dieser<br />
Arbeit vorgestellten Kinder wären zu dieser Zeit dieser Meldepflicht zum<br />
Opfer gefallen. Das schon offensichtliche Ausmaß dieser Grausamkeit wird<br />
auf besonders erschütternde Art noch stärker bewusst, wenn man - wie in<br />
unserer Arbeitsgruppe - die Ehre <strong>und</strong> Freude hatte, diese Kinder näher<br />
kennen lernen zu dürfen. Die enorme Lebensfreude der Kinder <strong>und</strong> das<br />
Besondere <strong>und</strong> Einzigartige jeder dieser Persönlichkeiten, führt die<br />
Bewertung „lebensunwert“ mit dem Deckmantel der „schmerzlosen<br />
Sterbehilfe“ (Euthanasie) als Akt der Gnade ad absurdum.<br />
Angesichts der enormen moralischen Schuld, die die in der
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 3<br />
Vergangenheit von der Politik eingesetzten <strong>und</strong> instrumentalisierten<br />
Wissenschaftler <strong>und</strong> Mediziner mit zu verantworten haben, ist es<br />
verständlich, dass bei manchen ärztlichen Kollegen <strong>und</strong> Eltern betroffener<br />
Kinder, bis heute eine gewisse Berührungsangst mit dieser Thematik spürbar<br />
ist. Die ethische Verantwortung ist nicht zu leugnen, die generalisierte<br />
Skepsis basiert aber zum großen Teil auf mangelnder Kenntnis <strong>und</strong><br />
Beratung. Durch Vermeidung von spezifischen Diagnosen kann natürlich<br />
auch eine häufig befürchtete „Stigmatisierung“ der betroffenen Kinder<br />
vermieden werden, zumal die betroffenen Eltern umfangreich beraten werden<br />
müssen, um den Abbau von Ängsten über den Mythos „Erbkrankheit <strong>und</strong><br />
Erbges<strong>und</strong>heit“ zu bewirken. Genetik wird schließlich immer noch<br />
hauptsächlich mit Vererbung gleichgesetzt, obwohl viele der bekannteren<br />
genetischen Syndrome zunächst in Form einer Spontanmutation auftreten.<br />
Es ist unbestreitbar, dass die Genetik auch (gerade) in Zukunft viel Stoff<br />
für ethische Fragestellungen <strong>und</strong> Diskussionen liefern wird <strong>und</strong> sich diesen<br />
auch wird stellen müssen. Besonders dort wo sie versucht, „schöpferisch“<br />
einzugreifen. Die zum Teil sehr berechtigten Befürchtungen der Gegner der<br />
Genforschung, dürfen jedoch nicht zu einer generellen Skepsis <strong>und</strong><br />
<strong>und</strong>ifferenzierten Ablehnung der Thematik führen, wie sie zum Teil zu<br />
bemerken ist, wenn man zugibt, sich (auch noch als Psychologin) mit diesem<br />
Thema zu befassen. Um als Gesellschaft Wege zu finden,<br />
verantwortungsbewusst <strong>und</strong> ethisch mit den Möglichkeiten der Genforschung<br />
umgehen zu können, muss man sich mit ihr auseinandersetzen, um diese<br />
Möglichkeiten <strong>und</strong> ihre Grenzen zu verstehen.<br />
Im Rahmen dieser Arbeit sollen diese kontroversen Diskussionen um die<br />
„GenEthik“ jedoch weitestgehend ausgespart werden, da es inhaltlich nicht<br />
um mögliche „optimierende“ Eingriffe in das menschliche Erbgut<br />
(genmedizinische Prävention, Gentherapie) oder die befürchtete genetische<br />
Diskriminierung („Gläserner Mensch“, „Sage mir, wie deine Gene aussehen<br />
<strong>und</strong> ich sage dir, was du wert bist“) gehen soll. Vielmehr sollen die
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 4<br />
Erkenntnisse der vorgestellten Forschungsarbeit dazu beitragen,<br />
exemplarisch an ausgewählten genetischen Syndromen, dem Apert-, dem<br />
Crouzon-, dem Fragilen-X-Syndrom <strong>und</strong> dem Mikrodeletionssyndrom 22q11,<br />
zu einem etwas besserem Verständnis über die Zusammenhänge von<br />
Genen, Kognition <strong>und</strong> Verhalten <strong>und</strong> den (therapeutischen)<br />
Einflussmöglichkeiten durch die Umwelt, beizutragen.<br />
Gerade der Austausch mit den Elternvereinen <strong>und</strong> Selbsthilfegruppen zu<br />
diesen genetischen Syndromen, zeigte deutlich, wie groß dort der Wunsch<br />
nach Transparenz <strong>und</strong> Aufklärung ist, um Ängste, Besorgnisse <strong>und</strong> erlebte<br />
Hilflosigkeit zu reduzieren <strong>und</strong> gezielter handeln zu können.<br />
Trotz der Fortschritte auf dem Gebiet der Humangenetik, beziehen sich<br />
die in der Fachliteratur zu findenden Angaben zu genetischen Syndromen in<br />
den meisten Fällen noch stark auf das körperliche Erscheinungsbild, den<br />
Phänotyp, dessen Dysmorphien in sehr ausgeprägter Form mit einem Bild<br />
demonstriert werden (vgl. Baraitser & Winter, 2001; Tariverdian &<br />
Buselmaier, 2004). Diskreter ausgeprägte Merkmale oder ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Probleme, bleiben dann häufig unentdeckt oder in ihrer Genese unklar, wenn<br />
der weniger für diesen Bereich spezialisierte Behandler damit konfrontiert<br />
wird. Die primäre Orientierung an körperlichen Besonderheiten, führt daher<br />
zu einer großen Zahl von Kindern mit nicht diagnostizierten genetischen<br />
Syndromen. So wird das betroffene Kind nicht selten von unterschiedlichen<br />
Fachärzten rein symptomorientiert behandelt, ohne dass eine Zuordnung der<br />
einzelnen Symptome zu einer Syndromgruppe, beziehungsweise einem<br />
übergeordneten Störungsbild, erfolgen kann.<br />
So zeigen sich in der klinischen Praxis nicht selten Fälle, wie der<br />
neunjährige „Tom“, bei dem es trotz zahlreich erfolgter Untersuchungen mit<br />
Diagnosen wie „Allgemeine Entwicklungsretardierung im Bereich der<br />
geistigen Behinderung mit unklarer Genese bei grenzwertigem<br />
hyperkinetischen Syndrom“ <strong>und</strong> diverser Behandlungen beinahe neun Jahre<br />
dauerte, bis die richtige Diagnose, in diesem Fall das Williams-Beuren-
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 5<br />
Syndrom, gestellt werden konnte. Wertvolle Zeit, in der unter Umständen<br />
dringend erforderliche Förder- <strong>und</strong> Therapiemaßnahmen entfallen <strong>und</strong> die<br />
Eltern sich verzweifelt fragen, was sie noch tun können, um ihr Kind zu<br />
verstehen <strong>und</strong> ihm die nötige Hilfe zukommen zu lassen, verstreicht. Die mit<br />
genetischen Syndromen häufig einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten,<br />
werden den Eltern zudem meist als Folge mangelnder pädagogischer<br />
Fähigkeiten zugeschrieben. Bei umfangreicher <strong>und</strong> behutsamer Beratung der<br />
betroffenen Eltern in Bezug auf das Tabuthema „Genetik“, überwiegt daher in<br />
den meisten Fällen die Erleichterung über die Gewissheit eines konkreten<br />
Krankheitsbildes, was die Möglichkeit gezielter Maßnahmen <strong>und</strong> auch von<br />
Verständnis <strong>und</strong> Akzeptanz für die Probleme des Kindes bietet.<br />
Das bedeutet für die Kinder, dass sie bei nicht erkanntem Syndrom oder<br />
mangelnder Beratung zum festgestellten Syndrom, häufig nicht gemäß ihrer<br />
speziellen körperlichen, sozialen <strong>und</strong> kognitiven Bedürfnisse behandelt <strong>und</strong><br />
gefördert werden können. Denn gemäß jüngerer Erkenntnisse (z. B.<br />
Sarimski, 2003) geht man davon aus, dass viele genetische Syndrome neben<br />
den körperlichen Merkmalen auch zu spezifischen kognitiven<br />
Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten führen, die einer gezielten<br />
Förderung bedürfen <strong>und</strong> Eltern, Angehörige <strong>und</strong> Pädagogen mit besonderen<br />
Anforderungen konfrontieren.<br />
Diese sogenannten kognitiven- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong>, können sich<br />
in einer ausführlichen neuropsychologischen Diagnostik, wie sie zum Beispiel<br />
im Rahmen der Arbeit in der Kinderambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong><br />
durchgeführt wird, zeigen.<br />
Die Akzeptanz der Theorien zu genetisch bedingten Veränderungen in<br />
Verhalten <strong>und</strong> Kognition, ist in den verschiedenen Behandler- <strong>und</strong><br />
Forschergruppen, je nach Sichtweise, sehr unterschiedlich ausgeprägt (siehe<br />
Kapitel 2). In diesem Zusammenhang erscheint es in der Beobachtung der<br />
aktuellen Alltagsmeldungen interessant, dass auffälliges Verhalten im<br />
Tierreich, häufig ganz selbstverständlich auf genetische Mutationen, zum
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 6<br />
Beispiel aggressive Haie aufgr<strong>und</strong> von Wasserverschmutzung, zurückgeführt<br />
wird, dass Genveränderungen bei Pflanzen mit vielen Befürchtungen<br />
bezüglich ihrer Wirkungen auf den Konsumenten einhergehen, während beim<br />
Menschen zunächst meist stärker das soziale Umfeld hinterfragt wird. Damit<br />
möchte ich selbstverständlich keine gleichmachende Verallgemeinerung<br />
beabsichtigen, die eine einseitige Schlussfolgerung zulässt, es zeigt meiner<br />
Ansicht nach jedoch die Tendenz, dass wir die Macht der Gene bei anderen<br />
Spezies leichter akzeptieren können, als bei uns selbst. Möglicherweise, weil<br />
der Gedanke, dass unsere Persönlichkeit in gewisser Weise durch unser<br />
Erbgut limitiert werden soll, genauso beängstigend erscheint, wie der<br />
Gedanke, das sämtliche unserer Ideen <strong>und</strong> Taten lediglich durch neuronale<br />
Erregungsmuster produziert werden sollen. Solche Gedanken fallen eventuell<br />
leichter in Bezug auf Lebewesen, denen wir die Fähigkeit zur freien<br />
Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong> Selbstbestimmung eher absprechen.<br />
1.1 Neuropsychologische Methoden als Instrument zur Ermittlung<br />
kognitiver- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong><br />
Die Bestimmung spezifischer kognitiver Phänotypen bei genetischen<br />
Syndromen im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter ist nicht nur umstritten, sondern<br />
bisher auch unzureichend erforscht. Dabei haben klinische Erfahrungen<br />
gezeigt, dass das Wissen um sie eine mögliche Ergänzung im<br />
Diagnoseprozess darstellen <strong>und</strong> in vielen Fällen sogar diagnoseleitend sein<br />
kann (Heubrock & Petermann, 2000).<br />
So finden sich bei vielen Kindern, die aufgr<strong>und</strong> von schulischen<br />
Problemen <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten an einer neuropsychologischen<br />
Untersuchung in der neuropsychologischen Abteilung der Kinderambulanz<br />
der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong> teilgenommen haben, Hinweise auf das Vorliegen<br />
eines genetischen Syndroms. Da die meisten genetischen Syndrome aber
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 7<br />
der Literatur nach immer noch sehr <strong>und</strong>ifferenziert mit geistiger Retardierung<br />
in Verbindung gebracht werden, wurde diese mögliche Ursache bei weniger<br />
stark ausgeprägten Dysmorphiezeichen <strong>und</strong> nur mäßiger kognitiver<br />
Beeinträchtigung, von den behandelnden Kinderärzten häufig gar nicht erst in<br />
Betracht gezogen. Äußerungen wie: „Das Kind sieht doch nicht behindert<br />
aus“ oder „Es liegt keine ausreichende geistige Retardierung vor“, waren<br />
nicht selten, so dass bisweilen ein hohes Maß an Überzeugungskraft mit<br />
entsprechendem Verweis auf aktuelle Studien (z. B. Sarimski, 2000, 2003)<br />
von Nöten war, um eine humangenetische Untersuchung zu veranlassen.<br />
Diese konnten unseren Verdacht jedoch bereits in einigen Fällen bestätigen.<br />
Die Zusammenarbeit mit den humangenetischen Fachärzten haben wir dabei<br />
immer als ausgesprochen bereichernd empf<strong>und</strong>en.<br />
Da humangenetische Untersuchungen auch aus finanziellen Gründen nur<br />
bei begründetem Verdacht vom Arzt veranlasst werden, ist ein vorheriges<br />
Screeningverfahren von zentraler Bedeutung. Hier bieten unter anderem<br />
neuropsychologische Parameter ein geeignetes Instrumentarium.<br />
Erfolgreiche Ergebnisse in diesem Bereich konnten beispielsweise für das<br />
Williams-Beuren-Syndrom (WBS), das Prader-Willi-Syndrom (PWS) <strong>und</strong> das<br />
Fragile-X-Syndrom gewonnen werden (Denckla, 2000, Heubrock &<br />
Petermann, 2000, Sarimski, 2003). Die Entwicklung von Screeningverfahren<br />
bietet die Möglichkeit, einer ersten Unterscheidung von Personen mit<br />
Entwicklungsstörungen von unbekannter genetischer Ursache.<br />
Die Neuropsychologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die<br />
Kenntnisse unterschiedlicher experimenteller <strong>und</strong> klinischer<br />
Neurowissenschaften mit einbezieht. Dabei stehen die Zusammenhänge<br />
zwischen dem Zentralen Nervensystem <strong>und</strong> dem Erleben <strong>und</strong> Verhalten von<br />
Menschen im Vordergr<strong>und</strong>. Mit der fortschreitenden Orientierung der<br />
Psychologie an biologischen Erklärungsansätzen, gewann sie eine immer<br />
größere Bedeutung. Die sogenannte „Dekade des Gehirns“ hat wichtige
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 8<br />
Erkenntnisse im Bereich der Neurowissenschaften erbracht <strong>und</strong> die<br />
fortschreitenden Möglichkeiten der experimentellen Bildgebung führen<br />
fortlaufend zu einem größeren Verständnis der Hirnfunktionen <strong>und</strong> ihrer<br />
Störungen. Laut Grawe (2004) könne nur die Genforschung eine<br />
vergleichbare Dynamik <strong>und</strong> Bedeutung für die Menschheit vorweisen. Er<br />
weist auch auf die Überschneidung von Hirnforschung mit Genforschung hin,<br />
da Genexpression einen wichtigen Anteil an der neuronalen Plastizität habe.<br />
Auf der Gr<strong>und</strong>lage neurowissenschaftlicher <strong>und</strong> psychologischer<br />
Erkenntnisse wurde in der Neuropsychologie in den letzten Jahrzehnten eine<br />
Vielzahl von Untersuchungsverfahren entwickelt, um die Auswirkungen von<br />
Erkrankungen, Verletzungen oder Veränderungen des Gehirns zu erfassen<br />
(Lezak, 1996; Spreen & Strauss, 1998). Eine allgemeine Übersicht zur<br />
Neuropsychologie <strong>und</strong> ihren Interventionsmethoden findet sich unter<br />
anderem bei Gauggel (2004) oder bei Sturm, Herrmann <strong>und</strong> Wallesch (2000).<br />
Zur Kinderneuropsychologie empfiehlt sich unter anderem die Übersicht in<br />
Heubrock <strong>und</strong> Petermann (2000). Obligatorische <strong>und</strong> fakultative Bestandteile<br />
der neuropsychologischen Diagnostik finden sich in Tabelle 1.<br />
Tabelle 1: Bestandteile Neuropsychologischer Diagnostik (mod. nach<br />
Heubrock & Petermann, 2000, S. 264f)<br />
Studium schriftlicher Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> anderer Informationsquellen (z. B.<br />
medizinische Bef<strong>und</strong>berichte, Entwicklungsberichte, Untersuchungsheft für<br />
Kinder, Schulzeugnisse, Förderpläne, sonderpädagogische oder<br />
psychologische Gutachten, Schwerbehindertenausweis.<br />
Neuropsychologische Anamnese zum Schwangerschafts- <strong>und</strong><br />
Geburtsverlauf, zur frühkindlichen Entwicklung (z. B. Entwicklungs-<br />
„Meilensteine“, Schlaf- <strong>und</strong> Ernährungsauffälligkeiten, Sauberkeitserziehung,<br />
soziale Entwicklung), zur Kindergarten- <strong>und</strong> Schulzeit <strong>und</strong> Ausbildung.<br />
Neuropsychologische Exploration zu früheren <strong>und</strong> gegenwärtigen<br />
Beeinträchtigungen, erfolgten Therapie- <strong>und</strong> Fördermaßnahmen <strong>und</strong> zur
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 9<br />
Fragestellung der Diagnostik <strong>und</strong>/oder Therapie.<br />
Orientierende Untersuchung von Basisfunktionen (z. B. Kulturtechniken,<br />
Zeichenprobe, Rechts-Links-Differenzierung, Lateralität beziehungsweise<br />
Handdominanz, basale Wahrnehmungsleistungen, Praxie, allgemeine<br />
Fähigkeit zur zeitlichen, räumlichen <strong>und</strong> kontextbezogenen Orientierung).<br />
Orientierende Untersuchung klinisch-psychologischer Störungsbilder<br />
(z.B. Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
(CBCL 4-18) nach Achenbach (1991) oder Diagnostiksystem psychischer<br />
Störungen für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche (DISYPS-KJ) nach Döpfner &<br />
Lehmkuhl, 1999).<br />
Psychometrische Untersuchung:<br />
� Alters- <strong>und</strong> erwartungsangepasste Überprüfung der allgemeinen<br />
intellektuellen Leistungsfähigkeit (z. B. Kaufman-Assessment-Battery<br />
für Children (K-ABC) nach Kaufman & Kaufman (1994), Hamburg-<br />
Wechsler-Intelligenztest (HAWIK-III) nach Tewes, Rossmann &<br />
Schallberger (2000), Coloured Progressive Matrizen (CPM) nach<br />
Raven oder Testbatterie für Geistig Behinderte Kinder (TBGB) nach<br />
Bondy, Cohen, Eggert & Lüer (1975);<br />
� der sprachbezogenen Funktionen (z. B. Allgemeiner Deutscher<br />
Sprachtest (ADST) nach Steinert, 1978, Psycholinguistischer<br />
Entwicklungstest (PET) nach Angermeier, 1977);<br />
� der psychomotorischen Funktionen (einfache Reaktionslatenzen <strong>und</strong><br />
Wahlreaktionen am Wiener Reaktionsgerät (WRG) <strong>und</strong> der<br />
psychomotorischen Koordination am Wiener Determinationsgerät<br />
(WDG) nach Schuhfried (1994);
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 10<br />
� der Visuomotorik (z. B. Zahlen-Verbindungs-Test, ZVT, nach Oswald<br />
& Roth, 1987);<br />
� der mnestischen Funktionen (Merkspanne, aktive Reproduktion,<br />
Wiedererkennen, Lernverläufe, Interferenzneigung (z. B.<br />
Diagnosticum für Cerebralschädigung (DCS) nach Weidlich &<br />
Lamberti (1993), Auditiv-Verbalter Lerntest (AVLT) nach Heubrock<br />
(1992), „Befolgen von Anweisungen“ (BA) aus der TBGB,<br />
„Zahlennachsprechen“ aus der K-ABC oder aus dem HAWIK-III);<br />
� der Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Konzentration (z. B. Untertests „Alertness“,<br />
„geteilte Aufmerksamkeit“, „Go/Nogo“, „visuelles Scanning“ aus der<br />
Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) nach Zimmermann &<br />
Fimm, 1993);<br />
� der exekutiven Funktionen (z. B. Turm von London – Deutsche<br />
Version (TL-D) nach Tucha & Lange, 2004).<br />
� der visuellen Funktionen (z. B. Untertest „Gesichtsfeld/Neglect“ aus<br />
der TAP bei Verdacht auf Gesichtsfeldauffälligkeiten bzw. Neglect,<br />
Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock, Petermann <strong>und</strong> Eberl<br />
(2004), bei Hinweisen auf eine räumlich-konstruktive Störung,<br />
Developmental Test for Visual Perception (DTVP-2) nach Hamill &<br />
Pearson (1993) zur Differenzierung visueller Beeinträchtigungen).<br />
Die Entwicklungsneuropsychologie beschäftigt sich auch mit genetischen<br />
Ursachen für Entwicklungsauffälligkeiten <strong>und</strong> versucht eine Skizzierung<br />
kognitiver Entwicklungsvorgänge <strong>und</strong> die Beschreibung (neuro-)kognitiver<br />
Phänotypen. Eine Vielzahl interessanter Bef<strong>und</strong>e über molekulargenetische<br />
Gr<strong>und</strong>lagen verschiedener Entwicklungsstörungen bei Kindern <strong>und</strong> neue<br />
Erkenntnisse über ihre kognitiven <strong>und</strong> verhaltensbezogenen Auswirkungen,<br />
haben diesem Bereich der Forschung mehr Beachtung zukommen lassen.<br />
Von besonderem Interesse für die Neuropsychologie, ist dabei auch der
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 11<br />
Zusammenhang zwischen chromosomalen Veränderungen <strong>und</strong> ihren<br />
Auswirkungen auf die sehr frühe Hirnreifung. Bisher ging man davon aus,<br />
dass das Gehirn das zuständige Organ für Verhalten <strong>und</strong> Kognition darstellt.<br />
Doch betrachtet man etwas eingehender die genetischen Gr<strong>und</strong>lagen, stellt<br />
man fest, dass in etwa die Hälfte des menschlichen Genoms, Einfluss auf<br />
das Wachstum, die Entwicklung <strong>und</strong> die Fähigkeiten des Gehirns hat. Etwa<br />
30.000 Gene sind daran beteiligt, demnach ist Kognition stark von der<br />
Genetik beeinflusst. Das gesamte Erbgut eines Individuums, ist in jeder<br />
Nervenzelle enthalten. Im Verlauf der Ontogenese wird dieses Erbgut gezielt<br />
aktiviert <strong>und</strong> exprimiert, um zu gewährleisten, dass jede Nervenzelle an den<br />
ihr zugewiesenen Ort gelangt, um ihre Funktion zu erfüllen (Grawe, 2004).<br />
Zur Begriffsklärung ist hier zu sagen, dass man unter Ontogenese allgemein<br />
den Verlauf des strukturellen Wandels einer Einheit ohne Verlust ihrer<br />
Organisation versteht. In der Entwicklungspsychologie <strong>und</strong> Psychoanalyse<br />
bezeichnet der Begriff „Ontogenese" die (psychische) Entwicklung eines<br />
Individuums. In der Biologie bezeichnet er die Individualentwicklung, also die<br />
Entwicklung des einzelnen Lebewesens von der befruchteten Eizelle zum<br />
erwachsenen Lebewesen. Dabei entwickeln sich beim Embryo nach <strong>und</strong><br />
nach Organanlagen, aus denen Organe entstehen, in denen sich wiederum<br />
die zu Geweben zusammengefassten Zellen, weiter spezialisieren<br />
(http://de.wikipedia.org/wiki/Ontogenese, Zugriff vom 28.01.05).<br />
Die Vernetztheit der Neuronen über Trillionen von Synapsen, ermöglicht<br />
innerhalb der durch die Hirnstruktur gesetzten Rahmenbedingungen, eine<br />
prinzipiell unbegrenzte Anzahl von Kommunikations- oder neuronalen<br />
Erregungsmustern, die die Basis für Erleben <strong>und</strong> Verhalten bilden. Diese<br />
neuronalen Erregungsmuster, werden wiederum stark von den in der<br />
Ontogenese einwirkenden individuellen Sinneserfahrungen geprägt, wobei<br />
die Gene wiederum die Rahmenbedingungen setzen (Grawe, 2004).<br />
Im Bereich der Neuro- <strong>und</strong> Verhaltenswissenschaften haben sich<br />
mittlerweile unzählige Forschungsbereiche etabliert, deren Definitionen <strong>und</strong>
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 12<br />
Wirkungsspektren fließend ineinander übergehen. Da sie zum Teil von<br />
einander abhängig sind, ist auch erklärlich, wieso sie zu vergleichbaren<br />
Zeitpunkten an Bedeutung gewinnen. Petermann, Niebank <strong>und</strong> Scheithauer<br />
(2004) versuchen beispielsweise mit dem Begriff<br />
„Entwicklungswissenschaften“ einen höchst interessanten Brückenschlag<br />
zwischen der Entwicklungspsychologie, der Genetik <strong>und</strong> der<br />
Neuropsychologie. Auf einen im Rahmen dieser Arbeit besonders wichtigen<br />
Forschungsbereich, die Verhaltensgenetik, soll im Folgenden unter Punkt<br />
1.1.1 näher eingegangen werden.<br />
1.1.1 Verhaltensgenetik<br />
Laut Spinath (http://www.dgps.de/fachgruppen/diff_psy/Abstracts/<br />
spinath.htm, Zugriff am 27.2.2005) hat kaum ein psychologisches<br />
Forschungsgebiet in den letzten 20 Jahren eine vergleichbar rasante<br />
Entwicklung erlebt, wie die sogenannte Verhaltensgenetik; die Methoden <strong>und</strong><br />
Erkenntnisse der Genetik auf die Erforschung von Verhalten anwendet. Sie<br />
lässt sich in zwei Teildisziplinen unterscheiden. Während die quantitative<br />
Genetik Ursachen interindividueller Unterschiede erforscht <strong>und</strong> die<br />
beobachtbare Merkmalsvarianz in genetische <strong>und</strong> in umweltbedingte<br />
Varianzanteile zerlegt, wobei sie sich vornehmlich Zwillings- <strong>und</strong><br />
Adoptionsdesigns bedient (z. B. Spinath et al., 1999), besteht das<br />
wesentliche Anliegen der Molekulargenetik darin, spezifische Gene zu<br />
identifizieren, die Verhaltensunterschiede beeinflussen.
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 13<br />
„Dabei wird angenommen, dass genetische Einflüsse auf<br />
komplexe Merkmale mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die<br />
Wirkung zahlreicher Gene bzw. QTLs (quantitative trait loci)<br />
unterschiedlicher Effektgröße zurückgehen“<br />
(Spinath, http://www.dgps.de/fachgruppen/diff_psy/Abstracts/spinath.htm,<br />
Zugriff am 27.2.2005).<br />
In der Forschung werden QTLs, Gene, welche verändernde Einflüsse auf<br />
den individuellen kognitiven Phänotyp haben können, identifiziert <strong>und</strong><br />
lokalisiert. Dabei legt die Vorstellung von der Identifizierung spezifischer, mit<br />
komplexen Verhaltensmerkmalen assoziierter Gene nahe, dass ein besseres<br />
Verständnis der Beziehung vom genetischen Code hin zum Verhalten bereits<br />
greifbar nahe sei.<br />
„Demgegenüber mutet die Aussage, dass zwischen 30 <strong>und</strong><br />
50 Prozent der beobachtbaren Varianz eines Merkmals auf<br />
genetische Faktoren zurückgehe, wie sie als<br />
Zusammenfassung der bislang vorliegenden quantitativgenetischen<br />
Forschung zur Persönlichkeit formuliert werden<br />
könnte, möglicherweise unbefriedigend an“<br />
(Spinath, http://www.dgps.de/fachgruppen/diff_psy/Abstracts/spinath.htm,<br />
Zugriff am 27.2.2005).<br />
Der Autor zeigt in seinem zitierten Positionsreferat jedoch auf, dass die<br />
Schlussfolgerungen aus quantitativ-genetischen Studien keineswegs auf<br />
prozentuale Angaben der genetisch bedingten Varianz von Merkmalen<br />
beschränkt sind. Sie hat auch im Bereich monogenetisch verursachter<br />
Störungen (beispielsweise Phenylketonurie (PKU) oder Farbenblindheit) die<br />
Identifizierung spezifischer Gene vorangetrieben <strong>und</strong> es konnten selbst für
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 14<br />
vermutlich polygenetisch verursachte Störungen, wie die Leseschwäche,<br />
QTL-Verknüpfungen gef<strong>und</strong>en werden.<br />
Plomin & Crabbe (2000) gehen davon aus, dass Psychologen durch die<br />
Möglichkeit, auf zunehmend unkomplizierte <strong>und</strong> kostengünstige Weise DNA<br />
von Versuchspersonen zu erheben, verstärkt molekulargenetische Methoden<br />
in ihre Forschungsaktivitäten integrieren werden <strong>und</strong> die quantitative Genetik<br />
weiter an Bedeutung gewinnen wird. Spinath (2005) konstatiert, dass das<br />
Wissen um die relativen Einflüsse von Gen- <strong>und</strong> Umweltfaktoren auf<br />
komplexe Merkmale eine wichtige Information, zum Beispiel bezüglich der<br />
Identifizierung spezifischer Gene, darstellt. Die Identifikation der Gene <strong>und</strong><br />
das Wissen um deren Einflussnahme, könnten zu einem besseren<br />
Verständnis menschlicher kognitiver Prozesse führen <strong>und</strong> Aufschluss über<br />
die Gründe natürlicher Variationen kognitiver Fähigkeiten <strong>und</strong> Dysfunktionen<br />
geben (Morley & Montgomery, 2001).<br />
So stellen Untersuchungen genetischer Defekte, auch auf<br />
neuropsychologischer Ebene, eine Möglichkeit zur Erkennung der Einflüsse<br />
einzelner Gene auf das Gehirn, dar (Denckla, 2000).<br />
Bei Plomin <strong>und</strong> Kosslyn (2001) <strong>und</strong> bei Thompson, Cannon <strong>und</strong> Togo<br />
(2002) finden sich interessante Diskussionen zu Bef<strong>und</strong>en, die Erkenntnisse<br />
aus der neuroanatomischen Bildgebung <strong>und</strong> der Verhaltensgenetik<br />
miteinander verbinden. Dabei finden sich Hinweise darauf, dass die<br />
Ausprägung einiger Hirnstrukturen stärker anlagebedingt zu sein scheint als<br />
andere. So scheint das Volumen der grauen Masse, wie das Hirnvolumen<br />
insgesamt, im deutlichen Zusammenhang mit genetischen Faktoren zu<br />
stehen. Für frontale Hirnregionen, Corpus Callosum <strong>und</strong> Ventrikel wird eine<br />
größere Erblichkeit angenommen als beispielsweise für hippocampale<br />
Strukturen.<br />
Es wird nach Hagberg <strong>und</strong> Kyllerman (1983), die Ergebnisse einer<br />
schwedischen Studie veröffentlichten, angenommen, dass etwa ein Drittel
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 15<br />
aller schweren geistigen Behinderungen eine genetische Ursache haben,<br />
aber auch leichtere geistige Behinderungen sind häufig endogen <strong>und</strong><br />
unterliegen einer multifaktoriellen Vererbung (siehe Abb. 1 u. 2).<br />
Die relativ große Rolle, die genetische Faktoren bei geistigen<br />
Behinderungen spielen, besonders wenn man bedenkt, dass sie auch bei<br />
den bisher unbekannten Ursachen beteiligt sind, darf jedoch nicht zu dem<br />
<strong>und</strong>ifferenzierten Umkehrschluss führen, dass genetische Syndrome mit<br />
geistiger Retardierung in Verbindung stehen müssen. Jüngere Studien<br />
(Sarimski, 2003) versuchen, kognitive Profile mit Leistungsschwächen <strong>und</strong> -<br />
schwerpunkten <strong>und</strong> besonderen Verhaltensmustern aufzuzeigen, anhand<br />
derer zukünftig sowohl eine sicherere Diagnostik, als auch spezifischere<br />
Behandlungsmaßnahmen ermöglicht werden sollen.<br />
So ist es beispielsweise in der Therapie betroffener Kinder von großer<br />
Bedeutung, mit gegebenenfalls syndromtypischen Verhaltensmerkmalen<br />
vertraut zu sein <strong>und</strong> eine Verwechslung mit pädagogischen Defiziten der<br />
Eltern zu vermeiden. Zu dem werden diese Kinder aufgr<strong>und</strong> ihres zumeist<br />
mehr oder weniger auffälligen Erscheinungsbilds, körperlicher Defizite <strong>und</strong><br />
eventuell häufigen Krankenhausaufenthalten mit besonderen<br />
Umwelteinflüssen konfrontiert. Der therapeutische Ansatz <strong>und</strong> der<br />
prognostische Verlauf gestalten sich bei Kindern mit genetischen Syndromen<br />
erfahrungsgemäß anders. Es ist heute beispielsweise bekannt, dass ein<br />
Großteil der Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom eine therapieresistente<br />
Enuresis aufweist. In der Vergangenheit (<strong>und</strong> zum Teil immer noch) wurde<br />
aus Unkenntnis darüber mit zum Teil drastischen pädagogischen<br />
Maßnahmen versucht, die Sauberkeitserziehung voranzutreiben, obwohl es<br />
bei diesen Kindern retrospektiv sinnvoller gewesen wäre, den<br />
Förderschwerpunkt auf andere Bereiche zu lenken.
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 16<br />
Ursachen schwerer geistiger Behinderung<br />
unbekannt/<br />
familiär<br />
4%<br />
unbekannt/<br />
sporadisch<br />
14%<br />
pränatal/<br />
chromosomal<br />
29%<br />
Psychosen<br />
1%<br />
postnatal<br />
11%<br />
perinatal<br />
15%<br />
pränatal/exogen<br />
8%<br />
pränatal/<br />
Fehlbildungen<br />
12%<br />
pränatal/<br />
monogen<br />
6%<br />
Abbildung 1: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei schweren geistigen<br />
Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983).
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 17<br />
Ursachen leichter geistiger Behinderung<br />
unbekannt/familiär<br />
29%<br />
Psychosen<br />
2%<br />
unbekannt/<br />
sporadisch<br />
26%<br />
postnatal<br />
2%<br />
perinatal<br />
18%<br />
pränatal/exogen<br />
8%<br />
pränatal/<br />
Fehlbildungen<br />
10%<br />
pränatal/monogen<br />
1%<br />
pränatal/<br />
chromosomal<br />
4%<br />
Abbildung 2: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei leichteren geistigen<br />
Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983).
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 18<br />
Neuhäuser (1998) fasst folgendermaßen zusammen:<br />
So erhofft man sich von einer besseren Kenntnis der<br />
<strong>Verhaltensphänotypen</strong> sowie der Beziehungen zwischen<br />
Genotyp <strong>und</strong> Phänotyp bezüglich psychischer Reaktionen,<br />
kognitiver Leistungen oder emotional-affektiver Äußerungen<br />
bessere Möglichkeiten, um drohenden oder manifesten<br />
Störungen zu begegnen, die Integration der betroffenen Kinder<br />
sowie ihrer Familien zu unterstützen. (S. 68)<br />
Es ist aber deutlich zu sagen, dass das Vorhandensein einiger<br />
spezifischer kognitiver <strong>und</strong> verhaltensbezogener Übereinstimmungen nicht zu<br />
einer pauschalen Entindividualisierung der Kinder führen oder als solche<br />
Verstanden werden soll. Versuche, die Komplexität des Menschen in fixe<br />
Schablonen zu pressen, können nur grobe Hilfskonstruktionen sein. Der<br />
Kontakt mit den Kindern machte deutlich, dass jedes Kind individuelle<br />
Ausprägungen <strong>und</strong> eine ganz eigene Persönlichkeit zeigt. Kinder weisen<br />
sowohl in unterschiedlichen Altersstufen als auch im gleichen Alter,<br />
Unterschiede in allen Aspekten der Entwicklung auf (Siegler, 2001). Dies<br />
kann für Kinder mit genetischen Syndromen als ebenso gültig angenommen<br />
werden. Die Tatsache, dass die Entwicklung nicht ausschließlich auf<br />
genetische Faktoren reduziert werden kann, sondern multifaktoriell<br />
beeinflusst ist, bleibt unbestrittenen. Noch dazu führt selbst die (weitgehende)<br />
Übereinstimmung eines Chromosom- oder Gendefekts noch lange nicht zu<br />
einer identischen genetischen Gr<strong>und</strong>lage. Die Zielsetzung der Arbeit liegt<br />
daher nicht darin, die vorgestellten Kinder auf ihre genetische Ausstattung zu<br />
reduzieren, es soll lediglich untersucht werden, inwieweit Veränderungen auf<br />
Chromosom- <strong>und</strong> Genebene sich limitierend oder verändernd auf die<br />
untersuchten Entwicklungs- <strong>und</strong> Leistungsbereiche auswirken.
Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 19<br />
1.1.2 Formale Gliederung der Arbeit<br />
Zunächst liefert der Theorieteil einen Überblick zu relevanten<br />
genetischen Gr<strong>und</strong>lagen. Dann werden die ausgewählten Syndrome<br />
anhand von genetischen, medizinischen <strong>und</strong> psychologischen Aspekten,<br />
die aus der Literatur bekannt sind, vorgestellt. Im Anschluss erfolgt im<br />
empirischen Teil der Arbeit die Darstellung des Forschungsvorhabens <strong>und</strong><br />
der Ergebnisse. Abschließend erfolgt eine Diskussion der Ergebnisse vor<br />
dem Hintergr<strong>und</strong> eines perspektivischen Ausblicks.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 20<br />
I THEORETISCHER TEIL<br />
2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen<br />
Zunächst sollen zum besseren Verständnis einige gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />
erläutert werden, zur tiefergehenden Information empfiehlt sich die Lektüre<br />
von Gr<strong>und</strong>lagenwerken zur Humangenetik (z. B. Tariverdian & Buselmaier,<br />
2004), da sich die Ausführungen dieser psychologischen Arbeit im<br />
wesentlichen auf die klinischen Untersuchungen <strong>und</strong> deren Ergebnisse<br />
beschränken soll.<br />
2.1 Genetische Syndrome<br />
Unter genetischen Syndromen versteht man ererbte oder spontan<br />
aufgetretene Mutationen (siehe unter Punkt 2.1.2) auf Chromosomal- oder<br />
Genebene des Menschen, die je nach Art, Ausmaß <strong>und</strong> Ort der Schädigung<br />
zu variabel ausgeprägten körperlichen <strong>und</strong> kognitiven Beeinträchtigungen<br />
führen können. Spezifische Zusammenstellungen, meist körperlicher<br />
Beeinträchtigungen, führen zur Diagnose eines bestimmten Syndroms, für<br />
das auch bei den heutigen, verbesserten Möglichkeiten der<br />
humangenetischen Labordiagnostik nicht immer ein biologischer Marker<br />
nachweisbar ist. Bei den für diese Arbeit ausgewählten Syndromen, konnten<br />
solche biologischen Merkmale gef<strong>und</strong>en werden, auf die in Kapitel 3<br />
eingegangen werden soll. Die Syndrome gehen auch mit unterschiedlich<br />
ausgeprägten Fehlbildungen einher, die später beschrieben werden sollen.<br />
Es ist daher sinnvoll, anhand der intrauterinen Entwicklungsabläufe<br />
nachzuvollziehen, in welchen Phasen der Schwangerschaft der jeweilige<br />
Defekt zum Tragen kommt. Eine Übersicht dazu findet sich in Abbildung 3.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 21<br />
Abbildung 3: Intrauterine Entwicklung (aus Tariverdian & Buselmaier, 2004, S.<br />
271, Abb. 7.25).
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 22<br />
2.1.1 Mutationen<br />
Unter Mutationen versteht man in der klassischen Genetik sprunghaft<br />
auftretende Änderungen im Erbgut, die jede Erbanlage erfassen können <strong>und</strong><br />
in der Regel in Form veränderter Merkmale weitervererbt werden. Sie können<br />
einen dominanten, rezessiven oder intermediären Erbgang aufweisen.<br />
Mutationen wirken sich meist schädigend bis letal (tödlich) aus. Sie können<br />
sowohl als generative Mutationen in den Gameten, die an die nächste<br />
Generation weitergegeben werden können, als auch als somatische<br />
Mutationen in den Körperzellen, auftreten. Letztere sind in Bezug auf die<br />
Vererbung in der Regel bedeutungslos, können jedoch in der<br />
Embryonalperiode zu groß- oder kleinflächigen Gewebeveränderungen<br />
(Mosaiken) führen.<br />
Die individuelle Mutationsrate kann beispielsweise durch Röntgen- <strong>und</strong><br />
radioaktive Bestrahlung, Einwirkung von Schwermetallsalzen, Alkaloide, hohe<br />
oder tiefe Temperaturen etc. erhöht werden (Buselmaier & Tariverdian, 1999,<br />
Salzmann, 1983, Tariverdian & Buselmaier, 2004).<br />
Gleichzeitig sind Mutationen im positiven Sinne genetischer Flexibilität<br />
eine Gr<strong>und</strong>voraussetzung für die evolutionäre Entwicklung <strong>und</strong> Vielfalt. Nach<br />
neueren Erkenntnissen wurde das Bild einer relativ unflexiblen<br />
Desoxyribonucleinsäure (DNS) relativiert. Man stellte fest, dass genetische<br />
Informationen auf dem Chromosom nicht unverrückbar an einem festen Platz<br />
gekoppelt sind <strong>und</strong> noch nicht einmal zwangsläufig auf einem bestimmten<br />
Chromosom lokalisiert sind (Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004). Vier<br />
Formen von Genbewegungen, die sowohl die Flexibilität <strong>und</strong> Adaptivität des<br />
Genoms, aber auch die Gefahr von Fehlentwicklungen in sich bergen, sind<br />
laut Schwartz (1995):<br />
• ein Austausch von Abschnitten zwischen den homologen<br />
Chromosomen während der Meiose: das sogenannte „Crossing-over“,
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 23<br />
• das Einfügen von Abschnitten in die DNS einer Wirtszelle durch<br />
Retroviren,<br />
• die Transposition durch „springende Gene“ (Transposone), bei der<br />
einige DNS-Abschnitte von Generation zu Generation durch intraoder<br />
interchromosomale Wanderungen ihre Lage ändern<br />
• <strong>und</strong> eine Verlagerung von Chromosomsegmenten, die sogenannte<br />
Translokation (vgl. Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004).<br />
Diese <strong>und</strong> weitere wichtige Mechanismen, durch die Gene Einfluss auf die<br />
Entwicklung <strong>und</strong> auf Erkrankungen ausüben, werden zum Beispiel in<br />
Petermann, Niebank <strong>und</strong> Scheithauer (2004) sehr anschaulich beschrieben.<br />
An dieser Stelle sollen zwei dieser Mechanismen erwähnt werden:<br />
• Basen-Triplettwiederholungen (z. B. beim Fragilen-X-Syndrom, siehe<br />
Kapitel 3.2)<br />
• <strong>und</strong> genomische Prägung. Die Entdeckung des Phänomens der<br />
genomischen Prägung beruht auf der Feststellung, dass obwohl sich<br />
mütterliche <strong>und</strong> väterliche Gene auf homologen Chromosomen nicht<br />
unterscheiden <strong>und</strong> es somit auch keine Bedeutung haben sollte,<br />
welche Version an die Nachkommen weitergegeben wird, zu<br />
elternteilspezifischen Unterschieden kommt (bekanntes Beispiel aus<br />
der Tierzucht: Pferdestute <strong>und</strong> Esel ergibt Maultier, Eselsstute <strong>und</strong><br />
Pferd ergibt Maulesel). So fehlt sowohl beim Angelmann- als auch<br />
beim Prader-Willi-Syndrom, trotz deutlich unterschiedlicher<br />
Störungsbilder, der gleiche Abschnitt auf dem langen Arm des<br />
Chromosom 15 (15q11-15q13). Man fand heraus, dass es zur<br />
Ausprägung eines Angelmann-Syndroms kommt, wenn das defekte<br />
Chromosom von der Mutter stammt <strong>und</strong> das fehlerhafte Chromosoms<br />
des Vaters, zu einem Prader-Willi-Syndrom führt.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 24<br />
Kurzgefasst unterscheidet man in folgende Arten von Mutationen:<br />
Gen- oder Punktmutationen<br />
Sie stellen die häufigste Form dar <strong>und</strong> beruhen auf dem Ausfall oder<br />
einer Veränderung der Basensequenz im DNS-Molekül eines Gens. Sie sind<br />
mikroskopisch nicht nachweisbar. In den meisten Fällen mutiert von den<br />
beiden zusammengehörigen Erbanlagen des Chromosomenpaares nur ein<br />
Gen, so dass das Lebewesen ein normales <strong>und</strong> ein mutiertes Gen besitzt<br />
<strong>und</strong> damit für das betroffene Merkmal heterozygot (mischerbig) wird. Ein Gen<br />
kann wiederholten Mutationen unterworfen sein. Zu den durch<br />
Genmutationen entstandenen Krankheitsbildern gehört zum Beispiel der<br />
Albinismus.<br />
Chromosomenmutationen<br />
Chromosomenmutationen liegen vor, wenn die Architektur einzelner<br />
Chromosomen verändert ist: Ein Teil kann abgebrochen oder<br />
verlorengegangen sein (Deletion, Defizienzen); ein Bruchstück kann am<br />
selben Chromosom in anderer Richtung (Inversion) oder an einem anderen<br />
wieder anwachsen (Translokation). Außerdem kann es zu Duplikationen<br />
kommen, bei denen sich ein Teil des Chromosoms auf sich selbst kopiert.<br />
Solche Verschiebungen haben den Verlust oder die Abänderung der<br />
betreffenden Gene zur Folge. Sie sind teilweise unter dem Mikroskop zu<br />
beobachten (Salzmann, 1983, Tariverdian & Buselmaier, 2004).<br />
Das sogenannte Chri-du-chat-Syndrom wird durch eine Deletion am<br />
Chromosom 5 bewirkt. Das Williams-Beuren-Syndrom wird mit einer<br />
Mikrodeletion am Chromosom 7 in Zusammenhang gesetzt, beim CATCH-<br />
22-Syndrom liegt eine Mikrodeletion am Chromosom 22 vor. Hierbei handelt<br />
es sich um „ [...] Mutation[en] im Grenzbereich zwischen chromosomalem<br />
<strong>und</strong> Genniveau. [Sie können] nur ein Gen betreffen <strong>und</strong> damit morphologisch,<br />
mikroskopisch nicht faßbar sein [...] aber auch einen größeren DNA-Bereich
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 25<br />
umfassen <strong>und</strong> dann in Form einer Mikrodeletion mit Hilfe zytogenetischer<br />
oder genomischer Spezialmethoden nachweisbar werden“ (Witkowski &<br />
Herrmann, 1989, S. 79).<br />
Genom- oder Ploidiemutationen<br />
Hierbei kann entweder ein Chromosom durch Verkleben oder<br />
Nichtrennung (Nondisjunction) homologer Chromosomen bei der Meiose<br />
(Reduktionsteilung, Rekombination der väterlichen <strong>und</strong> mütterlichen<br />
Chromosomen auf die Tochterzellen), in geringerer oder größerer Anzahl<br />
vorliegen (Heteroploidie) oder der ganze Chromosomensatz kann durch eine<br />
Endomitose (Chromosomenverdoppelung ohne nachfolgende Zellteilung)<br />
vervielfacht sein (Polyploidie). Beide Formen führen zu schweren<br />
Schädigungen des Organismus bzw. sind in den meisten Fällen letal (tödlich,<br />
zum Abort führend). Man unterscheidet bei der unter dem Begriff<br />
Chromosomenaberration bekannten Heteroploidie in Mutationen der<br />
Autosomen <strong>und</strong> der Gonosomen. Während es viele überlebensfähige<br />
Formen von Tri- bzw. Polysomien der Gonosomen gibt (z. B. Turner-<br />
Syndrom (X0), Klinefelter-Syndrom (XXY, XXXY, XXXXY)), sind sie<br />
autosomal nur in wenigen Fällen (z. B. bei der Trisomie 21, sogenanntes<br />
Down Syndrom) nicht letal (Heubrock & Petermann, 2000).<br />
2.1.2 Säuren <strong>und</strong> Proteine, Basis des Lebens<br />
Die genetische Information fast aller Organismen, abgesehen von einigen<br />
Virusfamilien, beinhaltet immer die Desoxyribonukleinsäure (DNS). Diese<br />
„Universalität des genetischen Codes“ (Buselmaier & Tariverdian, 1999, S. 1)<br />
ermöglicht die Erforschung von Gr<strong>und</strong>lagen anhand von Mikroorganismen mit<br />
der Möglichkeit der Übertragung der Erkenntnisse auf den Menschen.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 26<br />
Jede Spezies muss Proteine auf Enzym-, Hormon-, Rezeptor- oder<br />
Strukturproteinebene nach einem exakt definierten Bauplan für 20<br />
Aminosäuren bilden. Veränderungen dieses Bauplans, sogenannte<br />
Mutationen, die eine bestimmte Aminosäure betreffen, würden zwangsläufig<br />
alle Proteine betreffen, in der sie enthalten ist (Tariverdian & Buselmaier,<br />
2004).<br />
2.1.3 Chromosomen: Träger der menschlichen Erbinformationen<br />
Die menschlichen Erbinformationen werden von 46 Chromosomen<br />
getragen, die sich abgesehen von den reifen roten Blutkörperchen in allen<br />
Körperzellen befinden. Sie werden aus 22 autosomalen<br />
Chromosomenpaaren (Autosomen), <strong>und</strong> zwei Geschlechtschromosomen<br />
(XY= männlich, XX= weiblich), den sogenannten Gonosomen, gebildet.<br />
Chromosomen sind Gebilde aus Desoxyribonukleinsäure (DNS) <strong>und</strong><br />
Proteinen. Die DNS oder englisch DNA, bildet zwei im Uhrzeigersinn<br />
umw<strong>und</strong>ende Polynukleotidstränge, die so die sogenannte Doppelhelix-<br />
Stuktur bilden (vgl. Petermann, Kusch & Niebank, 1998). Die Stränge werden<br />
sprossenartig von vier verschiedenen Nukleotidsäurebasen verb<strong>und</strong>en. Diese<br />
werden nach den Basen benannt, die für den Unterschied zwischen den<br />
Nukleotiden verantwortlich sind. Es handelt sich um Adenin (A), Guanin (G),<br />
Cytosin (C) <strong>und</strong> Thymin (T); sie bilden den genetischen Code. Die<br />
Verbindung der beiden Stränge wird durch die Konstellation dieser Basen<br />
bestimmt, da nur eine jeweilige Verbindung von T <strong>und</strong> A sowie C <strong>und</strong> G<br />
vorgesehen ist. Eine Übersicht zu möglichen Schadenstypen der DNA ist<br />
Abbildung 4 zu entnehmen.<br />
Die Chromosomen enthalten etwa 100.000 Gene, von denen jedes den<br />
Matrizencode für mindestens ein Protein oder Enzym zur Verfügung stellt.<br />
Etwa ein Drittel der Gene enthalten den Code für Proteine, die im Gehirn
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 27<br />
exprimiert werden. Die Expression erfolgt zumeist in kurzen sensiblen<br />
Phasen der neuronalen Entwicklung <strong>und</strong> hat die Regulation weiterer Gene<br />
zur Folge, die für die Hirnreifung relevant sind (Brodsky & Lombroso, 1998).<br />
Die Entwicklung funktionsfähiger Proteine erfolgt über eine Übertragung der<br />
biologischen Informationen von der Desoxyribonucleinsäure (DNS) über die<br />
Ribonucleinsäure (RNS) zu den Proteinen. Diese Transkription der DNS<br />
funktioniert über die Bindung sogenannter Transkriptionsfaktoren an<br />
spezifische Orte des Chromosoms, die unmittelbar an das zu aktivierende<br />
Gen angrenzen. Dies wiederum aktiviert den Übertragungsprozess, bei dem<br />
Polymerasen (RNS-bildendende Enzyme) eine Kopie eines der beiden DNS-<br />
Stränge anfertigen. Dabei entsteht eine Vorläufer-RNS, die wiederum weitere<br />
chemische Prozesse bis zum vollständigen RNS-Molekül durchläuft. Von<br />
sogenannten Verknüpfungsfaktoren werden diejenigen Segmente<br />
zusammengefügt, die den Code für das Zielprotein enthalten. Jeder Eingriff in<br />
diese hochsensiblen Entwicklungsphasen, hat weitreichende<br />
entwicklungspathologische Auswirkungen zur Folge, die in Abhängigkeit von<br />
Lokalisation, Zeitpunkt <strong>und</strong> Intensität des Störeinflusses in Art <strong>und</strong><br />
Ausprägung variieren (Heubrock & Petermann, 2000).<br />
Da 99,9% der DNA-Sequenzen für alle Menschen identisch sind, sind die<br />
restlichen 0,1%, immerhin drei Millionen Basenpaare, verantwortlich für die<br />
allgegenwärtigen, angeborenen Unterschiede auf allen Merkmalsebenen,<br />
einschließlich kognitiver Leistungen (Plomin & Kosslyn, 2001).
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 28<br />
Einbau „falscher“<br />
Basen<br />
Basenverlust<br />
Dimerbildung<br />
Crossing link<br />
Einzelstrangbruch<br />
Doppelstrangbruch<br />
Abbildung 4: Schadenstypen der DNA (mod. nach Witkowski & Hermann, 1989,<br />
S. 106, Abb. 36).<br />
2.2 Genotyp <strong>und</strong> Phänotyp<br />
A --- T<br />
T --- A<br />
G --- C<br />
A -- Bu<br />
G --- C<br />
T --- A<br />
G --- C<br />
T<br />
C --- G<br />
G --- C<br />
T A<br />
T A<br />
A --- T<br />
C --- G<br />
T --- A<br />
G C<br />
C G<br />
T --- A<br />
A ---- T<br />
G --- C<br />
G --- C<br />
A ---- T<br />
T --- A<br />
G --- C<br />
G --- C<br />
A --- T<br />
C --- G<br />
G --- C<br />
A --- T<br />
G --- C<br />
A --- T<br />
T --- A<br />
Das Genom, die Gesamtheit aller Gene einer Zelle beziehungsweise<br />
eines Organismus, bildet den Genotyp. Das äußerlich erkennbare <strong>und</strong><br />
sichtbare Erscheinungsbild beruht dagegen auf dem Phänotyp, der auf
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 29<br />
somatischer Ebene morphologische <strong>und</strong> funktionelle Aspekte umfasst. Dieser<br />
entwickelt sich auf der Gr<strong>und</strong>lage von Genwirkungen <strong>und</strong> wird sek<strong>und</strong>är von<br />
Umweltfaktoren geprägt (siehe Abb. 5). Er umfasst äußere <strong>und</strong> innere,<br />
biochemisch <strong>und</strong> morphologisch analysierte Strukturen bis zu dem<br />
Gr<strong>und</strong>baustein, dem Polypeptid. Anhand des Phänotyps kann man auf die<br />
Existenz eines Gens <strong>und</strong> seine Beschaffenheit schließen.<br />
Umweltfaktoren<br />
Verhaltensphänotyp:<br />
psychische Merkmale<br />
Somatischer Phänotyp:<br />
funktionelle <strong>und</strong> morphologische<br />
Merkmale<br />
Genprodukte:<br />
Proteine<br />
Chromosomen:<br />
Gene: DNA<br />
Abbildung 5: Die fünf Ebenen der genetischen Analyse (mod. nach v. Gontard,<br />
1998, S. 71).<br />
Diverse Erkrankungen haben inzwischen nachweisbar ihr<br />
verursachendes Prinzip in Genen. Hierbei ist zu sagen, dass mit<br />
„verursachendem Prinzip“ kein zwangsläufiger Prozess gemeint ist, der in<br />
jedem Fall zur Ausprägung des Krankheitsmerkmals führen muss. Als<br />
Beispiel hierfür sei eine Studie der Arbeitsgruppe von Suomi (Bennett, Lesch<br />
& Heils, 1998, Suomi, 2000) genannt. Basierend auf der Erkenntnis von<br />
Lesch et al. (1996), dass das von ihm identifizierte Serotonin-Transportergen<br />
(5-HTT) beim Menschen bei einer geringen Expression eine geringere<br />
serotonerge Funktion zur Folge hat, führten sie eine experimentelle Studie an<br />
Rhesusaffen durch. Bei Rhesusaffen, die mit <strong>und</strong> ohne Mutter aufgewachsen<br />
waren, wurde eine Genotyp-Analyse durchgeführt. Man ging davon aus, dass
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 30<br />
man bei Affen mit weniger effizientem kurzen HTT-Allel, gegenüber denen<br />
mit langem HTT-Allel in der Cerebralflüssigkeit eine geringere<br />
Serotoninkonzentration finden würde. Das war aber nur bei den gleichzeitig<br />
ohne Mutter aufgewachsenen Tieren der Fall. Daraus wurde geschlossen,<br />
dass eine sichere Bindungsbeziehung die genetische Prädisposition für den<br />
erniedrigten Serotoninstoffwechsel kompensieren konnte. Die Affen mit dem<br />
langen HTT-Allel waren durch ihren Genotyp geschützter <strong>und</strong> zeigten auch<br />
dann keinen verminderten Serotoninstoffwechsel, wenn sie mutterlos<br />
aufgewachsen waren (vgl. Grawe, 2004).<br />
Eine große Bedeutung bei der Erforschung von genetisch verursachten<br />
Krankheiten, kommt immer noch der phänotypischen Erfassung,<br />
Beschreibung <strong>und</strong> Verifikation über Stammbaum- oder<br />
Chromosomenanalyse zu. Darauf folgt die Suche nach kausalen<br />
Erklärungsmöglichkeiten auf der Genproduktebene <strong>und</strong> schließlich die<br />
Auffindung der molekularen Ursache auf Genebene (exemplarisch siehe<br />
auch Abb. 6, 7 u. 8). Aufgr<strong>und</strong> der verbesserten Techniken, ist es heute auch<br />
im umgekehrten Schritt möglich, Näheres über das Krankheitsgeschehen<br />
durch die Identifikation <strong>und</strong> Sequenzierung von Genen zu erfahren<br />
(Tariverdian & Buselmaier, 2004). Zu den wichtigsten äußerlich erfassbaren<br />
Merkmalen gehören Gesichtsproportionen <strong>und</strong> Hautleistenmuster.<br />
Der hier verwendete Phänotyp-Begriff, ist nicht identisch mit dem Begriff<br />
des kognitiven - oder Verhaltensphänotyp, der unter Punkt 2.6 <strong>und</strong> 2.7<br />
definiert werden soll.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 31<br />
Abbildung 6: a Gesichtsanthropometrie, b epikanthale Variante, c Abstand<br />
von Pupille zu Mittellinie (nach Smith 1982, in Tariverdian &<br />
Buselmaier, 2004, S. 163, Abb. 4.31).
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 32<br />
Abbildung 7: Hautleistenmuster. Die ausgezogenen <strong>und</strong> punktierten Linien<br />
entsprechen der Hautleistenkonfiguration. Die gestrichelten Linien<br />
bezeichnen die Beugefurchen (nach Smith, 1982, in Tariverdian &<br />
Buselmaier, 2004, S. 164, Abb. 4.32).
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 33<br />
Abbildung 8: Methoden zur Identifikation von Krankheiten, die einfach<br />
mendelnd vererbt werden (nach Guselle et al. 1983 in<br />
Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 47, Abb. 1.25).
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 34<br />
2.3 Homozygotie <strong>und</strong> Heterozygotie<br />
Der Mensch ist ein diploides Lebewesen, jedes seiner Chromosomen,<br />
also auch jedes seiner Gene, ist doppelt vorhanden, wobei jeweils ein<br />
Chromosom beziehungsweise Gen von der Mutter <strong>und</strong> das andere vom Vater<br />
stammt. Gleiche Chromosomen oder Gene nennt man homolog. Sie müssen<br />
jedoch nicht identisch sein, denn obwohl sie immer das gleiche Merkmal<br />
beeinflussen, tun sie dies nicht immer in gleicher Richtung. Diese<br />
verschiedenen Zustandsformen eines Gens bezeichnet man als Allele. Sind<br />
beide Allelen in den zwei homologen Chromosomen gleich, spricht man von<br />
Homozygotie (Reinerbigkeit). Unterscheiden sie sich, besteht eine<br />
Heterozygotie (Mischerbigkeit) für das entsprechende Merkmal, da sowohl<br />
die eine als auch die andere Allele mit ihrer entsprechenden<br />
Merkmalsausprägung vererbt werden kann.<br />
2.4 Rezessiv <strong>und</strong> dominant<br />
Nicht jedes Gen beziehungsweise Allel wirkt sich in jedem Fall<br />
phänotypisch so aus, dass es auf klinischer Ebene an seiner Wirkung<br />
erkennbar wird. Deshalb ist der Begriff des Anlagenträgers von dem des<br />
Merkmalsträgers zu unterscheiden. Ein auf dieser Ebene nicht erkennbares<br />
Allel bezeichnet man als rezessiv gegenüber dem anderen, dominanten Allel.<br />
Diese rezessiven Allele prägen sich nur dann aus, wenn im gleichen Locus<br />
(Genort) kein dominantes Allel dagegen steht.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 35<br />
2.5 Erbgänge<br />
Man unterscheidet in monogene Veränderungen einzelner Gene mit<br />
relativ leicht nachvollziehbaren Vererbungsmodi <strong>und</strong> weitaus komplexeren<br />
hetero- oder polygenen Veränderungen, wie sie von verschiedenen<br />
genetischen Syndromen bekannt sind.<br />
2.5.1 X-geb<strong>und</strong>en-rezessiver Erbgang<br />
Hierbei handelt es sich um Defekte, die gonosomal über das weibliche<br />
Geschlechtschromosom weitergegeben werden. X-geb<strong>und</strong>ene-rezessive<br />
Merkmale, die bei Frauen durch ein ges<strong>und</strong>es zweites X-Chromosom<br />
kompensiert werden können, führen bei deren Söhnen, bei Vererbung der<br />
betroffenen Allele, zur Erkrankung, da diese nicht über ein homologes<br />
Gegenstück verfügen. Die betreffenden Frauen sind dann Konduktorinnen,<br />
sogenannte ges<strong>und</strong>e Überträgerinnen, die das Merkmal auch an ihre Töchter<br />
weitergeben können, die dann ebenfalls zu Konduktorinnen werden.<br />
2.5.2 Autosomal-dominanter Erbgang<br />
Beim autosomal-dominanten Erbgang verfügt der Merkmalsträger über<br />
eine veränderte <strong>und</strong> eine normale Allele, wobei die veränderte dominant ist.<br />
Tritt diese Vererbung erstmalig auf, handelt es sich um eine Neumutation.<br />
2.5.3 Autosomal-rezessiver Erbgang<br />
Beim autosomal-rezessiven Erbgang werden von beiden verdeckt<br />
erkrankten, klinisch ges<strong>und</strong>en Eltern, die jeweils heterozygot über eine<br />
dominante normale <strong>und</strong> eine rezessive veränderte Allele verfügen, die<br />
veränderten Allelen vererbt, so dass der Defekt zutage tritt. Die
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 36<br />
Wahrscheinlichkeit, dass beide Elternteile über den gleichen verdeckten<br />
Defekt verfügen, steigt mit zunehmender Blutsverwandschaft.<br />
Heterozygotentests sind eine in den USA häufig verwandte Maßnahme, um<br />
das mögliche Auftreten autosomal-rezessiv vererbter Krankheiten schon in<br />
der Familienplanung zu berücksichtigen.<br />
2.6 Verhaltensphänotyp<br />
Neuhäuser (1998) gibt folgende Definition:<br />
Als Verhaltensphänotyp sollen Äußerungen im Verhalten<br />
beschrieben werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf<br />
die genetischen Ursachen eines Syndroms [...]<br />
zurückzuführen sind (O`Brien & Yule, 1995; Hodapp, 1997).<br />
[....] es gibt [jedoch] immer komplexe Wechselwirkungen mit<br />
Umwelteinflüssen [...] (Wolf, 1995). Immer ist also auch zu<br />
prüfen, ob eine bestimmte Verhaltensäußerung nicht<br />
möglicherweise als psychoreaktiv anzusehen ist bzw. auf<br />
eine nicht-genetisch bedingte Veränderung am Gehirn<br />
zurückgeführt werden muß. (S. 65-69)<br />
Der Einfluss der Gene auf Verhaltensäußerungen wird kontrovers<br />
diskutiert. Während beispielsweise das traditionelle behavioristische Modell<br />
den Umwelteinflüssen eine stärkere Bedeutung beimisst, sieht die<br />
Biopsychologie einen starken Schwerpunkt bezüglich genetisch<br />
determinierter Reaktionsmuster. Die Vertreter des „Genetic determinism“<br />
vertreten sogar den Standpunkt, dass das Verhalten exklusiv von den Genen<br />
bestimmt wird, mit nur geringer äußerer Einflussnahme. Dem halten Vertreter<br />
der Evolutionspsychologie wie Buss (2004) entgegen, dass menschliches<br />
Verhalten nicht ohne zwei wesentliche Komponenten auskomme: die
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 37<br />
Entwicklung von Adaptionen <strong>und</strong> Umwelteinflüsse, die diese Anpassungen<br />
notwendig machen.<br />
„Tatsächlich ist der Gr<strong>und</strong> dafür, dass sich Adaptionen<br />
entwickeIn, dass sie dem Organismus das nötige Werkzeug<br />
liefern, um die Probleme zu lösen, mit denen er von der<br />
Umwelt konfrontiert wird” (Buss, 2004, S. 19, Übers. v.<br />
Verfass.).<br />
Als anschauliches Beispiel dafür führt er die Entwicklung von Hornhaut an.<br />
Hornhaut wird gebildet, wenn wiederholt Druck beziehungsweise Reibung auf<br />
die entsprechenden Hautareale ausgeübt wird <strong>und</strong> diese geschützt werden<br />
müssen. Die Fähigkeit zur Hornhautbildung ist dem Organismus also<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich gegeben, aber inwieweit er davon Gebrauch macht, wird durch<br />
äußere Faktoren mitbestimmt.<br />
Die Verhaltensgenetik (siehe unter Punkt 1.1.1) bemüht sich um weitere<br />
Aufklärung dieser Fragen. Durch die Peergruppe von Kindern oder durch<br />
Lebensereignisse, finden sich innerhalb <strong>und</strong> außerhalb der Familie<br />
genetische Effekte auf Umweltmaße (z. B. Kendler, Neale, Kessler, Heath &<br />
Eaves, 1993, Manke, McGuire, Reiss, Hetherington & Plomin, 1995).<br />
Individuen sind nicht nur passive Empfänger von Umweltreizen, sondern<br />
suchen diese auf <strong>und</strong> gestalten sie aktiv mit. Anlage <strong>und</strong> Umwelt kovariieren<br />
also zu einem gewissen Grad (nature of nurture-Prinzip). Harris (1998) <strong>und</strong><br />
Rowe (1994) bezeichnen die Vernachlässigung genetischer Faktoren in der<br />
Sozialisationsforschung sogar als f<strong>und</strong>amentalen Fehler (vgl. auch Spinath,<br />
2005).<br />
Es ist nicht zu bestreiten, dass Kinder mit genetischen Syndromen<br />
besonderen Umwelteinflüssen ausgeliefert sind. Sie entsprechen nicht den<br />
gesellschaftlichen Erwartungen an Aussehen, Lern- <strong>und</strong> Leistungsvorgaben.<br />
Zudem sind bei manchen Syndromen aufgr<strong>und</strong> von körperlichen
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 38<br />
Veränderungen häufige Operationen <strong>und</strong> längere Krankenhausaufenthalte<br />
notwendig, die sich ebenfalls negativ auf die Entwicklung auswirken können.<br />
Eltern, Angehörige, Peers <strong>und</strong> Betreuer verfügen über unterschiedliche<br />
Möglichkeiten, mit den Besonderheiten der Kinder umzugehen, es kann zur<br />
gewollten oder ungewollten Verstärkung von Verhaltensweisen, zur Überoder<br />
Unterforderung, zu Ablehnung oder übertriebener Sorgfalt <strong>und</strong><br />
entwicklungshemmenden, stark symbiotischen Beziehungen kommen. Dies<br />
alles gilt für Kinder mit genetischen Syndromen genauso wie für andere<br />
Kinder auch. Außerdem sind Zusammenhänge zwischen einer bei<br />
genetischen Syndromen häufig auftretenden Intelligenzminderung <strong>und</strong><br />
bestimmten Verhaltensaufälligkeiten, wie beispielsweise<br />
Bewegungsstereotypien, selbst- <strong>und</strong> fremdverletzendes Verhalten,<br />
Ausscheidungsstörungen (Enuresis/Enkopresis) <strong>und</strong> Angststörungen,<br />
bekannt (Schmidt, 2000). Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass eine<br />
Korrelation zwischen dem Grad der Intelligenzminderung <strong>und</strong> bestimmten<br />
Verhaltensauffälligkeiten, wie beispielsweise Autoagressionen <strong>und</strong><br />
Stereotypien, besteht (Heubrock & Petermann, 2000, Mühl & Neukäter,<br />
1998).<br />
Es fällt jedoch auf, dass Kinder mit bestimmten Syndromen trotz<br />
unterschiedlicher Sozialisation, innerhalb ihrer Gruppe zum Teil auffällige<br />
Übereinstimmungen in ihren Verhaltensmustern aufweisen <strong>und</strong> sich, neben<br />
den äußerlichen Merkmalen, auch in diesen Punkten untereinander mehr<br />
ähneln als mit ihren ges<strong>und</strong>en Geschwistern (Sarimski, 2003). Sie weisen<br />
jedoch zum Teil deutliche Unterschiede zu Kindern mit anderen genetischen<br />
Syndromen auf. Aus dieser Beobachtung ergibt sich die Hypothese, dass<br />
unter Berücksichtigung einer gewissen umweltbedingten Variabilität (vgl.<br />
Neuhäuser, 1998), eine relativ spezifische Zuordnung der gezeigten<br />
Verhaltensauffälligkeiten zum jeweiligen genetischen Erscheinungsbild<br />
getroffen werden kann.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 39<br />
Ein sehr interessantes Ergebnis bisheriger quantitativ-genetischer<br />
Studien besteht darin, dass Umwelteinflüsse, die zur Ähnlichkeit gemeinsam<br />
aufwachsender Personen beitragen, sogenannte „geteilte Umwelteffekte“, für<br />
die meisten psychologischen Merkmale von geringer Bedeutung zu sein<br />
scheinen. Signifikante geteilte Umwelteffekte konnten aber beispielsweise für<br />
die Antisoziale Persönlichkeitsstörung im Jugendalter (Lyons et al., 1995)<br />
<strong>und</strong> speziell bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen auch für allgemeine kognitive<br />
Fähigkeiten (Plomin, DeFries, McClearn & McGuffin, 2001) gef<strong>und</strong>en werden.<br />
Untersuchungsdesigns zur „nichtgeteilten Umwelt“ zeigen auf, dass<br />
Umwelteinflüsse stärker zur Unähnlichkeit von Kindern in der selben Familie<br />
beitragen.<br />
Die bei der Deutschen Beobachtungsstudie an erwachsenen Zwillingen<br />
beteiligte Arbeitsgruppe Spinath et al. veröffentlichte 1999 Auswertungen von<br />
videobasierten Fremdeinschätzungen. Sie stellten fest, dass geteilte<br />
Umwelteffekte auch im Bereich von Persönlichkeitsmerkmalen nachweisbar<br />
sind, wenn Verhaltensbeobachtungen anstelle von Fragebogenmaßen<br />
verwendet werden (vgl. Borkenau, Riemann, Angleitner & Spinath, 2001).<br />
Der Literatur nach wird selten zwischen Verhaltensphänotyp <strong>und</strong><br />
kognitivem Phänotyp unterschieden, sondern beides zusammengefasst. So<br />
werden beispielsweise in der Verhaltensgenetik neben<br />
Persönlichkeitsmerkmalen hauptsächlich kognitive Merkmale betrachtet.<br />
Trotz der hohen wechselseitigen Beziehungen erscheint diese<br />
Unterscheidung jedoch sinnvoll.<br />
2.7 <strong>Kognitive</strong>r Phänotyp<br />
Wie bereits unter Punkt 2.6 beschrieben, gilt hier ebenso wie für den<br />
Verhaltensphänotyp, dass sich aus unterschiedlichen wissenschaftlichen
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 40<br />
Perspektiven verschiedene Gewichtungen der Einflussfaktoren für die<br />
kognitive Entwicklung, wie auch die Entwicklung im Allgemeinen ergeben.<br />
Neben den jeweils recht einseitig anmutenden, konkurrierenden<br />
Dispositions- <strong>und</strong> Umweltmodellen, gewinnen die sogenannten<br />
Interaktionsmodelle <strong>und</strong> komplexe Entwicklungsmodelle zunehmend an<br />
Relevanz. Die verschiedenen Interaktionsmodelle beruhen auf der Ansicht,<br />
dass die Entwicklung aktiv von Kind <strong>und</strong> Umwelt mitbestimmt wird. Hierbei<br />
meint „Interaktion“ nicht eine zwangsläufige gegenseitige Beeinflussung für<br />
alle Faktoren, sondern:<br />
„… dass die fortschreitende Entwicklung des Kindes durch<br />
veränderte Umwelterfahrungen moderiert werden kann“<br />
(Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004. S. 19).<br />
Für die intellektuelle Entwicklung ergibt sich daraus die gängige<br />
Annahme, dass sie als Resultat genetischer Bandbreite im Zusammenspiel<br />
mit der Vielfalt möglicher Umwelteinflüsse anzusehen ist (vgl. Petermann,<br />
Niebank & Scheithauer, 2004).<br />
Das Konzept des kognitiven Phänotyps basiert auf der Annahme, dass<br />
spezifische genetische Veränderungen je nach Art <strong>und</strong> Ausprägung zu<br />
ebenso spezifischen kognitiven Veränderungen führen, die im Vergleich zum<br />
Verhaltensphänotyp zwar auch, aber weniger stark, durch Umwelteinflüsse<br />
(Hospitalisierung, Schonverhalten, mangelnde Förderung, Reaktionen der<br />
Umwelt) beeinflusst werden.<br />
Über die Zusammenhänge der einzelnen Gene <strong>und</strong> ihre besondere<br />
Funktion bezüglich der kognitiven Funktionen ist bisher nur wenig validiertes<br />
bekannt. Es ist jedoch im klinischen Alltag festzustellen, dass bei<br />
Funktionsstörungen oder –ausfällen auf Genebene bestimmte kognitive<br />
Defizite entstehen, die dann wiederum Rückschlüsse auf die Funktion der<br />
betroffenen Genabschnitte zulassen. Auf diese Art <strong>und</strong> Weise ermöglicht eine
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 41<br />
Zusammenarbeit zwischen Klinik <strong>und</strong> Genforschung bisher nur eine<br />
mosaikhafte Identifizierung spezifischer Genaktivitäten <strong>und</strong> deren Aufgaben.<br />
Derzeit arbeiten diverse internationale Forschungsgruppen an der<br />
Entschlüsselung der neurobiologischen Genwirkungen (siehe auch unter<br />
Punkt 2.7.1).<br />
2.7.1 Quantitative Trait Loci (QTLs) <strong>und</strong> kognitive - <strong>und</strong><br />
Persönlichkeitsmerkmale<br />
Wie unter 1.1.1 beschrieben, beschäftigt sich die Verhaltensgenetik mit<br />
der Erforschung von QTLs <strong>und</strong> versucht die Gewichtung genetischer <strong>und</strong><br />
externer Einflüsse für bestimmte Merkmale zu ermitteln.<br />
Im Bereich der allgemeinen kognitiven Fähigkeit, für die eine Heritabilität<br />
von etwa 50-55% angenommen wird <strong>und</strong> die damit eine der am stärksten<br />
erblichen Verhaltensdimensionen darstellt (Plomin et al., 2001), fehlt es<br />
bislang an eindeutig nachgewiesenen QTL-Assoziationen. Diverse<br />
Einzelstudien zeigen jedoch positive Bef<strong>und</strong>e (z. B. Chorney et al., 1998,<br />
Fisher et al., 1999).<br />
Chorney et al. (1998) fanden auf Chromosom 6 eine Verknüpfung<br />
zwischen allgemeiner Intelligenz <strong>und</strong> dem DNA-Marker IGF2R, einem<br />
Rezeptor-Gen für einen insulinähnlichen Wachstumsfaktor. Ein spezifisches<br />
Allel dieses Gens trat bei zwei Gruppen von hochintelligenten Kindern etwa<br />
doppelt so häufig auf, wie bei einer Kontrollgruppe durchschnittlich<br />
intelligenter Kinder. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das betreffende Allel<br />
nur in der Nähe des für den Effekt relevanten DNA-Abschnitts liegt, da es<br />
selbst keine unmittelbare Rolle in der Proteinsynthese spielt. Andere<br />
Forschungsgruppen konnten den Zusammenhang nicht bestätigen (vgl. auch<br />
die Diskussion in Thompson, Cannon & Toga, 2002).
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 42<br />
1995 wurde erstmalig eine Assoziation zwischen einem Dopamin-D4<br />
Rezeptor-Gen (DRD4) auf Chromosom 11 <strong>und</strong> dem Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Novelty Seeking“ berichtet (Benjamin et al., Li, Patterson, 1996; Ebstein et<br />
al., 1995). Variationen des betreffenden Allels beeinflussen die Struktur <strong>und</strong><br />
die Leistungsfähigkeit eines Dopaminrezeptors. Es wird angenommen, dass<br />
Personen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Allelausprägungen weniger effiziente<br />
Dopaminrezeptoren aufweisen, die für Novelty Seeker typischen<br />
Verhaltensweisen zeigen. Strobel, Wehr, Michel <strong>und</strong> Brocke (1998) erstellten<br />
eine Übersicht über 12 Studien, in denen die Assoziation zwischen DRD4<br />
<strong>und</strong> Novelty Seeking untersucht wurde. Als besonders problematisch erwies<br />
sich, dass sich die Einzelstudien durch methodische Uneinheitlichkeiten in<br />
der Erfassung der untersuchten Konstrukte auszeichneten. Darin liegt<br />
vermutlich einer der Gründe, warum die f<strong>und</strong>ierte Replikation von QTL-<br />
Assoziationen erschwert wird (Spinath, 2005).<br />
Univariate Analysen die sich mit dem genetischen Einfluss auf einzelne<br />
Merkmale beschäftigen, stellen laut Spinath (2005) den ersten Schritt dar, um<br />
eine zunehmende Akzeptanz gegenüber genetischen Einflüssen auf<br />
vielfältige psychologische Merkmale zu erreichen. Der Frage, inwieweit Gene<br />
im Laufe der Entwicklung zur Stabilität oder Veränderung von Merkmalen<br />
beitragen oder inwieweit sie pleiotropisch wirken, also mehrere Merkmale<br />
zugleich beeinflussen, wird im Rahmen multivariater genetischer Analysen<br />
nachgegangen. Diese untersuchen die Ursachen für die Kovariation von<br />
Merkmalen. Spinath & Borkenau (2000) haben zum Beispiel beschrieben,<br />
dass multivariate genetische Analysen des aus der Intelligenzforschung<br />
bekannten Zusammenhangs von höheren Leistungen in kognitiven<br />
Leistungstests <strong>und</strong> kürzeren Reaktionszeiten (vgl. Neubauer, 1997), zum<br />
größten Teil mit Hilfe genetischer Effekte erklärt werden können, die beide<br />
Maße beeinflussen.
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 43<br />
Morley & Montgomery geben eine Übersicht über 76 Gene, die<br />
menschliche kognitive Prozesse beeinflussen sollen. Vier werden in<br />
Zusammenhang mit Gedächtnisleistungen gebracht, 17 mit Lernen, 30 mit<br />
Kognition <strong>und</strong> 29 mit mentaler Retardierung. Vier Gene sind in mehr als nur<br />
einem Phänotyp involviert.<br />
Die internationale Arbeitsgruppe Wright et al. veröffentlichte 2001 die<br />
Ergebnisse einer groß angelegten Zwillingsstudie in Japan, Australien <strong>und</strong><br />
den Niederlanden. Im Zentrum der Untersuchungen standen die<br />
Erblichkeitsfaktoren für Arbeitsgeschwindigkeit, Arbeitsgedächtnis <strong>und</strong> ihren<br />
phänotypischen Korrelationen mit dem Intelligenzquotienten.<br />
Dabei fand sich für den Intelligenzquotienten eine Erblichkeit von 87% für<br />
die Niederlande; von 83% in Australien <strong>und</strong> von 71% in Japan. Der<br />
geschätzte Erblichkeitsanteil für Arbeitsgeschwindigkeit <strong>und</strong><br />
Arbeitsgedächtnis lagen zwischen 33-64%. Damit lagen sie zwar niedriger,<br />
aber statistisch fanden sich für beides signifikante Korrelationen mit dem<br />
Intelligenzquotienten (IQ). Die Autoren sehen darin eine Bestätigung der<br />
Annahme, dass individuelle Differenzen für diese Leistungsbereiche, den<br />
Unterschieden im psychometrisch ermittelten Intelligenzquotienten zugr<strong>und</strong>e<br />
liegen. Da die Autoren aber eine Intelligenzmessung anhand von Skalen<br />
vornahmen, bei denen Arbeitsgeschwindigkeit <strong>und</strong> Arbeitsgedächtnis zur IQ-<br />
Ermittlung mit herangezogen werden, mag dieser Effekt auch dadurch mit<br />
beeinflusst sein. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> klingt es naheliegend, dass<br />
Probanden, die gute Leistungen in diesen Untertests hatten <strong>und</strong> somit auch<br />
einen höheren Intelligenzquotienten erreichten, auch gute Leistungen in den<br />
zur Korrelation herangezogenen Leistungstests zeigten.<br />
Es ist außerdem zu sagen, dass das Arbeitsgedächtnis, für das<br />
präfrontale Strukturen als verantwortlich betrachtet werden, nicht mit allen<br />
Merk- <strong>und</strong> Lernleistungen verglichen werden darf. So ist für den Erwerb von<br />
Wissen beispielsweise der Hippocampus von zentraler Bedeutung, der wie
Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 44<br />
unter Punkt 1.1.1 beschrieben, stärker durch Umwelteinflüsse geprägt zu<br />
sein scheint. Das wiederum würde den logischen Schluss nahe legen, dass<br />
die Gedächtnisstrukturen die mit Aneignung von Informationen im<br />
Zusammenhang stehen, sensibler für Fördereinflüsse wären <strong>und</strong> außerdem<br />
mehr im Zusammenhang mit den umweltbedingten Anteilen des<br />
Intelligenzquotienten stehen. Das Arbeitsgedächtnis als basalere<br />
Gedächtnisfunktion dagegen mehr für den genetischen Anteil.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 45<br />
3 Darstellung der ausgewählten Syndrome<br />
3.1 Das Apert- <strong>und</strong> Crouzon Syndrom als kraniofaciale<br />
Fehlbildungssyndrome<br />
Schon im Jahr 1906 beschrieb der Pariser Pädiater Dr. Eugene Apert<br />
(1868, 1940) erstmals kraniofaciale Fehlbildungen gepaart mit<br />
Zusammenwachsungen der Finger <strong>und</strong> der Zehen (Syndaktylie). Wheaton<br />
publizierte aber bereits im Jahre 1894 zu diesem Thema (Leiber, 1996).<br />
Das nach Apert benannte Syndrom gehört (wie auch das Pfeiffer- oder das<br />
Jackson-Weiss-Syndrom) zu den Akrozephalo-Syndaktilien.<br />
Das Crouzon-Syndrom wurde 1912 erstmals von dem französischen<br />
Neurologen Louis Edouard Octave Crouzon beschrieben. Das Crouzon-<br />
Syndrom (sowie das Crouzon-Syndrom mit Acanthosis nigricans <strong>und</strong> das<br />
Beare-Stephenson-Cutis-Gyrata-Syndrom) gehört der Gruppe der<br />
kraniofazialen Dysostose-Syndrome an.<br />
Gemeinsam ist beiden Syndromen, dass sie zur Familie der<br />
Kraniosynostosesyndrome (kranio = Schädel, synostose = feste<br />
Knochenverbindung) gerechnet werden (siehe auch unter Punkt 3.1.2).<br />
3.1.1 Ätiopathologie des Apert- <strong>und</strong> des Crouzon-Syndroms<br />
Das Apert-Syndrom <strong>und</strong> das Crouzon-Syndrom, entstehen durch eine<br />
Mutation des FGFR 2-Gens (Fibroblasten-Wachstums-Faktor-Rezeptor-Gen).<br />
Laut Wilkie, Slaney & Oldridge (1995) wurde eine Lokalisation auf dem<br />
Chromosom 11 angenommen. Neuere Literatur, wie Tariverdian &<br />
Buselmaier (2004) <strong>und</strong> Witkowski, Prokop, Ullrich <strong>und</strong> Thiel (1999) geben<br />
dagegen den Genort 10q26 an. Demnach handelt es sich um Mutationen auf<br />
dem langen Arm (q) des Chromosoms 10. Gen- <strong>und</strong> Genlocus sind demnach
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 46<br />
gleich, dennoch unterscheidet sich die Art der Mutation dadurch, dass das<br />
Apert-Syndrom durch eine Substitution der Aminosäure Prolin zu Arginin<br />
zwischen der zweiten <strong>und</strong> dritten Schleife verursacht wird, während das<br />
Crouzon Syndrom durch unterschiedliche Mutationen in den Exons 3a <strong>und</strong> 3c<br />
des FGFR2-Gens entstehen (Tariverdian & Buselmaier, 2004). Heubrock,<br />
Lex <strong>und</strong> Petermann (2005) verweisen auch auf Bianchi (2000), wo eine<br />
weitere Variante für die Apert-Mutation beschrieben wird. Dabei erfolgt eine<br />
Substitution der Aminosäuren Serin gegen Tryptophan <strong>und</strong> führt zu stärker<br />
ausgeprägten kraniofazialen Fehlbildungen, während der Prolin-Arginin-<br />
Austausch zu schwereren Syndaktilien führt.<br />
Beide Syndrome unterliegen prinzipiell einem autosomal-dominanten<br />
Erbgang, treten jedoch fast immer in Form einer Spontanmutation auf<br />
(Sarimski, 2003). Laut Vogel <strong>und</strong> Motulsky (1996) hat das Apert-Syndrom<br />
einen Anteil von Neumutationen von mehr als 95 Prozent. Ein väterlicher<br />
Alterseffekt konnte nachgewiesen werden. Auch äußere Einflüsse, wie<br />
beispielsweise ionisierende Strahlen <strong>und</strong>/oder chemische Mutagene<br />
(Tariverdian & Buselmaier, 2004), sowie Erkrankungen des Uterus<br />
(Ehrenfels, 2000) zählen zu den Faktoren, welche die Häufigkeit von<br />
Mutationen weiter erhöhen (siehe auch unter Punkt 2.1.1). Die Mutationsrate<br />
für das Apert-Syndrom beträgt für Deutschland 4 x 10 -6 (Tariverdian &<br />
Buselmaier, 2004).<br />
Die Prävalenzzahlen für diese Syndrome schwanken. Beim Apert-<br />
Syndrom reichen die Angaben von 1:160.00O (Patton, Goodship, Hayward &<br />
Lansdown, 1988; Prevel, Eppley & McCarthy, 1997) <strong>und</strong> 1:65.000 (Cohen &<br />
Kreiborg, 1993) bis zu 1:10.000 (Tariverdian & Buselmaier, 2004). Die<br />
Auftretenshäufigkeit beim Crouzon-Syndrom wird mit etwa 1/65.000<br />
(Kreiborg, 1981) bis zu 1:25.000 angegeben (Cohen, 1986, Ehrenfels, 2000).
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 47<br />
3.1.1.1 Die Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren<br />
Die Familie der menschlichen Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren<br />
(FGF-Rezeptor, FGFR, fibroblast growth factor receptor) ist mit einer Zahl<br />
von Syndromen assoziiert (Ehrenfels, 2000; Tariverdian & Buselmaier, 2004,<br />
Wagner, 2001; Yu & Ornitz, 2001). Lokalisiert sind die einzelnen Gene auf<br />
den Chromosomen 8 (FGFR 1), 10 (FGFR 2), 4 (FGFR 3) <strong>und</strong> 5 (FGFR 4).<br />
Mutationen der ersten drei FGFR-Gene konnten bereits bestimmten<br />
genetischen Syndromen zugeordnet werden. Zu den bekanntesten zählen,<br />
das Apert- <strong>und</strong> das Crouzon- Syndrom, außerdem das Pfeiffer-, Jackson-<br />
Weiss-, das Beare-Stevenson- <strong>und</strong> das Saethre-Chotzen-Syndrom. In dieser<br />
Arbeit erfolgt eine Beschränkung auf das Apert- <strong>und</strong> das Crouzon-Syndrom,<br />
beide zählen zu den am häufigsten vorkommenden kraniosynostotischen<br />
Syndromen.<br />
Um die Rezeptoren auf den Zellmembranen zu aktivieren <strong>und</strong> somit den<br />
Informationsaustausch innerhalb eines lebenden Systems zu gewährleisten,<br />
müssen bestimmte Liganden an bestimmte Rezeptoren binden. Letztere<br />
veranlassen die Regulation bestimmter Proteine, die das Signal in den<br />
Zellkern weiterleiten. Zu der Gruppe dieser Proteine gehören auch die<br />
Wachstumsfaktoren. Eine ihrer Subfamilien sind die "fibroblast growth<br />
factors" (FGFs). Das FGF lässt sich in saures (aFGF) <strong>und</strong> basisches (bFGF)<br />
Protein unterteilen, wobei das basische nahezu in allen Geweben des<br />
Körpers zu finden ist. Das aFGF kommt dagegen überwiegend in Zellen des<br />
zentralen <strong>und</strong> peripheren Nervensystems vor. 17 bis 18 Gene <strong>und</strong> 155 bis<br />
268 Aminosäuren kodieren für eines der beiden Proteine.<br />
FGFR-Gene gehören zur Familie der Tyrosinkinaserezeptoren. Ihre<br />
Produkte binden FGF <strong>und</strong> ermöglichen die Signalweiterleitung in das<br />
Zellinnere. In den Gliazellen, die zusammen mit den Neuronen das reife<br />
Gehirn bilden, finden sich FGFR2-Transkripte (Heubrock, Lex & Petermann,<br />
2005, Tariverdian & Buselmaier, 2004). Die FGFs sind an Zellwachstum,
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 48<br />
Proliferation <strong>und</strong> Differenzierung von Knorpelzellen <strong>und</strong> Knochenbildnern<br />
beteiligt <strong>und</strong> spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des<br />
Skelettsystems (Ehrenfels, 2000). Wie auch Abbildung 3 zu entnehmen ist,<br />
sind die fünfte bis achte Schwangerschaftswoche hierfür besonders relevante<br />
Entwicklungsphasen (Martin, 1998). Insbesondere dem FGFR 2 wird eine<br />
große Bedeutung hinsichtlich der Regulation des Schädelknochenwachstums<br />
zugesprochen (Wagner, 2001).<br />
3.1.1.2 Kraniosynostosen<br />
Der Begriff Kraniosynostose bezeichnet Formveränderungen des<br />
Schädels, die durch den vorzeitigen Verschluss einer oder mehrerer<br />
Schädelnähte (Suturen) hervorgerufen wird. Aus der Literatur (Kaplan, 1991;<br />
Prevel et al., 1997) sind Fälle von Kraniosynostosesyndromen bekannt, die<br />
zusätzlich andere Krankheitsbilder aufwiesen. Ob diese Krankheitsbilder in<br />
direktem Zusammenhang mit dem Syndrom stehen, ist nicht bewiesen.<br />
Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind etwa 100 Syndrome bekannt, bei denen<br />
eine Kraniosynostose mit auftritt (Mulvihill, 1995). Die<br />
Auftretenswahrscheinlichkeit hierfür wird mit 1/3.000 Lebendgeburten<br />
angegeben. Sie ist unabhängig von der ethnischen Gruppenzuordnung.<br />
Mögliche Ursachen für das Auftreten von Kraniosynostosen können<br />
Umweltfaktoren, Uteruserkrankungen oder endogene genetische Ursprünge<br />
sein (Jabs, 1998). Der Schweregrad der Erkrankung ist abhängig von der<br />
Anzahl der betroffenen Schädelnähte.<br />
Das Schädelwachstum erfolgt gr<strong>und</strong>sätzlich im rechten Winkel zum<br />
Nahtverlauf, bei synostisierten Nähten entstehen aufgr<strong>und</strong> dessen folgende<br />
abnorme Schädelformen (siehe Abb. 9). Die Sagittalnahtsynostose ist die<br />
häufigste prämature Kraniosynostoseform. Bei ihr ist das seitliche<br />
Schädelwachstum verhindert, weshalb es zur Entwicklung eines
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 49<br />
Längsschädels (Dolichocephalus), mit einer Verlängerung nach frontal <strong>und</strong><br />
occipital erfolgt. Der Trigonocephalus (kammartiger Stirnvorsprung), entsteht<br />
durch eine vorzeitige Verknöcherung der Frontalnaht. Eine erhebliche<br />
Asymmetrie des Schädels (Plagiocephalus) entsteht durch die einseitige<br />
Synostose von Koronar- <strong>und</strong> Lambdanaht. Ein Brachycephalus (verkürzter<br />
breiter Schädel) resultiert aus einer Synostose der Koronarnaht. Die<br />
Ausbildung eines sogenannten Turmschädels (Oxy-, Turry- oder<br />
Akrocephalus), ist die Folge, wenn zusätzlich auch ein Verschluss der<br />
Sagittalnaht <strong>und</strong> ein verstärktes Schädelwachstum nach ventral <strong>und</strong> kranial<br />
eintreten. Die Stirnpartie ist dann flach <strong>und</strong> verläuft senkrecht nach oben.<br />
Dadurch kann dem sich entwickelnden Gehirn unter Umständen soviel Raum<br />
genommen werden, dass es zu einem erhöhten Hirndruck kommt.<br />
Abbildung 9: Schema der Kraniosynostosen (Müller, Steinberger & Kunze,<br />
1997).
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 50<br />
3.1.2 Körperlich-medizinische Merkmale<br />
Nachfolgend werden die körperlichen Besonderheiten im Einzelnen<br />
aufgeführt (vgl. auch Sarimski, 2000, 2003). Hierbei ist zu beachten, dass<br />
einige davon fakultativ sind, das heisst, nicht alle der genannten Merkmale<br />
treffen auf jedes Kind zu. Insbesondere hinsichtlich der Ausprägungen bei<br />
den beiden vorgestellten Syndromen gibt es trotz großer Übereinstimmungen<br />
auch Unterschiede.<br />
Schädelknochen<br />
Die bereits vorgeburtlich einsetzenden Kraniosynostosen können sowohl<br />
die Stirnnaht, die Koronalnaht (Breitenwachstum) als auch die Sagittalnaht<br />
(Breitenwachstum) betreffen <strong>und</strong> bei stärkerer Ausprägung zu einer<br />
Hirndrucksteigerung führen. Durch den gesteigerten intrakraniellen Druck<br />
kann es neben Hirnschädigungen zu Stauungspapillen mit Schädigung des<br />
Sehnervs <strong>und</strong> des Augenhintergr<strong>und</strong>es kommen. Um dem vorzubeugen <strong>und</strong><br />
ein regelrechtes Hirnwachstum zu ermöglichen, werden möglichst bereits im<br />
Alter von drei bis sechs Monaten Operationen an den noch dünnen<br />
Schädelknochen vorgenommen (Sarimski, 2003), da sich das Gehirn gerade<br />
im ersten Lebensjahr um das Dreifache vergrößert. Die verschlossenen<br />
Schädelnähte werden durch Sprengung geöffnet. Je nach Art der<br />
Missbildung wird der Gesichtsschädel von der Basis des Hinterschädels an<br />
den „Le-Fort-Linien“ abgelöst <strong>und</strong> in eine anatomisch günstigere Form<br />
gebracht (Mühlbauer, 1999a). Die knöchernen Augenbrauenwülste werden<br />
gegebenenfalls durch Knochentransplantationen vorverlagert. Diese<br />
Kraniotomie-Methode geht auf Paul Tessier zurück, der damit 1967 der<br />
plastischen Chirurgie neue Dimensionen eröffnete (Mühlbauer, 1999a).<br />
Heute findet allerdings zunehmend auch radikalosteoklastische Methode
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 51<br />
nach Powiertkowski Anwendung. Dabei werden sämtliche Knochen von der<br />
Kranznaht bis hinter die Stirnnaht (Sutura sphenofrontalis) entfernt. Aufgr<strong>und</strong><br />
der funktionellen Eigendynamik der beteiligten Strukturen bildet sich eine<br />
neue Kalotte (Joos, 1999). Bei beiden Eingriffen erfolgt die Schnittführung an<br />
der behaarten Kopfhaut, um keine später sichtbaren Narben zu hinterlassen<br />
(Mühlbauer, 1999a). Bei vorzeitigem Wiederverschluss der Schädelnähte<br />
oder bei einem hohen Fehlbildungsgrad können zum Teil einige weitere<br />
Operationen notwendig sein, um ein zufriedenstellendes Resultat zu<br />
erreichen.<br />
Fehlbildungen des zentralen Nervensystems (ZNS)<br />
Bei Patienten mit Kraniosynostosesyndromen kommt es nicht selten<br />
zusätzlich zu zentralnervösen Fehlbildungen. Hierbei sind vor allem der<br />
Balken (Corpus callosum) <strong>und</strong>/oder die limbischen Strukturen betroffen<br />
(Cohen & Kreiborg, 1990; Sarimski, 1997).<br />
Das Corpus callosum ist eine quer verlaufende Faserverbindung<br />
zwischen beiden Großhirnhälften. Es verbindet homologe Areale der rechten<br />
<strong>und</strong> der linken Hemisphären miteinander <strong>und</strong> ermöglicht die gleichzeitige<br />
Funktion beider Großhirnhälften. Ein Balkenmangel (Agenesie des Corpus<br />
callosum, ACC) beeinträchtigt somit die interhemisphärische Kommunikation<br />
(siehe auch Tab. 2). Dies betrifft sowohl die motorischen als auch die<br />
visuellen, auditorischen <strong>und</strong> somatosensorischen Areale (Kolb & Whishaw,<br />
1996).<br />
Als limbisches System werden Gehirnregionen zusammengefasst, die<br />
dafür zuständig sind, das vegetative Nervensystem zu kontrollieren <strong>und</strong><br />
Emotionen <strong>und</strong> Motivation zu koordinieren. Auch bei Lern- <strong>und</strong><br />
Gedächtnisfunktionen spielen Teile des limbischen Systems eine wichtige<br />
Rolle.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 52<br />
Tabelle 2: Neuropsychologische Folgen einer ACC (mod. nach Heubrock,<br />
Lex & Petermann, 2005)<br />
Intelligenz<br />
Funktion<br />
Visuelle Wahrnehmung<br />
Aufmerksamkeit<br />
Sprache<br />
Gedächtnis<br />
Verhalten<br />
Störungen<br />
Variabel, bei 75% gilt:<br />
Sprach-IQ < Handlungs-IQ<br />
Allgemeine Beeinträchtigung der Objektwahrnehmung,<br />
spezifische Einschränkung der Raumwahrnehmung.<br />
Richtung der Aufmerksamkeit, ggf. auch andere<br />
Einschränkungen, z.B. selektive Aufmerksamkeit<br />
Meist verzögerte Sprachentwicklung,<br />
spezifisches Objektbenennungsdefizit<br />
Eingeschränkte unmittelbare Merkspanne, defizitäre<br />
freie Wiedergabe<br />
Phänomen der fremden Hand, intermanuelle Konflikte,<br />
Selbstbedrohung (dissoziative Symptome), Apraxie,<br />
Störung der interhemisphärischen taktilen<br />
Diskrimination<br />
„Das limbische System ist an allen Verhaltens- <strong>und</strong><br />
Denkprozessen beteiligt. Emotionale Äußerungen wie Angst,<br />
Wut, Sexualität, Aggression, etc. sowie Lernprozesse <strong>und</strong><br />
Gedächtnisbildung werden stark vom Iimbischen System<br />
beeinflußt" (Zilles & Rehkämper, 1998, S. 302).<br />
Fehlbildungen des limbischen Systems wirken sich demnach stark auf<br />
vorgenannte Funktionen aus. Bei Kraniosynostosesyndromen kann auch eine<br />
Ventrikelerweiterung als Ausdruck der Schädelfehlbildung feststellbar sein,<br />
die zwar bisherigen Einschätzungen zu folge keine Aussagen über die
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 53<br />
Entwicklungsprognose erlaubt (Murovic et al., 1993), aber zu einem<br />
Hydrocephalus (sogenannter Wasserkopf) führen kann. Dieses<br />
Krankheitsbild tritt jedoch seltener auf. Bei Vorliegen des Krankheitsbildes<br />
muss eine Shunt-Versorgung erfolgen, um den Ablauf des Liquors zu<br />
gewährleisten <strong>und</strong> somit einer Druckzunahme im Gehirn entgegen zu wirken.<br />
Mittelgesichtsfehlbildungen<br />
Im Alter von etwa fünf bis sieben Jahren erfolgt eine operative<br />
Vorverlagerung des Mittelgesichts, um das auffällige Erscheinungsbild der<br />
Kinder (siehe Abb. 10), das häufig Hänseleien der Peers auf sich zieht <strong>und</strong><br />
daher der sozialen Entwicklung abträglich sein kann, zu verbessern (Marsh,<br />
Galic & Vannier, 1991). Diese Eingriffe dienen jedoch auch hals-nasenohren-ärztlichen<br />
Zwecken. Mittlerweile wird hierfür meist ein Distraktionsgerät<br />
verwendet, das mit den Knochenplatten verschraubt <strong>und</strong> verdrahtet wird <strong>und</strong><br />
für sechs bis acht Wochen getragen werden muss. Bei der Methode des<br />
frontalen Advancement <strong>und</strong> der Le-Fort-Osteotomie wird der Oberkiefer<br />
durch einen Einschnitt in die vorhandene Kopfhautnarbe <strong>und</strong> den M<strong>und</strong>,<br />
gegebenenfalls durch Knochentransplantationen, versetzt. Die versetzten<br />
Knochen werden mit Drähten, die durch die Knochen geführt werden oder<br />
durch Knochenplatten <strong>und</strong> Schrauben stabilisiert. Dieses in die Haut<br />
versenkte Gestell, das sogenannte Distraktionsgerät nach Fairley (Abb. 11),<br />
hat einen Vorschub, das bedeutet, dass das Gesicht sukzessive auch nach<br />
der Operation noch weiter nach vorne verlagert werden kann (Mühlbauer,<br />
Fairley, Höpner & von Gernet, 1998). Häufig sind weitere Rekonstruktionen<br />
des Gesichts, nach Wachstumsende vonnöten, da nach der Osteotomie früh<br />
wieder eine Stenosierung auftritt <strong>und</strong> sich die Physiognomie bis zum<br />
Wachstumsabschluss wieder verschlechtert beziehungsweise das Gesicht<br />
nach der Operation nur minimal weiterwächst (Joos, 1999).
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 54<br />
a b<br />
Abbildung 10: a 6jähriger Junge, b 8jähriges Mädchen mit Apert-Syndrom.<br />
Abbildung 11: 8jähriges Mädchen mit Distraktionsgerät.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 55<br />
Der vorzeitige Verschluss der Knochen der Schädelbasis <strong>und</strong> des<br />
Mittelgesichts kann zusätzlich weitere Wachstumsstörungen hervorrufen. Im<br />
Bereich des Mittelgesichts kommt es zu einem konkav wirkenden Gesicht, da<br />
der Unterkiefer normal wächst <strong>und</strong> die Höhe des Mittelgesichtes in Relation<br />
zum Untergesicht zu gering ist. Das Gesicht ist breit, die Nase ist aufgr<strong>und</strong><br />
der unterliegenden Knochen zu klein <strong>und</strong> es besteht ein Hypertelorismus<br />
(Mühlbauer, 1999b).<br />
Augen<br />
Im Bereich des Mittelgesichts sind die Knochen betroffen, die die<br />
Augenhöhlen formen. Die Augenhöhle ist normalerweise klein <strong>und</strong> flach. Bei<br />
Kindern mit Kraniosynostosesyndromen treten die Augen aufgr<strong>und</strong> der zu<br />
kleinen Augenhöhlen hervor (Exophthalmus). Dies hat bei starker<br />
Ausprägung zur Folge, dass die Lider die Hornhaut nicht richtig bedecken<br />
können. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Augen leichter austrocknen<br />
beziehungsweise anfälliger für Verletzungen sind. Bei<br />
Kraniosynostosesyndromen sind daher auch Entzündungen sowohl an der<br />
Hornhaut als auch des Bindegewebes (Keratokonjunktivitis) assoziiert<br />
(Kübler & Mühling, 1998). Durch die Fehlbildungen der Augenhöhlen wird ein<br />
dreidimensionales Sehen vermindert (Mühlbauer, 1999b). Bei 93 Prozent der<br />
Apert-Patienten <strong>und</strong> 80 Prozent der Crouzon-Patienten kommt es zu<br />
Brechungsfehlern des Auges (Refraktionsanomalien), zum Herabhängen<br />
eines Oberlides (Ptosis), zur Abweichung der Augenachse von der<br />
Normalstellung (Strabismus) <strong>und</strong> einer Fehlsichtigkeit (Sarimski, 2003). Das<br />
bei Kindern mit Kraniosynostose-Syndromen bereits reduzierte Sehvermögen<br />
kann zusätzlich durch intrakraniellen Druck <strong>und</strong> daraus resultierende<br />
Sehnervschädigung bis hin zur Erblindung beeinträchtigt werden. Der<br />
Sehnerv selbst kann gedehnt oder geknickt sein <strong>und</strong> so zu einer
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 56<br />
Visusverschlechterung führen (Mühlbauer, 1999b).<br />
Das reduzierte Sehvermögen bei Kindern mit Kraniosynostosen erfordert<br />
oftmals eine Behandlung in Form einer Brille, gegebenenfalls sogar eine<br />
Augenoperation. Bei einem Strabismus wird auch häufig eine<br />
Abdeckbehandlung durchgeführt. Auch hier sind regelmäßige Kontrollen<br />
empfehlenswert.<br />
Ohren<br />
Als Folge der Schädelfehlbildung kommt es bei Kindern mit<br />
Kraniosynostosesyndromen häufig zu einem reduzierten Hörvermögen. Hier<br />
kann die Ursache sowohl eine Innenohrschwerhörigkeit als auch eine<br />
Schallleitungsstörung bei normal entwickeltem Innenohr sein. Die<br />
Schallleitungsstörungen kommen bei zehn Prozent der Crouzon-Patienten<br />
<strong>und</strong> einem Drittel der Apert-Patienten vor (Elterninitiative Apert-Syndrom,<br />
1999). Ursache hierfür kann eine Fehlbildung der Gehörknöchelchen sein.<br />
Ebenfalls nicht selten kommt eine Mittelohrentzündung (Otitis media) als<br />
Folge der Schädelfehlbildung vor. Dabei sammelt sich Flüssigkeit im Mittelohr<br />
an <strong>und</strong> behindert die Funktion der Ohrtrompete, die Luft von der hinteren<br />
Nase zum Ohr führt <strong>und</strong> übermäßige Flüssigkeit aus dem Ohr ableitet.<br />
Charakteristisch ist auch, dass die Ohren bei Kraniosynostose-Patienten tief<br />
angesetzt sind (Prevel et al., 1997).<br />
Durch das Einsetzen von Paukenröhrchen in das Trommelfell kann das<br />
Problem rezidivierender Mittelohrentzündungen behoben werden. Allerdings<br />
ist bezüglich der Operation bei Kindern mit Kraniosynostose-Fehlbildungen<br />
größte Vorsicht geboten, da es vorkommt, dass bei diesen Kindern die<br />
Halsvene nicht durch Knochen geschützt ist.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 57<br />
M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Nase<br />
Der Oberkiefer bei Patienten mit Kraniosynostosesyndromen ist bei der<br />
Geburt nur ungenügend ausgebildet <strong>und</strong> wächst später auch nur halb so<br />
schnell. Der Unterkiefer wirkt daher im Sinne einer Pseudoprogenie<br />
scheinbar vergrößert (Kübler & Mühling, 1998). Häufig haben die Patienten<br />
einen fehlgebildeten Gaumen. Die Zahnleiste des Oberkiefers wächst nach<br />
unten, so dass der Gaumen noch höher <strong>und</strong> schmaler wird, die Zähne<br />
zusammengedrängt werden <strong>und</strong> in den Gaumen wachsen können, wo sie<br />
eine tiefe Furche hinterlassen. So entsteht der Eindruck einer Gaumenspalte,<br />
die jedoch im harten Gaumen nicht vorkommt. Gegebenenfalls bestehen eine<br />
Weichgaumenspalte <strong>und</strong> ein gespaltenes Zäpfchen.<br />
Im M<strong>und</strong>bereich kommt es aufgr<strong>und</strong> der Kieferfehlbildungen zu einem<br />
frontal offenen Biss. Die Zunge kann ihre natürliche Position in der Kuppe<br />
des Gaumens nicht mehr einnehmen. Neben einer erhöhten Infektanfälligkeit<br />
führt dies zu Sprech- <strong>und</strong> Atemproblemen, sowie zu vermehrtem<br />
Speichelfluss (Hypersalivation).<br />
Das Verhältnis von Zähnen, Kiefer <strong>und</strong> Gaumenform kann insgesamt die<br />
Bildung einiger Laute behindern. Sollten Gehör <strong>und</strong> Intelligenz ebenfalls<br />
beeinträchtigt sein, werden diese Probleme noch verstärkt.<br />
Sprachentwicklungsverzögerungen sind somit wahrscheinliche<br />
Begleiterscheinungen der Fehlbildungen. In Verbindung mit der<br />
kraniofazialen Behandlung werden auch die Stellung <strong>und</strong> Anordnung der<br />
Zähne operativ korrigiert. Hierbei wird der Oberkiefer nach vorne gekippt, um<br />
den Kontakt zwischen Ober- <strong>und</strong> Unterkiefer herzustellen. Patienten mit<br />
Kraniosynostosesyndromen sollten aufgr<strong>und</strong> ihrer ZahnsteIlung ständig<br />
kieferorthopädisch betreut werden.<br />
Die Nasenwege bei Kraniosynostose-Patienten sind schmal<br />
(Choanalstenose), der Oberkiefer ist kurz <strong>und</strong> durch den langen Unterkiefer<br />
wird die Nasenatmung erschwert. Beim Crouzon-Syndrom kommt es zu einer
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 58<br />
sogenannten „Schnabelnase“. Aufgr<strong>und</strong> der Verengung der Nasengänge<br />
klingt die Sprache oft hyponasal. Diese anatomischen Besonderheiten führen<br />
zu Atemproblemen, die sich beispielsweise in einem Schnarchen äußern.<br />
Nicht selten treten auch gefährliche Schlafapnoen auf. Daher ist<br />
insbesondere beim Füttern der Neugeborenen besondere Vorsicht geboten<br />
(Sarimski, 1998). Ursache für die, Atemwegsobstruktionen sind häufig<br />
Polypen (Adenoide) <strong>und</strong> Gaumenmandeln (Gaumentonsillen). Eine<br />
Atemwegsobstruktion kann in Folge zu einer Erhöhung des Mitteldrucks der<br />
Arteria pulmonalis (pulmonale Hypertension; pulmonal = zur Lunge<br />
gehörend) <strong>und</strong> zu Belastungen des Herzens (kardialen Belastungen) führen<br />
(Zellner, 1999). Bei lebensbedrohlichen Apnoen muss mittels eines<br />
Luftröhrenschnittes (Tracheotomie) eingegriffen werden, während Kinder mit<br />
einfacheren Atemproblemen bereits von der Entfernung der Polypen oder<br />
von der operativen Vorverlagerung des Mittelgesichts profitieren können.<br />
Auch Tuben im Nasenrachenraum (nasopharyngeale Tuben) haben sich<br />
bewährt (Zellner, 1999).<br />
Syndaktilien<br />
Syndaktilien kommen beim Apert-, nicht aber beim Crouzon-Syndrom vor.<br />
Das Vorliegen von Syn- oder Polydaktilien schließt daher die Diagnose des<br />
Crouzon-Syndroms aus. Bei Vorhandensein von Syndaktilien handelt es sich<br />
um ein Klassifikationsmerkmal des Apert-Syndroms. Allerdings wurden in den<br />
letzten Jahren Bef<strong>und</strong>e über milde Abnormalitäten der Gliedmaßen<br />
veröffentlicht, die spezifisch für das Crouzon-Syndrom sind (Anderson, Hall,<br />
Evans, Jones & Hayward, 1997, Kaler, Bixler & Yu, 1982, Murdoch-Kinch,<br />
Bixler & Ward, 1998).<br />
Im Alter von ein bis zwei Jahren sind operative Korrekturen der Finger-<br />
Syndaktilien notwendig. Die Finger sind in seltenen Fällen nur häutig, aber
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 59<br />
meist auch knöchern verwachsen, wobei nur die Fingergr<strong>und</strong>gelenke<br />
funktionsfähig sind. Oftmals sind auch die Fingernägel<br />
zusammengewachsen. Die Syndaktilien betreffen hauptsächlich die Bereiche<br />
der Zeige- bis Ringfinger (Finger II bis IV) <strong>und</strong> sind weniger stark zwischen<br />
Daumen <strong>und</strong> Zeigefinger beziehungsweise zwischen Ringfinger <strong>und</strong> kleinem<br />
Finger ausgeprägt.<br />
Vor allem die knöcherne Verb<strong>und</strong>enheit bedingt eine eingeschränkte<br />
Funktionsfähigkeit der Finger. Dies betrifft vor allem die Fingerendglieder. Die<br />
Hände sind zueinander gedreht <strong>und</strong> werden aufgr<strong>und</strong> der Verwachsungen<br />
auch als „Löffelhände“ bezeichnet. Die Daumen sind oft kurz <strong>und</strong> breit <strong>und</strong><br />
ebenfalls fehlgebildet. Das Aussehen der Handform <strong>und</strong> die Stellung der<br />
Daumen sind unterschiedlich ausgeprägt (Prevel et al., 1997).<br />
Die Trennung der Finger <strong>und</strong> die Wiederherstellung intakter benachbarter<br />
Hautoberflächen mit Transplantaten sollte bereits sehr früh, das heißt vor<br />
dem ersten Lebensjahr, in die Wege geleitet werden, um die Funktionalität<br />
der Fingerglieder (Phalangen) herzustellen <strong>und</strong> so starken<br />
Entwicklungsverzögerungen entgegenzuwirken. Die Operation kann<br />
gleichzeitig mit der Operation zur kraniofazialen Rekonstruktion erfolgen, um<br />
die Belastungen einer Anästhesie zu minimieren (Prevel et al., 1997).<br />
Sollten sich die Gelenkköpfe der Finger im Laufe des Wachstums<br />
verdrehen, kann eine Knochenentfernung erforderlich werden. Ist zusätzlich<br />
der Daumen klein <strong>und</strong> befindet er sich in einer ungünstigen Stellung, so kann<br />
er operativ in die richtige Position korrigiert werden. Dies geschieht meist im<br />
Alter von acht Jahren. Die operative Behandlung der Syndaktilien zieht meist<br />
eine lange Zeit der Rehabilitation nach sich.<br />
Die Syndaktilien am Fuß (Abb. 12) betreffen vor allem die zweite bis<br />
fünfte Zehe (Zehen lI-V). Hierbei, sind auch die Nägel miteinander<br />
verwachsen (Prevel et al., 1997). Der Großzeh ist verklumpt <strong>und</strong> fehlgebildet.<br />
Jedoch wird durch die Verwachsungen die Funktionsfähigkeit der Füße<br />
weniger eingeschränkt, so dass hier selten operativ korrigiert wird.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 60<br />
Sonstige Begleitstörungen<br />
Im Rahmen der distinkten Skelettdysplasie sind als ergänzende Bef<strong>und</strong>e<br />
noch eine Verkürzung der oberen Extremitäten, sowie<br />
Beweglichkeitsstörungen des Ellbogen- <strong>und</strong> Schultergelenks zu erwähnen.<br />
Die Patienten können ihre Ellenbogen im Allgemeinen nur bis 150 Grad<br />
strecken können. Anomalien im Bereich des Schultergürtels <strong>und</strong> Kleinwuchs,<br />
welcher sich erst ab dem Kleinkindalter manifestiert, sowie<br />
Wirbelsäulenverkrümmungen kommen vor. Mit zunehmendem Alter kommt<br />
es nicht selten zu Hüftschäden, die orthopädisch behandelt werden müssen<br />
(Ehrenfels 2000; Prevel et al., 1997).<br />
In einigen Fällen treten zusätzlich fakultativ assoziierte<br />
� Fehlbildungen des Herzens, wie ein persistierender Ductus arteriosus<br />
(angeborener Herzfehler mit Offenbleiben der fetalen Verbindung<br />
zwischen Aorta <strong>und</strong> Pulmonalarterie) oder Pulmonalatresien (Herz-,<br />
Kreislauferkrankung mit vollständigem Verschluss des rechten<br />
Ventrikels),<br />
� urologische Anomalien (Kryptorchidismus) sowie polyzystische Nieren<br />
<strong>und</strong> Uterusfehlbildungen,<br />
� Fehlbildungen des Magen-Darm-Traktes, Magenausgangsverschluss<br />
(Pylorusstenose),<br />
� Anomalien im Bereich von Luftröhre, Lunge <strong>und</strong> Lungengefäßen,<br />
Ösophagotrachealfisteln (angeborene oder erworbene Verbindung<br />
zwischen Speiseröhre <strong>und</strong> Luftröhre),<br />
� Acne vulgaris (Hautkrankheit mit Verstopfung der Follikel) auf.<br />
� Es konnte außerdem beobachtet werden, dass 16 Prozent der<br />
Neugeborenen ein Geburtsgewicht von mehr als 4.000g aufweisen.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 61<br />
3.1.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten<br />
Beim Apert-Syndrom liegen unter Umständen leichte Grade einer<br />
geistigen Behinderung <strong>und</strong> beim Crouzon-Syndrom spezifische<br />
Lernprobleme vor. Beide sind entgegen der verbreiteten Fehlannahme, dass<br />
die offensichtlichen Schädelfehlbildungen generell zu Hirnschädigungen<br />
führen, nicht obligatorisch mit einer Intelligenzminderung verb<strong>und</strong>en. Frühere<br />
Studien gingen von einer globalen mentalen Retardierung aus (Blank, 1960),<br />
während jüngere Studien stärker zwischen einzelnen Teilleistungen<br />
differenzieren. In der Literatur findet sich eine starke Variabilität der<br />
Intelligenzwerte (Sarimski, 2000, 2003), allerdings liegt laut Patton,<br />
Goodship, Hayward & Lansdown (1988) bei etwa der Hälfte der Kinder mit<br />
Apert-Syndrom eine deutliche Lern- oder geistige Behinderung vor, die<br />
andere Hälfte hatte einen IQ kleiner 100. Insgesamt untersuchte die<br />
Arbeitsgruppe 29 Patienten, darunter waren auch Jugendliche <strong>und</strong><br />
Erwachsene. In einer Untersuchung (Lefebvre, Travis, Arndt & Munro, 1986)<br />
ergaben sich bei 20 Kindern mit Apert-Syndrom Intelligenzquotienten<br />
zwischen 52 (das entspricht nach ICD-10-Kriterien noch einer leichten<br />
geistigen Behinderung) <strong>und</strong> 89 (durchschnittliche Intelligenz). Renier, Arnaud,<br />
Cinalli & Marchac (1996) fanden bei 28 Patienten zwischen drei <strong>und</strong> 28<br />
Jahren bei etwa einem Drittel der Stichprobe einen IQ von unter 70, aber<br />
auch Ergebnisse bis zu einem IQ von 114. Shipster et al. (2002, zitiert nach<br />
Sarimski, 2003) fanden bei sieben von acht Kindern eine Intelligenz im<br />
Normalbereich (IQ >85).<br />
3.1.3.1 Einfluss der körperlichen Merkmale auf die kognitive<br />
Entwicklung<br />
Die Probleme, die Kraniosynostosesyndrome mit sich bringen können,<br />
wirken sich nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild der Patienten aus. Die
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 62<br />
Besonderheiten des körperlichen Phänotyps haben oft auch Auswirkungen<br />
auf die kognitiven Fähigkeiten sowie die sozialen Fertigkeiten der Patienten.<br />
Die nachfolgend aufgeführten Auswirkungen sind fakultativ. Die<br />
Auswirkungen können in ihrem Schweregrad erheblich variieren oder zum<br />
Teil auch gar nicht auftreten. Es kann auch kein genereller Zusammenhang<br />
zwischen der Ausprägung der Fehlbildungen <strong>und</strong> dem Schweregrad der<br />
Beeinträchtigung festgestellt werden. In einigen Untersuchungsgruppen,<br />
gehörten die Kinder mit den ausgeprägteren Fehlbildungen vereinzelt sogar<br />
zu den leistungsstärksten (vgl. Sarimski, 2003).<br />
Die Kraniosynostosen selbst können wie bereits beschrieben in den<br />
ersten Lebensmonaten einen intrakraniellen Druck verursachen. In diesem<br />
Fall kann eine Intelligenzminderung resultieren. Aber auch bereits die<br />
Störungen der Hirnstrukturen in der Frühschwangerschaft werden als<br />
Ursache für mögliche geistige Behinderungen diskutiert. Bei einer<br />
zusätzlichen Fehlbildung des limbischen Systems muss mit Auswirkungen<br />
auf die Lern- <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen des jeweiligen Patienten gerechnet<br />
werden. Bef<strong>und</strong>e zeigten Probleme im Bereich der auditiven Merkfähigkeit<br />
(Sarimksi, 2003).<br />
Durch die Syndaktilien sind die Kinder mit Apert-Syndrom in ihrer<br />
Entwicklung benachteiligt, da sie Lernerfahrungen durch das kindtypische<br />
"Begreifen" aufgr<strong>und</strong> der Fehlbildungen nicht in dem Maße durchführen<br />
können, wie andere Kinder ihres Alters. Lernerlebnisse über<br />
sensomotorische Fähigkeiten werden durch ihre Handanomalien verzögert<br />
<strong>und</strong> die Bedürfnisse des Kindes, seine Umwelt in dieser Form „zu begreifen“,<br />
werden nicht erfüllt (Campis, 1991). Das Greifen mit den Handflächen, gehört<br />
zu den frühkindlichen Reflexen (palmares Greifen). Im Alter von 4 bis 12<br />
Monaten entwickelt sich eine Reihe von Greiffunktionen. Der Ablauf ist dabei<br />
bei allen Kindern gleich (Largo, 2000). Bei Kindern mit Apert-Syndrom ist<br />
dieser Entwicklungsprozess nicht möglich oder stark eingeschränkt <strong>und</strong> die<br />
Spezialisierung der Fingerfunktionen verläuft somit nicht altersgemäß.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 63<br />
Die Folge ist eine Entwicklungsverzögerung, die sich auf Motorik <strong>und</strong><br />
Koordination auswirkt. Auch nach Korrekturoperationen bestehen weiterhin<br />
Probleme in der grob- <strong>und</strong> feinmotorischen Koordination (Lefebvre et al.,<br />
1986). Motorische Entwicklungsverzögerungen werden ebenfalls durch die<br />
eingeschränkte Mobilität der Schultern <strong>und</strong> Ellenbogen begünstigt (Campis,<br />
1991).<br />
Auch das Hör- <strong>und</strong> Sehvermögen können eingeschränkt sein <strong>und</strong> so zu<br />
Entwicklungseinbußen führen. Trotz der aufgr<strong>und</strong> der Fehlbildung zu<br />
erwartenden visuomotorischen <strong>und</strong> feinmotorischen Defizite fielen in<br />
Untersuchungen deutlich höhere Leistungen in der Handlungsintelligenz<br />
(Handlungsteil des HAWIK) auf (Sarimski, 2003). Die Sprachentwicklung ist<br />
durch die anatomischen Besonderheiten der Kinder beeinträchtigt. Shipster<br />
et al. (2002, zitiert nach Sarimksi, 2003) fanden heraus, dass bei acht von<br />
zehn Kindern eine leichte bis mittelgradige Beeinträchtigung der expressiven<br />
Sprache vorlag. Bei allen fanden sich oral-motorische Schwächen <strong>und</strong> eine<br />
ungewöhnliche Stimmführung.<br />
Es besteht zwar keine Beziehung zwischen dem Grad der Fehlbildungen<br />
<strong>und</strong> der kognitiven Leistungen, allerdings zeigen sich die Kinder bei denen es<br />
zusätzlich zu einer Agenesie des Corpus Callosum gekommen ist, stärkere<br />
kognitive Einbußen <strong>und</strong> deutliche Verhaltensauffälligkeiten. Das konnte auch<br />
im Zuge unserer Untersuchungen festgestellt werden (siehe unter 5.1.2).<br />
Laut Patton, Goodship, Hayward & Lansdown (1988) fanden sich keine<br />
Hinweise darauf, dass die Kinder nach einer frühen Schädelkorrektur generell<br />
bessere kognitive Entwicklungschancen zeigen. Es wird daher davon<br />
ausgegangen, dass wenn wesentliche kognitive Beeinträchtigungen<br />
vorliegen, diese eine Folge früher Entwicklungsstörungen des ZNS in der<br />
embryonalen Phase sind. Sie wären demnach auch nicht durch frühzeitige<br />
chirurgische Eingriffe zu verhindern.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 64<br />
3.1.3.2 Einfluss der körperlichen Merkmale auf die soziale Entwicklung<br />
Eine Kraniosynostose muss nicht zwangsläufig eine Begrenzung des<br />
Hirnwachstums <strong>und</strong> somit eine Entwicklungsretardierung mit sich führen. Oft<br />
aber werden Kinder mit kraniofazialen Fehlbildungen aufgr<strong>und</strong> ihrer äußeren<br />
Erscheinung als geistig behindert eingeschätzt. Eine Fehleinschätzung<br />
bezüglich ihrer Fähigkeiten <strong>und</strong> ihrer Motivation, kann leicht zu einer "selffulfilling-prophecy"<br />
werden, mit der Folge, dass die Entwicklungschancen der<br />
Kinder aufgr<strong>und</strong> der Fehleinschätzung ungenutzt bleiben <strong>und</strong> sie unter<br />
Umständen sogar falsch beschult werden. Wie auch aus Studien zur<br />
Hochbegabung bekannt ist, sind "Underachiever" prädestiniert dafür,<br />
Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln (Sarimski, 1999; Sarimski 2000,<br />
2003).<br />
Wenn man bedenkt, dass Babys bereits in den ersten Lebensmonaten<br />
auf das Ausdrucksverhalten von Erwachsenen reagieren, so ist es nicht<br />
verw<strong>und</strong>erlich, dass Babys mit kraniofazialen Fehlbildungen bezüglich<br />
negativer Ausdrucksformen ihrer Umwelt besonders gefährdet sind. Ihre<br />
Eltern müssen eigenen Berichten zufolge zunächst Schock, Angst,<br />
Enttäuschung, Trauer <strong>und</strong> Depression verarbeiten (Campis, 1991; Sarimski<br />
2003). Fremde Personen zeigen oftmals Verlegenheitsreaktionen oder gar<br />
Abscheu, was für die Eltern zunächst eine Stresssituation bedeuten kann. So<br />
konnten wir beispielsweise erleben, wie ein Besucher unserer Ambulanz so<br />
schockiert über das Aussehen der Patientin mit dem Distraktionsgerät (Abb.<br />
11) war, dass er das Wartezimmer verlassen musste.<br />
Durch diese Umstände kann die Eltern-Kind-Interaktion erheblich gestört<br />
werden. Durch die psychologische Belastungssituation <strong>und</strong> die<br />
krankheitsbedingten Probleme, komme es häufig zu Trennungen der Eltern<br />
der betroffenen Kinder, was die Kinder zusätzlich belaste (Sarimski, 1999),<br />
zudem können Gefühle, von Schuld <strong>und</strong> Hilflosigkeit bei den Angehörigen
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 65<br />
auftauchen (Campis, 1991).<br />
In der frühen Entwicklung ist die emotionale Entwicklung der Kinder durch<br />
verschiedene Faktoren gefährdet (vgl. Sarimski, 2003):<br />
� Hemmung der Eltern-Kind-Interaktion durch Verunsicherung der<br />
Eltern (Schock, Trauer, Zukunftsängste),<br />
� häufige Hospitalisierungen <strong>und</strong> Operationen,<br />
� Hemmung des Selbstvertrauens in Folge der Fehlbildungen, der<br />
funktionellen Einschränkungen <strong>und</strong> überprotektiver Erziehung.<br />
Der Einfluss von Peers im Schulalter <strong>und</strong> in der Jugend auf das<br />
Selbstwertgefühl der Kinder ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Negative<br />
Erfahrungen mit anderen Kindern, wie ausgelacht oder bezüglich ihrer<br />
Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten falsch eingeschätzt werden, können bei den<br />
Patienten Rückzugstendenzen hervorrufen. Das daraus resultierende scheue<br />
<strong>und</strong> verlegene Verhalten erschwert dann die Entwicklung eines ges<strong>und</strong>en<br />
Selbstbewusstseins <strong>und</strong> sozialer Kompetenzen.<br />
In einer Studie von Pertschuk <strong>und</strong> Whitacker (1985) zeichnen die Kinder<br />
mit kraniofazialen Fehlbildungen ein Selbstbild von sich, das als ängstlich,<br />
introvertiert <strong>und</strong> mit geringem Selbstwertgefühl beschrieben werden kann. Ihr<br />
Verhalten wird im Vergleich zu dem einer Kontrollgruppe von Eltern <strong>und</strong><br />
Lehren als hyperaktiv eingeschätzt. Jedoch scheinen sich die Aussagen zur<br />
sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern mit Kraniosynostosesyndromen<br />
zu widersprechen. Die Erfahrung zeigt auch, dass Kinder mit dem Apert-<br />
Syndrom über gute kompensatorische Fähigkeiten bezüglich ihres<br />
Selbstbildes verfügen (Sarimski, 1993). Sicher scheint jedoch, dass sich die<br />
Selbsteinschätzung der Kinder nach der Mittelgesichtskorrektur verbessert<br />
(Lefebvre et al., 1986). Gerade in der Pubertät kann es zu Hemmungen im<br />
sozialen Umgang mit Gleichaltrigen kommen. In diesen Phasen werden zum<br />
Teil soziale Rückzugstendenzen, aggressive Verhaltensweisen oder
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 66<br />
überkompensierende Aktivitäten beobachtet. Auch bei der Eingliederung ins<br />
Berufsleben werden Kinder mir Apert-Syndrom aufgr<strong>und</strong> ihres<br />
Erscheinungsbilds benachteiligt.<br />
Sarimski (1995) führte eine Untersuchung bei 24 Kindern mit Apert-<br />
Syndrom durch. Trotz all der möglichen negativen Umwelteinflüsse<br />
entwickelten sich 80 Prozent der Kinder mit Apert-Syndrom nach<br />
Einschätzung der beurteilenden Erzieher unauffällig. In den Ergebnissen<br />
zeigte sich nur wenig oppositionell-aggressives Verhalten <strong>und</strong> nur teilweise<br />
Distanzlosigkeiten, Konzentrationsprobleme, emotionale Labilität <strong>und</strong><br />
Ängstlichkeit. Dies scheint vor allem dann der Fall zu sein, wenn zusätzliche<br />
Fehlbildungen des Nervensystems Einfluss auf emotionale Äußerungen<br />
nehmen. Insgesamt zeigen Kinder mit Apert-Syndrom ein hohes Maß an<br />
sozial erwünschten Verhalten. Sie gelten als ausgeglichen, schnell zu<br />
beruhigen <strong>und</strong> sozial unauffällig. Die Kinder bringen eine positive<br />
Gr<strong>und</strong>stimmung mitbringen, die sich als förderlich für die soziale<br />
Kontaktaufnahme erweist (Sarimski, 2003). Dies zeigte sich auch im Rahmen<br />
unserer Verhaltensbewertung (siehe unter 5.1.2).<br />
3.2 Das Fragile-X-Syndrom<br />
Das Fragile-X-Syndrom wurde erstmals 1943 von Martin <strong>und</strong> Bell<br />
beschrieben <strong>und</strong> wurde lange Zeit als Martin-Bell-Syndrom oder Marker-X-<br />
Syndrom bezeichnet. Laut humangenetischem Lehrbuch handelt es sich um<br />
eine „geschlechtsgeb<strong>und</strong>ene Schwachsinnsform mit fragiler Stelle am X-<br />
Chromosom“ (Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 426).
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 67<br />
3.2.1 Ätiopathologie des Fragilen-X-Syndroms<br />
Lubs gelang 1969 der cytogenetische Nachweis einer brüchigen Stelle<br />
am langen Arm des X-Chromosoms (Region xq27.3). Auf dem X-Chromosom<br />
finden sich Regionen in denen die Basen Cytosin <strong>und</strong> Guanin gehäuft<br />
auftreten. Der 1991 identifizierte, für das Fragile-X-Syndrom relevante<br />
Bereich in dem das Fragile X linked mental retardation gene 1 (FMR1-Gen)<br />
liegt, gehört dazu (Sarimski, 2003).<br />
Hier findet sich eine Wiederholung der Abfolge der Basen Cytosin-Guanin-<br />
Guanin, das sogenannte Basentriplett CGG. Während die Anzahl dieser<br />
Wiederholungen im Normalfall zwischen fünf <strong>und</strong> 40 liegt <strong>und</strong> man bei bis zu<br />
60 Repeats noch von einer Grauzone ausgeht, liegt ab 60 Wiederholungen<br />
eine Prämutation <strong>und</strong> ab 200 Wiederholungen eine Vollmutation vor, die zur<br />
Inaktivierung des FMR1-Gens <strong>und</strong> zur Ausbildung der entsprechenden<br />
Symptomatiken führt. In Extremfällen konnten bis zu 1000 Repeats<br />
festgestellt werden. Des Weiteren gibt es noch eine relativ hohe Zahl von<br />
Mosaikformen, bei denen nur ein Teil der Körperzellen von der Mutation<br />
betroffen sind. Rousseau et al. (1994) zufolge ergibt sich hieraus aber nur in<br />
seltenen Fällen eine günstigere kognitive Entwicklung.<br />
Der Name für dieses Syndrom (fragile = zerbrechlich<br />
[englisch/französisch]) leitet sich davon ab, dass die erhöhte Wiederholung<br />
der Trinukleotidsequenz CGG zu einer „Brüchigkeit“ des X-Chromosoms<br />
führt. Tatsächlich kommt es jedoch nicht zu einem Bruch des Chromosoms,<br />
wie es bei auf Deletionen beruhenden Syndromen der Fall ist, sondern zu<br />
einer unter dem Mikroskop sichtbaren Unterbrechung der normalen<br />
Chromosomenstruktur (siehe Abb. 12).
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 68<br />
Abbildung 12: Mikroskopisch sichtbare Unterbrechung der<br />
Chromosomenstruktur <strong>und</strong> dessen schematische Darstellung<br />
(mod. nach Froster, in Interessengemeinschaft Fragiles-X<br />
e.V., 2000).<br />
Das Fragile-X-Syndrom folgt nicht dem sogenannten klassisch xchromosomal-rezessiven<br />
Erbgang, wie dies beispielsweise bei der<br />
Bluterkrankheit, der Fall ist. Dabei weisen Frauen, die Überträgerinnen<br />
(Konduktorinnen) des Defekts sind, in der Regel keine Krankheitssymptome<br />
auf. Bei den männlichen Nachkommen hängt es dann davon ab, ob sie das<br />
ges<strong>und</strong>e oder das veränderte Gen <strong>und</strong> damit die Erkrankung bekommen<br />
haben.<br />
Beim Fragilen-X-Syndrom ist dies nicht so eindeutig definiert. Das<br />
Fragile-X-Syndrom kann auch von Männern übertragen werden, die Träger<br />
einer klinisch unauffälligen Prämutation (bis ca. 200 CGG-Repeats) sind. Sie<br />
können die Prämutation an ihre Töchter weitergeben. Diese Töchter<br />
erkranken selbst nicht, sind aber Anlageträger. Allerdings kommt es neueren<br />
Untersuchungen zu folge auch bei etwa 30 % der betroffenen Mädchen zu<br />
Lernstörungen. Erst bei den weiteren Nachkommen kann sich aus der<br />
Prämutation ein plötzliches Anwachsen des CGG-Repeats, das heißt eine<br />
Vollmutation, mit den entsprechenden klinischen Auffälligkeiten ergeben
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 69<br />
("Repeat-Dynamik"). Diese Form des Erbganges führt dazu, dass Mutationen<br />
des X-Chromosoms, die noch nicht den Grad der Vollmutation erreicht<br />
haben, zum Teil über mehrere Generationen hinweg unerkannt bleiben.<br />
Dieser, auch als Sherman-Paradox bezeichneter Effekt, erschwert dadurch<br />
zum Teil erheblich eine gesicherte <strong>und</strong> rechtzeitige Feststellung des Fragilen-<br />
X-Syndroms (Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V., 2000).<br />
Jungen sind etwa zweimal häufiger betroffen <strong>und</strong> weisen eine<br />
ausgeprägtere Symptomatik auf als Mädchen, die meist von der<br />
kompensierenden Wirkung eines zweiten ges<strong>und</strong>en X-Chromosoms<br />
profitieren.<br />
Die Häufigkeit des Fragilen-X-Syndroms wird von Tariverdian <strong>und</strong><br />
Buselmaier (2004) für Jungen mit 1: 4000 an. Zu dem muss von einer hohen<br />
Dunkelziffer nicht diagnostizierter Betroffener ausgegangen werden. Thake,<br />
Todd, Webb <strong>und</strong> B<strong>und</strong>ey (1987) führten eine Screening-Untersuchung in<br />
schulischen Einrichtungen für Behinderte durch <strong>und</strong> fanden bei 8% der<br />
Kinder mit unklarer Diagnose den Nachweis für ein Fragiles-X-Syndrom.<br />
Damit stellt das Fragile-X-Syndrom die zweithäufigste genetische Ursache<br />
geistiger Behinderung nach der Trisomie 21 (Down-Syndrom) dar.<br />
3.2.1.1 Fragile X linked mental retardation gene 1 (FMR1-Gen)<br />
Die Zahl der CGG-Repeats ist nicht allein dafür verantwortlich dafür, ob<br />
das vom FMR1-Gen codierte Protein, das FMR1-Protein (FMRP), gebildet<br />
wird oder nicht. Vielmehr wird das Gen durch den Einbau von Methylgruppen,<br />
der sogenannten Methylierung aktiviert oder deaktiviert. An Nukleotidpaaren<br />
mit der Sequenz Cytosin-Guanin (CG) kann das Cytosinmolekül in der Zelle<br />
durch eine Methylgruppe modifiziert sein. Diese DNA-Methylierung ist mit der<br />
Bildung von inaktivem Chromatin verb<strong>und</strong>en. Das bedeutet, dass die<br />
Inaktivierung des FMR1-Gens <strong>und</strong> damit die Produktionsunterdrückung des
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 70<br />
FMRP, sowohl von der Verlängerung des CGG-Repeats, als auch vom<br />
Methylierungsgrad des FMR1-Gens abhängig ist. Methylierung einer<br />
Cytosinbase führt außerdem zu einer deutlich erhöhten Mutationsrate des<br />
Cytosins. Nach Hergersberg (2000) gehen mehr als 30 Prozent der<br />
krankheitserzeugenden Punktmutationen auf methylierte Cytosine zurück.<br />
Es wird vermutet, dass FMRP am Reifungsprozess des Nervensystems<br />
beteiligt ist, da nachgewiesen werden konnte, dass FMRP insbesondere von<br />
Hirnzellen, hier ausschließlich von Neuronen <strong>und</strong> Purkinje-Zellen, produziert<br />
wird. Außerdem wurde festgestellt, dass FMRP die Messenger RNS (mRNA;<br />
RNS = Ribonukleinsäure) binden kann. Die mRNS ist wesentlich an der<br />
Translation des genetischen Codes der DNS zur Produktion von Proteinen<br />
beteiligt. Es ist daher anzunehmen, dass FMRP auch für diese Prozesse von<br />
Bedeutung ist.<br />
Anhand von Tiermodellen (FMR1-"Knock-Out"-Maus-Modell) wird derzeit<br />
versucht, die Wirkungsweise des FMRP aufzuklären. FMR1-"Knock-Out"-<br />
Mäuse produzieren kein funktionsfähiges FMRP <strong>und</strong> zeigen ähnliche<br />
Symptome (vergrößerte Hoden, Verhaltensauffälligkeiten, Hyperaktivität,<br />
Intelligenzminderung) wie Menschen mit dem Fragilen-X-Syndrom.<br />
3.2.2 Körperlich-medizinische Merkmale<br />
Die körperlichen Merkmale fallen im Vergleich zu den<br />
Kraniosynostosesyndromen geringer <strong>und</strong> ebenfalls variabel aus. Zu den<br />
körperlichen Symptomen gehören (vgl. Sarimski, 2003, Tariverdian &<br />
Buselmaier, 2004):<br />
• muskuläre Hypotonie ("Schlaffheit"),<br />
• überstreckbare Gelenke,
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 71<br />
• vergrößertes Hodenvolumen (bei 40% aller Betroffenen vor <strong>und</strong> bei<br />
80% aller Betroffenen nach der Pubertät),<br />
• kardiologische Auffälligkeiten (Mitralklappenprolaps <strong>und</strong>/oder<br />
Aortendilatationen),<br />
• bei einigen Kindern Anfälle (spezifisches EEG-Muster),<br />
• längliche Gesichtsform mit breitem Kinn <strong>und</strong> großen, häufig<br />
abstehenden Ohren, hoher Stirn, supraorbitalen Wülsten (siehe Abb.<br />
13),<br />
• erhöhtes Geburtsgewicht, insgesamt liegen Korpergröße, Kopfumfang<br />
<strong>und</strong> Körpergewicht im oberen Normbereich (>50 Percentil),<br />
• Hautleisten- <strong>und</strong> Hautfurchenbesonderheiten, samtig-weiche Haut,<br />
fleischige Hände <strong>und</strong> Füße, Bindegewebsschwäche,<br />
• starker Speichelfluss, häufig offener M<strong>und</strong>,<br />
• schlechter Gleichgewichtssinn.<br />
a b<br />
Abbildung 13: Jungen a 8 Jahre <strong>und</strong> b 12 Jahre mit Fragilem-X-Syndrom.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 72<br />
3.2.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten<br />
Die unterschiedlichen Untersuchungsdesigns <strong>und</strong> Stichproben lassen<br />
keine absolute Vergleichbarkeit der bisherigen Studien (z. B. Fre<strong>und</strong> & Reiss,<br />
1991, Hodapp et al., 1990, 1992) zu, allerdings zeigt sich für Schulkinder im<br />
Durchschnitt ein IQ von etwa 50 <strong>und</strong> damit ein Ergebnis im Bereich der<br />
mittelgradigen geistigen Behinderung. Die Werte reichen von leichter bis<br />
schwerer geistiger Behinderung, in Einzelfällen fanden sich auch IQ-Werte im<br />
Normalbereich (z. B. Kemper, Hagerman & Altshul-Shark, 1988). Bei einer<br />
der größten deutschen Untersuchungsgruppen (N = 49) von Backes et al.<br />
(2000) ergab sich für die Kaufman-Assesment Battery for Children (K-ABC)<br />
ein mittlerer IQ-Wert von 47. Dykens et al. (1996, zitiert nach Sarimski, 2003)<br />
untersuchten sogar 130 Jungen. Dabei zeigte sich, dass der IQ mit<br />
steigendem Entwicklungsalter abnahm (siehe Abb. 14).<br />
Abbildung 14: Durchschnittliche IQ-Werte bei 130 Jungen mit FraX-Syndrom<br />
in vier Altersgruppen (Dykens et al., 1996, in Sarimski 2003, S.<br />
165, Abb. 30).<br />
Nach heutigem Wissenstand ist, wie auch Sarimski (2003) zu bedenken<br />
gibt, nicht zu beurteilen, ob die Verschlechterung der Werte dadurch<br />
zustande kommt, dass die Entwicklung der Kinder durch eine biologisch
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 73<br />
bedingte Verlangsamung des Entwicklungstempos geprägt ist <strong>und</strong> so mit den<br />
steigenden Anforderungen immer weniger Schritt gehalten werden kann,<br />
oder ob der Gr<strong>und</strong> hierfür in einer mangelnden Förderung der inzwischen<br />
älteren Patienten liegt. Da Patienten mit <strong>und</strong>iagnostiziertem Fragilen-X-<br />
Syndrom früher häufig in der Psychiatrie landeten <strong>und</strong> auch sonst bei<br />
bekannter Diagnose wenig über spezifische Förderbedürfnisse bekannt war,<br />
ist dieser Aspekt sicherlich nicht unwesentlich.<br />
Bei Kindern mit dem Fragilen-X-Syndrom zeigen sich schon früh<br />
Entwicklungsverzögerungen wie beispielsweise ein Desinteresse an<br />
Umwelteindrücken (keine kindliche Neugier), Wahrnehmungsstörungen für<br />
optische, akustische <strong>und</strong> sensorische Reize sowie erhebliche grob- <strong>und</strong><br />
feinmotorischen Defizite <strong>und</strong> Hyperaktivität.<br />
Ein weiteres wesentliches Merkmal stellt die häufig stark verminderte<br />
oder verzögerte Sprachentwicklung dar. Die Ausprägung der<br />
Sprachprobleme kann unterschiedlich sein. Die meisten Kinder verfügen<br />
jedoch über einen nur geringen aktiven Wortschatz <strong>und</strong> verwenden Zwei- bis<br />
Drei-Wortsätze. Eine besondere Einschränkung ergibt sich auch aus der<br />
Tendenz der Kinder zur Echolalie. Hierbei werden Worte oder Sätze eines<br />
Gesprächspartners, einer Stimme aus dem Radio oder dem Fernseher<br />
ständig wiederholt.<br />
Der passive Wortschatz <strong>und</strong> das Sprachverständnis fallen dagegen<br />
deutlich besser aus <strong>und</strong> stellen eine individuelle Ressource dar. Zu den<br />
weiteren relativen Stärken zählen laut der Interessengemeinschaft Fragiles-X<br />
e. V. (2000), die einen umfassenden Überblick des Forschungstandes geben,<br />
die visuelle Zuordnung von Bildern, die simultane Informationsverarbeitung,<br />
die visuelle Gedächtnisspanne <strong>und</strong> das Wiedererkennen von Bildern, das<br />
Zusammenfügen von Gegenständen <strong>und</strong> die Gestaltwahrnehmung.<br />
Defizite zeigen sich im Bereich der flexiblen Problemlösung, des<br />
abstraktes Denkens, der höheren sprachlichen Funktionen, im
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 74<br />
Kurzzeitgedächtnis, beim mathematischen Denken, in der Visuomotorik, bei<br />
der sequentiellen Verarbeitung <strong>und</strong> bei der Aufmerksamkeit. Der Erwerb der<br />
Kulturtechniken ist stark eingeschränkt.<br />
Nach den Erfahrungen betroffener Eltern sind die<br />
Verhaltensauffälligkeiten beim Fragilen-X-Syndrom typischer als die<br />
körperlichen Merkmale. Zu den Verhaltensauffälligkeiten gehören laut der<br />
Interessengemeinschaft Fragiles-X e. V. (2000) (vgl. auch Lang & Sarimski,<br />
2003, Sarimski, 2000, 2003):<br />
• extreme Hyperaktivität, wie Hüpfen auf der Stelle, zielloses Hin<strong>und</strong><br />
Herlaufen, Zappeln <strong>und</strong> Handwedeln,<br />
• Fremd- <strong>und</strong> Autoaggressivität (z.B. Schlagen <strong>und</strong> Handbeißen,<br />
Ohren <strong>und</strong> Haareziehen),<br />
• extreme Angstzustände, vorwiegend in ungewohnten (Stress-)<br />
Situationen, reagiert ängstlich auf neue Umgebungen,<br />
• soziale Scheu, zum Beispiel Vermeidung von direktem<br />
Blickkontakt sowie<br />
• Perseverationen, also beharrliche Wiederholungen von<br />
Bewegungen oder Wörtern <strong>und</strong><br />
• Echolalie.<br />
Eltern berichten außerdem häufig über folgende Verhaltensbesonderheiten<br />
ihrer Kinder:<br />
• liebt es, mit Wasser zu spielen, gießt Wasser über seinen Kopf<br />
• liebt Musik<br />
• schlingt beim Essen<br />
• hat leichten Schlaf, wacht sehr früh auf<br />
• ist ständig in Bewegung<br />
• erkennt Gefahren nicht
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 75<br />
• liebt es, unbekleidet herumzulaufen<br />
• steckt Finger in M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ohren<br />
• schläft mit Spielzeug ein<br />
• liebt es, mit Türen zu spielen (öffnen <strong>und</strong> schließen)<br />
• liebt es, mit Lichtschaltern zu spielen (an <strong>und</strong> aus)<br />
• Gangbesonderheiten (läuft auf Zehenspitzen)<br />
• steckt alles in den M<strong>und</strong>, kaut auf Büchern, Kleidung,<br />
• hat immer etwas in der Hand<br />
• schnelle Stimmungsschwankungen<br />
• lang anhaltende oder dauerhafte Inkontinenz.<br />
Die Kinder zeigen also teilweise Symptome, die aus dem autistischen <strong>und</strong><br />
hyperaktiven Formenkreis stammen. Viele der Symptome, wie die<br />
Autoagression, sind im Rahmen einer geistigen Behinderung anderer<br />
Ursache auch häufig zu finden, dennoch ist die Kombination der<br />
Verhaltensauffälligkeiten relativ charakteristisch für das Syndrom. Da mit der<br />
Erkrankung keine äußerlich auffälligen Entstellungen einhergehen, reagiert<br />
die Umwelt häufig mit Unverständnis auf das Verhalten der Kinder. Die<br />
Kinder machen häufig einen „schlecht erzogenen“ Eindruck <strong>und</strong> die Eltern<br />
werden mit dem Vorwurf mangelnder pädagogischer Kompetenz konfrontiert.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der zunächst relativ globalen Entwicklungsverzögerung<br />
erfordert es eine genaue Beobachtung der Symptomatik, um die Diagnose<br />
stellen zu können. Abbildung 15 zeigt eine Symptomcheckliste nach<br />
Giangreco, Steele, Aston, Cummins & Wenger (1996), die bei der<br />
Identifizierung helfen soll. Von den 49 von Backes et al. (2000) untersuchten<br />
Jungen erfüllten 74 % die diagnostischen Kriterien einer Aufmerksamkeits-<br />
/Hyperaktivitätsstörung, 29 % die einer oppositionellen Verhaltensstörung, 10<br />
% die einer emotionalen Störung mit Trennungsangst (Sarimski, 2003). Von<br />
Maes, Fryns, Ghesquiere & Borghgraef (2000) wurde eine Checkliste auf<br />
Reliabilität <strong>und</strong> Validität untersucht. Die Auswertung zeigte, dass männliche
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 76<br />
Probanden mit einem Fragilen-X-Syndrom mit diesem Instrument identifiziert<br />
werden können. Die Checkliste beinhaltet insgesamt 28 Items, wobei 7 Items<br />
physische Merkmale beinhalten <strong>und</strong> 21 Items Verhaltensbesonderheiten<br />
beschreiben. Mit diesem Verfahren hoffen die Autoren ein Mittel geschaffen<br />
zu haben, welches eine frühzeitige Diagnose für das Fragile-X-Syndrom<br />
ermöglicht. Denn, wie bei mehreren genetisch bedingten Syndromen,<br />
geschieht eine Zuordnung oft erst verhältnismäßig spät, oft erst nach dem<br />
dritten Lebensjahr. Bei einem positiven oder verdächtigen Ergebnis sollte<br />
dann eine humangenetische Abklärung erfolgen (Maes et al., 2000).<br />
Abbildung 15: Scoring-System für das Fragile-X-Syndrom nach Giangreco et<br />
al. (1996). Ab fünf erreichten Punkten wird eine<br />
humangenetische Abklärung empfohlen.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 77<br />
3. 3 Das Mikrodeletionssyndrom 22q11 (CATCH-22)<br />
CATCH-22 bezeichnet eine Syndromgruppe, die auch die Bezeichnungen<br />
22q-Deletionssyndrom oder Mikrodeletionssyndrom 22q11 trägt, da es sich<br />
um eine Gruppe von nahegelegenen Mikrodeletionen auf dem Chromosom<br />
22 handelt. Für dieses Erkrankungs- bzw. Erscheinungsbild finden sich in<br />
der Literatur auch folgende Bezeichnungen: DiGeorge Syndrom (DGS),<br />
conotruncal anomaly face Syndrom, Sphrintzen Syndrom oder<br />
velocardiofaciales Syndrom (VCFS). Der Begriff CATCH ist eine<br />
Sammelbezeichnung <strong>und</strong> ein Akronym für das Symptombild:<br />
� C = cardiac (Herz),<br />
� A = abnormal face (Gesichtsauffälligkeiten),<br />
� T = Thymushypoplasie (Infektanfälligkeit),<br />
� C = cleft palate (Gaumenspalte oder Gaumensegelparese),<br />
� H = Hypokalzämie (niedriger Kalziumspiegel).<br />
Der Begriff ist zwar eine hilfreiche Mnemotechnik für die Hauptsymptome,<br />
steht aber in der Kritik, dem komplexen Krankheitsbild nicht gerecht zu<br />
werden <strong>und</strong> durch den gleichnamigen englischen Roman (Heller, 1962),<br />
negativ behaftet zu sein. Di George beschrieb 1965 als erster eine<br />
Assoziation zwischen Thymushypoplasie (Brustdrüsenunterentwicklung), Tzell<br />
vermittelter Immunschwäche, kongenitalem Hypoparathyreodismus<br />
(Nebenschilddrüsenunterentwicklung) mit Hyperkalzämie <strong>und</strong> leichten<br />
Gesichtsdysmorphien (DGS). Später wurden dem Syndrom auch Herzfehler<br />
zugeordnet (Greenberg, 1993).<br />
Sphrintzen, Goldberg <strong>und</strong> Lewin (1978) beschrieben das<br />
velocardiofaciale Syndrom (auch Sphrintzen Syndrom). Dazu gehören<br />
Gesichtsdysmorphien, angeborene Herzfehler, Gaumenspalte <strong>und</strong><br />
Lernschwierigkeiten.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 78<br />
Seitdem 1981 erstmals ein cytogenetischer Nachweis bei einem DGS-<br />
Patienten auf dem Chromosom 22 gelang, konnten später auch andere<br />
Mikrodeletionen (VCFS <strong>und</strong> conotruncal anomaly face Syndrom) am gleichen<br />
Genlocus ausgemacht werden (Greenberg, 1993). Um der Heterogenität des<br />
Krankheitsbildes gerecht zu werden, folgte eine zunehmende Differenzierung<br />
in der Beschreibung der Merkmale.<br />
3.3.1 Ätiopathologie des Mikrodeletionssyndroms 22q11<br />
Die Syndromgruppe hat ihren Ursprung in einer Deletion (Stückverlust)<br />
auf dem Band 11 am langen Arm (q) des Chromosoms 22. Es handelt sich<br />
dabei um eine Mikrodeletion. Diese hat zur Folge, dass die Gene der<br />
betroffenen Region nicht wie vorgesehen in zwei Kopien vorliegen<br />
(Haploinsuffizienz). Die Prävalenz wird mit etwa 1: 4000 Lebendgeburten<br />
angegeben, liegt neueren Einschätzungen zu folge jedoch noch deutlich<br />
höher (Bearden et al., 2001). Meist handelt es sich um eine Neumutation, nur<br />
bei 8-28 % liegt eine familiäre Form vor (Ryan et al., 1997). Die Vererbung<br />
erfolgt autosomal dominant.<br />
Es besteht eine embryopathologische Hemmungsfehlbildung. In der<br />
vierten Schwangerschaftswoche wandern Neuralleistenzellen in die dritte <strong>und</strong><br />
vierte Schl<strong>und</strong>tasche, aus deren Geweben später die kardiale conotruncale<br />
Region, der Thymus <strong>und</strong> die Parathyroidea entstehen. Es kommt also zu<br />
Entwicklungsstörungen der Thymusanlage (Ausfall der zellulären Immunität),<br />
der Nebenschilddrüsen (primärer Hypoparathyroidismus) <strong>und</strong> des<br />
Aortenbogens (Kirby, Gale & Stewart, 1983).<br />
Bisher ist unklar, wie viele Gene an der Ausprägung des Phänotyps<br />
beteiligt sind. Es konnte ein Gen (IDD) identifiziert werden (Wadey et al.,<br />
1995), das indirekt an der Steuerung der Herzzellen beteiligt ist (Lindsay et
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 79<br />
al., 1996). Ohta et al. (2000) analysierten den strukturellen Aufbau des<br />
sogenannten RAE28/HPH1-Gens am langen <strong>und</strong> kurzen Arm des<br />
Chromosoms 12 (12pl3 <strong>und</strong> 12q13), das zu einer Gruppe von Genen<br />
(Polycomb group, PC-G) gehört, die wiederum entscheidend am<br />
Transkriptionsprozess der Homeobox (HOX)-Gene beteiligt sind. Diesen wird<br />
eine wesentliche Rolle in der embryonalen Entwicklung zugesprochen. Es ist<br />
daher zu vermuten, dass die Entschlüsselung der genetischen Information<br />
des RAE28/HPH1-Gens zukünftig einen indirekten Beitrag zum Verständnis<br />
des Mikrodeletionssyndrom 22q11-Syndroms leisten wird. Das TBX1-Gen ist<br />
bekannt dafür, dass es für die Herzentwicklung relevant zu sein scheint. Im<br />
Moment handelt es sich bei diesen Entdeckungen jedoch noch um einzelne<br />
Puzzelteile eines sehr komplexen Gesamtbilds in dem es noch so manche<br />
Lücke zu schließen gilt.<br />
Prognostisch wird aufgr<strong>und</strong> der Problematik von einer hohen<br />
Sterblichkeitsrate im frühen Kindesalter ausgegangen, Früherkennung spielt<br />
hier eine maßgebliche Rolle, da bei Kenntnis des Syndroms gut interveniert<br />
werden kann. Etwa ein Drittel der Kinder zeigt jedoch eine unauffällige<br />
körperliche Entwicklung (vgl. Psychrembel, 2002).<br />
3.3.2 Körperlich-medizinische Merkmale<br />
Eine umfassende Beschreibung körperlich-medizinischer Merkmale findet<br />
sich unter anderem in den Informationsheften des Elternvereins KIDS-22q11<br />
e.V. (2001).<br />
Hypokalzämie<br />
Durch die Unterentwicklung der Nebenschilddrüse wird der für den<br />
Kalziumhaushalt relevante Botenstoff Parathormon zu wenig gebildet. In
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 80<br />
Folge wird zuviel Kalzium ausgeschieden, was zu Muskelzittern <strong>und</strong> -<br />
krämpfen sowie zu einer Verkalkung der Nieren führen kann. Therapeutisch<br />
wird hier mit der Gabe von Kalzium behandelt.<br />
Conotruncale Defekte<br />
Unter conotruncalen Defekten versteht man verschiedene Herzfehler, wie<br />
Defekte des rechten oder linken Abflusstraktes sowie der großen Arterien.<br />
Häufig kommt es zu einem unterbrochenen Aortenbogen, zu Fallot`scher<br />
Tetralogie <strong>und</strong> zu Ventrikelseptumdefekten <strong>und</strong> anderen Anomalien. Oftmals<br />
führt erst die Ursachenforschung im Rahmen eines festgestellten Herzfehlers<br />
zur Diagnose eines Mikrodeletionssyndroms 22q11. Kardiologische<br />
Abklärungen <strong>und</strong> gegebenenfalls chirurgische Korrekturen sind erforderlich.<br />
Nieren<br />
Etwa ein Drittel der Kinder zeigt Nierenfehlbildungen in Form von Zysten,<br />
Zusammenwachsungen oder fehlender Niere.<br />
Immunschwäche<br />
Im weiteren Verlauf zeigen sich Gedeihstörungen <strong>und</strong> rezidivierende<br />
Infektionen. In Extremfällen kann eine Thymustransplantation notwendig sein.<br />
Doch meist zeigen die Kinder keinen gravierenden Imm<strong>und</strong>efekte sondern<br />
lediglich eine Infektanfälligkeit, die besonders in den ersten Lebensjahren<br />
zum Trage kommt. Die Zahl <strong>und</strong> Funktion der T-Zellen kann eingeschränkt<br />
sein oder die Produktion von Antikörpern (in den B-Zellen). Lebendimpfstoffe
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 81<br />
können ein Risiko darstellen, deshalb sollte vorher eine Überprüfung der<br />
Immunabwehr erfolgen. Auch Autoimmunerkrankungen (z. B. jugendliches<br />
Gelenkrheuma) treten bei Patienten mit Mikrodeletion 22q11 häufiger auf.<br />
Wachstum<br />
Das Wachstum liegt zunächst im weit unterdurchschnittlichen Bereich,<br />
kann aber in der Entwicklung häufig aufgeholt werden, so dass es bei<br />
Erwachsenen nicht mehr auffällt.<br />
Gesicht<br />
Phänotypisch fallen die Kinder typischerweise durch eine birnenförmige<br />
Nase mit breiter Nasenwurzel, auffälligen Ohren, einem kleinen Unterkiefer<br />
(Mikrogenie), Hypertelorismus, Brechungsfehler des Augapfels <strong>und</strong><br />
ausgedünnte Augenbrauen auf. Die Ausprägung der Dysmorphien kann<br />
jedoch sehr mild ausfallen (siehe Abb. 16).<br />
a b<br />
Abbildung 16: a 16jähriges Mädchen, b 13jähriger Junge mit Mikrodeletion<br />
22q11.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 82<br />
Es kann eine einseitige Schwäche des M<strong>und</strong>winkelmuskels vorliegen, die<br />
beim Schreien zu einem schiefen M<strong>und</strong> führen kann. Als problematischer<br />
erweisen sich typische Fehlbildungen im Gaumenbereich. Seltener kommt es<br />
zu einer offenen Spalte, meist handelt es sich um verdeckte, submuköse<br />
Gaumenspalten. Außerdem kommt es zu einer velopharyngalen Insuffizienz<br />
(Gaumensegelschwäche). Das kann zu Schluckbeschwerden mit Austritt der<br />
Nahrung aus der Nase führen <strong>und</strong> die Artikulationsfähigkeit einschränken.<br />
Die Sprache ist nasal. Durch mangelnde Belüftung im Mittelohr <strong>und</strong> die<br />
Infektanfälligkeit kommt es zu rezidivierenden Otitiden media<br />
(Mittelohrentzündungen).<br />
ZNS<br />
Zu den körperlichen Besonderheiten gehören neben den oben genannten<br />
Merkmalen, auch neurologische Auffälligkeiten <strong>und</strong> strukturelle<br />
Hirnveränderungen. In bildgebenden Verfahren konnten eine deutliche<br />
Vergrößerung der Fissura Sylvii (tiefe Furche zwischen Schläfenlappen sowie<br />
Stirn- <strong>und</strong> Scheitellapen des Gehirns) <strong>und</strong> eine Veränderung<br />
beziehungsweise Verringerung der weißen Substanz festgestellt werden<br />
(Eliez, Schmitt, White & Reiss 2000, Lynch et al., 1995; Mitnick, Bello &<br />
Shprintzen, 1994). Bingham et al. (1997) gingen davon aus, dass einzelne<br />
Gene in der kritischen Region des Syndroms zu einer unterschiedlichen<br />
Entwicklung des linken <strong>und</strong> rechten perisylvischen Cortex führen. Eliez et al.<br />
(2000) berichteten über eine auffällige Asymmetrie des Parietallappens.<br />
Diese Ergebnisse liefern einen Erklärungsansatz für das typische Vorliegen<br />
einer Non-verbal-learning-disorder (NLD) mit deutlich schlechteren visuellen<br />
Teilleistungen im Vergleich zu besseren sprachlichen Leistungen.
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 83<br />
3.3.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten<br />
Laut Eliez et al. (2000) liegen die intellektuellen Kapazitäten der Kinder mit<br />
Mikrodeletion 22q11 zumeist im Bereich der Lernbehinderung bis leichten<br />
geistigen Behinderung. Defizite fanden sich besonders in der motorischen<br />
Entwicklung (bei muskulärer Hypotonie) <strong>und</strong> im Spracherwerb. Swillen et al.<br />
(1999) beschrieben einen kognitiven Phänotyp, der durch Schwächen im<br />
visuomotorischen, visuell-analytischen, visuell-räumlichen <strong>und</strong><br />
psychomotorischen Bereich sowie durch defizitäre visuelle<br />
Aufmerksamkeitsleistungen <strong>und</strong> eine mangelnde kognitive Flexibilität bei der<br />
Bearbeitung neuer Materialien, charakterisiert wird. Individuelle Stärken<br />
fanden sich dagegen in der auditiv-verbalen Merk- <strong>und</strong> Lernfähigkeit <strong>und</strong> im<br />
verbalen Bereich. Bearden et al. (2001) beobachteten signifikante Defizite in<br />
der visuell-räumlichen Merkfähigkeit, die sich auch im mathematischen<br />
Bereich <strong>und</strong> in der visuell-räumlichen Wahrnehmung niederschlagen würden.<br />
Diese Ergebnisse lassen sich zum Profil einer sogenannten Non-Verbal-<br />
Learning-Disorder (NLD, vgl. Rourke 1989, 1995) zusammenfassen. Die<br />
Sprache ist stark durch anatomisch bedingte Artikulationsstörungen, aber<br />
auch durch Entwicklungsverzögerungen, beeinträchtigt. Die Intelligenzwerte<br />
lagen Studien zufolge im Durchschnitt bei IQ 72, mit einer Schwankung von<br />
IQ 42 bis 92. Es ergab sich in Wechsler-Tests eine ähnliche Verteilung. Es<br />
besteht eine Tendenz, dass Patienten mit de novo-Mutation variablere <strong>und</strong><br />
etwas höhere Intelligenzwerte erreichten, als die mit familiärer Form<br />
(Sarimski, 2003).<br />
Im klinischen Alltag fallen Kinder mit Mikrodeletion 22q11 häufig durch ihr<br />
besonders schüchternes, introvertiertes <strong>und</strong> antriebsarmes Verhalten auf.<br />
Von Erwachsenen Menschen mit dem Syndrom ist bekannt, dass der<br />
Übergang in die Selbständigkeit, trotz vergleichsweise milder kognitiver<br />
Einschränkungen, stark erschwert ist. Erfahrungsgemäß kann beobachtet
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 84<br />
werden, dass gerade zwischen Kindern mit Mikrodeletion 22q11 <strong>und</strong> ihren<br />
Eltern eine stark symbiotische Beziehung entsteht, die dem Erwerb einer<br />
lebenspraktischen Selbständigkeit zusätzlich behindert. Es gibt auch Studien<br />
die zeigen, dass eine etwas erhöhte Vulnerabilität für Gemütserkrankungen<br />
wie Depression <strong>und</strong> Schizophrenie besteht (Rauch & Kubben, 2001).<br />
Papolos et al. (1996, zitiert nach Sarimski, 2003) fanden bei 16 von 25<br />
Patienten, die Kriterien einer bipolaren affektiven Störung. Die Rate ist höher<br />
als in der Allgemeinpopulation <strong>und</strong> der Beginn der Erkrankung lag mit<br />
durchschnittlich 12 Jahren niedriger. Swillen et al. (1999) beschreiben Scheu,<br />
soziale Unsicherheit <strong>und</strong> Aufmerksamkeitsprobleme. Ängstliche <strong>und</strong><br />
depressive Merkmale nehmen nach den Kriterien der Child Behavior<br />
Checklist (CBCL) mit dem Alter zu. In der Beziehung zu Gleichaltrigen fällt es<br />
den Betroffenen schwer, sich zu behaupten <strong>und</strong> es zeigt sich ein sozialer<br />
Rückzug. Allerdings zeigen sich im Vergleich zu Kontrollgruppen mit Lern<strong>und</strong><br />
Sprachbeeinträchtigungen anderer Ursachen keine signifikanten<br />
Unterschiede (Sarimski, 2003).<br />
Bei Óskarsdóttir, Persson, Eriksson & Fasth (2005), findet sich eine ganz<br />
aktuelle Veröffentlichung zu einer Studie an 100 Patienten mit<br />
Mikrodeletionssyndrom 22q11. Ziel der Studie war es, typische Merkmale der<br />
22q11-Deletion zu beschreiben, um einen Diagnoseleitfaden zu erstellen, der<br />
anschließend eine humangenetische Abklärung ermöglicht. Dabei wurden die<br />
bereits bekannten acht Kriterien-Kategorien aufgestellt:<br />
Herzfehler, Thymushypoplasie/Immunschwäche, Hyperkalzämie,<br />
Ernährungsprobleme, Gaumenspalte/Sprachstörung, Entwicklungsverzögerung/Lernschwäche,<br />
charakteristische Dysmorphien <strong>und</strong> andere<br />
Fehlbildungen.<br />
92 % hatten Herzfehler, 25 Patienten zeigten eine Gaumenspalte <strong>und</strong><br />
44 hatten andere Fehlbildungen. Alle wiesen mehrere der oben genannten<br />
Kriterien auf. Die meisten Patienten zeigten Sprachstörungen,
Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 85<br />
Entwicklungsverzögerungen oder Lernbehinderungen <strong>und</strong> häufige<br />
Infektionen. Alle wiesen leichte Dysmorphien auf. Daraus ziehen die Autoren<br />
den Schluss, dass trotz eines variablen klinischen Erscheinungsbildes,<br />
Kinder mit 22q11-Deletion weitgehende Übereinstimmungen <strong>und</strong> damit einen<br />
charakteristischen Phänotyp aufweisen. Als problematisch sehen sie, dass<br />
Kinder ohne Herzfehler häufig nicht oder viel zu spät der Syndromgruppe<br />
zugeordnet werden. Sie raten daher zu einer erhöhten Wachsamkeit <strong>und</strong><br />
Aufklärung innerhalb der Gruppe von Kinderärzten <strong>und</strong> anderen<br />
Bezugspersonen, um eine frühe Diagnosestellung zu ermöglichen.
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 86<br />
II EMPIRISCHER TEIL<br />
4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des<br />
Forschungsvorhabens<br />
Die Doktorarbeit basiert zum großen Teil auf Daten, die im Rahmen des<br />
Forschungsvorhabens „Bestimmung von kognitiven Phänotypen genetischer<br />
Syndrome im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter“, unterstützt durch die Kommission<br />
des Akademischen Senates für Forschungsplanung <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs (FNK) der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong>, erhoben wurden. Die Förderung<br />
in Form von Hilfskraftgeldern, bezog sich auf das Haushaltsjahr 2000/2001<br />
<strong>und</strong> diente als Anschubförderung für neue Forschungskooperationen<br />
zwischen der Kinderambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong>, Kinderärzten <strong>und</strong><br />
humangenetischen Instituten. Während dieses Projekts, das von den<br />
Betreuern dieser Arbeit, Herrn Prof. Dr. Petermann <strong>und</strong> Herrn<br />
Hochschuldozent Dr. Heubrock, geleitet wurde, wurden Kontakte zu<br />
Kinderärzten, Fachärzten für Humangenetik <strong>und</strong> Eltern-Selbsthilfegruppen<br />
hergestellt, die daraufhin Kinder mit diversen genetischen Syndromen zur<br />
neuropsychologischen Diagnostik vorstellten, die dann im Zuge des<br />
Promotionsvorhabens in den folgenden Jahren untersucht wurden.<br />
Es wurden insgesamt<br />
� 129 Praxen <strong>und</strong> Ärzte für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e,<br />
� 11 niedergelassene Fachärzte für Humangenetik,<br />
� Fachärzte anderer Disziplinen,<br />
� 10 Kliniken <strong>und</strong> Klinikabteilungen sowie<br />
� 12 Selbsthilfeverbände
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 87<br />
gezielt angeschrieben, über das Forschungsvorhaben informiert <strong>und</strong> um<br />
Kooperation gebeten. Die aktive Bereitschaft zur Zusammenarbeit ergab sich<br />
zum Teil von ärztlicher Seite, besonders hervorzuheben ist in diesem<br />
Zusammenhang Frau Privatdozentin Dr. med. Spranger, Fachärztin für<br />
Humangenetik in <strong>Bremen</strong>, aber hauptsächlich durch die Selbsthilfeverbände<br />
betroffener Eltern.<br />
Unter den kontaktierten Selbsthilfeverbänden waren vertreten:<br />
� der B<strong>und</strong>esverband Williams-Beuren-Syndrom e.V.,<br />
� die Deutsche Klinefelter-Syndrom Vereinigung e.V.,<br />
� die Elterninitiative Apert-Syndrom e.V.,<br />
� die Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V.,<br />
� die Prader-Willi-Syndrom-Vereinigung Deutschland e.V.,<br />
� die Selbsthilfegruppe Cri-du-Chat-Syndrom <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong><br />
� die Von-Recklinghausen-Gesellschaft e.V.<br />
Ziel der vorgenommenen Diagnostiken war es, Untersuchungen zu<br />
interindividuellen kognitiven Phänotypen bei ausgewählten Syndromen zu<br />
ermöglichen. In Gegenleistung für die Mitarbeit erhielten die Eltern eine<br />
Beratung zu den individuellen Ressourcen der Kinder <strong>und</strong> zu<br />
Fördermöglichkeiten. Es wurden durch die Autorin <strong>und</strong> Hilfskräfte insgesamt<br />
59 Diagnostiken vorgenommen. Im Rahmen dieser Dissertation erfolgt eine<br />
Beschränkung auf die Ergebnisse für die größten resultierenden Stichproben:<br />
zum Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom als kraniofaciale Fehlbildungssyndrome (N<br />
= 11), zum Fragilen-X-Syndrom (N = 11) <strong>und</strong> zum Mikrodeletionssyndrom<br />
22q11 (N = 10).<br />
Der Eigenanteil <strong>und</strong> Vorarbeiten der Verfasserin an diesem Projekt
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 88<br />
enthielten:<br />
• ausgedehnte Literaturrecherchen,<br />
• die Erarbeitung klinischer Erfahrung in der ambulanten<br />
Kinderneuropsychologie,<br />
• die Erstellung eines neuropsychologischen Screeningverfahrens für<br />
das Williams-Beuren-Syndrom (WBS) im Rahmen einer Diplomarbeit<br />
(Lepach, 1999),<br />
• die Mitarbeit an der Kontaktanbahnung zu Kooperationspartnern<br />
(FNK-Studie),<br />
• an der Zusammenstellung einer teilstandardisierten Testbatterie,<br />
• der Entwicklung eines Elternfragebogens <strong>und</strong><br />
• der Entwicklung eines Ratingverfahrens zur Verhaltensbeobachtung<br />
• das Führen von Anamneseerhebungen, Bef<strong>und</strong>- <strong>und</strong><br />
Beratungsgesprächen,<br />
• die neuropsychologische Diagnostik <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>erstellung,<br />
• die statistische Auswertung von Einzelfällen <strong>und</strong> Syndromgruppen,<br />
• die Mitarbeit an der Erstellung von Veröffentlichungen,<br />
• <strong>und</strong> unter der Leitung von Herrn Hochschuldozent Dr. D. Heubrock<br />
<strong>und</strong> Herrn Prof. Dr. F. Petermann, die Betreuung von<br />
projekteingeb<strong>und</strong>enen ehemaligen Hilfskräften <strong>und</strong> Praktikantinnen.<br />
4.1 Untersuchungsdesign der neuropsychologischen Testbatterie<br />
Die Kinder der entsprechenden Syndromgruppen wurden<br />
neuropsychologisch untersucht. Die neuropsychologische Diagnostik<br />
beinhaltete eine ausführliche Anamneseerhebung <strong>und</strong> Exploration der Eltern<br />
<strong>und</strong> erfolgte mit einer speziell zusammengestellten, alters- <strong>und</strong> testbedingt<br />
teilstandardisierten Testdiagnostik, einer videogestützten<br />
Verhaltensbeobachtung mit anschließendem Expertenrating sowie anhand<br />
von speziell erstellten Elternfragebögen. Eine Übersicht der verwendeten
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 89<br />
Testverfahren findet sich in Tabelle 3. Die Teilnahme am Projekt war an das<br />
Einverständnis zur Nutzung der gewonnen Daten <strong>und</strong> Bilder geknüpft (siehe<br />
Anhang A).<br />
Tabelle 3: Ressourcenorientiert angewandte Testverfahren<br />
Funktion Testverfahren/<br />
Unterskalen/-tests<br />
Intelligenz KAUFMAN-<br />
Assessment Battery<br />
for Children<br />
(bei älteren Hamburg-<br />
Kindern)<br />
WECHSLER-<br />
Intelligenztest für<br />
Kinder<br />
(bei älteren<br />
Jugendlichen <strong>und</strong><br />
Erwachsenen)<br />
(Differenzierung<br />
unterer<br />
Intelligenzgrade)<br />
Entwicklung<br />
(ergänzende<br />
Einschätzung bei<br />
unter 6- Jährigen)<br />
Hamburg-<br />
WECHSLER-<br />
Intelligenztest für<br />
Erwachsene<br />
Testbatterie für<br />
Geistig Behinderte<br />
Kinder<br />
Abkürzung/<br />
Autoren<br />
K-ABC<br />
Kaufman & Kaufman<br />
(1994)<br />
HAWIK-R<br />
Tewes (1994)<br />
HAWIK-III<br />
Tewes, Rossmann &<br />
Schallberger (2000)<br />
HAWIE-R<br />
Tewes (1991)<br />
TBGB<br />
Bondy, Cohen, Eggert &<br />
Lüer (1975).<br />
Entwicklungstest 6-6 ET 6-6<br />
Petermann <strong>und</strong> Stein<br />
(2000a, 2000b).<br />
An den individuellen Ressourcen orientierte Ergänzung<br />
Merk- <strong>und</strong><br />
Lernfähigkeit<br />
Visuell-figural Diagnosticum für<br />
Cerebralschädigung<br />
Auditiv-verbal Auditiv-Verbaler-<br />
Lerntest<br />
Räumlich- Abzeichentest für<br />
konstruktive Kinder<br />
Leistungen <strong>und</strong><br />
Graphomotorik<br />
Psychomotorik Wiener Reaktions<strong>und</strong>Determinationsgerät<br />
DCS<br />
Weidlich & Lamberti<br />
(1993)<br />
AVLT<br />
Heubrock (1992, 1994)<br />
ATK<br />
Heubrock, Eberl &<br />
Petermann (2004)<br />
WRG/WDG<br />
Wiener Testsystem<br />
(WTS) Schuhfried (1994)<br />
Alter<br />
2;6 bis<br />
12;5<br />
Jahre<br />
6;0 bis<br />
16;11<br />
Jahre<br />
16-74<br />
Jahre<br />
7-12<br />
Jahre<br />
6<br />
Monate<br />
bis 6<br />
Jahre<br />
6-79<br />
Jahre<br />
7-26<br />
Jahre<br />
7-12<br />
Jahre<br />
5(9)-70<br />
Jahre<br />
(abhängig<br />
vom<br />
Untertest)
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 90<br />
Funktion Testverfahren/<br />
Unterskalen/-tests<br />
Aufmerksamkeit Untertests aus der<br />
Testbatterie zur<br />
Aufmerksamkeitsprüfung<br />
Abkürzung/<br />
Autoren<br />
TAP<br />
Fimm & Zimmermann<br />
(1993)<br />
Praxie/Motorik Apraxiefragebogen Brown (1960), Rothi,<br />
Raymer & Heilman<br />
orientierende<br />
Überprüfung der<br />
motorischen<br />
Funktionen<br />
(„Hampelmann“-<br />
Sprung,<br />
Einbeinstand,<br />
Balancieren etc.).<br />
(1997).<br />
4.2 Verhaltensbeobachtungsbogen (VB/KGS)<br />
Alter<br />
6-90<br />
Jahre<br />
(abhängig<br />
vom<br />
Untertest)<br />
k. A.<br />
Zusätzlich zur Testdiagnostik erfolgte eine videounterstützte<br />
Verhaltensbeobachtung, die anschließend im Rahmen eines erstellten<br />
Verhaltensbeobachtungsbogens durch Expertenrating zu einer Einschätzung<br />
des Verhaltens auf vorher definierten Ebenen führte. Zur Erfassung des<br />
Verhaltens der Kinder wurde im Rahmen des Projektes ein<br />
Verhaltensbeobachtungsbogen für Kinder mit genetischen Syndromen<br />
(VB/KGS) nach Heubrock, Lepach, Lex <strong>und</strong> Petermann (unveröff.) entwickelt<br />
(siehe Anhang B). Erfasst wurden in Anlehnung an Sarimski (2000) die<br />
Ebenen:<br />
� „soziales Verhalten“ (10 Items),<br />
� „körperliche Bewegung“ (4 Items),<br />
� „unübliche Bewegungen <strong>und</strong> Interessen“ (7 Items),<br />
� „selbstverletzendes <strong>und</strong> aggressives Verhalten“ (5 Items) <strong>und</strong>
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 91<br />
� „Stimmung“ (7 Items).<br />
Hierbei wurde für jedes Item eine Bewertung anhand der<br />
Auftretenshäufigkeit („immer“, „häufig“, „manchmal“, „selten“, „nie“)<br />
vorgenommen. Es wurde für jedes Item eine Punktevergabe von mindestens<br />
einem bis maximal fünf Punkten hinsichtlich der „Erwünschtheit“ des<br />
gezeigten Verhaltens vorgenommen, so dass insgesamt ein Maximalwert von<br />
165 Punkten <strong>und</strong> ein Minimalwert von 33 Punkten erreicht werden kann.<br />
Erwünschte beziehungsweise unauffällige Verhaltensweisen erhielten bei der<br />
Bewertung die höchste Punktzahl. Der VB/KGS wurde von den geschulten<br />
Untersuchern unter Berücksichtigung von erfahrungsbedingten<br />
Vergleichswerten <strong>und</strong> im Gesamtkontext der Untersuchung ausgefüllt. So<br />
war gewährleistet, dass das jeweilige Alter der Patienten berücksichtigt<br />
wurde <strong>und</strong> beispielsweise eine "ziellose Aktivität" bei Kleinkindern anders<br />
bewertet wurde, als bei älteren Kindern. Bei der Bewertung der Ergebnisse<br />
wurde vorläufig ein Cut off-Wert von 80% des Maximalwerts angesetzt. Das<br />
bedeutet, dass alle Werte unter 80% interpretierbedürftig sind.<br />
4.3 Elternfragebogen (E-FB/KGS)<br />
Ein ebenfalls für das Projekt entwickelter Elternfragebogen (E-FB/KGS)<br />
nach Heubrock, Lepach, Lex <strong>und</strong> Petermann (unveröff., siehe Anhang C)<br />
wurde in Anlehnung an Sarimski (2000) <strong>und</strong> an bereits bestehende<br />
Fragebögen zu sozial-emotionaler Entwicklung <strong>und</strong> Reife, wie der Kurzform<br />
der Vineland Social Maturity Scale (VSMS), welche Bestandteil der bereits<br />
erwähnten Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB) ist, verwandt,<br />
um die Bereiche:<br />
� „praktische Tätigkeiten“ (17 Items),
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 92<br />
� „sprachliche Fertigkeiten“ (12 Items),<br />
� „soziale Fertigkeiten/Verhalten“ (22 Items) <strong>und</strong><br />
� „körperliche Besonderheiten“(16 Items)<br />
dichotom („Ja“- oder „Nein“-Antworten) abzufragen. Die Auswertung orientiert<br />
sich wieder an der Erwünschtheit des Verhaltens beziehungsweise des<br />
Merkmals (1 = erwünscht, bzw. unauffällig, Maximalwert = 67; 0 =<br />
unerwünscht, bzw. auffällig, Minimalwert = 0).<br />
Hinsichtlich der Bewertung besteht in den ersten beiden Bereichen<br />
(„praktische Tätigkeiten“ <strong>und</strong> „sprachliche Fertigkeiten“) die Gefahr, dass vor<br />
allem die jüngeren Kinder benachteiligt werden. So wurden beispielsweise<br />
die Items „...kleidet sich ohne Hilfe an <strong>und</strong> aus" erst ab einem Alter von 4;0<br />
Jahren oder „...verrichtet die eigene Körperpflege selbständig" erst ab 5;0<br />
Jahren gefordert. Sprachliche Fertigkeiten, wie „...antwortet <strong>und</strong> fragt<br />
kontextbezogen" sind ab einem Alter von 3;0 Jahren zu erwarten,<br />
wohingegen „...spricht grammatikalisch richtig <strong>und</strong> vollständig" erst für Kinder<br />
ab sechs Jahren gilt.<br />
Die Ergebnisse der Elternfragebögen wurden gewichtet, um eine<br />
Alterskorrektur vornehmen zu können. Die Gewichtung erfolgte nach<br />
kollegialer Supervision innerhalb des Zentrums für Klinische Psychologie <strong>und</strong><br />
Rehabilitation (ZKPR) der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong> nach Einblick in<br />
unveröffentlichte Daten des ET 6-6-Normierungsdatensatzes sowie in<br />
veröffentlichte Daten (Petermann & Stein, 2000b).<br />
Bei der Bewertung der Ergebnisse wurde, wie beim VB/KGS vorläufig ein<br />
Cut off-Wert von 80% des Maximalwerts angesetzt. Das bedeutet, dass alle<br />
Werte unter 80% interpretierbedürftig sind.
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 93<br />
4.4 Störvariablen im Untersuchungsdesign<br />
Um eine bessere Vergleichbarkeit von Testergebnissen zu haben <strong>und</strong><br />
damit ein eindeutigeres methodisches Design, wäre eine strikte<br />
Einschränkung der Alterklasse sinnvoll gewesen. Zunächst war daher für das<br />
beschriebene Projekt geplant, nur Kinder <strong>und</strong> Jugendliche im Alter von 6;0<br />
bis 17;11 Jahren zu untersuchen. Für diese Altersspanne existieren sowohl<br />
ausreichend Tests zur Erhebung neuropsychologischer Parameter, als auch<br />
Normen, die den Vergleich mit der jeweiligen Altersklasse erlauben.<br />
Da das Projekt aber eine Pilotstudie mit begrenzten finanziellen,<br />
infrastrukturellen <strong>und</strong> personellen Mitteln <strong>und</strong> die Resonanz zunächst schwer<br />
einzuschätzen war, konnte eine so strikte Begrenzung nicht aufrechterhalten<br />
werden. Außerdem wurde von betroffenen Eltern immer wieder der Wunsch<br />
an uns herangetragen, auch jüngere Kinder zu untersuchen. Deshalb wurden<br />
auch Kinder unter 6;0 Jahren in die Untersuchungen mit einbezogen. Aus<br />
diesem Gr<strong>und</strong>e wurde der Entwicklungstest 6-6 (ET 6-6) dem Design<br />
hinzugefügt <strong>und</strong> der unter Punkt 4.3 beschriebene Elternfragebogen nach<br />
entwicklungspsychologischen Kriterien altersgemäß gewichtet.<br />
Unabhängig vom Alter war es aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher<br />
Entwicklungsstände, Leistungsmöglichkeiten <strong>und</strong> Compliance notwendig, die<br />
Durchführung der Tests individuell flexibel zu handhaben. Das grenzte die<br />
Anzahl der vergleichbaren Daten bei ohnehin relativ kleinem<br />
Stichprobenumfang weiter ein.<br />
Ethisch-moralisch schien dieses Vorgehen aber korrekt, da die<br />
Untersuchungen den Kindern gerecht werden sollten. So kamen<br />
beispielsweise bei schwer sprachgestörten Patienten nur die nonverbalen<br />
Untertests aus der Kaufman-Assessment-Battery for Children (K-ABC) zum<br />
Einsatz oder es wurde individuell durch andere Verfahren ergänzt. Bei sehr<br />
stark retardierten Kindern konnten die Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten<br />
manchmal nur durch eine ausführliche Verhaltensbeobachtung eingeschätzt
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 94<br />
werden.<br />
Da die Expertenratings immer von den gleichen Untersuchern<br />
vorgenommen wurden, konnten hier Versuchsleitereffekte minimiert werden.<br />
Die bei der Anwendung von Testverfahren immer bestehenden<br />
Versuchsleitereffekte konnten ebenfalls dadurch reduziert werden, dass die<br />
Hauptuntersucher, die Autorin <strong>und</strong> die damalige Hilfskraft Frau Dipl.-Psych.<br />
Lex, in der gleichen Einrichtung nach dem gleichen Schema ausgebildet <strong>und</strong><br />
supervidiert wurden <strong>und</strong> als eingespieltes Arbeitsteam im permanenten<br />
Austausch standen.<br />
4.5 Ziele <strong>und</strong> Hypothesen<br />
Im Rahmen des hier vorgestellten Forschungsvorhabens sollen<br />
Erkenntnisse über die Auswirkungen der ausgewählten genetischen<br />
Syndrome auf die kognitive Entwicklung <strong>und</strong> das Verhalten betroffener Kinder<br />
gewonnen werden. Diese Erkenntnisse sollten hinsichtlich ihrer Spezifität<br />
innerhalb der jeweiligen Syndromgruppe <strong>und</strong> in Abgrenzung zu den anderen<br />
Syndromgruppen überprüft werden <strong>und</strong> wenn möglich, zur Erstellung von<br />
Screeningverfahren <strong>und</strong> perspektivisch zu Therapie- <strong>und</strong><br />
Förderempfehlungen führen. Dies soll zu einem besseren Verständnis der<br />
Genotyp-Phänotyp-Beziehungen <strong>und</strong> zu einer Verringerung der Zahl nicht<br />
oder falsch diagnostizierter Syndrome beitragen, deren Besonderheiten<br />
frühzeitig erkennbar machen, um ihnen mit gezielten therapeutischen<br />
Maßnahmen begegnen zu können.<br />
Die Ziele basieren auf der Annahme, dass spezifische<br />
neuropsychologische Leistungsprofile <strong>und</strong> Verhaltensweisen vorliegen, die<br />
sich innerhalb der vier Syndromgruppen unterscheiden. Da für alle Kinder<br />
Intelligenzwerte erhoben wurden, während die sonstigen
Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 95<br />
Diagnostikbestandteile sehr uneinheitlich durchgeführt werden konnten <strong>und</strong><br />
für E-FB/KGS <strong>und</strong> VB/KGS keine endgültige Normierung vorliegen, soll dies<br />
in Bezug auf das Merkmal Intelligenzverteilung statistisch geprüft werden. Da<br />
es sich um eine Pilotstudie mit relativ kleinem Stichprobenumfang handelt,<br />
kann jedoch nur von der Ermittlung <strong>und</strong> Darstellung von Tendenzen<br />
ausgegangen werden. Die aufgestellten Hypothesen (H0, H1) werden in<br />
Tabelle 4 dargestellt.<br />
Tabelle 4: Hypothesen der Doktorarbeit<br />
Ho<br />
H1<br />
Hypothesen<br />
„Es finden sich keine signifikanten Differenzen für die<br />
Intelligenzverteilungen in den vier Syndrompopulationen<br />
(Apert-, Crouzon-, Fragiles-X-Syndrom <strong>und</strong><br />
Mikrodeletionssyndrom 22q11)“.<br />
„Die Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik zeigen<br />
signifikante Unterschiede in der zentralen Tendenz der<br />
Intelligenzverteilung für die vier Syndrompopulationen (Apert-,<br />
Crouzon-, Fragiles-X-Syndrom <strong>und</strong> Mikrodeletionssyndrom<br />
22q11)“.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 96<br />
5 Ergebnisse der Forschungsarbeit<br />
Es erfolgt zunächst die Darstellung exemplarischer neuropsychologischer<br />
Bef<strong>und</strong>e, der von uns untersuchten Kinder (sämtliche Namen wurden<br />
geändert). Nähere Angaben <strong>und</strong> Zitierhinweise zu den angegebenen<br />
Testverfahren sind den Tabellen 1 <strong>und</strong> 3 zu entnehmen. Anschließend<br />
werden die Intelligenzverteilung <strong>und</strong> weitere ausgewählte Ergebnisse<br />
zunächst für die einzelnen Syndromgruppen <strong>und</strong> dann vergleichend<br />
dargestellt <strong>und</strong> interpretiert. Da eine statistische Darstellung aller fakultativ<br />
durchgeführten Tests den Rahmen der Arbeit überschreiten würden <strong>und</strong><br />
aufgr<strong>und</strong> minimaler Stichprobengröße auch nur individuelle Aussagekraft<br />
haben, sei diesbezüglich auf die Fallbeispiele verwiesen.<br />
5.1 Ergebnisse zum Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom<br />
Es wurden acht Kinder mit Apert-Syndrom <strong>und</strong> drei Kinder mit Crouzon-<br />
Syndrom in die Studie aufgenommen. Die Altersspanne lag zwischen 4;11<br />
Jahren <strong>und</strong> 15;1 Jahren (Apert-Syndrom) <strong>und</strong> zwischen 2;6 <strong>und</strong> 4;4 Jahren<br />
(Crouzon-Syndrom). Dabei befand sich unter den Crouzon-Kindern ein<br />
männliches Zwillingspaar (2;6 J.).<br />
5.1.1 Fallbeispiele<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Veronika, 8;5 Jahre (Apert Syndrom)<br />
Bei Veronika wurde in der U3 ein Apert-Syndrom als gesichert<br />
diagnostiziert. Weiterhin liegen Diagnosen einer Balkenagenesie (Agenesie<br />
des Corpus Callosum, ACC, siehe Tab. 2), eines Strabismus, einer<br />
Entwicklungsretardierung, einer expressiven Sprachstörung <strong>und</strong> eines<br />
Anfallsleidens (Absence-Epilepsie) vor.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 97<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Kaufman-Assessment Battery for Children (K-ABC) nach Raven,<br />
komplexe Aktionstestserie am Wiener Determinationsgerät (WDG),<br />
Zahlenverbindungstest (ZVT) nach Oswald <strong>und</strong> Roth, Auditiv-Verbaler<br />
Lerntest (AVLT) nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />
Heubrock et al., Testbatterie zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung<br />
(VOSP) nach Warrington <strong>und</strong> James, Prüfung der Rechts-Links-<br />
Differenzierung nach Benton, Testbatterie für geistig Behinderte (TBGB) nach<br />
Bondy et al., diverse orientierende Prüfverfahren (Mal-, <strong>und</strong> Schreibprobe,<br />
Apraxie-Prüfung nach Brown).<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />
Veronikas Lateralität ist linkshändig. Der Aufforderung, den eigenen<br />
Namen <strong>und</strong> die Adresse auf ein unliniertes Blatt zu schreiben, folgte<br />
Veronika, indem sie die Angaben oben auf das Blatt schrieb. Die Schriftprobe<br />
ergab ein graphomotorisch zittriges Schriftbild, bei dem die Buchstabengröße<br />
wechselte <strong>und</strong> der Namenszug von links oben nach rechts unten abfiel. Dazu<br />
zeichnete Veronika nach Aufforderung ein Haus. Die Darstellung fiel grob<br />
strukturiert aus. Einen Rand des Blattes bezog sie als Boden mit ein. Auffällig<br />
waren hier die Größenverhältnisse zwischen Fenster <strong>und</strong> Tür, sowie ein<br />
rechtwinklig ans Dach angesetzter Schornstein.<br />
Veronikas allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit entspricht einem<br />
insgesamt unterdurchschnittlichen Gesamtresultat (K-ABC). Innerhalb<br />
Veronikas individuellen Leistungsprofils zeigte sich ein inhomogenes<br />
Abschneiden bezüglich der sprachbezogenen Leistungen (Fertigkeitenskala)<br />
<strong>und</strong> der Problemlösungsanforderung unter Einbezug visuell-figuraler<br />
Leistungen <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen (SIF). Im Bereich der Fertigkeiten<br />
liegen die Ergebnisse im Bereich der mittelgradigen geistigen Behinderung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 98<br />
Hier ist davon auszugehen, dass häufige Hospitalisierungen <strong>und</strong> eine<br />
erhöhte Ablenkbarkeit ihren Teil zur Entwicklungsverzögerung beigetragen<br />
haben. Bei den intellektuellen Fähigkeiten erhielt Veronika Werte, die im<br />
Bereich der leichten geistigen Behinderung liegen. Hier konnte sie nur im<br />
Bereich der akustischen Merkfähigkeit (Zahlennachsprechen) einen<br />
altersgemäßen Wert erreichen.<br />
Sollte Veronika Reize visuell erfassen, sie sich merken <strong>und</strong> motorisch<br />
reproduzieren, tat sie sich schwer. Weitere Tests, die die visuelle Analyse<br />
<strong>und</strong> die räumlich-konstruktiven Fähigkeiten überprüfen, bestätigten diesen<br />
Eindruck. So gelang es ihr kaum, Dreiecke nach Vorgabe<br />
zusammenzubauen; auch nicht, als sie diese direkt auf der Vorlage<br />
zusammensetzen durfte. Das Ordnen von Bildern in eine richtige Reihenfolge<br />
gelang ihr gar nicht (Fotoserie). Im Bereich der Objekt- <strong>und</strong><br />
Raumwahrnehmung (VOSP) konnte sie in keinem der neun Untertests den<br />
Anforderungen genügen; das Abzeichnen von Mustern nach Vorlage (ATK)<br />
zeigte ebenfalls erhebliche Auffälligkeiten.<br />
Um den Eindruck einer leichten bis mittelgradigen geistigen Behinderung<br />
zu überprüfen, wurde zusätzlich die Testbatterie für geistig Behinderte<br />
hinzugezogen. In den Untertests, die logisch schlussfolgerndes Denken<br />
(CMM), die allgemeine Intelligenz (BM+CM) <strong>und</strong> den Wortschatz (PPVT)<br />
erfassen, erreichte sie - im Bereich der geistigen Behinderung - gut<br />
durchschnittliche Werte. Beim Untertest BM+CM war auffällig, dass Veronika<br />
teilweise nicht die Lösung zeigte, die die Vorgabe vervollständigt hätte,<br />
sondern eine, die das Gesamtbild darstellte.<br />
Der Untertest, der in diesem Verfahren die Merkfähigkeit misst, ist das<br />
Befolgen von Anweisungen (BA). Hier erreichte Veronika zwar auch<br />
durchschnittliche Werte, jedoch war die Durchführung schwierig, da Veronika<br />
sich ständig anderen Reizen zuwandte <strong>und</strong> so nicht alle Anweisungen<br />
vollständig verstehen konnte. Bei der Durchführung dieses Tests konnte eine
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 99<br />
Absence beobachtet werden.<br />
Die schlechtesten Leistungen erbrachte sie hier im Untertest Kreise<br />
punktieren, der ein Maß für die feinmotorische Koordination ist. Nicht einzig<br />
ihre bestehende Syndaktylie trug dazu bei, sondern auch, dass Veronika die<br />
Kreise nicht mit einem Punkt sondern mit Kreisen <strong>und</strong> Kringeln versah. Bei<br />
dieser Tätigkeit ließ sie sich auch nicht bremsen, sondern hielt an ihrer<br />
gewählten Arbeitsweise fest.<br />
Auch im Bereich der visuomotorischen Koordination (ZVT) fiel diese<br />
mangelnde kognitive Fähigkeit auf. Hier hielt sich Veronika ebenfalls nicht an<br />
die Instruktion, sondern verband die Linien gr<strong>und</strong>sätzlich von links nach<br />
rechts, so dass eine Auswertung dieses Tests unmöglich war.<br />
Ebenfalls nicht auswertbar ist ihre auditive verbale Merk- <strong>und</strong><br />
Lernfähigkeit (AVLT; hier: gekürzte Liste). Von 10 Wörtern, die ihr vorgelesen<br />
wurden, konnte sie in jedem Durchgang höchstens 2 wiederholen, so dass<br />
der Test nach dem vierten Durchgang abgebrochen wurde. Auch bei der<br />
Wiedererkennungsleistung reproduzierte Veronika nur ein richtiges Wort.<br />
Im Bereich der psychomotorischen Koordination (WDG) wurden nur<br />
unzureichende Werte erzielt, da Veronika nicht am Gerät arbeitete, sondern<br />
ständig aufstand, um hinter das Gerät zu blicken.<br />
Die Überprüfung ihrer motorischen Funktionen zeigte eine verminderte<br />
Gesamtkörperkoordination, die Apraxie-Prüfung musste aufgr<strong>und</strong> ihres<br />
Verweigerungsverhaltens nach der Hälfte abgebrochen werden.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Während der mehrstündigen Untersuchung zeigte sich Veronika nur<br />
manchmal kooperativ. Auffällig waren ihre Stimmungsschwankungen. So<br />
zeigte sie sich einerseits fre<strong>und</strong>lich, wurde aber andererseits auch schnell<br />
wütend <strong>und</strong> aggressiv, wenn sie ihre Wünsche nach freiem Spiel nicht<br />
durchsetzen konnte. Jeglichen Anforderungen versuchte sie durch ein
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 100<br />
perseverierendes “ich kann nicht mehr” oder “ich bin schon kaputt” aus dem<br />
Weg zu gehen, brachte dennoch viel Energie auf, um Spielsachen aus den<br />
Regalen zu räumen. Versuchte man sie, zum Tisch zurückzuführen, wurde<br />
sie weinerlich oder beharrte stur auf ihren momentanen Aktivitäten. Veronika<br />
ist leicht ablenkbar <strong>und</strong> unkonzentriert, konnte daher die Ausdauer, ganze<br />
Aufgabenreihen zu bearbeiten, nicht aufbringen. Ihre Ablenkbarkeit <strong>und</strong> das<br />
geringe Durchhaltevermögen brachte sie auch dazu, unangemessene<br />
Antworten zu geben, um so neue Anforderungen zu vermeiden. Auffällig war<br />
auch ihr geringes Instruktionsverständnis, daher brauchte sie für jede<br />
Aufgabe eine erneute Anleitung.<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Die ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik erbrachte<br />
ein insgesamt unterdurchschnittliches Intelligenzniveau im Sinne einer<br />
leichten bis mittelgradigen geistigen Behinderung. Massive Probleme<br />
bestehen in der visuellen Analyse <strong>und</strong> den räumlich-konstruktiven<br />
Leistungen. Veronikas geringe Aufmerksamkeitsspanne, die ihr ein<br />
kontinuierliches Lernen unmöglich macht, steht im Vordergr<strong>und</strong> der<br />
Problematik. Ursache dafür könnte der Balkenmangel sein, der mit<br />
Aufmerksamkeitsproblematiken, erhöhter motorischer Aktivität, kognitiven<br />
Leistungseinbußen <strong>und</strong> emotionalen Problemen einhergeht. Zu<br />
berücksichtigen ist ebenfalls ihr Anfallsleiden. Laut Vorbef<strong>und</strong> treten bei<br />
Veronika circa einmal monatlich Absencen auf. Da während der<br />
Untersuchung eine Absence beobachtet wurde, ist denkbar, dass die<br />
Frequenz bei Veronika höher ist, jedoch nicht immer von ihrer Umgebung<br />
wahrgenommen wird. Während dieser kurzfristigen Bewusstseinsstörung ist<br />
ihr eine Informationsaufnahme nicht möglich.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 101<br />
Um Veronika das Lernen zu ermöglichen, sollten vor allem ihre<br />
Aufmerksamkeits- <strong>und</strong> Verhaltensproblematiken berücksichtigt werden. Zur<br />
Verbesserung dieser empfehlen wir eine Verhaltenstherapie für Kinder.<br />
Wünschenswert wäre dabei ein Therapeut, der bereits mit geistig behinderten<br />
Kindern gearbeitet hat.<br />
Gegebenenfalls sollte mit dem behandelnden Kinderarzt Rücksprache über<br />
eine Medikation bezüglich der Aufmerksamkeits- <strong>und</strong> Absence-Problematik<br />
gehalten werden. Eine intensive Ergotherapie ist ratsam.<br />
Das psychometrische Leistungsprofil ist Tabelle 5 zu entnehmen.<br />
Tabelle 5: Psychometrisches Leistungsprofil von Veronika, 8;5 Jahre<br />
Psychometrisches Leistungsprofil<br />
Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang<br />
Bewertung<br />
Intelligenz<br />
(RW)<br />
(PR)<br />
K-ABC (SIF) 33 -2,6 0 IQ 61, unterdurchschnittlich<br />
K-ABC (FS) 234 -3,5 0 IQ 47, unterdurchschnittlich<br />
TBGB<br />
Psychomotorik<br />
durchschnittlich bis gut<br />
durchschnittlich im Bereich<br />
der geistigen Behinderung<br />
WDG 35
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 102<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Jasmin mit 4;11 Jahren <strong>und</strong> mit 6;4<br />
Jahren (Apert Syndrom)<br />
Bei Jasmin wurde in der U2 ein Apert-Syndrom diagnostiziert. Es besteht<br />
ein anamnestisch bekannter Sprachentwicklungsrückstand. Sie wurde uns zu<br />
zwei Untersuchungszeitpunkten vorgestellt. Die Ergebnisse werden im<br />
Folgenden aufgeführt.<br />
Angewandte Testverfahren (Erstvorstellung)<br />
Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Entwicklungstest (ET<br />
6-6) nach Petermann & Stein, Auditiv-Verbaler Lerntest (AVLT, Kurzform)<br />
nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock et al.,<br />
orientierende Prüfverfahren (Malprobe, Apraxie-Prüfung nach Brown).<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />
Bei der Malprobe zögerte Jasmin zunächst. Ihre graphomotorische<br />
Geschicklichkeit ist in folge einer operativ korrigierten Syndaktylie deutlich<br />
eingeschränkt. Als Jasmin sich an die Untersuchungssituation gewöhnt hatte,<br />
zeichnete sie nicht wie vorgegeben ein Haus, sondern einen Wohnbus mit 13<br />
kleinen Rädern, vier versetzten <strong>und</strong> ungleich großen Fenstern <strong>und</strong> einen aus<br />
Kreisen bestehenden Busfahrer. Dieser wurde durch zwei etwa gleich große<br />
Kreise für Unterleib <strong>und</strong> Bauch, einer größeren Kugel für den Kopf <strong>und</strong> vier<br />
kleinen Kreisen für Arme <strong>und</strong> Beine, von denen stachelartige Finger <strong>und</strong><br />
Zehen abstanden, dargestellt. In den Kopf zeichnete Jasmin ein großes <strong>und</strong><br />
ein kleines Auge, einen schiefen M<strong>und</strong>, zwei winzige Ohren wurden an den<br />
Oberkopf gesetzt. Darüber strichelte sie kräftige, weit abstehende Haare, mit<br />
einer Tolle, die wie eine abstehende Angelrute anmutet. Später sagte sie,<br />
dies solle doch lieber eine Mütze sein. Über das Bild schrieb Jasmin von links<br />
nach recht unten abfallend ihren Namen in ungleich großen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 103<br />
Großbuchstaben.<br />
Beim Abzeichnen geometrischer Anordnungen (ATK, orientierend) kamen<br />
Jasmins feinmotorische Defizite deutlich zum Tragen. Es gelingt ihr (auch<br />
altersbedingt) noch nicht, die Musteranordnungen zu reproduzieren. Die<br />
Markierungshilfen konnten nicht immer sinnvoll eingeb<strong>und</strong>en werden. Es kam<br />
zum Teil zu groben Entstellungen der Mustervorlagen, die nicht nur motorisch<br />
bedingt schienen. Im Untertest „Nachzeichnen“ des ET 6-6 schnitt Jasmin<br />
dagegen unter Nichtberücksichtigung der graphomotorischen Einschränkung<br />
überdurchschnittlich ab.<br />
Den Anforderungen der Apraxieprüfung konnte Jasmin trotz ihrer<br />
körperlichen <strong>und</strong> motorischen Einschränkungen weitestgehend<br />
nachkommen. Aufgr<strong>und</strong> der Fehlbildungen entstehen im Bereich der Grob<strong>und</strong><br />
Feinmotorik Einschränkungen. Besonders betroffen ist der M<strong>und</strong>-,<br />
Nasen- <strong>und</strong> Rachenbereich. Es bestehen Unsicherheiten im Bereich<br />
Körperkoordination <strong>und</strong> Gleichgewicht.<br />
Jasmins allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit ist altersgerecht (K-<br />
ABC). Innerhalb ihres individuellen Leistungsprofils zeigten sich<br />
überdurchschnittliche Resultate in den Untertests „Rechnen“ <strong>und</strong><br />
„Gestaltschließen“. Eine Betrachtung der Gesamtskalen zeigt<br />
durchschnittliche Ergebnisse für alle Skalen mit einem tendenziellen<br />
Leistungsschwerpunkt in der gut durchschnittlich ausfallenden Skala<br />
ganzheitlichen Denkens (SGD). Auch die Ergebnisse des Entwicklungstest<br />
ET 6-6 zeigen eine insgesamt unauffällige kognitive Entwicklung Jasmins,<br />
allein die motorischen Untertests zur Körper- <strong>und</strong> Handmotorik entsprachen<br />
erwartungsgemäß nicht der Altersnorm. Im Bereich der expressiven Sprache<br />
ist einschränkend zu sagen, dass Jasmin noch keine Sechs-bis-acht-Wort-<br />
Sätze verwendet, was auf den anamnestisch bekannten<br />
Sprachentwicklungsrückstand zurückzuführen ist. Jasmin verfügt jedoch über<br />
einen altersgerechten Wortschatz. Jasmins Aussprache ist durch die kranio-
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 104<br />
facialen Fehlbildungen <strong>und</strong> den hohen Gaumenbogen noch beeinträchtigt.<br />
Jasmin spricht <strong>und</strong>eutlich <strong>und</strong> lispelt. Auffällig wurde in diesem Test eine<br />
mangelnde Unterscheidungsfähigkeit der Farben Rot <strong>und</strong> Grün, die<br />
wechselhaft zugeordnet wurden. Dies bedarf einer weiteren augenärztlichen<br />
Abklärung.<br />
Im mnestischen Bereich zeigte sich im Bereich der auditiv-verbalen Merk<strong>und</strong><br />
Lernfähigkeit (AVLT, Kurzform) eine zunächst ansteigende Lernkurve,<br />
die jedoch aufgr<strong>und</strong> einer nachlassender Konzentrationsfähigkeit nach dem<br />
dritten Durchgang deutlich abnahm. Jasmin konnte dann trotz mehrfacher<br />
Wiederholung der immer gleichen Wortliste, plötzlich immer weniger Wörter<br />
wiedergeben. Das heißt auch bereits erlernte Wörter wurden dann nicht mehr<br />
bewusst erinnert. Es gelang Jasmin jedoch nach einer 30minütigen<br />
Unterbrechung 9 der vorgegebenen 10 Wörter anhand einer vorgelesenen<br />
Wiedererkennungsliste zu identifizieren.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Während der mehrstündigen Untersuchung zeigte sich Jasmin nach<br />
anfänglicher Unsicherheit stets fre<strong>und</strong>lich, kooperativ <strong>und</strong> selbstsicher. Allen<br />
Anweisungen leistete sie aufmerksam Folge. Bisweilen waren schwankende<br />
Aufmerksamkeitsleistungen festzustellen. Erwartungsgemäß war mit<br />
fortschreitender Untersuchungszeit ein Nachlassen der<br />
Konzentrationsfähigkeit zu beobachten. Es kam trotz eines Hörgerätes<br />
gelegentlich zu diskreten Verständnisproblemen („Zähne/Zehen“). Jasmin<br />
greift mit beiden Händen, präferiert jedoch die rechte Hand. Motorisch zeigte<br />
sich Jasmin eher passiv <strong>und</strong> in der Geschicklichkeit eingeschränkt. In der<br />
Farbwahrnehmung <strong>und</strong> -benennung zeigten sich Unsicherheiten in der Rot-<br />
/Grünunterscheidung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 105<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Die hier ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik<br />
erbrachte mit Ausnahme der eingeschränkten motorischen Fertigkeiten ein<br />
insgesamt altersentsprechendes Intelligenz- <strong>und</strong> Entwicklungsniveau mit<br />
leichtem Rückstand im Bereich der expressiven Sprache. Es besteht der<br />
Verdacht auf eine Rot-Grünverwechslung.<br />
Wir hielten eine Förderung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit <strong>und</strong> eine<br />
stete, systematische Ermutigung zur aktiven sprachlichen Äußerung für<br />
sinnvoll. Im Bereich der Körperkoordination bestand ebenfalls Förderbedarf.<br />
Einer regulären Einschulung im stand nach prognostischer Einschätzung<br />
nichts entgegen.<br />
Eine Wiedervorstellung Jasmins zur Entwicklungskontrolle erfolgte nach<br />
einem Jahr. Zwischenzeitlich unterzog sich Jasmin einer Operation, bei der<br />
ihr Mittelgesicht vorverlagert wurde. Hierbei sei es zu Komplikationen<br />
gekommen, da ihre Lungenflügel nicht ausreichend belüftet gewesen seien.<br />
Zusätzlich sei es beim Extubieren zum Atemstillstand gekommen. Ein<br />
Herausspringen der implantierten Kurbel habe eine nochmalige Operation<br />
erforderlich gemacht. Seit der Operation benötige Jasmin ihre Brille nicht<br />
mehr, zusätzlich habe das Setzen von Paukenröhrchen das Tragen des<br />
Hörgerätes überflüssig gemacht. Jasmin habe eine Hornhautverkrümmung.<br />
Angewandte Testverfahren (Zweitvorstellung)<br />
Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Coloured Progressive<br />
Matrizen (CPM) nach Raven, komplexe Aktionstestserie am Wiener<br />
Determinationsgerät (WDG), Auditiv-Verbaler Lerntest (AVLT) nach<br />
Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock et al., Testbatterie<br />
zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung (VOSP) nach Warrington <strong>und</strong><br />
James, Rechts-Links-Differenzierung nach Benton, Apraxie-Prüfung nach<br />
Brown, Malprobe.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 106<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />
Jasmin malt <strong>und</strong> schreibt mit der rechten Hand. Auf die Bitte hin, ein<br />
Haus zu malen, zeichnete sie dieses, indem sie den Rand des Blattes als<br />
Boden mit einbezog. Den Schonstein setzte sie winklig an das Dach. Die<br />
Proportionen der Fenster <strong>und</strong> Türen, sowie der neben das Haus<br />
gezeichneten Person sind noch nicht stimmig. Ihren Namen schrieb Jasmin<br />
in Großbuchstaben neben das Haus. Hierbei wurden die Buchstaben nach<br />
rechts immer größer. Es zeigten sich leichte fein- <strong>und</strong> graphomotorische<br />
Auffälligkeiten. Trotz ihrer operativ korrigierten Syndaktylie schreibt Jasmin<br />
zügig <strong>und</strong> lesbar.<br />
Jasmins allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit überprüften wir mit<br />
der Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC). Bei der Skala<br />
einzelheitlichen Denkens, deren Untertest das Kurzzeitgedächtnis<br />
überprüfen, konnte Jasmin Resultate erzielen, die dem altersgemäßen<br />
Durchschnittsbereich entsprechen (Handbewegungen, Zahlennachsprechen,<br />
Wortreihe). Das Merken <strong>und</strong> Umsetzen visuell dargebotener Bewegungen<br />
(Handbewegungen) gelang ihr dabei geringfügig schlechter als das auditive<br />
Merken (Zahlennachsprechen). Bei der Skala ganzheitlichen Denkens, die<br />
visuell-räumliche Anforderungen stellt, liegen Jasmins Ergebnisse ebenfalls<br />
im altersgemäßen Durchschnittsbereich (Gestaltschließen, Dreiecke,<br />
Bildhaftes Ergänzen, Räumliches Gedächtnis, Fotoserie). Bei der<br />
Durchführung des Untertests “Dreiecke” schien es zunächst, als ob Jasmins<br />
nachgebaute Muster eine Drehung aufwiesen. Sie drehte dann aber die<br />
Vorlage in die Richtung der Untersucherin, so dass das Resultat wieder in<br />
der richtigen Richtung lag. Jasmin ist zur Perspektivübernahme in der Lage.<br />
Innerhalb der Fertigkeitenskala, welche die bisher angeeigneten<br />
(sprachlichen) Fertigkeiten überprüft, zeigte sich ebenfalls ein homogenes<br />
Bild. Verglichen mit der Altersgruppe der 6,2-6,4 Jährigen zeigen sich<br />
altersentsprechende Ergebnisse (Gesichter <strong>und</strong> Orte, Rechnen, Rätsel). Der
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 107<br />
Untertest “Lesen/Buchstabieren” ist erst ab einem Alter von 7,0 Jahren<br />
vorgesehen. Wir baten Jasmin dennoch, einige Buchstaben zu identifizieren.<br />
Das gelang ihr bei Großbuchstaben sehr gut, bei Kleinbuchstaben kam es zu<br />
einer Klappung (b/d).<br />
Bei den Coloured Progressiven Matrizen (CPM), einem Verfahren zur<br />
Messung des analytischen Denkens in einem visuellen Kontext, erzielte<br />
Jasmin ein gut durchschnittliches Resultat.<br />
Eine Präferenz für eine auditive Informationsaufnahme zeigte sich auch<br />
beim Auditiv-Verbalen Lerntest (AVLT). Hier sollte Jasmin sich in fünf<br />
Durchgängen möglichst viele der 15 vorgelesenen Wörter merken <strong>und</strong> diese<br />
reproduzieren. Im Vergleich zu 7-8 jährigen Kindern (Jasmin war zum<br />
Untersuchungszeitpunkt 6,4 Jahre alt) erbrachte sie durchschnittliche bis<br />
überdurchschnittliche Leistungen. Von zunächst fünf Wörtern steigerte sie<br />
sich bereits im vierten Durchgang auf 13 Wörter. Zwischenzeitlich zeigten<br />
sich leichte Schwankungen, die für eine wechselnde Aufmerksamkeitsspanne<br />
sprechen. Eine Interferenzliste, die im Anschluss an die fünf Durchgänge<br />
dargeboten wurde, verwirrte Jasmin, so dass sie sich nach Darbietung dieser<br />
an nur noch fünf Wörter der Ursprungsliste erinnern konnte. Aufgr<strong>und</strong> dieser<br />
retroaktiven Hemmung wird es für Jasmin wichtig sein, bei der Aneignung<br />
von Informationen möglichst nicht durch irrelevantes Material <strong>und</strong><br />
Störeinflüsse unterbrochen zu werden.<br />
Die bisher nur bei der Hauszeichnung durch das winklige Ansetzen des<br />
Schornsteins aufgefallenen Hinweise auf leichte visuell-analytische <strong>und</strong><br />
räumlich-konstruktive Beeinträchtigungen, bestätigten sich beim Abzeichnen<br />
geometrischer Anordnungen (ATK). Hier zeigten sich Klappungen,<br />
Größenfehler <strong>und</strong> Probleme mit der Richtungseinschätzung.<br />
Bei der Testbatterie zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung<br />
(VOSP) verdeutlichten sich diese Hinweise. Hier zeigten sich die<br />
Schwierigkeiten insbesondere hinsichtlich der Raumwahrnehmung. Jasmin
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 108<br />
tat sich deutlich schwer zu unterscheiden, in welchem Rechteck der Punkt<br />
genau mittig sitzt (Positionen unterscheiden). Beim Untertest “Zahlen<br />
lokalisieren” gelang ihr nur ein Zufallstreffer. Kinder mit dem Apert-Syndrom<br />
haben oft, unter anderem aufgr<strong>und</strong> der kraniofazialen Fehlbildungen, die sich<br />
auch auf den Bereich des Sehens auswirken, Defizite im visuell-räumlichen<br />
Bereich. Die gute Perspektivübernahme, die Jasmin im Untertest “Dreiecke”<br />
der K-ABC bewies, konnte sie bei der Rechts-Links-Differenzierung nicht<br />
aufrechterhalten. Hier gelang ihr die Differenzierung am Gegenüber noch<br />
nicht, wohingegen sie am eigenen Körper fast alle Anforderungen richtig<br />
umsetzte, was als altersgerecht bewertet werden kann.<br />
Im Bereich der psychomotorischen Koordination (WDG) arbeitete Jasmin<br />
trotz ihrer Syndaktylie so schnell <strong>und</strong> sorgfältig, dass sie hier ein<br />
überdurchschnittliches Resultat erzielen konnte.<br />
Im motorischen Bereich fallen noch Gleichgewichtsunsicherheiten auf,<br />
bedingt auch durch die defizitäre Standfestigkeit aufgr<strong>und</strong> Jasmins<br />
Fußfehlbildung. Die Imitation von Bewegungen (Apraxiebogen) gelang<br />
Jasmin im Wesentlichen gut. Einschränkungen gibt es weiterhin in den<br />
Bereichen transitive Bewegungen (z. B. Sägen) oder bilaterale Bewegungen<br />
(z. B. Handtuch auswringen). Bei den Ganzkörperkommandos wirkte Jasmin<br />
hypoton. Eine deutliche Verbesserung zur Untersuchung im Vorjahr zeigte<br />
sich im Bereich der Gesichtspraxie. Hinweise auf eine Rot-Grün-<br />
Verwechslung waren im Vergleich zur Erstuntersuchung nicht mehr<br />
erkennbar.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Zu Beginn der Untersuchung zeigte sich Jasmin als zurückhaltend. Sie<br />
“taute” aber sehr schnell auf <strong>und</strong> zeigte sich als sehr fre<strong>und</strong>lich, kooperativ<br />
<strong>und</strong> ordentlich. Sie bewies großen Ehrgeiz (“Ist noch alles richtig?”) <strong>und</strong><br />
große Sorgfalt bei der Bearbeitung der an sie gestellten Aufgaben. Sie
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 109<br />
versucht auch Tätigkeiten, die sie sich zunächst nicht zutraut, wie<br />
beispielsweise das Fangen eines Ringes. Zwischenzeitlich wurde Jasmin<br />
verspielt (”Du darfst erst mal nicht gucken”) <strong>und</strong> mit zunehmender Dauer der<br />
Untersuchung ablenkbar <strong>und</strong> motorisch unruhiger. Jedoch ließ sie sich bei<br />
direkter Ansprache sofort wieder konzentriert auf das zu bearbeitende<br />
Material ein. Auch fällt es Jasmin noch schwer, ihre Aufmerksamkeit zu<br />
richten. So konzentrierte sie sich beispielsweise bei der Durchführung des<br />
AVLT nicht auf das, was die Untersucherin ihr vorlas, sondern auf das, was<br />
diese notierte. Dadurch sind Schwankungen in Jasmins Leistungen erklärbar.<br />
Sprachlich kam es nur zu leichten grammatikalischen Auffälligkeiten.<br />
Überraschend gut sind Jasmins visuomotorische Leistungen. Trotz ihrer<br />
Syndaktylie agierte sie sehr schnell, wenn auch vornehmlich nur mit der<br />
rechten Hand (wie beim WDG). Die visuell-analytischen <strong>und</strong> räumlichkonstruktiven<br />
Auffälligkeiten äußerten sich auch in Jasmins Verhalten. Sie<br />
neigt zum Drehen des Blattes oder bewegt sich mit, um einen besseren<br />
Blickwinkel zu bekommen (Malprobe, ATK, VOSP).<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Wir sahen im Rahmen der neuropsychologischen Diagnostik mit Jasmin<br />
ein altersgerecht intelligentes <strong>und</strong> entwickeltes Mädchen. Leichte<br />
Beeinträchtigungen zeigten sich mit zunehmender Dauer der Untersuchung<br />
im Bereich der Aufmerksamkeit. Diese wirkten sich vor allem auf die<br />
Merkfähigkeit aus, die ansonsten altersgerecht entwickelt ist. Ebenfalls gibt<br />
es Hinweise auf visuell-räumlichen Defizite <strong>und</strong> Einschränkungen hinsichtlich<br />
der motorischen Fertigkeiten.<br />
Dem Besuch einer Regelschule ohne Integrationshelfer spricht nichts<br />
entgegen. Um Jasmins motorische Fertigkeiten im Hinblick auf Gleichgewicht
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 110<br />
<strong>und</strong> Koordination weiter zu fördern, empfehlen wir die Durchführung einer<br />
Ergotherapie.<br />
In Tabelle 6 ist Jasmins Leistungsprofil zum zweiten<br />
Untersuchungszeitpunkt aufgeführt.<br />
Tabelle 6: Psychometrisches Leistungsprofil von Jasmin, 6;4 Jahre<br />
Psychometrisches Leistungsprofil<br />
Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang Bewertungen<br />
Intelligenz<br />
(RW)<br />
(PR)<br />
CPM 22 +0,9 83 IQ 114, gut<br />
durchschnittlich<br />
K-ABC (SED) 27 -0,4 34 IQ 94, durchschnittlich<br />
K-ABC (SGD) 49 -0,1 46 IQ 99, durchschnittlich<br />
K-ABC (SIF) 76 -0,2 42 IQ 97, durchschnittlich<br />
K-ABC (FS)<br />
Psychomotorik<br />
310 +0,3 62 IQ 104,<br />
durchschnittlich<br />
WDG<br />
Merkfähigkeit<br />
64 +1,3 90 überdurchschnittlich<br />
AVLT/ Durchgänge A1 A2 A3 A4 A5 B1 A6 (Normen für 7-8<br />
Rohwerte 5 9 7 13 13 4 5<br />
Jährige!)<br />
Unmittelbare<br />
Merkspanne<br />
durchschnittlich,<br />
Lernverlauf<br />
schwankend,<br />
durchschnittlich bis<br />
überdurchschnittlich.<br />
Objekt- <strong>und</strong> Raumanalyse<br />
ATK R: 0 Größe, Form, Richtung, Klappung, Graphomotorik<br />
VOSP<br />
Sonstiges:<br />
Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung problematisch<br />
Rechts-links-Differenzierung: am eigenen Körper meist gelungen<br />
Motorische Funktionen: Unsicherheiten im Gleichgewicht <strong>und</strong> der<br />
Gesamtkörperkoordination<br />
Apraxie-Bogen: transitive <strong>und</strong> bilaterale Bewegungen schwierig
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 111<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Lucas <strong>und</strong> Moritz, Zwillinge, 2;6<br />
Jahre (Crouzon-Syndrom)<br />
Die Zwillinge wurden in der 32. Schwangerschaftswoche entb<strong>und</strong>en.<br />
Die phänotypischen Merkmale des Crouzon-Syndroms wurden zunächst mit<br />
neonatalen Komplikationen in Zusammenhang gebracht <strong>und</strong> führten erst im<br />
späteren Verlauf zur Diagnose des Syndroms mit milder Ausprägung. Es<br />
besteht eine fehlbildungsbedingte Behinderung der Nasenatmung mit hoher<br />
Anfälligkeit für Infekte der oberen Luftwege. Es liegen keine Hydrocephalie<br />
oder Arnold Chiari Malformation vor. Durch eine Überwachung mit einem<br />
Pulsoximeter konnten nächtliche Sättigungsabfälle unter Apnoen beobachtet<br />
werden. Die Zwillinge wurden zur Kontrolle im Schlaflabor eines<br />
Kinderkrankenhauses vorgestellt. Hier fand sich für Moritz ein wesentlich<br />
höherer Anteil kurzer obstruktiver Apnoen. Allerdings wurde auf<br />
unterschiedliche Messbedingungen hingewiesen, die einen direkten Vergleich<br />
erschweren.<br />
Bei beiden Jungen liegen laut ergotherapeutischem Bef<strong>und</strong> eine<br />
motorische Retardierung <strong>und</strong> feinmotorische Defizite vor. Die Diagnose einer<br />
leichten Sprachentwicklungsverzögerung (SEV) bei orofacialem Hypotonus<br />
<strong>und</strong> eingeschränkter Zungenmotilität, führte zur Empfehlung einer jeweiligen<br />
logopädischen Einzeltherapie für Lucas <strong>und</strong> Moritz.<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Entwicklungstest<br />
(ET 6-6) nach Petermann & Stein, orientierende Prüfverfahren (Malprobe,<br />
Apraxie-Prüfung nach Brown).<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong> (Moritz)<br />
Moritz erreichte in sämtlichen Untertests der K-ABC altersgerechte<br />
Ergebnisse. Besonders gute Leistungen zeigten sich beim Wiedererkennen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 112<br />
von Gesichtern, im Erkennen von Objekten, im Gestaltschließen <strong>und</strong> in der<br />
unmittelbaren auditiven Merkspanne. Moritz zeigt bezüglich des<br />
einzelheitlichen Denkens <strong>und</strong> der Fertigkeiten eine durchschnittliche<br />
Begabung. Die Skala intellektueller Fähigkeiten weist gut durchschnittliche<br />
Werte auf <strong>und</strong> die Untertests zum ganzheitlichen Denken fallen sogar<br />
überdurchschnittlich gut aus.<br />
Eine altersgerechte kognitive Entwicklung zeigte sich auch im<br />
Entwicklungstest ET 6-6. Leichte Einschränkungen zeigten sich hier nur in<br />
den Untertests zu expressiven Sprache <strong>und</strong> zur Hand- <strong>und</strong> Körpermotorik.<br />
Bei den Aufgaben zur Apraxie-Prüfung zeigt sich, dass Moritz<br />
begriffsfreie Bewegungen („Lege die Hand unter das Kinn“) <strong>und</strong> intransitive<br />
Bewegungen am Körper (Kopfkratzen, vollen Bauch zeigen) <strong>und</strong> weg vom<br />
Körper (Heranwinken, Faust machen) nachahmen kann. Die Stifthaltung <strong>und</strong><br />
das Ballstoßen werden rechts ausgeführt. Leichte Einschränkungen zeigten<br />
sich, wie bereits anamnestisch geschildert, in der Gesichtspraxie. Moritz<br />
zeichnet altersbedingt noch in kreisförmigen, unstrukturierten Linien.<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong> (Lucas)<br />
Lucas erreichte ebenfalls in sämtlichen Untertest der K-ABC<br />
altersgerechte Ergebnisse. Besonders gute Leistungen zeigten sich beim<br />
Wiedererkennen von Gesichtern, im Erkennen von Objekten <strong>und</strong> im passiven<br />
Wortschatz. Lucas zeigt bezüglich des einzelheitlichen <strong>und</strong> ganzheitlichen<br />
Denkens, der intellektuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> der Fertigkeiten eine<br />
durchschnittliche Begabung.<br />
Dies entspricht auch den Ergebnissen des Entwicklungstests ET 6-6, bei<br />
dem sich ein mit dem von Moritz vergleichbares Entwicklungsprofil mit<br />
leichten Einschränkungen der Motorik <strong>und</strong> der expressiven Sprache zeigte.<br />
Die Bewegungsabläufe der Apraxie-Prüfung konnte Lucas im Vergleich<br />
zu seinem Bruder etwas schlechter nachahmen, so benutzte er<br />
beispielsweise bei der Aufforderung, den Daumen an die Stirn zu führen, den
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 113<br />
Zeigefinger, obwohl ihm die Bewegung vorgemacht wurde. Es besteht<br />
ebenfalls eine leicht eingeschränkte Gesichtspraxie.<br />
Die Stifthaltung <strong>und</strong> das Ballstoßen werden rechts ausgeführt. Seine<br />
Zeichnungen sind noch strukturlos, er drückte den Stift jedoch fester auf als<br />
sein Bruder <strong>und</strong> führte kleinere, stärker abgegrenzte Zeichnungen aus, die er<br />
verbal kommentierte („Das ist Mama“ etc.).<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Moritz)<br />
Moritz beschäftigte sich zunächst mit den Spielsachen im<br />
Wartezimmer, ging aber auf Aufforderung der Untersucher bereitwillig mit in<br />
den Untersuchungsraum. Dort war er damit beschäftigt, den Raum zu<br />
explorieren <strong>und</strong> sich mit diversen Gegenständen zu beschäftigen. Er zeigte<br />
einen ausgeprägten Bewegungsdrang, der sich zum Teil mit einer langen<br />
Anfahrt im Auto erklären lässt. Es erwies sich als schwierig, seine<br />
Aufmerksamkeit auf die Testsituation zu lenken. Er wollte außerdem in den<br />
gegenüberliegenden Raum, in dem sein Bruder (Lucas) parallel untersucht<br />
wurde. Als sein Vater hinzugebeten wurde, gelang es unter teils massiver<br />
Hilfestellung seitens des Vaters, Moritz zur Mitarbeit zu bewegen.<br />
Besonderes Interesse zeigte er für einen Spielzeughubschrauber, der<br />
immer wieder spielerisch in die Testsituation einbezogen werden musste <strong>und</strong><br />
für das Pedalo. Etwas später gelang es, den Hubschrauber aus seinen<br />
Blickfeld zu entfernen. Alle nicht testrelevanten Gegenstände in den Regalen<br />
des Zimmers wurden außerhalb seiner Reichweite verstaut, um ihn nicht<br />
abzulenken. Insgesamt benötigten wir für die Durchführung des ET 6-6 mit 80<br />
Minuten etwa doppelt solange, wie für die gleichen Aufgabenstellungen bei<br />
Lucas. Moritz sprach verwaschen <strong>und</strong> benutzte Zwei-Wort-Sätze.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 114<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Lucas)<br />
Lucas zeigte sofort großes Zutrauen <strong>und</strong> ließ sich an der Hand einer<br />
Untersucherin in den Untersuchungsraum führen. Er litt zunächst sehr unter<br />
der räumlichen Trennung von seinem Bruder. Als seine Mutter dazu gebeten<br />
wurde, war er schließlich zur Mitarbeit zu bewegen. Lucas bearbeitete die<br />
gestellten Aufgaben interessiert <strong>und</strong> motiviert. Seine Aufmerksamkeit war<br />
nicht so schwer zu lenken wie die seines Bruders, auch zeigte er sich<br />
motorisch nicht so aktiv, er verfügt aber ebenfalls nur über kurze<br />
Konzentrationsspannen. Die Mutter griff in den Ablauf der Untersuchung von<br />
Lucas kaum ein, während Moritz von seinem Vater stark „getriggert“ wurde.<br />
Während Moritz besonders auf den Hubschrauber fixiert war, galt Lucas<br />
besonderes Interesse einem Ball. Wie Moritz spricht er verwaschen <strong>und</strong><br />
benutzte hier größtenteils sogar nur Ein-Wortsätze. Es waren<br />
Gleichgewichtsprobleme erkennbar.<br />
Auf den von uns aufgenommenen Fotos erkannten sich beide Brüder<br />
unabhängig voneinander als der jeweils andere Zwilling, obwohl sie etwas<br />
unterschiedliche Kleidung trugen.<br />
Zusammenfassende Beurteilung (Moritz)<br />
Die hier ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik<br />
erbrachte eine altersentsprechende bis gut durchschnittliche allgemeine<br />
Entwicklung mit unauffälligen kognitiven Leistungen. Eine<br />
Entwicklungsverzögerung zeigt sich nur im Bereich der expressiven Sprache<br />
<strong>und</strong> der Motorik. Unsere Beobachtungen korrespondieren hier mit den<br />
logopädischen <strong>und</strong> ergotherapeutischen Vorbef<strong>und</strong>en. Hinweise auf eine<br />
Wahrnehmungsstörung im visuellen Bereich – wie sie bei kraniofacialen<br />
Fehlbildungssyndromen häufig auffallen - sind bisher nicht festzustellen, die<br />
Entwicklung der visuell-analytischen <strong>und</strong> räumlich-konstruktiven Fähigkeiten
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 115<br />
sollte aber beobachtet werden. Moritz hatte in der Testsituation zwar<br />
massivere Aufmerksamkeitsprobleme als Lucas, er zeigte jedoch insgesamt<br />
etwas stärkere Leistungen. Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass<br />
er durch seinen Vater mehr Hilfestellungen erhielt als sein Bruder von seiner<br />
Mutter. Dadurch relativiert sich dieser Unterschied möglicherweise wieder<br />
etwas. Moritz` starke Ablenkbarkeit ist zum jetzigen Zeitpunkt aufgr<strong>und</strong> des<br />
Alters noch nicht als auffällig anzusehen, sollte aber ebenfalls weiter<br />
beobachtet werden.<br />
Zusammenfassende Beurteilung (Lucas)<br />
Die neuropsychologische Diagnostik erbrachte auch für Lucas eine<br />
altersentsprechende allgemeine Entwicklung mit unauffälligen kognitiven<br />
Leistungen, abgesehen vom motorischen <strong>und</strong> sprachlichen Bereich. Die<br />
weitere Entwicklung der visuell-analytischen <strong>und</strong> räumlich-konstruktiven<br />
Fähigkeiten sollte ebenfalls beobachtet werden. Lucas war ruhiger <strong>und</strong><br />
zugewandter als sein Bruder, seine Leistungen fielen jedoch vergleichsweise<br />
etwas schwächer aus. Dieser Unterschied kann jedoch durch die<br />
Besonderheiten der Testsituation mitbedingt sein.<br />
Wir haben mit den Zwillingen Lucas <strong>und</strong> Moritz zwei aufgeweckte <strong>und</strong><br />
intelligente Jungen kennen gelernt, die sich bei nur milder Ausprägung des<br />
Crouzon-Syndroms ausgesprochen gut entwickelt haben.<br />
Wir hielten eine intensive Fortführung der logopädischen Therapie zur<br />
Förderung der expressiven Sprache bei intaktem passiven Sprachschatz, für<br />
notwendig. Körperkoordination, Gleichgewicht sowie Grob- <strong>und</strong> Feinmotorik<br />
sollten im Rahmen einer fortgeführten ergotherapeutischen Behandlung<br />
trainiert werden. Sinnvoll fanden wir es auch, ein getrenntes therapeutisches<br />
Setting für die beiden Jungen zu versuchen, da zwischen den beiden eine<br />
sehr enge Bindung besteht, die sich unter Umständen auch hinderlich auf<br />
den therapeutischen Prozess auswirken kann. Außerdem sollte versucht
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 116<br />
werden, die jeweilige Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit zu<br />
fördern.<br />
Wir verfolgten die weiterhin sehr positive Entwicklung der Jungen (Abb.<br />
17 u. 18) etwa im Jahresabstand in drei weiteren Untersuchungen. Eine<br />
Darstellung dieser Verlaufsstudie über vier Messzeitpunkte würde den<br />
Rahmen dieser Arbeit jedoch überschreiten, weswegen dies in einer eigenen<br />
Veröffentlichung erfolgen soll. Es erfolgt daher eine Beschränkung auf die<br />
letzten Untersuchungsbef<strong>und</strong>e.<br />
Abbildung 17: Zwillinge, 2;6 Jahre alt, mit Crouzon-Syndrom.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 117<br />
Abbildung 18: Zwillinge aus Abb. 17, 5;7 Jahre alt.<br />
Neuropsychologische Verlaufsbef<strong>und</strong>e der Zwillinge mit 5;7 Jahren<br />
Beide Jungen erhielten zwischenzeitlich auch wegen<br />
Konzentrationsproblemen Ergotherapie <strong>und</strong> außerdem eine logopädische<br />
Behandlung. Bei bestehender Progenie bestünden besonders bei Moritz<br />
weiterhin Probleme im Bereich der M<strong>und</strong>motorik, der Artikulation <strong>und</strong> der<br />
zentralen Hörverarbeitungsstörung. Mittels Paukendrainagen <strong>und</strong> einer<br />
Adenotomie hat sich das Schnarchen der Jungen vermindert. Eine<br />
zwischenzeitliche Röntgenuntersuchung ergab bei beiden Jungen vermehrte<br />
Impressiones digitatae als mögliche Zeichen beginnender Druckerhöhung,<br />
bei Lucas wurde mittels einer Sonographie zusätzlich ein etwas erweiterter<br />
Seitenventrikel diagnostiziert. Im Verlauf mussten sich beide Kinder wegen<br />
einer Hirndruckssteigerung (Stauungspapillen) wurde einer<br />
Kalottenremodellierung unterziehen. Zum Verhalten beschrieb die Mutter,<br />
dass es bei den Jungen abwechselnd zu Phasen mit Wut- <strong>und</strong> Trotzanfällen<br />
bei nichtigen Anlässen käme, bei denen sie ihr Gegenüber verbal attackieren<br />
würden, körperliche Gewalt aber nur angedeutet werde. Das
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 118<br />
Untersuchungsalter betrug zuletzt fünf Jahre <strong>und</strong> sieben Monate (5;7).<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Entwicklungstest (ET<br />
6-6) nach Petermann & Stein.<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e (Lucas)<br />
Lucas erreichte in sämtlichen für seine Altersklasse vorgesehenen<br />
Untertests der Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC) gut<br />
durchschnittliche bis überdurchschnittliche Ergebnisse. Die Untertests<br />
“Zauberfenster” <strong>und</strong> “Wiedererkennen von Gesichtern” sind für das<br />
Untersuchungsalter nicht mehr vorgesehen, wurden aber zum Vergleich mit<br />
den Vordaten wiederholt. Die Skalenwerte für diese Untertests sind stabil<br />
geblieben, was bei Vergleich mit Normen für bis 4;11 Jahre allerdings eine<br />
leichte Verschlechterung zum Vorergebnis bedeutet.<br />
Die “Handbewegungen” sind dagegen deutlich besser ausgefallen als<br />
zuvor (Steigerung von 10 auf 16 Wertpunkte). Für die Untertests<br />
“Gestaltschließen” (von 13 auf 17 Wertpunkte) <strong>und</strong> “Zahlennachsprechen”<br />
(von 11 auf 13 Wertpunkte) <strong>und</strong> “Wortreihe” (von 9 auf 14 Wertpunkte)<br />
ergaben sich ebenfalls zum Teil erhebliche Steigerungen. Der Untertest<br />
“Dreiecke” konnte nur von 9 auf 10 Wertpunkte verbessert werden <strong>und</strong> ist<br />
demnach relativ stabil geblieben.<br />
Für die Skala einzelheitlichen Denkens hatte sich bei der letzten<br />
Untersuchung am 07.04.2003 insgesamt eine leichte Verschlechterung von<br />
einem Standardwert von gut durchschnittlichen 110 zu durchschnittlichen 100<br />
ergeben. Bei der jetzigen Untersuchung ergab sich durch die Steigerung der<br />
Skalenwerte ein überdurchschnittlicher Standardwert von 128. Für die Skala<br />
ganzheitlichen Denkens ergab sich keine nennenswerte weitere
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 119<br />
Verbesserung der schon zuvor überdurchschnittlichen Standardwerte (von<br />
119 zu 120). Hier sind allerdings zwei zuvor unbekannte Untertests<br />
“Bilderergänzen” (13 WP) <strong>und</strong> “Räumliches Gedächtnis” (11 WP)<br />
hinzugekommen. Die hier aber auf Anhieb guten Resultate lassen darauf<br />
schließen, dass die guten Ergebnisse in den anderen, bereits bekannten<br />
Untertests nicht nur auf Übungs- <strong>und</strong> Wiederholungseffekten basieren.<br />
Insgesamt ist der Standardwert für die intellektuellen Fähigkeiten von 110 zu<br />
123 angestiegen. Es kann daher aktuell eine überdurchschnittliche<br />
intellektuelle Fähigkeit angenommen werden. Für die erlernten Fertigkeiten<br />
ergab sich dagegen insgesamt eine Steigerung von 116 zu 124. Der<br />
Untertest “Wortschatz” fiel etwas besser aus, geht aber aufgr<strong>und</strong> des Alters<br />
diesmal nicht mehr in die Bewertung mit ein. Die Untertests “Gesichter <strong>und</strong><br />
Orte” <strong>und</strong> “Rätsel” blieben etwa gleich, das “Rechnen” fiel besser aus (von<br />
Standardwert 108 zu 117).<br />
Die Resultate des Entwicklungstests (ET 6-6) für die Altersgruppe 60 bis<br />
72 Monate (Untersuchungsalter 67 Monate) zeigen im Hinblick auf die<br />
kognitiven <strong>und</strong> sozialen Fähigkeiten kaum Veränderungen zur letzten<br />
Untersuchung mit insgesamt gut durchschnittlichen Resultaten. Die Anzahl<br />
der richtigen Bewertungen für die einzelnen Untertests blieb fast gleich.<br />
Verschlechterungen ergaben sich in der Elternbewertung bezüglich der<br />
emotionalen Entwicklung <strong>und</strong> dem Verhalten in Gruppen. Die emotionale<br />
Entwicklung fällt momentan nach Elterneinschätzung nicht ganz altersgemäß<br />
aus. Diese Einschätzung stimmt mit den Angaben zum in der Anamnese<br />
beschriebenem oppositionellen <strong>und</strong> stimmungslabilen Verhalten überein.<br />
Im Bereich der Motorik sind Körper- <strong>und</strong> Handmotorik in der<br />
Leistungsfähigkeit konstant geblieben, führen aber aufgr<strong>und</strong> des gestiegenen<br />
Lebensalters nun beide zu einem Ergebnis unterhalb der Erwartung. Die<br />
motorische Entwicklung bleibt damit unverändert hinter der guten kognitiven<br />
Entwicklung zurück. Die zeichnerischen Fähigkeiten haben sich verbessert.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 120<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e (Moritz)<br />
Moritz erzielte, ähnlich wie sein Bruder, in fast allen Untertests der<br />
Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC) gut durchschnittliche bis<br />
überdurchschnittliche Resultate. Die individuell schlechtesten, aber<br />
durchschnittlichen Ergebnisse, erreichte er in den Untertests “Wortschatz”<br />
(nicht mehr in der Altersbewertung) <strong>und</strong> “Dreiecke”. Trotzdem erreichte er<br />
hier Verbesserungen im Vergleich zur letzten Untersuchung (Wortschatz von<br />
Standardwert 100 zu 108, Dreiecke von WP 7 zu 9).<br />
Bei den nicht mehr in die Altersbewertung eingehenden Untertests<br />
“Zauberfenster” <strong>und</strong> “Wiedererkennen von Gesichtern”, zeigte sich eine<br />
leichte Verschlechterung für den zweitgenannten Untertest (von WP 13 zu<br />
11). Der Untertest “Handbewegungen” fiel um vier Wertpunkte besser aus,<br />
das “Gestaltschließen” <strong>und</strong> das neu hinzugekommene “Bildhafte Ergänzen”,<br />
stellen die beiden individuellen Bestleistungen da (jeweils 15 Wertpunkte).<br />
Das “Zahlennachsprechen” gelang unwesentlich schlechter als zuletzt (von<br />
WP 12 zu 11). Für den Untertest “Wortreihe” konnte Moritz sein Ergebnis<br />
deutlich steigern (von WP 7 zu 14).<br />
Für die Skala einzelheitlichen Denkens ergab sich daher eine Verbesserung<br />
von Standardwert 96 zu 117. Für die Skala ganzheitlichen Denkens von<br />
Standardwert 114 zu 119 ein etwa gleichbleibendes Ergebnis. Das Ergebnis<br />
für die intellektuellen Fähigkeiten ist mit einem Ergebnis von Standardwert<br />
117 (ehemals 105) deutlich angestiegen <strong>und</strong> als leicht überdurchschnittlich<br />
zu bewerten.<br />
Für die erworbenen Fertigkeiten ergab sich insgesamt eine Verbesserung<br />
von Standardwert 108 zu 124, was bei etwa gleichbeleibenden<br />
Rechenleistungen vor allem auf eine deutliche Verbesserung im Untertest<br />
“Gesichter <strong>und</strong> Orte” <strong>und</strong> eine leichte Verbesserung im Untertest “Rätsel”<br />
zurückzuführen ist.<br />
Im Entwicklungstest (ET 6-6) erzielte Moritz aktuell ein beinahe<br />
identisches Ergebnis wie Lucas, verbesserte sich aber in der Anzahl der
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 121<br />
richtig gelösten Aufgaben im Vergleich zum etwas schlechter ausgefallenem<br />
Ergebnis zum vorherigen Untersuchungszeitpunkt. Die kognitiven <strong>und</strong><br />
sozialen Fähigkeiten liegen im durchschnittliche bis überdurchschnittliche<br />
Bereich.<br />
Wie Lucas zeigte Moritz Rückstände in der Körper- <strong>und</strong> Handmotorik,<br />
letztere fiel damit im Vergleich zur letzten Untersuchung deutlich schlechter<br />
aus das Körperbewusstsein fiel etwas schlechter aus als bei Lucas. Für die<br />
Einschätzung des Verhaltens in Gruppen <strong>und</strong> besonders der emotionalen<br />
Entwicklung ergaben sich die gleichen Verschlechterungen wie für Lucas<br />
beschrieben. Die zeichnerischen Leistungen haben sich verbessert.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Lucas)<br />
Bei Lucas wurde zunächst die K-ABC durchgeführt. Er war kooperativ,<br />
fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> interessiert. Bei ihm zeigte sich aber eine besonders deutlich<br />
Verschlechterung der Ausdauer <strong>und</strong> Konzentration bei im Vergleich zu<br />
vorher deutlich gesteigerter Impulsivität. Er testete Grenzen aus. So legte er<br />
zum Beispiel die Füße auf den Tisch oder lenkte mit nebensächlichen<br />
Äußerungen ab oder er bestand stur darauf, zuwenig Bauteile zur<br />
Aufgabenlösung bekommen zu haben oder wiederholte Sätze der<br />
Untersucher. Auffällig waren zum Teil völlig abwegig erscheinende<br />
Antworten, die dann aber korrigiert werden konnten (bezeichnete z. B.<br />
Schema einer Kamera zunächst als “Milchbrötchen” <strong>und</strong> dann erst als<br />
“Fotoapparat”). Lucas Aufmerksamkeit lies rasch nach <strong>und</strong> er musste zur<br />
Weiterarbeit motiviert <strong>und</strong> angehalten werden.<br />
Lucas zeigte sich noch sehr auf den Bruder fixiert, fragte oft nach ihm <strong>und</strong><br />
sieht sich in stark symbiotischer Beziehung mit ihm. Er tritt in seinen<br />
Formulierungen wenig als eigenständige Persönlichkeit auf.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 122<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Moritz)<br />
Bei Moritz wurde zunächst der ET 6-6 durchgeführt. Er war wie immer<br />
kooperativ <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> zeigte sich sehr an den Materialien interessiert,<br />
was zuweilen zu voreiligen Lösungsversuchen führte, weil er die Instruktion<br />
nicht abwarten wollte. Über Lob <strong>und</strong> gute Leistungen freute er sich sichtbar.<br />
Er half unaufgefordert beim Wegräumen der Testutensilien. Zwischendurch<br />
zeigte er sich ablenkbar <strong>und</strong> motorisch unruhig. Die Konzentration <strong>und</strong><br />
Ausdauer scheint sich im letzten Jahr nicht verbessert, sondern gemessen<br />
am Alter eher etwas verschlechtert zu haben, bereits nach 20 Minuten zeigt<br />
sich eine deutliche Hibbeligkeit. Die Oberbegriffsbildung fällt noch etwas<br />
unpräzise aus (z. B. “Männer” = “Papa, Bruder”). Eine im test vorkommende<br />
Schlange bezeichnete er als “Krokodil”, trotz der Hilfestellung “Welches Tier<br />
hat keine Beine?” blieb er bei “platter Alligator”. Zur Erheiterung der<br />
Untersucher trug bei, dass beide Kinder unabhängig voneinander den in der<br />
K-ABC (pädagogisch umstrittenerweise) vorkommenden “Struwwelpeter” als<br />
“Peter, der Struselkater” bezeichneten. Die Stifthaltung ist noch sehr<br />
verkrampft. Moritz war ständig in Bewegung, impulsiv <strong>und</strong> versuchte auch<br />
die Untersucher abzulenken. Dabei löste er aber bereitwillig die Aufgaben<br />
<strong>und</strong> beschäftigte sich intensiv mit dem Material. Moritz grenzt sich von<br />
seinem Bruder stärker als eigene Persönlichkeit ab <strong>und</strong> fragte kaum nach<br />
ihm.<br />
Zusammenfassende Beurteilung (Lucas)<br />
Lucas Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik liegen<br />
hinsichtlich der kognitiven Entwicklung im gut altersentsprechenden bis<br />
überdurchschnittlichen Bereich. Leichte Beeinträchtigungen zeigen sich<br />
weiterhin in den motorischen (Körper- <strong>und</strong> Handmotorik) <strong>und</strong> im sprachlichen<br />
Bereich (Benennungsschwierigkeiten). Das zuvor unauffällige <strong>und</strong> eher sozial<br />
reife Verhalten hat sich bei deutlich nachlassender Konzentrationsleistung<br />
verschlechtert. Es ist der Beobachtung nach davon auszugehen, dass Lucas
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 123<br />
deswegen trotz der guten Resultate hinter seinen eigenen<br />
Leistungsmöglichkeiten zurückbleibt.<br />
Zusammenfassende Beurteilung (Moritz)<br />
Moritz` Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik liegen<br />
hinsichtlich der kognitiven Entwicklung im gut durchschnittlichen bis<br />
überdurchschnittlichen Bereich. Ein leichter Entwicklungsrückstand besteht<br />
weiterhin im sprachlichen <strong>und</strong> motorischen Bereich. Die sich in den<br />
Vortestungen bereits andeutende Beeinträchtigung der<br />
Aufmerksamkeitsleistungen fällt mittlerweile deutlich auf.<br />
Die Zwillinge Lucas <strong>und</strong> Moritz waren auch dieses Mal zwei interessierte<br />
<strong>und</strong> aufgeweckte Jungen, die gut motivierbar sind. Sie benötigten aber<br />
deutlich mehr Beschäftigung <strong>und</strong> Ansprache um interessiert zu bleiben <strong>und</strong><br />
testeten ihre Grenzen aus. Beide Kinder sind kognitiv soweit, bald<br />
eingeschult <strong>und</strong> geistig stärker gefordert zu werden, aber das Verhalten <strong>und</strong><br />
die mangelnde Konzentration lassen derzeit noch an einer Schulreife<br />
zweifeln.<br />
Die Fortführung der logopädischen Therapie ist für beide Jungen, aber<br />
besonders für Moritz empfehlenswert. Da ein Umzug ins Ausland erfolgt ist,<br />
bleibt abzuwarten, wie die Jungen mit der neuen Umgebung <strong>und</strong> Sprache<br />
zurechtkommen werden. Hier könnten sich Probleme ergeben. Auch im<br />
Bereich der Motorik sollten beide Kinder weiter gefördert werden. Eine<br />
ergotherapeutische Maßnahme ist sinnvoll <strong>und</strong> besonders auch zum Ausbau<br />
der Konzentrationsfähigkeit erforderlich.<br />
Pädagogisch sollten klare Strukturen geschaffen werden, um dem<br />
oppositionellen Verhalten liebevoll aber konsequent Grenzen zu setzen. Hier<br />
empfiehlt sich gegebenenfalls der Einsatz von verhaltenstherapeutischen<br />
Ansätzen (Verstärkerplane, Time-out-Phasen etc.), wie sie bei Kindern mit
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 124<br />
Aufmerksamkeitsstörungen Anwendung finden. Beide Kinder brauchen auch<br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer guten Intelligenz viele Anreize.<br />
5.1.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse zu den von uns untersuchten Kindern mit Apert- (N = 8)<br />
<strong>und</strong> Crouzon-Syndrom (N = 3), weisen zusammen anhand der K-ABC (bei<br />
dem 15;1 jährigen Jungen anhand des HAWIK) gemittelte Intelligenzwerte im<br />
Bereich der Lernbehinderung (Skala intellektueller Fähigkeiten) auf.<br />
Allerdings ergibt sich, wie schon aus den Fallbeispielen ersichtlich, eine<br />
erhebliche Variabilität bezüglich der Einzelleistungen (siehe Abb. 19). Die IQ-<br />
Werte liegen für die Skala intellektueller Fähigkeiten zwischen mittelgradiger<br />
geistiger Behinderung (IQ 52) <strong>und</strong> durchschnittlicher Intelligenz (IQ 105) für<br />
das Apert-Syndrom, beziehungsweise im Normalbereich (IQ 88 bis 113) für<br />
das Crouzon-Syndrom. Eine Aufteilung der Stichprobe in die Kinder mit<br />
Apert-Syndrom (mit <strong>und</strong> ohne ACC) <strong>und</strong> mit Crouzon-Syndrom zeigt etwas<br />
bessere Werte für die Apert-Kinder ohne Agenesie des Corpus Callosum <strong>und</strong><br />
deutlich bessere Werte für die Crouzon-Kinder (Tab. 7). Die Verlaufsbef<strong>und</strong>e,<br />
also Ergebnisse aus Wiederholungsdiagnostiken (Abb. 20) für die unter 5.1.1<br />
beschriebenen Crouzon-Zwillinge, zeigen nach unterschiedlichen<br />
Eingangsergebnissen, eine relativ übereinstimmenden Verlauf mit positiver<br />
Tendenz.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 125<br />
IQ-/Standardwerte<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Intelligenzverteilung beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom<br />
88<br />
100<br />
113 105<br />
67<br />
52<br />
61<br />
77<br />
65<br />
88<br />
C/J/4;4<br />
C/ZJ/2;6<br />
C/ZJ/2;6<br />
A/M/4;11<br />
A+ACC/J/6;3<br />
A/M/8;1<br />
A+ACC/M/8;5<br />
A/M/10;0<br />
A/M/10;11<br />
A/M/11;3<br />
A/J/15;1<br />
Abbildung 19: Intelligenzverteilung bei Kindern mit Apert- <strong>und</strong> Crouzon-<br />
Syndrom (N = 11) in der Alterspanne 2;6 bis 15;1 Jahre (A =<br />
Apert-Syndrom, C = Crouzon Syndrom, ACC = Agenesie des<br />
Corpus Callosum, M = Mädchen, J = Junge, ZJ =<br />
Zwillingsjunge).<br />
Tabelle 7: Mittelwerte <strong>und</strong> Standardabweichungen der Intelligenzwerte beim<br />
Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom mit <strong>und</strong> ohne Agenesie des Corpus<br />
Callosum (ACC)<br />
IQ<br />
Apert<br />
(N = 8)<br />
Apert o. ACC<br />
(N = 6)<br />
Apert/Crouzon<br />
(N = 11)<br />
Apert/Crouzon<br />
o. ACC (N = 9)<br />
77<br />
Crouzon<br />
(N = 3)<br />
MW 74.0 77.3 81.2 85.0 100.3<br />
STABW 16.7 18.3 19.5 19.5 12.5
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 126<br />
Standardwerte<br />
130<br />
110<br />
90<br />
70<br />
50<br />
Skala intellektueller Fähigkeiten (K-ABC)<br />
113<br />
100<br />
110 110<br />
104 105<br />
2;6 3;8 4;6 5;7<br />
123<br />
117<br />
Moritz<br />
Lucas<br />
Abbildung 20: Ergebnisse der Crouzon-Zwillinge über vier Messzeitpunkte<br />
(2;6 bis 5;7 Jahre) in der K-ABC.<br />
In den unteren Intelligenzgraden wurde die TBGB zur näheren<br />
Differenzierung herangezogen, hier ergaben sich einheitliche Ergebnisse an<br />
der oberen Grenze der Altersnorm für geistig behinderte Kinder. Trotz der<br />
großen intellektuellen Leistungsunterschiede zeigen die Kinder<br />
unterdurchschnittliche Leistungen im Bereich<br />
� der visuellen Analyse,<br />
� der räumlich-konstruktiven Leistungen (siehe auch Tabelle 8),<br />
� dadurch mitbedingt auch der visuell-räumlichen Merkfähigkeit<br />
unter räumlich-konstruktiven Bedingungen (DCS) <strong>und</strong><br />
� des formal-logischen, mathematischen Denkens.<br />
Die zeichnerischen Fähigkeiten sind beeinträchtigt (siehe Beispiele aus<br />
dem ATK <strong>und</strong> Hauszeichnung in Abb. 21). Die erwarteten visuo- <strong>und</strong><br />
graphomotorischen Einschränkungen zeigten sich jedoch nicht durchgängig,<br />
drei der Kinder zeigten hier ein altersgerechtes Resultat. Die der Literatur
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 127<br />
nach eingeschränkten auditiv-verbalen Merkfähigkeitsleistungen fielen stark<br />
unterschiedlich aus <strong>und</strong> waren nur bei einem Teil der Kinder auffällig.<br />
Allerdings zeigte sich durchgängig eine Interferenzanfälligkeit. Die Kinder mit<br />
ACC neigten dabei zur Verweigerung. Bei fünf Kindern konnten<br />
Reaktionszeitmessungen durchgeführt werden. Es zeigten sich verzögerte<br />
optische <strong>und</strong> akustische Reaktionslatenzen (WRG) <strong>und</strong> ein verzögertes<br />
psychomotorisches Tempo (WDG). In der Testbatterie zur<br />
Aufmerksamkeitsprüfung (TAP), fielen die Ergebnisse für die selektive<br />
Aufmerksamkeit unauffällig aus. Die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsteilung<br />
war dagegen mangelhaft. Alle Patienten hatten Artikulationsstörungen mit<br />
verwaschener bis teilweise sogar unkenntlicher Aussprache. Während die<br />
Artikulation unabhängig vom Intelligenzgrad beeinträchtigt war, traten Defizite<br />
im Sprach- <strong>und</strong> Instruktionsverständnis besonders bei Intelligenzminderung<br />
auf. Alle Kinder zeigten Auffälligkeiten im Bereich der Motorik. Im<br />
Apraxiebogen ergaben sich neben den zu erwartenden Einschränkungen der<br />
Gesichtspraxie, die auch nach Mittelgesichtkorrekturen fortbestanden, auch<br />
Schwierigkeiten<br />
� im Gleichgewicht,<br />
� in der Gesamtkörperkoordination <strong>und</strong><br />
� bei transitiven <strong>und</strong> bilateralen Bewegungsabläufen.<br />
Es konnte keine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Fehlbildungen<br />
<strong>und</strong> den kognitiven Einbußen beobachtet werden.<br />
Die Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung<br />
(Abb. 22) zeigten nur für den Bereich „Körperliche Bewegung“ (KB) Werte<br />
unterhalb des Cut-off-Wertes (80%). Hier kommen aber vor allem die<br />
Einzelergebnisse der Kinder mit begleitender Agenesie des Corpus Callosum<br />
zum Tragen, die sich als hyperaktiv zeigten.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 128<br />
a b c<br />
Abbildung 21: Zeichenleistungen eines 11jährigen Mädchens mit Apert-<br />
Syndrom ohne Intelligenzminderung: a <strong>und</strong> b Beispiele aus<br />
dem ATK, c Hauszeichnung.<br />
Tabelle 8: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests<br />
Untertests<br />
K-ABC WP STABW<br />
ZF 12.0 3.7<br />
WG 10.8 0.8<br />
HB 6.7 3.6<br />
GS 8.8 4.0<br />
ZN 8.3 3.0<br />
DR 4.7 2.9<br />
WR 5.6 2.9<br />
BE 6.3 1.5<br />
RG 5.4 1.4<br />
FS 3.8 1.9<br />
Anmerkungen. WP = Wertpunkt. Mittelwerte <strong>und</strong> Standardabweichungen<br />
der Ergebnisse von Apert <strong>und</strong> Crouzon-Kindern (N = 11,<br />
untertestabhängige Schwankungen) in den Untertests der Skala<br />
einzelheitliches Denkens (SIF, K-ABC). Zauberfenster (ZF),<br />
Wiedererkennen von Gesichtern (WG), Handbewegungen (HB),<br />
Gestaltschließen (GS), Zahlennachsprechen (ZN), Dreiecke (DR),
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 129<br />
Wortreihe (WR), Bildhaftes Ergänzen (BE), Räumliches Gedächtnis (RG),<br />
Fotoserie (FS).<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Apert <strong>und</strong> Crouzon<br />
SV KB UBI SAV ST<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 22: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung<br />
anhand des VB-KGS (SV = Sozialverhalten, KB =<br />
Körperliche Bewegung, UBI = unübliche<br />
Bewegungen/Interessen, SAV = selbstverletzendes/<br />
aggressives Verhalten, ST = Stimmung) beim Apert- <strong>und</strong><br />
Crouzon-Syndrom. Die Prozentangaben (Cut-off-Wert 80 %)<br />
beziehen sich auf den erreichbaren Maximalwert (N = 11).<br />
Die Bewertungen aus den Elternfragebögen (Abb. 23) ergaben Hinweise<br />
auf verminderte alltagspraktische Tätigkeiten. Das steht bei den Apert-<br />
Kindern vermutlich mit den Folgen der Syndaktylie im Zusammenhang.<br />
Unsere Beobachtungen zeigten jedoch, dass die Kinder trotzdem über eine<br />
recht gute Handgeschicklichkeit verfügten, so mag diese Einschätzung auch<br />
so interpretiert werden, dass den Kindern aufgr<strong>und</strong> der Handfehlbildungen<br />
wenig alltagspraktisches Geschick zugetraut <strong>und</strong> abverlangt wird.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 130<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB/KGS Apert <strong>und</strong> Crouzon<br />
PRT SPF SFV KBB<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 23: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS) für die Skalen<br />
Praktische Tätigkeiten (PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF),<br />
Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV) <strong>und</strong> Körperliche<br />
Besonderheiten/Beschwerden (KBB) beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-<br />
Syndrom (N = 11). Die Prozentangaben (Cut off-Wert 80%)<br />
beziehen sich auf den Maximalwert für unauffällige<br />
Entwicklung.<br />
Während wir das Sozialverhalten der Kinder als unauffällig bewerteten,<br />
fiel das Elternurteil etwas strenger aus. Da es sich um ein<br />
Fehlbildungssyndrom handelt, sind die angegebenen Probleme im Bereich<br />
der körperlichen Besonderheiten <strong>und</strong> Beeinträchtigungen erwartungsgemäß.<br />
5.2 Ergebnisse zum Fragilen-X-Syndrom<br />
Es wurden 11 Patienten mit Fragilem-X-Syndrom untersucht. Die<br />
Alterspanne betrug 7;5 bis 18;11 Jahre.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 131<br />
5.2.1 Fallbeispiele<br />
Für die Fallbeispiele zum Fragilen-X-Syndrom gilt das gleiche wie unter<br />
Punkt 5.1.1 beschrieben.<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Mirco, 9;8 Jahre (Fragiles-X-<br />
Syndrom)<br />
Laut der uns überlassenen Bef<strong>und</strong>e, wurde bei Mirco im Alter von sieben<br />
Jahren ein Fragiles-X-Syndrom diagnostiziert. Im Rahmen dessen bestehen<br />
eine Sprachentwicklungsstörung, Verhaltensauffälligkeiten im Sinne von<br />
aggressiven <strong>und</strong> autoaggressiven Tendenzen, eine allgemeine<br />
Entwicklungsverzögerung sowie Aufmerksamkeits- <strong>und</strong><br />
Hyperaktivitätsstörungen. Letztere werden mit Ritalin behandelt. Zudem<br />
bestehen ein Mitralklappenprolaps <strong>und</strong> eine Aortendilatation.<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Kaufman-Assessment Battery for Children (K-ABC); Testbatterie für<br />
geistig behinderte Kinder (TBGB) nach Bondy et al.; Auditiv-Verbaler Lerntest<br />
(AVLT, Kurzform) nach Heubrock; Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />
Heubrock et al.; Apraxie-Prüfung nach Brown.<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e<br />
Wir baten Mirco, ein Haus zu malen. Aufgr<strong>und</strong> der anamnestischen Daten<br />
<strong>und</strong> der Beobachtung bei anderen Kindern mit dem Fragilen-X-Syndrom<br />
erwarteten wir eine Anordnung von Kreisen <strong>und</strong> Strichen. Mirco malte jedoch<br />
ein deutlich erkennbares Haus mit Schornstein, zwei Fenstern <strong>und</strong> einer<br />
etwas zu hoch angesetzten Tür. Neben das Bild schrieb er seinen Namen in<br />
Druckbuchstaben. Beim Abzeichentest (ATK) zeigten sich dann aber die
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 132<br />
charakteristischen Probleme der Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom: die<br />
geometrischen Formen konnten zwar in einigen Ansätzen erfasst werden, bei<br />
der graphomotorischen Umsetzung zeigten sich jedoch deutliche<br />
Schwierigkeiten in der Größen- <strong>und</strong> Richtungserfassung. Teilweise konnten<br />
wir einen Gestaltzerfall erkennen.<br />
Zur Feststellung Mircos intellektueller Fähigkeiten, bezogen auf einzelne<br />
Teilleistungen, wurden zwei verschiedene standardisierte Testverfahren<br />
herangezogen: die Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC) <strong>und</strong><br />
die Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB). Bei der K-ABC führten<br />
wir zur differenzierteren Aussage fast alle Untertests (mit Ausnahme<br />
Lesen/Verstehen) durch, auch wenn nicht alle dieser Untertests für Mircos<br />
Altersklasse vorgesehen waren (Wortschatz). Die Untertests<br />
„Handbewegungen”, „Zahlennachsprechen” <strong>und</strong> „Wortreihe” überprüfen das<br />
Kurzzeitgedächtnis. Hier werden den Kindern Reize sowohl visuell als auch<br />
auditiv vorgegeben. Die Beantwortung erfolgt durch Nachahmen,<br />
Nachsprechen oder Zeigen. Mircos quantitative Ergebnisse liegen hier zwar<br />
weit unter dem Altersdurchschnitt, qualitativ war er im Gegensatz zu anderen<br />
Kindern mit dem Fragilen-X-Syndrom, die oftmals nur das letzte Item<br />
echolalieren beziehungsweise wiederholen, in der Lage, bis zu vier Reize in<br />
der richtigen Reihenfolge zu reproduzieren. Mircos auditiv-verbale Merk- <strong>und</strong><br />
Lernfähigkeit wurde zudem mit dem Auditiv-Verbalen Lerntest (AVLT,<br />
Kurzform) überprüft. Im ersten der fünf Durchgänge merkte sich Mirco drei<br />
der zehn Worte <strong>und</strong> konnte sich kontinuierlich auf bis zu acht Worte im<br />
letzten Durchgang steigern. Von häufigen Wiederholungen scheint Mirco<br />
somit zu profitieren.<br />
Bei Tests aus der Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC),<br />
die visuelles Erfassen <strong>und</strong> räumlich-konstruktives Umsetzen erforderten,<br />
zeigten sich uneinheitliche Ergebnisse, die für Kinder mit dem Fragilen-X-<br />
Syndrom aber durchaus charakteristisch sind. Handelte es sich um konkrete<br />
Objekte <strong>und</strong> logisches Zuordnen von Mustern, war Mirco in der Lage, einen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 133<br />
großen Teil der Aufgaben zu lösen (Gestaltschließen, Bildhaftes Ergänzen).<br />
Bei diesen Untertests liegen die erzielten Resultate im knappen<br />
Durchschnittsbereich seiner Altersklasse. Handelte es sich um abstrakte<br />
Formen, die nachgebaut werden sollten, fielen deutliche Schwierigkeiten auf<br />
(Dreiecke). Allerdings konnte Mirco bei diesem Test mehr richtige Leistungen<br />
erzielen, wenn ihm gestattet wurde, direkt auf der Vorlage nachzubauen.<br />
Räumliches Positionieren <strong>und</strong> chronologisches Ordnen einer<br />
Bildergeschichte überforderten Mirco (Räumliches Gedächtnis, Fotoserie).<br />
Hier konnte er fast keine der Aufgaben lösen.<br />
Bei einer Überprüfung seiner bisher angeeigneten Fertigkeiten stellte sich<br />
heraus, dass charakteristisch für Patienten mit einem Fragilen-X-Syndrom<br />
Schwierigkeiten mit Zahlen <strong>und</strong> mathematischen Operationen bestehen<br />
(Rechnen). Mirco war in der Lage, die Anzahl von Personen auf einem Bild,<br />
Zahlen <strong>und</strong> Formen zu identifizieren. Vergleiche (mehr als /weniger als)<br />
gelangen ihm jedoch nicht. Insgesamt liegen seine Ergebnisse weit unter<br />
dem Altersdurchschnitt. Bei Aufgaben, die das allgemeine Wissen abfragen<br />
(Gesichter <strong>und</strong> Orte), löste Mirco ein Drittel der Aufgaben <strong>und</strong> erzielte damit<br />
im Bereich der Fertigkeitenskala sein bestes Resultat. Der Untertest „Rätsel”<br />
misst das logisch-schlussfolgernde Denken. Hier konnte Mirco fast die Hälfte<br />
aller Aufgaben erfolgreich bewältigen. Herausragend ist sein Wortschatz.<br />
Dieser Untertest ist jedoch nur bis zu einem Alter von 4,11 Jahren<br />
vorgesehen. Im Untertest „Lesen/Buchstabieren” gelang es Mirco, einige<br />
Buchstaben zu identifizieren. Aufgr<strong>und</strong> optischer Ähnlichkeiten kam es hier<br />
zu Verwechslungen von „a” <strong>und</strong> „g”. Es fällt Mirco noch schwer, einzelne<br />
Buchstaben zu einem Wort zusammenzufügen.<br />
Die Auswertung der erreichten Punkte ergibt Werte, die im Bereich einer<br />
mittelgradigen geistigen Behinderung liegen, mit einer deutlichen Diskrepanz<br />
zwischen der sequentiellen Informationsverarbeitung <strong>und</strong> der ganzheitlichen<br />
Bearbeitung visuellen Materials, welche eine eindeutige Stärke von Mirco<br />
darstellt. Die Ergebnisse, die Mirco im Bereich seiner bisher erlernten
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 134<br />
Fertigkeiten erzielen konnte, zeigen einen deutlichen Entwicklungsrückstand.<br />
Zur weiteren Differenzierung in niedrigeren Intelligenzbereichen wurde die<br />
Testbatterie für geistig behinderte Kinder eingesetzt. In den Bereichen<br />
logisch-schlussfolgerndes Denken <strong>und</strong> allgemeine Intelligenz (CMM,<br />
BM+CM), sowie im Bereich der Merkfähigkeit - bezogen auf konkrete<br />
Anweisungen - (BA) <strong>und</strong> hinsichtlich seiner feinmotorischen Fähigkeiten (KP)<br />
erzielte Mirco Werte, die im Normbereich für geistig behinderte Kinder liegen.<br />
Bei der Überprüfung des Wortschatzes (PPVT) konnte Mirco das positive<br />
Ergebnis aus der Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC)<br />
bestätigen <strong>und</strong> hier sogar überdurchschnittliche Werte erzielen.<br />
Die Apraxie-Prüfung erfordert die Imitation verschiedener Bewegungen.<br />
Mirco ist muskulär hypoton. Dieses äußerte sich in Schwierigkeiten bei der<br />
Durchführung der Aufgaben zur Gesichtspraxie (z.B. saugen, pfeifen), zu<br />
intransitiven Bewegungen (z.B. Auto anhalten), zu transitiven Bewegungen<br />
(z.B. sägen <strong>und</strong> schrauben), zu bilateralen Bewegungen (z.B. Nägel feilen,<br />
Klavier spielen) <strong>und</strong> zu Ganzkörperkommandos (z.B. stehen wie ein Boxer).<br />
Ebenfalls fielen Gleichgewichtsunsicherheiten auf. Die Unterscheidung von<br />
Rechts <strong>und</strong> Links fiel Mirco sehr schwer.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Wir erlebten Mirco während der mehrstündigen Untersuchung als<br />
fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> kooperativ. Trotz Medikation mit Ritalin traten hyperaktive<br />
Verhaltensweisen auf. Mirco blieb zwar am Tisch sitzen <strong>und</strong> leistete allen<br />
Anweisungen Folge, hatte dabei aber immer seine Hände <strong>und</strong> Füße in<br />
Bewegung. Teilweise trat er die Untersucher unter dem Tisch, ohne es zu<br />
bemerken. Seine Unruhe äußerte sich auch in exzessivem Reden.<br />
Erstaunlich dabei war Mircos Ausdrucksfähigkeit. Er erzählte uns logisch<br />
strukturierte <strong>und</strong> mit Fremdwörtern versehene Geschichten. Seine<br />
Äußerungen waren immer kontextbezogen. Einzig die Artikulation bereitet<br />
noch Probleme: so spricht Mirco sehr verwaschen <strong>und</strong> ist daher nicht leicht
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 135<br />
zu verstehen.<br />
Mirco ist leicht ablenkbar <strong>und</strong> lenkt sich auch gerne selber ab, um<br />
Anforderungen zu entgehen. So musste er oft dazu angehalten werden, sich<br />
wieder auf die Aufgabenstellung zu konzentrieren. Insgesamt schien er<br />
konzentrationsstärker als andere Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom, da er<br />
oftmals weiterarbeiten statt pausieren wollte <strong>und</strong> auch keine<br />
Ermüdungsanzeichen zeigte. Mirco wirkte auf uns sehr offen <strong>und</strong><br />
begeisterungsfähig. Von den Eltern berichtete auto- <strong>und</strong> fremdaggressive<br />
Verhaltensweisen, konnten im Rahmen der Untersuchung nicht beobachtet<br />
werden.<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Mircos intellektuelle Fähigkeiten liegen insgesamt im Bereich der<br />
mittelgradigen geistigen Behinderung (Tab. 9). Seine Schwächen liegen vor<br />
allem im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses. Hier kann Mirco jedoch von<br />
häufigen Wiederholungen profitieren. Zudem hat er bereits<br />
Kompensationsstrategien (er lautierte beim Vorlesen der Wortlisten des<br />
AVLT mit) entwickelt, die ihm dabei helfen, sich auditiv dargebotenes Material<br />
leichter zu merken. Mircos Stärken bestehen in der visuellen Analyse<br />
konkreten Materials, während er zu abstrakten Formen keinen Bezug<br />
herstellen kann. Letzteres erschwert den Erwerb der Kulturtechniken. Jedoch<br />
scheint Mirco sehr gut gefördert, da es ihm gelang, seinen Namen zu<br />
schreiben <strong>und</strong> sowohl Buchstaben, als auch Zahlen zu identifizieren.<br />
Probleme im sprachlichen Bereich äußerten sich nur in<br />
Artikulationsschwierigkeiten. Im motorischen Bereich fielen Probleme<br />
hinsichtlich der Gesamtkörperkoordination auf. Mircos Vorliebe für konkrete<br />
Objekte sollte für seine weitere Förderung genutzt werden. Unterstützend<br />
sollte bildhaftes Material eingesetzt werden. So könnte es für ihn im Bereich<br />
der Kulturtechniken leichter sein, beispielsweise durch aussagekräftige Bilder<br />
von Buchstaben (z.B. ein „A” aus Äpfeln, usw.), weiteren Lernzuwachs zu
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 136<br />
erreichen.<br />
Mirco profitiert von einfachen, strukturierten Anweisungen <strong>und</strong> häufigen<br />
Wiederholungen, sowohl im schulischen als auch im privaten Bereich.<br />
Gegebenenfalls sollte auch hier unterstützend mit Bildkarten gearbeitet<br />
werden. Ebenso sollte im Bereich der Psychomotorik weiter an der<br />
Gesamtkörperkoordination gearbeitet werden. Wir halten die Durchführung<br />
einer Ergotherapie für sinnvoll, die sowohl auf seine motorische Koordination<br />
ausgerichtet ist, als auch seine visuellen Stärken weiter fördert. Auch in<br />
Bezug auf lebenspraktische Fähigkeiten sollte Mirco im Rahmen dessen<br />
weiter gefördert werden. Eine logopädische Behandlung sollte auf seine<br />
Artikulationsschwierigkeiten ausgerichtet sein.<br />
Aggressive oder autoaggressive Verhaltensweisen, die im Alltag<br />
auftreten, sollten durch einen Psychotherapeuten beobachtet <strong>und</strong> analysiert<br />
werden. Im Rahmen einer Verhaltenstherapie für geistig behinderte Kinder<br />
könnte dann eventuell dieses Verhalten schrittweise verlernt<br />
beziehungsweise umgelenkt werden.<br />
Tabelle 9: Psychometrisches Leistungsprofil von Mirco, 9;8 Jahre<br />
Psychometrisches Leistungsprofil<br />
Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang andere<br />
Intelligenz<br />
(RW)<br />
(PR) Werte/Bemerkungen<br />
CPM (aus TBGB) 15 -1,9 3 IQ: 72,<br />
unterdurchschnittlich<br />
K-ABC (SIF) 24 -3,1 0 SW: 53 (~IQ)<br />
unterdurchschnittlich<br />
(Bereich:<br />
mittelgradige geistige<br />
Behinderung)<br />
K-ABC (FS) 188 -3,4 0 unterdurchschnittlich<br />
(Bereich:<br />
mittelgradige geistige<br />
Behinderung)<br />
TBGB durchschnittlich im<br />
Bereich der geistigen<br />
Behinderung (CMM,<br />
BM+CM, BA, KP) bis<br />
überdurchschnittlich<br />
(PPVT)
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 137<br />
Merkfähigkeit<br />
AVLT/ Durchgänge<br />
Gekürzte Liste von<br />
10 Items<br />
Rohwerte<br />
A1 A2 A3 A4 A5 B1 A6<br />
3 4 6 8 8 n.d. n.d.<br />
Lernverlauf<br />
steigerungsfähig,<br />
Wiedererkennung: 10<br />
Richtige, 0<br />
Auslassungen, 17<br />
Falschnennungen<br />
Objekt- <strong>und</strong> Raumanalyse<br />
ATK R: 0 Auffälligkeiten -> Gestaltzerfall<br />
Sonstige<br />
- Motorische Funktionen: Unsicherheiten in der Gesamtkörperkoordination,<br />
Gleichgewichtsunsicherheiten, muskuläre Hypotonie<br />
- Apraxie-Bogen: intransitive <strong>und</strong> transitive Bewegungen, Ganzkörperkommandos<br />
<strong>und</strong> bilaterale Bewegungen schwierig, Schwierigkeiten bezüglich der<br />
Gesichtspraxie<br />
- Rechts-Links-Differenzierung: Unsicherheiten am eigenen Körper<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Stefan, 12;1 Jahre (Fragiles-X-<br />
Syndrom)<br />
Laut der uns überlassenen Bef<strong>und</strong>e wurde bei Stefan nachweislich des<br />
Untersuchungsheftes für Kinder in der U8 ein Fragiles-X-Syndrom<br />
diagnostiziert. Stefan nahm bisher an einer Festhaltetherapie, einer<br />
Beschäftigungstherapie <strong>und</strong> einer Verhaltenstherapie teil.<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Kaufman-Assessment Battery for Children (K-ABC); Testbatterie für<br />
geistig behinderte Kinder (TBGB) nach Bondy et al.; Auditiv-Verbaler Lerntest<br />
(AVLT, Kurzform) nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />
Heubrock, Apraxie-Prüfung nach Brown, Rechts-Links-Differenzierung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 138<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />
Stefans Händigkeit ist nicht klar ausgeprägt. Zwar nimmt er alles in die<br />
rechte Hand, malt <strong>und</strong> schreibt mit rechts, dennoch zeigten die Luria-Proben<br />
Lateralitätsunsicherheiten<br />
Wir baten Stefan, ein Haus zu malen. Dieser Aufforderung kam er mit<br />
Freude nach. Man kann erkennen, dass Stefan r<strong>und</strong>e Formen mag, da er das<br />
Haus als kleinen Kreis in einem großen Kreis darstellte. Aus eigenem Antrieb<br />
malte Stefan dann ein Fahrrad. Auf dem Bild befanden sich einige Kreise,<br />
von denen einer von Strichen durchzogen war, so dass ein Rad mit Speichen<br />
durchaus zu erkennen war.<br />
Zur Feststellung Stefans intellektueller Fähigkeiten, bezogen auf einzelne<br />
Teilleistungen, wurden zwei verschiedene standardisierte Testverfahren<br />
herangezogen: die Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC) <strong>und</strong><br />
die Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB). Bei der K-ABC führten<br />
wir zur differenzierteren Aussage alle Untertests (mit Ausnahme<br />
Lesen/Verstehen) durch, auch wenn nicht alle dieser Untertests für Stefans<br />
Altersklasse vorgesehen waren. Im Bereich des Gedächtnisses, sollte Stefan<br />
Reize, die ihm sowohl visuell als auch verbal vorgegeben wurden,<br />
reproduzieren (Handbewegungen, Zahlennachsprechen, Wortreihe). Hier fiel<br />
auf, dass Stefan sich jeweils am letzen Item orientierte <strong>und</strong> die vorherigen<br />
ignorierte. So nannte er beispielsweise beim Zahlennachsprechen immer nur<br />
die zuletzt genannte Zahl. Bei Tests, die visuelles Erfassen <strong>und</strong> räumlichkonstruktives<br />
Umsetzen erforderten, zeigten sich uneinheitliche Ergebnisse.<br />
Augenscheinlich war jedoch, dass Stefan viel mehr mit konkreten als mit<br />
abstrakten Formen anfangen konnte. Stefan ist besonders gut in der Lage,<br />
Einzelpersonen, die er sich nur ein paar Sek<strong>und</strong>en ansehen <strong>und</strong> einprägen<br />
konnte, auf Gruppenfotos zu identifizieren (Wiedererkennen von Gesichtern).<br />
Auch unvollständige konkrete Objekte konnte er benennen, wenn diese<br />
seinem Wortschatz entsprachen (Zauberfenster, Gestaltschließen). Aufgaben<br />
jedoch, die Muster Nachbauen, logisches Ergänzen, räumliches Positionieren
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 139<br />
oder chronologisches Ordnen erforderten, überforderten Stefan (Dreiecke,<br />
Bilder Ergänzen, Räumliches Gedächtnis, Fotoserie).<br />
Bei einer Überprüfung seiner bisher angeeigneten Fertigkeiten stellte sich<br />
heraus, dass Schwierigkeiten mit Zahlen <strong>und</strong> mathematischen Operationen<br />
bestehen (Rechnen). Stefan war nicht in der Lage, zwei Personen auf einem<br />
Bild korrekt abzuzählen. Demgegenüber gelang es ihm, die Buchstaben „A”<br />
<strong>und</strong> „T” auf einer Vorlage zu identifizieren (Lesen/Buchstabieren). Bei der<br />
Überprüfung seines Wortschatzes bezeichnete er alle Dinge, die er nicht<br />
kannte als „Fahne”. Er löste aber über die Hälfte der Aufgaben (Wortschatz).<br />
Bei Aufgaben, die das allgemeine Wissen oder logisch-schlussfolgerndes<br />
Denken erfordern (Gesichter <strong>und</strong> Orte, Rätsel), konnte Stefan einige wenige<br />
Items korrekt lösen.<br />
Die altersgemäße Auswertung der erreichten Punkte ergibt Werte, die im<br />
Bereich einer mittelgradigen geistigen Behinderung liegen. Demgegenüber<br />
ergibt die Auswertung in Altersklassen für weit jüngere Kinder ein Bild,<br />
wonach Stefan besonders in den Bereichen Wiedererkennen von Gesichtern,<br />
Wortschatz <strong>und</strong> Gesichter <strong>und</strong> Orte angemessene Leistungen erbringen<br />
kann.<br />
Zur weiteren Differenzierung in niedrigeren Intelligenzbereichen wurde die<br />
TBGB eingesetzt. In den Bereichen logisch-schlussfolgerndes Denken <strong>und</strong><br />
allgemeine Intelligenz (CMM, BM+CM) erzielte Stefan Werte, die knapp im<br />
Normbereich für geistig behinderte Kinder beziehungsweise knapp darunter<br />
liegen. Bei diesen Aufgaben nahm sich Stefan nicht die Zeit, alle möglichen<br />
Lösungen anzusehen, sondern zeigte oft perseverierend auf die erste (<strong>und</strong><br />
damit oft falsche) Lösungsmöglichkeit. Er schien hier freiwillig keine visuellen<br />
Suchbewegungen durchzuführen. Bei der Überprüfung des Wortschatzes<br />
zeigte Stefan oft unglaublich schnell auf die richtige Lösung. Hier erreichte er<br />
durchschnittliche Werte. Bezüglich der Merkfähigkeit (Befolgen von<br />
Anweisungen) liegt er ebenfalls im durchschnittlichen Bereich, hätte aber<br />
sicherlich noch bessere Werte erzielen können. Hier hemmte ihn seine
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 140<br />
Ordnungsliebe. Er tat nur teilweise das, was gefordert war <strong>und</strong> beschäftigte<br />
sich stattdessen häufig mit dem Einräumen des restlichen Materials. Zudem<br />
zeigten sich Schwierigkeiten bezüglich der Unterscheidung „auf/unter.” Die<br />
Verwechslung der Präpositionen kann in Bezug zu Stefans räumlichkonstruktiven<br />
Defiziten stehen. Stefans feinmotorische Fähigkeiten sind<br />
überdurchschnittlich gut ausgeprägt (Kreise punktieren). Es gelang ihm, alle<br />
110 Kreise richtig <strong>und</strong> vor Ablauf der Zeit mit einem Punkt zu versehen.<br />
Orientierend wurden weitere Prüfverfahren herangezogen: der AVLT<br />
überprüft die auditiv-verbale Merk- <strong>und</strong> Lernfähigkeit. Wir verwendeten für<br />
Stefan eine gekürzte Liste von zehn Wörtern. Nachdem wir die Liste ein<br />
erstes Mal vorgelesen hatten, reproduzierte Stefan drei Wörter aus dieser<br />
Liste richtig, benannte aber auch noch andere Wörter, die weit vorher in<br />
anderen Tests aufgetaucht waren, er konfabulierte also. Bei der<br />
Durchführung des AVLT konnte sich Stefan im fünften Durchgang auf sechs<br />
richtige Wiederholungen steigern. Nach Ablauf von einer halben St<strong>und</strong>e sollte<br />
er dann aus einer Liste von 33 Wörtern diejenigen identifizieren, die ihm<br />
vorher vorgelesen wurden. Hier bejahte er alle Wörter, was zum Einen daran<br />
liegen kann, dass er sie wirklich nicht erinnerte, zum anderen aber auch an<br />
Stefans mangelndem Instruktionsverständnis <strong>und</strong> der Neigung zur<br />
Perseveration.<br />
Beim Abzeichentest, bei dem mit Hilfe von Markierungslinien eine<br />
Vorlage abgezeichnet werden soll, fanden sich – wie beim Malen des Hauses<br />
– nur kreisförmige Anordnungen. Die Vorlagen wurden von Stefan weder<br />
visuell richtig erfasst noch zeichnerisch reproduziert, so dass man – wie so<br />
oft bei Kindern mit Fragilem-X-Syndrom – von einem Gestaltzerfall sprechen<br />
kann.<br />
Bei der Apraxie-Prüfung sollte Stefan verschiedene Bewegungen<br />
imitieren. Hier zeigten sich Schwierigkeiten in der Gesichts-Praxie: so pustete<br />
er, statt zu saugen oder leckte an der Unter- statt an der Oberlippe. Auch<br />
transitive Bewegungen, wie beispielsweise das Sägen oder das Benutzen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 141<br />
einer Schere konnte Stefan weniger gut imitieren. Unsicherheiten zeigten<br />
sich ebenfalls bei bilateralen Bewegungen, wie beim imitierten Klavierspielen.<br />
Insgesamt zeigten sich Unsicherheiten in der Gesamtkörperkoordination, vor<br />
allem im Bereich des Gleichgewichts. Bei Stefan besteht eine muskuläre<br />
Hypotonie. Die Rechts-Links-Differenzierung ergab Unsicherheiten sowohl<br />
bei der Durchführung am eigenen Körper, als auch beim Gegenüber.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Stefan begegnete uns als fre<strong>und</strong>licher <strong>und</strong> aufgeschlossener Junge. Er<br />
ging bereitwillig mit in den Untersuchungsraum <strong>und</strong> zeigte sich bezüglich der<br />
Testdurchführung als kooperativ. Am Ende jeder Untersuchungssequenz<br />
wurde er etwas unruhig <strong>und</strong> es fiel ihm dann offensichtlich schwer, seine<br />
Konzentration aufrecht zu erhalten. Manchmal wirkte er dann etwas<br />
überdreht, wippte mit dem Oberkörper <strong>und</strong> nestelte an den Vorlagen herum.<br />
Gut zu beobachten waren unübliche Bewegungen, wie beispielsweise das<br />
ständige Aneinanderreiben der Hände, das Kneten der Finger oder das<br />
Flattern der Hände. Stefan nahm zu uns Blickkontakt auf, vermied ihn aber<br />
auch manchmal, indem er seinen Kopf wiederholt verkrampft in seine<br />
Armbeuge steckte. Im sprachlichen Bereich fiel auf, dass Stefan eine zum<br />
Teil sehr deutliche Aussprache hat, auf der anderen Seite aber auch sehr<br />
verwaschen spricht <strong>und</strong> stottert. Nach Aussage der Bezugspersonen, ist<br />
letzteres auf ein traumatisches Ereignis zurückzuführen. Stefan spricht meist<br />
in Zwei-Wort-Sätzen. Von sich selbst spricht er in der dritten Person. Das<br />
Vermeiden von “Ich”-Benennungen <strong>und</strong> das Vermeiden von Blickkontakt,<br />
spricht für das Vorliegen von autistischen Zügen. Der Bereich des<br />
Sprachverständnisses ist bei Stefan zum Teil problematisch. Stefan verstand<br />
nicht immer die Instruktionen, so dass sie für jede einzelne Aufgabe<br />
wiederholt werden mussten. Auch echolalierte er oft das von der<br />
Untersucherin Gesagte, ohne es wirklich zu verstehen. So beschrieb er das,<br />
was er auf den Vorlagen sah, ohne es zu bearbeiten. Stefan wird als sehr
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 142<br />
hilfsbereit <strong>und</strong> ordentlich beschrieben. Dieses Verhalten war selbst in der für<br />
ihn ungewohnten Umgebung gut zu beobachten. Er räumte alle Materialien<br />
immer ordentlich wieder ein <strong>und</strong> konnte aufgr<strong>und</strong> dessen auch einen<br />
Untertest (Befolgen von Anweisungen) nicht mit voller Punktzahl lösen, da<br />
die Anforderungen hierbei nicht verändert werden dürfen. Nur einmal zeigte<br />
Stefan destruktives Verhalten, indem er eine Uhr vom Tisch warf. Als wir ihn<br />
baten, dieses zu unterlassen, fragte er nach einer Strafe. Wir waren sehr<br />
erschrocken <strong>und</strong> machten ihm klar, dass wir ihn nicht bestrafen würden. Als<br />
wir beim Ansehen eines Videos den sehr technik-interessierten Jungen daran<br />
hindern wollten, ständig den Film anzuhalten, kam die Frage wieder. Eine<br />
mögliche Erklärung erhielten wir im Nachhinein: da der Junge bis heute noch<br />
stuhlinkontinent ist, scheint er im Zuge der schulischen Sauberkeitserziehung<br />
zur Strafe kalt abgeduscht zu werden, wenn der Stuhl wieder einmal in der<br />
Hose gelandet ist. Da bekannt ist, dass Personen mit dem Fragilen-X-<br />
Syndrom oft ihr Leben lang inkontinent sind, halten wir diese Maßnahmen für<br />
überflüssig <strong>und</strong> für padagogisch überholt.<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Stefans intellektuelle Fähigkeiten liegen insgesamt im Bereich der<br />
mittelgradigen geistigen Behinderung (Tab.10). Es besteht eine unklare<br />
Händigkeit mit der Tendenz zur Rechtshändigkeit. Im Bereich der<br />
Gesamtkörperkoordination bestehen noch Unsicherheiten bezüglich des<br />
Gleichgewichts. Wie es für das Fragile-X-Syndrom typisch ist, reichen die<br />
Schwierigkeiten bei der visuellen Analyse <strong>und</strong> der räumlich-konstruktiven<br />
Umsetzung hin bis zum Gestaltzerfall. Konkrete Objekte sind dabei einfacher<br />
zu bearbeiten als abstrakte Formen, zu denen gar kein Bezug festgestellt<br />
werden kann. Das zeigte sich vor allem an den guten Leistungen im<br />
“Wiedererkennen von Gesichtern”. Auffällig war auch, dass Stefan teilweise<br />
keine visuellen Suchbewegungen durchführt. Er blieb praktisch auf der linken<br />
Seite der Vorlage <strong>und</strong> ignorierte weitere Bilder. Hier brauchte der Junge viel
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 143<br />
Ansprache, um die restlichen Lösungsmöglichkeiten mit zu berücksichtigen.<br />
Auch das räumliche Orientieren (unten, oben, neben, rechts, links) fällt<br />
Stefan schwer. Im sprachlichen Bereich zeigten sich zum Teil<br />
Verständnisschwierigkeiten <strong>und</strong> Echolalien. An der Erweiterung des<br />
Wortschatzes sollte weiter gearbeitet werden. Das Erlernen von<br />
Kulturtechniken, wie Lesen, Schreiben <strong>und</strong> Rechnen ist für Menschen mit<br />
dem Fragilen-X-Syndrom erschwert, umso erstaunlicher war es festzustellen,<br />
dass Stefan bereits zwei Buchstaben identifizieren konnte.<br />
Stefan ist ein fre<strong>und</strong>licher aufgeschlossener Junge, der, wenn er<br />
Vertrauen zu einer Person gefasst hat, gut zur Mitarbeit zu bewegen ist. Auch<br />
aus Berichten der Bezugspersonen haben wir erfahren, dass Stefan in der<br />
Therapie für autistische Behinderte aufgr<strong>und</strong> der Kind-Therapeut-Beziehung<br />
gute Erfolge erzielen konnte. Ebenfalls macht er den Besuch des Zahnarztes<br />
von dessen Person <strong>und</strong> der Umgebung abhängig. Eben weil Stefan einen<br />
starken Bezug zu seiner Familie <strong>und</strong> seinen Therapeuten braucht, ist es<br />
wichtig, auch zukünftig weitere Therapie- <strong>und</strong> Fördermaßnahmen von der<br />
durchführenden Person abhängig zu machen.<br />
So sollte dies auch im Bereich der Sprachheilförderung geschehen, deren<br />
Durchführung wir, zur Behebung des Stotterns <strong>und</strong> zur Erweiterung seines<br />
Wortschatzes, für sehr sinnvoll halten. Weil Stefan von Bildern mit konkreten<br />
Objekten profitiert, sollte man diese unbedingt als Hilfsmittel einsetzen. Da<br />
das Stottern aufgr<strong>und</strong> eines traumatischen Ereignisses eingetreten sein soll,<br />
halten wir weiterhin eine Verhaltenstherapie für geistig behinderte Kinder für<br />
sinnvoll.<br />
Bezüglich der Erweiterung der visuellen Suchbewegungen sollte seine<br />
Aufmerksamkeit immer wieder auf die unberücksichtige Seite gelenkt<br />
werden.<br />
An der Sauberkeitserziehung sollte zwar weiter gearbeitet werden, hierbei<br />
sollten aber keine zu großen Erwartungen an Stefan gestellt werden, da das<br />
Erlernen der Sauberkeitserziehung bei dem vorliegenden Krankheitsbild
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 144<br />
oftmals nicht gelingt. Trotzdem sollte versucht werden, durch<br />
verhaltenstherapeutische Maßnahmen, den Toilettengang zu fördern. Nach<br />
einer Verschmutzung vom Kind eine Reinigung zu verlangen, ist<br />
angemessen, sie sollte jedoch nicht wie bisher im Sinne einer Bestrafung mit<br />
kaltem Wasser erfolgen.<br />
Tabelle 10: Psychometrisches Leistungsprofil Stefan, 12;1 Jahre<br />
Psychometrisches Leistungsprofil<br />
Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang andere<br />
Intelligenz<br />
(RW)<br />
(PR) Werte/Bemerkungen<br />
K-ABC (SIF) 8 -4,0 0 IQ: ca. 40, mittelgradige<br />
geistige Behinderung<br />
K-ABC (FS) 153
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 145<br />
5.2.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen anhand der K-ABC, der<br />
Wechslerskalen <strong>und</strong> der TBGB (Abb. 24, 25 <strong>und</strong> Tab. 11 <strong>und</strong> 12)<br />
einheitliche Ergebnisse im Bereich der mittelgradigen geistigen Behinderung.<br />
Die Profilauswertung der K-ABC ergibt homogen (jeweils<br />
Standardabweichung von 0) defizitäre Leistungen für die Untertests der Skala<br />
„einzelheitliches Denken“ (SED: HB, ZN, WR), also im Bereich<br />
� der Merkfähigkeit <strong>und</strong><br />
� im räumlich-konstruktiven Untertest „Dreiecke“.<br />
Aber auch alle anderen Untertests fallen weit unterdurchschnittlich aus.<br />
Relative individuelle Stärken liegen im „Gestaltschluss“ <strong>und</strong> bei manchen<br />
Kindern in der visuell-logischen Zuordnung („Bildhaftes Ergänzen“).<br />
Im ATK <strong>und</strong> bei den Hauszeichnungen zeigten sich ein „Gestaltzerfall“<br />
<strong>und</strong> eine Tendenz zu r<strong>und</strong>en Formwiedergaben („Spiegeleizeichnungen“).<br />
Eine Betrachtung der Zeichenleistungen (siehe Abb. 26) lässt die<br />
feststellbaren ausgeprägten Schwierigkeiten im Erwerb der Kulturtechniken<br />
plausibel erscheinen.<br />
Interessant ist dabei die hier nicht zu beantwortende Frage, ob der<br />
„Gestaltzerfall“, bei dem die Kinder Formen in ungeordneter <strong>und</strong> teils<br />
unvollständiger Art <strong>und</strong> Weise wiedergeben, auf der anderen Seite einen<br />
Vorteil für die Kinder beim Erkennen unvollständiger Figuren<br />
(„Gestaltschluss“) bedeutet. Wenn hier tatsächlich ein Zusammenhang<br />
bestünde, würde das einige Vermutungen über die<br />
Wahrnehmungsverarbeitung der Kinder zulassen.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 146<br />
IQ-/Standardwerte<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Intelligenzverteilung beim Fragilen-X Syndrom<br />
41<br />
7;5<br />
J.<br />
51<br />
58<br />
43<br />
53<br />
7;6 J. 7;7 J. 8;1 J. 9;8 J. 10;1<br />
J.<br />
47 46<br />
11;8<br />
J.<br />
40<br />
12;1<br />
J.<br />
49<br />
12;5<br />
J.<br />
50<br />
14;7<br />
J.<br />
30<br />
18;11<br />
J.<br />
Abbildung 24: Intelligenzverteilung beim Fragilen-X-Syndrom (N = 11) in der<br />
Alterspanne 7;5 bis 18;11 Jahre.<br />
Tabelle 11: Untertestergebnisse der K-ABC beim Fragilen-X Syndrom (N<br />
= 9, 7;5-12;5 J.)<br />
Untertests<br />
K-ABC WP STABW<br />
HB 1.0 0.0<br />
GS 4.8 3.7<br />
ZN 1.0 0.0<br />
DR 1.0 0.0<br />
WR 1.0 0.0<br />
BE 1.6 0.8<br />
RG 1.4 0.5<br />
FS 1.4 0.5
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 147<br />
Tabelle 12: Untertestergebnisse in den Wechsler-Skalen<br />
T-Werte<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Untertests<br />
HAWIK-III/<br />
HAWIE-R<br />
WP<br />
STABW<br />
AW 1.0 0.0<br />
GF 4.0 4.2<br />
RD 1.0 0.0<br />
WT 1.0 0.0<br />
AV 1.5 0.7<br />
ZN 1.0 0.0<br />
BE 1.5 0.7<br />
ZS 1.0 0.0<br />
BO 1.0 0.0<br />
MT 1.0 0.0<br />
FL 2.0 1.4<br />
TBGB Fragiles-X<br />
CMM BM + CM PPVT BA KP<br />
MW<br />
STABW<br />
Abbildung 25: Ergebnisse der Testbatterie für geistig behinderte Kinder<br />
(TBGB) für die Gruppe mit Fragilem-X-Syndrom (N = 8, Alter<br />
7;5-12;1 J.). Die T-Werte beziehen sich auf die Population<br />
geistig behinderter Kinder. Untertests: Columbia Mental<br />
Maturity Scale (CMM), Bunte <strong>und</strong> Progressive Matrizen<br />
(BM+CM), Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT), Befolgen<br />
von Anweisungen (BA), Kreise Punktieren (KP).
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 148<br />
a b c<br />
Abbildung 26: Zeichenleistungen eines 11jährigen Jungen mit Fragilem-X-<br />
Syndrom: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK, c Hauszeichnung.<br />
Es fallen ein Gestaltzerfall <strong>und</strong> eine vorliebe für r<strong>und</strong>e Formen<br />
auf („Spiegeleizeichnungen“).<br />
Unsere Verhaltensbeobachtung (VB/KGS) ergab besondere<br />
Auffälligkeiten im Bereich der Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Hyperaktivität. Die Kinder<br />
waren dabei häufig ziellos aktiv. Des Weiteren war eine Fixierung auf<br />
bestimmte, individuell unterschiedliche Interessen bemerkbar. Im Bereich<br />
„Selbstverletzendes/aggressives Verhalten“ <strong>und</strong> „Stimmung“ fielen die Kinder<br />
während der Untersuchung nicht negativ auf (Abb. 27). Ergebnisse des<br />
Elternfragebogens (E-FB/KGS) zeigen für die Skalen Praktische Tätigkeiten<br />
(PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF), Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV)<br />
<strong>und</strong> Körperliche Besonderheiten/Beschwerden (KBB) Werte im als auffällig<br />
definierten Bereich (Abb. 28).
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 149<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Fragiles-X<br />
SV KB UBI SAV ST<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 27: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />
Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS (SV =<br />
Sozialverhalten, KB = Körperliche Bewegung, UBI = unübliche<br />
Bewegungen/Interessen, SAV = selbstverletzendes/aggressives<br />
Verhalten, ST = Stimmung) beim<br />
Fragilen-X-Syndrom. Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%)<br />
beziehen sich auf den erreichbaren Maximalwert (N = 11).<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB/KGS<br />
PRT SPF SFV KBB<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 28: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS) für die Skalen<br />
Praktische Tätigkeiten (PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF),<br />
Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV) <strong>und</strong> Körperliche<br />
Besonderheiten/Beschwerden (KBB) beim Fragilen-X-Syndrom
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 150<br />
(N = 11). Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%) beziehen<br />
sich auf den Maximalwert für unauffällige Entwicklung.<br />
5.3 Ergebnisse zum Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />
Es wird wie unter 5.1 <strong>und</strong> 5.2 verfahren. Es wurden 10 Patienten im Alter<br />
von 2;6 bis 19;4 Jahren untersucht.<br />
5.3.1 Fallbeispiele<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Alexandra, 16;8 Jahre (Mikrodeletion<br />
22q11)<br />
Laut der uns überlassenen humangenetischen Bef<strong>und</strong>e wurde bei<br />
Alexandra erst sechs Monate vor der Vorstellung bei uns ein<br />
Mikrodeletionssyndrom 22q11 diagnostiziert.<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Revidierter Hamburg Wechsler Intelligenztest für Kinder (HAWIE-R),<br />
Standard Progressive Matritzen (SPM) nach Raven, einfache optische <strong>und</strong><br />
akustische Reaktionszeiten sowie Wahlreaktionen am Wiener Reaktionsgerät<br />
(WRG), komplexe Aktionstestserie am Wiener Determinationsgerät (WDG),<br />
Zahlenverbindungstest (ZVT) nach Oswald <strong>und</strong> Roth, Diagnosticum für<br />
Cerebralschädigung (DCS) nach Weidlich <strong>und</strong> Lamberti, Auditiv-Verbaler<br />
Lerntest (AVLT) nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />
Heubrock et al., Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) nach<br />
Zimmermann <strong>und</strong> Fimm, Apraxie-Prüfung nach Brown, Testbatterie zur<br />
visuellen Objekt-<strong>und</strong> Raumwahrnehmung (VOSP) nach Warrington <strong>und</strong>
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 151<br />
James sowie diverse orientierende Prüfverfahren.<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />
Zu Beginn der Untersuchung baten wir Alexandra, ein Haus zu zeichnen<br />
<strong>und</strong> anschließend ihren Namen darunter zu schreiben. Die Zeichnung war<br />
von sehr einfacher Struktur <strong>und</strong> von wenigen Details geprägt. Das Haus<br />
besaß keinen dreidimensionalen Ansatz. Alexandra schrieb ihren Namen <strong>und</strong><br />
ihre Adresse recht langsam, aber gut leserlich <strong>und</strong> fehlerfrei unter das Bild.<br />
Alexandras Lateralität ist ambidextrisch (HDT), das bedeutet, dass sie<br />
sowohl links- als auch rechtshändig gleichermaßen gut agieren kann. Es liegt<br />
also keine eindeutige Handpräferenz vor. Die Rechts-Links-Differenzierung<br />
gestaltete sich für Alexandra recht schwierig. Bereits bei einfachen<br />
Anforderungen am eigenen Körper konnten wir starke Unsicherheiten<br />
feststellen.<br />
Die Apraxieprüfung ergab, dass Alexandra im Großen <strong>und</strong> Ganzen in der<br />
Lage war, die ihr sowohl motorisch als auch verbal präsentierten Handlungen<br />
nachzuvollziehen <strong>und</strong> vorzuführen. Bei Alexandra bestehen Unsicherheiten<br />
im Bereich der bilateralen entgegengesetzten Bewegungen (z.B. Auswringen<br />
eines Handtuchs). Außerdem konnten wir eine starke Überstreckbarkeit der<br />
Knie-, Hand- <strong>und</strong> Fingergelenke feststellen.<br />
Alexandras allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit entspricht<br />
insgesamt einer leichten geistigen Behinderung (HAWIE-R). Bei<br />
differenzierter Betrachtung ihres individuellen Leistungsprofils zeigt sich, dass<br />
Alexandras Stärken im Bereich der sprachbezogenen Leistungen liegen. Es<br />
gelang ihr recht gut, Gemeinsamkeiten bei Wortpaaren zu finden <strong>und</strong> auch<br />
der “Wortschatztest”, fiel vergleichsweise besser aus als die im Handlungsteil<br />
geforderten Leistungen. Diese Diskrepanz zwischen guten sprachbezogenen<br />
<strong>und</strong> eher schlechten visuell-perzeptiven Leistungen können möglicherweise<br />
auf ihr Alter zurückgeführt werden, das ihr ermöglicht, tägliche<br />
Erfahrungswerte mit in die Lösung der Aufgaben einzubringen. Trotz des
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 152<br />
besseren Abschneidens im sprachbezogenen Teil fiel im gesamten<br />
Testverlauf auf, dass Alexandra ein begrenztes Instruktionsverständnis<br />
besitzt. Sie benötigte zusätzliche Erklärungen <strong>und</strong> Informationen zu den<br />
gestellten Aufgaben <strong>und</strong> war dennoch nicht in der Lage, sie altersgerecht zu<br />
erfüllen. Alexandra benötigte sehr viel Zeit bei der Bewältigung der Untertests<br />
des handlungsbezogenen Teils im HAWIE-R (Bilderergänzen, Bilderordnen,<br />
Mosaik-Test, Figurenlegen usw.). Beim Mosaik-Test beispielspielsweise war<br />
sie sehr wohl in der Lage, die Gestalt der ihr vor gelegten Muster zu<br />
reproduzieren, jedoch konnte sie dies nicht in der altersentsprechenden Zeit<br />
erledigen. Ihre Aufgabe war es, aus Würfeln abstrakte Muster nachzubauen.<br />
Alexandra wirkte sehr zögerlich <strong>und</strong> versuchte verschiedene Varianten, was<br />
dazu führte, dass sie fast ausnahmslos außerhalb der Zeitnorm lag.<br />
Die Ergebnisse des HAWIE-R werden durch eine sprachfreie<br />
Intelligenztestung (SPM) weiter gestützt. Wir gehen davon aus, dass bei<br />
Alexandra massive Probleme im Bereich der visuellen Analyse bestehen.<br />
Im mnestischen Bereich zeigte sich eine unterdurchschnittlich<br />
ausgeprägte unmittelbare Merkspanne. Alexandra konnte sich im Laufe<br />
mehrerer nachfolgender Lerndurchgänge nur mäßig steigern <strong>und</strong><br />
identifizierte im letzten Durchgang 10 der insgesamt 15 präsentierten Wörter.<br />
(AVLT). Bei der von der Untersucherin nach dreißigminütiger Unterbrechung<br />
vorgelesenen Wiedererkennungsliste konnte Alexandra alle Wörter richtig<br />
wiedererkennen, jedoch wird diese Leistung durch 8 von ihr gennante, nicht<br />
dazugehörige Wörter (Konfabulationen), relativiert.<br />
Die visuell-figurale Merk- <strong>und</strong> Lernfähigkeit (DCS) lag weit unter dem<br />
Durchschnitt. Die Leistungen in diesem Bereich werden von Alexandras<br />
leichten Defiziten im räumlich-konstruktiven Bereich, vor allem aber durch<br />
eine zu geringe unmittelbare Merkspanne beeinträchtigt. Die von ihr mit<br />
Holzstäbchen nachgelegten Muster wiesen teilweise Entstellungen der<br />
Mustervorgaben auf. So legte sie zum Teil andere, ihr vorher nicht<br />
präsentierte, Muster mit der Überzeugung, sie so <strong>und</strong> nicht anders gesehen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 153<br />
zu haben. Im zweiten Durchgang legte sie lediglich vier von den geforderten<br />
neun Mustern, <strong>und</strong> nur ein Muster davon entsprach den Vorlagen. Deshalb<br />
wurde ein Nachlege-Duchgang unter Ausschluss der Gedächtniskomponente<br />
durchgeführt, bei dem sie die Muster anhand der direkten Vorlage nachbauen<br />
sollte. Diese Aufgabe konnte von ihr deutlich besser bewältigt werden. Sie<br />
legte acht der neun Muster in diesem Durchgang richtig.<br />
Eine Überprüfung zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung (VOSP)<br />
ergab, dass Alexandra nur einen der neun Untertests gut bewältigen konnte.<br />
Es zeigten sich Schwierigkeiten sowohl im Bereich der Objektwahrnehmung,<br />
als auch in der Raumwahrnehmung<br />
Das Abzeichnen geometrischer Anordnungen unter räumlichkonstruktiven<br />
Bedingungen (ATK) fiel Alexandra schwer. Erneut stellten wir<br />
fest, dass ihr Arbeitstempo sehr langsam war <strong>und</strong> die von ihr produzierten<br />
Muster, Fehler in der Größe, der Raumrichtung <strong>und</strong> der Position aufwiesen.<br />
Zum Teil war Alexandra nicht in der Lage die Markierungshilfen als solche zu<br />
erkennen <strong>und</strong> wirkte irritiert.<br />
Im psychomotorischen Bereich zeigten sich zunächst durchschnittliche<br />
Ergebnisse. Die einfachen optischen, akustischen <strong>und</strong> die komplexeren<br />
Wahlreaktionsgeschwindigkeiten (WRG) waren altersentsprechend. Bei der<br />
bilateralen psychomotorischen Koordinationsgeschwindigkeit (WDG),<br />
erreichte Alexandra ein unterdurchschnittliches Ergebnis.<br />
Das visuomotorische Tempo bei einer einfachen monotonen<br />
Routinetätigkeit (ZVT) lag bei Alexandra nicht im Altersnormbereich. Bei<br />
diesem Test müssen Zahlen ihrer Reihenfolge nach mit einem Bleistift<br />
möglichst schnell <strong>und</strong> ohne Fehler verb<strong>und</strong>en werden. Alexandra wollte diese<br />
Aufgabe sehr schnell erfüllen <strong>und</strong> wurde etwas aufgeregt <strong>und</strong> unruhig in<br />
dieser Testsituation. Mehrere Male verband sie nicht aufeinanderfolgende<br />
Zahlen <strong>und</strong> setzte zudem den Bleistift häufig beim Suchprozess ab.<br />
Alexandras Fähigkeit, schnelle visuelle Suchprozesse am Computer<br />
durchzuführen (TAP, Visuelles Scanning), lag unter der Altersnorm.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 154<br />
Im TAP-Untertest zur geteilten Aufmerksamkeit zeigten sich ebenfalls<br />
unterdurchschnittlich schnelle Reaktionszeiten, einige Auslassungen <strong>und</strong><br />
Fehler in der Reizbeantwortung. Im Bereich der selektiven Reizhemmung<br />
(Go/Nogo) reagiert Alexandra zwar durchschnittlich schnell, aber fehlerhaft<br />
<strong>und</strong> mit Auslassungen. Alexandra benötigte während der Tests zur<br />
Aufmerksamkeitsprüfung mehrere Vorversuche <strong>und</strong> es zeigte sich, dass es<br />
ihr schwer fiel sich auf die unterschiedlichen Versuchsinstruktionen<br />
einzustellen.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Als wir Alexandra am Morgen der Untersuchung aus dem Wartezimmer<br />
abholten, begegnete uns ein sehr schüchtern wirkendes Mädchen, das<br />
zunächst keinen Blickkontakt zu uns aufnahm. Alexandras körperliche Statur<br />
ist eher zierlich <strong>und</strong> klein. Sie sprach zunächst recht leise <strong>und</strong> etwas<br />
<strong>und</strong>eutlich. Es gelang uns im Rahmen der ersten Untersuchungseinheit das<br />
Eis zu brechen, <strong>und</strong> Alexandra erzählte uns bereitwillig von ihren schulischen<br />
<strong>und</strong> auch außerschulischen Aktivitäten. Während der mehr als vierstündigen<br />
Untersuchung zeigte sich Alexandra immer fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> kooperativ.<br />
Besonders aufgefallen ist uns, dass Alexandra ein großes Interesse an<br />
medizinischen Themen <strong>und</strong> Phänomenen besitzt. Sie ließ sich von uns sehr<br />
genau erklären, was eine humangenetische Untersuchung ist <strong>und</strong> fragte in<br />
diesem Kontext sehr detailiert nach. Auch bei den Beispielen, die sie in<br />
einigen Testsequenzen gab, zog sie immer wieder Parallelen zu<br />
naturwissenschaflich-medizinischen Bereichen.<br />
Alexandra gab sich bei allen von uns durchgeführten Tests große Mühe<br />
genau <strong>und</strong> sorgfältig zu arbeiten. Es war ihr peinlich, wenn sie Testfragen<br />
nicht beantworten konnte, <strong>und</strong> sie kommentierte diese Peinlichkeit mit den<br />
Worten: „Naja, so schlau bin ich eben nicht!”. Alexandra wirkte sehr schnell<br />
irritierbar <strong>und</strong> leicht ablenkbar <strong>und</strong> hatte häufiger Schwierigkeiten,<br />
Instruktionen zu verstehen <strong>und</strong> sie umzusetzen.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 155<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Die hier ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik<br />
erbrachte ein insgesamt unterdurchschnittliches Intelligenzniveau im Bereich<br />
der leichten geistigen Behinderung (Tab. 13). Massive Schwierigkeiten<br />
bestehen vor allem im Bereich der Aufmerksamkeit, der unmittelbaren<br />
Merkspanne <strong>und</strong> zum Teil auch in den räumlich-konstruktiven <strong>und</strong> visuellanalytischen<br />
Fähigkeiten.<br />
Da Alexandra insgesamt bei entsprechender Motivationslage über eine<br />
hohe Leistungsbereitschaft <strong>und</strong> eine ges<strong>und</strong>e Neugier verfügt, bietet sich hier<br />
ein Ansatz zur therapeutischen Ressourcenentwicklung. Unsere Erfahrungen<br />
in der Kontaktaufnahme mit Alexandra konnten zeigen, dass ein<br />
vertrauensvolles Verhältnis gut aufzubauen ist, wenn Alexandra sich<br />
bezüglich Ihrer Probleme <strong>und</strong> Interessen ernst genommen fühlt.<br />
Tabelle 13: Psychometrisches Leistungsprofil Alexandra, 16;8 Jahre<br />
Psychometrisches Leistungsprofil<br />
Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang andere<br />
Intelligenz<br />
(RW)<br />
(PR) Werte/Bemerkungen<br />
SPM 12 -2,8 0 IQ: 55-60 – leichte<br />
geistige Behinderung<br />
HAWIE-R (gesamt) 50 -2,6 0 IQ: 60, geistige<br />
Behinderung<br />
HAWIE-R (VT) 31 -1,7 46 IQ: 74,<br />
Lernbehinderung<br />
HAWIE-R (HT)<br />
Psychomotorik<br />
19
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 156<br />
Aufmerksamkeit<br />
GeteilteAufmerksam MD 735 MD: -2,0 MD 2<br />
-keit (TAP)<br />
Auslassungen<br />
SD 390<br />
4<br />
SD: -5,2 SD 0<br />
SD SD SD<br />
Go/Nogo (TAP) MD: 398 MD: +0,5 MD: 69<br />
Fehleranzahl<br />
SD: 167<br />
7<br />
SD: -2,0 SD: 2<br />
Visuelles Scanning MD: 3001 MD: -1,3 MD: 10<br />
(TAP); kritische<br />
Reize<br />
Auslassungen<br />
Visuelles Scanning;<br />
SD: 1378<br />
3<br />
MD: 5174<br />
SD: 1477<br />
SD: -0,8<br />
MD: -1,5<br />
SD: -2,6<br />
SD: 21<br />
MD: 7<br />
SD: 0<br />
nicht-kritische Reize<br />
Unterdurchschnittlich<br />
unterdurchschnittlich<br />
(F:1)<br />
durchschnittlich<br />
unterdurchschnittlich<br />
3 Auslassungen<br />
Unterdurchschnittlich<br />
Knapp<br />
durchschnittlich<br />
unterdurchschnittlich<br />
unterdurchschnittlich<br />
Merkfähigkeit<br />
DCS 14 -3,0 0 Auffällig<br />
(Nachlegedurchgang:<br />
8 von 9 richtig)<br />
AVLT/ Durchgänge A1 A2 A3 A4 A5 B1 A6 Kurzfristige<br />
Rohwerte 4 5 6 10 10 3 9<br />
Merkspanne <strong>und</strong><br />
Lernverlauf<br />
unterdurchschnittlich,<br />
Wiedererkennensleistung:<br />
15 R.,8 F.<br />
(Normen für 15-<br />
Jährige)<br />
Objekt- <strong>und</strong> Raumanalyse<br />
ATK R: 2 Auffälligkeiten bei Größe, Richtung, Position<br />
VOSP<br />
Sonstige<br />
Auffälligkeiten in 4 von 9 Untertests, 2 grenzwertig, 3 erfolgreich<br />
Rechts-links-Differenzierung: am eigenen Körper bereits bei einfachen Anforderungen<br />
unsicher<br />
motorische Funktionen: unauffällig<br />
Apraxie: nur bei bilateralen entgegengesetzten Bewegungen Unsicherheiten ,<br />
überstrechbare Gelenke<br />
Luriaproben; Daumen, Arm, Auge links führend, Schreibprobe: Rechtshändigkeit, HDT:<br />
Ambidextrie.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 157<br />
Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Jim, 8;7 Jahre (Mikrodeletion 22q11)<br />
Jim reagiere sensibel auf Veränderungen, er brauche feste Strukturen<br />
<strong>und</strong> reagiere häufig mit Wutausbrüchen. Er neige zu zwanghaften<br />
Verhaltensweisen. Hautunebenheiten puhle er weg, er kratze sich blutig. In<br />
seinem Essverhalten sei er in letzter Zeit maßlos, er esse viel <strong>und</strong> alles<br />
durcheinander. Er sei stimmungslabil <strong>und</strong> besonders in der dunklen<br />
Jahreszeit sehr weinerlich. Innerhalb der Schule sei Jim insgesamt integriert,<br />
aber er messe sich gerne mit anderen Mitschülern <strong>und</strong> „stecke sein<br />
Territorium” ab. Im außerschulischen Bereich seien Gruppensituationen sehr<br />
schwierig. Jim sei ein Außenseiter <strong>und</strong> werde schnell aggressiv. Er wisse<br />
nicht, wie er auf andere Kinder zugehen solle. Auch Betreuern gegenüber<br />
reagiere er provokativ („spuckt gegen die Scheibe vom Bus”) <strong>und</strong> wird zum<br />
Teil verbal ausfallend („Ich zieh` dir dann den Pimmel lang!”). Es sei unklar,<br />
woher er diese Begriffe aufschnappe, den Eltern sei unterstellt worden, dass<br />
Jim Sexfilme gucke. Seine Mutter sagte: „Er kann ganz widerlich sein, aber<br />
eigentlich ist er ein ganz lieber Kerl!”. Auch in unserer<br />
Untersuchungssituation war Jim zunächst wirklich sehr lieb <strong>und</strong> reagierte erst<br />
bei Überforderung aggressiv (siehe Verhaltensbeobachtung). Er sei sehr auf<br />
seine Mutter <strong>und</strong> die Oma fixiert. Benötige bestimmte Stofftiere. In letzter Zeit<br />
habe er begonnen, von sich aus Außenkontakt zu fordern <strong>und</strong> er habe jetzt<br />
auch einen Spielfre<strong>und</strong>. Auch gegen seinen Bruder reagiere er manchmal<br />
aggressiv <strong>und</strong> leide ihm gegenüber unter einem “Unterlegenheitsgefühl”.<br />
Im Bereich der praktischen Tätigkeiten könne er sich ohne Hilfe an- <strong>und</strong><br />
auskleiden (außer Jacke <strong>und</strong> Schuhe) <strong>und</strong> sich selbst auch mal ein Brot<br />
schmieren, aber er benötige ständige Aufsicht <strong>und</strong> verrichte sein<br />
Körperpflege nicht selbständig.<br />
Angewandte Testverfahren<br />
Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Auditiv-Verbaler-
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 158<br />
Lerntest (AVLT) nach Heubrock, Testbatterie für geistig behinderte Kinder<br />
(TBGB), Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock et al., Apraxie-<br />
Prüfung nach Brown, Überprüfung der motorischen Funktionen, Malprobe,<br />
Elternfragebogen, Verhaltensbeobachtung.<br />
Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />
Zur Erfassung von Jims intellektuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> seiner bisher<br />
erlernten Fertigkeiten wurde die K-ABC angewendet. In der K-ABC werden<br />
keine IQ-Werte angegeben, die Standardwerte sind aber dementsprechend<br />
zu bewerten Hier erreichte Jim Skalenwerte, die im Bereich einer<br />
mittelgradigen geistigen Behinderung liegen <strong>und</strong> im folgenden genauer<br />
erläutert werden. Bei der „Skala einzelheitlichen Denkens” (SED) werden die<br />
Leistungen des Kurzzeitgedächtnisses überprüft. Die Reize wurden Jim<br />
sowohl visuell als auch auditiv zur Reproduktion vorgegeben<br />
(Handbewegungen, Zahlennachsprechen, Wortreihe). Hier zeigte sich, dass<br />
er in der Lage war, einzelne Reize durch Nachsprechen oder Zeigen zu<br />
wiederholen, dass bei mehreren Reizen aber meist nur der letzte behalten<br />
oder die Reihenfolge vertauscht wurde. Das Nachahmen von<br />
Handbewegungen fiel ihm besonders schwer, obwohl er dabei verkündete,<br />
das sei ja “pippig leicht!”. Die Skala einzelheitlichen Denkens stellt aber<br />
insgesamt in diesem Testverfahren Jims Leistungsschwerpunkt da<br />
(Standardwert 67), da Jim im „Zahlennachsprechen” nur um einen Wertpunkt<br />
den Altersdurchschnitt (nicht behinderter Kinder) verfehlte <strong>und</strong> bei der<br />
„Wortreihe” um zwei Wertpunkte.<br />
Aufgaben, die visuelles Erfassen <strong>und</strong>/oder eine räumlich-konstruktive<br />
Umsetzung erforderten, fielen Jim zum Teil erheblich schwer (Dreiecke,<br />
Räumliches Gedächtnis, Fotoserie, Bildhaftes Ergänzen), so dass er dort<br />
kaum Anforderungen bewältigen konnte. Etwas bessere, aber dennoch weit<br />
unterdurchschnittliche Leistungen zeigte er im Untertest “Gestaltschließen”.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 159<br />
Insgesamt erreichte Jim für die “Skala ganzheitlichen Denkens” (SGD) einen<br />
Standardwert von 41. Einige durchgeführte Untertests wurden vor Erreichen<br />
der Altersgrenze abgebrochen.<br />
Bei den bisher erlernten Fertigkeiten („Fertigkeitenskala) fiel auf, dass bei<br />
Jim der Umfang des allgemeinen Faktenwissens (Gesichter <strong>und</strong> Orte) <strong>und</strong><br />
seiner rechnerischen Fertigkeiten (Rechnen) deutlich schlechter ausgeprägt<br />
sind als seine Fertigkeit logische Einordnungen anhand von verbalen<br />
Hinweisreizen (Rätsel), vorzunehmen. Letzteres gelingt ihm fast noch<br />
altersgerecht. Einzelne Buchstaben kann Jim zum Teil richtig benennen.<br />
Insgesamt erreicht er einen Standardwert von 52.<br />
Beim zusätzlich orientierend durchgeführten Untertest „Wortschatz”, für<br />
den es in Jims Altersklasse keine Werte mehr gibt, weil er nur für die<br />
Altersklasse bis 4;11 J. vorgesehen ist, konnte Jim fast alle Aufgaben lösen.<br />
Gemessen an der Altersklasse 4;11 J. hätte er ein überdurchschnittliches<br />
Ergebnis erreicht.<br />
Um Jims Entwicklungsalter näher einzuschätzen, haben wir verglichen,<br />
für welche Altersstufen seine Rohwerte ein noch knapp normgerechtes<br />
Resultat ergeben würden:<br />
Handbewegungen = 5;6-5; 8 J.<br />
Gestaltschließen = 5;6-5; 8 J.<br />
Zahlennachsprechen = 7;3-7;5 J.<br />
Dreiecke = < 4;0 J<br />
Wortreihe = 7;6-7;8 J.<br />
Bildhaftes Ergänzen = 5;3 bis 5;5 J.<br />
Räumliches Gedächtnis = 5;6-5; 8 J.<br />
Fotoserie = nicht vergleichbar, weil keine richtige Lösung, aber mind. < 6;0 J.<br />
Lesen/Verstehen = nicht vergleichbar, weil keine richtige Lösung, aber mind.<br />
< 7;0 J.<br />
Lesen/Buchstabieren = nicht vergleichbar, weil zu wenig richtige Lösungen,<br />
mind. < 7;0 J.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 160<br />
Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass der Entwicklungsrückstand des<br />
Jungen etwa drei Jahre beträgt. Da die K-ABC nur Vergleiche zu Kindern<br />
ohne Behinderung ermöglicht, haben wir zusätzlich die Testbatterie für<br />
geistig behinderte Kinder (TBGB) angewandt. Hier liegt Jim in den Bereichen<br />
Intelligenz, Sprache, Merkfähigkeit <strong>und</strong> Motorik im Durchschnitt dessen, was<br />
geistig behinderte Kinder leisten können. Das logisch-schlussfolgernde<br />
Denken <strong>und</strong> die sprachlichen Fähigkeiten liegen etwas besser, im gut<br />
durchschnittlichen Bereich.<br />
Beim Lernen einer vorgelesenen Wortliste (AVLT) zeigt Jim eine noch<br />
durchschnittliche unmittelbare Merkspanne, im Lernverlauf konnte er jedoch<br />
nicht ausreichend von der mehrfachen Wiederholung der Wortliste profitieren,<br />
so dass er in den unterdurchschnittlichen Bereich abfällt. Zudem zeigte sich<br />
ein sogenannter Recency-Effekt, dass heißt Jim erinnerte hauptsächlich die<br />
zuletzt gehörten Begriffe der Liste. Außerdem nannte Jim auch eine Reihe<br />
von Begriffen, die nicht in der Liste enthalten waren, die aber eventuell<br />
assoziativen Charakter hatten, so enthielt die Liste beispielsweise Begriffe<br />
wie „Fluss, Ente, Garten”, Jim nannte diese Wörter, aber zusätzlich auch<br />
falsch: „Teich, Bach, Fische, Schwäne”. Zum Begriff „Eltern” ergänzte er<br />
„Oma, Opa”, mit dem von ihm fälschlich genannten Begriff „Arbeiten” brachte<br />
er möglicherweise das Wort „Schule” in Zusammenhang. Trotz<br />
entsprechenden Hinweisen, behielt er einige Fehler über den gesamten<br />
Lernverlauf von fünf Durchgängen bei. Auf die Vorgabe der Störreizliste<br />
wurde unsererseits verzichtet. Als wir nach etwa 30 Minuten anhand einer<br />
Wiedererkennungsliste überprüfen wollten, wieviel der gelernten Wörter Jim<br />
noch erinnert, konnte er zwar einige der Begriffe wiedererkennen, allerdings<br />
„erkannte” er auch etwa gleichviel fremde Begriffe wieder. Außerdem fiel auf,<br />
dass Jim besonders die Begriffe als „unbekannt” beurteilte, die er in den<br />
Lerndurchgängen immer gewusst hatte. Hier ist daher fraglich, inwieweit Jim<br />
auf diese Weise versucht hat, sich der gestellten Anforderung zu entziehen<br />
oder sie nicht verstanden hat.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 161<br />
Das Abzeichnen geometrischer Figuren anhand von Markierungshilfen<br />
(ATK) gelang Jim nicht. Neben einer ungelenken Graphomotorik kam hier<br />
auch seine beeinträchtigte visuo-konstruktive Leistungsfähigkeit zum Tragen.<br />
Während er ein Muster (Ähnlichkeit mit dem Buchstaben „B”) wiedergeben<br />
konnte, kam es bei den anderen zu einem regelrechten “Gestaltzerfall”.<br />
Im Bereich der “Körpermotorik” bestehen noch Einschränkungen der<br />
Ganzkörperkoordination. So fiel es Jim beispielsweise schwer, auf einem<br />
Bein zu stehen oder mit beiden Füßen gleichzeitig zu hüpfen. Seitliches Hin<strong>und</strong><br />
Herspringen gelang ihm dagegen. Einen “Hampelmannsprung”<br />
verweigerte er. Insgesamt ist Jim deutlich hypoton. Einen gut gezielten Ball<br />
oder Tennisring kann Jim fangen, das Werfen ist dagegen unkoordiniert <strong>und</strong><br />
schlecht dosiert. Jim ist Linkshänder.<br />
Bei der Apraxieprüfung verweigerte er sich beinahe komplett, nur<br />
einfache Vorgaben ahmte er uns nach. Die Gesichtspraxie scheint insgesamt<br />
unauffällig.<br />
Im Bereich der expressiven Sprache fiel auf, dass Jim bei hörbaren<br />
Atemproblemen <strong>und</strong> hypotoner M<strong>und</strong>motorik gedeckt spricht. Die Artikulation<br />
ist noch <strong>und</strong>eutlich (z. B. “Tronnel” statt “Trommel”), teilweise beginnt er<br />
Worte mit “H” (“hünf” = “fünf”). Der passive Wortschatz ist vergleichsweise<br />
gut, das Instruktionsverständnis jedoch mangelhaft.<br />
Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />
Zu Beginn der Untersuchung zeigte sich Jim kooperativ, fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong><br />
zugewandt. Jim sei nach Aussagen der Mutter Therapie- <strong>und</strong><br />
Untersuchungssituationen gewohnt <strong>und</strong> mache da gut mit. Er nahm<br />
Blickkontakt auf <strong>und</strong> ließ sein mitgebrachtes Kuscheltier im Wartezimmer<br />
zurück. Er saß in einer erwachsen wirkenden Haltung mit überschlagenen<br />
Beinen. Bei den Aufgabenstellungen benötigte er häufige Wiederholungen,<br />
da er unsere Instruktionen nicht verstand. Er zählte bis 39 <strong>und</strong> konnte<br />
Formen <strong>und</strong> Farben richtig benennen. Sollte er jedoch im Untertest
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 162<br />
„Dreiecke”, Formen aus blauen <strong>und</strong> gelben Schaumgummiteilen<br />
zusammenfügen, gelang ihm entweder nur die richtige Form oder nur die<br />
richtige Farbe. Bei komplexeren Mustern gelingt ihm die Form nicht mehr.<br />
Nach einiger Zeit wurde er unruhig <strong>und</strong> fiel fast vom Stuhl. Er zappelte mit<br />
den Beinen <strong>und</strong> schob sich mit dem Stuhl vom Tisch weg. Er war sehr<br />
ablenkbar <strong>und</strong> wendete sich jeder Geräuschquelle zu. Für einige Aufgaben<br />
(z. B. Malen, Handbewegungen) ließ er sich schnell begeistern <strong>und</strong> zeigte<br />
sich subjektiv mit seinen Leistungen sehr zufrieden („Ha, das ist ja pippig<br />
leicht, ha das kann ich!”), auch wenn er objektiv große Schwierigkeiten hatte,<br />
die Aufgabe zu bewältigen. Beim Erreichen seiner Leistungsgrenze reagierte<br />
er distanzlos, provokativ <strong>und</strong> verbal aggressiv: „Alte Oma, ich will dir in die<br />
Scheide pieken, mit `ner Nadel!”.<br />
Zusammenfassende Beurteilung<br />
Jims allgemeine intellektuelle Fähigkeiten liegen im Bereich der<br />
mittelgradigen geistigen Behinderung. Defizite bestehen vor allem im visuellanalytischen<br />
<strong>und</strong> visuell-konstruktiven <strong>und</strong> motorischen Bereich. Jim verfügt<br />
über eine geringe Aufmerksamkeitsspanne <strong>und</strong> zeigte eine erhöhte<br />
Ablenkbarkeit. Besonders auf Überforderung reagiert Jim provokativ <strong>und</strong><br />
verbal aggressiv. Seine relativen Stärken liegen im verbal-auditiven Bereich<br />
<strong>und</strong> im logisch schlussfolgernden Denken. Insgesamt ist in der<br />
Gesamtproblematik von einer erheblichen Einschränkung der geistigen <strong>und</strong><br />
sozialen Entwicklung auszugehen, die unserer Einschätzung nach einem<br />
Behinderungsgrad von mindestens 80 % entspricht.<br />
Jim benötigt eine ganzheitliche heilpädagogische Förderung. Neben<br />
Körperwahrnehmung, –koordination <strong>und</strong> der allgemeinen Motorik, sollte der<br />
sprachliche Bereich als individuelle Stärke weiter ausgebaut werden. Im<br />
Rahmen einer Ergotherapie sollte versucht werden, die visuellen <strong>und</strong><br />
räumlich-konstruktiven Leistungen zu verbessern. Das wird Jim auch das<br />
Erlernen der Kulturtechniken erleichtern.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 163<br />
Bezüglich der motorischen Unruhe kann in Abwägung der Vor- <strong>und</strong><br />
Nachteile einer Medikation, eine Methylphenidat-Therapie (Ritalin®)<br />
überdacht werden. Hier sollte aber Jims besonderer Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
berücksichtigt werden <strong>und</strong> ärztlicherseits sorgfältig über die Indikation<br />
entschieden werden.<br />
Jims aggressives Verhalten tritt größten Teils in<br />
Überforderungssituationen auf. Eine erfolgreiche Förderung in den besonders<br />
defizitären Bereichen, kann sich hier also positiv auswirken. Da Jims<br />
Probleme sich aber auf alle Leistungsbereiche erstrecken, darf der Anspruch<br />
an die einzelnen Fördermaßnahmen nicht so hoch gesetzt werden, dass sich<br />
hieraus wiederum eine Überforderung für Jim ergibt. Allerdings ist eine völlige<br />
Vermeidung von Situationen, die Jim als belastend empfindet, auch in einem<br />
geschützten schulischen <strong>und</strong> familiären Rahmen nicht leistbar. Um Jims<br />
soziale Kompetenzen auszubauen, kann die Hilfe eines<br />
Verhaltenstherapeuten für Kinder mit geistiger Behinderung in Anspruch<br />
genommen werden. Auch die weiteren beschriebenen<br />
Verhaltensauffälligkeiten sind im Kontext der geistigen Behinderung zu<br />
bewerten. Der Entwicklungsverlauf sollte weiterhin regelmäßig überprüft<br />
werden.<br />
5.3.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse der Intelligenztests zeigen für die Patienten mit<br />
Mikrodeletionssyndrom 22q11 eine große Variabilität, die sich ähnlich wie bei<br />
der Apert-Gruppe zwischen geistiger Behinderung (IQ 52) <strong>und</strong><br />
durchschnittlicher Intelligenz (IQ 99) bewegt (Abb. 29). Der<br />
Leistungsschwerpunkt liegt, trotz der anatomisch bedingten<br />
Artikulationsstörungen <strong>und</strong> teilweise anamnestisch bekannten<br />
Sprachentwicklungsverzögerungen, im verbal-kenntnisbezogenen Bereich
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 164<br />
(Abb. 30). Die Untertestergebnisse der Wechsler-Tests <strong>und</strong> der K-ABC (Tab.<br />
14 u. 15) zeigen besondere Schwächen im Bereich<br />
� der räumlich-konstruktiven Leistungen,<br />
� der logisch-sequentiellen Anforderungen,<br />
� des mathematischen Denkens <strong>und</strong><br />
� des visuell-räumlichen Gedächtnisses.<br />
Die Aufteilung der K-ABC-Skalen in Abbildung 31, zeigt die schwächsten<br />
Leistungen für die sprachfreie Skala (NV). Die räumliche-konstruktive<br />
Schwäche zeigte sich auch im ATK (Abb. 32).<br />
IQ-/Standardwerte<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
J/2;6, n.w.<br />
Intelligenzverteilung Mikrodeletion 22q11<br />
J/3;7,n.w.<br />
J/8;7<br />
52<br />
M/8;11<br />
82<br />
J/8;11<br />
89<br />
J/13;1<br />
79<br />
J/14;1<br />
65<br />
J/15;6<br />
59<br />
M/16;8<br />
60<br />
M/19;4<br />
Abbildung 29: Intelligenzverteilung bei Mikrodeletion 22q11 (N = 10) in der<br />
Alterspanne 2;6 bis 19;4 Jahre. Die Ergebnisse der ersten<br />
beiden Kinder war nicht wertbar (n.w.).<br />
99
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 165<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Wechsler-Skalen Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />
84,3<br />
68<br />
75,2<br />
VT HT G<br />
IQ<br />
STABW<br />
Abbildung 30: Intelligenzwerte anhand der Wechsler-Skalen (HAWIK-III,<br />
HAWIE-R) bei Mikrodeletionssyndrom 22q11 (N = 6, Alter 8;11-<br />
19;4 J.).<br />
Tabelle 14: Untertestergebnisse der Wechsler-Skalen (a N = 6, 8;11-19;4<br />
J., b N = 5, 8;11-16;8 J.)<br />
Untertests<br />
HAWIK-III/HAWIE-<br />
R<br />
a<br />
WP<br />
a<br />
STABW<br />
b<br />
WP<br />
b<br />
STABW<br />
AW 6.8 2.4 6.0 1.4<br />
GF 8.5 2.5 8.0 2.4<br />
RD 4.3 2.8 4.0 3.0<br />
WT 6.8 4.0 6.4 4.3<br />
AV 8.0 3.1 7.8 3.5<br />
ZN 7.5 2.9 6.8 2.6<br />
BE 6.7 5.1 5.6 4.8<br />
ZS 5.1 3.9 4.0 3.0<br />
BO 4.0 3.7 3.2 3.5<br />
MT 3.8 2.9 2.8 1.6<br />
FL 5.5 3.4 4.4 2.3
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 166<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
71<br />
K-ABC Mikrodeletion 22q11<br />
64 67 70<br />
SED SGD SIF FS NV<br />
55<br />
SW<br />
STABW<br />
Abbildung 31: Ergebnisse der K-ABC (N = 2, Alter 8;7 <strong>und</strong> 8;11 Jahre) für die<br />
Skalen einzelheitlichen <strong>und</strong> ganzheitlichen Denkens<br />
(SED/SGD), die Skala intellektueller Fähigkeiten (SIF), die<br />
Fertigkeitenskala (FS) <strong>und</strong> die sprachfreie Skala (NV).<br />
a b c<br />
Abbildung 32: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK <strong>und</strong> c Hauszeichnung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 167<br />
Tabelle 15: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests<br />
Untertests<br />
K-ABC WP STABW N<br />
ZF 0<br />
WG 6.5 0.7 2<br />
HB 5.8 2.2 4<br />
GS 7.3 6.3 3<br />
ZN 6.0 0.0 2<br />
DR 2.5 2.1 2<br />
WR 6.0 1.4 2<br />
BE 6.0 5.7 2<br />
RG 4.0 4.2 2<br />
FS 4.0 4.2 2<br />
Aus der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung ergaben<br />
sich besonders für die jüngeren Kinder Auffälligkeiten im Bereich „Körperliche<br />
Bewegung“ <strong>und</strong> es zeigte sich eine minimale Abweichung vom Cut-Off-Wert<br />
für den Bereich „Stimmung“, was mit der aus der Literatur bekannten<br />
Stimmungslabilität der Kinder (siehe unter 3.3.3) konform geht. Hinweise auf<br />
unübliche Bewegungen <strong>und</strong> Interessen oder selbstverletzend/aggressives<br />
Verhalten fanden sich bei keinem der Patienten (Abb. 33).<br />
Die Elternbeurteilungen im E-FB/KGS, ergaben zwar für alle Bereiche<br />
auffällige Ergebnisse (Abb. 34), bestätigen aber die Erkenntnisse aus den<br />
IQ-Tests, indem die sprachlichen Fertigkeiten als am geringsten<br />
beeinträchtigt eingeschätzt wurden. Die geringe Standardabweichung weist<br />
hierbei auf eine sehr einheitliche Bewertung durch die Eltern hin. Am<br />
wenigsten trauten die Eltern ihren Kindern im Bereich „Soziale<br />
Fertigkeiten/Verhalten“ zu.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 168<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Mikrodeletion 22q11<br />
SV KB UBI SAV ST<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 33: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung<br />
anhand des VB-KGS (SV = Sozialverhalten, KB =<br />
Körperliche Bewegung, UBI = unübliche<br />
Bewegungen/Interessen, SAV =<br />
selbstverletzendes/aggressives Verhalten, ST = Stimmung) bei<br />
Mikrodeletion 22q11. Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%)<br />
beziehen sich auf den erreichbaren Maximalwert (N = 10).<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB/KGS Mikrodeletion 22q11<br />
PRT SPF SFV KBB<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 34: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS) für die Skalen<br />
Praktische Tätigkeiten (PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF),<br />
Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV) <strong>und</strong> Körperliche<br />
Besonderheiten/Beschwerden (KBB) bei Mikrodeletion 22q 11<br />
(N = 10). Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%) beziehen<br />
sich auf den Maximalwert für unauffällige Entwicklung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 169<br />
5.4 Vergleich der Ergebnisse der Syndromgruppen<br />
Es folgen eine Überprüfung der unter 4.5 aufgestellten Hypothesen <strong>und</strong><br />
ein Vergleich der Ergebnisse aus VB/KGS <strong>und</strong> E-FB/KGS für die vier<br />
Syndrome.<br />
5.4.1 Überprüfung der Hypothesen zur Intelligenzverteilung<br />
5.4.1.1 Deskriptivstatistik<br />
Die Gruppe mit dem Fragilen-X-Syndrom weist mit einem Mittelwert von<br />
IQ 48 den niedrigsten IQ-Wert auf. Die Gruppen mit Mikrodeletionssyndrom<br />
22q11 (Mittelwert: 73) <strong>und</strong> Apert-Syndrom (Mittelwert: 74) weisen nahezu<br />
gleiche Intelligenzwerte auf. Die Gruppe mit Crouzon-Syndrom erreicht mit<br />
einem Mittelwert von IQ 100 die höchsten Werte (siehe Tabelle 16).<br />
Tabelle 16: Deskriptive Statistik<br />
Syndrome N Minimum Maximum MW STABW Varianz<br />
Apert 8 52 105 74 16.7 279.7<br />
Crouzon 3 88 113 100 12.5 156.3<br />
Fragiles X 11 40 58 48 5.4 29.5<br />
Mikrodeletion<br />
22q11<br />
8 52 99 73 16.6 274.1<br />
5.4.1.2 Inferenzstatistik<br />
Um die unabhängigen Stichproben in ihrer zentralen Tendenz zu<br />
vergleichen, wurde der H-Test von Kruskal <strong>und</strong> Wallis (1952, zitiert nach<br />
Bortz & Lienert, 2003) verwendet. Hierbei handelt es sich um ein<br />
verteilungsfreies Verfahren, das weitgehend der parametrischen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 170<br />
Varianzanalyse entspricht, im Gegensatz zu dieser aber auch für kleine<br />
Stichprobengrößen geeignet ist. Zunächst wurden die Ränge ermittelt, die im<br />
Resultat dem deskriptiven Ergebnis entsprechen (siehe Tabelle 17).<br />
Tabelle 17: Mittlere Ränge der Syndromgruppen (IQ-Verteilung)<br />
Syndrome<br />
N<br />
Mittlerer Rang<br />
Crouzon 3 27.5<br />
Apert 8 19.7<br />
Mikrodeletion22q11 8 19.4<br />
Fragiles X 11 6.4<br />
Anschließend wurde die unter 4.5 aufgestellte Arbeitshypothese (Ho: „Es<br />
finden sich keine signifikanten Differenzen für die Intelligenzverteilungen in<br />
den vier Syndrompopulationen (Apert-, Crouzon-, Fragiles-X-Syndrom <strong>und</strong><br />
Mikrodeletionssyndrom 22q11“) mit dem Kruskal-Wallis-Test überprüft (siehe<br />
Tabelle 18).<br />
Tabelle 18: Statistik für Kruskal-Wallis-Test (IQ <strong>und</strong> Syndrome)<br />
IQ<br />
Chi-Quadrat 20.801<br />
df 3<br />
Asymptotische Signifikanz .000<br />
Das Ergebnis ist signifikant (p
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 171<br />
sich signifikant. Dies legitimiert zur weiteren Ausführung von<br />
Einzelvergleichen. Für die Einzelvergleiche wurde ein Verfahren gewählt, das<br />
auf dem Prinzip der impliziten α-Fehlerprotektion basiert. Dabei soll eine<br />
Kumulierung des Alpha-Fehlers vermieden werden, indem das vereinbarte α-<br />
Fehlerrisiko (0.05) für den gesamten Satz der im Einzelvergleichsverfahren<br />
zu treffenden Entscheidungen gilt (Bortz & Lienert, 2003). Die kritische<br />
Differenz (siehe Tab. 19) für den paarweisen Vergleich der Syndrome, wurde<br />
mit folgender Formel berechnet:<br />
Ng( N + 1) ⎛ 1 1 ⎞<br />
D = H<br />
⎜ + ⎟<br />
T( crit) ( Nj, k,<br />
α ) g g<br />
12 ⎝ Nj Nj´<br />
⎠<br />
Tabelle 19: Paarweise Signifikanzprüfung der IQ-Unterschiede<br />
zwischen den Syndromen<br />
Kritischer Rangdurchschnitts-<br />
Einzelvergleich Wert Differenz Signifikanz<br />
Apert vs. Crouzon 16.67 7.81 nein<br />
Apert vs. Fragiles X 11.44 13.33 ja<br />
Apert vs. Mikrodeletion 22q11 12.31 0.31 nein<br />
Crouzon vs. Fragiles X 16.04 21.14 ja<br />
Crouzon vs. Mikrodeletion<br />
22q11<br />
16.66 8.12 nein<br />
Fragiles X vs. Mikrodeletion<br />
22q11<br />
11.44 13.03 ja<br />
Die Richtung der signifikant voneinander unterschiedlichen<br />
Einzelvergleiche ist folgendermaßen:<br />
� Die Apert-Gruppe hat einen signifikant höheren IQ als die Fragiles-<br />
X-Gruppe.<br />
� Die Crouzon-Gruppe hat einen signifikant höheren IQ als die<br />
Fragiles-X-Gruppe.<br />
� Die Mikrodeletion 22q11-Gruppe hat einen signifikant höheren IQ
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 172<br />
als die Fragiles-X-Gruppe.<br />
Zusammenfassend ist also auch statistisch nachweisbar, was der<br />
augenscheinlichen Verteilung entspricht. Die Gruppe der Kinder mit dem<br />
Fragilen-X-Syndrom hat im Vergleich zu jeder anderen Gruppe einen<br />
signifikant niedrigeren IQ. Die Gruppe der Kinder mit kraniofacialen<br />
Fehlbildungssyndromen (Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom), haben trotz höherer<br />
mittlerer IQ-Werte für die Crouzon-Kinder, keine signifikanten Unterschiede in<br />
der Intelligenzverteilung, was auch mit der für beide Syndrome recht hohen<br />
Standardabweichungen zusammenhängt. Auch zwischen den kraniofacialen<br />
Syndromen <strong>und</strong> dem Mikrodeletionssyndrom 22q11 bestehen keine<br />
signifikanten Unterschiede für die Intelligenzverteilung.<br />
5.4.2 Zusammenfassender Vergleich der kognitiven <strong>und</strong><br />
verhaltensbezogenen Ergebnisse<br />
Gemeinsam sind den kraniofacialen Fehlbildungssyndromen <strong>und</strong> der<br />
Mikrodeletion 22q11 nicht nur die variable IQ-Verteilung mit Durchschnitt im<br />
Bereich der Lernbehinderung, sondern auch die Schwächen<br />
� im räumlich-konstruktiven Bereich,<br />
� (dadurch mitbedingt) in der visuell-figuralen Merkfähigkeit,<br />
� Defizite im formal-logischen <strong>und</strong> mathematischen Denken,<br />
� in der seqentiellen Verarbeitung sowie<br />
� sprachliche Auffälligkeiten mit Schwerpunkt in der Artikulation.<br />
Mit dem Fragilen-X-Syndrom, gibt es für beide Syndromgruppen<br />
übereinstimmende Schwächen
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 173<br />
� im räumlich-konstruktiven Bereich<br />
� <strong>und</strong> in Teilbereichen der Merkfähigkeit<br />
� <strong>und</strong> der Aufmerksamkeit.<br />
Letztere sind, wohl auch aufgr<strong>und</strong> der erheblichen Hyperaktivität, bei den<br />
Kindern mit Fragilem-X-Syndrom viel globaler ausgeprägt. Auch die räumlichkonstruktive<br />
Störung fällt massiver aus <strong>und</strong> mündet in einen „Gestaltzerfall“.<br />
Orientierend wurde ein Vergleich der Ergebnisse aus der<br />
Verhaltensbeobachtung <strong>und</strong> der Elternbewertung (Abb. 35-43)<br />
vorgenommen. Bezüglich des Sozialverhaltens in der<br />
Untersuchungssituation, ergeben sich laut dem vorläufigen Cut off-Wert von<br />
80%, nur für das Fragile-X-Syndrom auffällige Ergebnisse. Unerwünschte<br />
körperliche Bewegung im Sinne motorischer Unruhe oder Passivität waren<br />
für alle Syndromgruppen etwas auffällig, aber wiederum für die Kinder mit<br />
Fragilem-X-Syndrom am stärksten ausgeprägt. Unübliche Bewegungen <strong>und</strong><br />
Interessen fanden sich nur bei den Fragiles-X-Kindern. Selbstverletzendes<br />
oder aggressives Verhalten fand sich während der Untersuchung für keine<br />
der Syndromgruppen. Im Bereich „Stimmung“ gab es nur für Kinder mit<br />
22q11-Deletion ein grenzwertiges Ergebnis.<br />
Erwünschtes Verhalten<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Sozialverhalten<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 174<br />
Abbildung 35: Ergebnisvergleich „Sozialverhalten“ in der<br />
untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung (Ap + Cr =<br />
Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom, FraX = Fragiles-X-Syndrom,<br />
del22q11 = Mikrodeletionssyndrom 2q11).<br />
Erwünschtes Verhalten<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Körperliche Bewegung<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 36: Ergebnisvergleich für „Körperliche Bewegung“ in der<br />
untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung.<br />
Erwünschtes Verhalten<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Unübliche Bewegungen/Interessen<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 37: Ergebnisvergleich für „Unübliche Bewegungen/Interessen“ in<br />
der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 175<br />
Erwünschtes Verhalten<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Selbstverletzendes/aggressives Verhalten<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 38: Ergebnisvergleich für „Selbstverletzendes/aggressives<br />
Verhalten“ in der untersuchungsbegleitenden<br />
Verhaltensbeobachtung.<br />
Erwünschtes Verhalten<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
VB/KGS Stimmung<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 39: Ergebnisvergleich für „Stimmung“ in der<br />
untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 176<br />
erwünscht/unauffällig<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB-KGS Praktische Tätigkeiten<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 40: Ergebnisvergleich für „Praktische Tätigkeiten“ aus dem<br />
Elternfragebogen.<br />
erwünscht/unauffällig<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB/KGS Sprachliches Fertigkeiten<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 41: Ergebnisvergleich für „Sprachliche Fertigkeiten“ aus dem<br />
Elternfragebogen.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 177<br />
erwünscht/unauffällig<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB/KGS Soziale Fertigkeiten/Verhalten<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 42: Ergebnisvergleich für „Soziale Fertigkeiten/Verhalten“ aus dem<br />
Elternfragebogen.<br />
erwünscht/unauffällig<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
E-FB/KGS Körperliche<br />
Besonderheiten/Beeinträchtigungen<br />
Ap+Cr FraX del22q11<br />
PR<br />
STABW<br />
Abbildung 43: Ergebnisvergleich für „Körperliche Besonderheiten/<br />
Beeinträchtigungen“ aus dem Elternfragebogen.<br />
Verhaltensauffälligkeiten zeigten sich also hauptsächlich für Kinder mit<br />
Fragilem-X-Syndrom. Dies kann damit zusammenhängen, dass<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei geistig behinderten Kindern häufiger Auftreten
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 178<br />
<strong>und</strong> diese Gruppe intellektuell am stärksten beeinträchtigt war. Es zeigte sich<br />
aber gerade im Bereich Hyperaktivität <strong>und</strong> unübliche Bewegungen/Interessen<br />
Auffälligkeiten, die als syndromtypisch gelten (siehe auch unter 3.2.3 <strong>und</strong><br />
5.2.2). Im E-FB/KGS ergaben sich für alle Kinder auffällige Bewertungen für<br />
praktische Tätigkeiten. Die sprachlichen Fertigkeiten wurden bei den<br />
kraniofacialen Fehlbildungen als grenzwertig eingeschätzt, für die anderen<br />
beiden Syndrome als auffällig. Die deutlichsten Beeinträchtigungen wurden<br />
beim Fragilen-X-Syndrom angegeben. Der Bereich „Soziale<br />
Fertigkeiten/Verhalten“, wurde für alle drei Syndromgruppen als auffällig<br />
bewertet, aber für das Fragile-X-Syndrom <strong>und</strong> die Mikrodeletion 22q11 im<br />
Vergleich zu den kraniofacialen Fehlbildungen als erheblich problematischer<br />
beschrieben. Körperliche Besonderheiten oder Beeinträchtigungen wurden<br />
besonders für die Mikrodeletion 22q11 angegeben. Für die kraniofacialen<br />
Fehlbildungen ergaben sich anhand der Elternbewertung<br />
überraschenderweise vergleichsweise geringere Auffälligkeiten. Für das<br />
Fragile-X-Syndrom ergaben sich erwartungsgemäß nur diskrete körperliche<br />
Auffälligkeiten.<br />
5.4.2.1 Vorschläge für Screeningverfahren<br />
Die Erstellung von Screeningverfahren macht nur unter Einbeziehung<br />
körperlicher, kognitiver <strong>und</strong> verhaltensbezogener Faktoren Sinn. Im Rahmen<br />
der Stichprobengröße können zudem nur Vorschläge für Screeningverfahren<br />
gemacht werden. Für die Gruppe der kraniofacialen Fehlbildungssyndrome<br />
besteht kein Bedarf an einem Screeningverfahren, da die Diagnose<br />
phänotypisch offensichtlich ist.<br />
Für das Fragile-X-Syndrom <strong>und</strong> das Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />
könnten Screenings wie in den Abbildung 44 <strong>und</strong> 45 aussehen.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 179<br />
Entwicklungsauffälligkeiten unbekannter<br />
Ursache (evtl. familiär):<br />
Wahrnehmungsstörungen, beeinträchtigte<br />
Sprachentwicklung, motorische Defizite bei<br />
muskulärer Hypotonie, erschwerte<br />
Sauberkeitserziehung?<br />
Leichte bis mittelgradige<br />
Intelligenzminderung<br />
(Durchschnitts-IQ 50,
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 180<br />
Organfehlbildungen unbekannter Ursache<br />
(evtl. familiär):<br />
Herzfehlbildungen, Nebenschilddrüsen- <strong>und</strong><br />
Thymushypoplasie, Gaumenspalte oder<br />
Gaumensegelinsuffizienz (u.a.), in Folge häufig<br />
Hyperkalzämie, Immunschwäche,<br />
Schluckbeschwerden <strong>und</strong> Gedeihstörungen<br />
(mehr in den ersten Jahren)?<br />
Eher mild ausgeprägte<br />
Gesichtsdysmorphiezeichen<br />
(birnenförmige Nase, kleiner<br />
Unterkiefergroße, teilweise<br />
dysplastische Ohren,<br />
Hypertelorismus, ausgedünnte<br />
Augenbrauen?<br />
Lernbehinderung bis leichte<br />
Intelligenzminderung<br />
(Durchschnitts-IQ 70) oder<br />
normale Intelligenz mit<br />
Lernschwächen?<br />
Sprachauffälligkeiten mit<br />
Schwerpunkt in der Artikulation<br />
(anatomisch bedingt), Non-<br />
Verbal-Learning-Disorder<br />
(NLD,Verbal-IQ >Handlungs-IQ)?<br />
Evtl. psychische Vulnerabilität<br />
(Introversion, Antriebsarmut,<br />
Angst, Depression, bipolare<br />
Störung, mangelnde<br />
Selbständigkeit bei<br />
Symbioseneigung)?<br />
Humangenetische Abklärung einer Mikrodeletion 22q11<br />
Abbildung 45: Vorschlag für ein Screening für die Mikrodeletion 22q11.
Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 181<br />
Die Screeningverfahren stellen lediglich eine Zusammenstellung der von<br />
uns erhobenen <strong>und</strong> aus der Literatur bekannten Merkmale dar. Das Fehlen<br />
einzelner Symptome ist daher nicht mit einem Ausschluss der Diagnose<br />
gleichzusetzen. Finden sich aber Symptome aus jeweils drei oder mehr der<br />
aufgeführten Felder, sollte nach Empfehlung der Verfasserin, eine<br />
humangenetische Untersuchung in Betracht gezogen werden.
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 182<br />
6 Diskussion der Ergebnisse <strong>und</strong> perspektivischer Ausblick<br />
Ziel dieser Forschungsarbeit war es, die Ergebnisse der<br />
neuropsychologischen Untersuchungen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung<br />
innerhalb der jeweiligen Syndromgruppe (intrasyndromale Übereinstimmung)<br />
<strong>und</strong> in Abgrenzung zu den anderen Syndromgruppen (intersyndromale<br />
Verschiedenheit) zu überprüfen. Dazu wurde mit Hilfe des H-Tests nach<br />
Kruskal-Wallis ein Vergleich der Intelligenzverteilungen vorgenommen.<br />
Dieser bestätigte zwar die Hypothese, dass sich Unterschiede in der<br />
Intelligenzverteilung für die Syndromgruppen finden, allerdings zeigten die<br />
Einzelvergleiche nach impliziter α-Fehlerkorrektur keine signifikanten<br />
Unterschiede zwischen den Verteilungen innerhalb der kraniofacialen<br />
Fehlbildungen. Dies war, aufgr<strong>und</strong> der engen Verwandtschaft der<br />
Störungsbilder, von der Verfasserin erwartet worden, weshalb auch bereits<br />
die Syndromdarstellungen gemeinsam vorgenommen wurden (siehe unter<br />
den Punkten 3.1 u. 5.1). Es zeigte sich jedoch auch kein signifikanter<br />
Unterschied zwischen den Intelligenzverteilungen dieser<br />
zusammengefassten Syndromgruppe <strong>und</strong> der für das Mikrodeletionssyndrom<br />
22q11. Für alle drei Syndrome (Apert-, Crouzon- <strong>und</strong> Mikrodeletion 22q11)<br />
fand sich eine große Variabilität der Intelligenzwerte, deren Mittelwerte im<br />
Bereich der Lernbehinderung, beziehungsweise für das Crouzon-Syndrom im<br />
Altersdurchschnitt, angesiedelt waren. Auch das kognitive Leistungsprofil der<br />
kraniofacialen Fehlbildungssyndrome <strong>und</strong> des Mikrodeletionssyndroms<br />
22q11, weisen große Übereinstimmungen auf (siehe unter Punkt 5.4.2). Die<br />
für beide Syndromgruppen auftretenden, neuropsychologischen Defizite,<br />
liegen im räumlich-konstruktiven Bereich, in der visuell-figuralen<br />
Merkfähigkeit, im formal-logischen, mathematischen Denken <strong>und</strong> in der<br />
seqentiellen Verarbeitung. Außerdem gibt es bei beiden sprachliche<br />
Auffälligkeiten, mit Schwerpunkt in der Artikulation <strong>und</strong> nur zum Teil auch im<br />
Sprachverständnis. Bei der Mikrodeletion 22q11, wird die Sprechproblematik
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 183<br />
von der Umwelt häufiger bemerkt, als andere Symptome, obwohl die<br />
sprachbezogenen Fähigkeiten den Leistungsschwerpunkt der Patienten<br />
stellen. Die Artikulationsschwäche ist meist anatomisch begründet, da durch<br />
die Gaumensegelinsuffizienz <strong>und</strong> ein gespaltenes Zäpfchen, eine<br />
hypernasale Lautbildung zustande kommt. Mit Logopädie allein, kann hier<br />
nicht immer Abhilfe geschaffen werden. Zum Teil müssen operative<br />
Korrekturen vorgenommen werden. Auch beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom<br />
ist die Sprache durch die Gesichtsdysmorphien <strong>und</strong> durch eine oft<br />
begleitende Schallleitungsschwäche beeinträchtigt<br />
Hier kann also nicht von einem intersyndromal spezifisch<br />
unterschiedlichen kognitiven Phänotyp ausgegangen werden.<br />
Anders verhält es sich beim Fragilen-X-Syndrom. Diese Gruppe<br />
unterschied sich in der Intelligenzverteilung signifikant von den anderen<br />
Syndromen. Dabei zeigten sich außerdem sehr homogene Ergebnisse im<br />
Bereich der mittelgradigen geistigen Behinderung <strong>und</strong> ein sehr einheitliches<br />
Leistungsprofil mit massiven Aufmerksamkeitsproblemen mit Hyperaktivität,<br />
Kurzzeitgedächtnisproblemen <strong>und</strong> räumlich-konstruktiven Defiziten bis hin<br />
zum „Gestaltzerfall“.<br />
Die Erkenntnis, dass sich im kognitiven Bereich wenig Unterschiede<br />
zwischen den kraniofacialen Fehlbildungen <strong>und</strong> dem Mikrodeletionssyndrom<br />
22q11 feststellen ließen, machte deutlich, dass eine spezifische Zuordnung<br />
für diese Syndrome nicht allein anhand kognitiver Kriterien erfolgen kann,<br />
sondern die typischen Merkmale der Syndrome in der Kombination aus<br />
körperlichen, psychischen <strong>und</strong> kognitiven Symptomen zu finden sind (siehe<br />
auch Abb. 44 u. 45). Da es sich bei beiden Syndromgruppen um<br />
Fehlbildungssyndrome handelt, bei denen die Folgen der Fehlbildungen <strong>und</strong><br />
deren Behandlung weitere Risikofaktoren für die Entwicklung darstellen, ist<br />
hier nicht abschließend zu klären, ob die Defizite mit Schwerpunkt im
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 184<br />
nonverbalen Bereich, generell stärker durch genetische Faktoren beeinflusst<br />
werden oder ob sie auch besonders vulnerabel für externe Störeinflüsse sind.<br />
Die hohe Anzahl von Kindern mit räumlich-konstruktiven Störungen in der<br />
Allgemeinpopulation (Muth, Heubrock & Petermann, 2001), könnte ein<br />
mögliches Indiz hierfür sein. Andererseits gehören die räumlichkonstruktiven,<br />
visuell-logischen Leistungen in den gängigen Intelligenztests<br />
zum Bereich der fluiden Gr<strong>und</strong>intelligenz. Die Gr<strong>und</strong>intelligenz grenzt sich<br />
von der kristallinen, erworbenen Intelligenz ab. Wie bereits unter Punkt 2.7.1<br />
diskutiert, ergeben sich in der Forschung Hinweise darauf, dass die<br />
Gr<strong>und</strong>intelligenz deutlich stärker durch genetische Faktoren beeinflusst ist,<br />
als die erworbene. Auch dies könnte ein Gr<strong>und</strong> dafür sein, dass sich<br />
Störungen in diesem Bereich gehäuft bei verschiedenen genetischen<br />
Syndromen, so beispielsweise auch bei der Neurofibromatose Typ 1 (NF 1)<br />
finden.<br />
Viele der gef<strong>und</strong>enen Symptome <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten schienen in<br />
ihrer Ausprägung auch mit dem Grad der geistigen Behinderung zu<br />
korrelieren oder im Fall der Kinder mit Apert-Syndrom, mit auch assoziierten<br />
ZNS-Fehlbildungen, wie der Agenesie des Corpus Callosum (ACC),<br />
einherzugehen. Auf eine direkte Beteiligung der betroffenen Genabschnitte<br />
an der kognitiven Entwicklung, lässt sich anhand der vorliegenden Bef<strong>und</strong>e<br />
also nicht schließen, auch wenn zumindest eine indirekte Beteiligung<br />
plausibel ist. Der genetische Defekt würde somit ein Risiko für die<br />
Entwicklung darstellen, das multifaktoriellen Einflüssen unterliegt.<br />
Dagegen trägt das unter Punkt 3.2.1.1 beschriebene Fragile X linked<br />
mental retardation gene 1 (FMR1-Gen) seinen Namen offenbar zu Recht.<br />
Hier scheint es tatsächlich einen unmittelbaren Zusammenhang, zwischen<br />
dem genetischen Defekt <strong>und</strong> einer Intelligenzminderung, zu geben.
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 185<br />
Die Frage nach der intersyndromalen Unterschiedlichkeit kann also für<br />
drei der vier hier vorgestellten Syndrome nicht positiv beantwortet werden.<br />
Wird der Begriff des kognitiven- <strong>und</strong> Verhaltensphänotyps also so<br />
verstanden, dass er für jedes Syndrom unterschiedlich ausfallen muss, so<br />
könnte man nur für das Fragile-X-Syndrom einen solchen Phänotyp<br />
formulieren. Allerdings kann man auch von syndromspezifischen kognitiven<br />
Phänotypen sprechen, wenn sich innerhalb einer Syndromgruppe die<br />
Tendenz zu übereinstimmenden Profilen ergibt. Hier ist ein geradezu<br />
erstaunliches Resultat der Forschungsergebnisse, dass sie – trotz kleiner<br />
Stichprobengrößen - sehr große Übereinstimmungen zu den Ergebnissen,<br />
der unter Kapitel 3 im Theorieteil aufgeführten internationalen Studien,<br />
besteht. Für die kraniofacialen Fehlbildungen wurden in der Literatur IQ-<br />
Bewertungen zwischen IQ 52 <strong>und</strong> IQ 114 gef<strong>und</strong>en (Lefebvre et al., 1986,<br />
Sarimski, 2003). Wir fanden für diese Gruppe Ergebnisse zwischen IQ 52<br />
<strong>und</strong> IQ 113.<br />
Für das Fragile-X-Syndrom wurde in der Literatur ein Durchschnitts-IQ<br />
von 50 angegeben, wir fanden einen Durchschnitts-IQ von 48 (Fre<strong>und</strong> &<br />
Reiss, 1991, Hodapp et al., 1990, 1992).<br />
Eine genauso große Übereinstimmung findet sich für die Mikrodeletion<br />
22q11, bei der in der Literatur ein Durchschnitts-IQ von 72 (vgl. Sarimksi,<br />
2003) gef<strong>und</strong>en wurde, während er in unserer Studie bei IQ 73 lag.<br />
Auch die in der Literatur beschriebenen Profilbesonderheiten fanden sich<br />
für alle Syndrome bestätigt.<br />
In unserer Verhaltensbeobachtung zeigten sich für das Fragile-X-Syndrom<br />
ein auffälliges Sozialverhalten (Vermeidung von Blickkontakt, Scheu,<br />
Distanzlosigkeit), unübliche Interessen (Fixierung auf Objekte), Echolalie <strong>und</strong><br />
eine ausgeprägte motorische Unruhe. Dies entspricht auch den unter 3.2.3<br />
beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten.
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 186<br />
Die Kinder mit kraniofacialen Fehlbildungen waren – mit Ausnahme der<br />
Kinder mit ACC – weitestgehend unauffällig. Während die jüngeren Kinder<br />
<strong>und</strong> die ACC-Kinder zu motorischer Unruhe neigten, fiel bei den etwas<br />
älteren Kindern eher eine körperliche Passivität auf. Das Sozialverhalten fiel<br />
besonders positiv auf. Auch in der Literatur werden die Kinder als häufig<br />
besonders offen zugewandt beschrieben (siehe unter 3.1.3).<br />
Innerhalb der Gruppe mit Mikrodeletion 22q11, fanden sich leichte<br />
Auffälligkeiten im Bereich der körperlichen Bewegung, im Sinne motorischer<br />
Unruhe oder Passivität. Der Bereich „Stimmung“ fiel für diese Gruppe<br />
grenzwertig aus. Vergleicht man dies mit den unter 3.3.3 aufgeführten<br />
Ergebnissen von Swillen et al. (1999), die Aufmerksamkeitsprobleme <strong>und</strong><br />
Stimmungslabilität beschrieben oder mit Rauch & Kubben (2001), die eine<br />
Vulnerabilität für Gemütserkrankungen anführen, so fügen sich auch diese<br />
Ergebnisse tendenziell in das Bild, das andere Studien liefern.<br />
Unsere Ergebnisse weisen demnach insgesamt große<br />
Übereinstimmungen mit den international bekannten Studien auf. Dies<br />
unterstützt die Annahme, dass sich innerhalb der von den Syndromen<br />
betroffenen Patienten relativ einheitliche Tendenzen zu bestimmten<br />
kognitiven- <strong>und</strong> verhaltensbezogenen Phänotypen zeigen. Außerdem soll an<br />
dieser Stelle auch ein nicht quantifizierbarer Eindruck beschrieben werden,<br />
der sich bei den Untersuchern der Kinder einstellte. Für den genauen<br />
Beobachter ist es geradezu unheimlich, wie charakteristisch die Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendlichen während der Untersuchungen wirkten. Hat man einmal den<br />
geschulten Blick erworben, erkennt man auch diskretere Merkmale der<br />
Kinder, die einem sonst unter Umständen verborgen geblieben wären. Nun<br />
könnte man vermuten, dass dieser „Blick“ durch Erwartungshaltungen<br />
geprägt ist. Doch selbst Kollegen in der Ambulanz, die den Kinder nur in den<br />
Fluren oder im Wartezimmer begegneten <strong>und</strong> im Rahmen von<br />
Fallkonferenzen mit den Besonderheiten der Syndrome vertraut gemacht
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 187<br />
wurden, konnten nach einiger Zeit bereits nur anhand eines kurzen<br />
Eindrucks, eine relativ sichere Syndromzuordnung vornehmen. Dies wäre für<br />
die kraniofacialen Fehlbildungen einfach, aber beim Fragilen-X-Syndrom <strong>und</strong><br />
beim Mikrodeletionssyndrom 22q11, erfordert dies schon eine genauere<br />
Beobachtungsgabe.<br />
Es bleibt also, der sich durch verschiedene Studien andeutende <strong>und</strong><br />
subjektiv sehr stark empf<strong>und</strong>ene Eindruck, charakteristischer Symptombilder<br />
für die einzelnen Syndrome. Rückschlüsse auf die exakten Funktionen der<br />
betroffenen Genabschnitte sind nicht möglich, aber es lassen sich anhand<br />
der Ergebnisse, Behandlungsempfehlungen zusammenfassen.<br />
Neben den für die kraniofacialen Syndrome <strong>und</strong> die Mikrodeletion 22q11<br />
erforderlichen operativen Eingriffen, empfiehlt sich in beiden Fällen eine früh<br />
einsetzende intensive Förderung durch Ergotherapie <strong>und</strong> Logopädie. Zum<br />
Teil sind krankengymnastische Übungen angezeigt. Die Aufgabe der<br />
klinischen Neuropsychologen besteht in kognitiven Entwicklungskontrollen<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls in der Behandlung der Funktionsstörungen.<br />
Beim Fragilen-X-Syndrom ist ebenfalls eine umfassende Frühförderung mit<br />
ergotherapeutischen, logopädischen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />
krankengymnastischen Übungen erforderlich.<br />
Für alle Patienten können psychotherapeutische Interventionen notwendig<br />
werden. Bei den Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Patienten speziell zur Unterstützung<br />
eines positiven Selbstbildes, bei den Kindern mit Fragilem-X-Syndrom unter<br />
Umständen wegen Ängstlichkeit <strong>und</strong>/oder Aggresion <strong>und</strong> bei den Kindern mit<br />
Mikrodeletion 22q11 wegen der emotionalen Labilität.<br />
Für alle Syndrome gilt, dass umso früher sie erkannt werden <strong>und</strong> die<br />
betroffenen Kinder gemäß ihrer besonderen Bedürfnisse gefördert <strong>und</strong> die<br />
Angehörigen diesbezüglich beraten werden, desto besser.<br />
Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen so manche Fragestellungen offen, die
Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 188<br />
wohl nur durch zukünftige Studien geklärt werden können. Wirklich<br />
aussagekräftige Ergebnisse können aber nur erreicht werden, wenn es<br />
gelingt, die verschiedenen kleinen Einzelstudien, in groß angelegten<br />
Forschungskooperationen zusammenzuführen. Außerdem müssten sowohl<br />
auf fachärztlicher Seite, als auch auf Patientenseite, mehr Personen zur<br />
Mitarbeit mobilisiert werden. Die bisherige Erfahrung innerhalb Deutschlands<br />
zeigt, dass es letztendlich immer wieder dieselben engagierten Eltern sind,<br />
die sich an Studien beteiligen. Ein Austausch mit den Elternvereinen ergab,<br />
dass viele Kinder, die an unserer Studie teilnahmen, sich beispielsweise auch<br />
in München an den Studien von Sarimski beteiligten. Bei den zum Teil recht<br />
hohen Prävalenzzahlen erstaunt es doch einigermaßen, dass es sich so<br />
schwierig gestaltet, höhere Fallzahlen zu erreichen.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass das in den letzten Jahren international ständig<br />
wachsende Interesse an der Thematik, auch auf nationaler Ebene zu einem<br />
Umdenken <strong>und</strong> einer verstärkten Sensibilisierung für diesen weiterhin sehr<br />
relevanten Bereich führt.
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Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis 203<br />
Abbildung 1: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei schweren geistigen<br />
Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983)…………16<br />
Abbildung 2: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei leichteren geistigen<br />
Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983)…………17<br />
Abbildung 3: Intrauterine Entwicklung (aus Tariverdian & Buselmaier,<br />
2004, S. 271, Abb. 7.25)……………………………………………….21<br />
Abbildung 4: Schadenstypen der DNA (mod. nach Witkowski & Hermann,<br />
1989, S. 106, Abb. 36)………………………………………………..28<br />
Abbildung 5: Die fünf Ebenen der genetischen Analyse (mod. nach<br />
v. Gontard, 1998, S. 71)……………………………………………….29<br />
Abbildung 6: a Gesichtsanthropometrie, b epikanthale Variante,<br />
c Abstand von Pupille zu Mittellinie (nach Smith 1982,<br />
in Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 163, Abb. 4.31)……………31<br />
Abbildung 7: Hautleistenmuster (nach Smith, 1982, in Tariverdian &<br />
Buselmaier, 2004, S. 164, Abb. 4.32)……………………………..…32<br />
Abbildung 8: Methoden zur Identifikation von Krankheiten, die einfach<br />
mendelnd vererbt werden (nach Guselle et al. 1983 in<br />
Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 47, Abb. 1.25)………………...33<br />
Abbildung 9: Schema der Kraniosynostosen (Müller, Steinberger & Kunze,<br />
1997)……………………………………………………………………..49<br />
Abbildung 10: a 6jähriger Junge, b 8jähriges Mädchen mit Apert-Syndrom...........54<br />
Abbildung 11: 8jähriges Mädchen mit Distraktionsgerät………………………..…54<br />
Abbildung 12: Mikroskopisch sichtbare Unterbrechung der<br />
Chromosomenstruktur <strong>und</strong> dessen schematische<br />
Darstellung (mod. nach Froster, in<br />
Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V., 2000)…………………….68<br />
Abbildung 13: Jungen a 8 Jahre <strong>und</strong> b 12 Jahre mit Fragilem-X-Syndrom………71<br />
Abbildung 14: Durchschnittliche IQ-Werte bei 130 Jungen mit<br />
FraX-Syndrom in vier Altersgruppen (Dykens et al.,<br />
1996, in Sarimski 2003, S. 165, Abb. 30)……………………………72
Abbildungsverzeichnis 204<br />
Abbildung 15: Scoring-System für das Fragile-X-Syndrom nach<br />
Giangreco et al. (1996). ………………………………………………76<br />
Abbildung 16: a 16jähriges Mädchen, b 13jähriger Junge mit<br />
Mikrodeletion 22q11…………………………………………………...81<br />
Abbildung 17: Zwillinge, 2;6 Jahre alt, mit Crouzon-Syndrom……………………..116<br />
Abbildung 18: Zwillinge aus Abb. 17, 5;7 Jahre alt…………………………………117<br />
Abbildung 19: Intelligenzverteilung bei Kindern mit Apert- <strong>und</strong><br />
Crouzon-Syndrom……………..……………………………………..125<br />
Abbildung 20: Ergebnisse der Crouzon-Zwillinge über vier Messzeitpunkte<br />
(2;6 bis 5;7 Jahre) in der K-ABC……………………………………126<br />
Abbildung 21: Zeichenleistungen eines 11jährigen Mädchens mit<br />
Apert-Syndrom ohne Intelligenzminderung: a <strong>und</strong><br />
b Beispiele aus dem ATK, c Hauszeichnung……………………..128<br />
Abbildung 22: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />
Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS……………………129<br />
Abbildung 23: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS)………………….130<br />
Abbildung 24: Intelligenzverteilung beim Fragilen-X-Syndrom…………………...146<br />
Abbildung 25: Ergebnisse der Testbatterie für geistig behinderte<br />
Kinder (TBGB) für die Gruppe mit Fragilem-X-Syndrom…………147<br />
Abbildung 26: Zeichenleistungen eines 11jährigen Jungen mit<br />
Fragilem-X-Syndrom: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK,<br />
c Hauszeichnung……………………………………………………..148<br />
Abbildung 27: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />
Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS……………………149<br />
Abbildung 28: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS)………………….149<br />
Abbildung 29: Intelligenzverteilung bei Mikrodeletion 22q11……………………..164<br />
Abbildung 30: Intelligenzwerte anhand der Wechsler-Skalen<br />
(HAWIK-III, HAWIE-R) bei Mikrodeletionssyndrom 22q11………165<br />
Abbildung 31: Ergebnisse der K-ABC……………………………………………….166<br />
Abbildung 32: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK <strong>und</strong> c Hauszeichnung…………..166
Abbildungsverzeichnis 205<br />
Abbildung 33: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />
Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS…………………….168<br />
Abbildung 34: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS)…………………168<br />
Abbildung 35: Ergebnisvergleich „Sozialverhalten“<br />
in der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung …….173<br />
Abbildung 36: Ergebnisvergleich für „Körperliche Bewegung“<br />
in der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung……..174<br />
Abbildung 37: Ergebnisvergleich für „Unübliche Bewegungen/Interessen“<br />
in der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung…….174<br />
Abbildung 38: Ergebnisvergleich für „Selbstverletzendes/aggressives<br />
Verhalten“ in der untersuchungsbegleitenden<br />
Verhaltensbeobachtung……………………………………………..175<br />
Abbildung 39: Ergebnisvergleich für „Stimmung“ in<br />
der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung……….175<br />
Abbildung 40: Ergebnisvergleich für „Praktische Tätigkeiten“<br />
aus dem Elternfragebogen…………………………………………..176<br />
Abbildung 41: Ergebnisvergleich für „Sprachliche Fertigkeiten“<br />
aus dem Elternfragebogen…………………………………………176<br />
Abbildung 42: Ergebnisvergleich für „Soziale Fertigkeiten/Verhalten“<br />
aus dem Elternfragebogen…………………………………………..177<br />
Abbildung 43: Ergebnisvergleich für „Körperliche Besonderheiten/<br />
Beeinträchtigungen“ aus dem Elternfragebogen………………….177<br />
Abbildung 44: Vorschlag für ein Screening für das Fragile-X-Syndrom................179<br />
Abbildung 45: Vorschlag für ein Screening für die Mikrodeletion 22q11…………180
Tabellenverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis … 206<br />
Tabelle 1: Bestandteile Neuropsychologischer Diagnostik<br />
(mod. nach Heubrock & Petermann, 2000, S. 264f)…………………...8<br />
Tabelle 2: Neuropsychologische Folgen einer ACC (mod. nach Heubrock,<br />
Lex & Petermann, 2005)………………………………………………...52<br />
Tabelle 3: Ressourcenorientiert angewandte Testverfahren…………………....89<br />
Tabelle 4: Hypothesen der Doktorarbeit…………………………………………...95<br />
Tabelle 5: Psychometrisches Leistungsprofil von Veronika, 8;5 Jahre……….101<br />
Tabelle 6: Psychometrisches Leistungsprofil von Jasmin, 6;4 Jahre…………110<br />
Tabelle 7: Mittelwerte <strong>und</strong> Standardabweichungen der Intelligenzwerte<br />
beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom mit <strong>und</strong> ohne Agenesie des<br />
Corpus Callosum (ACC)……………………………………………….125<br />
Tabelle 8: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests…………………………………128<br />
Tabelle 9: Psychometrisches Leistungsprofil von Mirco, 9;8 Jahre………......136<br />
Tabelle 10: Psychometrisches Leistungsprofil Stefan, 12;1 Jahre……………….144<br />
Tabelle 11: Untertestergebnisse der K-ABC beim Fragilen-X Syndrom…………146<br />
Tabelle 12: Untertestergebnisse in den Wechsler-Skalen………………………..147<br />
Tabelle 13: Psychometrisches Leistungsprofil Alexandra, 16;8 Jahre…………..155<br />
Tabelle 14: Untertestergebnisse der Wechsler-Skalen ………………………….165<br />
Tabelle 15: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests………………………………...167<br />
Tabelle 16: Deskriptive Statistik…………………………………………………….169<br />
Tabelle 17: Mittlere Ränge der Syndromgruppen (IQ-Verteilung)………………..170<br />
Tabelle 18: Statistik für Kruskal-Wallis-Test (IQ <strong>und</strong> Syndrome)……………….170<br />
Tabelle 19: Paarweise Signifikanzprüfung der IQ-Unterschiede<br />
zwischen den Syndromen……………………………………………..171
Anhang I<br />
Verzeichnis der Anhänge<br />
Anhang A: Einverständniserklärung der Eltern……………………………II<br />
Anhang B: Verhaltensbeobachtungsbogen (VB/KGS)…………………..III<br />
Anhang C: Elternfragebogen (E-FB/KGS)………………………………VIII
Anhang A II<br />
Einverständniserklärung 1<br />
Hiermit erkläre ich / erklären wir mein / unser Einverständnis, dass von der<br />
Diagnostik meines / unseres Kindes in der Ambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Video-Aufnahmen zu Lehr- <strong>und</strong> Forschungszwecken angefertigt werden dürfen.<br />
Eine Veröffentlichung des Videomaterials bedarf ggf. einer gesonderten<br />
Einverständniserklärung.<br />
<strong>Bremen</strong>, den Unterschrift/-e<br />
Einverständniserklärung 2<br />
Hiermit erkläre ich / erklären wir mein / unser Einverständnis, dass die in der<br />
Ambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong> bei der Diagnostik meines / unseres Kindes<br />
erhobenen Daten <strong>und</strong> Fotomaterialien anonymisiert zu Lehr- <strong>und</strong><br />
Forschungszwecken genutzt <strong>und</strong> veröffentlicht werden dürfen.<br />
<strong>Bremen</strong>, den Unterschrift/-en
Anhang B III
Anhang B IV
Anhang B V
Anhang B VI
Anhang B VII
Anhang C VIII<br />
Liebe Eltern,<br />
E-FB/KGS<br />
bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, um diesen Fragebogen<br />
auszufüllen.<br />
Name des Kindes :<br />
Geburtsdatum :<br />
Geschlecht :<br />
Diagnose :<br />
Nachfolgend nennen wir Ihnen einige Verhaltensweisen. Wenn Sie diese<br />
bei Ihrem Kind schon beobachtet haben, so kreuzen Sie bitte „JA“ an.<br />
Andernfalls kreuzen Sie bitte immer „NEIN“ an.<br />
Mein Kind...<br />
I. Praktische Tätigkeiten<br />
Kleidet sich ohne Hilfe an <strong>und</strong> aus<br />
Kann sich die Jacke zuknöpfen <strong>und</strong> auch die Schuhe<br />
zubinden<br />
Verrichtet die eigene Körperpflege selbständig<br />
Ißt ohne Hilfe <strong>und</strong> kann sich selbständig Nahrung<br />
zubereiten; z.B. „ein Brot schmieren“<br />
Geht ohne Hilfe zu Bett<br />
Hilft bei kleinen Hausarbeiten mit<br />
Gebraucht Geräte <strong>und</strong> Werkzeuge<br />
Gebraucht Roll- oder Schlittschuhe, Schlitten <strong>und</strong><br />
Wagen<br />
Malt <strong>und</strong> schreibt mit Bunt- oder Bleistiften<br />
Geht ohne Begleitung zur Schule<br />
Ist immer vorsichtig <strong>und</strong> vermeidet Gefahren<br />
Weiß sich in einfachen Situationen zu helfen<br />
Nennt bekannte Gegenstände mit Namen.<br />
Berichtet über Erfahrungen<br />
Führt anderen etwas vor<br />
Kann für St<strong>und</strong>en allein gelassen werden <strong>und</strong> dabei<br />
auf sich <strong>und</strong> andere achten<br />
Verrichtet einfache schöpferische Arbeit<br />
Liest aus eigenem Antrieb<br />
JA<br />
NEIN
Anhang C IX<br />
II. Sprachliche Fertigkeiten<br />
Kann nicht sprechen<br />
Gebraucht einzelne Wörter<br />
Kann Sätze von drei oder mehr Wörtern bilden<br />
Benutzt gestische Ausdrucksformen zur<br />
Verständigung<br />
Benutzt Blickkontakt <strong>und</strong> Handzeichen zur<br />
Kommunikation<br />
Hat Artikulationsschwierigkeiten<br />
Spricht grammatikalisch richtig <strong>und</strong> vollständig<br />
Spricht in einem gleichmäßigen Sprachrhythmus<br />
Antwortet <strong>und</strong> fragt kontextbezogen<br />
Versteht Anweisungen nach ihrer Bedeutung<br />
Neigt zu Wort-<strong>und</strong>/oder Satzwiederholungen<br />
Spricht häufig phrasen-<strong>und</strong> klischeehaft<br />
III. Soziale Fertigkeiten/Verhalten<br />
Kann Kontakt zu Gleichaltrigen aufnehmen<br />
Kann sich gut allein beschäftigen<br />
Benötigt klare <strong>und</strong> übersichtliche Strukturen z.B. beim<br />
Spiel oder im Tagesablauf<br />
Wirkt isoliert<br />
Ist distanzlos gegenüber Fremden<br />
Benutzt einen unüblichen Blickkontakt<br />
Gebraucht unübliche Gestik oder Mimik<br />
Verhält sich antisozial in der Familie oder gegenüber<br />
Gleichaltrigen<br />
Hat rasche Stimmungsschwankungen<br />
Wird schnell zornig <strong>und</strong> aggressiv<br />
Zeigt selbststimulierendes oder selbstverletzendes<br />
Verhalten<br />
Hat unübliche Interessen<br />
Ist ziellos oder übertrieben in seinen Bewegungen<br />
Reagiert empfindlich auf laute Geräusche<br />
Ist häufig unaufmerksam oder leicht irritierbar<br />
Besteht auf Gewohnheiten<br />
Ist auffällig auf bestimmte Themen fixiert (z.B.<br />
„Essen“ )<br />
Hat unangepasste Stimmungen<br />
Hat häufig Wutausbrüche<br />
Fordert viel Aufmerksamkeit<br />
Hat Trennungsschwierigkeiten
Anhang C X<br />
Ist ungeschickt<br />
Greift Erwachsene <strong>und</strong> Gleichaltrige körperlich an<br />
Schaukelt den eigenen Körper<br />
IV. Körperliche Besonderheiten/Beschwerden<br />
Während der Schwangerschaft waren die<br />
Kindsbewegungen vermindert<br />
Es hat eine abnorme Entbindungslage vorgelegen<br />
Es ergaben sich auf Gr<strong>und</strong> eines allgemeinen<br />
verminderten Muskeltonus Fütterungsprobleme im<br />
Säuglingsalter<br />
Die Genitalien sind zu klein ( bei Jungen häufig<br />
„Hodenhochstand“)<br />
Es besteht Übergewicht <strong>und</strong> vermehrtes Verlangen<br />
nach Nahrung<br />
Es besteht eine Fehlsichtigkeit<br />
Das Kind ist unfähig zu erbrechen<br />
Das Körperwachstum ist verlangsamt<br />
Die Stimme ist auffällig rauh bzw. tief<br />
Es besteht eine Anomalie des Herzens (z.B. Aortenoder<br />
Pulmonalstenose)<br />
Das Gesicht ist optisch auffällig (z.B. große Ohren,<br />
langes schmales Gesicht)<br />
Es besteht eine Epilepsie (Anfallsleiden)<br />
Häufige Mittelohrentzündungen können beobachtet<br />
werden<br />
Probleme im Bereich der Wirbelsäule sind zu<br />
beobachten<br />
Es besteht ein Minderwuchs<br />
Saug-<strong>und</strong> Atembeschwerden im Säuglingsalter waren<br />
vorhanden<br />
Vielen Dank!