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Kognitive- und Verhaltensphänotypen ... - E-LIB - Universität Bremen

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Anja C. Lepach<br />

<strong>Kognitive</strong>- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong><br />

genetischer Syndrome<br />

Neuropsychologische Untersuchungen zum Apert-,<br />

Crouzon- <strong>und</strong> Fragilen-X-Syndrom sowie zum<br />

Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />

Dissertation zur Vorlage beim<br />

Zentralen Prüfungsamt für Sozial- <strong>und</strong> Geisteswissenschaften,<br />

Promotionsausschuss Dr. phil., <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Diese Veröffentlichung lag dem Promotionsausschuss Dr. phil. der <strong>Universität</strong><br />

<strong>Bremen</strong> als Dissertation vor.<br />

Erstgutachter: Prof. Dr. Franz Petermann<br />

Zweitgutachter: Hochschuldozent Dr. Dietmar Heubrock<br />

Das Kolloquium fand am 14.06.2005 statt.<br />

Vorgelegt von: Dipl.-Psych. Anja Christina Lepach<br />

am: 12.04.2005


Danksagung<br />

Ich möchte mich zunächst ganz herzlich bei meinen Betreuern für ihre<br />

Geduld <strong>und</strong> Unterstützung bedanken. Herr Prof. Dr. Petermann<br />

ermöglichte mir diese Promotion <strong>und</strong> ermutigte mich zur Weiterarbeit. Ich<br />

verdanke ihm die Teilnahme an vielen spannenden Projekten <strong>und</strong> meine<br />

Stelle in der Kinderambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong>, die mir viel Freude<br />

bereitet. Herrn Hochschuldozent Dr. Heubrock gilt mein ganz besonderer<br />

Dank für seine Inspiration. Sein Mut <strong>und</strong> seine Hingabe, sich mit der<br />

Thematik zu beschäftigen, entfachte damals in mir erst das Interesse für<br />

die Genetik. Bei Fragen konnte ich mich immer an ihn wenden <strong>und</strong> mir so<br />

manchen Denkanstoß holen.<br />

Den Helferinnen des Projekts, allen voran Frau Dipl.-Psych. Lex, Frau<br />

Dipl.-Psych. Barton <strong>und</strong> Frau Dipl.-Biol. Marotzke, danke ich für ihre<br />

tatkräftige Unterstützung bei den Untersuchungen der Kinder. Herrn Dipl.-<br />

Psych. Macha danke ich für seine kollegiale Supervision im Bereich der<br />

frühkindlichen Entwicklung <strong>und</strong> die Durchführung der Entwicklungstests<br />

(ET 6-6).<br />

Ich bedanke mich auch bei den zuweisenden Ärzten. Hier zeigte sich<br />

Frau Privatdozentin Dr. med. Spranger, Fachärztin für Humangenetik, als<br />

besonders engagiert.<br />

Ohne das Interesse <strong>und</strong> die Mithilfe der Elternvereine, die<br />

Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V., der Elternverein KIDS-22q11 e.V.<br />

<strong>und</strong> die Elterninitiative Apert-Syndrom e.V., wären viele Untersuchungen<br />

nicht möglich gewesen. Ich danke auch für die bereitwillige Zusendung<br />

von Informationsmaterialien. Ich habe dabei gelernt, dass die<br />

Elternvereine besser über die Syndrome ihrer Kinder informiert sind, als<br />

i


manche Experten.<br />

Ich danke auch meiner Familie. Meinen Eltern, denen ich nach Stand<br />

der Wissenschaft nicht nur etwa 50% ererbte (<strong>und</strong> noch einen guten Teil<br />

meiner erworbenen) Intelligenz verdanke, sondern die mich auch seelischmoralisch<br />

unterstützt haben. Vielen Dank auch an Marion, den Rest der<br />

Familie <strong>und</strong> meine Fre<strong>und</strong>e, die mich stets ermutigt <strong>und</strong> auch in Phasen<br />

der Überbeanspruchung ertragen haben.<br />

Last but not least, danke ich meinem geliebten Richard. Du bist die<br />

Quelle meiner Kraft <strong>und</strong> deine Liebe gibt mir die Zuversicht, alle<br />

Hindernisse des Lebens zu bewältigen. Ich verspreche, dich auch auf<br />

deinem Weg zum Doktortitel, <strong>und</strong> hoffentlich auch auf unserem ganzen<br />

gemeinsamen Lebensweg, zu begleiten.<br />

ii


Inhaltsverzeichnis iii<br />

Inhalt<br />

1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit……..……..…...1<br />

1.1 Neuropsychologische Methoden als Instrument zur Ermittlung<br />

kognitiver- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong>……….……………..……………..…6<br />

1.1.1 Verhaltensgenetik………..………..…………………...………….…..12<br />

1.1.2 Formale Gliederung der Arbeit…………………………………….....19<br />

Teil I: Theorie<br />

2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen……………………….………………………...20<br />

2.1 Genetische Syndrome………………………………………………………...20<br />

2.1.1 Mutationen….……………………………………………………….....22<br />

2.1.2 Säuren <strong>und</strong> Proteine, Basis des Lebens……..……………………..25<br />

2.1.3 Chromosomen: Träger der menschlichen Erbinformationen…......26<br />

2.2 Genotyp <strong>und</strong> Phänotyp…..………………...………………………………....28<br />

2.3 Homozygotie <strong>und</strong> Heterozygotie……………..……………………………...34<br />

2.4 Rezessiv <strong>und</strong> dominant…………..…………………………………………...34<br />

2.5 Erbgänge………………..……………………………………………………...35<br />

2.5.1 X-geb<strong>und</strong>en-rezessiver Erbgang…….…………………………..….35<br />

2.5.2 Autosomal-dominanter Erbgang…………….……………………....35<br />

2.5.3 Autosomal-rezessiver Erbgang…………….……………………..…35<br />

2.6 Verhaltensphänotyp……..………………………………………………….…36<br />

2.7 <strong>Kognitive</strong>r Phänotyp………………..……………………………………….…39<br />

2.7.1 Quantitative Trait Loci (QTLs) <strong>und</strong> kognitive - <strong>und</strong><br />

Persönlichkeitsmerkmale…...…………………………………….….41


Inhaltsverzeichnis iv<br />

3 Darstellung der ausgewählten Syndrome…………………...……..…...45<br />

3.1 Das Apert- <strong>und</strong> Crouzon Syndrom<br />

als kraniofaciale Fehlbildungssyndrome…………………………………....45<br />

3.1.1 Ätiopathologie des Apert- <strong>und</strong> des Crouzon-Syndroms…………..45<br />

3.1.1.1 Die Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren…….….…47<br />

3.1.1.2 Kraniosynostosen……………………………………………..48<br />

3.1.2 Körperlich-medizinische Merkmale………………….………………50<br />

3.1.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten………………...61<br />

3.1.3.1 Einfluss der körperlichen Merkmale<br />

auf die kognitive Entwicklung…………………..………..61<br />

3.1.3.2 Einfluss der körperlichen Merkmale<br />

auf die soziale Entwicklung…….………………………..64<br />

3.2 Das Fragile-X-Syndrom……………………..…………………………….…..66<br />

3.2.1 Ätiopathologie des Fragilen-X-Syndroms…………………..……....67<br />

3.2.1.1 Fragile X linked mental retardation gene 1<br />

(FMR1-Gen)……………………………………………….69<br />

3.2.2 Körperlich-medizinische Merkmale………………………………….70<br />

3.2.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten………………...72<br />

3.3 Das Mikrodeletionssyndrom 22q11 (CATCH-22)….……………………….77<br />

3.3.1 Ätiopathologie des Mikrodeletionssyndroms 22q11……………….78<br />

3.3.2 Körperlich-medizinische Merkmale………………………………….79<br />

3.3.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten………………...83<br />

Teil II: Empirie<br />

4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens...86<br />

4.1 Untersuchungsdesign der neuropsychologischen Testbatterie…………..88<br />

4.2 Verhaltensbeobachtungsbogen (VB/KGS)………………………………….90<br />

4.3 Elternfragebogen (E-FB/KGS)………………………………………………..91<br />

4.4 Störvariablen im Untersuchungsdesign……………………………………..93<br />

4.5 Ziele <strong>und</strong> Hypothesen…………………………………………………………94


Inhaltsverzeichnis v<br />

5 Ergebnisse der Forschungsarbeit…………………………………………96<br />

5.1 Ergebnisse zum Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom…………………………….96<br />

5.1.1 Fallbeispiele……………………………………………………………96<br />

5.1.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse…………………...124<br />

5.2 Ergebnisse zum Fragilen-X-Syndrom……………………………………...130<br />

5.2.1 Fallbeispiele…………………………………………………………..131<br />

5.2.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse……………………145<br />

5.3 Ergebnisse zum Mikrodeletionssyndrom 22q11………………………….150<br />

5.3.1 Fallbeispiele…………………………………………………………..150<br />

5.3.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse……………………163<br />

5.4 Vergleich der Ergebnisse der Syndromgruppen…………………………169<br />

5.4.1 Überprüfung der Hypothesen zur Intelligenzverteilung………….169<br />

5.4.1.1 Deskriptive Statistik……………………………………...169<br />

5.4.1.2 Inferenzstatistik…………………………………………..169<br />

5.4.2 Zusammenfassender Vergleich der kognitiven <strong>und</strong><br />

verhaltensbezogenen Ergebnisse………………………………….172<br />

5.4.2.1 Vorschläge für Screeningverfahren……………………178<br />

6 Diskussion der Ergebnisse <strong>und</strong> perspektivischer Ausblick…......182<br />

Literaturverzeichnis………………………………………………………………189<br />

Abbildungsverzeichnis………………………………………………………….203<br />

Tabellenverzeichnis………………………………………………………..........206<br />

Anhang


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 1<br />

1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit<br />

Das Interesse an der Aufschlüsselung der menschlichen Gr<strong>und</strong>bausteine,<br />

unserer Gene, besteht seit langem. Aufgr<strong>und</strong> mangelnder technischer<br />

Möglichkeiten blieben viele Fragestellungen jedoch im Bereich des<br />

Hypothetischen, bisweilen sogar des Mysteriösen. Menschen mit<br />

offensichtlichen körperlichen Entstellungen (Dysmorphien) fielen von jeher<br />

auf, wurden zur Schau gestellt, zum Teil versteckt, ausgegrenzt oder sogar<br />

ermordet. Um die Entstehungen dieser Besonderheiten zu erklären,<br />

entwickelten sich Theorien, die noch bis ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hinein mehr mit<br />

(Aber-)Glauben <strong>und</strong> Politik („Gottes Strafe“, „rassische Erbges<strong>und</strong>heit“) im<br />

Zusammenhang zu stehen schienen, als mit naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen. Das Auftreten von angeborenen Erkrankungen wurde häufig<br />

mit einer wie auch immer gearteten Schuld der Eltern oder von<br />

missgünstigen Dritten („Fluch“, „Unheilbringer“), in Zusammenhang gebracht.<br />

Mit dem Fortschritt der Forschung <strong>und</strong> der technischen Möglichkeiten,<br />

können unsere Gene, ihre Wirkungen <strong>und</strong> ihre Mutationen zunehmend<br />

besser zugeordnet <strong>und</strong> erklärt werden. Im Jahr 2000 feierte die Welt der<br />

Wissenschaft einen historischen Durchbruch, als dem Humangenomprojekt<br />

die Bekanntgabe der DNA-Sequenz für 90% des menschlichen Genoms<br />

gelang. 2003 wurde die Sequenzierung bereits zu 99,99 % entschlüsselt<br />

(Tariverdian & Buselmaier, 2004).<br />

„Damit hat sich die Humangenetik zu der am schnellsten<br />

fortschreitenden Teildisziplin der Medizin <strong>und</strong> zu ihrer<br />

führenden theoretischen Gr<strong>und</strong>lagenwissenschaft<br />

entwickelt“ (Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. VII).


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 2<br />

Das internationale wissenschaftliche Interesse an der Thematik hat in den<br />

letzten Jahrzehnten geradezu explosiv zugenommen, was man an der<br />

steigenden Zahl der Fachzeitschriften <strong>und</strong> Beiträge zum Thema<br />

nachvollziehen kann. Dennoch wird es wohl gerade in Deutschland noch<br />

dauern, bis sich der besonders im Nationalsozialismus missbrauchte<br />

Genetikbegriff, mit seiner Propaganda zur „Rassenhygiene“ <strong>und</strong> zur<br />

Verhütung <strong>und</strong> Vernichtung „unwerten Lebens“ (Euthanasie), auch im<br />

Bewusstsein der Öffentlichkeit von ihrer dunklen Vergangenheit wird<br />

distanzieren können. Das sozialdarwinistische Primat des Selektionsprinzips<br />

(Schmidt 1983), wurde im Nationalsozialismus mit einer<br />

bevölkerungspolitischen Ideologie verknüpft, bei der nach Pollack (1990), die<br />

Verbindung zwischen politischer Gewalt <strong>und</strong> Wissenschaft extrem<br />

ausgeprägt war (Lehmkuhl, 2001). Mit der Rolle der Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendpsychiatrie im Umgang mit den sogenannten „lebensunwerten“<br />

Kindern, haben sich zum Beispiel auch Dahl (2001), Walter (2001) sowie<br />

Nedoschill <strong>und</strong> Castell (2001) auseinandergesetzt. So wurden beispielsweise<br />

1939 in einem R<strong>und</strong>erlass Ärzte <strong>und</strong> Hebammen aufgefordert, Neugeborene<br />

<strong>und</strong> Kinder unter drei Jahren zu melden, die unter anderem an Idiotie sowie<br />

Mongoloismus, Mikrocephalie, Hydrocephalus, Missbildungen jeder Art,<br />

insbesondere an fehlenden Gliedmaßen <strong>und</strong>/oder schwerer Spaltbildung des<br />

Kopfes <strong>und</strong> der Wirbelsäule litten (Lehmkuhl, 2001). Einige der in dieser<br />

Arbeit vorgestellten Kinder wären zu dieser Zeit dieser Meldepflicht zum<br />

Opfer gefallen. Das schon offensichtliche Ausmaß dieser Grausamkeit wird<br />

auf besonders erschütternde Art noch stärker bewusst, wenn man - wie in<br />

unserer Arbeitsgruppe - die Ehre <strong>und</strong> Freude hatte, diese Kinder näher<br />

kennen lernen zu dürfen. Die enorme Lebensfreude der Kinder <strong>und</strong> das<br />

Besondere <strong>und</strong> Einzigartige jeder dieser Persönlichkeiten, führt die<br />

Bewertung „lebensunwert“ mit dem Deckmantel der „schmerzlosen<br />

Sterbehilfe“ (Euthanasie) als Akt der Gnade ad absurdum.<br />

Angesichts der enormen moralischen Schuld, die die in der


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 3<br />

Vergangenheit von der Politik eingesetzten <strong>und</strong> instrumentalisierten<br />

Wissenschaftler <strong>und</strong> Mediziner mit zu verantworten haben, ist es<br />

verständlich, dass bei manchen ärztlichen Kollegen <strong>und</strong> Eltern betroffener<br />

Kinder, bis heute eine gewisse Berührungsangst mit dieser Thematik spürbar<br />

ist. Die ethische Verantwortung ist nicht zu leugnen, die generalisierte<br />

Skepsis basiert aber zum großen Teil auf mangelnder Kenntnis <strong>und</strong><br />

Beratung. Durch Vermeidung von spezifischen Diagnosen kann natürlich<br />

auch eine häufig befürchtete „Stigmatisierung“ der betroffenen Kinder<br />

vermieden werden, zumal die betroffenen Eltern umfangreich beraten werden<br />

müssen, um den Abbau von Ängsten über den Mythos „Erbkrankheit <strong>und</strong><br />

Erbges<strong>und</strong>heit“ zu bewirken. Genetik wird schließlich immer noch<br />

hauptsächlich mit Vererbung gleichgesetzt, obwohl viele der bekannteren<br />

genetischen Syndrome zunächst in Form einer Spontanmutation auftreten.<br />

Es ist unbestreitbar, dass die Genetik auch (gerade) in Zukunft viel Stoff<br />

für ethische Fragestellungen <strong>und</strong> Diskussionen liefern wird <strong>und</strong> sich diesen<br />

auch wird stellen müssen. Besonders dort wo sie versucht, „schöpferisch“<br />

einzugreifen. Die zum Teil sehr berechtigten Befürchtungen der Gegner der<br />

Genforschung, dürfen jedoch nicht zu einer generellen Skepsis <strong>und</strong><br />

<strong>und</strong>ifferenzierten Ablehnung der Thematik führen, wie sie zum Teil zu<br />

bemerken ist, wenn man zugibt, sich (auch noch als Psychologin) mit diesem<br />

Thema zu befassen. Um als Gesellschaft Wege zu finden,<br />

verantwortungsbewusst <strong>und</strong> ethisch mit den Möglichkeiten der Genforschung<br />

umgehen zu können, muss man sich mit ihr auseinandersetzen, um diese<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> ihre Grenzen zu verstehen.<br />

Im Rahmen dieser Arbeit sollen diese kontroversen Diskussionen um die<br />

„GenEthik“ jedoch weitestgehend ausgespart werden, da es inhaltlich nicht<br />

um mögliche „optimierende“ Eingriffe in das menschliche Erbgut<br />

(genmedizinische Prävention, Gentherapie) oder die befürchtete genetische<br />

Diskriminierung („Gläserner Mensch“, „Sage mir, wie deine Gene aussehen<br />

<strong>und</strong> ich sage dir, was du wert bist“) gehen soll. Vielmehr sollen die


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 4<br />

Erkenntnisse der vorgestellten Forschungsarbeit dazu beitragen,<br />

exemplarisch an ausgewählten genetischen Syndromen, dem Apert-, dem<br />

Crouzon-, dem Fragilen-X-Syndrom <strong>und</strong> dem Mikrodeletionssyndrom 22q11,<br />

zu einem etwas besserem Verständnis über die Zusammenhänge von<br />

Genen, Kognition <strong>und</strong> Verhalten <strong>und</strong> den (therapeutischen)<br />

Einflussmöglichkeiten durch die Umwelt, beizutragen.<br />

Gerade der Austausch mit den Elternvereinen <strong>und</strong> Selbsthilfegruppen zu<br />

diesen genetischen Syndromen, zeigte deutlich, wie groß dort der Wunsch<br />

nach Transparenz <strong>und</strong> Aufklärung ist, um Ängste, Besorgnisse <strong>und</strong> erlebte<br />

Hilflosigkeit zu reduzieren <strong>und</strong> gezielter handeln zu können.<br />

Trotz der Fortschritte auf dem Gebiet der Humangenetik, beziehen sich<br />

die in der Fachliteratur zu findenden Angaben zu genetischen Syndromen in<br />

den meisten Fällen noch stark auf das körperliche Erscheinungsbild, den<br />

Phänotyp, dessen Dysmorphien in sehr ausgeprägter Form mit einem Bild<br />

demonstriert werden (vgl. Baraitser & Winter, 2001; Tariverdian &<br />

Buselmaier, 2004). Diskreter ausgeprägte Merkmale oder ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Probleme, bleiben dann häufig unentdeckt oder in ihrer Genese unklar, wenn<br />

der weniger für diesen Bereich spezialisierte Behandler damit konfrontiert<br />

wird. Die primäre Orientierung an körperlichen Besonderheiten, führt daher<br />

zu einer großen Zahl von Kindern mit nicht diagnostizierten genetischen<br />

Syndromen. So wird das betroffene Kind nicht selten von unterschiedlichen<br />

Fachärzten rein symptomorientiert behandelt, ohne dass eine Zuordnung der<br />

einzelnen Symptome zu einer Syndromgruppe, beziehungsweise einem<br />

übergeordneten Störungsbild, erfolgen kann.<br />

So zeigen sich in der klinischen Praxis nicht selten Fälle, wie der<br />

neunjährige „Tom“, bei dem es trotz zahlreich erfolgter Untersuchungen mit<br />

Diagnosen wie „Allgemeine Entwicklungsretardierung im Bereich der<br />

geistigen Behinderung mit unklarer Genese bei grenzwertigem<br />

hyperkinetischen Syndrom“ <strong>und</strong> diverser Behandlungen beinahe neun Jahre<br />

dauerte, bis die richtige Diagnose, in diesem Fall das Williams-Beuren-


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 5<br />

Syndrom, gestellt werden konnte. Wertvolle Zeit, in der unter Umständen<br />

dringend erforderliche Förder- <strong>und</strong> Therapiemaßnahmen entfallen <strong>und</strong> die<br />

Eltern sich verzweifelt fragen, was sie noch tun können, um ihr Kind zu<br />

verstehen <strong>und</strong> ihm die nötige Hilfe zukommen zu lassen, verstreicht. Die mit<br />

genetischen Syndromen häufig einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten,<br />

werden den Eltern zudem meist als Folge mangelnder pädagogischer<br />

Fähigkeiten zugeschrieben. Bei umfangreicher <strong>und</strong> behutsamer Beratung der<br />

betroffenen Eltern in Bezug auf das Tabuthema „Genetik“, überwiegt daher in<br />

den meisten Fällen die Erleichterung über die Gewissheit eines konkreten<br />

Krankheitsbildes, was die Möglichkeit gezielter Maßnahmen <strong>und</strong> auch von<br />

Verständnis <strong>und</strong> Akzeptanz für die Probleme des Kindes bietet.<br />

Das bedeutet für die Kinder, dass sie bei nicht erkanntem Syndrom oder<br />

mangelnder Beratung zum festgestellten Syndrom, häufig nicht gemäß ihrer<br />

speziellen körperlichen, sozialen <strong>und</strong> kognitiven Bedürfnisse behandelt <strong>und</strong><br />

gefördert werden können. Denn gemäß jüngerer Erkenntnisse (z. B.<br />

Sarimski, 2003) geht man davon aus, dass viele genetische Syndrome neben<br />

den körperlichen Merkmalen auch zu spezifischen kognitiven<br />

Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten führen, die einer gezielten<br />

Förderung bedürfen <strong>und</strong> Eltern, Angehörige <strong>und</strong> Pädagogen mit besonderen<br />

Anforderungen konfrontieren.<br />

Diese sogenannten kognitiven- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong>, können sich<br />

in einer ausführlichen neuropsychologischen Diagnostik, wie sie zum Beispiel<br />

im Rahmen der Arbeit in der Kinderambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong><br />

durchgeführt wird, zeigen.<br />

Die Akzeptanz der Theorien zu genetisch bedingten Veränderungen in<br />

Verhalten <strong>und</strong> Kognition, ist in den verschiedenen Behandler- <strong>und</strong><br />

Forschergruppen, je nach Sichtweise, sehr unterschiedlich ausgeprägt (siehe<br />

Kapitel 2). In diesem Zusammenhang erscheint es in der Beobachtung der<br />

aktuellen Alltagsmeldungen interessant, dass auffälliges Verhalten im<br />

Tierreich, häufig ganz selbstverständlich auf genetische Mutationen, zum


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 6<br />

Beispiel aggressive Haie aufgr<strong>und</strong> von Wasserverschmutzung, zurückgeführt<br />

wird, dass Genveränderungen bei Pflanzen mit vielen Befürchtungen<br />

bezüglich ihrer Wirkungen auf den Konsumenten einhergehen, während beim<br />

Menschen zunächst meist stärker das soziale Umfeld hinterfragt wird. Damit<br />

möchte ich selbstverständlich keine gleichmachende Verallgemeinerung<br />

beabsichtigen, die eine einseitige Schlussfolgerung zulässt, es zeigt meiner<br />

Ansicht nach jedoch die Tendenz, dass wir die Macht der Gene bei anderen<br />

Spezies leichter akzeptieren können, als bei uns selbst. Möglicherweise, weil<br />

der Gedanke, dass unsere Persönlichkeit in gewisser Weise durch unser<br />

Erbgut limitiert werden soll, genauso beängstigend erscheint, wie der<br />

Gedanke, das sämtliche unserer Ideen <strong>und</strong> Taten lediglich durch neuronale<br />

Erregungsmuster produziert werden sollen. Solche Gedanken fallen eventuell<br />

leichter in Bezug auf Lebewesen, denen wir die Fähigkeit zur freien<br />

Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong> Selbstbestimmung eher absprechen.<br />

1.1 Neuropsychologische Methoden als Instrument zur Ermittlung<br />

kognitiver- <strong>und</strong> <strong>Verhaltensphänotypen</strong><br />

Die Bestimmung spezifischer kognitiver Phänotypen bei genetischen<br />

Syndromen im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter ist nicht nur umstritten, sondern<br />

bisher auch unzureichend erforscht. Dabei haben klinische Erfahrungen<br />

gezeigt, dass das Wissen um sie eine mögliche Ergänzung im<br />

Diagnoseprozess darstellen <strong>und</strong> in vielen Fällen sogar diagnoseleitend sein<br />

kann (Heubrock & Petermann, 2000).<br />

So finden sich bei vielen Kindern, die aufgr<strong>und</strong> von schulischen<br />

Problemen <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten an einer neuropsychologischen<br />

Untersuchung in der neuropsychologischen Abteilung der Kinderambulanz<br />

der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong> teilgenommen haben, Hinweise auf das Vorliegen<br />

eines genetischen Syndroms. Da die meisten genetischen Syndrome aber


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 7<br />

der Literatur nach immer noch sehr <strong>und</strong>ifferenziert mit geistiger Retardierung<br />

in Verbindung gebracht werden, wurde diese mögliche Ursache bei weniger<br />

stark ausgeprägten Dysmorphiezeichen <strong>und</strong> nur mäßiger kognitiver<br />

Beeinträchtigung, von den behandelnden Kinderärzten häufig gar nicht erst in<br />

Betracht gezogen. Äußerungen wie: „Das Kind sieht doch nicht behindert<br />

aus“ oder „Es liegt keine ausreichende geistige Retardierung vor“, waren<br />

nicht selten, so dass bisweilen ein hohes Maß an Überzeugungskraft mit<br />

entsprechendem Verweis auf aktuelle Studien (z. B. Sarimski, 2000, 2003)<br />

von Nöten war, um eine humangenetische Untersuchung zu veranlassen.<br />

Diese konnten unseren Verdacht jedoch bereits in einigen Fällen bestätigen.<br />

Die Zusammenarbeit mit den humangenetischen Fachärzten haben wir dabei<br />

immer als ausgesprochen bereichernd empf<strong>und</strong>en.<br />

Da humangenetische Untersuchungen auch aus finanziellen Gründen nur<br />

bei begründetem Verdacht vom Arzt veranlasst werden, ist ein vorheriges<br />

Screeningverfahren von zentraler Bedeutung. Hier bieten unter anderem<br />

neuropsychologische Parameter ein geeignetes Instrumentarium.<br />

Erfolgreiche Ergebnisse in diesem Bereich konnten beispielsweise für das<br />

Williams-Beuren-Syndrom (WBS), das Prader-Willi-Syndrom (PWS) <strong>und</strong> das<br />

Fragile-X-Syndrom gewonnen werden (Denckla, 2000, Heubrock &<br />

Petermann, 2000, Sarimski, 2003). Die Entwicklung von Screeningverfahren<br />

bietet die Möglichkeit, einer ersten Unterscheidung von Personen mit<br />

Entwicklungsstörungen von unbekannter genetischer Ursache.<br />

Die Neuropsychologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die<br />

Kenntnisse unterschiedlicher experimenteller <strong>und</strong> klinischer<br />

Neurowissenschaften mit einbezieht. Dabei stehen die Zusammenhänge<br />

zwischen dem Zentralen Nervensystem <strong>und</strong> dem Erleben <strong>und</strong> Verhalten von<br />

Menschen im Vordergr<strong>und</strong>. Mit der fortschreitenden Orientierung der<br />

Psychologie an biologischen Erklärungsansätzen, gewann sie eine immer<br />

größere Bedeutung. Die sogenannte „Dekade des Gehirns“ hat wichtige


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 8<br />

Erkenntnisse im Bereich der Neurowissenschaften erbracht <strong>und</strong> die<br />

fortschreitenden Möglichkeiten der experimentellen Bildgebung führen<br />

fortlaufend zu einem größeren Verständnis der Hirnfunktionen <strong>und</strong> ihrer<br />

Störungen. Laut Grawe (2004) könne nur die Genforschung eine<br />

vergleichbare Dynamik <strong>und</strong> Bedeutung für die Menschheit vorweisen. Er<br />

weist auch auf die Überschneidung von Hirnforschung mit Genforschung hin,<br />

da Genexpression einen wichtigen Anteil an der neuronalen Plastizität habe.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage neurowissenschaftlicher <strong>und</strong> psychologischer<br />

Erkenntnisse wurde in der Neuropsychologie in den letzten Jahrzehnten eine<br />

Vielzahl von Untersuchungsverfahren entwickelt, um die Auswirkungen von<br />

Erkrankungen, Verletzungen oder Veränderungen des Gehirns zu erfassen<br />

(Lezak, 1996; Spreen & Strauss, 1998). Eine allgemeine Übersicht zur<br />

Neuropsychologie <strong>und</strong> ihren Interventionsmethoden findet sich unter<br />

anderem bei Gauggel (2004) oder bei Sturm, Herrmann <strong>und</strong> Wallesch (2000).<br />

Zur Kinderneuropsychologie empfiehlt sich unter anderem die Übersicht in<br />

Heubrock <strong>und</strong> Petermann (2000). Obligatorische <strong>und</strong> fakultative Bestandteile<br />

der neuropsychologischen Diagnostik finden sich in Tabelle 1.<br />

Tabelle 1: Bestandteile Neuropsychologischer Diagnostik (mod. nach<br />

Heubrock & Petermann, 2000, S. 264f)<br />

Studium schriftlicher Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> anderer Informationsquellen (z. B.<br />

medizinische Bef<strong>und</strong>berichte, Entwicklungsberichte, Untersuchungsheft für<br />

Kinder, Schulzeugnisse, Förderpläne, sonderpädagogische oder<br />

psychologische Gutachten, Schwerbehindertenausweis.<br />

Neuropsychologische Anamnese zum Schwangerschafts- <strong>und</strong><br />

Geburtsverlauf, zur frühkindlichen Entwicklung (z. B. Entwicklungs-<br />

„Meilensteine“, Schlaf- <strong>und</strong> Ernährungsauffälligkeiten, Sauberkeitserziehung,<br />

soziale Entwicklung), zur Kindergarten- <strong>und</strong> Schulzeit <strong>und</strong> Ausbildung.<br />

Neuropsychologische Exploration zu früheren <strong>und</strong> gegenwärtigen<br />

Beeinträchtigungen, erfolgten Therapie- <strong>und</strong> Fördermaßnahmen <strong>und</strong> zur


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 9<br />

Fragestellung der Diagnostik <strong>und</strong>/oder Therapie.<br />

Orientierende Untersuchung von Basisfunktionen (z. B. Kulturtechniken,<br />

Zeichenprobe, Rechts-Links-Differenzierung, Lateralität beziehungsweise<br />

Handdominanz, basale Wahrnehmungsleistungen, Praxie, allgemeine<br />

Fähigkeit zur zeitlichen, räumlichen <strong>und</strong> kontextbezogenen Orientierung).<br />

Orientierende Untersuchung klinisch-psychologischer Störungsbilder<br />

(z.B. Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

(CBCL 4-18) nach Achenbach (1991) oder Diagnostiksystem psychischer<br />

Störungen für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche (DISYPS-KJ) nach Döpfner &<br />

Lehmkuhl, 1999).<br />

Psychometrische Untersuchung:<br />

� Alters- <strong>und</strong> erwartungsangepasste Überprüfung der allgemeinen<br />

intellektuellen Leistungsfähigkeit (z. B. Kaufman-Assessment-Battery<br />

für Children (K-ABC) nach Kaufman & Kaufman (1994), Hamburg-<br />

Wechsler-Intelligenztest (HAWIK-III) nach Tewes, Rossmann &<br />

Schallberger (2000), Coloured Progressive Matrizen (CPM) nach<br />

Raven oder Testbatterie für Geistig Behinderte Kinder (TBGB) nach<br />

Bondy, Cohen, Eggert & Lüer (1975);<br />

� der sprachbezogenen Funktionen (z. B. Allgemeiner Deutscher<br />

Sprachtest (ADST) nach Steinert, 1978, Psycholinguistischer<br />

Entwicklungstest (PET) nach Angermeier, 1977);<br />

� der psychomotorischen Funktionen (einfache Reaktionslatenzen <strong>und</strong><br />

Wahlreaktionen am Wiener Reaktionsgerät (WRG) <strong>und</strong> der<br />

psychomotorischen Koordination am Wiener Determinationsgerät<br />

(WDG) nach Schuhfried (1994);


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 10<br />

� der Visuomotorik (z. B. Zahlen-Verbindungs-Test, ZVT, nach Oswald<br />

& Roth, 1987);<br />

� der mnestischen Funktionen (Merkspanne, aktive Reproduktion,<br />

Wiedererkennen, Lernverläufe, Interferenzneigung (z. B.<br />

Diagnosticum für Cerebralschädigung (DCS) nach Weidlich &<br />

Lamberti (1993), Auditiv-Verbalter Lerntest (AVLT) nach Heubrock<br />

(1992), „Befolgen von Anweisungen“ (BA) aus der TBGB,<br />

„Zahlennachsprechen“ aus der K-ABC oder aus dem HAWIK-III);<br />

� der Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Konzentration (z. B. Untertests „Alertness“,<br />

„geteilte Aufmerksamkeit“, „Go/Nogo“, „visuelles Scanning“ aus der<br />

Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) nach Zimmermann &<br />

Fimm, 1993);<br />

� der exekutiven Funktionen (z. B. Turm von London – Deutsche<br />

Version (TL-D) nach Tucha & Lange, 2004).<br />

� der visuellen Funktionen (z. B. Untertest „Gesichtsfeld/Neglect“ aus<br />

der TAP bei Verdacht auf Gesichtsfeldauffälligkeiten bzw. Neglect,<br />

Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock, Petermann <strong>und</strong> Eberl<br />

(2004), bei Hinweisen auf eine räumlich-konstruktive Störung,<br />

Developmental Test for Visual Perception (DTVP-2) nach Hamill &<br />

Pearson (1993) zur Differenzierung visueller Beeinträchtigungen).<br />

Die Entwicklungsneuropsychologie beschäftigt sich auch mit genetischen<br />

Ursachen für Entwicklungsauffälligkeiten <strong>und</strong> versucht eine Skizzierung<br />

kognitiver Entwicklungsvorgänge <strong>und</strong> die Beschreibung (neuro-)kognitiver<br />

Phänotypen. Eine Vielzahl interessanter Bef<strong>und</strong>e über molekulargenetische<br />

Gr<strong>und</strong>lagen verschiedener Entwicklungsstörungen bei Kindern <strong>und</strong> neue<br />

Erkenntnisse über ihre kognitiven <strong>und</strong> verhaltensbezogenen Auswirkungen,<br />

haben diesem Bereich der Forschung mehr Beachtung zukommen lassen.<br />

Von besonderem Interesse für die Neuropsychologie, ist dabei auch der


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 11<br />

Zusammenhang zwischen chromosomalen Veränderungen <strong>und</strong> ihren<br />

Auswirkungen auf die sehr frühe Hirnreifung. Bisher ging man davon aus,<br />

dass das Gehirn das zuständige Organ für Verhalten <strong>und</strong> Kognition darstellt.<br />

Doch betrachtet man etwas eingehender die genetischen Gr<strong>und</strong>lagen, stellt<br />

man fest, dass in etwa die Hälfte des menschlichen Genoms, Einfluss auf<br />

das Wachstum, die Entwicklung <strong>und</strong> die Fähigkeiten des Gehirns hat. Etwa<br />

30.000 Gene sind daran beteiligt, demnach ist Kognition stark von der<br />

Genetik beeinflusst. Das gesamte Erbgut eines Individuums, ist in jeder<br />

Nervenzelle enthalten. Im Verlauf der Ontogenese wird dieses Erbgut gezielt<br />

aktiviert <strong>und</strong> exprimiert, um zu gewährleisten, dass jede Nervenzelle an den<br />

ihr zugewiesenen Ort gelangt, um ihre Funktion zu erfüllen (Grawe, 2004).<br />

Zur Begriffsklärung ist hier zu sagen, dass man unter Ontogenese allgemein<br />

den Verlauf des strukturellen Wandels einer Einheit ohne Verlust ihrer<br />

Organisation versteht. In der Entwicklungspsychologie <strong>und</strong> Psychoanalyse<br />

bezeichnet der Begriff „Ontogenese" die (psychische) Entwicklung eines<br />

Individuums. In der Biologie bezeichnet er die Individualentwicklung, also die<br />

Entwicklung des einzelnen Lebewesens von der befruchteten Eizelle zum<br />

erwachsenen Lebewesen. Dabei entwickeln sich beim Embryo nach <strong>und</strong><br />

nach Organanlagen, aus denen Organe entstehen, in denen sich wiederum<br />

die zu Geweben zusammengefassten Zellen, weiter spezialisieren<br />

(http://de.wikipedia.org/wiki/Ontogenese, Zugriff vom 28.01.05).<br />

Die Vernetztheit der Neuronen über Trillionen von Synapsen, ermöglicht<br />

innerhalb der durch die Hirnstruktur gesetzten Rahmenbedingungen, eine<br />

prinzipiell unbegrenzte Anzahl von Kommunikations- oder neuronalen<br />

Erregungsmustern, die die Basis für Erleben <strong>und</strong> Verhalten bilden. Diese<br />

neuronalen Erregungsmuster, werden wiederum stark von den in der<br />

Ontogenese einwirkenden individuellen Sinneserfahrungen geprägt, wobei<br />

die Gene wiederum die Rahmenbedingungen setzen (Grawe, 2004).<br />

Im Bereich der Neuro- <strong>und</strong> Verhaltenswissenschaften haben sich<br />

mittlerweile unzählige Forschungsbereiche etabliert, deren Definitionen <strong>und</strong>


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 12<br />

Wirkungsspektren fließend ineinander übergehen. Da sie zum Teil von<br />

einander abhängig sind, ist auch erklärlich, wieso sie zu vergleichbaren<br />

Zeitpunkten an Bedeutung gewinnen. Petermann, Niebank <strong>und</strong> Scheithauer<br />

(2004) versuchen beispielsweise mit dem Begriff<br />

„Entwicklungswissenschaften“ einen höchst interessanten Brückenschlag<br />

zwischen der Entwicklungspsychologie, der Genetik <strong>und</strong> der<br />

Neuropsychologie. Auf einen im Rahmen dieser Arbeit besonders wichtigen<br />

Forschungsbereich, die Verhaltensgenetik, soll im Folgenden unter Punkt<br />

1.1.1 näher eingegangen werden.<br />

1.1.1 Verhaltensgenetik<br />

Laut Spinath (http://www.dgps.de/fachgruppen/diff_psy/Abstracts/<br />

spinath.htm, Zugriff am 27.2.2005) hat kaum ein psychologisches<br />

Forschungsgebiet in den letzten 20 Jahren eine vergleichbar rasante<br />

Entwicklung erlebt, wie die sogenannte Verhaltensgenetik; die Methoden <strong>und</strong><br />

Erkenntnisse der Genetik auf die Erforschung von Verhalten anwendet. Sie<br />

lässt sich in zwei Teildisziplinen unterscheiden. Während die quantitative<br />

Genetik Ursachen interindividueller Unterschiede erforscht <strong>und</strong> die<br />

beobachtbare Merkmalsvarianz in genetische <strong>und</strong> in umweltbedingte<br />

Varianzanteile zerlegt, wobei sie sich vornehmlich Zwillings- <strong>und</strong><br />

Adoptionsdesigns bedient (z. B. Spinath et al., 1999), besteht das<br />

wesentliche Anliegen der Molekulargenetik darin, spezifische Gene zu<br />

identifizieren, die Verhaltensunterschiede beeinflussen.


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 13<br />

„Dabei wird angenommen, dass genetische Einflüsse auf<br />

komplexe Merkmale mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die<br />

Wirkung zahlreicher Gene bzw. QTLs (quantitative trait loci)<br />

unterschiedlicher Effektgröße zurückgehen“<br />

(Spinath, http://www.dgps.de/fachgruppen/diff_psy/Abstracts/spinath.htm,<br />

Zugriff am 27.2.2005).<br />

In der Forschung werden QTLs, Gene, welche verändernde Einflüsse auf<br />

den individuellen kognitiven Phänotyp haben können, identifiziert <strong>und</strong><br />

lokalisiert. Dabei legt die Vorstellung von der Identifizierung spezifischer, mit<br />

komplexen Verhaltensmerkmalen assoziierter Gene nahe, dass ein besseres<br />

Verständnis der Beziehung vom genetischen Code hin zum Verhalten bereits<br />

greifbar nahe sei.<br />

„Demgegenüber mutet die Aussage, dass zwischen 30 <strong>und</strong><br />

50 Prozent der beobachtbaren Varianz eines Merkmals auf<br />

genetische Faktoren zurückgehe, wie sie als<br />

Zusammenfassung der bislang vorliegenden quantitativgenetischen<br />

Forschung zur Persönlichkeit formuliert werden<br />

könnte, möglicherweise unbefriedigend an“<br />

(Spinath, http://www.dgps.de/fachgruppen/diff_psy/Abstracts/spinath.htm,<br />

Zugriff am 27.2.2005).<br />

Der Autor zeigt in seinem zitierten Positionsreferat jedoch auf, dass die<br />

Schlussfolgerungen aus quantitativ-genetischen Studien keineswegs auf<br />

prozentuale Angaben der genetisch bedingten Varianz von Merkmalen<br />

beschränkt sind. Sie hat auch im Bereich monogenetisch verursachter<br />

Störungen (beispielsweise Phenylketonurie (PKU) oder Farbenblindheit) die<br />

Identifizierung spezifischer Gene vorangetrieben <strong>und</strong> es konnten selbst für


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 14<br />

vermutlich polygenetisch verursachte Störungen, wie die Leseschwäche,<br />

QTL-Verknüpfungen gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Plomin & Crabbe (2000) gehen davon aus, dass Psychologen durch die<br />

Möglichkeit, auf zunehmend unkomplizierte <strong>und</strong> kostengünstige Weise DNA<br />

von Versuchspersonen zu erheben, verstärkt molekulargenetische Methoden<br />

in ihre Forschungsaktivitäten integrieren werden <strong>und</strong> die quantitative Genetik<br />

weiter an Bedeutung gewinnen wird. Spinath (2005) konstatiert, dass das<br />

Wissen um die relativen Einflüsse von Gen- <strong>und</strong> Umweltfaktoren auf<br />

komplexe Merkmale eine wichtige Information, zum Beispiel bezüglich der<br />

Identifizierung spezifischer Gene, darstellt. Die Identifikation der Gene <strong>und</strong><br />

das Wissen um deren Einflussnahme, könnten zu einem besseren<br />

Verständnis menschlicher kognitiver Prozesse führen <strong>und</strong> Aufschluss über<br />

die Gründe natürlicher Variationen kognitiver Fähigkeiten <strong>und</strong> Dysfunktionen<br />

geben (Morley & Montgomery, 2001).<br />

So stellen Untersuchungen genetischer Defekte, auch auf<br />

neuropsychologischer Ebene, eine Möglichkeit zur Erkennung der Einflüsse<br />

einzelner Gene auf das Gehirn, dar (Denckla, 2000).<br />

Bei Plomin <strong>und</strong> Kosslyn (2001) <strong>und</strong> bei Thompson, Cannon <strong>und</strong> Togo<br />

(2002) finden sich interessante Diskussionen zu Bef<strong>und</strong>en, die Erkenntnisse<br />

aus der neuroanatomischen Bildgebung <strong>und</strong> der Verhaltensgenetik<br />

miteinander verbinden. Dabei finden sich Hinweise darauf, dass die<br />

Ausprägung einiger Hirnstrukturen stärker anlagebedingt zu sein scheint als<br />

andere. So scheint das Volumen der grauen Masse, wie das Hirnvolumen<br />

insgesamt, im deutlichen Zusammenhang mit genetischen Faktoren zu<br />

stehen. Für frontale Hirnregionen, Corpus Callosum <strong>und</strong> Ventrikel wird eine<br />

größere Erblichkeit angenommen als beispielsweise für hippocampale<br />

Strukturen.<br />

Es wird nach Hagberg <strong>und</strong> Kyllerman (1983), die Ergebnisse einer<br />

schwedischen Studie veröffentlichten, angenommen, dass etwa ein Drittel


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 15<br />

aller schweren geistigen Behinderungen eine genetische Ursache haben,<br />

aber auch leichtere geistige Behinderungen sind häufig endogen <strong>und</strong><br />

unterliegen einer multifaktoriellen Vererbung (siehe Abb. 1 u. 2).<br />

Die relativ große Rolle, die genetische Faktoren bei geistigen<br />

Behinderungen spielen, besonders wenn man bedenkt, dass sie auch bei<br />

den bisher unbekannten Ursachen beteiligt sind, darf jedoch nicht zu dem<br />

<strong>und</strong>ifferenzierten Umkehrschluss führen, dass genetische Syndrome mit<br />

geistiger Retardierung in Verbindung stehen müssen. Jüngere Studien<br />

(Sarimski, 2003) versuchen, kognitive Profile mit Leistungsschwächen <strong>und</strong> -<br />

schwerpunkten <strong>und</strong> besonderen Verhaltensmustern aufzuzeigen, anhand<br />

derer zukünftig sowohl eine sicherere Diagnostik, als auch spezifischere<br />

Behandlungsmaßnahmen ermöglicht werden sollen.<br />

So ist es beispielsweise in der Therapie betroffener Kinder von großer<br />

Bedeutung, mit gegebenenfalls syndromtypischen Verhaltensmerkmalen<br />

vertraut zu sein <strong>und</strong> eine Verwechslung mit pädagogischen Defiziten der<br />

Eltern zu vermeiden. Zu dem werden diese Kinder aufgr<strong>und</strong> ihres zumeist<br />

mehr oder weniger auffälligen Erscheinungsbilds, körperlicher Defizite <strong>und</strong><br />

eventuell häufigen Krankenhausaufenthalten mit besonderen<br />

Umwelteinflüssen konfrontiert. Der therapeutische Ansatz <strong>und</strong> der<br />

prognostische Verlauf gestalten sich bei Kindern mit genetischen Syndromen<br />

erfahrungsgemäß anders. Es ist heute beispielsweise bekannt, dass ein<br />

Großteil der Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom eine therapieresistente<br />

Enuresis aufweist. In der Vergangenheit (<strong>und</strong> zum Teil immer noch) wurde<br />

aus Unkenntnis darüber mit zum Teil drastischen pädagogischen<br />

Maßnahmen versucht, die Sauberkeitserziehung voranzutreiben, obwohl es<br />

bei diesen Kindern retrospektiv sinnvoller gewesen wäre, den<br />

Förderschwerpunkt auf andere Bereiche zu lenken.


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 16<br />

Ursachen schwerer geistiger Behinderung<br />

unbekannt/<br />

familiär<br />

4%<br />

unbekannt/<br />

sporadisch<br />

14%<br />

pränatal/<br />

chromosomal<br />

29%<br />

Psychosen<br />

1%<br />

postnatal<br />

11%<br />

perinatal<br />

15%<br />

pränatal/exogen<br />

8%<br />

pränatal/<br />

Fehlbildungen<br />

12%<br />

pränatal/<br />

monogen<br />

6%<br />

Abbildung 1: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei schweren geistigen<br />

Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983).


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 17<br />

Ursachen leichter geistiger Behinderung<br />

unbekannt/familiär<br />

29%<br />

Psychosen<br />

2%<br />

unbekannt/<br />

sporadisch<br />

26%<br />

postnatal<br />

2%<br />

perinatal<br />

18%<br />

pränatal/exogen<br />

8%<br />

pränatal/<br />

Fehlbildungen<br />

10%<br />

pränatal/monogen<br />

1%<br />

pränatal/<br />

chromosomal<br />

4%<br />

Abbildung 2: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei leichteren geistigen<br />

Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983).


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 18<br />

Neuhäuser (1998) fasst folgendermaßen zusammen:<br />

So erhofft man sich von einer besseren Kenntnis der<br />

<strong>Verhaltensphänotypen</strong> sowie der Beziehungen zwischen<br />

Genotyp <strong>und</strong> Phänotyp bezüglich psychischer Reaktionen,<br />

kognitiver Leistungen oder emotional-affektiver Äußerungen<br />

bessere Möglichkeiten, um drohenden oder manifesten<br />

Störungen zu begegnen, die Integration der betroffenen Kinder<br />

sowie ihrer Familien zu unterstützen. (S. 68)<br />

Es ist aber deutlich zu sagen, dass das Vorhandensein einiger<br />

spezifischer kognitiver <strong>und</strong> verhaltensbezogener Übereinstimmungen nicht zu<br />

einer pauschalen Entindividualisierung der Kinder führen oder als solche<br />

Verstanden werden soll. Versuche, die Komplexität des Menschen in fixe<br />

Schablonen zu pressen, können nur grobe Hilfskonstruktionen sein. Der<br />

Kontakt mit den Kindern machte deutlich, dass jedes Kind individuelle<br />

Ausprägungen <strong>und</strong> eine ganz eigene Persönlichkeit zeigt. Kinder weisen<br />

sowohl in unterschiedlichen Altersstufen als auch im gleichen Alter,<br />

Unterschiede in allen Aspekten der Entwicklung auf (Siegler, 2001). Dies<br />

kann für Kinder mit genetischen Syndromen als ebenso gültig angenommen<br />

werden. Die Tatsache, dass die Entwicklung nicht ausschließlich auf<br />

genetische Faktoren reduziert werden kann, sondern multifaktoriell<br />

beeinflusst ist, bleibt unbestrittenen. Noch dazu führt selbst die (weitgehende)<br />

Übereinstimmung eines Chromosom- oder Gendefekts noch lange nicht zu<br />

einer identischen genetischen Gr<strong>und</strong>lage. Die Zielsetzung der Arbeit liegt<br />

daher nicht darin, die vorgestellten Kinder auf ihre genetische Ausstattung zu<br />

reduzieren, es soll lediglich untersucht werden, inwieweit Veränderungen auf<br />

Chromosom- <strong>und</strong> Genebene sich limitierend oder verändernd auf die<br />

untersuchten Entwicklungs- <strong>und</strong> Leistungsbereiche auswirken.


Kapitel 1 Bedeutung <strong>und</strong> Fragestellung der Forschungsarbeit Seite 19<br />

1.1.2 Formale Gliederung der Arbeit<br />

Zunächst liefert der Theorieteil einen Überblick zu relevanten<br />

genetischen Gr<strong>und</strong>lagen. Dann werden die ausgewählten Syndrome<br />

anhand von genetischen, medizinischen <strong>und</strong> psychologischen Aspekten,<br />

die aus der Literatur bekannt sind, vorgestellt. Im Anschluss erfolgt im<br />

empirischen Teil der Arbeit die Darstellung des Forschungsvorhabens <strong>und</strong><br />

der Ergebnisse. Abschließend erfolgt eine Diskussion der Ergebnisse vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> eines perspektivischen Ausblicks.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 20<br />

I THEORETISCHER TEIL<br />

2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Zunächst sollen zum besseren Verständnis einige gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

erläutert werden, zur tiefergehenden Information empfiehlt sich die Lektüre<br />

von Gr<strong>und</strong>lagenwerken zur Humangenetik (z. B. Tariverdian & Buselmaier,<br />

2004), da sich die Ausführungen dieser psychologischen Arbeit im<br />

wesentlichen auf die klinischen Untersuchungen <strong>und</strong> deren Ergebnisse<br />

beschränken soll.<br />

2.1 Genetische Syndrome<br />

Unter genetischen Syndromen versteht man ererbte oder spontan<br />

aufgetretene Mutationen (siehe unter Punkt 2.1.2) auf Chromosomal- oder<br />

Genebene des Menschen, die je nach Art, Ausmaß <strong>und</strong> Ort der Schädigung<br />

zu variabel ausgeprägten körperlichen <strong>und</strong> kognitiven Beeinträchtigungen<br />

führen können. Spezifische Zusammenstellungen, meist körperlicher<br />

Beeinträchtigungen, führen zur Diagnose eines bestimmten Syndroms, für<br />

das auch bei den heutigen, verbesserten Möglichkeiten der<br />

humangenetischen Labordiagnostik nicht immer ein biologischer Marker<br />

nachweisbar ist. Bei den für diese Arbeit ausgewählten Syndromen, konnten<br />

solche biologischen Merkmale gef<strong>und</strong>en werden, auf die in Kapitel 3<br />

eingegangen werden soll. Die Syndrome gehen auch mit unterschiedlich<br />

ausgeprägten Fehlbildungen einher, die später beschrieben werden sollen.<br />

Es ist daher sinnvoll, anhand der intrauterinen Entwicklungsabläufe<br />

nachzuvollziehen, in welchen Phasen der Schwangerschaft der jeweilige<br />

Defekt zum Tragen kommt. Eine Übersicht dazu findet sich in Abbildung 3.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 21<br />

Abbildung 3: Intrauterine Entwicklung (aus Tariverdian & Buselmaier, 2004, S.<br />

271, Abb. 7.25).


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 22<br />

2.1.1 Mutationen<br />

Unter Mutationen versteht man in der klassischen Genetik sprunghaft<br />

auftretende Änderungen im Erbgut, die jede Erbanlage erfassen können <strong>und</strong><br />

in der Regel in Form veränderter Merkmale weitervererbt werden. Sie können<br />

einen dominanten, rezessiven oder intermediären Erbgang aufweisen.<br />

Mutationen wirken sich meist schädigend bis letal (tödlich) aus. Sie können<br />

sowohl als generative Mutationen in den Gameten, die an die nächste<br />

Generation weitergegeben werden können, als auch als somatische<br />

Mutationen in den Körperzellen, auftreten. Letztere sind in Bezug auf die<br />

Vererbung in der Regel bedeutungslos, können jedoch in der<br />

Embryonalperiode zu groß- oder kleinflächigen Gewebeveränderungen<br />

(Mosaiken) führen.<br />

Die individuelle Mutationsrate kann beispielsweise durch Röntgen- <strong>und</strong><br />

radioaktive Bestrahlung, Einwirkung von Schwermetallsalzen, Alkaloide, hohe<br />

oder tiefe Temperaturen etc. erhöht werden (Buselmaier & Tariverdian, 1999,<br />

Salzmann, 1983, Tariverdian & Buselmaier, 2004).<br />

Gleichzeitig sind Mutationen im positiven Sinne genetischer Flexibilität<br />

eine Gr<strong>und</strong>voraussetzung für die evolutionäre Entwicklung <strong>und</strong> Vielfalt. Nach<br />

neueren Erkenntnissen wurde das Bild einer relativ unflexiblen<br />

Desoxyribonucleinsäure (DNS) relativiert. Man stellte fest, dass genetische<br />

Informationen auf dem Chromosom nicht unverrückbar an einem festen Platz<br />

gekoppelt sind <strong>und</strong> noch nicht einmal zwangsläufig auf einem bestimmten<br />

Chromosom lokalisiert sind (Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004). Vier<br />

Formen von Genbewegungen, die sowohl die Flexibilität <strong>und</strong> Adaptivität des<br />

Genoms, aber auch die Gefahr von Fehlentwicklungen in sich bergen, sind<br />

laut Schwartz (1995):<br />

• ein Austausch von Abschnitten zwischen den homologen<br />

Chromosomen während der Meiose: das sogenannte „Crossing-over“,


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 23<br />

• das Einfügen von Abschnitten in die DNS einer Wirtszelle durch<br />

Retroviren,<br />

• die Transposition durch „springende Gene“ (Transposone), bei der<br />

einige DNS-Abschnitte von Generation zu Generation durch intraoder<br />

interchromosomale Wanderungen ihre Lage ändern<br />

• <strong>und</strong> eine Verlagerung von Chromosomsegmenten, die sogenannte<br />

Translokation (vgl. Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004).<br />

Diese <strong>und</strong> weitere wichtige Mechanismen, durch die Gene Einfluss auf die<br />

Entwicklung <strong>und</strong> auf Erkrankungen ausüben, werden zum Beispiel in<br />

Petermann, Niebank <strong>und</strong> Scheithauer (2004) sehr anschaulich beschrieben.<br />

An dieser Stelle sollen zwei dieser Mechanismen erwähnt werden:<br />

• Basen-Triplettwiederholungen (z. B. beim Fragilen-X-Syndrom, siehe<br />

Kapitel 3.2)<br />

• <strong>und</strong> genomische Prägung. Die Entdeckung des Phänomens der<br />

genomischen Prägung beruht auf der Feststellung, dass obwohl sich<br />

mütterliche <strong>und</strong> väterliche Gene auf homologen Chromosomen nicht<br />

unterscheiden <strong>und</strong> es somit auch keine Bedeutung haben sollte,<br />

welche Version an die Nachkommen weitergegeben wird, zu<br />

elternteilspezifischen Unterschieden kommt (bekanntes Beispiel aus<br />

der Tierzucht: Pferdestute <strong>und</strong> Esel ergibt Maultier, Eselsstute <strong>und</strong><br />

Pferd ergibt Maulesel). So fehlt sowohl beim Angelmann- als auch<br />

beim Prader-Willi-Syndrom, trotz deutlich unterschiedlicher<br />

Störungsbilder, der gleiche Abschnitt auf dem langen Arm des<br />

Chromosom 15 (15q11-15q13). Man fand heraus, dass es zur<br />

Ausprägung eines Angelmann-Syndroms kommt, wenn das defekte<br />

Chromosom von der Mutter stammt <strong>und</strong> das fehlerhafte Chromosoms<br />

des Vaters, zu einem Prader-Willi-Syndrom führt.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 24<br />

Kurzgefasst unterscheidet man in folgende Arten von Mutationen:<br />

Gen- oder Punktmutationen<br />

Sie stellen die häufigste Form dar <strong>und</strong> beruhen auf dem Ausfall oder<br />

einer Veränderung der Basensequenz im DNS-Molekül eines Gens. Sie sind<br />

mikroskopisch nicht nachweisbar. In den meisten Fällen mutiert von den<br />

beiden zusammengehörigen Erbanlagen des Chromosomenpaares nur ein<br />

Gen, so dass das Lebewesen ein normales <strong>und</strong> ein mutiertes Gen besitzt<br />

<strong>und</strong> damit für das betroffene Merkmal heterozygot (mischerbig) wird. Ein Gen<br />

kann wiederholten Mutationen unterworfen sein. Zu den durch<br />

Genmutationen entstandenen Krankheitsbildern gehört zum Beispiel der<br />

Albinismus.<br />

Chromosomenmutationen<br />

Chromosomenmutationen liegen vor, wenn die Architektur einzelner<br />

Chromosomen verändert ist: Ein Teil kann abgebrochen oder<br />

verlorengegangen sein (Deletion, Defizienzen); ein Bruchstück kann am<br />

selben Chromosom in anderer Richtung (Inversion) oder an einem anderen<br />

wieder anwachsen (Translokation). Außerdem kann es zu Duplikationen<br />

kommen, bei denen sich ein Teil des Chromosoms auf sich selbst kopiert.<br />

Solche Verschiebungen haben den Verlust oder die Abänderung der<br />

betreffenden Gene zur Folge. Sie sind teilweise unter dem Mikroskop zu<br />

beobachten (Salzmann, 1983, Tariverdian & Buselmaier, 2004).<br />

Das sogenannte Chri-du-chat-Syndrom wird durch eine Deletion am<br />

Chromosom 5 bewirkt. Das Williams-Beuren-Syndrom wird mit einer<br />

Mikrodeletion am Chromosom 7 in Zusammenhang gesetzt, beim CATCH-<br />

22-Syndrom liegt eine Mikrodeletion am Chromosom 22 vor. Hierbei handelt<br />

es sich um „ [...] Mutation[en] im Grenzbereich zwischen chromosomalem<br />

<strong>und</strong> Genniveau. [Sie können] nur ein Gen betreffen <strong>und</strong> damit morphologisch,<br />

mikroskopisch nicht faßbar sein [...] aber auch einen größeren DNA-Bereich


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 25<br />

umfassen <strong>und</strong> dann in Form einer Mikrodeletion mit Hilfe zytogenetischer<br />

oder genomischer Spezialmethoden nachweisbar werden“ (Witkowski &<br />

Herrmann, 1989, S. 79).<br />

Genom- oder Ploidiemutationen<br />

Hierbei kann entweder ein Chromosom durch Verkleben oder<br />

Nichtrennung (Nondisjunction) homologer Chromosomen bei der Meiose<br />

(Reduktionsteilung, Rekombination der väterlichen <strong>und</strong> mütterlichen<br />

Chromosomen auf die Tochterzellen), in geringerer oder größerer Anzahl<br />

vorliegen (Heteroploidie) oder der ganze Chromosomensatz kann durch eine<br />

Endomitose (Chromosomenverdoppelung ohne nachfolgende Zellteilung)<br />

vervielfacht sein (Polyploidie). Beide Formen führen zu schweren<br />

Schädigungen des Organismus bzw. sind in den meisten Fällen letal (tödlich,<br />

zum Abort führend). Man unterscheidet bei der unter dem Begriff<br />

Chromosomenaberration bekannten Heteroploidie in Mutationen der<br />

Autosomen <strong>und</strong> der Gonosomen. Während es viele überlebensfähige<br />

Formen von Tri- bzw. Polysomien der Gonosomen gibt (z. B. Turner-<br />

Syndrom (X0), Klinefelter-Syndrom (XXY, XXXY, XXXXY)), sind sie<br />

autosomal nur in wenigen Fällen (z. B. bei der Trisomie 21, sogenanntes<br />

Down Syndrom) nicht letal (Heubrock & Petermann, 2000).<br />

2.1.2 Säuren <strong>und</strong> Proteine, Basis des Lebens<br />

Die genetische Information fast aller Organismen, abgesehen von einigen<br />

Virusfamilien, beinhaltet immer die Desoxyribonukleinsäure (DNS). Diese<br />

„Universalität des genetischen Codes“ (Buselmaier & Tariverdian, 1999, S. 1)<br />

ermöglicht die Erforschung von Gr<strong>und</strong>lagen anhand von Mikroorganismen mit<br />

der Möglichkeit der Übertragung der Erkenntnisse auf den Menschen.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 26<br />

Jede Spezies muss Proteine auf Enzym-, Hormon-, Rezeptor- oder<br />

Strukturproteinebene nach einem exakt definierten Bauplan für 20<br />

Aminosäuren bilden. Veränderungen dieses Bauplans, sogenannte<br />

Mutationen, die eine bestimmte Aminosäure betreffen, würden zwangsläufig<br />

alle Proteine betreffen, in der sie enthalten ist (Tariverdian & Buselmaier,<br />

2004).<br />

2.1.3 Chromosomen: Träger der menschlichen Erbinformationen<br />

Die menschlichen Erbinformationen werden von 46 Chromosomen<br />

getragen, die sich abgesehen von den reifen roten Blutkörperchen in allen<br />

Körperzellen befinden. Sie werden aus 22 autosomalen<br />

Chromosomenpaaren (Autosomen), <strong>und</strong> zwei Geschlechtschromosomen<br />

(XY= männlich, XX= weiblich), den sogenannten Gonosomen, gebildet.<br />

Chromosomen sind Gebilde aus Desoxyribonukleinsäure (DNS) <strong>und</strong><br />

Proteinen. Die DNS oder englisch DNA, bildet zwei im Uhrzeigersinn<br />

umw<strong>und</strong>ende Polynukleotidstränge, die so die sogenannte Doppelhelix-<br />

Stuktur bilden (vgl. Petermann, Kusch & Niebank, 1998). Die Stränge werden<br />

sprossenartig von vier verschiedenen Nukleotidsäurebasen verb<strong>und</strong>en. Diese<br />

werden nach den Basen benannt, die für den Unterschied zwischen den<br />

Nukleotiden verantwortlich sind. Es handelt sich um Adenin (A), Guanin (G),<br />

Cytosin (C) <strong>und</strong> Thymin (T); sie bilden den genetischen Code. Die<br />

Verbindung der beiden Stränge wird durch die Konstellation dieser Basen<br />

bestimmt, da nur eine jeweilige Verbindung von T <strong>und</strong> A sowie C <strong>und</strong> G<br />

vorgesehen ist. Eine Übersicht zu möglichen Schadenstypen der DNA ist<br />

Abbildung 4 zu entnehmen.<br />

Die Chromosomen enthalten etwa 100.000 Gene, von denen jedes den<br />

Matrizencode für mindestens ein Protein oder Enzym zur Verfügung stellt.<br />

Etwa ein Drittel der Gene enthalten den Code für Proteine, die im Gehirn


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 27<br />

exprimiert werden. Die Expression erfolgt zumeist in kurzen sensiblen<br />

Phasen der neuronalen Entwicklung <strong>und</strong> hat die Regulation weiterer Gene<br />

zur Folge, die für die Hirnreifung relevant sind (Brodsky & Lombroso, 1998).<br />

Die Entwicklung funktionsfähiger Proteine erfolgt über eine Übertragung der<br />

biologischen Informationen von der Desoxyribonucleinsäure (DNS) über die<br />

Ribonucleinsäure (RNS) zu den Proteinen. Diese Transkription der DNS<br />

funktioniert über die Bindung sogenannter Transkriptionsfaktoren an<br />

spezifische Orte des Chromosoms, die unmittelbar an das zu aktivierende<br />

Gen angrenzen. Dies wiederum aktiviert den Übertragungsprozess, bei dem<br />

Polymerasen (RNS-bildendende Enzyme) eine Kopie eines der beiden DNS-<br />

Stränge anfertigen. Dabei entsteht eine Vorläufer-RNS, die wiederum weitere<br />

chemische Prozesse bis zum vollständigen RNS-Molekül durchläuft. Von<br />

sogenannten Verknüpfungsfaktoren werden diejenigen Segmente<br />

zusammengefügt, die den Code für das Zielprotein enthalten. Jeder Eingriff in<br />

diese hochsensiblen Entwicklungsphasen, hat weitreichende<br />

entwicklungspathologische Auswirkungen zur Folge, die in Abhängigkeit von<br />

Lokalisation, Zeitpunkt <strong>und</strong> Intensität des Störeinflusses in Art <strong>und</strong><br />

Ausprägung variieren (Heubrock & Petermann, 2000).<br />

Da 99,9% der DNA-Sequenzen für alle Menschen identisch sind, sind die<br />

restlichen 0,1%, immerhin drei Millionen Basenpaare, verantwortlich für die<br />

allgegenwärtigen, angeborenen Unterschiede auf allen Merkmalsebenen,<br />

einschließlich kognitiver Leistungen (Plomin & Kosslyn, 2001).


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 28<br />

Einbau „falscher“<br />

Basen<br />

Basenverlust<br />

Dimerbildung<br />

Crossing link<br />

Einzelstrangbruch<br />

Doppelstrangbruch<br />

Abbildung 4: Schadenstypen der DNA (mod. nach Witkowski & Hermann, 1989,<br />

S. 106, Abb. 36).<br />

2.2 Genotyp <strong>und</strong> Phänotyp<br />

A --- T<br />

T --- A<br />

G --- C<br />

A -- Bu<br />

G --- C<br />

T --- A<br />

G --- C<br />

T<br />

C --- G<br />

G --- C<br />

T A<br />

T A<br />

A --- T<br />

C --- G<br />

T --- A<br />

G C<br />

C G<br />

T --- A<br />

A ---- T<br />

G --- C<br />

G --- C<br />

A ---- T<br />

T --- A<br />

G --- C<br />

G --- C<br />

A --- T<br />

C --- G<br />

G --- C<br />

A --- T<br />

G --- C<br />

A --- T<br />

T --- A<br />

Das Genom, die Gesamtheit aller Gene einer Zelle beziehungsweise<br />

eines Organismus, bildet den Genotyp. Das äußerlich erkennbare <strong>und</strong><br />

sichtbare Erscheinungsbild beruht dagegen auf dem Phänotyp, der auf


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 29<br />

somatischer Ebene morphologische <strong>und</strong> funktionelle Aspekte umfasst. Dieser<br />

entwickelt sich auf der Gr<strong>und</strong>lage von Genwirkungen <strong>und</strong> wird sek<strong>und</strong>är von<br />

Umweltfaktoren geprägt (siehe Abb. 5). Er umfasst äußere <strong>und</strong> innere,<br />

biochemisch <strong>und</strong> morphologisch analysierte Strukturen bis zu dem<br />

Gr<strong>und</strong>baustein, dem Polypeptid. Anhand des Phänotyps kann man auf die<br />

Existenz eines Gens <strong>und</strong> seine Beschaffenheit schließen.<br />

Umweltfaktoren<br />

Verhaltensphänotyp:<br />

psychische Merkmale<br />

Somatischer Phänotyp:<br />

funktionelle <strong>und</strong> morphologische<br />

Merkmale<br />

Genprodukte:<br />

Proteine<br />

Chromosomen:<br />

Gene: DNA<br />

Abbildung 5: Die fünf Ebenen der genetischen Analyse (mod. nach v. Gontard,<br />

1998, S. 71).<br />

Diverse Erkrankungen haben inzwischen nachweisbar ihr<br />

verursachendes Prinzip in Genen. Hierbei ist zu sagen, dass mit<br />

„verursachendem Prinzip“ kein zwangsläufiger Prozess gemeint ist, der in<br />

jedem Fall zur Ausprägung des Krankheitsmerkmals führen muss. Als<br />

Beispiel hierfür sei eine Studie der Arbeitsgruppe von Suomi (Bennett, Lesch<br />

& Heils, 1998, Suomi, 2000) genannt. Basierend auf der Erkenntnis von<br />

Lesch et al. (1996), dass das von ihm identifizierte Serotonin-Transportergen<br />

(5-HTT) beim Menschen bei einer geringen Expression eine geringere<br />

serotonerge Funktion zur Folge hat, führten sie eine experimentelle Studie an<br />

Rhesusaffen durch. Bei Rhesusaffen, die mit <strong>und</strong> ohne Mutter aufgewachsen<br />

waren, wurde eine Genotyp-Analyse durchgeführt. Man ging davon aus, dass


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 30<br />

man bei Affen mit weniger effizientem kurzen HTT-Allel, gegenüber denen<br />

mit langem HTT-Allel in der Cerebralflüssigkeit eine geringere<br />

Serotoninkonzentration finden würde. Das war aber nur bei den gleichzeitig<br />

ohne Mutter aufgewachsenen Tieren der Fall. Daraus wurde geschlossen,<br />

dass eine sichere Bindungsbeziehung die genetische Prädisposition für den<br />

erniedrigten Serotoninstoffwechsel kompensieren konnte. Die Affen mit dem<br />

langen HTT-Allel waren durch ihren Genotyp geschützter <strong>und</strong> zeigten auch<br />

dann keinen verminderten Serotoninstoffwechsel, wenn sie mutterlos<br />

aufgewachsen waren (vgl. Grawe, 2004).<br />

Eine große Bedeutung bei der Erforschung von genetisch verursachten<br />

Krankheiten, kommt immer noch der phänotypischen Erfassung,<br />

Beschreibung <strong>und</strong> Verifikation über Stammbaum- oder<br />

Chromosomenanalyse zu. Darauf folgt die Suche nach kausalen<br />

Erklärungsmöglichkeiten auf der Genproduktebene <strong>und</strong> schließlich die<br />

Auffindung der molekularen Ursache auf Genebene (exemplarisch siehe<br />

auch Abb. 6, 7 u. 8). Aufgr<strong>und</strong> der verbesserten Techniken, ist es heute auch<br />

im umgekehrten Schritt möglich, Näheres über das Krankheitsgeschehen<br />

durch die Identifikation <strong>und</strong> Sequenzierung von Genen zu erfahren<br />

(Tariverdian & Buselmaier, 2004). Zu den wichtigsten äußerlich erfassbaren<br />

Merkmalen gehören Gesichtsproportionen <strong>und</strong> Hautleistenmuster.<br />

Der hier verwendete Phänotyp-Begriff, ist nicht identisch mit dem Begriff<br />

des kognitiven - oder Verhaltensphänotyp, der unter Punkt 2.6 <strong>und</strong> 2.7<br />

definiert werden soll.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 31<br />

Abbildung 6: a Gesichtsanthropometrie, b epikanthale Variante, c Abstand<br />

von Pupille zu Mittellinie (nach Smith 1982, in Tariverdian &<br />

Buselmaier, 2004, S. 163, Abb. 4.31).


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 32<br />

Abbildung 7: Hautleistenmuster. Die ausgezogenen <strong>und</strong> punktierten Linien<br />

entsprechen der Hautleistenkonfiguration. Die gestrichelten Linien<br />

bezeichnen die Beugefurchen (nach Smith, 1982, in Tariverdian &<br />

Buselmaier, 2004, S. 164, Abb. 4.32).


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 33<br />

Abbildung 8: Methoden zur Identifikation von Krankheiten, die einfach<br />

mendelnd vererbt werden (nach Guselle et al. 1983 in<br />

Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 47, Abb. 1.25).


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 34<br />

2.3 Homozygotie <strong>und</strong> Heterozygotie<br />

Der Mensch ist ein diploides Lebewesen, jedes seiner Chromosomen,<br />

also auch jedes seiner Gene, ist doppelt vorhanden, wobei jeweils ein<br />

Chromosom beziehungsweise Gen von der Mutter <strong>und</strong> das andere vom Vater<br />

stammt. Gleiche Chromosomen oder Gene nennt man homolog. Sie müssen<br />

jedoch nicht identisch sein, denn obwohl sie immer das gleiche Merkmal<br />

beeinflussen, tun sie dies nicht immer in gleicher Richtung. Diese<br />

verschiedenen Zustandsformen eines Gens bezeichnet man als Allele. Sind<br />

beide Allelen in den zwei homologen Chromosomen gleich, spricht man von<br />

Homozygotie (Reinerbigkeit). Unterscheiden sie sich, besteht eine<br />

Heterozygotie (Mischerbigkeit) für das entsprechende Merkmal, da sowohl<br />

die eine als auch die andere Allele mit ihrer entsprechenden<br />

Merkmalsausprägung vererbt werden kann.<br />

2.4 Rezessiv <strong>und</strong> dominant<br />

Nicht jedes Gen beziehungsweise Allel wirkt sich in jedem Fall<br />

phänotypisch so aus, dass es auf klinischer Ebene an seiner Wirkung<br />

erkennbar wird. Deshalb ist der Begriff des Anlagenträgers von dem des<br />

Merkmalsträgers zu unterscheiden. Ein auf dieser Ebene nicht erkennbares<br />

Allel bezeichnet man als rezessiv gegenüber dem anderen, dominanten Allel.<br />

Diese rezessiven Allele prägen sich nur dann aus, wenn im gleichen Locus<br />

(Genort) kein dominantes Allel dagegen steht.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 35<br />

2.5 Erbgänge<br />

Man unterscheidet in monogene Veränderungen einzelner Gene mit<br />

relativ leicht nachvollziehbaren Vererbungsmodi <strong>und</strong> weitaus komplexeren<br />

hetero- oder polygenen Veränderungen, wie sie von verschiedenen<br />

genetischen Syndromen bekannt sind.<br />

2.5.1 X-geb<strong>und</strong>en-rezessiver Erbgang<br />

Hierbei handelt es sich um Defekte, die gonosomal über das weibliche<br />

Geschlechtschromosom weitergegeben werden. X-geb<strong>und</strong>ene-rezessive<br />

Merkmale, die bei Frauen durch ein ges<strong>und</strong>es zweites X-Chromosom<br />

kompensiert werden können, führen bei deren Söhnen, bei Vererbung der<br />

betroffenen Allele, zur Erkrankung, da diese nicht über ein homologes<br />

Gegenstück verfügen. Die betreffenden Frauen sind dann Konduktorinnen,<br />

sogenannte ges<strong>und</strong>e Überträgerinnen, die das Merkmal auch an ihre Töchter<br />

weitergeben können, die dann ebenfalls zu Konduktorinnen werden.<br />

2.5.2 Autosomal-dominanter Erbgang<br />

Beim autosomal-dominanten Erbgang verfügt der Merkmalsträger über<br />

eine veränderte <strong>und</strong> eine normale Allele, wobei die veränderte dominant ist.<br />

Tritt diese Vererbung erstmalig auf, handelt es sich um eine Neumutation.<br />

2.5.3 Autosomal-rezessiver Erbgang<br />

Beim autosomal-rezessiven Erbgang werden von beiden verdeckt<br />

erkrankten, klinisch ges<strong>und</strong>en Eltern, die jeweils heterozygot über eine<br />

dominante normale <strong>und</strong> eine rezessive veränderte Allele verfügen, die<br />

veränderten Allelen vererbt, so dass der Defekt zutage tritt. Die


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 36<br />

Wahrscheinlichkeit, dass beide Elternteile über den gleichen verdeckten<br />

Defekt verfügen, steigt mit zunehmender Blutsverwandschaft.<br />

Heterozygotentests sind eine in den USA häufig verwandte Maßnahme, um<br />

das mögliche Auftreten autosomal-rezessiv vererbter Krankheiten schon in<br />

der Familienplanung zu berücksichtigen.<br />

2.6 Verhaltensphänotyp<br />

Neuhäuser (1998) gibt folgende Definition:<br />

Als Verhaltensphänotyp sollen Äußerungen im Verhalten<br />

beschrieben werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf<br />

die genetischen Ursachen eines Syndroms [...]<br />

zurückzuführen sind (O`Brien & Yule, 1995; Hodapp, 1997).<br />

[....] es gibt [jedoch] immer komplexe Wechselwirkungen mit<br />

Umwelteinflüssen [...] (Wolf, 1995). Immer ist also auch zu<br />

prüfen, ob eine bestimmte Verhaltensäußerung nicht<br />

möglicherweise als psychoreaktiv anzusehen ist bzw. auf<br />

eine nicht-genetisch bedingte Veränderung am Gehirn<br />

zurückgeführt werden muß. (S. 65-69)<br />

Der Einfluss der Gene auf Verhaltensäußerungen wird kontrovers<br />

diskutiert. Während beispielsweise das traditionelle behavioristische Modell<br />

den Umwelteinflüssen eine stärkere Bedeutung beimisst, sieht die<br />

Biopsychologie einen starken Schwerpunkt bezüglich genetisch<br />

determinierter Reaktionsmuster. Die Vertreter des „Genetic determinism“<br />

vertreten sogar den Standpunkt, dass das Verhalten exklusiv von den Genen<br />

bestimmt wird, mit nur geringer äußerer Einflussnahme. Dem halten Vertreter<br />

der Evolutionspsychologie wie Buss (2004) entgegen, dass menschliches<br />

Verhalten nicht ohne zwei wesentliche Komponenten auskomme: die


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 37<br />

Entwicklung von Adaptionen <strong>und</strong> Umwelteinflüsse, die diese Anpassungen<br />

notwendig machen.<br />

„Tatsächlich ist der Gr<strong>und</strong> dafür, dass sich Adaptionen<br />

entwickeIn, dass sie dem Organismus das nötige Werkzeug<br />

liefern, um die Probleme zu lösen, mit denen er von der<br />

Umwelt konfrontiert wird” (Buss, 2004, S. 19, Übers. v.<br />

Verfass.).<br />

Als anschauliches Beispiel dafür führt er die Entwicklung von Hornhaut an.<br />

Hornhaut wird gebildet, wenn wiederholt Druck beziehungsweise Reibung auf<br />

die entsprechenden Hautareale ausgeübt wird <strong>und</strong> diese geschützt werden<br />

müssen. Die Fähigkeit zur Hornhautbildung ist dem Organismus also<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich gegeben, aber inwieweit er davon Gebrauch macht, wird durch<br />

äußere Faktoren mitbestimmt.<br />

Die Verhaltensgenetik (siehe unter Punkt 1.1.1) bemüht sich um weitere<br />

Aufklärung dieser Fragen. Durch die Peergruppe von Kindern oder durch<br />

Lebensereignisse, finden sich innerhalb <strong>und</strong> außerhalb der Familie<br />

genetische Effekte auf Umweltmaße (z. B. Kendler, Neale, Kessler, Heath &<br />

Eaves, 1993, Manke, McGuire, Reiss, Hetherington & Plomin, 1995).<br />

Individuen sind nicht nur passive Empfänger von Umweltreizen, sondern<br />

suchen diese auf <strong>und</strong> gestalten sie aktiv mit. Anlage <strong>und</strong> Umwelt kovariieren<br />

also zu einem gewissen Grad (nature of nurture-Prinzip). Harris (1998) <strong>und</strong><br />

Rowe (1994) bezeichnen die Vernachlässigung genetischer Faktoren in der<br />

Sozialisationsforschung sogar als f<strong>und</strong>amentalen Fehler (vgl. auch Spinath,<br />

2005).<br />

Es ist nicht zu bestreiten, dass Kinder mit genetischen Syndromen<br />

besonderen Umwelteinflüssen ausgeliefert sind. Sie entsprechen nicht den<br />

gesellschaftlichen Erwartungen an Aussehen, Lern- <strong>und</strong> Leistungsvorgaben.<br />

Zudem sind bei manchen Syndromen aufgr<strong>und</strong> von körperlichen


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 38<br />

Veränderungen häufige Operationen <strong>und</strong> längere Krankenhausaufenthalte<br />

notwendig, die sich ebenfalls negativ auf die Entwicklung auswirken können.<br />

Eltern, Angehörige, Peers <strong>und</strong> Betreuer verfügen über unterschiedliche<br />

Möglichkeiten, mit den Besonderheiten der Kinder umzugehen, es kann zur<br />

gewollten oder ungewollten Verstärkung von Verhaltensweisen, zur Überoder<br />

Unterforderung, zu Ablehnung oder übertriebener Sorgfalt <strong>und</strong><br />

entwicklungshemmenden, stark symbiotischen Beziehungen kommen. Dies<br />

alles gilt für Kinder mit genetischen Syndromen genauso wie für andere<br />

Kinder auch. Außerdem sind Zusammenhänge zwischen einer bei<br />

genetischen Syndromen häufig auftretenden Intelligenzminderung <strong>und</strong><br />

bestimmten Verhaltensaufälligkeiten, wie beispielsweise<br />

Bewegungsstereotypien, selbst- <strong>und</strong> fremdverletzendes Verhalten,<br />

Ausscheidungsstörungen (Enuresis/Enkopresis) <strong>und</strong> Angststörungen,<br />

bekannt (Schmidt, 2000). Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass eine<br />

Korrelation zwischen dem Grad der Intelligenzminderung <strong>und</strong> bestimmten<br />

Verhaltensauffälligkeiten, wie beispielsweise Autoagressionen <strong>und</strong><br />

Stereotypien, besteht (Heubrock & Petermann, 2000, Mühl & Neukäter,<br />

1998).<br />

Es fällt jedoch auf, dass Kinder mit bestimmten Syndromen trotz<br />

unterschiedlicher Sozialisation, innerhalb ihrer Gruppe zum Teil auffällige<br />

Übereinstimmungen in ihren Verhaltensmustern aufweisen <strong>und</strong> sich, neben<br />

den äußerlichen Merkmalen, auch in diesen Punkten untereinander mehr<br />

ähneln als mit ihren ges<strong>und</strong>en Geschwistern (Sarimski, 2003). Sie weisen<br />

jedoch zum Teil deutliche Unterschiede zu Kindern mit anderen genetischen<br />

Syndromen auf. Aus dieser Beobachtung ergibt sich die Hypothese, dass<br />

unter Berücksichtigung einer gewissen umweltbedingten Variabilität (vgl.<br />

Neuhäuser, 1998), eine relativ spezifische Zuordnung der gezeigten<br />

Verhaltensauffälligkeiten zum jeweiligen genetischen Erscheinungsbild<br />

getroffen werden kann.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 39<br />

Ein sehr interessantes Ergebnis bisheriger quantitativ-genetischer<br />

Studien besteht darin, dass Umwelteinflüsse, die zur Ähnlichkeit gemeinsam<br />

aufwachsender Personen beitragen, sogenannte „geteilte Umwelteffekte“, für<br />

die meisten psychologischen Merkmale von geringer Bedeutung zu sein<br />

scheinen. Signifikante geteilte Umwelteffekte konnten aber beispielsweise für<br />

die Antisoziale Persönlichkeitsstörung im Jugendalter (Lyons et al., 1995)<br />

<strong>und</strong> speziell bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen auch für allgemeine kognitive<br />

Fähigkeiten (Plomin, DeFries, McClearn & McGuffin, 2001) gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Untersuchungsdesigns zur „nichtgeteilten Umwelt“ zeigen auf, dass<br />

Umwelteinflüsse stärker zur Unähnlichkeit von Kindern in der selben Familie<br />

beitragen.<br />

Die bei der Deutschen Beobachtungsstudie an erwachsenen Zwillingen<br />

beteiligte Arbeitsgruppe Spinath et al. veröffentlichte 1999 Auswertungen von<br />

videobasierten Fremdeinschätzungen. Sie stellten fest, dass geteilte<br />

Umwelteffekte auch im Bereich von Persönlichkeitsmerkmalen nachweisbar<br />

sind, wenn Verhaltensbeobachtungen anstelle von Fragebogenmaßen<br />

verwendet werden (vgl. Borkenau, Riemann, Angleitner & Spinath, 2001).<br />

Der Literatur nach wird selten zwischen Verhaltensphänotyp <strong>und</strong><br />

kognitivem Phänotyp unterschieden, sondern beides zusammengefasst. So<br />

werden beispielsweise in der Verhaltensgenetik neben<br />

Persönlichkeitsmerkmalen hauptsächlich kognitive Merkmale betrachtet.<br />

Trotz der hohen wechselseitigen Beziehungen erscheint diese<br />

Unterscheidung jedoch sinnvoll.<br />

2.7 <strong>Kognitive</strong>r Phänotyp<br />

Wie bereits unter Punkt 2.6 beschrieben, gilt hier ebenso wie für den<br />

Verhaltensphänotyp, dass sich aus unterschiedlichen wissenschaftlichen


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 40<br />

Perspektiven verschiedene Gewichtungen der Einflussfaktoren für die<br />

kognitive Entwicklung, wie auch die Entwicklung im Allgemeinen ergeben.<br />

Neben den jeweils recht einseitig anmutenden, konkurrierenden<br />

Dispositions- <strong>und</strong> Umweltmodellen, gewinnen die sogenannten<br />

Interaktionsmodelle <strong>und</strong> komplexe Entwicklungsmodelle zunehmend an<br />

Relevanz. Die verschiedenen Interaktionsmodelle beruhen auf der Ansicht,<br />

dass die Entwicklung aktiv von Kind <strong>und</strong> Umwelt mitbestimmt wird. Hierbei<br />

meint „Interaktion“ nicht eine zwangsläufige gegenseitige Beeinflussung für<br />

alle Faktoren, sondern:<br />

„… dass die fortschreitende Entwicklung des Kindes durch<br />

veränderte Umwelterfahrungen moderiert werden kann“<br />

(Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004. S. 19).<br />

Für die intellektuelle Entwicklung ergibt sich daraus die gängige<br />

Annahme, dass sie als Resultat genetischer Bandbreite im Zusammenspiel<br />

mit der Vielfalt möglicher Umwelteinflüsse anzusehen ist (vgl. Petermann,<br />

Niebank & Scheithauer, 2004).<br />

Das Konzept des kognitiven Phänotyps basiert auf der Annahme, dass<br />

spezifische genetische Veränderungen je nach Art <strong>und</strong> Ausprägung zu<br />

ebenso spezifischen kognitiven Veränderungen führen, die im Vergleich zum<br />

Verhaltensphänotyp zwar auch, aber weniger stark, durch Umwelteinflüsse<br />

(Hospitalisierung, Schonverhalten, mangelnde Förderung, Reaktionen der<br />

Umwelt) beeinflusst werden.<br />

Über die Zusammenhänge der einzelnen Gene <strong>und</strong> ihre besondere<br />

Funktion bezüglich der kognitiven Funktionen ist bisher nur wenig validiertes<br />

bekannt. Es ist jedoch im klinischen Alltag festzustellen, dass bei<br />

Funktionsstörungen oder –ausfällen auf Genebene bestimmte kognitive<br />

Defizite entstehen, die dann wiederum Rückschlüsse auf die Funktion der<br />

betroffenen Genabschnitte zulassen. Auf diese Art <strong>und</strong> Weise ermöglicht eine


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 41<br />

Zusammenarbeit zwischen Klinik <strong>und</strong> Genforschung bisher nur eine<br />

mosaikhafte Identifizierung spezifischer Genaktivitäten <strong>und</strong> deren Aufgaben.<br />

Derzeit arbeiten diverse internationale Forschungsgruppen an der<br />

Entschlüsselung der neurobiologischen Genwirkungen (siehe auch unter<br />

Punkt 2.7.1).<br />

2.7.1 Quantitative Trait Loci (QTLs) <strong>und</strong> kognitive - <strong>und</strong><br />

Persönlichkeitsmerkmale<br />

Wie unter 1.1.1 beschrieben, beschäftigt sich die Verhaltensgenetik mit<br />

der Erforschung von QTLs <strong>und</strong> versucht die Gewichtung genetischer <strong>und</strong><br />

externer Einflüsse für bestimmte Merkmale zu ermitteln.<br />

Im Bereich der allgemeinen kognitiven Fähigkeit, für die eine Heritabilität<br />

von etwa 50-55% angenommen wird <strong>und</strong> die damit eine der am stärksten<br />

erblichen Verhaltensdimensionen darstellt (Plomin et al., 2001), fehlt es<br />

bislang an eindeutig nachgewiesenen QTL-Assoziationen. Diverse<br />

Einzelstudien zeigen jedoch positive Bef<strong>und</strong>e (z. B. Chorney et al., 1998,<br />

Fisher et al., 1999).<br />

Chorney et al. (1998) fanden auf Chromosom 6 eine Verknüpfung<br />

zwischen allgemeiner Intelligenz <strong>und</strong> dem DNA-Marker IGF2R, einem<br />

Rezeptor-Gen für einen insulinähnlichen Wachstumsfaktor. Ein spezifisches<br />

Allel dieses Gens trat bei zwei Gruppen von hochintelligenten Kindern etwa<br />

doppelt so häufig auf, wie bei einer Kontrollgruppe durchschnittlich<br />

intelligenter Kinder. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das betreffende Allel<br />

nur in der Nähe des für den Effekt relevanten DNA-Abschnitts liegt, da es<br />

selbst keine unmittelbare Rolle in der Proteinsynthese spielt. Andere<br />

Forschungsgruppen konnten den Zusammenhang nicht bestätigen (vgl. auch<br />

die Diskussion in Thompson, Cannon & Toga, 2002).


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 42<br />

1995 wurde erstmalig eine Assoziation zwischen einem Dopamin-D4<br />

Rezeptor-Gen (DRD4) auf Chromosom 11 <strong>und</strong> dem Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Novelty Seeking“ berichtet (Benjamin et al., Li, Patterson, 1996; Ebstein et<br />

al., 1995). Variationen des betreffenden Allels beeinflussen die Struktur <strong>und</strong><br />

die Leistungsfähigkeit eines Dopaminrezeptors. Es wird angenommen, dass<br />

Personen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Allelausprägungen weniger effiziente<br />

Dopaminrezeptoren aufweisen, die für Novelty Seeker typischen<br />

Verhaltensweisen zeigen. Strobel, Wehr, Michel <strong>und</strong> Brocke (1998) erstellten<br />

eine Übersicht über 12 Studien, in denen die Assoziation zwischen DRD4<br />

<strong>und</strong> Novelty Seeking untersucht wurde. Als besonders problematisch erwies<br />

sich, dass sich die Einzelstudien durch methodische Uneinheitlichkeiten in<br />

der Erfassung der untersuchten Konstrukte auszeichneten. Darin liegt<br />

vermutlich einer der Gründe, warum die f<strong>und</strong>ierte Replikation von QTL-<br />

Assoziationen erschwert wird (Spinath, 2005).<br />

Univariate Analysen die sich mit dem genetischen Einfluss auf einzelne<br />

Merkmale beschäftigen, stellen laut Spinath (2005) den ersten Schritt dar, um<br />

eine zunehmende Akzeptanz gegenüber genetischen Einflüssen auf<br />

vielfältige psychologische Merkmale zu erreichen. Der Frage, inwieweit Gene<br />

im Laufe der Entwicklung zur Stabilität oder Veränderung von Merkmalen<br />

beitragen oder inwieweit sie pleiotropisch wirken, also mehrere Merkmale<br />

zugleich beeinflussen, wird im Rahmen multivariater genetischer Analysen<br />

nachgegangen. Diese untersuchen die Ursachen für die Kovariation von<br />

Merkmalen. Spinath & Borkenau (2000) haben zum Beispiel beschrieben,<br />

dass multivariate genetische Analysen des aus der Intelligenzforschung<br />

bekannten Zusammenhangs von höheren Leistungen in kognitiven<br />

Leistungstests <strong>und</strong> kürzeren Reaktionszeiten (vgl. Neubauer, 1997), zum<br />

größten Teil mit Hilfe genetischer Effekte erklärt werden können, die beide<br />

Maße beeinflussen.


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 43<br />

Morley & Montgomery geben eine Übersicht über 76 Gene, die<br />

menschliche kognitive Prozesse beeinflussen sollen. Vier werden in<br />

Zusammenhang mit Gedächtnisleistungen gebracht, 17 mit Lernen, 30 mit<br />

Kognition <strong>und</strong> 29 mit mentaler Retardierung. Vier Gene sind in mehr als nur<br />

einem Phänotyp involviert.<br />

Die internationale Arbeitsgruppe Wright et al. veröffentlichte 2001 die<br />

Ergebnisse einer groß angelegten Zwillingsstudie in Japan, Australien <strong>und</strong><br />

den Niederlanden. Im Zentrum der Untersuchungen standen die<br />

Erblichkeitsfaktoren für Arbeitsgeschwindigkeit, Arbeitsgedächtnis <strong>und</strong> ihren<br />

phänotypischen Korrelationen mit dem Intelligenzquotienten.<br />

Dabei fand sich für den Intelligenzquotienten eine Erblichkeit von 87% für<br />

die Niederlande; von 83% in Australien <strong>und</strong> von 71% in Japan. Der<br />

geschätzte Erblichkeitsanteil für Arbeitsgeschwindigkeit <strong>und</strong><br />

Arbeitsgedächtnis lagen zwischen 33-64%. Damit lagen sie zwar niedriger,<br />

aber statistisch fanden sich für beides signifikante Korrelationen mit dem<br />

Intelligenzquotienten (IQ). Die Autoren sehen darin eine Bestätigung der<br />

Annahme, dass individuelle Differenzen für diese Leistungsbereiche, den<br />

Unterschieden im psychometrisch ermittelten Intelligenzquotienten zugr<strong>und</strong>e<br />

liegen. Da die Autoren aber eine Intelligenzmessung anhand von Skalen<br />

vornahmen, bei denen Arbeitsgeschwindigkeit <strong>und</strong> Arbeitsgedächtnis zur IQ-<br />

Ermittlung mit herangezogen werden, mag dieser Effekt auch dadurch mit<br />

beeinflusst sein. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> klingt es naheliegend, dass<br />

Probanden, die gute Leistungen in diesen Untertests hatten <strong>und</strong> somit auch<br />

einen höheren Intelligenzquotienten erreichten, auch gute Leistungen in den<br />

zur Korrelation herangezogenen Leistungstests zeigten.<br />

Es ist außerdem zu sagen, dass das Arbeitsgedächtnis, für das<br />

präfrontale Strukturen als verantwortlich betrachtet werden, nicht mit allen<br />

Merk- <strong>und</strong> Lernleistungen verglichen werden darf. So ist für den Erwerb von<br />

Wissen beispielsweise der Hippocampus von zentraler Bedeutung, der wie


Kapitel 2 Genetische Gr<strong>und</strong>lagen Seite 44<br />

unter Punkt 1.1.1 beschrieben, stärker durch Umwelteinflüsse geprägt zu<br />

sein scheint. Das wiederum würde den logischen Schluss nahe legen, dass<br />

die Gedächtnisstrukturen die mit Aneignung von Informationen im<br />

Zusammenhang stehen, sensibler für Fördereinflüsse wären <strong>und</strong> außerdem<br />

mehr im Zusammenhang mit den umweltbedingten Anteilen des<br />

Intelligenzquotienten stehen. Das Arbeitsgedächtnis als basalere<br />

Gedächtnisfunktion dagegen mehr für den genetischen Anteil.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 45<br />

3 Darstellung der ausgewählten Syndrome<br />

3.1 Das Apert- <strong>und</strong> Crouzon Syndrom als kraniofaciale<br />

Fehlbildungssyndrome<br />

Schon im Jahr 1906 beschrieb der Pariser Pädiater Dr. Eugene Apert<br />

(1868, 1940) erstmals kraniofaciale Fehlbildungen gepaart mit<br />

Zusammenwachsungen der Finger <strong>und</strong> der Zehen (Syndaktylie). Wheaton<br />

publizierte aber bereits im Jahre 1894 zu diesem Thema (Leiber, 1996).<br />

Das nach Apert benannte Syndrom gehört (wie auch das Pfeiffer- oder das<br />

Jackson-Weiss-Syndrom) zu den Akrozephalo-Syndaktilien.<br />

Das Crouzon-Syndrom wurde 1912 erstmals von dem französischen<br />

Neurologen Louis Edouard Octave Crouzon beschrieben. Das Crouzon-<br />

Syndrom (sowie das Crouzon-Syndrom mit Acanthosis nigricans <strong>und</strong> das<br />

Beare-Stephenson-Cutis-Gyrata-Syndrom) gehört der Gruppe der<br />

kraniofazialen Dysostose-Syndrome an.<br />

Gemeinsam ist beiden Syndromen, dass sie zur Familie der<br />

Kraniosynostosesyndrome (kranio = Schädel, synostose = feste<br />

Knochenverbindung) gerechnet werden (siehe auch unter Punkt 3.1.2).<br />

3.1.1 Ätiopathologie des Apert- <strong>und</strong> des Crouzon-Syndroms<br />

Das Apert-Syndrom <strong>und</strong> das Crouzon-Syndrom, entstehen durch eine<br />

Mutation des FGFR 2-Gens (Fibroblasten-Wachstums-Faktor-Rezeptor-Gen).<br />

Laut Wilkie, Slaney & Oldridge (1995) wurde eine Lokalisation auf dem<br />

Chromosom 11 angenommen. Neuere Literatur, wie Tariverdian &<br />

Buselmaier (2004) <strong>und</strong> Witkowski, Prokop, Ullrich <strong>und</strong> Thiel (1999) geben<br />

dagegen den Genort 10q26 an. Demnach handelt es sich um Mutationen auf<br />

dem langen Arm (q) des Chromosoms 10. Gen- <strong>und</strong> Genlocus sind demnach


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 46<br />

gleich, dennoch unterscheidet sich die Art der Mutation dadurch, dass das<br />

Apert-Syndrom durch eine Substitution der Aminosäure Prolin zu Arginin<br />

zwischen der zweiten <strong>und</strong> dritten Schleife verursacht wird, während das<br />

Crouzon Syndrom durch unterschiedliche Mutationen in den Exons 3a <strong>und</strong> 3c<br />

des FGFR2-Gens entstehen (Tariverdian & Buselmaier, 2004). Heubrock,<br />

Lex <strong>und</strong> Petermann (2005) verweisen auch auf Bianchi (2000), wo eine<br />

weitere Variante für die Apert-Mutation beschrieben wird. Dabei erfolgt eine<br />

Substitution der Aminosäuren Serin gegen Tryptophan <strong>und</strong> führt zu stärker<br />

ausgeprägten kraniofazialen Fehlbildungen, während der Prolin-Arginin-<br />

Austausch zu schwereren Syndaktilien führt.<br />

Beide Syndrome unterliegen prinzipiell einem autosomal-dominanten<br />

Erbgang, treten jedoch fast immer in Form einer Spontanmutation auf<br />

(Sarimski, 2003). Laut Vogel <strong>und</strong> Motulsky (1996) hat das Apert-Syndrom<br />

einen Anteil von Neumutationen von mehr als 95 Prozent. Ein väterlicher<br />

Alterseffekt konnte nachgewiesen werden. Auch äußere Einflüsse, wie<br />

beispielsweise ionisierende Strahlen <strong>und</strong>/oder chemische Mutagene<br />

(Tariverdian & Buselmaier, 2004), sowie Erkrankungen des Uterus<br />

(Ehrenfels, 2000) zählen zu den Faktoren, welche die Häufigkeit von<br />

Mutationen weiter erhöhen (siehe auch unter Punkt 2.1.1). Die Mutationsrate<br />

für das Apert-Syndrom beträgt für Deutschland 4 x 10 -6 (Tariverdian &<br />

Buselmaier, 2004).<br />

Die Prävalenzzahlen für diese Syndrome schwanken. Beim Apert-<br />

Syndrom reichen die Angaben von 1:160.00O (Patton, Goodship, Hayward &<br />

Lansdown, 1988; Prevel, Eppley & McCarthy, 1997) <strong>und</strong> 1:65.000 (Cohen &<br />

Kreiborg, 1993) bis zu 1:10.000 (Tariverdian & Buselmaier, 2004). Die<br />

Auftretenshäufigkeit beim Crouzon-Syndrom wird mit etwa 1/65.000<br />

(Kreiborg, 1981) bis zu 1:25.000 angegeben (Cohen, 1986, Ehrenfels, 2000).


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 47<br />

3.1.1.1 Die Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren<br />

Die Familie der menschlichen Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptoren<br />

(FGF-Rezeptor, FGFR, fibroblast growth factor receptor) ist mit einer Zahl<br />

von Syndromen assoziiert (Ehrenfels, 2000; Tariverdian & Buselmaier, 2004,<br />

Wagner, 2001; Yu & Ornitz, 2001). Lokalisiert sind die einzelnen Gene auf<br />

den Chromosomen 8 (FGFR 1), 10 (FGFR 2), 4 (FGFR 3) <strong>und</strong> 5 (FGFR 4).<br />

Mutationen der ersten drei FGFR-Gene konnten bereits bestimmten<br />

genetischen Syndromen zugeordnet werden. Zu den bekanntesten zählen,<br />

das Apert- <strong>und</strong> das Crouzon- Syndrom, außerdem das Pfeiffer-, Jackson-<br />

Weiss-, das Beare-Stevenson- <strong>und</strong> das Saethre-Chotzen-Syndrom. In dieser<br />

Arbeit erfolgt eine Beschränkung auf das Apert- <strong>und</strong> das Crouzon-Syndrom,<br />

beide zählen zu den am häufigsten vorkommenden kraniosynostotischen<br />

Syndromen.<br />

Um die Rezeptoren auf den Zellmembranen zu aktivieren <strong>und</strong> somit den<br />

Informationsaustausch innerhalb eines lebenden Systems zu gewährleisten,<br />

müssen bestimmte Liganden an bestimmte Rezeptoren binden. Letztere<br />

veranlassen die Regulation bestimmter Proteine, die das Signal in den<br />

Zellkern weiterleiten. Zu der Gruppe dieser Proteine gehören auch die<br />

Wachstumsfaktoren. Eine ihrer Subfamilien sind die "fibroblast growth<br />

factors" (FGFs). Das FGF lässt sich in saures (aFGF) <strong>und</strong> basisches (bFGF)<br />

Protein unterteilen, wobei das basische nahezu in allen Geweben des<br />

Körpers zu finden ist. Das aFGF kommt dagegen überwiegend in Zellen des<br />

zentralen <strong>und</strong> peripheren Nervensystems vor. 17 bis 18 Gene <strong>und</strong> 155 bis<br />

268 Aminosäuren kodieren für eines der beiden Proteine.<br />

FGFR-Gene gehören zur Familie der Tyrosinkinaserezeptoren. Ihre<br />

Produkte binden FGF <strong>und</strong> ermöglichen die Signalweiterleitung in das<br />

Zellinnere. In den Gliazellen, die zusammen mit den Neuronen das reife<br />

Gehirn bilden, finden sich FGFR2-Transkripte (Heubrock, Lex & Petermann,<br />

2005, Tariverdian & Buselmaier, 2004). Die FGFs sind an Zellwachstum,


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 48<br />

Proliferation <strong>und</strong> Differenzierung von Knorpelzellen <strong>und</strong> Knochenbildnern<br />

beteiligt <strong>und</strong> spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des<br />

Skelettsystems (Ehrenfels, 2000). Wie auch Abbildung 3 zu entnehmen ist,<br />

sind die fünfte bis achte Schwangerschaftswoche hierfür besonders relevante<br />

Entwicklungsphasen (Martin, 1998). Insbesondere dem FGFR 2 wird eine<br />

große Bedeutung hinsichtlich der Regulation des Schädelknochenwachstums<br />

zugesprochen (Wagner, 2001).<br />

3.1.1.2 Kraniosynostosen<br />

Der Begriff Kraniosynostose bezeichnet Formveränderungen des<br />

Schädels, die durch den vorzeitigen Verschluss einer oder mehrerer<br />

Schädelnähte (Suturen) hervorgerufen wird. Aus der Literatur (Kaplan, 1991;<br />

Prevel et al., 1997) sind Fälle von Kraniosynostosesyndromen bekannt, die<br />

zusätzlich andere Krankheitsbilder aufwiesen. Ob diese Krankheitsbilder in<br />

direktem Zusammenhang mit dem Syndrom stehen, ist nicht bewiesen.<br />

Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind etwa 100 Syndrome bekannt, bei denen<br />

eine Kraniosynostose mit auftritt (Mulvihill, 1995). Die<br />

Auftretenswahrscheinlichkeit hierfür wird mit 1/3.000 Lebendgeburten<br />

angegeben. Sie ist unabhängig von der ethnischen Gruppenzuordnung.<br />

Mögliche Ursachen für das Auftreten von Kraniosynostosen können<br />

Umweltfaktoren, Uteruserkrankungen oder endogene genetische Ursprünge<br />

sein (Jabs, 1998). Der Schweregrad der Erkrankung ist abhängig von der<br />

Anzahl der betroffenen Schädelnähte.<br />

Das Schädelwachstum erfolgt gr<strong>und</strong>sätzlich im rechten Winkel zum<br />

Nahtverlauf, bei synostisierten Nähten entstehen aufgr<strong>und</strong> dessen folgende<br />

abnorme Schädelformen (siehe Abb. 9). Die Sagittalnahtsynostose ist die<br />

häufigste prämature Kraniosynostoseform. Bei ihr ist das seitliche<br />

Schädelwachstum verhindert, weshalb es zur Entwicklung eines


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 49<br />

Längsschädels (Dolichocephalus), mit einer Verlängerung nach frontal <strong>und</strong><br />

occipital erfolgt. Der Trigonocephalus (kammartiger Stirnvorsprung), entsteht<br />

durch eine vorzeitige Verknöcherung der Frontalnaht. Eine erhebliche<br />

Asymmetrie des Schädels (Plagiocephalus) entsteht durch die einseitige<br />

Synostose von Koronar- <strong>und</strong> Lambdanaht. Ein Brachycephalus (verkürzter<br />

breiter Schädel) resultiert aus einer Synostose der Koronarnaht. Die<br />

Ausbildung eines sogenannten Turmschädels (Oxy-, Turry- oder<br />

Akrocephalus), ist die Folge, wenn zusätzlich auch ein Verschluss der<br />

Sagittalnaht <strong>und</strong> ein verstärktes Schädelwachstum nach ventral <strong>und</strong> kranial<br />

eintreten. Die Stirnpartie ist dann flach <strong>und</strong> verläuft senkrecht nach oben.<br />

Dadurch kann dem sich entwickelnden Gehirn unter Umständen soviel Raum<br />

genommen werden, dass es zu einem erhöhten Hirndruck kommt.<br />

Abbildung 9: Schema der Kraniosynostosen (Müller, Steinberger & Kunze,<br />

1997).


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 50<br />

3.1.2 Körperlich-medizinische Merkmale<br />

Nachfolgend werden die körperlichen Besonderheiten im Einzelnen<br />

aufgeführt (vgl. auch Sarimski, 2000, 2003). Hierbei ist zu beachten, dass<br />

einige davon fakultativ sind, das heisst, nicht alle der genannten Merkmale<br />

treffen auf jedes Kind zu. Insbesondere hinsichtlich der Ausprägungen bei<br />

den beiden vorgestellten Syndromen gibt es trotz großer Übereinstimmungen<br />

auch Unterschiede.<br />

Schädelknochen<br />

Die bereits vorgeburtlich einsetzenden Kraniosynostosen können sowohl<br />

die Stirnnaht, die Koronalnaht (Breitenwachstum) als auch die Sagittalnaht<br />

(Breitenwachstum) betreffen <strong>und</strong> bei stärkerer Ausprägung zu einer<br />

Hirndrucksteigerung führen. Durch den gesteigerten intrakraniellen Druck<br />

kann es neben Hirnschädigungen zu Stauungspapillen mit Schädigung des<br />

Sehnervs <strong>und</strong> des Augenhintergr<strong>und</strong>es kommen. Um dem vorzubeugen <strong>und</strong><br />

ein regelrechtes Hirnwachstum zu ermöglichen, werden möglichst bereits im<br />

Alter von drei bis sechs Monaten Operationen an den noch dünnen<br />

Schädelknochen vorgenommen (Sarimski, 2003), da sich das Gehirn gerade<br />

im ersten Lebensjahr um das Dreifache vergrößert. Die verschlossenen<br />

Schädelnähte werden durch Sprengung geöffnet. Je nach Art der<br />

Missbildung wird der Gesichtsschädel von der Basis des Hinterschädels an<br />

den „Le-Fort-Linien“ abgelöst <strong>und</strong> in eine anatomisch günstigere Form<br />

gebracht (Mühlbauer, 1999a). Die knöchernen Augenbrauenwülste werden<br />

gegebenenfalls durch Knochentransplantationen vorverlagert. Diese<br />

Kraniotomie-Methode geht auf Paul Tessier zurück, der damit 1967 der<br />

plastischen Chirurgie neue Dimensionen eröffnete (Mühlbauer, 1999a).<br />

Heute findet allerdings zunehmend auch radikalosteoklastische Methode


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 51<br />

nach Powiertkowski Anwendung. Dabei werden sämtliche Knochen von der<br />

Kranznaht bis hinter die Stirnnaht (Sutura sphenofrontalis) entfernt. Aufgr<strong>und</strong><br />

der funktionellen Eigendynamik der beteiligten Strukturen bildet sich eine<br />

neue Kalotte (Joos, 1999). Bei beiden Eingriffen erfolgt die Schnittführung an<br />

der behaarten Kopfhaut, um keine später sichtbaren Narben zu hinterlassen<br />

(Mühlbauer, 1999a). Bei vorzeitigem Wiederverschluss der Schädelnähte<br />

oder bei einem hohen Fehlbildungsgrad können zum Teil einige weitere<br />

Operationen notwendig sein, um ein zufriedenstellendes Resultat zu<br />

erreichen.<br />

Fehlbildungen des zentralen Nervensystems (ZNS)<br />

Bei Patienten mit Kraniosynostosesyndromen kommt es nicht selten<br />

zusätzlich zu zentralnervösen Fehlbildungen. Hierbei sind vor allem der<br />

Balken (Corpus callosum) <strong>und</strong>/oder die limbischen Strukturen betroffen<br />

(Cohen & Kreiborg, 1990; Sarimski, 1997).<br />

Das Corpus callosum ist eine quer verlaufende Faserverbindung<br />

zwischen beiden Großhirnhälften. Es verbindet homologe Areale der rechten<br />

<strong>und</strong> der linken Hemisphären miteinander <strong>und</strong> ermöglicht die gleichzeitige<br />

Funktion beider Großhirnhälften. Ein Balkenmangel (Agenesie des Corpus<br />

callosum, ACC) beeinträchtigt somit die interhemisphärische Kommunikation<br />

(siehe auch Tab. 2). Dies betrifft sowohl die motorischen als auch die<br />

visuellen, auditorischen <strong>und</strong> somatosensorischen Areale (Kolb & Whishaw,<br />

1996).<br />

Als limbisches System werden Gehirnregionen zusammengefasst, die<br />

dafür zuständig sind, das vegetative Nervensystem zu kontrollieren <strong>und</strong><br />

Emotionen <strong>und</strong> Motivation zu koordinieren. Auch bei Lern- <strong>und</strong><br />

Gedächtnisfunktionen spielen Teile des limbischen Systems eine wichtige<br />

Rolle.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 52<br />

Tabelle 2: Neuropsychologische Folgen einer ACC (mod. nach Heubrock,<br />

Lex & Petermann, 2005)<br />

Intelligenz<br />

Funktion<br />

Visuelle Wahrnehmung<br />

Aufmerksamkeit<br />

Sprache<br />

Gedächtnis<br />

Verhalten<br />

Störungen<br />

Variabel, bei 75% gilt:<br />

Sprach-IQ < Handlungs-IQ<br />

Allgemeine Beeinträchtigung der Objektwahrnehmung,<br />

spezifische Einschränkung der Raumwahrnehmung.<br />

Richtung der Aufmerksamkeit, ggf. auch andere<br />

Einschränkungen, z.B. selektive Aufmerksamkeit<br />

Meist verzögerte Sprachentwicklung,<br />

spezifisches Objektbenennungsdefizit<br />

Eingeschränkte unmittelbare Merkspanne, defizitäre<br />

freie Wiedergabe<br />

Phänomen der fremden Hand, intermanuelle Konflikte,<br />

Selbstbedrohung (dissoziative Symptome), Apraxie,<br />

Störung der interhemisphärischen taktilen<br />

Diskrimination<br />

„Das limbische System ist an allen Verhaltens- <strong>und</strong><br />

Denkprozessen beteiligt. Emotionale Äußerungen wie Angst,<br />

Wut, Sexualität, Aggression, etc. sowie Lernprozesse <strong>und</strong><br />

Gedächtnisbildung werden stark vom Iimbischen System<br />

beeinflußt" (Zilles & Rehkämper, 1998, S. 302).<br />

Fehlbildungen des limbischen Systems wirken sich demnach stark auf<br />

vorgenannte Funktionen aus. Bei Kraniosynostosesyndromen kann auch eine<br />

Ventrikelerweiterung als Ausdruck der Schädelfehlbildung feststellbar sein,<br />

die zwar bisherigen Einschätzungen zu folge keine Aussagen über die


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 53<br />

Entwicklungsprognose erlaubt (Murovic et al., 1993), aber zu einem<br />

Hydrocephalus (sogenannter Wasserkopf) führen kann. Dieses<br />

Krankheitsbild tritt jedoch seltener auf. Bei Vorliegen des Krankheitsbildes<br />

muss eine Shunt-Versorgung erfolgen, um den Ablauf des Liquors zu<br />

gewährleisten <strong>und</strong> somit einer Druckzunahme im Gehirn entgegen zu wirken.<br />

Mittelgesichtsfehlbildungen<br />

Im Alter von etwa fünf bis sieben Jahren erfolgt eine operative<br />

Vorverlagerung des Mittelgesichts, um das auffällige Erscheinungsbild der<br />

Kinder (siehe Abb. 10), das häufig Hänseleien der Peers auf sich zieht <strong>und</strong><br />

daher der sozialen Entwicklung abträglich sein kann, zu verbessern (Marsh,<br />

Galic & Vannier, 1991). Diese Eingriffe dienen jedoch auch hals-nasenohren-ärztlichen<br />

Zwecken. Mittlerweile wird hierfür meist ein Distraktionsgerät<br />

verwendet, das mit den Knochenplatten verschraubt <strong>und</strong> verdrahtet wird <strong>und</strong><br />

für sechs bis acht Wochen getragen werden muss. Bei der Methode des<br />

frontalen Advancement <strong>und</strong> der Le-Fort-Osteotomie wird der Oberkiefer<br />

durch einen Einschnitt in die vorhandene Kopfhautnarbe <strong>und</strong> den M<strong>und</strong>,<br />

gegebenenfalls durch Knochentransplantationen, versetzt. Die versetzten<br />

Knochen werden mit Drähten, die durch die Knochen geführt werden oder<br />

durch Knochenplatten <strong>und</strong> Schrauben stabilisiert. Dieses in die Haut<br />

versenkte Gestell, das sogenannte Distraktionsgerät nach Fairley (Abb. 11),<br />

hat einen Vorschub, das bedeutet, dass das Gesicht sukzessive auch nach<br />

der Operation noch weiter nach vorne verlagert werden kann (Mühlbauer,<br />

Fairley, Höpner & von Gernet, 1998). Häufig sind weitere Rekonstruktionen<br />

des Gesichts, nach Wachstumsende vonnöten, da nach der Osteotomie früh<br />

wieder eine Stenosierung auftritt <strong>und</strong> sich die Physiognomie bis zum<br />

Wachstumsabschluss wieder verschlechtert beziehungsweise das Gesicht<br />

nach der Operation nur minimal weiterwächst (Joos, 1999).


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 54<br />

a b<br />

Abbildung 10: a 6jähriger Junge, b 8jähriges Mädchen mit Apert-Syndrom.<br />

Abbildung 11: 8jähriges Mädchen mit Distraktionsgerät.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 55<br />

Der vorzeitige Verschluss der Knochen der Schädelbasis <strong>und</strong> des<br />

Mittelgesichts kann zusätzlich weitere Wachstumsstörungen hervorrufen. Im<br />

Bereich des Mittelgesichts kommt es zu einem konkav wirkenden Gesicht, da<br />

der Unterkiefer normal wächst <strong>und</strong> die Höhe des Mittelgesichtes in Relation<br />

zum Untergesicht zu gering ist. Das Gesicht ist breit, die Nase ist aufgr<strong>und</strong><br />

der unterliegenden Knochen zu klein <strong>und</strong> es besteht ein Hypertelorismus<br />

(Mühlbauer, 1999b).<br />

Augen<br />

Im Bereich des Mittelgesichts sind die Knochen betroffen, die die<br />

Augenhöhlen formen. Die Augenhöhle ist normalerweise klein <strong>und</strong> flach. Bei<br />

Kindern mit Kraniosynostosesyndromen treten die Augen aufgr<strong>und</strong> der zu<br />

kleinen Augenhöhlen hervor (Exophthalmus). Dies hat bei starker<br />

Ausprägung zur Folge, dass die Lider die Hornhaut nicht richtig bedecken<br />

können. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Augen leichter austrocknen<br />

beziehungsweise anfälliger für Verletzungen sind. Bei<br />

Kraniosynostosesyndromen sind daher auch Entzündungen sowohl an der<br />

Hornhaut als auch des Bindegewebes (Keratokonjunktivitis) assoziiert<br />

(Kübler & Mühling, 1998). Durch die Fehlbildungen der Augenhöhlen wird ein<br />

dreidimensionales Sehen vermindert (Mühlbauer, 1999b). Bei 93 Prozent der<br />

Apert-Patienten <strong>und</strong> 80 Prozent der Crouzon-Patienten kommt es zu<br />

Brechungsfehlern des Auges (Refraktionsanomalien), zum Herabhängen<br />

eines Oberlides (Ptosis), zur Abweichung der Augenachse von der<br />

Normalstellung (Strabismus) <strong>und</strong> einer Fehlsichtigkeit (Sarimski, 2003). Das<br />

bei Kindern mit Kraniosynostose-Syndromen bereits reduzierte Sehvermögen<br />

kann zusätzlich durch intrakraniellen Druck <strong>und</strong> daraus resultierende<br />

Sehnervschädigung bis hin zur Erblindung beeinträchtigt werden. Der<br />

Sehnerv selbst kann gedehnt oder geknickt sein <strong>und</strong> so zu einer


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 56<br />

Visusverschlechterung führen (Mühlbauer, 1999b).<br />

Das reduzierte Sehvermögen bei Kindern mit Kraniosynostosen erfordert<br />

oftmals eine Behandlung in Form einer Brille, gegebenenfalls sogar eine<br />

Augenoperation. Bei einem Strabismus wird auch häufig eine<br />

Abdeckbehandlung durchgeführt. Auch hier sind regelmäßige Kontrollen<br />

empfehlenswert.<br />

Ohren<br />

Als Folge der Schädelfehlbildung kommt es bei Kindern mit<br />

Kraniosynostosesyndromen häufig zu einem reduzierten Hörvermögen. Hier<br />

kann die Ursache sowohl eine Innenohrschwerhörigkeit als auch eine<br />

Schallleitungsstörung bei normal entwickeltem Innenohr sein. Die<br />

Schallleitungsstörungen kommen bei zehn Prozent der Crouzon-Patienten<br />

<strong>und</strong> einem Drittel der Apert-Patienten vor (Elterninitiative Apert-Syndrom,<br />

1999). Ursache hierfür kann eine Fehlbildung der Gehörknöchelchen sein.<br />

Ebenfalls nicht selten kommt eine Mittelohrentzündung (Otitis media) als<br />

Folge der Schädelfehlbildung vor. Dabei sammelt sich Flüssigkeit im Mittelohr<br />

an <strong>und</strong> behindert die Funktion der Ohrtrompete, die Luft von der hinteren<br />

Nase zum Ohr führt <strong>und</strong> übermäßige Flüssigkeit aus dem Ohr ableitet.<br />

Charakteristisch ist auch, dass die Ohren bei Kraniosynostose-Patienten tief<br />

angesetzt sind (Prevel et al., 1997).<br />

Durch das Einsetzen von Paukenröhrchen in das Trommelfell kann das<br />

Problem rezidivierender Mittelohrentzündungen behoben werden. Allerdings<br />

ist bezüglich der Operation bei Kindern mit Kraniosynostose-Fehlbildungen<br />

größte Vorsicht geboten, da es vorkommt, dass bei diesen Kindern die<br />

Halsvene nicht durch Knochen geschützt ist.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 57<br />

M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Nase<br />

Der Oberkiefer bei Patienten mit Kraniosynostosesyndromen ist bei der<br />

Geburt nur ungenügend ausgebildet <strong>und</strong> wächst später auch nur halb so<br />

schnell. Der Unterkiefer wirkt daher im Sinne einer Pseudoprogenie<br />

scheinbar vergrößert (Kübler & Mühling, 1998). Häufig haben die Patienten<br />

einen fehlgebildeten Gaumen. Die Zahnleiste des Oberkiefers wächst nach<br />

unten, so dass der Gaumen noch höher <strong>und</strong> schmaler wird, die Zähne<br />

zusammengedrängt werden <strong>und</strong> in den Gaumen wachsen können, wo sie<br />

eine tiefe Furche hinterlassen. So entsteht der Eindruck einer Gaumenspalte,<br />

die jedoch im harten Gaumen nicht vorkommt. Gegebenenfalls bestehen eine<br />

Weichgaumenspalte <strong>und</strong> ein gespaltenes Zäpfchen.<br />

Im M<strong>und</strong>bereich kommt es aufgr<strong>und</strong> der Kieferfehlbildungen zu einem<br />

frontal offenen Biss. Die Zunge kann ihre natürliche Position in der Kuppe<br />

des Gaumens nicht mehr einnehmen. Neben einer erhöhten Infektanfälligkeit<br />

führt dies zu Sprech- <strong>und</strong> Atemproblemen, sowie zu vermehrtem<br />

Speichelfluss (Hypersalivation).<br />

Das Verhältnis von Zähnen, Kiefer <strong>und</strong> Gaumenform kann insgesamt die<br />

Bildung einiger Laute behindern. Sollten Gehör <strong>und</strong> Intelligenz ebenfalls<br />

beeinträchtigt sein, werden diese Probleme noch verstärkt.<br />

Sprachentwicklungsverzögerungen sind somit wahrscheinliche<br />

Begleiterscheinungen der Fehlbildungen. In Verbindung mit der<br />

kraniofazialen Behandlung werden auch die Stellung <strong>und</strong> Anordnung der<br />

Zähne operativ korrigiert. Hierbei wird der Oberkiefer nach vorne gekippt, um<br />

den Kontakt zwischen Ober- <strong>und</strong> Unterkiefer herzustellen. Patienten mit<br />

Kraniosynostosesyndromen sollten aufgr<strong>und</strong> ihrer ZahnsteIlung ständig<br />

kieferorthopädisch betreut werden.<br />

Die Nasenwege bei Kraniosynostose-Patienten sind schmal<br />

(Choanalstenose), der Oberkiefer ist kurz <strong>und</strong> durch den langen Unterkiefer<br />

wird die Nasenatmung erschwert. Beim Crouzon-Syndrom kommt es zu einer


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 58<br />

sogenannten „Schnabelnase“. Aufgr<strong>und</strong> der Verengung der Nasengänge<br />

klingt die Sprache oft hyponasal. Diese anatomischen Besonderheiten führen<br />

zu Atemproblemen, die sich beispielsweise in einem Schnarchen äußern.<br />

Nicht selten treten auch gefährliche Schlafapnoen auf. Daher ist<br />

insbesondere beim Füttern der Neugeborenen besondere Vorsicht geboten<br />

(Sarimski, 1998). Ursache für die, Atemwegsobstruktionen sind häufig<br />

Polypen (Adenoide) <strong>und</strong> Gaumenmandeln (Gaumentonsillen). Eine<br />

Atemwegsobstruktion kann in Folge zu einer Erhöhung des Mitteldrucks der<br />

Arteria pulmonalis (pulmonale Hypertension; pulmonal = zur Lunge<br />

gehörend) <strong>und</strong> zu Belastungen des Herzens (kardialen Belastungen) führen<br />

(Zellner, 1999). Bei lebensbedrohlichen Apnoen muss mittels eines<br />

Luftröhrenschnittes (Tracheotomie) eingegriffen werden, während Kinder mit<br />

einfacheren Atemproblemen bereits von der Entfernung der Polypen oder<br />

von der operativen Vorverlagerung des Mittelgesichts profitieren können.<br />

Auch Tuben im Nasenrachenraum (nasopharyngeale Tuben) haben sich<br />

bewährt (Zellner, 1999).<br />

Syndaktilien<br />

Syndaktilien kommen beim Apert-, nicht aber beim Crouzon-Syndrom vor.<br />

Das Vorliegen von Syn- oder Polydaktilien schließt daher die Diagnose des<br />

Crouzon-Syndroms aus. Bei Vorhandensein von Syndaktilien handelt es sich<br />

um ein Klassifikationsmerkmal des Apert-Syndroms. Allerdings wurden in den<br />

letzten Jahren Bef<strong>und</strong>e über milde Abnormalitäten der Gliedmaßen<br />

veröffentlicht, die spezifisch für das Crouzon-Syndrom sind (Anderson, Hall,<br />

Evans, Jones & Hayward, 1997, Kaler, Bixler & Yu, 1982, Murdoch-Kinch,<br />

Bixler & Ward, 1998).<br />

Im Alter von ein bis zwei Jahren sind operative Korrekturen der Finger-<br />

Syndaktilien notwendig. Die Finger sind in seltenen Fällen nur häutig, aber


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 59<br />

meist auch knöchern verwachsen, wobei nur die Fingergr<strong>und</strong>gelenke<br />

funktionsfähig sind. Oftmals sind auch die Fingernägel<br />

zusammengewachsen. Die Syndaktilien betreffen hauptsächlich die Bereiche<br />

der Zeige- bis Ringfinger (Finger II bis IV) <strong>und</strong> sind weniger stark zwischen<br />

Daumen <strong>und</strong> Zeigefinger beziehungsweise zwischen Ringfinger <strong>und</strong> kleinem<br />

Finger ausgeprägt.<br />

Vor allem die knöcherne Verb<strong>und</strong>enheit bedingt eine eingeschränkte<br />

Funktionsfähigkeit der Finger. Dies betrifft vor allem die Fingerendglieder. Die<br />

Hände sind zueinander gedreht <strong>und</strong> werden aufgr<strong>und</strong> der Verwachsungen<br />

auch als „Löffelhände“ bezeichnet. Die Daumen sind oft kurz <strong>und</strong> breit <strong>und</strong><br />

ebenfalls fehlgebildet. Das Aussehen der Handform <strong>und</strong> die Stellung der<br />

Daumen sind unterschiedlich ausgeprägt (Prevel et al., 1997).<br />

Die Trennung der Finger <strong>und</strong> die Wiederherstellung intakter benachbarter<br />

Hautoberflächen mit Transplantaten sollte bereits sehr früh, das heißt vor<br />

dem ersten Lebensjahr, in die Wege geleitet werden, um die Funktionalität<br />

der Fingerglieder (Phalangen) herzustellen <strong>und</strong> so starken<br />

Entwicklungsverzögerungen entgegenzuwirken. Die Operation kann<br />

gleichzeitig mit der Operation zur kraniofazialen Rekonstruktion erfolgen, um<br />

die Belastungen einer Anästhesie zu minimieren (Prevel et al., 1997).<br />

Sollten sich die Gelenkköpfe der Finger im Laufe des Wachstums<br />

verdrehen, kann eine Knochenentfernung erforderlich werden. Ist zusätzlich<br />

der Daumen klein <strong>und</strong> befindet er sich in einer ungünstigen Stellung, so kann<br />

er operativ in die richtige Position korrigiert werden. Dies geschieht meist im<br />

Alter von acht Jahren. Die operative Behandlung der Syndaktilien zieht meist<br />

eine lange Zeit der Rehabilitation nach sich.<br />

Die Syndaktilien am Fuß (Abb. 12) betreffen vor allem die zweite bis<br />

fünfte Zehe (Zehen lI-V). Hierbei, sind auch die Nägel miteinander<br />

verwachsen (Prevel et al., 1997). Der Großzeh ist verklumpt <strong>und</strong> fehlgebildet.<br />

Jedoch wird durch die Verwachsungen die Funktionsfähigkeit der Füße<br />

weniger eingeschränkt, so dass hier selten operativ korrigiert wird.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 60<br />

Sonstige Begleitstörungen<br />

Im Rahmen der distinkten Skelettdysplasie sind als ergänzende Bef<strong>und</strong>e<br />

noch eine Verkürzung der oberen Extremitäten, sowie<br />

Beweglichkeitsstörungen des Ellbogen- <strong>und</strong> Schultergelenks zu erwähnen.<br />

Die Patienten können ihre Ellenbogen im Allgemeinen nur bis 150 Grad<br />

strecken können. Anomalien im Bereich des Schultergürtels <strong>und</strong> Kleinwuchs,<br />

welcher sich erst ab dem Kleinkindalter manifestiert, sowie<br />

Wirbelsäulenverkrümmungen kommen vor. Mit zunehmendem Alter kommt<br />

es nicht selten zu Hüftschäden, die orthopädisch behandelt werden müssen<br />

(Ehrenfels 2000; Prevel et al., 1997).<br />

In einigen Fällen treten zusätzlich fakultativ assoziierte<br />

� Fehlbildungen des Herzens, wie ein persistierender Ductus arteriosus<br />

(angeborener Herzfehler mit Offenbleiben der fetalen Verbindung<br />

zwischen Aorta <strong>und</strong> Pulmonalarterie) oder Pulmonalatresien (Herz-,<br />

Kreislauferkrankung mit vollständigem Verschluss des rechten<br />

Ventrikels),<br />

� urologische Anomalien (Kryptorchidismus) sowie polyzystische Nieren<br />

<strong>und</strong> Uterusfehlbildungen,<br />

� Fehlbildungen des Magen-Darm-Traktes, Magenausgangsverschluss<br />

(Pylorusstenose),<br />

� Anomalien im Bereich von Luftröhre, Lunge <strong>und</strong> Lungengefäßen,<br />

Ösophagotrachealfisteln (angeborene oder erworbene Verbindung<br />

zwischen Speiseröhre <strong>und</strong> Luftröhre),<br />

� Acne vulgaris (Hautkrankheit mit Verstopfung der Follikel) auf.<br />

� Es konnte außerdem beobachtet werden, dass 16 Prozent der<br />

Neugeborenen ein Geburtsgewicht von mehr als 4.000g aufweisen.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 61<br />

3.1.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten<br />

Beim Apert-Syndrom liegen unter Umständen leichte Grade einer<br />

geistigen Behinderung <strong>und</strong> beim Crouzon-Syndrom spezifische<br />

Lernprobleme vor. Beide sind entgegen der verbreiteten Fehlannahme, dass<br />

die offensichtlichen Schädelfehlbildungen generell zu Hirnschädigungen<br />

führen, nicht obligatorisch mit einer Intelligenzminderung verb<strong>und</strong>en. Frühere<br />

Studien gingen von einer globalen mentalen Retardierung aus (Blank, 1960),<br />

während jüngere Studien stärker zwischen einzelnen Teilleistungen<br />

differenzieren. In der Literatur findet sich eine starke Variabilität der<br />

Intelligenzwerte (Sarimski, 2000, 2003), allerdings liegt laut Patton,<br />

Goodship, Hayward & Lansdown (1988) bei etwa der Hälfte der Kinder mit<br />

Apert-Syndrom eine deutliche Lern- oder geistige Behinderung vor, die<br />

andere Hälfte hatte einen IQ kleiner 100. Insgesamt untersuchte die<br />

Arbeitsgruppe 29 Patienten, darunter waren auch Jugendliche <strong>und</strong><br />

Erwachsene. In einer Untersuchung (Lefebvre, Travis, Arndt & Munro, 1986)<br />

ergaben sich bei 20 Kindern mit Apert-Syndrom Intelligenzquotienten<br />

zwischen 52 (das entspricht nach ICD-10-Kriterien noch einer leichten<br />

geistigen Behinderung) <strong>und</strong> 89 (durchschnittliche Intelligenz). Renier, Arnaud,<br />

Cinalli & Marchac (1996) fanden bei 28 Patienten zwischen drei <strong>und</strong> 28<br />

Jahren bei etwa einem Drittel der Stichprobe einen IQ von unter 70, aber<br />

auch Ergebnisse bis zu einem IQ von 114. Shipster et al. (2002, zitiert nach<br />

Sarimski, 2003) fanden bei sieben von acht Kindern eine Intelligenz im<br />

Normalbereich (IQ >85).<br />

3.1.3.1 Einfluss der körperlichen Merkmale auf die kognitive<br />

Entwicklung<br />

Die Probleme, die Kraniosynostosesyndrome mit sich bringen können,<br />

wirken sich nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild der Patienten aus. Die


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 62<br />

Besonderheiten des körperlichen Phänotyps haben oft auch Auswirkungen<br />

auf die kognitiven Fähigkeiten sowie die sozialen Fertigkeiten der Patienten.<br />

Die nachfolgend aufgeführten Auswirkungen sind fakultativ. Die<br />

Auswirkungen können in ihrem Schweregrad erheblich variieren oder zum<br />

Teil auch gar nicht auftreten. Es kann auch kein genereller Zusammenhang<br />

zwischen der Ausprägung der Fehlbildungen <strong>und</strong> dem Schweregrad der<br />

Beeinträchtigung festgestellt werden. In einigen Untersuchungsgruppen,<br />

gehörten die Kinder mit den ausgeprägteren Fehlbildungen vereinzelt sogar<br />

zu den leistungsstärksten (vgl. Sarimski, 2003).<br />

Die Kraniosynostosen selbst können wie bereits beschrieben in den<br />

ersten Lebensmonaten einen intrakraniellen Druck verursachen. In diesem<br />

Fall kann eine Intelligenzminderung resultieren. Aber auch bereits die<br />

Störungen der Hirnstrukturen in der Frühschwangerschaft werden als<br />

Ursache für mögliche geistige Behinderungen diskutiert. Bei einer<br />

zusätzlichen Fehlbildung des limbischen Systems muss mit Auswirkungen<br />

auf die Lern- <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen des jeweiligen Patienten gerechnet<br />

werden. Bef<strong>und</strong>e zeigten Probleme im Bereich der auditiven Merkfähigkeit<br />

(Sarimksi, 2003).<br />

Durch die Syndaktilien sind die Kinder mit Apert-Syndrom in ihrer<br />

Entwicklung benachteiligt, da sie Lernerfahrungen durch das kindtypische<br />

"Begreifen" aufgr<strong>und</strong> der Fehlbildungen nicht in dem Maße durchführen<br />

können, wie andere Kinder ihres Alters. Lernerlebnisse über<br />

sensomotorische Fähigkeiten werden durch ihre Handanomalien verzögert<br />

<strong>und</strong> die Bedürfnisse des Kindes, seine Umwelt in dieser Form „zu begreifen“,<br />

werden nicht erfüllt (Campis, 1991). Das Greifen mit den Handflächen, gehört<br />

zu den frühkindlichen Reflexen (palmares Greifen). Im Alter von 4 bis 12<br />

Monaten entwickelt sich eine Reihe von Greiffunktionen. Der Ablauf ist dabei<br />

bei allen Kindern gleich (Largo, 2000). Bei Kindern mit Apert-Syndrom ist<br />

dieser Entwicklungsprozess nicht möglich oder stark eingeschränkt <strong>und</strong> die<br />

Spezialisierung der Fingerfunktionen verläuft somit nicht altersgemäß.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 63<br />

Die Folge ist eine Entwicklungsverzögerung, die sich auf Motorik <strong>und</strong><br />

Koordination auswirkt. Auch nach Korrekturoperationen bestehen weiterhin<br />

Probleme in der grob- <strong>und</strong> feinmotorischen Koordination (Lefebvre et al.,<br />

1986). Motorische Entwicklungsverzögerungen werden ebenfalls durch die<br />

eingeschränkte Mobilität der Schultern <strong>und</strong> Ellenbogen begünstigt (Campis,<br />

1991).<br />

Auch das Hör- <strong>und</strong> Sehvermögen können eingeschränkt sein <strong>und</strong> so zu<br />

Entwicklungseinbußen führen. Trotz der aufgr<strong>und</strong> der Fehlbildung zu<br />

erwartenden visuomotorischen <strong>und</strong> feinmotorischen Defizite fielen in<br />

Untersuchungen deutlich höhere Leistungen in der Handlungsintelligenz<br />

(Handlungsteil des HAWIK) auf (Sarimski, 2003). Die Sprachentwicklung ist<br />

durch die anatomischen Besonderheiten der Kinder beeinträchtigt. Shipster<br />

et al. (2002, zitiert nach Sarimksi, 2003) fanden heraus, dass bei acht von<br />

zehn Kindern eine leichte bis mittelgradige Beeinträchtigung der expressiven<br />

Sprache vorlag. Bei allen fanden sich oral-motorische Schwächen <strong>und</strong> eine<br />

ungewöhnliche Stimmführung.<br />

Es besteht zwar keine Beziehung zwischen dem Grad der Fehlbildungen<br />

<strong>und</strong> der kognitiven Leistungen, allerdings zeigen sich die Kinder bei denen es<br />

zusätzlich zu einer Agenesie des Corpus Callosum gekommen ist, stärkere<br />

kognitive Einbußen <strong>und</strong> deutliche Verhaltensauffälligkeiten. Das konnte auch<br />

im Zuge unserer Untersuchungen festgestellt werden (siehe unter 5.1.2).<br />

Laut Patton, Goodship, Hayward & Lansdown (1988) fanden sich keine<br />

Hinweise darauf, dass die Kinder nach einer frühen Schädelkorrektur generell<br />

bessere kognitive Entwicklungschancen zeigen. Es wird daher davon<br />

ausgegangen, dass wenn wesentliche kognitive Beeinträchtigungen<br />

vorliegen, diese eine Folge früher Entwicklungsstörungen des ZNS in der<br />

embryonalen Phase sind. Sie wären demnach auch nicht durch frühzeitige<br />

chirurgische Eingriffe zu verhindern.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 64<br />

3.1.3.2 Einfluss der körperlichen Merkmale auf die soziale Entwicklung<br />

Eine Kraniosynostose muss nicht zwangsläufig eine Begrenzung des<br />

Hirnwachstums <strong>und</strong> somit eine Entwicklungsretardierung mit sich führen. Oft<br />

aber werden Kinder mit kraniofazialen Fehlbildungen aufgr<strong>und</strong> ihrer äußeren<br />

Erscheinung als geistig behindert eingeschätzt. Eine Fehleinschätzung<br />

bezüglich ihrer Fähigkeiten <strong>und</strong> ihrer Motivation, kann leicht zu einer "selffulfilling-prophecy"<br />

werden, mit der Folge, dass die Entwicklungschancen der<br />

Kinder aufgr<strong>und</strong> der Fehleinschätzung ungenutzt bleiben <strong>und</strong> sie unter<br />

Umständen sogar falsch beschult werden. Wie auch aus Studien zur<br />

Hochbegabung bekannt ist, sind "Underachiever" prädestiniert dafür,<br />

Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln (Sarimski, 1999; Sarimski 2000,<br />

2003).<br />

Wenn man bedenkt, dass Babys bereits in den ersten Lebensmonaten<br />

auf das Ausdrucksverhalten von Erwachsenen reagieren, so ist es nicht<br />

verw<strong>und</strong>erlich, dass Babys mit kraniofazialen Fehlbildungen bezüglich<br />

negativer Ausdrucksformen ihrer Umwelt besonders gefährdet sind. Ihre<br />

Eltern müssen eigenen Berichten zufolge zunächst Schock, Angst,<br />

Enttäuschung, Trauer <strong>und</strong> Depression verarbeiten (Campis, 1991; Sarimski<br />

2003). Fremde Personen zeigen oftmals Verlegenheitsreaktionen oder gar<br />

Abscheu, was für die Eltern zunächst eine Stresssituation bedeuten kann. So<br />

konnten wir beispielsweise erleben, wie ein Besucher unserer Ambulanz so<br />

schockiert über das Aussehen der Patientin mit dem Distraktionsgerät (Abb.<br />

11) war, dass er das Wartezimmer verlassen musste.<br />

Durch diese Umstände kann die Eltern-Kind-Interaktion erheblich gestört<br />

werden. Durch die psychologische Belastungssituation <strong>und</strong> die<br />

krankheitsbedingten Probleme, komme es häufig zu Trennungen der Eltern<br />

der betroffenen Kinder, was die Kinder zusätzlich belaste (Sarimski, 1999),<br />

zudem können Gefühle, von Schuld <strong>und</strong> Hilflosigkeit bei den Angehörigen


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 65<br />

auftauchen (Campis, 1991).<br />

In der frühen Entwicklung ist die emotionale Entwicklung der Kinder durch<br />

verschiedene Faktoren gefährdet (vgl. Sarimski, 2003):<br />

� Hemmung der Eltern-Kind-Interaktion durch Verunsicherung der<br />

Eltern (Schock, Trauer, Zukunftsängste),<br />

� häufige Hospitalisierungen <strong>und</strong> Operationen,<br />

� Hemmung des Selbstvertrauens in Folge der Fehlbildungen, der<br />

funktionellen Einschränkungen <strong>und</strong> überprotektiver Erziehung.<br />

Der Einfluss von Peers im Schulalter <strong>und</strong> in der Jugend auf das<br />

Selbstwertgefühl der Kinder ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Negative<br />

Erfahrungen mit anderen Kindern, wie ausgelacht oder bezüglich ihrer<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten falsch eingeschätzt werden, können bei den<br />

Patienten Rückzugstendenzen hervorrufen. Das daraus resultierende scheue<br />

<strong>und</strong> verlegene Verhalten erschwert dann die Entwicklung eines ges<strong>und</strong>en<br />

Selbstbewusstseins <strong>und</strong> sozialer Kompetenzen.<br />

In einer Studie von Pertschuk <strong>und</strong> Whitacker (1985) zeichnen die Kinder<br />

mit kraniofazialen Fehlbildungen ein Selbstbild von sich, das als ängstlich,<br />

introvertiert <strong>und</strong> mit geringem Selbstwertgefühl beschrieben werden kann. Ihr<br />

Verhalten wird im Vergleich zu dem einer Kontrollgruppe von Eltern <strong>und</strong><br />

Lehren als hyperaktiv eingeschätzt. Jedoch scheinen sich die Aussagen zur<br />

sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern mit Kraniosynostosesyndromen<br />

zu widersprechen. Die Erfahrung zeigt auch, dass Kinder mit dem Apert-<br />

Syndrom über gute kompensatorische Fähigkeiten bezüglich ihres<br />

Selbstbildes verfügen (Sarimski, 1993). Sicher scheint jedoch, dass sich die<br />

Selbsteinschätzung der Kinder nach der Mittelgesichtskorrektur verbessert<br />

(Lefebvre et al., 1986). Gerade in der Pubertät kann es zu Hemmungen im<br />

sozialen Umgang mit Gleichaltrigen kommen. In diesen Phasen werden zum<br />

Teil soziale Rückzugstendenzen, aggressive Verhaltensweisen oder


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 66<br />

überkompensierende Aktivitäten beobachtet. Auch bei der Eingliederung ins<br />

Berufsleben werden Kinder mir Apert-Syndrom aufgr<strong>und</strong> ihres<br />

Erscheinungsbilds benachteiligt.<br />

Sarimski (1995) führte eine Untersuchung bei 24 Kindern mit Apert-<br />

Syndrom durch. Trotz all der möglichen negativen Umwelteinflüsse<br />

entwickelten sich 80 Prozent der Kinder mit Apert-Syndrom nach<br />

Einschätzung der beurteilenden Erzieher unauffällig. In den Ergebnissen<br />

zeigte sich nur wenig oppositionell-aggressives Verhalten <strong>und</strong> nur teilweise<br />

Distanzlosigkeiten, Konzentrationsprobleme, emotionale Labilität <strong>und</strong><br />

Ängstlichkeit. Dies scheint vor allem dann der Fall zu sein, wenn zusätzliche<br />

Fehlbildungen des Nervensystems Einfluss auf emotionale Äußerungen<br />

nehmen. Insgesamt zeigen Kinder mit Apert-Syndrom ein hohes Maß an<br />

sozial erwünschten Verhalten. Sie gelten als ausgeglichen, schnell zu<br />

beruhigen <strong>und</strong> sozial unauffällig. Die Kinder bringen eine positive<br />

Gr<strong>und</strong>stimmung mitbringen, die sich als förderlich für die soziale<br />

Kontaktaufnahme erweist (Sarimski, 2003). Dies zeigte sich auch im Rahmen<br />

unserer Verhaltensbewertung (siehe unter 5.1.2).<br />

3.2 Das Fragile-X-Syndrom<br />

Das Fragile-X-Syndrom wurde erstmals 1943 von Martin <strong>und</strong> Bell<br />

beschrieben <strong>und</strong> wurde lange Zeit als Martin-Bell-Syndrom oder Marker-X-<br />

Syndrom bezeichnet. Laut humangenetischem Lehrbuch handelt es sich um<br />

eine „geschlechtsgeb<strong>und</strong>ene Schwachsinnsform mit fragiler Stelle am X-<br />

Chromosom“ (Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 426).


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 67<br />

3.2.1 Ätiopathologie des Fragilen-X-Syndroms<br />

Lubs gelang 1969 der cytogenetische Nachweis einer brüchigen Stelle<br />

am langen Arm des X-Chromosoms (Region xq27.3). Auf dem X-Chromosom<br />

finden sich Regionen in denen die Basen Cytosin <strong>und</strong> Guanin gehäuft<br />

auftreten. Der 1991 identifizierte, für das Fragile-X-Syndrom relevante<br />

Bereich in dem das Fragile X linked mental retardation gene 1 (FMR1-Gen)<br />

liegt, gehört dazu (Sarimski, 2003).<br />

Hier findet sich eine Wiederholung der Abfolge der Basen Cytosin-Guanin-<br />

Guanin, das sogenannte Basentriplett CGG. Während die Anzahl dieser<br />

Wiederholungen im Normalfall zwischen fünf <strong>und</strong> 40 liegt <strong>und</strong> man bei bis zu<br />

60 Repeats noch von einer Grauzone ausgeht, liegt ab 60 Wiederholungen<br />

eine Prämutation <strong>und</strong> ab 200 Wiederholungen eine Vollmutation vor, die zur<br />

Inaktivierung des FMR1-Gens <strong>und</strong> zur Ausbildung der entsprechenden<br />

Symptomatiken führt. In Extremfällen konnten bis zu 1000 Repeats<br />

festgestellt werden. Des Weiteren gibt es noch eine relativ hohe Zahl von<br />

Mosaikformen, bei denen nur ein Teil der Körperzellen von der Mutation<br />

betroffen sind. Rousseau et al. (1994) zufolge ergibt sich hieraus aber nur in<br />

seltenen Fällen eine günstigere kognitive Entwicklung.<br />

Der Name für dieses Syndrom (fragile = zerbrechlich<br />

[englisch/französisch]) leitet sich davon ab, dass die erhöhte Wiederholung<br />

der Trinukleotidsequenz CGG zu einer „Brüchigkeit“ des X-Chromosoms<br />

führt. Tatsächlich kommt es jedoch nicht zu einem Bruch des Chromosoms,<br />

wie es bei auf Deletionen beruhenden Syndromen der Fall ist, sondern zu<br />

einer unter dem Mikroskop sichtbaren Unterbrechung der normalen<br />

Chromosomenstruktur (siehe Abb. 12).


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 68<br />

Abbildung 12: Mikroskopisch sichtbare Unterbrechung der<br />

Chromosomenstruktur <strong>und</strong> dessen schematische Darstellung<br />

(mod. nach Froster, in Interessengemeinschaft Fragiles-X<br />

e.V., 2000).<br />

Das Fragile-X-Syndrom folgt nicht dem sogenannten klassisch xchromosomal-rezessiven<br />

Erbgang, wie dies beispielsweise bei der<br />

Bluterkrankheit, der Fall ist. Dabei weisen Frauen, die Überträgerinnen<br />

(Konduktorinnen) des Defekts sind, in der Regel keine Krankheitssymptome<br />

auf. Bei den männlichen Nachkommen hängt es dann davon ab, ob sie das<br />

ges<strong>und</strong>e oder das veränderte Gen <strong>und</strong> damit die Erkrankung bekommen<br />

haben.<br />

Beim Fragilen-X-Syndrom ist dies nicht so eindeutig definiert. Das<br />

Fragile-X-Syndrom kann auch von Männern übertragen werden, die Träger<br />

einer klinisch unauffälligen Prämutation (bis ca. 200 CGG-Repeats) sind. Sie<br />

können die Prämutation an ihre Töchter weitergeben. Diese Töchter<br />

erkranken selbst nicht, sind aber Anlageträger. Allerdings kommt es neueren<br />

Untersuchungen zu folge auch bei etwa 30 % der betroffenen Mädchen zu<br />

Lernstörungen. Erst bei den weiteren Nachkommen kann sich aus der<br />

Prämutation ein plötzliches Anwachsen des CGG-Repeats, das heißt eine<br />

Vollmutation, mit den entsprechenden klinischen Auffälligkeiten ergeben


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 69<br />

("Repeat-Dynamik"). Diese Form des Erbganges führt dazu, dass Mutationen<br />

des X-Chromosoms, die noch nicht den Grad der Vollmutation erreicht<br />

haben, zum Teil über mehrere Generationen hinweg unerkannt bleiben.<br />

Dieser, auch als Sherman-Paradox bezeichneter Effekt, erschwert dadurch<br />

zum Teil erheblich eine gesicherte <strong>und</strong> rechtzeitige Feststellung des Fragilen-<br />

X-Syndroms (Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V., 2000).<br />

Jungen sind etwa zweimal häufiger betroffen <strong>und</strong> weisen eine<br />

ausgeprägtere Symptomatik auf als Mädchen, die meist von der<br />

kompensierenden Wirkung eines zweiten ges<strong>und</strong>en X-Chromosoms<br />

profitieren.<br />

Die Häufigkeit des Fragilen-X-Syndroms wird von Tariverdian <strong>und</strong><br />

Buselmaier (2004) für Jungen mit 1: 4000 an. Zu dem muss von einer hohen<br />

Dunkelziffer nicht diagnostizierter Betroffener ausgegangen werden. Thake,<br />

Todd, Webb <strong>und</strong> B<strong>und</strong>ey (1987) führten eine Screening-Untersuchung in<br />

schulischen Einrichtungen für Behinderte durch <strong>und</strong> fanden bei 8% der<br />

Kinder mit unklarer Diagnose den Nachweis für ein Fragiles-X-Syndrom.<br />

Damit stellt das Fragile-X-Syndrom die zweithäufigste genetische Ursache<br />

geistiger Behinderung nach der Trisomie 21 (Down-Syndrom) dar.<br />

3.2.1.1 Fragile X linked mental retardation gene 1 (FMR1-Gen)<br />

Die Zahl der CGG-Repeats ist nicht allein dafür verantwortlich dafür, ob<br />

das vom FMR1-Gen codierte Protein, das FMR1-Protein (FMRP), gebildet<br />

wird oder nicht. Vielmehr wird das Gen durch den Einbau von Methylgruppen,<br />

der sogenannten Methylierung aktiviert oder deaktiviert. An Nukleotidpaaren<br />

mit der Sequenz Cytosin-Guanin (CG) kann das Cytosinmolekül in der Zelle<br />

durch eine Methylgruppe modifiziert sein. Diese DNA-Methylierung ist mit der<br />

Bildung von inaktivem Chromatin verb<strong>und</strong>en. Das bedeutet, dass die<br />

Inaktivierung des FMR1-Gens <strong>und</strong> damit die Produktionsunterdrückung des


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 70<br />

FMRP, sowohl von der Verlängerung des CGG-Repeats, als auch vom<br />

Methylierungsgrad des FMR1-Gens abhängig ist. Methylierung einer<br />

Cytosinbase führt außerdem zu einer deutlich erhöhten Mutationsrate des<br />

Cytosins. Nach Hergersberg (2000) gehen mehr als 30 Prozent der<br />

krankheitserzeugenden Punktmutationen auf methylierte Cytosine zurück.<br />

Es wird vermutet, dass FMRP am Reifungsprozess des Nervensystems<br />

beteiligt ist, da nachgewiesen werden konnte, dass FMRP insbesondere von<br />

Hirnzellen, hier ausschließlich von Neuronen <strong>und</strong> Purkinje-Zellen, produziert<br />

wird. Außerdem wurde festgestellt, dass FMRP die Messenger RNS (mRNA;<br />

RNS = Ribonukleinsäure) binden kann. Die mRNS ist wesentlich an der<br />

Translation des genetischen Codes der DNS zur Produktion von Proteinen<br />

beteiligt. Es ist daher anzunehmen, dass FMRP auch für diese Prozesse von<br />

Bedeutung ist.<br />

Anhand von Tiermodellen (FMR1-"Knock-Out"-Maus-Modell) wird derzeit<br />

versucht, die Wirkungsweise des FMRP aufzuklären. FMR1-"Knock-Out"-<br />

Mäuse produzieren kein funktionsfähiges FMRP <strong>und</strong> zeigen ähnliche<br />

Symptome (vergrößerte Hoden, Verhaltensauffälligkeiten, Hyperaktivität,<br />

Intelligenzminderung) wie Menschen mit dem Fragilen-X-Syndrom.<br />

3.2.2 Körperlich-medizinische Merkmale<br />

Die körperlichen Merkmale fallen im Vergleich zu den<br />

Kraniosynostosesyndromen geringer <strong>und</strong> ebenfalls variabel aus. Zu den<br />

körperlichen Symptomen gehören (vgl. Sarimski, 2003, Tariverdian &<br />

Buselmaier, 2004):<br />

• muskuläre Hypotonie ("Schlaffheit"),<br />

• überstreckbare Gelenke,


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 71<br />

• vergrößertes Hodenvolumen (bei 40% aller Betroffenen vor <strong>und</strong> bei<br />

80% aller Betroffenen nach der Pubertät),<br />

• kardiologische Auffälligkeiten (Mitralklappenprolaps <strong>und</strong>/oder<br />

Aortendilatationen),<br />

• bei einigen Kindern Anfälle (spezifisches EEG-Muster),<br />

• längliche Gesichtsform mit breitem Kinn <strong>und</strong> großen, häufig<br />

abstehenden Ohren, hoher Stirn, supraorbitalen Wülsten (siehe Abb.<br />

13),<br />

• erhöhtes Geburtsgewicht, insgesamt liegen Korpergröße, Kopfumfang<br />

<strong>und</strong> Körpergewicht im oberen Normbereich (>50 Percentil),<br />

• Hautleisten- <strong>und</strong> Hautfurchenbesonderheiten, samtig-weiche Haut,<br />

fleischige Hände <strong>und</strong> Füße, Bindegewebsschwäche,<br />

• starker Speichelfluss, häufig offener M<strong>und</strong>,<br />

• schlechter Gleichgewichtssinn.<br />

a b<br />

Abbildung 13: Jungen a 8 Jahre <strong>und</strong> b 12 Jahre mit Fragilem-X-Syndrom.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 72<br />

3.2.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten<br />

Die unterschiedlichen Untersuchungsdesigns <strong>und</strong> Stichproben lassen<br />

keine absolute Vergleichbarkeit der bisherigen Studien (z. B. Fre<strong>und</strong> & Reiss,<br />

1991, Hodapp et al., 1990, 1992) zu, allerdings zeigt sich für Schulkinder im<br />

Durchschnitt ein IQ von etwa 50 <strong>und</strong> damit ein Ergebnis im Bereich der<br />

mittelgradigen geistigen Behinderung. Die Werte reichen von leichter bis<br />

schwerer geistiger Behinderung, in Einzelfällen fanden sich auch IQ-Werte im<br />

Normalbereich (z. B. Kemper, Hagerman & Altshul-Shark, 1988). Bei einer<br />

der größten deutschen Untersuchungsgruppen (N = 49) von Backes et al.<br />

(2000) ergab sich für die Kaufman-Assesment Battery for Children (K-ABC)<br />

ein mittlerer IQ-Wert von 47. Dykens et al. (1996, zitiert nach Sarimski, 2003)<br />

untersuchten sogar 130 Jungen. Dabei zeigte sich, dass der IQ mit<br />

steigendem Entwicklungsalter abnahm (siehe Abb. 14).<br />

Abbildung 14: Durchschnittliche IQ-Werte bei 130 Jungen mit FraX-Syndrom<br />

in vier Altersgruppen (Dykens et al., 1996, in Sarimski 2003, S.<br />

165, Abb. 30).<br />

Nach heutigem Wissenstand ist, wie auch Sarimski (2003) zu bedenken<br />

gibt, nicht zu beurteilen, ob die Verschlechterung der Werte dadurch<br />

zustande kommt, dass die Entwicklung der Kinder durch eine biologisch


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 73<br />

bedingte Verlangsamung des Entwicklungstempos geprägt ist <strong>und</strong> so mit den<br />

steigenden Anforderungen immer weniger Schritt gehalten werden kann,<br />

oder ob der Gr<strong>und</strong> hierfür in einer mangelnden Förderung der inzwischen<br />

älteren Patienten liegt. Da Patienten mit <strong>und</strong>iagnostiziertem Fragilen-X-<br />

Syndrom früher häufig in der Psychiatrie landeten <strong>und</strong> auch sonst bei<br />

bekannter Diagnose wenig über spezifische Förderbedürfnisse bekannt war,<br />

ist dieser Aspekt sicherlich nicht unwesentlich.<br />

Bei Kindern mit dem Fragilen-X-Syndrom zeigen sich schon früh<br />

Entwicklungsverzögerungen wie beispielsweise ein Desinteresse an<br />

Umwelteindrücken (keine kindliche Neugier), Wahrnehmungsstörungen für<br />

optische, akustische <strong>und</strong> sensorische Reize sowie erhebliche grob- <strong>und</strong><br />

feinmotorischen Defizite <strong>und</strong> Hyperaktivität.<br />

Ein weiteres wesentliches Merkmal stellt die häufig stark verminderte<br />

oder verzögerte Sprachentwicklung dar. Die Ausprägung der<br />

Sprachprobleme kann unterschiedlich sein. Die meisten Kinder verfügen<br />

jedoch über einen nur geringen aktiven Wortschatz <strong>und</strong> verwenden Zwei- bis<br />

Drei-Wortsätze. Eine besondere Einschränkung ergibt sich auch aus der<br />

Tendenz der Kinder zur Echolalie. Hierbei werden Worte oder Sätze eines<br />

Gesprächspartners, einer Stimme aus dem Radio oder dem Fernseher<br />

ständig wiederholt.<br />

Der passive Wortschatz <strong>und</strong> das Sprachverständnis fallen dagegen<br />

deutlich besser aus <strong>und</strong> stellen eine individuelle Ressource dar. Zu den<br />

weiteren relativen Stärken zählen laut der Interessengemeinschaft Fragiles-X<br />

e. V. (2000), die einen umfassenden Überblick des Forschungstandes geben,<br />

die visuelle Zuordnung von Bildern, die simultane Informationsverarbeitung,<br />

die visuelle Gedächtnisspanne <strong>und</strong> das Wiedererkennen von Bildern, das<br />

Zusammenfügen von Gegenständen <strong>und</strong> die Gestaltwahrnehmung.<br />

Defizite zeigen sich im Bereich der flexiblen Problemlösung, des<br />

abstraktes Denkens, der höheren sprachlichen Funktionen, im


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 74<br />

Kurzzeitgedächtnis, beim mathematischen Denken, in der Visuomotorik, bei<br />

der sequentiellen Verarbeitung <strong>und</strong> bei der Aufmerksamkeit. Der Erwerb der<br />

Kulturtechniken ist stark eingeschränkt.<br />

Nach den Erfahrungen betroffener Eltern sind die<br />

Verhaltensauffälligkeiten beim Fragilen-X-Syndrom typischer als die<br />

körperlichen Merkmale. Zu den Verhaltensauffälligkeiten gehören laut der<br />

Interessengemeinschaft Fragiles-X e. V. (2000) (vgl. auch Lang & Sarimski,<br />

2003, Sarimski, 2000, 2003):<br />

• extreme Hyperaktivität, wie Hüpfen auf der Stelle, zielloses Hin<strong>und</strong><br />

Herlaufen, Zappeln <strong>und</strong> Handwedeln,<br />

• Fremd- <strong>und</strong> Autoaggressivität (z.B. Schlagen <strong>und</strong> Handbeißen,<br />

Ohren <strong>und</strong> Haareziehen),<br />

• extreme Angstzustände, vorwiegend in ungewohnten (Stress-)<br />

Situationen, reagiert ängstlich auf neue Umgebungen,<br />

• soziale Scheu, zum Beispiel Vermeidung von direktem<br />

Blickkontakt sowie<br />

• Perseverationen, also beharrliche Wiederholungen von<br />

Bewegungen oder Wörtern <strong>und</strong><br />

• Echolalie.<br />

Eltern berichten außerdem häufig über folgende Verhaltensbesonderheiten<br />

ihrer Kinder:<br />

• liebt es, mit Wasser zu spielen, gießt Wasser über seinen Kopf<br />

• liebt Musik<br />

• schlingt beim Essen<br />

• hat leichten Schlaf, wacht sehr früh auf<br />

• ist ständig in Bewegung<br />

• erkennt Gefahren nicht


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 75<br />

• liebt es, unbekleidet herumzulaufen<br />

• steckt Finger in M<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ohren<br />

• schläft mit Spielzeug ein<br />

• liebt es, mit Türen zu spielen (öffnen <strong>und</strong> schließen)<br />

• liebt es, mit Lichtschaltern zu spielen (an <strong>und</strong> aus)<br />

• Gangbesonderheiten (läuft auf Zehenspitzen)<br />

• steckt alles in den M<strong>und</strong>, kaut auf Büchern, Kleidung,<br />

• hat immer etwas in der Hand<br />

• schnelle Stimmungsschwankungen<br />

• lang anhaltende oder dauerhafte Inkontinenz.<br />

Die Kinder zeigen also teilweise Symptome, die aus dem autistischen <strong>und</strong><br />

hyperaktiven Formenkreis stammen. Viele der Symptome, wie die<br />

Autoagression, sind im Rahmen einer geistigen Behinderung anderer<br />

Ursache auch häufig zu finden, dennoch ist die Kombination der<br />

Verhaltensauffälligkeiten relativ charakteristisch für das Syndrom. Da mit der<br />

Erkrankung keine äußerlich auffälligen Entstellungen einhergehen, reagiert<br />

die Umwelt häufig mit Unverständnis auf das Verhalten der Kinder. Die<br />

Kinder machen häufig einen „schlecht erzogenen“ Eindruck <strong>und</strong> die Eltern<br />

werden mit dem Vorwurf mangelnder pädagogischer Kompetenz konfrontiert.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der zunächst relativ globalen Entwicklungsverzögerung<br />

erfordert es eine genaue Beobachtung der Symptomatik, um die Diagnose<br />

stellen zu können. Abbildung 15 zeigt eine Symptomcheckliste nach<br />

Giangreco, Steele, Aston, Cummins & Wenger (1996), die bei der<br />

Identifizierung helfen soll. Von den 49 von Backes et al. (2000) untersuchten<br />

Jungen erfüllten 74 % die diagnostischen Kriterien einer Aufmerksamkeits-<br />

/Hyperaktivitätsstörung, 29 % die einer oppositionellen Verhaltensstörung, 10<br />

% die einer emotionalen Störung mit Trennungsangst (Sarimski, 2003). Von<br />

Maes, Fryns, Ghesquiere & Borghgraef (2000) wurde eine Checkliste auf<br />

Reliabilität <strong>und</strong> Validität untersucht. Die Auswertung zeigte, dass männliche


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 76<br />

Probanden mit einem Fragilen-X-Syndrom mit diesem Instrument identifiziert<br />

werden können. Die Checkliste beinhaltet insgesamt 28 Items, wobei 7 Items<br />

physische Merkmale beinhalten <strong>und</strong> 21 Items Verhaltensbesonderheiten<br />

beschreiben. Mit diesem Verfahren hoffen die Autoren ein Mittel geschaffen<br />

zu haben, welches eine frühzeitige Diagnose für das Fragile-X-Syndrom<br />

ermöglicht. Denn, wie bei mehreren genetisch bedingten Syndromen,<br />

geschieht eine Zuordnung oft erst verhältnismäßig spät, oft erst nach dem<br />

dritten Lebensjahr. Bei einem positiven oder verdächtigen Ergebnis sollte<br />

dann eine humangenetische Abklärung erfolgen (Maes et al., 2000).<br />

Abbildung 15: Scoring-System für das Fragile-X-Syndrom nach Giangreco et<br />

al. (1996). Ab fünf erreichten Punkten wird eine<br />

humangenetische Abklärung empfohlen.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 77<br />

3. 3 Das Mikrodeletionssyndrom 22q11 (CATCH-22)<br />

CATCH-22 bezeichnet eine Syndromgruppe, die auch die Bezeichnungen<br />

22q-Deletionssyndrom oder Mikrodeletionssyndrom 22q11 trägt, da es sich<br />

um eine Gruppe von nahegelegenen Mikrodeletionen auf dem Chromosom<br />

22 handelt. Für dieses Erkrankungs- bzw. Erscheinungsbild finden sich in<br />

der Literatur auch folgende Bezeichnungen: DiGeorge Syndrom (DGS),<br />

conotruncal anomaly face Syndrom, Sphrintzen Syndrom oder<br />

velocardiofaciales Syndrom (VCFS). Der Begriff CATCH ist eine<br />

Sammelbezeichnung <strong>und</strong> ein Akronym für das Symptombild:<br />

� C = cardiac (Herz),<br />

� A = abnormal face (Gesichtsauffälligkeiten),<br />

� T = Thymushypoplasie (Infektanfälligkeit),<br />

� C = cleft palate (Gaumenspalte oder Gaumensegelparese),<br />

� H = Hypokalzämie (niedriger Kalziumspiegel).<br />

Der Begriff ist zwar eine hilfreiche Mnemotechnik für die Hauptsymptome,<br />

steht aber in der Kritik, dem komplexen Krankheitsbild nicht gerecht zu<br />

werden <strong>und</strong> durch den gleichnamigen englischen Roman (Heller, 1962),<br />

negativ behaftet zu sein. Di George beschrieb 1965 als erster eine<br />

Assoziation zwischen Thymushypoplasie (Brustdrüsenunterentwicklung), Tzell<br />

vermittelter Immunschwäche, kongenitalem Hypoparathyreodismus<br />

(Nebenschilddrüsenunterentwicklung) mit Hyperkalzämie <strong>und</strong> leichten<br />

Gesichtsdysmorphien (DGS). Später wurden dem Syndrom auch Herzfehler<br />

zugeordnet (Greenberg, 1993).<br />

Sphrintzen, Goldberg <strong>und</strong> Lewin (1978) beschrieben das<br />

velocardiofaciale Syndrom (auch Sphrintzen Syndrom). Dazu gehören<br />

Gesichtsdysmorphien, angeborene Herzfehler, Gaumenspalte <strong>und</strong><br />

Lernschwierigkeiten.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 78<br />

Seitdem 1981 erstmals ein cytogenetischer Nachweis bei einem DGS-<br />

Patienten auf dem Chromosom 22 gelang, konnten später auch andere<br />

Mikrodeletionen (VCFS <strong>und</strong> conotruncal anomaly face Syndrom) am gleichen<br />

Genlocus ausgemacht werden (Greenberg, 1993). Um der Heterogenität des<br />

Krankheitsbildes gerecht zu werden, folgte eine zunehmende Differenzierung<br />

in der Beschreibung der Merkmale.<br />

3.3.1 Ätiopathologie des Mikrodeletionssyndroms 22q11<br />

Die Syndromgruppe hat ihren Ursprung in einer Deletion (Stückverlust)<br />

auf dem Band 11 am langen Arm (q) des Chromosoms 22. Es handelt sich<br />

dabei um eine Mikrodeletion. Diese hat zur Folge, dass die Gene der<br />

betroffenen Region nicht wie vorgesehen in zwei Kopien vorliegen<br />

(Haploinsuffizienz). Die Prävalenz wird mit etwa 1: 4000 Lebendgeburten<br />

angegeben, liegt neueren Einschätzungen zu folge jedoch noch deutlich<br />

höher (Bearden et al., 2001). Meist handelt es sich um eine Neumutation, nur<br />

bei 8-28 % liegt eine familiäre Form vor (Ryan et al., 1997). Die Vererbung<br />

erfolgt autosomal dominant.<br />

Es besteht eine embryopathologische Hemmungsfehlbildung. In der<br />

vierten Schwangerschaftswoche wandern Neuralleistenzellen in die dritte <strong>und</strong><br />

vierte Schl<strong>und</strong>tasche, aus deren Geweben später die kardiale conotruncale<br />

Region, der Thymus <strong>und</strong> die Parathyroidea entstehen. Es kommt also zu<br />

Entwicklungsstörungen der Thymusanlage (Ausfall der zellulären Immunität),<br />

der Nebenschilddrüsen (primärer Hypoparathyroidismus) <strong>und</strong> des<br />

Aortenbogens (Kirby, Gale & Stewart, 1983).<br />

Bisher ist unklar, wie viele Gene an der Ausprägung des Phänotyps<br />

beteiligt sind. Es konnte ein Gen (IDD) identifiziert werden (Wadey et al.,<br />

1995), das indirekt an der Steuerung der Herzzellen beteiligt ist (Lindsay et


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 79<br />

al., 1996). Ohta et al. (2000) analysierten den strukturellen Aufbau des<br />

sogenannten RAE28/HPH1-Gens am langen <strong>und</strong> kurzen Arm des<br />

Chromosoms 12 (12pl3 <strong>und</strong> 12q13), das zu einer Gruppe von Genen<br />

(Polycomb group, PC-G) gehört, die wiederum entscheidend am<br />

Transkriptionsprozess der Homeobox (HOX)-Gene beteiligt sind. Diesen wird<br />

eine wesentliche Rolle in der embryonalen Entwicklung zugesprochen. Es ist<br />

daher zu vermuten, dass die Entschlüsselung der genetischen Information<br />

des RAE28/HPH1-Gens zukünftig einen indirekten Beitrag zum Verständnis<br />

des Mikrodeletionssyndrom 22q11-Syndroms leisten wird. Das TBX1-Gen ist<br />

bekannt dafür, dass es für die Herzentwicklung relevant zu sein scheint. Im<br />

Moment handelt es sich bei diesen Entdeckungen jedoch noch um einzelne<br />

Puzzelteile eines sehr komplexen Gesamtbilds in dem es noch so manche<br />

Lücke zu schließen gilt.<br />

Prognostisch wird aufgr<strong>und</strong> der Problematik von einer hohen<br />

Sterblichkeitsrate im frühen Kindesalter ausgegangen, Früherkennung spielt<br />

hier eine maßgebliche Rolle, da bei Kenntnis des Syndroms gut interveniert<br />

werden kann. Etwa ein Drittel der Kinder zeigt jedoch eine unauffällige<br />

körperliche Entwicklung (vgl. Psychrembel, 2002).<br />

3.3.2 Körperlich-medizinische Merkmale<br />

Eine umfassende Beschreibung körperlich-medizinischer Merkmale findet<br />

sich unter anderem in den Informationsheften des Elternvereins KIDS-22q11<br />

e.V. (2001).<br />

Hypokalzämie<br />

Durch die Unterentwicklung der Nebenschilddrüse wird der für den<br />

Kalziumhaushalt relevante Botenstoff Parathormon zu wenig gebildet. In


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 80<br />

Folge wird zuviel Kalzium ausgeschieden, was zu Muskelzittern <strong>und</strong> -<br />

krämpfen sowie zu einer Verkalkung der Nieren führen kann. Therapeutisch<br />

wird hier mit der Gabe von Kalzium behandelt.<br />

Conotruncale Defekte<br />

Unter conotruncalen Defekten versteht man verschiedene Herzfehler, wie<br />

Defekte des rechten oder linken Abflusstraktes sowie der großen Arterien.<br />

Häufig kommt es zu einem unterbrochenen Aortenbogen, zu Fallot`scher<br />

Tetralogie <strong>und</strong> zu Ventrikelseptumdefekten <strong>und</strong> anderen Anomalien. Oftmals<br />

führt erst die Ursachenforschung im Rahmen eines festgestellten Herzfehlers<br />

zur Diagnose eines Mikrodeletionssyndroms 22q11. Kardiologische<br />

Abklärungen <strong>und</strong> gegebenenfalls chirurgische Korrekturen sind erforderlich.<br />

Nieren<br />

Etwa ein Drittel der Kinder zeigt Nierenfehlbildungen in Form von Zysten,<br />

Zusammenwachsungen oder fehlender Niere.<br />

Immunschwäche<br />

Im weiteren Verlauf zeigen sich Gedeihstörungen <strong>und</strong> rezidivierende<br />

Infektionen. In Extremfällen kann eine Thymustransplantation notwendig sein.<br />

Doch meist zeigen die Kinder keinen gravierenden Imm<strong>und</strong>efekte sondern<br />

lediglich eine Infektanfälligkeit, die besonders in den ersten Lebensjahren<br />

zum Trage kommt. Die Zahl <strong>und</strong> Funktion der T-Zellen kann eingeschränkt<br />

sein oder die Produktion von Antikörpern (in den B-Zellen). Lebendimpfstoffe


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 81<br />

können ein Risiko darstellen, deshalb sollte vorher eine Überprüfung der<br />

Immunabwehr erfolgen. Auch Autoimmunerkrankungen (z. B. jugendliches<br />

Gelenkrheuma) treten bei Patienten mit Mikrodeletion 22q11 häufiger auf.<br />

Wachstum<br />

Das Wachstum liegt zunächst im weit unterdurchschnittlichen Bereich,<br />

kann aber in der Entwicklung häufig aufgeholt werden, so dass es bei<br />

Erwachsenen nicht mehr auffällt.<br />

Gesicht<br />

Phänotypisch fallen die Kinder typischerweise durch eine birnenförmige<br />

Nase mit breiter Nasenwurzel, auffälligen Ohren, einem kleinen Unterkiefer<br />

(Mikrogenie), Hypertelorismus, Brechungsfehler des Augapfels <strong>und</strong><br />

ausgedünnte Augenbrauen auf. Die Ausprägung der Dysmorphien kann<br />

jedoch sehr mild ausfallen (siehe Abb. 16).<br />

a b<br />

Abbildung 16: a 16jähriges Mädchen, b 13jähriger Junge mit Mikrodeletion<br />

22q11.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 82<br />

Es kann eine einseitige Schwäche des M<strong>und</strong>winkelmuskels vorliegen, die<br />

beim Schreien zu einem schiefen M<strong>und</strong> führen kann. Als problematischer<br />

erweisen sich typische Fehlbildungen im Gaumenbereich. Seltener kommt es<br />

zu einer offenen Spalte, meist handelt es sich um verdeckte, submuköse<br />

Gaumenspalten. Außerdem kommt es zu einer velopharyngalen Insuffizienz<br />

(Gaumensegelschwäche). Das kann zu Schluckbeschwerden mit Austritt der<br />

Nahrung aus der Nase führen <strong>und</strong> die Artikulationsfähigkeit einschränken.<br />

Die Sprache ist nasal. Durch mangelnde Belüftung im Mittelohr <strong>und</strong> die<br />

Infektanfälligkeit kommt es zu rezidivierenden Otitiden media<br />

(Mittelohrentzündungen).<br />

ZNS<br />

Zu den körperlichen Besonderheiten gehören neben den oben genannten<br />

Merkmalen, auch neurologische Auffälligkeiten <strong>und</strong> strukturelle<br />

Hirnveränderungen. In bildgebenden Verfahren konnten eine deutliche<br />

Vergrößerung der Fissura Sylvii (tiefe Furche zwischen Schläfenlappen sowie<br />

Stirn- <strong>und</strong> Scheitellapen des Gehirns) <strong>und</strong> eine Veränderung<br />

beziehungsweise Verringerung der weißen Substanz festgestellt werden<br />

(Eliez, Schmitt, White & Reiss 2000, Lynch et al., 1995; Mitnick, Bello &<br />

Shprintzen, 1994). Bingham et al. (1997) gingen davon aus, dass einzelne<br />

Gene in der kritischen Region des Syndroms zu einer unterschiedlichen<br />

Entwicklung des linken <strong>und</strong> rechten perisylvischen Cortex führen. Eliez et al.<br />

(2000) berichteten über eine auffällige Asymmetrie des Parietallappens.<br />

Diese Ergebnisse liefern einen Erklärungsansatz für das typische Vorliegen<br />

einer Non-verbal-learning-disorder (NLD) mit deutlich schlechteren visuellen<br />

Teilleistungen im Vergleich zu besseren sprachlichen Leistungen.


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 83<br />

3.3.3 <strong>Kognitive</strong> Merkmale <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten<br />

Laut Eliez et al. (2000) liegen die intellektuellen Kapazitäten der Kinder mit<br />

Mikrodeletion 22q11 zumeist im Bereich der Lernbehinderung bis leichten<br />

geistigen Behinderung. Defizite fanden sich besonders in der motorischen<br />

Entwicklung (bei muskulärer Hypotonie) <strong>und</strong> im Spracherwerb. Swillen et al.<br />

(1999) beschrieben einen kognitiven Phänotyp, der durch Schwächen im<br />

visuomotorischen, visuell-analytischen, visuell-räumlichen <strong>und</strong><br />

psychomotorischen Bereich sowie durch defizitäre visuelle<br />

Aufmerksamkeitsleistungen <strong>und</strong> eine mangelnde kognitive Flexibilität bei der<br />

Bearbeitung neuer Materialien, charakterisiert wird. Individuelle Stärken<br />

fanden sich dagegen in der auditiv-verbalen Merk- <strong>und</strong> Lernfähigkeit <strong>und</strong> im<br />

verbalen Bereich. Bearden et al. (2001) beobachteten signifikante Defizite in<br />

der visuell-räumlichen Merkfähigkeit, die sich auch im mathematischen<br />

Bereich <strong>und</strong> in der visuell-räumlichen Wahrnehmung niederschlagen würden.<br />

Diese Ergebnisse lassen sich zum Profil einer sogenannten Non-Verbal-<br />

Learning-Disorder (NLD, vgl. Rourke 1989, 1995) zusammenfassen. Die<br />

Sprache ist stark durch anatomisch bedingte Artikulationsstörungen, aber<br />

auch durch Entwicklungsverzögerungen, beeinträchtigt. Die Intelligenzwerte<br />

lagen Studien zufolge im Durchschnitt bei IQ 72, mit einer Schwankung von<br />

IQ 42 bis 92. Es ergab sich in Wechsler-Tests eine ähnliche Verteilung. Es<br />

besteht eine Tendenz, dass Patienten mit de novo-Mutation variablere <strong>und</strong><br />

etwas höhere Intelligenzwerte erreichten, als die mit familiärer Form<br />

(Sarimski, 2003).<br />

Im klinischen Alltag fallen Kinder mit Mikrodeletion 22q11 häufig durch ihr<br />

besonders schüchternes, introvertiertes <strong>und</strong> antriebsarmes Verhalten auf.<br />

Von Erwachsenen Menschen mit dem Syndrom ist bekannt, dass der<br />

Übergang in die Selbständigkeit, trotz vergleichsweise milder kognitiver<br />

Einschränkungen, stark erschwert ist. Erfahrungsgemäß kann beobachtet


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 84<br />

werden, dass gerade zwischen Kindern mit Mikrodeletion 22q11 <strong>und</strong> ihren<br />

Eltern eine stark symbiotische Beziehung entsteht, die dem Erwerb einer<br />

lebenspraktischen Selbständigkeit zusätzlich behindert. Es gibt auch Studien<br />

die zeigen, dass eine etwas erhöhte Vulnerabilität für Gemütserkrankungen<br />

wie Depression <strong>und</strong> Schizophrenie besteht (Rauch & Kubben, 2001).<br />

Papolos et al. (1996, zitiert nach Sarimski, 2003) fanden bei 16 von 25<br />

Patienten, die Kriterien einer bipolaren affektiven Störung. Die Rate ist höher<br />

als in der Allgemeinpopulation <strong>und</strong> der Beginn der Erkrankung lag mit<br />

durchschnittlich 12 Jahren niedriger. Swillen et al. (1999) beschreiben Scheu,<br />

soziale Unsicherheit <strong>und</strong> Aufmerksamkeitsprobleme. Ängstliche <strong>und</strong><br />

depressive Merkmale nehmen nach den Kriterien der Child Behavior<br />

Checklist (CBCL) mit dem Alter zu. In der Beziehung zu Gleichaltrigen fällt es<br />

den Betroffenen schwer, sich zu behaupten <strong>und</strong> es zeigt sich ein sozialer<br />

Rückzug. Allerdings zeigen sich im Vergleich zu Kontrollgruppen mit Lern<strong>und</strong><br />

Sprachbeeinträchtigungen anderer Ursachen keine signifikanten<br />

Unterschiede (Sarimski, 2003).<br />

Bei Óskarsdóttir, Persson, Eriksson & Fasth (2005), findet sich eine ganz<br />

aktuelle Veröffentlichung zu einer Studie an 100 Patienten mit<br />

Mikrodeletionssyndrom 22q11. Ziel der Studie war es, typische Merkmale der<br />

22q11-Deletion zu beschreiben, um einen Diagnoseleitfaden zu erstellen, der<br />

anschließend eine humangenetische Abklärung ermöglicht. Dabei wurden die<br />

bereits bekannten acht Kriterien-Kategorien aufgestellt:<br />

Herzfehler, Thymushypoplasie/Immunschwäche, Hyperkalzämie,<br />

Ernährungsprobleme, Gaumenspalte/Sprachstörung, Entwicklungsverzögerung/Lernschwäche,<br />

charakteristische Dysmorphien <strong>und</strong> andere<br />

Fehlbildungen.<br />

92 % hatten Herzfehler, 25 Patienten zeigten eine Gaumenspalte <strong>und</strong><br />

44 hatten andere Fehlbildungen. Alle wiesen mehrere der oben genannten<br />

Kriterien auf. Die meisten Patienten zeigten Sprachstörungen,


Kapitel 3 Darstellung der ausgewählten Syndrome Seite 85<br />

Entwicklungsverzögerungen oder Lernbehinderungen <strong>und</strong> häufige<br />

Infektionen. Alle wiesen leichte Dysmorphien auf. Daraus ziehen die Autoren<br />

den Schluss, dass trotz eines variablen klinischen Erscheinungsbildes,<br />

Kinder mit 22q11-Deletion weitgehende Übereinstimmungen <strong>und</strong> damit einen<br />

charakteristischen Phänotyp aufweisen. Als problematisch sehen sie, dass<br />

Kinder ohne Herzfehler häufig nicht oder viel zu spät der Syndromgruppe<br />

zugeordnet werden. Sie raten daher zu einer erhöhten Wachsamkeit <strong>und</strong><br />

Aufklärung innerhalb der Gruppe von Kinderärzten <strong>und</strong> anderen<br />

Bezugspersonen, um eine frühe Diagnosestellung zu ermöglichen.


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 86<br />

II EMPIRISCHER TEIL<br />

4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des<br />

Forschungsvorhabens<br />

Die Doktorarbeit basiert zum großen Teil auf Daten, die im Rahmen des<br />

Forschungsvorhabens „Bestimmung von kognitiven Phänotypen genetischer<br />

Syndrome im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter“, unterstützt durch die Kommission<br />

des Akademischen Senates für Forschungsplanung <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs (FNK) der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong>, erhoben wurden. Die Förderung<br />

in Form von Hilfskraftgeldern, bezog sich auf das Haushaltsjahr 2000/2001<br />

<strong>und</strong> diente als Anschubförderung für neue Forschungskooperationen<br />

zwischen der Kinderambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong>, Kinderärzten <strong>und</strong><br />

humangenetischen Instituten. Während dieses Projekts, das von den<br />

Betreuern dieser Arbeit, Herrn Prof. Dr. Petermann <strong>und</strong> Herrn<br />

Hochschuldozent Dr. Heubrock, geleitet wurde, wurden Kontakte zu<br />

Kinderärzten, Fachärzten für Humangenetik <strong>und</strong> Eltern-Selbsthilfegruppen<br />

hergestellt, die daraufhin Kinder mit diversen genetischen Syndromen zur<br />

neuropsychologischen Diagnostik vorstellten, die dann im Zuge des<br />

Promotionsvorhabens in den folgenden Jahren untersucht wurden.<br />

Es wurden insgesamt<br />

� 129 Praxen <strong>und</strong> Ärzte für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e,<br />

� 11 niedergelassene Fachärzte für Humangenetik,<br />

� Fachärzte anderer Disziplinen,<br />

� 10 Kliniken <strong>und</strong> Klinikabteilungen sowie<br />

� 12 Selbsthilfeverbände


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 87<br />

gezielt angeschrieben, über das Forschungsvorhaben informiert <strong>und</strong> um<br />

Kooperation gebeten. Die aktive Bereitschaft zur Zusammenarbeit ergab sich<br />

zum Teil von ärztlicher Seite, besonders hervorzuheben ist in diesem<br />

Zusammenhang Frau Privatdozentin Dr. med. Spranger, Fachärztin für<br />

Humangenetik in <strong>Bremen</strong>, aber hauptsächlich durch die Selbsthilfeverbände<br />

betroffener Eltern.<br />

Unter den kontaktierten Selbsthilfeverbänden waren vertreten:<br />

� der B<strong>und</strong>esverband Williams-Beuren-Syndrom e.V.,<br />

� die Deutsche Klinefelter-Syndrom Vereinigung e.V.,<br />

� die Elterninitiative Apert-Syndrom e.V.,<br />

� die Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V.,<br />

� die Prader-Willi-Syndrom-Vereinigung Deutschland e.V.,<br />

� die Selbsthilfegruppe Cri-du-Chat-Syndrom <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong><br />

� die Von-Recklinghausen-Gesellschaft e.V.<br />

Ziel der vorgenommenen Diagnostiken war es, Untersuchungen zu<br />

interindividuellen kognitiven Phänotypen bei ausgewählten Syndromen zu<br />

ermöglichen. In Gegenleistung für die Mitarbeit erhielten die Eltern eine<br />

Beratung zu den individuellen Ressourcen der Kinder <strong>und</strong> zu<br />

Fördermöglichkeiten. Es wurden durch die Autorin <strong>und</strong> Hilfskräfte insgesamt<br />

59 Diagnostiken vorgenommen. Im Rahmen dieser Dissertation erfolgt eine<br />

Beschränkung auf die Ergebnisse für die größten resultierenden Stichproben:<br />

zum Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom als kraniofaciale Fehlbildungssyndrome (N<br />

= 11), zum Fragilen-X-Syndrom (N = 11) <strong>und</strong> zum Mikrodeletionssyndrom<br />

22q11 (N = 10).<br />

Der Eigenanteil <strong>und</strong> Vorarbeiten der Verfasserin an diesem Projekt


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 88<br />

enthielten:<br />

• ausgedehnte Literaturrecherchen,<br />

• die Erarbeitung klinischer Erfahrung in der ambulanten<br />

Kinderneuropsychologie,<br />

• die Erstellung eines neuropsychologischen Screeningverfahrens für<br />

das Williams-Beuren-Syndrom (WBS) im Rahmen einer Diplomarbeit<br />

(Lepach, 1999),<br />

• die Mitarbeit an der Kontaktanbahnung zu Kooperationspartnern<br />

(FNK-Studie),<br />

• an der Zusammenstellung einer teilstandardisierten Testbatterie,<br />

• der Entwicklung eines Elternfragebogens <strong>und</strong><br />

• der Entwicklung eines Ratingverfahrens zur Verhaltensbeobachtung<br />

• das Führen von Anamneseerhebungen, Bef<strong>und</strong>- <strong>und</strong><br />

Beratungsgesprächen,<br />

• die neuropsychologische Diagnostik <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>erstellung,<br />

• die statistische Auswertung von Einzelfällen <strong>und</strong> Syndromgruppen,<br />

• die Mitarbeit an der Erstellung von Veröffentlichungen,<br />

• <strong>und</strong> unter der Leitung von Herrn Hochschuldozent Dr. D. Heubrock<br />

<strong>und</strong> Herrn Prof. Dr. F. Petermann, die Betreuung von<br />

projekteingeb<strong>und</strong>enen ehemaligen Hilfskräften <strong>und</strong> Praktikantinnen.<br />

4.1 Untersuchungsdesign der neuropsychologischen Testbatterie<br />

Die Kinder der entsprechenden Syndromgruppen wurden<br />

neuropsychologisch untersucht. Die neuropsychologische Diagnostik<br />

beinhaltete eine ausführliche Anamneseerhebung <strong>und</strong> Exploration der Eltern<br />

<strong>und</strong> erfolgte mit einer speziell zusammengestellten, alters- <strong>und</strong> testbedingt<br />

teilstandardisierten Testdiagnostik, einer videogestützten<br />

Verhaltensbeobachtung mit anschließendem Expertenrating sowie anhand<br />

von speziell erstellten Elternfragebögen. Eine Übersicht der verwendeten


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 89<br />

Testverfahren findet sich in Tabelle 3. Die Teilnahme am Projekt war an das<br />

Einverständnis zur Nutzung der gewonnen Daten <strong>und</strong> Bilder geknüpft (siehe<br />

Anhang A).<br />

Tabelle 3: Ressourcenorientiert angewandte Testverfahren<br />

Funktion Testverfahren/<br />

Unterskalen/-tests<br />

Intelligenz KAUFMAN-<br />

Assessment Battery<br />

for Children<br />

(bei älteren Hamburg-<br />

Kindern)<br />

WECHSLER-<br />

Intelligenztest für<br />

Kinder<br />

(bei älteren<br />

Jugendlichen <strong>und</strong><br />

Erwachsenen)<br />

(Differenzierung<br />

unterer<br />

Intelligenzgrade)<br />

Entwicklung<br />

(ergänzende<br />

Einschätzung bei<br />

unter 6- Jährigen)<br />

Hamburg-<br />

WECHSLER-<br />

Intelligenztest für<br />

Erwachsene<br />

Testbatterie für<br />

Geistig Behinderte<br />

Kinder<br />

Abkürzung/<br />

Autoren<br />

K-ABC<br />

Kaufman & Kaufman<br />

(1994)<br />

HAWIK-R<br />

Tewes (1994)<br />

HAWIK-III<br />

Tewes, Rossmann &<br />

Schallberger (2000)<br />

HAWIE-R<br />

Tewes (1991)<br />

TBGB<br />

Bondy, Cohen, Eggert &<br />

Lüer (1975).<br />

Entwicklungstest 6-6 ET 6-6<br />

Petermann <strong>und</strong> Stein<br />

(2000a, 2000b).<br />

An den individuellen Ressourcen orientierte Ergänzung<br />

Merk- <strong>und</strong><br />

Lernfähigkeit<br />

Visuell-figural Diagnosticum für<br />

Cerebralschädigung<br />

Auditiv-verbal Auditiv-Verbaler-<br />

Lerntest<br />

Räumlich- Abzeichentest für<br />

konstruktive Kinder<br />

Leistungen <strong>und</strong><br />

Graphomotorik<br />

Psychomotorik Wiener Reaktions<strong>und</strong>Determinationsgerät<br />

DCS<br />

Weidlich & Lamberti<br />

(1993)<br />

AVLT<br />

Heubrock (1992, 1994)<br />

ATK<br />

Heubrock, Eberl &<br />

Petermann (2004)<br />

WRG/WDG<br />

Wiener Testsystem<br />

(WTS) Schuhfried (1994)<br />

Alter<br />

2;6 bis<br />

12;5<br />

Jahre<br />

6;0 bis<br />

16;11<br />

Jahre<br />

16-74<br />

Jahre<br />

7-12<br />

Jahre<br />

6<br />

Monate<br />

bis 6<br />

Jahre<br />

6-79<br />

Jahre<br />

7-26<br />

Jahre<br />

7-12<br />

Jahre<br />

5(9)-70<br />

Jahre<br />

(abhängig<br />

vom<br />

Untertest)


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 90<br />

Funktion Testverfahren/<br />

Unterskalen/-tests<br />

Aufmerksamkeit Untertests aus der<br />

Testbatterie zur<br />

Aufmerksamkeitsprüfung<br />

Abkürzung/<br />

Autoren<br />

TAP<br />

Fimm & Zimmermann<br />

(1993)<br />

Praxie/Motorik Apraxiefragebogen Brown (1960), Rothi,<br />

Raymer & Heilman<br />

orientierende<br />

Überprüfung der<br />

motorischen<br />

Funktionen<br />

(„Hampelmann“-<br />

Sprung,<br />

Einbeinstand,<br />

Balancieren etc.).<br />

(1997).<br />

4.2 Verhaltensbeobachtungsbogen (VB/KGS)<br />

Alter<br />

6-90<br />

Jahre<br />

(abhängig<br />

vom<br />

Untertest)<br />

k. A.<br />

Zusätzlich zur Testdiagnostik erfolgte eine videounterstützte<br />

Verhaltensbeobachtung, die anschließend im Rahmen eines erstellten<br />

Verhaltensbeobachtungsbogens durch Expertenrating zu einer Einschätzung<br />

des Verhaltens auf vorher definierten Ebenen führte. Zur Erfassung des<br />

Verhaltens der Kinder wurde im Rahmen des Projektes ein<br />

Verhaltensbeobachtungsbogen für Kinder mit genetischen Syndromen<br />

(VB/KGS) nach Heubrock, Lepach, Lex <strong>und</strong> Petermann (unveröff.) entwickelt<br />

(siehe Anhang B). Erfasst wurden in Anlehnung an Sarimski (2000) die<br />

Ebenen:<br />

� „soziales Verhalten“ (10 Items),<br />

� „körperliche Bewegung“ (4 Items),<br />

� „unübliche Bewegungen <strong>und</strong> Interessen“ (7 Items),<br />

� „selbstverletzendes <strong>und</strong> aggressives Verhalten“ (5 Items) <strong>und</strong>


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 91<br />

� „Stimmung“ (7 Items).<br />

Hierbei wurde für jedes Item eine Bewertung anhand der<br />

Auftretenshäufigkeit („immer“, „häufig“, „manchmal“, „selten“, „nie“)<br />

vorgenommen. Es wurde für jedes Item eine Punktevergabe von mindestens<br />

einem bis maximal fünf Punkten hinsichtlich der „Erwünschtheit“ des<br />

gezeigten Verhaltens vorgenommen, so dass insgesamt ein Maximalwert von<br />

165 Punkten <strong>und</strong> ein Minimalwert von 33 Punkten erreicht werden kann.<br />

Erwünschte beziehungsweise unauffällige Verhaltensweisen erhielten bei der<br />

Bewertung die höchste Punktzahl. Der VB/KGS wurde von den geschulten<br />

Untersuchern unter Berücksichtigung von erfahrungsbedingten<br />

Vergleichswerten <strong>und</strong> im Gesamtkontext der Untersuchung ausgefüllt. So<br />

war gewährleistet, dass das jeweilige Alter der Patienten berücksichtigt<br />

wurde <strong>und</strong> beispielsweise eine "ziellose Aktivität" bei Kleinkindern anders<br />

bewertet wurde, als bei älteren Kindern. Bei der Bewertung der Ergebnisse<br />

wurde vorläufig ein Cut off-Wert von 80% des Maximalwerts angesetzt. Das<br />

bedeutet, dass alle Werte unter 80% interpretierbedürftig sind.<br />

4.3 Elternfragebogen (E-FB/KGS)<br />

Ein ebenfalls für das Projekt entwickelter Elternfragebogen (E-FB/KGS)<br />

nach Heubrock, Lepach, Lex <strong>und</strong> Petermann (unveröff., siehe Anhang C)<br />

wurde in Anlehnung an Sarimski (2000) <strong>und</strong> an bereits bestehende<br />

Fragebögen zu sozial-emotionaler Entwicklung <strong>und</strong> Reife, wie der Kurzform<br />

der Vineland Social Maturity Scale (VSMS), welche Bestandteil der bereits<br />

erwähnten Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB) ist, verwandt,<br />

um die Bereiche:<br />

� „praktische Tätigkeiten“ (17 Items),


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 92<br />

� „sprachliche Fertigkeiten“ (12 Items),<br />

� „soziale Fertigkeiten/Verhalten“ (22 Items) <strong>und</strong><br />

� „körperliche Besonderheiten“(16 Items)<br />

dichotom („Ja“- oder „Nein“-Antworten) abzufragen. Die Auswertung orientiert<br />

sich wieder an der Erwünschtheit des Verhaltens beziehungsweise des<br />

Merkmals (1 = erwünscht, bzw. unauffällig, Maximalwert = 67; 0 =<br />

unerwünscht, bzw. auffällig, Minimalwert = 0).<br />

Hinsichtlich der Bewertung besteht in den ersten beiden Bereichen<br />

(„praktische Tätigkeiten“ <strong>und</strong> „sprachliche Fertigkeiten“) die Gefahr, dass vor<br />

allem die jüngeren Kinder benachteiligt werden. So wurden beispielsweise<br />

die Items „...kleidet sich ohne Hilfe an <strong>und</strong> aus" erst ab einem Alter von 4;0<br />

Jahren oder „...verrichtet die eigene Körperpflege selbständig" erst ab 5;0<br />

Jahren gefordert. Sprachliche Fertigkeiten, wie „...antwortet <strong>und</strong> fragt<br />

kontextbezogen" sind ab einem Alter von 3;0 Jahren zu erwarten,<br />

wohingegen „...spricht grammatikalisch richtig <strong>und</strong> vollständig" erst für Kinder<br />

ab sechs Jahren gilt.<br />

Die Ergebnisse der Elternfragebögen wurden gewichtet, um eine<br />

Alterskorrektur vornehmen zu können. Die Gewichtung erfolgte nach<br />

kollegialer Supervision innerhalb des Zentrums für Klinische Psychologie <strong>und</strong><br />

Rehabilitation (ZKPR) der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong> nach Einblick in<br />

unveröffentlichte Daten des ET 6-6-Normierungsdatensatzes sowie in<br />

veröffentlichte Daten (Petermann & Stein, 2000b).<br />

Bei der Bewertung der Ergebnisse wurde, wie beim VB/KGS vorläufig ein<br />

Cut off-Wert von 80% des Maximalwerts angesetzt. Das bedeutet, dass alle<br />

Werte unter 80% interpretierbedürftig sind.


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 93<br />

4.4 Störvariablen im Untersuchungsdesign<br />

Um eine bessere Vergleichbarkeit von Testergebnissen zu haben <strong>und</strong><br />

damit ein eindeutigeres methodisches Design, wäre eine strikte<br />

Einschränkung der Alterklasse sinnvoll gewesen. Zunächst war daher für das<br />

beschriebene Projekt geplant, nur Kinder <strong>und</strong> Jugendliche im Alter von 6;0<br />

bis 17;11 Jahren zu untersuchen. Für diese Altersspanne existieren sowohl<br />

ausreichend Tests zur Erhebung neuropsychologischer Parameter, als auch<br />

Normen, die den Vergleich mit der jeweiligen Altersklasse erlauben.<br />

Da das Projekt aber eine Pilotstudie mit begrenzten finanziellen,<br />

infrastrukturellen <strong>und</strong> personellen Mitteln <strong>und</strong> die Resonanz zunächst schwer<br />

einzuschätzen war, konnte eine so strikte Begrenzung nicht aufrechterhalten<br />

werden. Außerdem wurde von betroffenen Eltern immer wieder der Wunsch<br />

an uns herangetragen, auch jüngere Kinder zu untersuchen. Deshalb wurden<br />

auch Kinder unter 6;0 Jahren in die Untersuchungen mit einbezogen. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e wurde der Entwicklungstest 6-6 (ET 6-6) dem Design<br />

hinzugefügt <strong>und</strong> der unter Punkt 4.3 beschriebene Elternfragebogen nach<br />

entwicklungspsychologischen Kriterien altersgemäß gewichtet.<br />

Unabhängig vom Alter war es aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher<br />

Entwicklungsstände, Leistungsmöglichkeiten <strong>und</strong> Compliance notwendig, die<br />

Durchführung der Tests individuell flexibel zu handhaben. Das grenzte die<br />

Anzahl der vergleichbaren Daten bei ohnehin relativ kleinem<br />

Stichprobenumfang weiter ein.<br />

Ethisch-moralisch schien dieses Vorgehen aber korrekt, da die<br />

Untersuchungen den Kindern gerecht werden sollten. So kamen<br />

beispielsweise bei schwer sprachgestörten Patienten nur die nonverbalen<br />

Untertests aus der Kaufman-Assessment-Battery for Children (K-ABC) zum<br />

Einsatz oder es wurde individuell durch andere Verfahren ergänzt. Bei sehr<br />

stark retardierten Kindern konnten die Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten<br />

manchmal nur durch eine ausführliche Verhaltensbeobachtung eingeschätzt


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 94<br />

werden.<br />

Da die Expertenratings immer von den gleichen Untersuchern<br />

vorgenommen wurden, konnten hier Versuchsleitereffekte minimiert werden.<br />

Die bei der Anwendung von Testverfahren immer bestehenden<br />

Versuchsleitereffekte konnten ebenfalls dadurch reduziert werden, dass die<br />

Hauptuntersucher, die Autorin <strong>und</strong> die damalige Hilfskraft Frau Dipl.-Psych.<br />

Lex, in der gleichen Einrichtung nach dem gleichen Schema ausgebildet <strong>und</strong><br />

supervidiert wurden <strong>und</strong> als eingespieltes Arbeitsteam im permanenten<br />

Austausch standen.<br />

4.5 Ziele <strong>und</strong> Hypothesen<br />

Im Rahmen des hier vorgestellten Forschungsvorhabens sollen<br />

Erkenntnisse über die Auswirkungen der ausgewählten genetischen<br />

Syndrome auf die kognitive Entwicklung <strong>und</strong> das Verhalten betroffener Kinder<br />

gewonnen werden. Diese Erkenntnisse sollten hinsichtlich ihrer Spezifität<br />

innerhalb der jeweiligen Syndromgruppe <strong>und</strong> in Abgrenzung zu den anderen<br />

Syndromgruppen überprüft werden <strong>und</strong> wenn möglich, zur Erstellung von<br />

Screeningverfahren <strong>und</strong> perspektivisch zu Therapie- <strong>und</strong><br />

Förderempfehlungen führen. Dies soll zu einem besseren Verständnis der<br />

Genotyp-Phänotyp-Beziehungen <strong>und</strong> zu einer Verringerung der Zahl nicht<br />

oder falsch diagnostizierter Syndrome beitragen, deren Besonderheiten<br />

frühzeitig erkennbar machen, um ihnen mit gezielten therapeutischen<br />

Maßnahmen begegnen zu können.<br />

Die Ziele basieren auf der Annahme, dass spezifische<br />

neuropsychologische Leistungsprofile <strong>und</strong> Verhaltensweisen vorliegen, die<br />

sich innerhalb der vier Syndromgruppen unterscheiden. Da für alle Kinder<br />

Intelligenzwerte erhoben wurden, während die sonstigen


Kapitel 4 Basis <strong>und</strong> methodisches Vorgehen des Forschungsvorhabens Seite 95<br />

Diagnostikbestandteile sehr uneinheitlich durchgeführt werden konnten <strong>und</strong><br />

für E-FB/KGS <strong>und</strong> VB/KGS keine endgültige Normierung vorliegen, soll dies<br />

in Bezug auf das Merkmal Intelligenzverteilung statistisch geprüft werden. Da<br />

es sich um eine Pilotstudie mit relativ kleinem Stichprobenumfang handelt,<br />

kann jedoch nur von der Ermittlung <strong>und</strong> Darstellung von Tendenzen<br />

ausgegangen werden. Die aufgestellten Hypothesen (H0, H1) werden in<br />

Tabelle 4 dargestellt.<br />

Tabelle 4: Hypothesen der Doktorarbeit<br />

Ho<br />

H1<br />

Hypothesen<br />

„Es finden sich keine signifikanten Differenzen für die<br />

Intelligenzverteilungen in den vier Syndrompopulationen<br />

(Apert-, Crouzon-, Fragiles-X-Syndrom <strong>und</strong><br />

Mikrodeletionssyndrom 22q11)“.<br />

„Die Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik zeigen<br />

signifikante Unterschiede in der zentralen Tendenz der<br />

Intelligenzverteilung für die vier Syndrompopulationen (Apert-,<br />

Crouzon-, Fragiles-X-Syndrom <strong>und</strong> Mikrodeletionssyndrom<br />

22q11)“.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 96<br />

5 Ergebnisse der Forschungsarbeit<br />

Es erfolgt zunächst die Darstellung exemplarischer neuropsychologischer<br />

Bef<strong>und</strong>e, der von uns untersuchten Kinder (sämtliche Namen wurden<br />

geändert). Nähere Angaben <strong>und</strong> Zitierhinweise zu den angegebenen<br />

Testverfahren sind den Tabellen 1 <strong>und</strong> 3 zu entnehmen. Anschließend<br />

werden die Intelligenzverteilung <strong>und</strong> weitere ausgewählte Ergebnisse<br />

zunächst für die einzelnen Syndromgruppen <strong>und</strong> dann vergleichend<br />

dargestellt <strong>und</strong> interpretiert. Da eine statistische Darstellung aller fakultativ<br />

durchgeführten Tests den Rahmen der Arbeit überschreiten würden <strong>und</strong><br />

aufgr<strong>und</strong> minimaler Stichprobengröße auch nur individuelle Aussagekraft<br />

haben, sei diesbezüglich auf die Fallbeispiele verwiesen.<br />

5.1 Ergebnisse zum Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom<br />

Es wurden acht Kinder mit Apert-Syndrom <strong>und</strong> drei Kinder mit Crouzon-<br />

Syndrom in die Studie aufgenommen. Die Altersspanne lag zwischen 4;11<br />

Jahren <strong>und</strong> 15;1 Jahren (Apert-Syndrom) <strong>und</strong> zwischen 2;6 <strong>und</strong> 4;4 Jahren<br />

(Crouzon-Syndrom). Dabei befand sich unter den Crouzon-Kindern ein<br />

männliches Zwillingspaar (2;6 J.).<br />

5.1.1 Fallbeispiele<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Veronika, 8;5 Jahre (Apert Syndrom)<br />

Bei Veronika wurde in der U3 ein Apert-Syndrom als gesichert<br />

diagnostiziert. Weiterhin liegen Diagnosen einer Balkenagenesie (Agenesie<br />

des Corpus Callosum, ACC, siehe Tab. 2), eines Strabismus, einer<br />

Entwicklungsretardierung, einer expressiven Sprachstörung <strong>und</strong> eines<br />

Anfallsleidens (Absence-Epilepsie) vor.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 97<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Kaufman-Assessment Battery for Children (K-ABC) nach Raven,<br />

komplexe Aktionstestserie am Wiener Determinationsgerät (WDG),<br />

Zahlenverbindungstest (ZVT) nach Oswald <strong>und</strong> Roth, Auditiv-Verbaler<br />

Lerntest (AVLT) nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />

Heubrock et al., Testbatterie zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung<br />

(VOSP) nach Warrington <strong>und</strong> James, Prüfung der Rechts-Links-<br />

Differenzierung nach Benton, Testbatterie für geistig Behinderte (TBGB) nach<br />

Bondy et al., diverse orientierende Prüfverfahren (Mal-, <strong>und</strong> Schreibprobe,<br />

Apraxie-Prüfung nach Brown).<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />

Veronikas Lateralität ist linkshändig. Der Aufforderung, den eigenen<br />

Namen <strong>und</strong> die Adresse auf ein unliniertes Blatt zu schreiben, folgte<br />

Veronika, indem sie die Angaben oben auf das Blatt schrieb. Die Schriftprobe<br />

ergab ein graphomotorisch zittriges Schriftbild, bei dem die Buchstabengröße<br />

wechselte <strong>und</strong> der Namenszug von links oben nach rechts unten abfiel. Dazu<br />

zeichnete Veronika nach Aufforderung ein Haus. Die Darstellung fiel grob<br />

strukturiert aus. Einen Rand des Blattes bezog sie als Boden mit ein. Auffällig<br />

waren hier die Größenverhältnisse zwischen Fenster <strong>und</strong> Tür, sowie ein<br />

rechtwinklig ans Dach angesetzter Schornstein.<br />

Veronikas allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit entspricht einem<br />

insgesamt unterdurchschnittlichen Gesamtresultat (K-ABC). Innerhalb<br />

Veronikas individuellen Leistungsprofils zeigte sich ein inhomogenes<br />

Abschneiden bezüglich der sprachbezogenen Leistungen (Fertigkeitenskala)<br />

<strong>und</strong> der Problemlösungsanforderung unter Einbezug visuell-figuraler<br />

Leistungen <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen (SIF). Im Bereich der Fertigkeiten<br />

liegen die Ergebnisse im Bereich der mittelgradigen geistigen Behinderung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 98<br />

Hier ist davon auszugehen, dass häufige Hospitalisierungen <strong>und</strong> eine<br />

erhöhte Ablenkbarkeit ihren Teil zur Entwicklungsverzögerung beigetragen<br />

haben. Bei den intellektuellen Fähigkeiten erhielt Veronika Werte, die im<br />

Bereich der leichten geistigen Behinderung liegen. Hier konnte sie nur im<br />

Bereich der akustischen Merkfähigkeit (Zahlennachsprechen) einen<br />

altersgemäßen Wert erreichen.<br />

Sollte Veronika Reize visuell erfassen, sie sich merken <strong>und</strong> motorisch<br />

reproduzieren, tat sie sich schwer. Weitere Tests, die die visuelle Analyse<br />

<strong>und</strong> die räumlich-konstruktiven Fähigkeiten überprüfen, bestätigten diesen<br />

Eindruck. So gelang es ihr kaum, Dreiecke nach Vorgabe<br />

zusammenzubauen; auch nicht, als sie diese direkt auf der Vorlage<br />

zusammensetzen durfte. Das Ordnen von Bildern in eine richtige Reihenfolge<br />

gelang ihr gar nicht (Fotoserie). Im Bereich der Objekt- <strong>und</strong><br />

Raumwahrnehmung (VOSP) konnte sie in keinem der neun Untertests den<br />

Anforderungen genügen; das Abzeichnen von Mustern nach Vorlage (ATK)<br />

zeigte ebenfalls erhebliche Auffälligkeiten.<br />

Um den Eindruck einer leichten bis mittelgradigen geistigen Behinderung<br />

zu überprüfen, wurde zusätzlich die Testbatterie für geistig Behinderte<br />

hinzugezogen. In den Untertests, die logisch schlussfolgerndes Denken<br />

(CMM), die allgemeine Intelligenz (BM+CM) <strong>und</strong> den Wortschatz (PPVT)<br />

erfassen, erreichte sie - im Bereich der geistigen Behinderung - gut<br />

durchschnittliche Werte. Beim Untertest BM+CM war auffällig, dass Veronika<br />

teilweise nicht die Lösung zeigte, die die Vorgabe vervollständigt hätte,<br />

sondern eine, die das Gesamtbild darstellte.<br />

Der Untertest, der in diesem Verfahren die Merkfähigkeit misst, ist das<br />

Befolgen von Anweisungen (BA). Hier erreichte Veronika zwar auch<br />

durchschnittliche Werte, jedoch war die Durchführung schwierig, da Veronika<br />

sich ständig anderen Reizen zuwandte <strong>und</strong> so nicht alle Anweisungen<br />

vollständig verstehen konnte. Bei der Durchführung dieses Tests konnte eine


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 99<br />

Absence beobachtet werden.<br />

Die schlechtesten Leistungen erbrachte sie hier im Untertest Kreise<br />

punktieren, der ein Maß für die feinmotorische Koordination ist. Nicht einzig<br />

ihre bestehende Syndaktylie trug dazu bei, sondern auch, dass Veronika die<br />

Kreise nicht mit einem Punkt sondern mit Kreisen <strong>und</strong> Kringeln versah. Bei<br />

dieser Tätigkeit ließ sie sich auch nicht bremsen, sondern hielt an ihrer<br />

gewählten Arbeitsweise fest.<br />

Auch im Bereich der visuomotorischen Koordination (ZVT) fiel diese<br />

mangelnde kognitive Fähigkeit auf. Hier hielt sich Veronika ebenfalls nicht an<br />

die Instruktion, sondern verband die Linien gr<strong>und</strong>sätzlich von links nach<br />

rechts, so dass eine Auswertung dieses Tests unmöglich war.<br />

Ebenfalls nicht auswertbar ist ihre auditive verbale Merk- <strong>und</strong><br />

Lernfähigkeit (AVLT; hier: gekürzte Liste). Von 10 Wörtern, die ihr vorgelesen<br />

wurden, konnte sie in jedem Durchgang höchstens 2 wiederholen, so dass<br />

der Test nach dem vierten Durchgang abgebrochen wurde. Auch bei der<br />

Wiedererkennungsleistung reproduzierte Veronika nur ein richtiges Wort.<br />

Im Bereich der psychomotorischen Koordination (WDG) wurden nur<br />

unzureichende Werte erzielt, da Veronika nicht am Gerät arbeitete, sondern<br />

ständig aufstand, um hinter das Gerät zu blicken.<br />

Die Überprüfung ihrer motorischen Funktionen zeigte eine verminderte<br />

Gesamtkörperkoordination, die Apraxie-Prüfung musste aufgr<strong>und</strong> ihres<br />

Verweigerungsverhaltens nach der Hälfte abgebrochen werden.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Während der mehrstündigen Untersuchung zeigte sich Veronika nur<br />

manchmal kooperativ. Auffällig waren ihre Stimmungsschwankungen. So<br />

zeigte sie sich einerseits fre<strong>und</strong>lich, wurde aber andererseits auch schnell<br />

wütend <strong>und</strong> aggressiv, wenn sie ihre Wünsche nach freiem Spiel nicht<br />

durchsetzen konnte. Jeglichen Anforderungen versuchte sie durch ein


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 100<br />

perseverierendes “ich kann nicht mehr” oder “ich bin schon kaputt” aus dem<br />

Weg zu gehen, brachte dennoch viel Energie auf, um Spielsachen aus den<br />

Regalen zu räumen. Versuchte man sie, zum Tisch zurückzuführen, wurde<br />

sie weinerlich oder beharrte stur auf ihren momentanen Aktivitäten. Veronika<br />

ist leicht ablenkbar <strong>und</strong> unkonzentriert, konnte daher die Ausdauer, ganze<br />

Aufgabenreihen zu bearbeiten, nicht aufbringen. Ihre Ablenkbarkeit <strong>und</strong> das<br />

geringe Durchhaltevermögen brachte sie auch dazu, unangemessene<br />

Antworten zu geben, um so neue Anforderungen zu vermeiden. Auffällig war<br />

auch ihr geringes Instruktionsverständnis, daher brauchte sie für jede<br />

Aufgabe eine erneute Anleitung.<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Die ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik erbrachte<br />

ein insgesamt unterdurchschnittliches Intelligenzniveau im Sinne einer<br />

leichten bis mittelgradigen geistigen Behinderung. Massive Probleme<br />

bestehen in der visuellen Analyse <strong>und</strong> den räumlich-konstruktiven<br />

Leistungen. Veronikas geringe Aufmerksamkeitsspanne, die ihr ein<br />

kontinuierliches Lernen unmöglich macht, steht im Vordergr<strong>und</strong> der<br />

Problematik. Ursache dafür könnte der Balkenmangel sein, der mit<br />

Aufmerksamkeitsproblematiken, erhöhter motorischer Aktivität, kognitiven<br />

Leistungseinbußen <strong>und</strong> emotionalen Problemen einhergeht. Zu<br />

berücksichtigen ist ebenfalls ihr Anfallsleiden. Laut Vorbef<strong>und</strong> treten bei<br />

Veronika circa einmal monatlich Absencen auf. Da während der<br />

Untersuchung eine Absence beobachtet wurde, ist denkbar, dass die<br />

Frequenz bei Veronika höher ist, jedoch nicht immer von ihrer Umgebung<br />

wahrgenommen wird. Während dieser kurzfristigen Bewusstseinsstörung ist<br />

ihr eine Informationsaufnahme nicht möglich.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 101<br />

Um Veronika das Lernen zu ermöglichen, sollten vor allem ihre<br />

Aufmerksamkeits- <strong>und</strong> Verhaltensproblematiken berücksichtigt werden. Zur<br />

Verbesserung dieser empfehlen wir eine Verhaltenstherapie für Kinder.<br />

Wünschenswert wäre dabei ein Therapeut, der bereits mit geistig behinderten<br />

Kindern gearbeitet hat.<br />

Gegebenenfalls sollte mit dem behandelnden Kinderarzt Rücksprache über<br />

eine Medikation bezüglich der Aufmerksamkeits- <strong>und</strong> Absence-Problematik<br />

gehalten werden. Eine intensive Ergotherapie ist ratsam.<br />

Das psychometrische Leistungsprofil ist Tabelle 5 zu entnehmen.<br />

Tabelle 5: Psychometrisches Leistungsprofil von Veronika, 8;5 Jahre<br />

Psychometrisches Leistungsprofil<br />

Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang<br />

Bewertung<br />

Intelligenz<br />

(RW)<br />

(PR)<br />

K-ABC (SIF) 33 -2,6 0 IQ 61, unterdurchschnittlich<br />

K-ABC (FS) 234 -3,5 0 IQ 47, unterdurchschnittlich<br />

TBGB<br />

Psychomotorik<br />

durchschnittlich bis gut<br />

durchschnittlich im Bereich<br />

der geistigen Behinderung<br />

WDG 35


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 102<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Jasmin mit 4;11 Jahren <strong>und</strong> mit 6;4<br />

Jahren (Apert Syndrom)<br />

Bei Jasmin wurde in der U2 ein Apert-Syndrom diagnostiziert. Es besteht<br />

ein anamnestisch bekannter Sprachentwicklungsrückstand. Sie wurde uns zu<br />

zwei Untersuchungszeitpunkten vorgestellt. Die Ergebnisse werden im<br />

Folgenden aufgeführt.<br />

Angewandte Testverfahren (Erstvorstellung)<br />

Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Entwicklungstest (ET<br />

6-6) nach Petermann & Stein, Auditiv-Verbaler Lerntest (AVLT, Kurzform)<br />

nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock et al.,<br />

orientierende Prüfverfahren (Malprobe, Apraxie-Prüfung nach Brown).<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />

Bei der Malprobe zögerte Jasmin zunächst. Ihre graphomotorische<br />

Geschicklichkeit ist in folge einer operativ korrigierten Syndaktylie deutlich<br />

eingeschränkt. Als Jasmin sich an die Untersuchungssituation gewöhnt hatte,<br />

zeichnete sie nicht wie vorgegeben ein Haus, sondern einen Wohnbus mit 13<br />

kleinen Rädern, vier versetzten <strong>und</strong> ungleich großen Fenstern <strong>und</strong> einen aus<br />

Kreisen bestehenden Busfahrer. Dieser wurde durch zwei etwa gleich große<br />

Kreise für Unterleib <strong>und</strong> Bauch, einer größeren Kugel für den Kopf <strong>und</strong> vier<br />

kleinen Kreisen für Arme <strong>und</strong> Beine, von denen stachelartige Finger <strong>und</strong><br />

Zehen abstanden, dargestellt. In den Kopf zeichnete Jasmin ein großes <strong>und</strong><br />

ein kleines Auge, einen schiefen M<strong>und</strong>, zwei winzige Ohren wurden an den<br />

Oberkopf gesetzt. Darüber strichelte sie kräftige, weit abstehende Haare, mit<br />

einer Tolle, die wie eine abstehende Angelrute anmutet. Später sagte sie,<br />

dies solle doch lieber eine Mütze sein. Über das Bild schrieb Jasmin von links<br />

nach recht unten abfallend ihren Namen in ungleich großen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 103<br />

Großbuchstaben.<br />

Beim Abzeichnen geometrischer Anordnungen (ATK, orientierend) kamen<br />

Jasmins feinmotorische Defizite deutlich zum Tragen. Es gelingt ihr (auch<br />

altersbedingt) noch nicht, die Musteranordnungen zu reproduzieren. Die<br />

Markierungshilfen konnten nicht immer sinnvoll eingeb<strong>und</strong>en werden. Es kam<br />

zum Teil zu groben Entstellungen der Mustervorlagen, die nicht nur motorisch<br />

bedingt schienen. Im Untertest „Nachzeichnen“ des ET 6-6 schnitt Jasmin<br />

dagegen unter Nichtberücksichtigung der graphomotorischen Einschränkung<br />

überdurchschnittlich ab.<br />

Den Anforderungen der Apraxieprüfung konnte Jasmin trotz ihrer<br />

körperlichen <strong>und</strong> motorischen Einschränkungen weitestgehend<br />

nachkommen. Aufgr<strong>und</strong> der Fehlbildungen entstehen im Bereich der Grob<strong>und</strong><br />

Feinmotorik Einschränkungen. Besonders betroffen ist der M<strong>und</strong>-,<br />

Nasen- <strong>und</strong> Rachenbereich. Es bestehen Unsicherheiten im Bereich<br />

Körperkoordination <strong>und</strong> Gleichgewicht.<br />

Jasmins allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit ist altersgerecht (K-<br />

ABC). Innerhalb ihres individuellen Leistungsprofils zeigten sich<br />

überdurchschnittliche Resultate in den Untertests „Rechnen“ <strong>und</strong><br />

„Gestaltschließen“. Eine Betrachtung der Gesamtskalen zeigt<br />

durchschnittliche Ergebnisse für alle Skalen mit einem tendenziellen<br />

Leistungsschwerpunkt in der gut durchschnittlich ausfallenden Skala<br />

ganzheitlichen Denkens (SGD). Auch die Ergebnisse des Entwicklungstest<br />

ET 6-6 zeigen eine insgesamt unauffällige kognitive Entwicklung Jasmins,<br />

allein die motorischen Untertests zur Körper- <strong>und</strong> Handmotorik entsprachen<br />

erwartungsgemäß nicht der Altersnorm. Im Bereich der expressiven Sprache<br />

ist einschränkend zu sagen, dass Jasmin noch keine Sechs-bis-acht-Wort-<br />

Sätze verwendet, was auf den anamnestisch bekannten<br />

Sprachentwicklungsrückstand zurückzuführen ist. Jasmin verfügt jedoch über<br />

einen altersgerechten Wortschatz. Jasmins Aussprache ist durch die kranio-


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 104<br />

facialen Fehlbildungen <strong>und</strong> den hohen Gaumenbogen noch beeinträchtigt.<br />

Jasmin spricht <strong>und</strong>eutlich <strong>und</strong> lispelt. Auffällig wurde in diesem Test eine<br />

mangelnde Unterscheidungsfähigkeit der Farben Rot <strong>und</strong> Grün, die<br />

wechselhaft zugeordnet wurden. Dies bedarf einer weiteren augenärztlichen<br />

Abklärung.<br />

Im mnestischen Bereich zeigte sich im Bereich der auditiv-verbalen Merk<strong>und</strong><br />

Lernfähigkeit (AVLT, Kurzform) eine zunächst ansteigende Lernkurve,<br />

die jedoch aufgr<strong>und</strong> einer nachlassender Konzentrationsfähigkeit nach dem<br />

dritten Durchgang deutlich abnahm. Jasmin konnte dann trotz mehrfacher<br />

Wiederholung der immer gleichen Wortliste, plötzlich immer weniger Wörter<br />

wiedergeben. Das heißt auch bereits erlernte Wörter wurden dann nicht mehr<br />

bewusst erinnert. Es gelang Jasmin jedoch nach einer 30minütigen<br />

Unterbrechung 9 der vorgegebenen 10 Wörter anhand einer vorgelesenen<br />

Wiedererkennungsliste zu identifizieren.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Während der mehrstündigen Untersuchung zeigte sich Jasmin nach<br />

anfänglicher Unsicherheit stets fre<strong>und</strong>lich, kooperativ <strong>und</strong> selbstsicher. Allen<br />

Anweisungen leistete sie aufmerksam Folge. Bisweilen waren schwankende<br />

Aufmerksamkeitsleistungen festzustellen. Erwartungsgemäß war mit<br />

fortschreitender Untersuchungszeit ein Nachlassen der<br />

Konzentrationsfähigkeit zu beobachten. Es kam trotz eines Hörgerätes<br />

gelegentlich zu diskreten Verständnisproblemen („Zähne/Zehen“). Jasmin<br />

greift mit beiden Händen, präferiert jedoch die rechte Hand. Motorisch zeigte<br />

sich Jasmin eher passiv <strong>und</strong> in der Geschicklichkeit eingeschränkt. In der<br />

Farbwahrnehmung <strong>und</strong> -benennung zeigten sich Unsicherheiten in der Rot-<br />

/Grünunterscheidung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 105<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Die hier ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik<br />

erbrachte mit Ausnahme der eingeschränkten motorischen Fertigkeiten ein<br />

insgesamt altersentsprechendes Intelligenz- <strong>und</strong> Entwicklungsniveau mit<br />

leichtem Rückstand im Bereich der expressiven Sprache. Es besteht der<br />

Verdacht auf eine Rot-Grünverwechslung.<br />

Wir hielten eine Förderung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit <strong>und</strong> eine<br />

stete, systematische Ermutigung zur aktiven sprachlichen Äußerung für<br />

sinnvoll. Im Bereich der Körperkoordination bestand ebenfalls Förderbedarf.<br />

Einer regulären Einschulung im stand nach prognostischer Einschätzung<br />

nichts entgegen.<br />

Eine Wiedervorstellung Jasmins zur Entwicklungskontrolle erfolgte nach<br />

einem Jahr. Zwischenzeitlich unterzog sich Jasmin einer Operation, bei der<br />

ihr Mittelgesicht vorverlagert wurde. Hierbei sei es zu Komplikationen<br />

gekommen, da ihre Lungenflügel nicht ausreichend belüftet gewesen seien.<br />

Zusätzlich sei es beim Extubieren zum Atemstillstand gekommen. Ein<br />

Herausspringen der implantierten Kurbel habe eine nochmalige Operation<br />

erforderlich gemacht. Seit der Operation benötige Jasmin ihre Brille nicht<br />

mehr, zusätzlich habe das Setzen von Paukenröhrchen das Tragen des<br />

Hörgerätes überflüssig gemacht. Jasmin habe eine Hornhautverkrümmung.<br />

Angewandte Testverfahren (Zweitvorstellung)<br />

Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Coloured Progressive<br />

Matrizen (CPM) nach Raven, komplexe Aktionstestserie am Wiener<br />

Determinationsgerät (WDG), Auditiv-Verbaler Lerntest (AVLT) nach<br />

Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock et al., Testbatterie<br />

zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung (VOSP) nach Warrington <strong>und</strong><br />

James, Rechts-Links-Differenzierung nach Benton, Apraxie-Prüfung nach<br />

Brown, Malprobe.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 106<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />

Jasmin malt <strong>und</strong> schreibt mit der rechten Hand. Auf die Bitte hin, ein<br />

Haus zu malen, zeichnete sie dieses, indem sie den Rand des Blattes als<br />

Boden mit einbezog. Den Schonstein setzte sie winklig an das Dach. Die<br />

Proportionen der Fenster <strong>und</strong> Türen, sowie der neben das Haus<br />

gezeichneten Person sind noch nicht stimmig. Ihren Namen schrieb Jasmin<br />

in Großbuchstaben neben das Haus. Hierbei wurden die Buchstaben nach<br />

rechts immer größer. Es zeigten sich leichte fein- <strong>und</strong> graphomotorische<br />

Auffälligkeiten. Trotz ihrer operativ korrigierten Syndaktylie schreibt Jasmin<br />

zügig <strong>und</strong> lesbar.<br />

Jasmins allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit überprüften wir mit<br />

der Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC). Bei der Skala<br />

einzelheitlichen Denkens, deren Untertest das Kurzzeitgedächtnis<br />

überprüfen, konnte Jasmin Resultate erzielen, die dem altersgemäßen<br />

Durchschnittsbereich entsprechen (Handbewegungen, Zahlennachsprechen,<br />

Wortreihe). Das Merken <strong>und</strong> Umsetzen visuell dargebotener Bewegungen<br />

(Handbewegungen) gelang ihr dabei geringfügig schlechter als das auditive<br />

Merken (Zahlennachsprechen). Bei der Skala ganzheitlichen Denkens, die<br />

visuell-räumliche Anforderungen stellt, liegen Jasmins Ergebnisse ebenfalls<br />

im altersgemäßen Durchschnittsbereich (Gestaltschließen, Dreiecke,<br />

Bildhaftes Ergänzen, Räumliches Gedächtnis, Fotoserie). Bei der<br />

Durchführung des Untertests “Dreiecke” schien es zunächst, als ob Jasmins<br />

nachgebaute Muster eine Drehung aufwiesen. Sie drehte dann aber die<br />

Vorlage in die Richtung der Untersucherin, so dass das Resultat wieder in<br />

der richtigen Richtung lag. Jasmin ist zur Perspektivübernahme in der Lage.<br />

Innerhalb der Fertigkeitenskala, welche die bisher angeeigneten<br />

(sprachlichen) Fertigkeiten überprüft, zeigte sich ebenfalls ein homogenes<br />

Bild. Verglichen mit der Altersgruppe der 6,2-6,4 Jährigen zeigen sich<br />

altersentsprechende Ergebnisse (Gesichter <strong>und</strong> Orte, Rechnen, Rätsel). Der


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 107<br />

Untertest “Lesen/Buchstabieren” ist erst ab einem Alter von 7,0 Jahren<br />

vorgesehen. Wir baten Jasmin dennoch, einige Buchstaben zu identifizieren.<br />

Das gelang ihr bei Großbuchstaben sehr gut, bei Kleinbuchstaben kam es zu<br />

einer Klappung (b/d).<br />

Bei den Coloured Progressiven Matrizen (CPM), einem Verfahren zur<br />

Messung des analytischen Denkens in einem visuellen Kontext, erzielte<br />

Jasmin ein gut durchschnittliches Resultat.<br />

Eine Präferenz für eine auditive Informationsaufnahme zeigte sich auch<br />

beim Auditiv-Verbalen Lerntest (AVLT). Hier sollte Jasmin sich in fünf<br />

Durchgängen möglichst viele der 15 vorgelesenen Wörter merken <strong>und</strong> diese<br />

reproduzieren. Im Vergleich zu 7-8 jährigen Kindern (Jasmin war zum<br />

Untersuchungszeitpunkt 6,4 Jahre alt) erbrachte sie durchschnittliche bis<br />

überdurchschnittliche Leistungen. Von zunächst fünf Wörtern steigerte sie<br />

sich bereits im vierten Durchgang auf 13 Wörter. Zwischenzeitlich zeigten<br />

sich leichte Schwankungen, die für eine wechselnde Aufmerksamkeitsspanne<br />

sprechen. Eine Interferenzliste, die im Anschluss an die fünf Durchgänge<br />

dargeboten wurde, verwirrte Jasmin, so dass sie sich nach Darbietung dieser<br />

an nur noch fünf Wörter der Ursprungsliste erinnern konnte. Aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

retroaktiven Hemmung wird es für Jasmin wichtig sein, bei der Aneignung<br />

von Informationen möglichst nicht durch irrelevantes Material <strong>und</strong><br />

Störeinflüsse unterbrochen zu werden.<br />

Die bisher nur bei der Hauszeichnung durch das winklige Ansetzen des<br />

Schornsteins aufgefallenen Hinweise auf leichte visuell-analytische <strong>und</strong><br />

räumlich-konstruktive Beeinträchtigungen, bestätigten sich beim Abzeichnen<br />

geometrischer Anordnungen (ATK). Hier zeigten sich Klappungen,<br />

Größenfehler <strong>und</strong> Probleme mit der Richtungseinschätzung.<br />

Bei der Testbatterie zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung<br />

(VOSP) verdeutlichten sich diese Hinweise. Hier zeigten sich die<br />

Schwierigkeiten insbesondere hinsichtlich der Raumwahrnehmung. Jasmin


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 108<br />

tat sich deutlich schwer zu unterscheiden, in welchem Rechteck der Punkt<br />

genau mittig sitzt (Positionen unterscheiden). Beim Untertest “Zahlen<br />

lokalisieren” gelang ihr nur ein Zufallstreffer. Kinder mit dem Apert-Syndrom<br />

haben oft, unter anderem aufgr<strong>und</strong> der kraniofazialen Fehlbildungen, die sich<br />

auch auf den Bereich des Sehens auswirken, Defizite im visuell-räumlichen<br />

Bereich. Die gute Perspektivübernahme, die Jasmin im Untertest “Dreiecke”<br />

der K-ABC bewies, konnte sie bei der Rechts-Links-Differenzierung nicht<br />

aufrechterhalten. Hier gelang ihr die Differenzierung am Gegenüber noch<br />

nicht, wohingegen sie am eigenen Körper fast alle Anforderungen richtig<br />

umsetzte, was als altersgerecht bewertet werden kann.<br />

Im Bereich der psychomotorischen Koordination (WDG) arbeitete Jasmin<br />

trotz ihrer Syndaktylie so schnell <strong>und</strong> sorgfältig, dass sie hier ein<br />

überdurchschnittliches Resultat erzielen konnte.<br />

Im motorischen Bereich fallen noch Gleichgewichtsunsicherheiten auf,<br />

bedingt auch durch die defizitäre Standfestigkeit aufgr<strong>und</strong> Jasmins<br />

Fußfehlbildung. Die Imitation von Bewegungen (Apraxiebogen) gelang<br />

Jasmin im Wesentlichen gut. Einschränkungen gibt es weiterhin in den<br />

Bereichen transitive Bewegungen (z. B. Sägen) oder bilaterale Bewegungen<br />

(z. B. Handtuch auswringen). Bei den Ganzkörperkommandos wirkte Jasmin<br />

hypoton. Eine deutliche Verbesserung zur Untersuchung im Vorjahr zeigte<br />

sich im Bereich der Gesichtspraxie. Hinweise auf eine Rot-Grün-<br />

Verwechslung waren im Vergleich zur Erstuntersuchung nicht mehr<br />

erkennbar.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Zu Beginn der Untersuchung zeigte sich Jasmin als zurückhaltend. Sie<br />

“taute” aber sehr schnell auf <strong>und</strong> zeigte sich als sehr fre<strong>und</strong>lich, kooperativ<br />

<strong>und</strong> ordentlich. Sie bewies großen Ehrgeiz (“Ist noch alles richtig?”) <strong>und</strong><br />

große Sorgfalt bei der Bearbeitung der an sie gestellten Aufgaben. Sie


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 109<br />

versucht auch Tätigkeiten, die sie sich zunächst nicht zutraut, wie<br />

beispielsweise das Fangen eines Ringes. Zwischenzeitlich wurde Jasmin<br />

verspielt (”Du darfst erst mal nicht gucken”) <strong>und</strong> mit zunehmender Dauer der<br />

Untersuchung ablenkbar <strong>und</strong> motorisch unruhiger. Jedoch ließ sie sich bei<br />

direkter Ansprache sofort wieder konzentriert auf das zu bearbeitende<br />

Material ein. Auch fällt es Jasmin noch schwer, ihre Aufmerksamkeit zu<br />

richten. So konzentrierte sie sich beispielsweise bei der Durchführung des<br />

AVLT nicht auf das, was die Untersucherin ihr vorlas, sondern auf das, was<br />

diese notierte. Dadurch sind Schwankungen in Jasmins Leistungen erklärbar.<br />

Sprachlich kam es nur zu leichten grammatikalischen Auffälligkeiten.<br />

Überraschend gut sind Jasmins visuomotorische Leistungen. Trotz ihrer<br />

Syndaktylie agierte sie sehr schnell, wenn auch vornehmlich nur mit der<br />

rechten Hand (wie beim WDG). Die visuell-analytischen <strong>und</strong> räumlichkonstruktiven<br />

Auffälligkeiten äußerten sich auch in Jasmins Verhalten. Sie<br />

neigt zum Drehen des Blattes oder bewegt sich mit, um einen besseren<br />

Blickwinkel zu bekommen (Malprobe, ATK, VOSP).<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Wir sahen im Rahmen der neuropsychologischen Diagnostik mit Jasmin<br />

ein altersgerecht intelligentes <strong>und</strong> entwickeltes Mädchen. Leichte<br />

Beeinträchtigungen zeigten sich mit zunehmender Dauer der Untersuchung<br />

im Bereich der Aufmerksamkeit. Diese wirkten sich vor allem auf die<br />

Merkfähigkeit aus, die ansonsten altersgerecht entwickelt ist. Ebenfalls gibt<br />

es Hinweise auf visuell-räumlichen Defizite <strong>und</strong> Einschränkungen hinsichtlich<br />

der motorischen Fertigkeiten.<br />

Dem Besuch einer Regelschule ohne Integrationshelfer spricht nichts<br />

entgegen. Um Jasmins motorische Fertigkeiten im Hinblick auf Gleichgewicht


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 110<br />

<strong>und</strong> Koordination weiter zu fördern, empfehlen wir die Durchführung einer<br />

Ergotherapie.<br />

In Tabelle 6 ist Jasmins Leistungsprofil zum zweiten<br />

Untersuchungszeitpunkt aufgeführt.<br />

Tabelle 6: Psychometrisches Leistungsprofil von Jasmin, 6;4 Jahre<br />

Psychometrisches Leistungsprofil<br />

Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang Bewertungen<br />

Intelligenz<br />

(RW)<br />

(PR)<br />

CPM 22 +0,9 83 IQ 114, gut<br />

durchschnittlich<br />

K-ABC (SED) 27 -0,4 34 IQ 94, durchschnittlich<br />

K-ABC (SGD) 49 -0,1 46 IQ 99, durchschnittlich<br />

K-ABC (SIF) 76 -0,2 42 IQ 97, durchschnittlich<br />

K-ABC (FS)<br />

Psychomotorik<br />

310 +0,3 62 IQ 104,<br />

durchschnittlich<br />

WDG<br />

Merkfähigkeit<br />

64 +1,3 90 überdurchschnittlich<br />

AVLT/ Durchgänge A1 A2 A3 A4 A5 B1 A6 (Normen für 7-8<br />

Rohwerte 5 9 7 13 13 4 5<br />

Jährige!)<br />

Unmittelbare<br />

Merkspanne<br />

durchschnittlich,<br />

Lernverlauf<br />

schwankend,<br />

durchschnittlich bis<br />

überdurchschnittlich.<br />

Objekt- <strong>und</strong> Raumanalyse<br />

ATK R: 0 Größe, Form, Richtung, Klappung, Graphomotorik<br />

VOSP<br />

Sonstiges:<br />

Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung problematisch<br />

Rechts-links-Differenzierung: am eigenen Körper meist gelungen<br />

Motorische Funktionen: Unsicherheiten im Gleichgewicht <strong>und</strong> der<br />

Gesamtkörperkoordination<br />

Apraxie-Bogen: transitive <strong>und</strong> bilaterale Bewegungen schwierig


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 111<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Lucas <strong>und</strong> Moritz, Zwillinge, 2;6<br />

Jahre (Crouzon-Syndrom)<br />

Die Zwillinge wurden in der 32. Schwangerschaftswoche entb<strong>und</strong>en.<br />

Die phänotypischen Merkmale des Crouzon-Syndroms wurden zunächst mit<br />

neonatalen Komplikationen in Zusammenhang gebracht <strong>und</strong> führten erst im<br />

späteren Verlauf zur Diagnose des Syndroms mit milder Ausprägung. Es<br />

besteht eine fehlbildungsbedingte Behinderung der Nasenatmung mit hoher<br />

Anfälligkeit für Infekte der oberen Luftwege. Es liegen keine Hydrocephalie<br />

oder Arnold Chiari Malformation vor. Durch eine Überwachung mit einem<br />

Pulsoximeter konnten nächtliche Sättigungsabfälle unter Apnoen beobachtet<br />

werden. Die Zwillinge wurden zur Kontrolle im Schlaflabor eines<br />

Kinderkrankenhauses vorgestellt. Hier fand sich für Moritz ein wesentlich<br />

höherer Anteil kurzer obstruktiver Apnoen. Allerdings wurde auf<br />

unterschiedliche Messbedingungen hingewiesen, die einen direkten Vergleich<br />

erschweren.<br />

Bei beiden Jungen liegen laut ergotherapeutischem Bef<strong>und</strong> eine<br />

motorische Retardierung <strong>und</strong> feinmotorische Defizite vor. Die Diagnose einer<br />

leichten Sprachentwicklungsverzögerung (SEV) bei orofacialem Hypotonus<br />

<strong>und</strong> eingeschränkter Zungenmotilität, führte zur Empfehlung einer jeweiligen<br />

logopädischen Einzeltherapie für Lucas <strong>und</strong> Moritz.<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Entwicklungstest<br />

(ET 6-6) nach Petermann & Stein, orientierende Prüfverfahren (Malprobe,<br />

Apraxie-Prüfung nach Brown).<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong> (Moritz)<br />

Moritz erreichte in sämtlichen Untertests der K-ABC altersgerechte<br />

Ergebnisse. Besonders gute Leistungen zeigten sich beim Wiedererkennen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 112<br />

von Gesichtern, im Erkennen von Objekten, im Gestaltschließen <strong>und</strong> in der<br />

unmittelbaren auditiven Merkspanne. Moritz zeigt bezüglich des<br />

einzelheitlichen Denkens <strong>und</strong> der Fertigkeiten eine durchschnittliche<br />

Begabung. Die Skala intellektueller Fähigkeiten weist gut durchschnittliche<br />

Werte auf <strong>und</strong> die Untertests zum ganzheitlichen Denken fallen sogar<br />

überdurchschnittlich gut aus.<br />

Eine altersgerechte kognitive Entwicklung zeigte sich auch im<br />

Entwicklungstest ET 6-6. Leichte Einschränkungen zeigten sich hier nur in<br />

den Untertests zu expressiven Sprache <strong>und</strong> zur Hand- <strong>und</strong> Körpermotorik.<br />

Bei den Aufgaben zur Apraxie-Prüfung zeigt sich, dass Moritz<br />

begriffsfreie Bewegungen („Lege die Hand unter das Kinn“) <strong>und</strong> intransitive<br />

Bewegungen am Körper (Kopfkratzen, vollen Bauch zeigen) <strong>und</strong> weg vom<br />

Körper (Heranwinken, Faust machen) nachahmen kann. Die Stifthaltung <strong>und</strong><br />

das Ballstoßen werden rechts ausgeführt. Leichte Einschränkungen zeigten<br />

sich, wie bereits anamnestisch geschildert, in der Gesichtspraxie. Moritz<br />

zeichnet altersbedingt noch in kreisförmigen, unstrukturierten Linien.<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong> (Lucas)<br />

Lucas erreichte ebenfalls in sämtlichen Untertest der K-ABC<br />

altersgerechte Ergebnisse. Besonders gute Leistungen zeigten sich beim<br />

Wiedererkennen von Gesichtern, im Erkennen von Objekten <strong>und</strong> im passiven<br />

Wortschatz. Lucas zeigt bezüglich des einzelheitlichen <strong>und</strong> ganzheitlichen<br />

Denkens, der intellektuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> der Fertigkeiten eine<br />

durchschnittliche Begabung.<br />

Dies entspricht auch den Ergebnissen des Entwicklungstests ET 6-6, bei<br />

dem sich ein mit dem von Moritz vergleichbares Entwicklungsprofil mit<br />

leichten Einschränkungen der Motorik <strong>und</strong> der expressiven Sprache zeigte.<br />

Die Bewegungsabläufe der Apraxie-Prüfung konnte Lucas im Vergleich<br />

zu seinem Bruder etwas schlechter nachahmen, so benutzte er<br />

beispielsweise bei der Aufforderung, den Daumen an die Stirn zu führen, den


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 113<br />

Zeigefinger, obwohl ihm die Bewegung vorgemacht wurde. Es besteht<br />

ebenfalls eine leicht eingeschränkte Gesichtspraxie.<br />

Die Stifthaltung <strong>und</strong> das Ballstoßen werden rechts ausgeführt. Seine<br />

Zeichnungen sind noch strukturlos, er drückte den Stift jedoch fester auf als<br />

sein Bruder <strong>und</strong> führte kleinere, stärker abgegrenzte Zeichnungen aus, die er<br />

verbal kommentierte („Das ist Mama“ etc.).<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Moritz)<br />

Moritz beschäftigte sich zunächst mit den Spielsachen im<br />

Wartezimmer, ging aber auf Aufforderung der Untersucher bereitwillig mit in<br />

den Untersuchungsraum. Dort war er damit beschäftigt, den Raum zu<br />

explorieren <strong>und</strong> sich mit diversen Gegenständen zu beschäftigen. Er zeigte<br />

einen ausgeprägten Bewegungsdrang, der sich zum Teil mit einer langen<br />

Anfahrt im Auto erklären lässt. Es erwies sich als schwierig, seine<br />

Aufmerksamkeit auf die Testsituation zu lenken. Er wollte außerdem in den<br />

gegenüberliegenden Raum, in dem sein Bruder (Lucas) parallel untersucht<br />

wurde. Als sein Vater hinzugebeten wurde, gelang es unter teils massiver<br />

Hilfestellung seitens des Vaters, Moritz zur Mitarbeit zu bewegen.<br />

Besonderes Interesse zeigte er für einen Spielzeughubschrauber, der<br />

immer wieder spielerisch in die Testsituation einbezogen werden musste <strong>und</strong><br />

für das Pedalo. Etwas später gelang es, den Hubschrauber aus seinen<br />

Blickfeld zu entfernen. Alle nicht testrelevanten Gegenstände in den Regalen<br />

des Zimmers wurden außerhalb seiner Reichweite verstaut, um ihn nicht<br />

abzulenken. Insgesamt benötigten wir für die Durchführung des ET 6-6 mit 80<br />

Minuten etwa doppelt solange, wie für die gleichen Aufgabenstellungen bei<br />

Lucas. Moritz sprach verwaschen <strong>und</strong> benutzte Zwei-Wort-Sätze.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 114<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Lucas)<br />

Lucas zeigte sofort großes Zutrauen <strong>und</strong> ließ sich an der Hand einer<br />

Untersucherin in den Untersuchungsraum führen. Er litt zunächst sehr unter<br />

der räumlichen Trennung von seinem Bruder. Als seine Mutter dazu gebeten<br />

wurde, war er schließlich zur Mitarbeit zu bewegen. Lucas bearbeitete die<br />

gestellten Aufgaben interessiert <strong>und</strong> motiviert. Seine Aufmerksamkeit war<br />

nicht so schwer zu lenken wie die seines Bruders, auch zeigte er sich<br />

motorisch nicht so aktiv, er verfügt aber ebenfalls nur über kurze<br />

Konzentrationsspannen. Die Mutter griff in den Ablauf der Untersuchung von<br />

Lucas kaum ein, während Moritz von seinem Vater stark „getriggert“ wurde.<br />

Während Moritz besonders auf den Hubschrauber fixiert war, galt Lucas<br />

besonderes Interesse einem Ball. Wie Moritz spricht er verwaschen <strong>und</strong><br />

benutzte hier größtenteils sogar nur Ein-Wortsätze. Es waren<br />

Gleichgewichtsprobleme erkennbar.<br />

Auf den von uns aufgenommenen Fotos erkannten sich beide Brüder<br />

unabhängig voneinander als der jeweils andere Zwilling, obwohl sie etwas<br />

unterschiedliche Kleidung trugen.<br />

Zusammenfassende Beurteilung (Moritz)<br />

Die hier ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik<br />

erbrachte eine altersentsprechende bis gut durchschnittliche allgemeine<br />

Entwicklung mit unauffälligen kognitiven Leistungen. Eine<br />

Entwicklungsverzögerung zeigt sich nur im Bereich der expressiven Sprache<br />

<strong>und</strong> der Motorik. Unsere Beobachtungen korrespondieren hier mit den<br />

logopädischen <strong>und</strong> ergotherapeutischen Vorbef<strong>und</strong>en. Hinweise auf eine<br />

Wahrnehmungsstörung im visuellen Bereich – wie sie bei kraniofacialen<br />

Fehlbildungssyndromen häufig auffallen - sind bisher nicht festzustellen, die<br />

Entwicklung der visuell-analytischen <strong>und</strong> räumlich-konstruktiven Fähigkeiten


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 115<br />

sollte aber beobachtet werden. Moritz hatte in der Testsituation zwar<br />

massivere Aufmerksamkeitsprobleme als Lucas, er zeigte jedoch insgesamt<br />

etwas stärkere Leistungen. Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass<br />

er durch seinen Vater mehr Hilfestellungen erhielt als sein Bruder von seiner<br />

Mutter. Dadurch relativiert sich dieser Unterschied möglicherweise wieder<br />

etwas. Moritz` starke Ablenkbarkeit ist zum jetzigen Zeitpunkt aufgr<strong>und</strong> des<br />

Alters noch nicht als auffällig anzusehen, sollte aber ebenfalls weiter<br />

beobachtet werden.<br />

Zusammenfassende Beurteilung (Lucas)<br />

Die neuropsychologische Diagnostik erbrachte auch für Lucas eine<br />

altersentsprechende allgemeine Entwicklung mit unauffälligen kognitiven<br />

Leistungen, abgesehen vom motorischen <strong>und</strong> sprachlichen Bereich. Die<br />

weitere Entwicklung der visuell-analytischen <strong>und</strong> räumlich-konstruktiven<br />

Fähigkeiten sollte ebenfalls beobachtet werden. Lucas war ruhiger <strong>und</strong><br />

zugewandter als sein Bruder, seine Leistungen fielen jedoch vergleichsweise<br />

etwas schwächer aus. Dieser Unterschied kann jedoch durch die<br />

Besonderheiten der Testsituation mitbedingt sein.<br />

Wir haben mit den Zwillingen Lucas <strong>und</strong> Moritz zwei aufgeweckte <strong>und</strong><br />

intelligente Jungen kennen gelernt, die sich bei nur milder Ausprägung des<br />

Crouzon-Syndroms ausgesprochen gut entwickelt haben.<br />

Wir hielten eine intensive Fortführung der logopädischen Therapie zur<br />

Förderung der expressiven Sprache bei intaktem passiven Sprachschatz, für<br />

notwendig. Körperkoordination, Gleichgewicht sowie Grob- <strong>und</strong> Feinmotorik<br />

sollten im Rahmen einer fortgeführten ergotherapeutischen Behandlung<br />

trainiert werden. Sinnvoll fanden wir es auch, ein getrenntes therapeutisches<br />

Setting für die beiden Jungen zu versuchen, da zwischen den beiden eine<br />

sehr enge Bindung besteht, die sich unter Umständen auch hinderlich auf<br />

den therapeutischen Prozess auswirken kann. Außerdem sollte versucht


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 116<br />

werden, die jeweilige Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit zu<br />

fördern.<br />

Wir verfolgten die weiterhin sehr positive Entwicklung der Jungen (Abb.<br />

17 u. 18) etwa im Jahresabstand in drei weiteren Untersuchungen. Eine<br />

Darstellung dieser Verlaufsstudie über vier Messzeitpunkte würde den<br />

Rahmen dieser Arbeit jedoch überschreiten, weswegen dies in einer eigenen<br />

Veröffentlichung erfolgen soll. Es erfolgt daher eine Beschränkung auf die<br />

letzten Untersuchungsbef<strong>und</strong>e.<br />

Abbildung 17: Zwillinge, 2;6 Jahre alt, mit Crouzon-Syndrom.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 117<br />

Abbildung 18: Zwillinge aus Abb. 17, 5;7 Jahre alt.<br />

Neuropsychologische Verlaufsbef<strong>und</strong>e der Zwillinge mit 5;7 Jahren<br />

Beide Jungen erhielten zwischenzeitlich auch wegen<br />

Konzentrationsproblemen Ergotherapie <strong>und</strong> außerdem eine logopädische<br />

Behandlung. Bei bestehender Progenie bestünden besonders bei Moritz<br />

weiterhin Probleme im Bereich der M<strong>und</strong>motorik, der Artikulation <strong>und</strong> der<br />

zentralen Hörverarbeitungsstörung. Mittels Paukendrainagen <strong>und</strong> einer<br />

Adenotomie hat sich das Schnarchen der Jungen vermindert. Eine<br />

zwischenzeitliche Röntgenuntersuchung ergab bei beiden Jungen vermehrte<br />

Impressiones digitatae als mögliche Zeichen beginnender Druckerhöhung,<br />

bei Lucas wurde mittels einer Sonographie zusätzlich ein etwas erweiterter<br />

Seitenventrikel diagnostiziert. Im Verlauf mussten sich beide Kinder wegen<br />

einer Hirndruckssteigerung (Stauungspapillen) wurde einer<br />

Kalottenremodellierung unterziehen. Zum Verhalten beschrieb die Mutter,<br />

dass es bei den Jungen abwechselnd zu Phasen mit Wut- <strong>und</strong> Trotzanfällen<br />

bei nichtigen Anlässen käme, bei denen sie ihr Gegenüber verbal attackieren<br />

würden, körperliche Gewalt aber nur angedeutet werde. Das


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 118<br />

Untersuchungsalter betrug zuletzt fünf Jahre <strong>und</strong> sieben Monate (5;7).<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Entwicklungstest (ET<br />

6-6) nach Petermann & Stein.<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e (Lucas)<br />

Lucas erreichte in sämtlichen für seine Altersklasse vorgesehenen<br />

Untertests der Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC) gut<br />

durchschnittliche bis überdurchschnittliche Ergebnisse. Die Untertests<br />

“Zauberfenster” <strong>und</strong> “Wiedererkennen von Gesichtern” sind für das<br />

Untersuchungsalter nicht mehr vorgesehen, wurden aber zum Vergleich mit<br />

den Vordaten wiederholt. Die Skalenwerte für diese Untertests sind stabil<br />

geblieben, was bei Vergleich mit Normen für bis 4;11 Jahre allerdings eine<br />

leichte Verschlechterung zum Vorergebnis bedeutet.<br />

Die “Handbewegungen” sind dagegen deutlich besser ausgefallen als<br />

zuvor (Steigerung von 10 auf 16 Wertpunkte). Für die Untertests<br />

“Gestaltschließen” (von 13 auf 17 Wertpunkte) <strong>und</strong> “Zahlennachsprechen”<br />

(von 11 auf 13 Wertpunkte) <strong>und</strong> “Wortreihe” (von 9 auf 14 Wertpunkte)<br />

ergaben sich ebenfalls zum Teil erhebliche Steigerungen. Der Untertest<br />

“Dreiecke” konnte nur von 9 auf 10 Wertpunkte verbessert werden <strong>und</strong> ist<br />

demnach relativ stabil geblieben.<br />

Für die Skala einzelheitlichen Denkens hatte sich bei der letzten<br />

Untersuchung am 07.04.2003 insgesamt eine leichte Verschlechterung von<br />

einem Standardwert von gut durchschnittlichen 110 zu durchschnittlichen 100<br />

ergeben. Bei der jetzigen Untersuchung ergab sich durch die Steigerung der<br />

Skalenwerte ein überdurchschnittlicher Standardwert von 128. Für die Skala<br />

ganzheitlichen Denkens ergab sich keine nennenswerte weitere


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 119<br />

Verbesserung der schon zuvor überdurchschnittlichen Standardwerte (von<br />

119 zu 120). Hier sind allerdings zwei zuvor unbekannte Untertests<br />

“Bilderergänzen” (13 WP) <strong>und</strong> “Räumliches Gedächtnis” (11 WP)<br />

hinzugekommen. Die hier aber auf Anhieb guten Resultate lassen darauf<br />

schließen, dass die guten Ergebnisse in den anderen, bereits bekannten<br />

Untertests nicht nur auf Übungs- <strong>und</strong> Wiederholungseffekten basieren.<br />

Insgesamt ist der Standardwert für die intellektuellen Fähigkeiten von 110 zu<br />

123 angestiegen. Es kann daher aktuell eine überdurchschnittliche<br />

intellektuelle Fähigkeit angenommen werden. Für die erlernten Fertigkeiten<br />

ergab sich dagegen insgesamt eine Steigerung von 116 zu 124. Der<br />

Untertest “Wortschatz” fiel etwas besser aus, geht aber aufgr<strong>und</strong> des Alters<br />

diesmal nicht mehr in die Bewertung mit ein. Die Untertests “Gesichter <strong>und</strong><br />

Orte” <strong>und</strong> “Rätsel” blieben etwa gleich, das “Rechnen” fiel besser aus (von<br />

Standardwert 108 zu 117).<br />

Die Resultate des Entwicklungstests (ET 6-6) für die Altersgruppe 60 bis<br />

72 Monate (Untersuchungsalter 67 Monate) zeigen im Hinblick auf die<br />

kognitiven <strong>und</strong> sozialen Fähigkeiten kaum Veränderungen zur letzten<br />

Untersuchung mit insgesamt gut durchschnittlichen Resultaten. Die Anzahl<br />

der richtigen Bewertungen für die einzelnen Untertests blieb fast gleich.<br />

Verschlechterungen ergaben sich in der Elternbewertung bezüglich der<br />

emotionalen Entwicklung <strong>und</strong> dem Verhalten in Gruppen. Die emotionale<br />

Entwicklung fällt momentan nach Elterneinschätzung nicht ganz altersgemäß<br />

aus. Diese Einschätzung stimmt mit den Angaben zum in der Anamnese<br />

beschriebenem oppositionellen <strong>und</strong> stimmungslabilen Verhalten überein.<br />

Im Bereich der Motorik sind Körper- <strong>und</strong> Handmotorik in der<br />

Leistungsfähigkeit konstant geblieben, führen aber aufgr<strong>und</strong> des gestiegenen<br />

Lebensalters nun beide zu einem Ergebnis unterhalb der Erwartung. Die<br />

motorische Entwicklung bleibt damit unverändert hinter der guten kognitiven<br />

Entwicklung zurück. Die zeichnerischen Fähigkeiten haben sich verbessert.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 120<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e (Moritz)<br />

Moritz erzielte, ähnlich wie sein Bruder, in fast allen Untertests der<br />

Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC) gut durchschnittliche bis<br />

überdurchschnittliche Resultate. Die individuell schlechtesten, aber<br />

durchschnittlichen Ergebnisse, erreichte er in den Untertests “Wortschatz”<br />

(nicht mehr in der Altersbewertung) <strong>und</strong> “Dreiecke”. Trotzdem erreichte er<br />

hier Verbesserungen im Vergleich zur letzten Untersuchung (Wortschatz von<br />

Standardwert 100 zu 108, Dreiecke von WP 7 zu 9).<br />

Bei den nicht mehr in die Altersbewertung eingehenden Untertests<br />

“Zauberfenster” <strong>und</strong> “Wiedererkennen von Gesichtern”, zeigte sich eine<br />

leichte Verschlechterung für den zweitgenannten Untertest (von WP 13 zu<br />

11). Der Untertest “Handbewegungen” fiel um vier Wertpunkte besser aus,<br />

das “Gestaltschließen” <strong>und</strong> das neu hinzugekommene “Bildhafte Ergänzen”,<br />

stellen die beiden individuellen Bestleistungen da (jeweils 15 Wertpunkte).<br />

Das “Zahlennachsprechen” gelang unwesentlich schlechter als zuletzt (von<br />

WP 12 zu 11). Für den Untertest “Wortreihe” konnte Moritz sein Ergebnis<br />

deutlich steigern (von WP 7 zu 14).<br />

Für die Skala einzelheitlichen Denkens ergab sich daher eine Verbesserung<br />

von Standardwert 96 zu 117. Für die Skala ganzheitlichen Denkens von<br />

Standardwert 114 zu 119 ein etwa gleichbleibendes Ergebnis. Das Ergebnis<br />

für die intellektuellen Fähigkeiten ist mit einem Ergebnis von Standardwert<br />

117 (ehemals 105) deutlich angestiegen <strong>und</strong> als leicht überdurchschnittlich<br />

zu bewerten.<br />

Für die erworbenen Fertigkeiten ergab sich insgesamt eine Verbesserung<br />

von Standardwert 108 zu 124, was bei etwa gleichbeleibenden<br />

Rechenleistungen vor allem auf eine deutliche Verbesserung im Untertest<br />

“Gesichter <strong>und</strong> Orte” <strong>und</strong> eine leichte Verbesserung im Untertest “Rätsel”<br />

zurückzuführen ist.<br />

Im Entwicklungstest (ET 6-6) erzielte Moritz aktuell ein beinahe<br />

identisches Ergebnis wie Lucas, verbesserte sich aber in der Anzahl der


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 121<br />

richtig gelösten Aufgaben im Vergleich zum etwas schlechter ausgefallenem<br />

Ergebnis zum vorherigen Untersuchungszeitpunkt. Die kognitiven <strong>und</strong><br />

sozialen Fähigkeiten liegen im durchschnittliche bis überdurchschnittliche<br />

Bereich.<br />

Wie Lucas zeigte Moritz Rückstände in der Körper- <strong>und</strong> Handmotorik,<br />

letztere fiel damit im Vergleich zur letzten Untersuchung deutlich schlechter<br />

aus das Körperbewusstsein fiel etwas schlechter aus als bei Lucas. Für die<br />

Einschätzung des Verhaltens in Gruppen <strong>und</strong> besonders der emotionalen<br />

Entwicklung ergaben sich die gleichen Verschlechterungen wie für Lucas<br />

beschrieben. Die zeichnerischen Leistungen haben sich verbessert.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Lucas)<br />

Bei Lucas wurde zunächst die K-ABC durchgeführt. Er war kooperativ,<br />

fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> interessiert. Bei ihm zeigte sich aber eine besonders deutlich<br />

Verschlechterung der Ausdauer <strong>und</strong> Konzentration bei im Vergleich zu<br />

vorher deutlich gesteigerter Impulsivität. Er testete Grenzen aus. So legte er<br />

zum Beispiel die Füße auf den Tisch oder lenkte mit nebensächlichen<br />

Äußerungen ab oder er bestand stur darauf, zuwenig Bauteile zur<br />

Aufgabenlösung bekommen zu haben oder wiederholte Sätze der<br />

Untersucher. Auffällig waren zum Teil völlig abwegig erscheinende<br />

Antworten, die dann aber korrigiert werden konnten (bezeichnete z. B.<br />

Schema einer Kamera zunächst als “Milchbrötchen” <strong>und</strong> dann erst als<br />

“Fotoapparat”). Lucas Aufmerksamkeit lies rasch nach <strong>und</strong> er musste zur<br />

Weiterarbeit motiviert <strong>und</strong> angehalten werden.<br />

Lucas zeigte sich noch sehr auf den Bruder fixiert, fragte oft nach ihm <strong>und</strong><br />

sieht sich in stark symbiotischer Beziehung mit ihm. Er tritt in seinen<br />

Formulierungen wenig als eigenständige Persönlichkeit auf.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 122<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung (Moritz)<br />

Bei Moritz wurde zunächst der ET 6-6 durchgeführt. Er war wie immer<br />

kooperativ <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> zeigte sich sehr an den Materialien interessiert,<br />

was zuweilen zu voreiligen Lösungsversuchen führte, weil er die Instruktion<br />

nicht abwarten wollte. Über Lob <strong>und</strong> gute Leistungen freute er sich sichtbar.<br />

Er half unaufgefordert beim Wegräumen der Testutensilien. Zwischendurch<br />

zeigte er sich ablenkbar <strong>und</strong> motorisch unruhig. Die Konzentration <strong>und</strong><br />

Ausdauer scheint sich im letzten Jahr nicht verbessert, sondern gemessen<br />

am Alter eher etwas verschlechtert zu haben, bereits nach 20 Minuten zeigt<br />

sich eine deutliche Hibbeligkeit. Die Oberbegriffsbildung fällt noch etwas<br />

unpräzise aus (z. B. “Männer” = “Papa, Bruder”). Eine im test vorkommende<br />

Schlange bezeichnete er als “Krokodil”, trotz der Hilfestellung “Welches Tier<br />

hat keine Beine?” blieb er bei “platter Alligator”. Zur Erheiterung der<br />

Untersucher trug bei, dass beide Kinder unabhängig voneinander den in der<br />

K-ABC (pädagogisch umstrittenerweise) vorkommenden “Struwwelpeter” als<br />

“Peter, der Struselkater” bezeichneten. Die Stifthaltung ist noch sehr<br />

verkrampft. Moritz war ständig in Bewegung, impulsiv <strong>und</strong> versuchte auch<br />

die Untersucher abzulenken. Dabei löste er aber bereitwillig die Aufgaben<br />

<strong>und</strong> beschäftigte sich intensiv mit dem Material. Moritz grenzt sich von<br />

seinem Bruder stärker als eigene Persönlichkeit ab <strong>und</strong> fragte kaum nach<br />

ihm.<br />

Zusammenfassende Beurteilung (Lucas)<br />

Lucas Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik liegen<br />

hinsichtlich der kognitiven Entwicklung im gut altersentsprechenden bis<br />

überdurchschnittlichen Bereich. Leichte Beeinträchtigungen zeigen sich<br />

weiterhin in den motorischen (Körper- <strong>und</strong> Handmotorik) <strong>und</strong> im sprachlichen<br />

Bereich (Benennungsschwierigkeiten). Das zuvor unauffällige <strong>und</strong> eher sozial<br />

reife Verhalten hat sich bei deutlich nachlassender Konzentrationsleistung<br />

verschlechtert. Es ist der Beobachtung nach davon auszugehen, dass Lucas


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 123<br />

deswegen trotz der guten Resultate hinter seinen eigenen<br />

Leistungsmöglichkeiten zurückbleibt.<br />

Zusammenfassende Beurteilung (Moritz)<br />

Moritz` Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik liegen<br />

hinsichtlich der kognitiven Entwicklung im gut durchschnittlichen bis<br />

überdurchschnittlichen Bereich. Ein leichter Entwicklungsrückstand besteht<br />

weiterhin im sprachlichen <strong>und</strong> motorischen Bereich. Die sich in den<br />

Vortestungen bereits andeutende Beeinträchtigung der<br />

Aufmerksamkeitsleistungen fällt mittlerweile deutlich auf.<br />

Die Zwillinge Lucas <strong>und</strong> Moritz waren auch dieses Mal zwei interessierte<br />

<strong>und</strong> aufgeweckte Jungen, die gut motivierbar sind. Sie benötigten aber<br />

deutlich mehr Beschäftigung <strong>und</strong> Ansprache um interessiert zu bleiben <strong>und</strong><br />

testeten ihre Grenzen aus. Beide Kinder sind kognitiv soweit, bald<br />

eingeschult <strong>und</strong> geistig stärker gefordert zu werden, aber das Verhalten <strong>und</strong><br />

die mangelnde Konzentration lassen derzeit noch an einer Schulreife<br />

zweifeln.<br />

Die Fortführung der logopädischen Therapie ist für beide Jungen, aber<br />

besonders für Moritz empfehlenswert. Da ein Umzug ins Ausland erfolgt ist,<br />

bleibt abzuwarten, wie die Jungen mit der neuen Umgebung <strong>und</strong> Sprache<br />

zurechtkommen werden. Hier könnten sich Probleme ergeben. Auch im<br />

Bereich der Motorik sollten beide Kinder weiter gefördert werden. Eine<br />

ergotherapeutische Maßnahme ist sinnvoll <strong>und</strong> besonders auch zum Ausbau<br />

der Konzentrationsfähigkeit erforderlich.<br />

Pädagogisch sollten klare Strukturen geschaffen werden, um dem<br />

oppositionellen Verhalten liebevoll aber konsequent Grenzen zu setzen. Hier<br />

empfiehlt sich gegebenenfalls der Einsatz von verhaltenstherapeutischen<br />

Ansätzen (Verstärkerplane, Time-out-Phasen etc.), wie sie bei Kindern mit


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 124<br />

Aufmerksamkeitsstörungen Anwendung finden. Beide Kinder brauchen auch<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer guten Intelligenz viele Anreize.<br />

5.1.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />

Die Ergebnisse zu den von uns untersuchten Kindern mit Apert- (N = 8)<br />

<strong>und</strong> Crouzon-Syndrom (N = 3), weisen zusammen anhand der K-ABC (bei<br />

dem 15;1 jährigen Jungen anhand des HAWIK) gemittelte Intelligenzwerte im<br />

Bereich der Lernbehinderung (Skala intellektueller Fähigkeiten) auf.<br />

Allerdings ergibt sich, wie schon aus den Fallbeispielen ersichtlich, eine<br />

erhebliche Variabilität bezüglich der Einzelleistungen (siehe Abb. 19). Die IQ-<br />

Werte liegen für die Skala intellektueller Fähigkeiten zwischen mittelgradiger<br />

geistiger Behinderung (IQ 52) <strong>und</strong> durchschnittlicher Intelligenz (IQ 105) für<br />

das Apert-Syndrom, beziehungsweise im Normalbereich (IQ 88 bis 113) für<br />

das Crouzon-Syndrom. Eine Aufteilung der Stichprobe in die Kinder mit<br />

Apert-Syndrom (mit <strong>und</strong> ohne ACC) <strong>und</strong> mit Crouzon-Syndrom zeigt etwas<br />

bessere Werte für die Apert-Kinder ohne Agenesie des Corpus Callosum <strong>und</strong><br />

deutlich bessere Werte für die Crouzon-Kinder (Tab. 7). Die Verlaufsbef<strong>und</strong>e,<br />

also Ergebnisse aus Wiederholungsdiagnostiken (Abb. 20) für die unter 5.1.1<br />

beschriebenen Crouzon-Zwillinge, zeigen nach unterschiedlichen<br />

Eingangsergebnissen, eine relativ übereinstimmenden Verlauf mit positiver<br />

Tendenz.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 125<br />

IQ-/Standardwerte<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Intelligenzverteilung beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom<br />

88<br />

100<br />

113 105<br />

67<br />

52<br />

61<br />

77<br />

65<br />

88<br />

C/J/4;4<br />

C/ZJ/2;6<br />

C/ZJ/2;6<br />

A/M/4;11<br />

A+ACC/J/6;3<br />

A/M/8;1<br />

A+ACC/M/8;5<br />

A/M/10;0<br />

A/M/10;11<br />

A/M/11;3<br />

A/J/15;1<br />

Abbildung 19: Intelligenzverteilung bei Kindern mit Apert- <strong>und</strong> Crouzon-<br />

Syndrom (N = 11) in der Alterspanne 2;6 bis 15;1 Jahre (A =<br />

Apert-Syndrom, C = Crouzon Syndrom, ACC = Agenesie des<br />

Corpus Callosum, M = Mädchen, J = Junge, ZJ =<br />

Zwillingsjunge).<br />

Tabelle 7: Mittelwerte <strong>und</strong> Standardabweichungen der Intelligenzwerte beim<br />

Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom mit <strong>und</strong> ohne Agenesie des Corpus<br />

Callosum (ACC)<br />

IQ<br />

Apert<br />

(N = 8)<br />

Apert o. ACC<br />

(N = 6)<br />

Apert/Crouzon<br />

(N = 11)<br />

Apert/Crouzon<br />

o. ACC (N = 9)<br />

77<br />

Crouzon<br />

(N = 3)<br />

MW 74.0 77.3 81.2 85.0 100.3<br />

STABW 16.7 18.3 19.5 19.5 12.5


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 126<br />

Standardwerte<br />

130<br />

110<br />

90<br />

70<br />

50<br />

Skala intellektueller Fähigkeiten (K-ABC)<br />

113<br />

100<br />

110 110<br />

104 105<br />

2;6 3;8 4;6 5;7<br />

123<br />

117<br />

Moritz<br />

Lucas<br />

Abbildung 20: Ergebnisse der Crouzon-Zwillinge über vier Messzeitpunkte<br />

(2;6 bis 5;7 Jahre) in der K-ABC.<br />

In den unteren Intelligenzgraden wurde die TBGB zur näheren<br />

Differenzierung herangezogen, hier ergaben sich einheitliche Ergebnisse an<br />

der oberen Grenze der Altersnorm für geistig behinderte Kinder. Trotz der<br />

großen intellektuellen Leistungsunterschiede zeigen die Kinder<br />

unterdurchschnittliche Leistungen im Bereich<br />

� der visuellen Analyse,<br />

� der räumlich-konstruktiven Leistungen (siehe auch Tabelle 8),<br />

� dadurch mitbedingt auch der visuell-räumlichen Merkfähigkeit<br />

unter räumlich-konstruktiven Bedingungen (DCS) <strong>und</strong><br />

� des formal-logischen, mathematischen Denkens.<br />

Die zeichnerischen Fähigkeiten sind beeinträchtigt (siehe Beispiele aus<br />

dem ATK <strong>und</strong> Hauszeichnung in Abb. 21). Die erwarteten visuo- <strong>und</strong><br />

graphomotorischen Einschränkungen zeigten sich jedoch nicht durchgängig,<br />

drei der Kinder zeigten hier ein altersgerechtes Resultat. Die der Literatur


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 127<br />

nach eingeschränkten auditiv-verbalen Merkfähigkeitsleistungen fielen stark<br />

unterschiedlich aus <strong>und</strong> waren nur bei einem Teil der Kinder auffällig.<br />

Allerdings zeigte sich durchgängig eine Interferenzanfälligkeit. Die Kinder mit<br />

ACC neigten dabei zur Verweigerung. Bei fünf Kindern konnten<br />

Reaktionszeitmessungen durchgeführt werden. Es zeigten sich verzögerte<br />

optische <strong>und</strong> akustische Reaktionslatenzen (WRG) <strong>und</strong> ein verzögertes<br />

psychomotorisches Tempo (WDG). In der Testbatterie zur<br />

Aufmerksamkeitsprüfung (TAP), fielen die Ergebnisse für die selektive<br />

Aufmerksamkeit unauffällig aus. Die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsteilung<br />

war dagegen mangelhaft. Alle Patienten hatten Artikulationsstörungen mit<br />

verwaschener bis teilweise sogar unkenntlicher Aussprache. Während die<br />

Artikulation unabhängig vom Intelligenzgrad beeinträchtigt war, traten Defizite<br />

im Sprach- <strong>und</strong> Instruktionsverständnis besonders bei Intelligenzminderung<br />

auf. Alle Kinder zeigten Auffälligkeiten im Bereich der Motorik. Im<br />

Apraxiebogen ergaben sich neben den zu erwartenden Einschränkungen der<br />

Gesichtspraxie, die auch nach Mittelgesichtkorrekturen fortbestanden, auch<br />

Schwierigkeiten<br />

� im Gleichgewicht,<br />

� in der Gesamtkörperkoordination <strong>und</strong><br />

� bei transitiven <strong>und</strong> bilateralen Bewegungsabläufen.<br />

Es konnte keine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Fehlbildungen<br />

<strong>und</strong> den kognitiven Einbußen beobachtet werden.<br />

Die Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung<br />

(Abb. 22) zeigten nur für den Bereich „Körperliche Bewegung“ (KB) Werte<br />

unterhalb des Cut-off-Wertes (80%). Hier kommen aber vor allem die<br />

Einzelergebnisse der Kinder mit begleitender Agenesie des Corpus Callosum<br />

zum Tragen, die sich als hyperaktiv zeigten.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 128<br />

a b c<br />

Abbildung 21: Zeichenleistungen eines 11jährigen Mädchens mit Apert-<br />

Syndrom ohne Intelligenzminderung: a <strong>und</strong> b Beispiele aus<br />

dem ATK, c Hauszeichnung.<br />

Tabelle 8: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests<br />

Untertests<br />

K-ABC WP STABW<br />

ZF 12.0 3.7<br />

WG 10.8 0.8<br />

HB 6.7 3.6<br />

GS 8.8 4.0<br />

ZN 8.3 3.0<br />

DR 4.7 2.9<br />

WR 5.6 2.9<br />

BE 6.3 1.5<br />

RG 5.4 1.4<br />

FS 3.8 1.9<br />

Anmerkungen. WP = Wertpunkt. Mittelwerte <strong>und</strong> Standardabweichungen<br />

der Ergebnisse von Apert <strong>und</strong> Crouzon-Kindern (N = 11,<br />

untertestabhängige Schwankungen) in den Untertests der Skala<br />

einzelheitliches Denkens (SIF, K-ABC). Zauberfenster (ZF),<br />

Wiedererkennen von Gesichtern (WG), Handbewegungen (HB),<br />

Gestaltschließen (GS), Zahlennachsprechen (ZN), Dreiecke (DR),


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 129<br />

Wortreihe (WR), Bildhaftes Ergänzen (BE), Räumliches Gedächtnis (RG),<br />

Fotoserie (FS).<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Apert <strong>und</strong> Crouzon<br />

SV KB UBI SAV ST<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 22: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung<br />

anhand des VB-KGS (SV = Sozialverhalten, KB =<br />

Körperliche Bewegung, UBI = unübliche<br />

Bewegungen/Interessen, SAV = selbstverletzendes/<br />

aggressives Verhalten, ST = Stimmung) beim Apert- <strong>und</strong><br />

Crouzon-Syndrom. Die Prozentangaben (Cut-off-Wert 80 %)<br />

beziehen sich auf den erreichbaren Maximalwert (N = 11).<br />

Die Bewertungen aus den Elternfragebögen (Abb. 23) ergaben Hinweise<br />

auf verminderte alltagspraktische Tätigkeiten. Das steht bei den Apert-<br />

Kindern vermutlich mit den Folgen der Syndaktylie im Zusammenhang.<br />

Unsere Beobachtungen zeigten jedoch, dass die Kinder trotzdem über eine<br />

recht gute Handgeschicklichkeit verfügten, so mag diese Einschätzung auch<br />

so interpretiert werden, dass den Kindern aufgr<strong>und</strong> der Handfehlbildungen<br />

wenig alltagspraktisches Geschick zugetraut <strong>und</strong> abverlangt wird.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 130<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB/KGS Apert <strong>und</strong> Crouzon<br />

PRT SPF SFV KBB<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 23: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS) für die Skalen<br />

Praktische Tätigkeiten (PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF),<br />

Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV) <strong>und</strong> Körperliche<br />

Besonderheiten/Beschwerden (KBB) beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-<br />

Syndrom (N = 11). Die Prozentangaben (Cut off-Wert 80%)<br />

beziehen sich auf den Maximalwert für unauffällige<br />

Entwicklung.<br />

Während wir das Sozialverhalten der Kinder als unauffällig bewerteten,<br />

fiel das Elternurteil etwas strenger aus. Da es sich um ein<br />

Fehlbildungssyndrom handelt, sind die angegebenen Probleme im Bereich<br />

der körperlichen Besonderheiten <strong>und</strong> Beeinträchtigungen erwartungsgemäß.<br />

5.2 Ergebnisse zum Fragilen-X-Syndrom<br />

Es wurden 11 Patienten mit Fragilem-X-Syndrom untersucht. Die<br />

Alterspanne betrug 7;5 bis 18;11 Jahre.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 131<br />

5.2.1 Fallbeispiele<br />

Für die Fallbeispiele zum Fragilen-X-Syndrom gilt das gleiche wie unter<br />

Punkt 5.1.1 beschrieben.<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Mirco, 9;8 Jahre (Fragiles-X-<br />

Syndrom)<br />

Laut der uns überlassenen Bef<strong>und</strong>e, wurde bei Mirco im Alter von sieben<br />

Jahren ein Fragiles-X-Syndrom diagnostiziert. Im Rahmen dessen bestehen<br />

eine Sprachentwicklungsstörung, Verhaltensauffälligkeiten im Sinne von<br />

aggressiven <strong>und</strong> autoaggressiven Tendenzen, eine allgemeine<br />

Entwicklungsverzögerung sowie Aufmerksamkeits- <strong>und</strong><br />

Hyperaktivitätsstörungen. Letztere werden mit Ritalin behandelt. Zudem<br />

bestehen ein Mitralklappenprolaps <strong>und</strong> eine Aortendilatation.<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Kaufman-Assessment Battery for Children (K-ABC); Testbatterie für<br />

geistig behinderte Kinder (TBGB) nach Bondy et al.; Auditiv-Verbaler Lerntest<br />

(AVLT, Kurzform) nach Heubrock; Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />

Heubrock et al.; Apraxie-Prüfung nach Brown.<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e<br />

Wir baten Mirco, ein Haus zu malen. Aufgr<strong>und</strong> der anamnestischen Daten<br />

<strong>und</strong> der Beobachtung bei anderen Kindern mit dem Fragilen-X-Syndrom<br />

erwarteten wir eine Anordnung von Kreisen <strong>und</strong> Strichen. Mirco malte jedoch<br />

ein deutlich erkennbares Haus mit Schornstein, zwei Fenstern <strong>und</strong> einer<br />

etwas zu hoch angesetzten Tür. Neben das Bild schrieb er seinen Namen in<br />

Druckbuchstaben. Beim Abzeichentest (ATK) zeigten sich dann aber die


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 132<br />

charakteristischen Probleme der Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom: die<br />

geometrischen Formen konnten zwar in einigen Ansätzen erfasst werden, bei<br />

der graphomotorischen Umsetzung zeigten sich jedoch deutliche<br />

Schwierigkeiten in der Größen- <strong>und</strong> Richtungserfassung. Teilweise konnten<br />

wir einen Gestaltzerfall erkennen.<br />

Zur Feststellung Mircos intellektueller Fähigkeiten, bezogen auf einzelne<br />

Teilleistungen, wurden zwei verschiedene standardisierte Testverfahren<br />

herangezogen: die Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC) <strong>und</strong><br />

die Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB). Bei der K-ABC führten<br />

wir zur differenzierteren Aussage fast alle Untertests (mit Ausnahme<br />

Lesen/Verstehen) durch, auch wenn nicht alle dieser Untertests für Mircos<br />

Altersklasse vorgesehen waren (Wortschatz). Die Untertests<br />

„Handbewegungen”, „Zahlennachsprechen” <strong>und</strong> „Wortreihe” überprüfen das<br />

Kurzzeitgedächtnis. Hier werden den Kindern Reize sowohl visuell als auch<br />

auditiv vorgegeben. Die Beantwortung erfolgt durch Nachahmen,<br />

Nachsprechen oder Zeigen. Mircos quantitative Ergebnisse liegen hier zwar<br />

weit unter dem Altersdurchschnitt, qualitativ war er im Gegensatz zu anderen<br />

Kindern mit dem Fragilen-X-Syndrom, die oftmals nur das letzte Item<br />

echolalieren beziehungsweise wiederholen, in der Lage, bis zu vier Reize in<br />

der richtigen Reihenfolge zu reproduzieren. Mircos auditiv-verbale Merk- <strong>und</strong><br />

Lernfähigkeit wurde zudem mit dem Auditiv-Verbalen Lerntest (AVLT,<br />

Kurzform) überprüft. Im ersten der fünf Durchgänge merkte sich Mirco drei<br />

der zehn Worte <strong>und</strong> konnte sich kontinuierlich auf bis zu acht Worte im<br />

letzten Durchgang steigern. Von häufigen Wiederholungen scheint Mirco<br />

somit zu profitieren.<br />

Bei Tests aus der Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC),<br />

die visuelles Erfassen <strong>und</strong> räumlich-konstruktives Umsetzen erforderten,<br />

zeigten sich uneinheitliche Ergebnisse, die für Kinder mit dem Fragilen-X-<br />

Syndrom aber durchaus charakteristisch sind. Handelte es sich um konkrete<br />

Objekte <strong>und</strong> logisches Zuordnen von Mustern, war Mirco in der Lage, einen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 133<br />

großen Teil der Aufgaben zu lösen (Gestaltschließen, Bildhaftes Ergänzen).<br />

Bei diesen Untertests liegen die erzielten Resultate im knappen<br />

Durchschnittsbereich seiner Altersklasse. Handelte es sich um abstrakte<br />

Formen, die nachgebaut werden sollten, fielen deutliche Schwierigkeiten auf<br />

(Dreiecke). Allerdings konnte Mirco bei diesem Test mehr richtige Leistungen<br />

erzielen, wenn ihm gestattet wurde, direkt auf der Vorlage nachzubauen.<br />

Räumliches Positionieren <strong>und</strong> chronologisches Ordnen einer<br />

Bildergeschichte überforderten Mirco (Räumliches Gedächtnis, Fotoserie).<br />

Hier konnte er fast keine der Aufgaben lösen.<br />

Bei einer Überprüfung seiner bisher angeeigneten Fertigkeiten stellte sich<br />

heraus, dass charakteristisch für Patienten mit einem Fragilen-X-Syndrom<br />

Schwierigkeiten mit Zahlen <strong>und</strong> mathematischen Operationen bestehen<br />

(Rechnen). Mirco war in der Lage, die Anzahl von Personen auf einem Bild,<br />

Zahlen <strong>und</strong> Formen zu identifizieren. Vergleiche (mehr als /weniger als)<br />

gelangen ihm jedoch nicht. Insgesamt liegen seine Ergebnisse weit unter<br />

dem Altersdurchschnitt. Bei Aufgaben, die das allgemeine Wissen abfragen<br />

(Gesichter <strong>und</strong> Orte), löste Mirco ein Drittel der Aufgaben <strong>und</strong> erzielte damit<br />

im Bereich der Fertigkeitenskala sein bestes Resultat. Der Untertest „Rätsel”<br />

misst das logisch-schlussfolgernde Denken. Hier konnte Mirco fast die Hälfte<br />

aller Aufgaben erfolgreich bewältigen. Herausragend ist sein Wortschatz.<br />

Dieser Untertest ist jedoch nur bis zu einem Alter von 4,11 Jahren<br />

vorgesehen. Im Untertest „Lesen/Buchstabieren” gelang es Mirco, einige<br />

Buchstaben zu identifizieren. Aufgr<strong>und</strong> optischer Ähnlichkeiten kam es hier<br />

zu Verwechslungen von „a” <strong>und</strong> „g”. Es fällt Mirco noch schwer, einzelne<br />

Buchstaben zu einem Wort zusammenzufügen.<br />

Die Auswertung der erreichten Punkte ergibt Werte, die im Bereich einer<br />

mittelgradigen geistigen Behinderung liegen, mit einer deutlichen Diskrepanz<br />

zwischen der sequentiellen Informationsverarbeitung <strong>und</strong> der ganzheitlichen<br />

Bearbeitung visuellen Materials, welche eine eindeutige Stärke von Mirco<br />

darstellt. Die Ergebnisse, die Mirco im Bereich seiner bisher erlernten


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 134<br />

Fertigkeiten erzielen konnte, zeigen einen deutlichen Entwicklungsrückstand.<br />

Zur weiteren Differenzierung in niedrigeren Intelligenzbereichen wurde die<br />

Testbatterie für geistig behinderte Kinder eingesetzt. In den Bereichen<br />

logisch-schlussfolgerndes Denken <strong>und</strong> allgemeine Intelligenz (CMM,<br />

BM+CM), sowie im Bereich der Merkfähigkeit - bezogen auf konkrete<br />

Anweisungen - (BA) <strong>und</strong> hinsichtlich seiner feinmotorischen Fähigkeiten (KP)<br />

erzielte Mirco Werte, die im Normbereich für geistig behinderte Kinder liegen.<br />

Bei der Überprüfung des Wortschatzes (PPVT) konnte Mirco das positive<br />

Ergebnis aus der Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC)<br />

bestätigen <strong>und</strong> hier sogar überdurchschnittliche Werte erzielen.<br />

Die Apraxie-Prüfung erfordert die Imitation verschiedener Bewegungen.<br />

Mirco ist muskulär hypoton. Dieses äußerte sich in Schwierigkeiten bei der<br />

Durchführung der Aufgaben zur Gesichtspraxie (z.B. saugen, pfeifen), zu<br />

intransitiven Bewegungen (z.B. Auto anhalten), zu transitiven Bewegungen<br />

(z.B. sägen <strong>und</strong> schrauben), zu bilateralen Bewegungen (z.B. Nägel feilen,<br />

Klavier spielen) <strong>und</strong> zu Ganzkörperkommandos (z.B. stehen wie ein Boxer).<br />

Ebenfalls fielen Gleichgewichtsunsicherheiten auf. Die Unterscheidung von<br />

Rechts <strong>und</strong> Links fiel Mirco sehr schwer.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Wir erlebten Mirco während der mehrstündigen Untersuchung als<br />

fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> kooperativ. Trotz Medikation mit Ritalin traten hyperaktive<br />

Verhaltensweisen auf. Mirco blieb zwar am Tisch sitzen <strong>und</strong> leistete allen<br />

Anweisungen Folge, hatte dabei aber immer seine Hände <strong>und</strong> Füße in<br />

Bewegung. Teilweise trat er die Untersucher unter dem Tisch, ohne es zu<br />

bemerken. Seine Unruhe äußerte sich auch in exzessivem Reden.<br />

Erstaunlich dabei war Mircos Ausdrucksfähigkeit. Er erzählte uns logisch<br />

strukturierte <strong>und</strong> mit Fremdwörtern versehene Geschichten. Seine<br />

Äußerungen waren immer kontextbezogen. Einzig die Artikulation bereitet<br />

noch Probleme: so spricht Mirco sehr verwaschen <strong>und</strong> ist daher nicht leicht


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 135<br />

zu verstehen.<br />

Mirco ist leicht ablenkbar <strong>und</strong> lenkt sich auch gerne selber ab, um<br />

Anforderungen zu entgehen. So musste er oft dazu angehalten werden, sich<br />

wieder auf die Aufgabenstellung zu konzentrieren. Insgesamt schien er<br />

konzentrationsstärker als andere Kinder mit dem Fragilen-X-Syndrom, da er<br />

oftmals weiterarbeiten statt pausieren wollte <strong>und</strong> auch keine<br />

Ermüdungsanzeichen zeigte. Mirco wirkte auf uns sehr offen <strong>und</strong><br />

begeisterungsfähig. Von den Eltern berichtete auto- <strong>und</strong> fremdaggressive<br />

Verhaltensweisen, konnten im Rahmen der Untersuchung nicht beobachtet<br />

werden.<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Mircos intellektuelle Fähigkeiten liegen insgesamt im Bereich der<br />

mittelgradigen geistigen Behinderung (Tab. 9). Seine Schwächen liegen vor<br />

allem im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses. Hier kann Mirco jedoch von<br />

häufigen Wiederholungen profitieren. Zudem hat er bereits<br />

Kompensationsstrategien (er lautierte beim Vorlesen der Wortlisten des<br />

AVLT mit) entwickelt, die ihm dabei helfen, sich auditiv dargebotenes Material<br />

leichter zu merken. Mircos Stärken bestehen in der visuellen Analyse<br />

konkreten Materials, während er zu abstrakten Formen keinen Bezug<br />

herstellen kann. Letzteres erschwert den Erwerb der Kulturtechniken. Jedoch<br />

scheint Mirco sehr gut gefördert, da es ihm gelang, seinen Namen zu<br />

schreiben <strong>und</strong> sowohl Buchstaben, als auch Zahlen zu identifizieren.<br />

Probleme im sprachlichen Bereich äußerten sich nur in<br />

Artikulationsschwierigkeiten. Im motorischen Bereich fielen Probleme<br />

hinsichtlich der Gesamtkörperkoordination auf. Mircos Vorliebe für konkrete<br />

Objekte sollte für seine weitere Förderung genutzt werden. Unterstützend<br />

sollte bildhaftes Material eingesetzt werden. So könnte es für ihn im Bereich<br />

der Kulturtechniken leichter sein, beispielsweise durch aussagekräftige Bilder<br />

von Buchstaben (z.B. ein „A” aus Äpfeln, usw.), weiteren Lernzuwachs zu


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 136<br />

erreichen.<br />

Mirco profitiert von einfachen, strukturierten Anweisungen <strong>und</strong> häufigen<br />

Wiederholungen, sowohl im schulischen als auch im privaten Bereich.<br />

Gegebenenfalls sollte auch hier unterstützend mit Bildkarten gearbeitet<br />

werden. Ebenso sollte im Bereich der Psychomotorik weiter an der<br />

Gesamtkörperkoordination gearbeitet werden. Wir halten die Durchführung<br />

einer Ergotherapie für sinnvoll, die sowohl auf seine motorische Koordination<br />

ausgerichtet ist, als auch seine visuellen Stärken weiter fördert. Auch in<br />

Bezug auf lebenspraktische Fähigkeiten sollte Mirco im Rahmen dessen<br />

weiter gefördert werden. Eine logopädische Behandlung sollte auf seine<br />

Artikulationsschwierigkeiten ausgerichtet sein.<br />

Aggressive oder autoaggressive Verhaltensweisen, die im Alltag<br />

auftreten, sollten durch einen Psychotherapeuten beobachtet <strong>und</strong> analysiert<br />

werden. Im Rahmen einer Verhaltenstherapie für geistig behinderte Kinder<br />

könnte dann eventuell dieses Verhalten schrittweise verlernt<br />

beziehungsweise umgelenkt werden.<br />

Tabelle 9: Psychometrisches Leistungsprofil von Mirco, 9;8 Jahre<br />

Psychometrisches Leistungsprofil<br />

Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang andere<br />

Intelligenz<br />

(RW)<br />

(PR) Werte/Bemerkungen<br />

CPM (aus TBGB) 15 -1,9 3 IQ: 72,<br />

unterdurchschnittlich<br />

K-ABC (SIF) 24 -3,1 0 SW: 53 (~IQ)<br />

unterdurchschnittlich<br />

(Bereich:<br />

mittelgradige geistige<br />

Behinderung)<br />

K-ABC (FS) 188 -3,4 0 unterdurchschnittlich<br />

(Bereich:<br />

mittelgradige geistige<br />

Behinderung)<br />

TBGB durchschnittlich im<br />

Bereich der geistigen<br />

Behinderung (CMM,<br />

BM+CM, BA, KP) bis<br />

überdurchschnittlich<br />

(PPVT)


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 137<br />

Merkfähigkeit<br />

AVLT/ Durchgänge<br />

Gekürzte Liste von<br />

10 Items<br />

Rohwerte<br />

A1 A2 A3 A4 A5 B1 A6<br />

3 4 6 8 8 n.d. n.d.<br />

Lernverlauf<br />

steigerungsfähig,<br />

Wiedererkennung: 10<br />

Richtige, 0<br />

Auslassungen, 17<br />

Falschnennungen<br />

Objekt- <strong>und</strong> Raumanalyse<br />

ATK R: 0 Auffälligkeiten -> Gestaltzerfall<br />

Sonstige<br />

- Motorische Funktionen: Unsicherheiten in der Gesamtkörperkoordination,<br />

Gleichgewichtsunsicherheiten, muskuläre Hypotonie<br />

- Apraxie-Bogen: intransitive <strong>und</strong> transitive Bewegungen, Ganzkörperkommandos<br />

<strong>und</strong> bilaterale Bewegungen schwierig, Schwierigkeiten bezüglich der<br />

Gesichtspraxie<br />

- Rechts-Links-Differenzierung: Unsicherheiten am eigenen Körper<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Stefan, 12;1 Jahre (Fragiles-X-<br />

Syndrom)<br />

Laut der uns überlassenen Bef<strong>und</strong>e wurde bei Stefan nachweislich des<br />

Untersuchungsheftes für Kinder in der U8 ein Fragiles-X-Syndrom<br />

diagnostiziert. Stefan nahm bisher an einer Festhaltetherapie, einer<br />

Beschäftigungstherapie <strong>und</strong> einer Verhaltenstherapie teil.<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Kaufman-Assessment Battery for Children (K-ABC); Testbatterie für<br />

geistig behinderte Kinder (TBGB) nach Bondy et al.; Auditiv-Verbaler Lerntest<br />

(AVLT, Kurzform) nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />

Heubrock, Apraxie-Prüfung nach Brown, Rechts-Links-Differenzierung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 138<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />

Stefans Händigkeit ist nicht klar ausgeprägt. Zwar nimmt er alles in die<br />

rechte Hand, malt <strong>und</strong> schreibt mit rechts, dennoch zeigten die Luria-Proben<br />

Lateralitätsunsicherheiten<br />

Wir baten Stefan, ein Haus zu malen. Dieser Aufforderung kam er mit<br />

Freude nach. Man kann erkennen, dass Stefan r<strong>und</strong>e Formen mag, da er das<br />

Haus als kleinen Kreis in einem großen Kreis darstellte. Aus eigenem Antrieb<br />

malte Stefan dann ein Fahrrad. Auf dem Bild befanden sich einige Kreise,<br />

von denen einer von Strichen durchzogen war, so dass ein Rad mit Speichen<br />

durchaus zu erkennen war.<br />

Zur Feststellung Stefans intellektueller Fähigkeiten, bezogen auf einzelne<br />

Teilleistungen, wurden zwei verschiedene standardisierte Testverfahren<br />

herangezogen: die Kaufmann-Assessment Battery for Children (K-ABC) <strong>und</strong><br />

die Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB). Bei der K-ABC führten<br />

wir zur differenzierteren Aussage alle Untertests (mit Ausnahme<br />

Lesen/Verstehen) durch, auch wenn nicht alle dieser Untertests für Stefans<br />

Altersklasse vorgesehen waren. Im Bereich des Gedächtnisses, sollte Stefan<br />

Reize, die ihm sowohl visuell als auch verbal vorgegeben wurden,<br />

reproduzieren (Handbewegungen, Zahlennachsprechen, Wortreihe). Hier fiel<br />

auf, dass Stefan sich jeweils am letzen Item orientierte <strong>und</strong> die vorherigen<br />

ignorierte. So nannte er beispielsweise beim Zahlennachsprechen immer nur<br />

die zuletzt genannte Zahl. Bei Tests, die visuelles Erfassen <strong>und</strong> räumlichkonstruktives<br />

Umsetzen erforderten, zeigten sich uneinheitliche Ergebnisse.<br />

Augenscheinlich war jedoch, dass Stefan viel mehr mit konkreten als mit<br />

abstrakten Formen anfangen konnte. Stefan ist besonders gut in der Lage,<br />

Einzelpersonen, die er sich nur ein paar Sek<strong>und</strong>en ansehen <strong>und</strong> einprägen<br />

konnte, auf Gruppenfotos zu identifizieren (Wiedererkennen von Gesichtern).<br />

Auch unvollständige konkrete Objekte konnte er benennen, wenn diese<br />

seinem Wortschatz entsprachen (Zauberfenster, Gestaltschließen). Aufgaben<br />

jedoch, die Muster Nachbauen, logisches Ergänzen, räumliches Positionieren


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 139<br />

oder chronologisches Ordnen erforderten, überforderten Stefan (Dreiecke,<br />

Bilder Ergänzen, Räumliches Gedächtnis, Fotoserie).<br />

Bei einer Überprüfung seiner bisher angeeigneten Fertigkeiten stellte sich<br />

heraus, dass Schwierigkeiten mit Zahlen <strong>und</strong> mathematischen Operationen<br />

bestehen (Rechnen). Stefan war nicht in der Lage, zwei Personen auf einem<br />

Bild korrekt abzuzählen. Demgegenüber gelang es ihm, die Buchstaben „A”<br />

<strong>und</strong> „T” auf einer Vorlage zu identifizieren (Lesen/Buchstabieren). Bei der<br />

Überprüfung seines Wortschatzes bezeichnete er alle Dinge, die er nicht<br />

kannte als „Fahne”. Er löste aber über die Hälfte der Aufgaben (Wortschatz).<br />

Bei Aufgaben, die das allgemeine Wissen oder logisch-schlussfolgerndes<br />

Denken erfordern (Gesichter <strong>und</strong> Orte, Rätsel), konnte Stefan einige wenige<br />

Items korrekt lösen.<br />

Die altersgemäße Auswertung der erreichten Punkte ergibt Werte, die im<br />

Bereich einer mittelgradigen geistigen Behinderung liegen. Demgegenüber<br />

ergibt die Auswertung in Altersklassen für weit jüngere Kinder ein Bild,<br />

wonach Stefan besonders in den Bereichen Wiedererkennen von Gesichtern,<br />

Wortschatz <strong>und</strong> Gesichter <strong>und</strong> Orte angemessene Leistungen erbringen<br />

kann.<br />

Zur weiteren Differenzierung in niedrigeren Intelligenzbereichen wurde die<br />

TBGB eingesetzt. In den Bereichen logisch-schlussfolgerndes Denken <strong>und</strong><br />

allgemeine Intelligenz (CMM, BM+CM) erzielte Stefan Werte, die knapp im<br />

Normbereich für geistig behinderte Kinder beziehungsweise knapp darunter<br />

liegen. Bei diesen Aufgaben nahm sich Stefan nicht die Zeit, alle möglichen<br />

Lösungen anzusehen, sondern zeigte oft perseverierend auf die erste (<strong>und</strong><br />

damit oft falsche) Lösungsmöglichkeit. Er schien hier freiwillig keine visuellen<br />

Suchbewegungen durchzuführen. Bei der Überprüfung des Wortschatzes<br />

zeigte Stefan oft unglaublich schnell auf die richtige Lösung. Hier erreichte er<br />

durchschnittliche Werte. Bezüglich der Merkfähigkeit (Befolgen von<br />

Anweisungen) liegt er ebenfalls im durchschnittlichen Bereich, hätte aber<br />

sicherlich noch bessere Werte erzielen können. Hier hemmte ihn seine


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 140<br />

Ordnungsliebe. Er tat nur teilweise das, was gefordert war <strong>und</strong> beschäftigte<br />

sich stattdessen häufig mit dem Einräumen des restlichen Materials. Zudem<br />

zeigten sich Schwierigkeiten bezüglich der Unterscheidung „auf/unter.” Die<br />

Verwechslung der Präpositionen kann in Bezug zu Stefans räumlichkonstruktiven<br />

Defiziten stehen. Stefans feinmotorische Fähigkeiten sind<br />

überdurchschnittlich gut ausgeprägt (Kreise punktieren). Es gelang ihm, alle<br />

110 Kreise richtig <strong>und</strong> vor Ablauf der Zeit mit einem Punkt zu versehen.<br />

Orientierend wurden weitere Prüfverfahren herangezogen: der AVLT<br />

überprüft die auditiv-verbale Merk- <strong>und</strong> Lernfähigkeit. Wir verwendeten für<br />

Stefan eine gekürzte Liste von zehn Wörtern. Nachdem wir die Liste ein<br />

erstes Mal vorgelesen hatten, reproduzierte Stefan drei Wörter aus dieser<br />

Liste richtig, benannte aber auch noch andere Wörter, die weit vorher in<br />

anderen Tests aufgetaucht waren, er konfabulierte also. Bei der<br />

Durchführung des AVLT konnte sich Stefan im fünften Durchgang auf sechs<br />

richtige Wiederholungen steigern. Nach Ablauf von einer halben St<strong>und</strong>e sollte<br />

er dann aus einer Liste von 33 Wörtern diejenigen identifizieren, die ihm<br />

vorher vorgelesen wurden. Hier bejahte er alle Wörter, was zum Einen daran<br />

liegen kann, dass er sie wirklich nicht erinnerte, zum anderen aber auch an<br />

Stefans mangelndem Instruktionsverständnis <strong>und</strong> der Neigung zur<br />

Perseveration.<br />

Beim Abzeichentest, bei dem mit Hilfe von Markierungslinien eine<br />

Vorlage abgezeichnet werden soll, fanden sich – wie beim Malen des Hauses<br />

– nur kreisförmige Anordnungen. Die Vorlagen wurden von Stefan weder<br />

visuell richtig erfasst noch zeichnerisch reproduziert, so dass man – wie so<br />

oft bei Kindern mit Fragilem-X-Syndrom – von einem Gestaltzerfall sprechen<br />

kann.<br />

Bei der Apraxie-Prüfung sollte Stefan verschiedene Bewegungen<br />

imitieren. Hier zeigten sich Schwierigkeiten in der Gesichts-Praxie: so pustete<br />

er, statt zu saugen oder leckte an der Unter- statt an der Oberlippe. Auch<br />

transitive Bewegungen, wie beispielsweise das Sägen oder das Benutzen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 141<br />

einer Schere konnte Stefan weniger gut imitieren. Unsicherheiten zeigten<br />

sich ebenfalls bei bilateralen Bewegungen, wie beim imitierten Klavierspielen.<br />

Insgesamt zeigten sich Unsicherheiten in der Gesamtkörperkoordination, vor<br />

allem im Bereich des Gleichgewichts. Bei Stefan besteht eine muskuläre<br />

Hypotonie. Die Rechts-Links-Differenzierung ergab Unsicherheiten sowohl<br />

bei der Durchführung am eigenen Körper, als auch beim Gegenüber.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Stefan begegnete uns als fre<strong>und</strong>licher <strong>und</strong> aufgeschlossener Junge. Er<br />

ging bereitwillig mit in den Untersuchungsraum <strong>und</strong> zeigte sich bezüglich der<br />

Testdurchführung als kooperativ. Am Ende jeder Untersuchungssequenz<br />

wurde er etwas unruhig <strong>und</strong> es fiel ihm dann offensichtlich schwer, seine<br />

Konzentration aufrecht zu erhalten. Manchmal wirkte er dann etwas<br />

überdreht, wippte mit dem Oberkörper <strong>und</strong> nestelte an den Vorlagen herum.<br />

Gut zu beobachten waren unübliche Bewegungen, wie beispielsweise das<br />

ständige Aneinanderreiben der Hände, das Kneten der Finger oder das<br />

Flattern der Hände. Stefan nahm zu uns Blickkontakt auf, vermied ihn aber<br />

auch manchmal, indem er seinen Kopf wiederholt verkrampft in seine<br />

Armbeuge steckte. Im sprachlichen Bereich fiel auf, dass Stefan eine zum<br />

Teil sehr deutliche Aussprache hat, auf der anderen Seite aber auch sehr<br />

verwaschen spricht <strong>und</strong> stottert. Nach Aussage der Bezugspersonen, ist<br />

letzteres auf ein traumatisches Ereignis zurückzuführen. Stefan spricht meist<br />

in Zwei-Wort-Sätzen. Von sich selbst spricht er in der dritten Person. Das<br />

Vermeiden von “Ich”-Benennungen <strong>und</strong> das Vermeiden von Blickkontakt,<br />

spricht für das Vorliegen von autistischen Zügen. Der Bereich des<br />

Sprachverständnisses ist bei Stefan zum Teil problematisch. Stefan verstand<br />

nicht immer die Instruktionen, so dass sie für jede einzelne Aufgabe<br />

wiederholt werden mussten. Auch echolalierte er oft das von der<br />

Untersucherin Gesagte, ohne es wirklich zu verstehen. So beschrieb er das,<br />

was er auf den Vorlagen sah, ohne es zu bearbeiten. Stefan wird als sehr


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 142<br />

hilfsbereit <strong>und</strong> ordentlich beschrieben. Dieses Verhalten war selbst in der für<br />

ihn ungewohnten Umgebung gut zu beobachten. Er räumte alle Materialien<br />

immer ordentlich wieder ein <strong>und</strong> konnte aufgr<strong>und</strong> dessen auch einen<br />

Untertest (Befolgen von Anweisungen) nicht mit voller Punktzahl lösen, da<br />

die Anforderungen hierbei nicht verändert werden dürfen. Nur einmal zeigte<br />

Stefan destruktives Verhalten, indem er eine Uhr vom Tisch warf. Als wir ihn<br />

baten, dieses zu unterlassen, fragte er nach einer Strafe. Wir waren sehr<br />

erschrocken <strong>und</strong> machten ihm klar, dass wir ihn nicht bestrafen würden. Als<br />

wir beim Ansehen eines Videos den sehr technik-interessierten Jungen daran<br />

hindern wollten, ständig den Film anzuhalten, kam die Frage wieder. Eine<br />

mögliche Erklärung erhielten wir im Nachhinein: da der Junge bis heute noch<br />

stuhlinkontinent ist, scheint er im Zuge der schulischen Sauberkeitserziehung<br />

zur Strafe kalt abgeduscht zu werden, wenn der Stuhl wieder einmal in der<br />

Hose gelandet ist. Da bekannt ist, dass Personen mit dem Fragilen-X-<br />

Syndrom oft ihr Leben lang inkontinent sind, halten wir diese Maßnahmen für<br />

überflüssig <strong>und</strong> für padagogisch überholt.<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Stefans intellektuelle Fähigkeiten liegen insgesamt im Bereich der<br />

mittelgradigen geistigen Behinderung (Tab.10). Es besteht eine unklare<br />

Händigkeit mit der Tendenz zur Rechtshändigkeit. Im Bereich der<br />

Gesamtkörperkoordination bestehen noch Unsicherheiten bezüglich des<br />

Gleichgewichts. Wie es für das Fragile-X-Syndrom typisch ist, reichen die<br />

Schwierigkeiten bei der visuellen Analyse <strong>und</strong> der räumlich-konstruktiven<br />

Umsetzung hin bis zum Gestaltzerfall. Konkrete Objekte sind dabei einfacher<br />

zu bearbeiten als abstrakte Formen, zu denen gar kein Bezug festgestellt<br />

werden kann. Das zeigte sich vor allem an den guten Leistungen im<br />

“Wiedererkennen von Gesichtern”. Auffällig war auch, dass Stefan teilweise<br />

keine visuellen Suchbewegungen durchführt. Er blieb praktisch auf der linken<br />

Seite der Vorlage <strong>und</strong> ignorierte weitere Bilder. Hier brauchte der Junge viel


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 143<br />

Ansprache, um die restlichen Lösungsmöglichkeiten mit zu berücksichtigen.<br />

Auch das räumliche Orientieren (unten, oben, neben, rechts, links) fällt<br />

Stefan schwer. Im sprachlichen Bereich zeigten sich zum Teil<br />

Verständnisschwierigkeiten <strong>und</strong> Echolalien. An der Erweiterung des<br />

Wortschatzes sollte weiter gearbeitet werden. Das Erlernen von<br />

Kulturtechniken, wie Lesen, Schreiben <strong>und</strong> Rechnen ist für Menschen mit<br />

dem Fragilen-X-Syndrom erschwert, umso erstaunlicher war es festzustellen,<br />

dass Stefan bereits zwei Buchstaben identifizieren konnte.<br />

Stefan ist ein fre<strong>und</strong>licher aufgeschlossener Junge, der, wenn er<br />

Vertrauen zu einer Person gefasst hat, gut zur Mitarbeit zu bewegen ist. Auch<br />

aus Berichten der Bezugspersonen haben wir erfahren, dass Stefan in der<br />

Therapie für autistische Behinderte aufgr<strong>und</strong> der Kind-Therapeut-Beziehung<br />

gute Erfolge erzielen konnte. Ebenfalls macht er den Besuch des Zahnarztes<br />

von dessen Person <strong>und</strong> der Umgebung abhängig. Eben weil Stefan einen<br />

starken Bezug zu seiner Familie <strong>und</strong> seinen Therapeuten braucht, ist es<br />

wichtig, auch zukünftig weitere Therapie- <strong>und</strong> Fördermaßnahmen von der<br />

durchführenden Person abhängig zu machen.<br />

So sollte dies auch im Bereich der Sprachheilförderung geschehen, deren<br />

Durchführung wir, zur Behebung des Stotterns <strong>und</strong> zur Erweiterung seines<br />

Wortschatzes, für sehr sinnvoll halten. Weil Stefan von Bildern mit konkreten<br />

Objekten profitiert, sollte man diese unbedingt als Hilfsmittel einsetzen. Da<br />

das Stottern aufgr<strong>und</strong> eines traumatischen Ereignisses eingetreten sein soll,<br />

halten wir weiterhin eine Verhaltenstherapie für geistig behinderte Kinder für<br />

sinnvoll.<br />

Bezüglich der Erweiterung der visuellen Suchbewegungen sollte seine<br />

Aufmerksamkeit immer wieder auf die unberücksichtige Seite gelenkt<br />

werden.<br />

An der Sauberkeitserziehung sollte zwar weiter gearbeitet werden, hierbei<br />

sollten aber keine zu großen Erwartungen an Stefan gestellt werden, da das<br />

Erlernen der Sauberkeitserziehung bei dem vorliegenden Krankheitsbild


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 144<br />

oftmals nicht gelingt. Trotzdem sollte versucht werden, durch<br />

verhaltenstherapeutische Maßnahmen, den Toilettengang zu fördern. Nach<br />

einer Verschmutzung vom Kind eine Reinigung zu verlangen, ist<br />

angemessen, sie sollte jedoch nicht wie bisher im Sinne einer Bestrafung mit<br />

kaltem Wasser erfolgen.<br />

Tabelle 10: Psychometrisches Leistungsprofil Stefan, 12;1 Jahre<br />

Psychometrisches Leistungsprofil<br />

Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang andere<br />

Intelligenz<br />

(RW)<br />

(PR) Werte/Bemerkungen<br />

K-ABC (SIF) 8 -4,0 0 IQ: ca. 40, mittelgradige<br />

geistige Behinderung<br />

K-ABC (FS) 153


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 145<br />

5.2.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />

Die Ergebnisse unserer Studie zeigen anhand der K-ABC, der<br />

Wechslerskalen <strong>und</strong> der TBGB (Abb. 24, 25 <strong>und</strong> Tab. 11 <strong>und</strong> 12)<br />

einheitliche Ergebnisse im Bereich der mittelgradigen geistigen Behinderung.<br />

Die Profilauswertung der K-ABC ergibt homogen (jeweils<br />

Standardabweichung von 0) defizitäre Leistungen für die Untertests der Skala<br />

„einzelheitliches Denken“ (SED: HB, ZN, WR), also im Bereich<br />

� der Merkfähigkeit <strong>und</strong><br />

� im räumlich-konstruktiven Untertest „Dreiecke“.<br />

Aber auch alle anderen Untertests fallen weit unterdurchschnittlich aus.<br />

Relative individuelle Stärken liegen im „Gestaltschluss“ <strong>und</strong> bei manchen<br />

Kindern in der visuell-logischen Zuordnung („Bildhaftes Ergänzen“).<br />

Im ATK <strong>und</strong> bei den Hauszeichnungen zeigten sich ein „Gestaltzerfall“<br />

<strong>und</strong> eine Tendenz zu r<strong>und</strong>en Formwiedergaben („Spiegeleizeichnungen“).<br />

Eine Betrachtung der Zeichenleistungen (siehe Abb. 26) lässt die<br />

feststellbaren ausgeprägten Schwierigkeiten im Erwerb der Kulturtechniken<br />

plausibel erscheinen.<br />

Interessant ist dabei die hier nicht zu beantwortende Frage, ob der<br />

„Gestaltzerfall“, bei dem die Kinder Formen in ungeordneter <strong>und</strong> teils<br />

unvollständiger Art <strong>und</strong> Weise wiedergeben, auf der anderen Seite einen<br />

Vorteil für die Kinder beim Erkennen unvollständiger Figuren<br />

(„Gestaltschluss“) bedeutet. Wenn hier tatsächlich ein Zusammenhang<br />

bestünde, würde das einige Vermutungen über die<br />

Wahrnehmungsverarbeitung der Kinder zulassen.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 146<br />

IQ-/Standardwerte<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Intelligenzverteilung beim Fragilen-X Syndrom<br />

41<br />

7;5<br />

J.<br />

51<br />

58<br />

43<br />

53<br />

7;6 J. 7;7 J. 8;1 J. 9;8 J. 10;1<br />

J.<br />

47 46<br />

11;8<br />

J.<br />

40<br />

12;1<br />

J.<br />

49<br />

12;5<br />

J.<br />

50<br />

14;7<br />

J.<br />

30<br />

18;11<br />

J.<br />

Abbildung 24: Intelligenzverteilung beim Fragilen-X-Syndrom (N = 11) in der<br />

Alterspanne 7;5 bis 18;11 Jahre.<br />

Tabelle 11: Untertestergebnisse der K-ABC beim Fragilen-X Syndrom (N<br />

= 9, 7;5-12;5 J.)<br />

Untertests<br />

K-ABC WP STABW<br />

HB 1.0 0.0<br />

GS 4.8 3.7<br />

ZN 1.0 0.0<br />

DR 1.0 0.0<br />

WR 1.0 0.0<br />

BE 1.6 0.8<br />

RG 1.4 0.5<br />

FS 1.4 0.5


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 147<br />

Tabelle 12: Untertestergebnisse in den Wechsler-Skalen<br />

T-Werte<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Untertests<br />

HAWIK-III/<br />

HAWIE-R<br />

WP<br />

STABW<br />

AW 1.0 0.0<br />

GF 4.0 4.2<br />

RD 1.0 0.0<br />

WT 1.0 0.0<br />

AV 1.5 0.7<br />

ZN 1.0 0.0<br />

BE 1.5 0.7<br />

ZS 1.0 0.0<br />

BO 1.0 0.0<br />

MT 1.0 0.0<br />

FL 2.0 1.4<br />

TBGB Fragiles-X<br />

CMM BM + CM PPVT BA KP<br />

MW<br />

STABW<br />

Abbildung 25: Ergebnisse der Testbatterie für geistig behinderte Kinder<br />

(TBGB) für die Gruppe mit Fragilem-X-Syndrom (N = 8, Alter<br />

7;5-12;1 J.). Die T-Werte beziehen sich auf die Population<br />

geistig behinderter Kinder. Untertests: Columbia Mental<br />

Maturity Scale (CMM), Bunte <strong>und</strong> Progressive Matrizen<br />

(BM+CM), Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT), Befolgen<br />

von Anweisungen (BA), Kreise Punktieren (KP).


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 148<br />

a b c<br />

Abbildung 26: Zeichenleistungen eines 11jährigen Jungen mit Fragilem-X-<br />

Syndrom: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK, c Hauszeichnung.<br />

Es fallen ein Gestaltzerfall <strong>und</strong> eine vorliebe für r<strong>und</strong>e Formen<br />

auf („Spiegeleizeichnungen“).<br />

Unsere Verhaltensbeobachtung (VB/KGS) ergab besondere<br />

Auffälligkeiten im Bereich der Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Hyperaktivität. Die Kinder<br />

waren dabei häufig ziellos aktiv. Des Weiteren war eine Fixierung auf<br />

bestimmte, individuell unterschiedliche Interessen bemerkbar. Im Bereich<br />

„Selbstverletzendes/aggressives Verhalten“ <strong>und</strong> „Stimmung“ fielen die Kinder<br />

während der Untersuchung nicht negativ auf (Abb. 27). Ergebnisse des<br />

Elternfragebogens (E-FB/KGS) zeigen für die Skalen Praktische Tätigkeiten<br />

(PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF), Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV)<br />

<strong>und</strong> Körperliche Besonderheiten/Beschwerden (KBB) Werte im als auffällig<br />

definierten Bereich (Abb. 28).


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 149<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Fragiles-X<br />

SV KB UBI SAV ST<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 27: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />

Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS (SV =<br />

Sozialverhalten, KB = Körperliche Bewegung, UBI = unübliche<br />

Bewegungen/Interessen, SAV = selbstverletzendes/aggressives<br />

Verhalten, ST = Stimmung) beim<br />

Fragilen-X-Syndrom. Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%)<br />

beziehen sich auf den erreichbaren Maximalwert (N = 11).<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB/KGS<br />

PRT SPF SFV KBB<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 28: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS) für die Skalen<br />

Praktische Tätigkeiten (PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF),<br />

Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV) <strong>und</strong> Körperliche<br />

Besonderheiten/Beschwerden (KBB) beim Fragilen-X-Syndrom


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 150<br />

(N = 11). Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%) beziehen<br />

sich auf den Maximalwert für unauffällige Entwicklung.<br />

5.3 Ergebnisse zum Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />

Es wird wie unter 5.1 <strong>und</strong> 5.2 verfahren. Es wurden 10 Patienten im Alter<br />

von 2;6 bis 19;4 Jahren untersucht.<br />

5.3.1 Fallbeispiele<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Alexandra, 16;8 Jahre (Mikrodeletion<br />

22q11)<br />

Laut der uns überlassenen humangenetischen Bef<strong>und</strong>e wurde bei<br />

Alexandra erst sechs Monate vor der Vorstellung bei uns ein<br />

Mikrodeletionssyndrom 22q11 diagnostiziert.<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Revidierter Hamburg Wechsler Intelligenztest für Kinder (HAWIE-R),<br />

Standard Progressive Matritzen (SPM) nach Raven, einfache optische <strong>und</strong><br />

akustische Reaktionszeiten sowie Wahlreaktionen am Wiener Reaktionsgerät<br />

(WRG), komplexe Aktionstestserie am Wiener Determinationsgerät (WDG),<br />

Zahlenverbindungstest (ZVT) nach Oswald <strong>und</strong> Roth, Diagnosticum für<br />

Cerebralschädigung (DCS) nach Weidlich <strong>und</strong> Lamberti, Auditiv-Verbaler<br />

Lerntest (AVLT) nach Heubrock, Abzeichentest für Kinder (ATK) nach<br />

Heubrock et al., Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) nach<br />

Zimmermann <strong>und</strong> Fimm, Apraxie-Prüfung nach Brown, Testbatterie zur<br />

visuellen Objekt-<strong>und</strong> Raumwahrnehmung (VOSP) nach Warrington <strong>und</strong>


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 151<br />

James sowie diverse orientierende Prüfverfahren.<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />

Zu Beginn der Untersuchung baten wir Alexandra, ein Haus zu zeichnen<br />

<strong>und</strong> anschließend ihren Namen darunter zu schreiben. Die Zeichnung war<br />

von sehr einfacher Struktur <strong>und</strong> von wenigen Details geprägt. Das Haus<br />

besaß keinen dreidimensionalen Ansatz. Alexandra schrieb ihren Namen <strong>und</strong><br />

ihre Adresse recht langsam, aber gut leserlich <strong>und</strong> fehlerfrei unter das Bild.<br />

Alexandras Lateralität ist ambidextrisch (HDT), das bedeutet, dass sie<br />

sowohl links- als auch rechtshändig gleichermaßen gut agieren kann. Es liegt<br />

also keine eindeutige Handpräferenz vor. Die Rechts-Links-Differenzierung<br />

gestaltete sich für Alexandra recht schwierig. Bereits bei einfachen<br />

Anforderungen am eigenen Körper konnten wir starke Unsicherheiten<br />

feststellen.<br />

Die Apraxieprüfung ergab, dass Alexandra im Großen <strong>und</strong> Ganzen in der<br />

Lage war, die ihr sowohl motorisch als auch verbal präsentierten Handlungen<br />

nachzuvollziehen <strong>und</strong> vorzuführen. Bei Alexandra bestehen Unsicherheiten<br />

im Bereich der bilateralen entgegengesetzten Bewegungen (z.B. Auswringen<br />

eines Handtuchs). Außerdem konnten wir eine starke Überstreckbarkeit der<br />

Knie-, Hand- <strong>und</strong> Fingergelenke feststellen.<br />

Alexandras allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit entspricht<br />

insgesamt einer leichten geistigen Behinderung (HAWIE-R). Bei<br />

differenzierter Betrachtung ihres individuellen Leistungsprofils zeigt sich, dass<br />

Alexandras Stärken im Bereich der sprachbezogenen Leistungen liegen. Es<br />

gelang ihr recht gut, Gemeinsamkeiten bei Wortpaaren zu finden <strong>und</strong> auch<br />

der “Wortschatztest”, fiel vergleichsweise besser aus als die im Handlungsteil<br />

geforderten Leistungen. Diese Diskrepanz zwischen guten sprachbezogenen<br />

<strong>und</strong> eher schlechten visuell-perzeptiven Leistungen können möglicherweise<br />

auf ihr Alter zurückgeführt werden, das ihr ermöglicht, tägliche<br />

Erfahrungswerte mit in die Lösung der Aufgaben einzubringen. Trotz des


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 152<br />

besseren Abschneidens im sprachbezogenen Teil fiel im gesamten<br />

Testverlauf auf, dass Alexandra ein begrenztes Instruktionsverständnis<br />

besitzt. Sie benötigte zusätzliche Erklärungen <strong>und</strong> Informationen zu den<br />

gestellten Aufgaben <strong>und</strong> war dennoch nicht in der Lage, sie altersgerecht zu<br />

erfüllen. Alexandra benötigte sehr viel Zeit bei der Bewältigung der Untertests<br />

des handlungsbezogenen Teils im HAWIE-R (Bilderergänzen, Bilderordnen,<br />

Mosaik-Test, Figurenlegen usw.). Beim Mosaik-Test beispielspielsweise war<br />

sie sehr wohl in der Lage, die Gestalt der ihr vor gelegten Muster zu<br />

reproduzieren, jedoch konnte sie dies nicht in der altersentsprechenden Zeit<br />

erledigen. Ihre Aufgabe war es, aus Würfeln abstrakte Muster nachzubauen.<br />

Alexandra wirkte sehr zögerlich <strong>und</strong> versuchte verschiedene Varianten, was<br />

dazu führte, dass sie fast ausnahmslos außerhalb der Zeitnorm lag.<br />

Die Ergebnisse des HAWIE-R werden durch eine sprachfreie<br />

Intelligenztestung (SPM) weiter gestützt. Wir gehen davon aus, dass bei<br />

Alexandra massive Probleme im Bereich der visuellen Analyse bestehen.<br />

Im mnestischen Bereich zeigte sich eine unterdurchschnittlich<br />

ausgeprägte unmittelbare Merkspanne. Alexandra konnte sich im Laufe<br />

mehrerer nachfolgender Lerndurchgänge nur mäßig steigern <strong>und</strong><br />

identifizierte im letzten Durchgang 10 der insgesamt 15 präsentierten Wörter.<br />

(AVLT). Bei der von der Untersucherin nach dreißigminütiger Unterbrechung<br />

vorgelesenen Wiedererkennungsliste konnte Alexandra alle Wörter richtig<br />

wiedererkennen, jedoch wird diese Leistung durch 8 von ihr gennante, nicht<br />

dazugehörige Wörter (Konfabulationen), relativiert.<br />

Die visuell-figurale Merk- <strong>und</strong> Lernfähigkeit (DCS) lag weit unter dem<br />

Durchschnitt. Die Leistungen in diesem Bereich werden von Alexandras<br />

leichten Defiziten im räumlich-konstruktiven Bereich, vor allem aber durch<br />

eine zu geringe unmittelbare Merkspanne beeinträchtigt. Die von ihr mit<br />

Holzstäbchen nachgelegten Muster wiesen teilweise Entstellungen der<br />

Mustervorgaben auf. So legte sie zum Teil andere, ihr vorher nicht<br />

präsentierte, Muster mit der Überzeugung, sie so <strong>und</strong> nicht anders gesehen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 153<br />

zu haben. Im zweiten Durchgang legte sie lediglich vier von den geforderten<br />

neun Mustern, <strong>und</strong> nur ein Muster davon entsprach den Vorlagen. Deshalb<br />

wurde ein Nachlege-Duchgang unter Ausschluss der Gedächtniskomponente<br />

durchgeführt, bei dem sie die Muster anhand der direkten Vorlage nachbauen<br />

sollte. Diese Aufgabe konnte von ihr deutlich besser bewältigt werden. Sie<br />

legte acht der neun Muster in diesem Durchgang richtig.<br />

Eine Überprüfung zur visuellen Objekt- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung (VOSP)<br />

ergab, dass Alexandra nur einen der neun Untertests gut bewältigen konnte.<br />

Es zeigten sich Schwierigkeiten sowohl im Bereich der Objektwahrnehmung,<br />

als auch in der Raumwahrnehmung<br />

Das Abzeichnen geometrischer Anordnungen unter räumlichkonstruktiven<br />

Bedingungen (ATK) fiel Alexandra schwer. Erneut stellten wir<br />

fest, dass ihr Arbeitstempo sehr langsam war <strong>und</strong> die von ihr produzierten<br />

Muster, Fehler in der Größe, der Raumrichtung <strong>und</strong> der Position aufwiesen.<br />

Zum Teil war Alexandra nicht in der Lage die Markierungshilfen als solche zu<br />

erkennen <strong>und</strong> wirkte irritiert.<br />

Im psychomotorischen Bereich zeigten sich zunächst durchschnittliche<br />

Ergebnisse. Die einfachen optischen, akustischen <strong>und</strong> die komplexeren<br />

Wahlreaktionsgeschwindigkeiten (WRG) waren altersentsprechend. Bei der<br />

bilateralen psychomotorischen Koordinationsgeschwindigkeit (WDG),<br />

erreichte Alexandra ein unterdurchschnittliches Ergebnis.<br />

Das visuomotorische Tempo bei einer einfachen monotonen<br />

Routinetätigkeit (ZVT) lag bei Alexandra nicht im Altersnormbereich. Bei<br />

diesem Test müssen Zahlen ihrer Reihenfolge nach mit einem Bleistift<br />

möglichst schnell <strong>und</strong> ohne Fehler verb<strong>und</strong>en werden. Alexandra wollte diese<br />

Aufgabe sehr schnell erfüllen <strong>und</strong> wurde etwas aufgeregt <strong>und</strong> unruhig in<br />

dieser Testsituation. Mehrere Male verband sie nicht aufeinanderfolgende<br />

Zahlen <strong>und</strong> setzte zudem den Bleistift häufig beim Suchprozess ab.<br />

Alexandras Fähigkeit, schnelle visuelle Suchprozesse am Computer<br />

durchzuführen (TAP, Visuelles Scanning), lag unter der Altersnorm.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 154<br />

Im TAP-Untertest zur geteilten Aufmerksamkeit zeigten sich ebenfalls<br />

unterdurchschnittlich schnelle Reaktionszeiten, einige Auslassungen <strong>und</strong><br />

Fehler in der Reizbeantwortung. Im Bereich der selektiven Reizhemmung<br />

(Go/Nogo) reagiert Alexandra zwar durchschnittlich schnell, aber fehlerhaft<br />

<strong>und</strong> mit Auslassungen. Alexandra benötigte während der Tests zur<br />

Aufmerksamkeitsprüfung mehrere Vorversuche <strong>und</strong> es zeigte sich, dass es<br />

ihr schwer fiel sich auf die unterschiedlichen Versuchsinstruktionen<br />

einzustellen.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Als wir Alexandra am Morgen der Untersuchung aus dem Wartezimmer<br />

abholten, begegnete uns ein sehr schüchtern wirkendes Mädchen, das<br />

zunächst keinen Blickkontakt zu uns aufnahm. Alexandras körperliche Statur<br />

ist eher zierlich <strong>und</strong> klein. Sie sprach zunächst recht leise <strong>und</strong> etwas<br />

<strong>und</strong>eutlich. Es gelang uns im Rahmen der ersten Untersuchungseinheit das<br />

Eis zu brechen, <strong>und</strong> Alexandra erzählte uns bereitwillig von ihren schulischen<br />

<strong>und</strong> auch außerschulischen Aktivitäten. Während der mehr als vierstündigen<br />

Untersuchung zeigte sich Alexandra immer fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> kooperativ.<br />

Besonders aufgefallen ist uns, dass Alexandra ein großes Interesse an<br />

medizinischen Themen <strong>und</strong> Phänomenen besitzt. Sie ließ sich von uns sehr<br />

genau erklären, was eine humangenetische Untersuchung ist <strong>und</strong> fragte in<br />

diesem Kontext sehr detailiert nach. Auch bei den Beispielen, die sie in<br />

einigen Testsequenzen gab, zog sie immer wieder Parallelen zu<br />

naturwissenschaflich-medizinischen Bereichen.<br />

Alexandra gab sich bei allen von uns durchgeführten Tests große Mühe<br />

genau <strong>und</strong> sorgfältig zu arbeiten. Es war ihr peinlich, wenn sie Testfragen<br />

nicht beantworten konnte, <strong>und</strong> sie kommentierte diese Peinlichkeit mit den<br />

Worten: „Naja, so schlau bin ich eben nicht!”. Alexandra wirkte sehr schnell<br />

irritierbar <strong>und</strong> leicht ablenkbar <strong>und</strong> hatte häufiger Schwierigkeiten,<br />

Instruktionen zu verstehen <strong>und</strong> sie umzusetzen.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 155<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Die hier ambulant durchgeführte neuropsychologische Diagnostik<br />

erbrachte ein insgesamt unterdurchschnittliches Intelligenzniveau im Bereich<br />

der leichten geistigen Behinderung (Tab. 13). Massive Schwierigkeiten<br />

bestehen vor allem im Bereich der Aufmerksamkeit, der unmittelbaren<br />

Merkspanne <strong>und</strong> zum Teil auch in den räumlich-konstruktiven <strong>und</strong> visuellanalytischen<br />

Fähigkeiten.<br />

Da Alexandra insgesamt bei entsprechender Motivationslage über eine<br />

hohe Leistungsbereitschaft <strong>und</strong> eine ges<strong>und</strong>e Neugier verfügt, bietet sich hier<br />

ein Ansatz zur therapeutischen Ressourcenentwicklung. Unsere Erfahrungen<br />

in der Kontaktaufnahme mit Alexandra konnten zeigen, dass ein<br />

vertrauensvolles Verhältnis gut aufzubauen ist, wenn Alexandra sich<br />

bezüglich Ihrer Probleme <strong>und</strong> Interessen ernst genommen fühlt.<br />

Tabelle 13: Psychometrisches Leistungsprofil Alexandra, 16;8 Jahre<br />

Psychometrisches Leistungsprofil<br />

Testverfahren Rohwert z-Wert Prozentrang andere<br />

Intelligenz<br />

(RW)<br />

(PR) Werte/Bemerkungen<br />

SPM 12 -2,8 0 IQ: 55-60 – leichte<br />

geistige Behinderung<br />

HAWIE-R (gesamt) 50 -2,6 0 IQ: 60, geistige<br />

Behinderung<br />

HAWIE-R (VT) 31 -1,7 46 IQ: 74,<br />

Lernbehinderung<br />

HAWIE-R (HT)<br />

Psychomotorik<br />

19


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 156<br />

Aufmerksamkeit<br />

GeteilteAufmerksam MD 735 MD: -2,0 MD 2<br />

-keit (TAP)<br />

Auslassungen<br />

SD 390<br />

4<br />

SD: -5,2 SD 0<br />

SD SD SD<br />

Go/Nogo (TAP) MD: 398 MD: +0,5 MD: 69<br />

Fehleranzahl<br />

SD: 167<br />

7<br />

SD: -2,0 SD: 2<br />

Visuelles Scanning MD: 3001 MD: -1,3 MD: 10<br />

(TAP); kritische<br />

Reize<br />

Auslassungen<br />

Visuelles Scanning;<br />

SD: 1378<br />

3<br />

MD: 5174<br />

SD: 1477<br />

SD: -0,8<br />

MD: -1,5<br />

SD: -2,6<br />

SD: 21<br />

MD: 7<br />

SD: 0<br />

nicht-kritische Reize<br />

Unterdurchschnittlich<br />

unterdurchschnittlich<br />

(F:1)<br />

durchschnittlich<br />

unterdurchschnittlich<br />

3 Auslassungen<br />

Unterdurchschnittlich<br />

Knapp<br />

durchschnittlich<br />

unterdurchschnittlich<br />

unterdurchschnittlich<br />

Merkfähigkeit<br />

DCS 14 -3,0 0 Auffällig<br />

(Nachlegedurchgang:<br />

8 von 9 richtig)<br />

AVLT/ Durchgänge A1 A2 A3 A4 A5 B1 A6 Kurzfristige<br />

Rohwerte 4 5 6 10 10 3 9<br />

Merkspanne <strong>und</strong><br />

Lernverlauf<br />

unterdurchschnittlich,<br />

Wiedererkennensleistung:<br />

15 R.,8 F.<br />

(Normen für 15-<br />

Jährige)<br />

Objekt- <strong>und</strong> Raumanalyse<br />

ATK R: 2 Auffälligkeiten bei Größe, Richtung, Position<br />

VOSP<br />

Sonstige<br />

Auffälligkeiten in 4 von 9 Untertests, 2 grenzwertig, 3 erfolgreich<br />

Rechts-links-Differenzierung: am eigenen Körper bereits bei einfachen Anforderungen<br />

unsicher<br />

motorische Funktionen: unauffällig<br />

Apraxie: nur bei bilateralen entgegengesetzten Bewegungen Unsicherheiten ,<br />

überstrechbare Gelenke<br />

Luriaproben; Daumen, Arm, Auge links führend, Schreibprobe: Rechtshändigkeit, HDT:<br />

Ambidextrie.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 157<br />

Neuropsychologische Bef<strong>und</strong>e zu Jim, 8;7 Jahre (Mikrodeletion 22q11)<br />

Jim reagiere sensibel auf Veränderungen, er brauche feste Strukturen<br />

<strong>und</strong> reagiere häufig mit Wutausbrüchen. Er neige zu zwanghaften<br />

Verhaltensweisen. Hautunebenheiten puhle er weg, er kratze sich blutig. In<br />

seinem Essverhalten sei er in letzter Zeit maßlos, er esse viel <strong>und</strong> alles<br />

durcheinander. Er sei stimmungslabil <strong>und</strong> besonders in der dunklen<br />

Jahreszeit sehr weinerlich. Innerhalb der Schule sei Jim insgesamt integriert,<br />

aber er messe sich gerne mit anderen Mitschülern <strong>und</strong> „stecke sein<br />

Territorium” ab. Im außerschulischen Bereich seien Gruppensituationen sehr<br />

schwierig. Jim sei ein Außenseiter <strong>und</strong> werde schnell aggressiv. Er wisse<br />

nicht, wie er auf andere Kinder zugehen solle. Auch Betreuern gegenüber<br />

reagiere er provokativ („spuckt gegen die Scheibe vom Bus”) <strong>und</strong> wird zum<br />

Teil verbal ausfallend („Ich zieh` dir dann den Pimmel lang!”). Es sei unklar,<br />

woher er diese Begriffe aufschnappe, den Eltern sei unterstellt worden, dass<br />

Jim Sexfilme gucke. Seine Mutter sagte: „Er kann ganz widerlich sein, aber<br />

eigentlich ist er ein ganz lieber Kerl!”. Auch in unserer<br />

Untersuchungssituation war Jim zunächst wirklich sehr lieb <strong>und</strong> reagierte erst<br />

bei Überforderung aggressiv (siehe Verhaltensbeobachtung). Er sei sehr auf<br />

seine Mutter <strong>und</strong> die Oma fixiert. Benötige bestimmte Stofftiere. In letzter Zeit<br />

habe er begonnen, von sich aus Außenkontakt zu fordern <strong>und</strong> er habe jetzt<br />

auch einen Spielfre<strong>und</strong>. Auch gegen seinen Bruder reagiere er manchmal<br />

aggressiv <strong>und</strong> leide ihm gegenüber unter einem “Unterlegenheitsgefühl”.<br />

Im Bereich der praktischen Tätigkeiten könne er sich ohne Hilfe an- <strong>und</strong><br />

auskleiden (außer Jacke <strong>und</strong> Schuhe) <strong>und</strong> sich selbst auch mal ein Brot<br />

schmieren, aber er benötige ständige Aufsicht <strong>und</strong> verrichte sein<br />

Körperpflege nicht selbständig.<br />

Angewandte Testverfahren<br />

Kaufman-Assessment Battery für Kinder (K-ABC), Auditiv-Verbaler-


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 158<br />

Lerntest (AVLT) nach Heubrock, Testbatterie für geistig behinderte Kinder<br />

(TBGB), Abzeichentest für Kinder (ATK) nach Heubrock et al., Apraxie-<br />

Prüfung nach Brown, Überprüfung der motorischen Funktionen, Malprobe,<br />

Elternfragebogen, Verhaltensbeobachtung.<br />

Neuropsychologischer Bef<strong>und</strong><br />

Zur Erfassung von Jims intellektuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> seiner bisher<br />

erlernten Fertigkeiten wurde die K-ABC angewendet. In der K-ABC werden<br />

keine IQ-Werte angegeben, die Standardwerte sind aber dementsprechend<br />

zu bewerten Hier erreichte Jim Skalenwerte, die im Bereich einer<br />

mittelgradigen geistigen Behinderung liegen <strong>und</strong> im folgenden genauer<br />

erläutert werden. Bei der „Skala einzelheitlichen Denkens” (SED) werden die<br />

Leistungen des Kurzzeitgedächtnisses überprüft. Die Reize wurden Jim<br />

sowohl visuell als auch auditiv zur Reproduktion vorgegeben<br />

(Handbewegungen, Zahlennachsprechen, Wortreihe). Hier zeigte sich, dass<br />

er in der Lage war, einzelne Reize durch Nachsprechen oder Zeigen zu<br />

wiederholen, dass bei mehreren Reizen aber meist nur der letzte behalten<br />

oder die Reihenfolge vertauscht wurde. Das Nachahmen von<br />

Handbewegungen fiel ihm besonders schwer, obwohl er dabei verkündete,<br />

das sei ja “pippig leicht!”. Die Skala einzelheitlichen Denkens stellt aber<br />

insgesamt in diesem Testverfahren Jims Leistungsschwerpunkt da<br />

(Standardwert 67), da Jim im „Zahlennachsprechen” nur um einen Wertpunkt<br />

den Altersdurchschnitt (nicht behinderter Kinder) verfehlte <strong>und</strong> bei der<br />

„Wortreihe” um zwei Wertpunkte.<br />

Aufgaben, die visuelles Erfassen <strong>und</strong>/oder eine räumlich-konstruktive<br />

Umsetzung erforderten, fielen Jim zum Teil erheblich schwer (Dreiecke,<br />

Räumliches Gedächtnis, Fotoserie, Bildhaftes Ergänzen), so dass er dort<br />

kaum Anforderungen bewältigen konnte. Etwas bessere, aber dennoch weit<br />

unterdurchschnittliche Leistungen zeigte er im Untertest “Gestaltschließen”.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 159<br />

Insgesamt erreichte Jim für die “Skala ganzheitlichen Denkens” (SGD) einen<br />

Standardwert von 41. Einige durchgeführte Untertests wurden vor Erreichen<br />

der Altersgrenze abgebrochen.<br />

Bei den bisher erlernten Fertigkeiten („Fertigkeitenskala) fiel auf, dass bei<br />

Jim der Umfang des allgemeinen Faktenwissens (Gesichter <strong>und</strong> Orte) <strong>und</strong><br />

seiner rechnerischen Fertigkeiten (Rechnen) deutlich schlechter ausgeprägt<br />

sind als seine Fertigkeit logische Einordnungen anhand von verbalen<br />

Hinweisreizen (Rätsel), vorzunehmen. Letzteres gelingt ihm fast noch<br />

altersgerecht. Einzelne Buchstaben kann Jim zum Teil richtig benennen.<br />

Insgesamt erreicht er einen Standardwert von 52.<br />

Beim zusätzlich orientierend durchgeführten Untertest „Wortschatz”, für<br />

den es in Jims Altersklasse keine Werte mehr gibt, weil er nur für die<br />

Altersklasse bis 4;11 J. vorgesehen ist, konnte Jim fast alle Aufgaben lösen.<br />

Gemessen an der Altersklasse 4;11 J. hätte er ein überdurchschnittliches<br />

Ergebnis erreicht.<br />

Um Jims Entwicklungsalter näher einzuschätzen, haben wir verglichen,<br />

für welche Altersstufen seine Rohwerte ein noch knapp normgerechtes<br />

Resultat ergeben würden:<br />

Handbewegungen = 5;6-5; 8 J.<br />

Gestaltschließen = 5;6-5; 8 J.<br />

Zahlennachsprechen = 7;3-7;5 J.<br />

Dreiecke = < 4;0 J<br />

Wortreihe = 7;6-7;8 J.<br />

Bildhaftes Ergänzen = 5;3 bis 5;5 J.<br />

Räumliches Gedächtnis = 5;6-5; 8 J.<br />

Fotoserie = nicht vergleichbar, weil keine richtige Lösung, aber mind. < 6;0 J.<br />

Lesen/Verstehen = nicht vergleichbar, weil keine richtige Lösung, aber mind.<br />

< 7;0 J.<br />

Lesen/Buchstabieren = nicht vergleichbar, weil zu wenig richtige Lösungen,<br />

mind. < 7;0 J.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 160<br />

Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass der Entwicklungsrückstand des<br />

Jungen etwa drei Jahre beträgt. Da die K-ABC nur Vergleiche zu Kindern<br />

ohne Behinderung ermöglicht, haben wir zusätzlich die Testbatterie für<br />

geistig behinderte Kinder (TBGB) angewandt. Hier liegt Jim in den Bereichen<br />

Intelligenz, Sprache, Merkfähigkeit <strong>und</strong> Motorik im Durchschnitt dessen, was<br />

geistig behinderte Kinder leisten können. Das logisch-schlussfolgernde<br />

Denken <strong>und</strong> die sprachlichen Fähigkeiten liegen etwas besser, im gut<br />

durchschnittlichen Bereich.<br />

Beim Lernen einer vorgelesenen Wortliste (AVLT) zeigt Jim eine noch<br />

durchschnittliche unmittelbare Merkspanne, im Lernverlauf konnte er jedoch<br />

nicht ausreichend von der mehrfachen Wiederholung der Wortliste profitieren,<br />

so dass er in den unterdurchschnittlichen Bereich abfällt. Zudem zeigte sich<br />

ein sogenannter Recency-Effekt, dass heißt Jim erinnerte hauptsächlich die<br />

zuletzt gehörten Begriffe der Liste. Außerdem nannte Jim auch eine Reihe<br />

von Begriffen, die nicht in der Liste enthalten waren, die aber eventuell<br />

assoziativen Charakter hatten, so enthielt die Liste beispielsweise Begriffe<br />

wie „Fluss, Ente, Garten”, Jim nannte diese Wörter, aber zusätzlich auch<br />

falsch: „Teich, Bach, Fische, Schwäne”. Zum Begriff „Eltern” ergänzte er<br />

„Oma, Opa”, mit dem von ihm fälschlich genannten Begriff „Arbeiten” brachte<br />

er möglicherweise das Wort „Schule” in Zusammenhang. Trotz<br />

entsprechenden Hinweisen, behielt er einige Fehler über den gesamten<br />

Lernverlauf von fünf Durchgängen bei. Auf die Vorgabe der Störreizliste<br />

wurde unsererseits verzichtet. Als wir nach etwa 30 Minuten anhand einer<br />

Wiedererkennungsliste überprüfen wollten, wieviel der gelernten Wörter Jim<br />

noch erinnert, konnte er zwar einige der Begriffe wiedererkennen, allerdings<br />

„erkannte” er auch etwa gleichviel fremde Begriffe wieder. Außerdem fiel auf,<br />

dass Jim besonders die Begriffe als „unbekannt” beurteilte, die er in den<br />

Lerndurchgängen immer gewusst hatte. Hier ist daher fraglich, inwieweit Jim<br />

auf diese Weise versucht hat, sich der gestellten Anforderung zu entziehen<br />

oder sie nicht verstanden hat.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 161<br />

Das Abzeichnen geometrischer Figuren anhand von Markierungshilfen<br />

(ATK) gelang Jim nicht. Neben einer ungelenken Graphomotorik kam hier<br />

auch seine beeinträchtigte visuo-konstruktive Leistungsfähigkeit zum Tragen.<br />

Während er ein Muster (Ähnlichkeit mit dem Buchstaben „B”) wiedergeben<br />

konnte, kam es bei den anderen zu einem regelrechten “Gestaltzerfall”.<br />

Im Bereich der “Körpermotorik” bestehen noch Einschränkungen der<br />

Ganzkörperkoordination. So fiel es Jim beispielsweise schwer, auf einem<br />

Bein zu stehen oder mit beiden Füßen gleichzeitig zu hüpfen. Seitliches Hin<strong>und</strong><br />

Herspringen gelang ihm dagegen. Einen “Hampelmannsprung”<br />

verweigerte er. Insgesamt ist Jim deutlich hypoton. Einen gut gezielten Ball<br />

oder Tennisring kann Jim fangen, das Werfen ist dagegen unkoordiniert <strong>und</strong><br />

schlecht dosiert. Jim ist Linkshänder.<br />

Bei der Apraxieprüfung verweigerte er sich beinahe komplett, nur<br />

einfache Vorgaben ahmte er uns nach. Die Gesichtspraxie scheint insgesamt<br />

unauffällig.<br />

Im Bereich der expressiven Sprache fiel auf, dass Jim bei hörbaren<br />

Atemproblemen <strong>und</strong> hypotoner M<strong>und</strong>motorik gedeckt spricht. Die Artikulation<br />

ist noch <strong>und</strong>eutlich (z. B. “Tronnel” statt “Trommel”), teilweise beginnt er<br />

Worte mit “H” (“hünf” = “fünf”). Der passive Wortschatz ist vergleichsweise<br />

gut, das Instruktionsverständnis jedoch mangelhaft.<br />

Untersuchungsbegleitende Verhaltensbeobachtung<br />

Zu Beginn der Untersuchung zeigte sich Jim kooperativ, fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong><br />

zugewandt. Jim sei nach Aussagen der Mutter Therapie- <strong>und</strong><br />

Untersuchungssituationen gewohnt <strong>und</strong> mache da gut mit. Er nahm<br />

Blickkontakt auf <strong>und</strong> ließ sein mitgebrachtes Kuscheltier im Wartezimmer<br />

zurück. Er saß in einer erwachsen wirkenden Haltung mit überschlagenen<br />

Beinen. Bei den Aufgabenstellungen benötigte er häufige Wiederholungen,<br />

da er unsere Instruktionen nicht verstand. Er zählte bis 39 <strong>und</strong> konnte<br />

Formen <strong>und</strong> Farben richtig benennen. Sollte er jedoch im Untertest


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 162<br />

„Dreiecke”, Formen aus blauen <strong>und</strong> gelben Schaumgummiteilen<br />

zusammenfügen, gelang ihm entweder nur die richtige Form oder nur die<br />

richtige Farbe. Bei komplexeren Mustern gelingt ihm die Form nicht mehr.<br />

Nach einiger Zeit wurde er unruhig <strong>und</strong> fiel fast vom Stuhl. Er zappelte mit<br />

den Beinen <strong>und</strong> schob sich mit dem Stuhl vom Tisch weg. Er war sehr<br />

ablenkbar <strong>und</strong> wendete sich jeder Geräuschquelle zu. Für einige Aufgaben<br />

(z. B. Malen, Handbewegungen) ließ er sich schnell begeistern <strong>und</strong> zeigte<br />

sich subjektiv mit seinen Leistungen sehr zufrieden („Ha, das ist ja pippig<br />

leicht, ha das kann ich!”), auch wenn er objektiv große Schwierigkeiten hatte,<br />

die Aufgabe zu bewältigen. Beim Erreichen seiner Leistungsgrenze reagierte<br />

er distanzlos, provokativ <strong>und</strong> verbal aggressiv: „Alte Oma, ich will dir in die<br />

Scheide pieken, mit `ner Nadel!”.<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Jims allgemeine intellektuelle Fähigkeiten liegen im Bereich der<br />

mittelgradigen geistigen Behinderung. Defizite bestehen vor allem im visuellanalytischen<br />

<strong>und</strong> visuell-konstruktiven <strong>und</strong> motorischen Bereich. Jim verfügt<br />

über eine geringe Aufmerksamkeitsspanne <strong>und</strong> zeigte eine erhöhte<br />

Ablenkbarkeit. Besonders auf Überforderung reagiert Jim provokativ <strong>und</strong><br />

verbal aggressiv. Seine relativen Stärken liegen im verbal-auditiven Bereich<br />

<strong>und</strong> im logisch schlussfolgernden Denken. Insgesamt ist in der<br />

Gesamtproblematik von einer erheblichen Einschränkung der geistigen <strong>und</strong><br />

sozialen Entwicklung auszugehen, die unserer Einschätzung nach einem<br />

Behinderungsgrad von mindestens 80 % entspricht.<br />

Jim benötigt eine ganzheitliche heilpädagogische Förderung. Neben<br />

Körperwahrnehmung, –koordination <strong>und</strong> der allgemeinen Motorik, sollte der<br />

sprachliche Bereich als individuelle Stärke weiter ausgebaut werden. Im<br />

Rahmen einer Ergotherapie sollte versucht werden, die visuellen <strong>und</strong><br />

räumlich-konstruktiven Leistungen zu verbessern. Das wird Jim auch das<br />

Erlernen der Kulturtechniken erleichtern.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 163<br />

Bezüglich der motorischen Unruhe kann in Abwägung der Vor- <strong>und</strong><br />

Nachteile einer Medikation, eine Methylphenidat-Therapie (Ritalin®)<br />

überdacht werden. Hier sollte aber Jims besonderer Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

berücksichtigt werden <strong>und</strong> ärztlicherseits sorgfältig über die Indikation<br />

entschieden werden.<br />

Jims aggressives Verhalten tritt größten Teils in<br />

Überforderungssituationen auf. Eine erfolgreiche Förderung in den besonders<br />

defizitären Bereichen, kann sich hier also positiv auswirken. Da Jims<br />

Probleme sich aber auf alle Leistungsbereiche erstrecken, darf der Anspruch<br />

an die einzelnen Fördermaßnahmen nicht so hoch gesetzt werden, dass sich<br />

hieraus wiederum eine Überforderung für Jim ergibt. Allerdings ist eine völlige<br />

Vermeidung von Situationen, die Jim als belastend empfindet, auch in einem<br />

geschützten schulischen <strong>und</strong> familiären Rahmen nicht leistbar. Um Jims<br />

soziale Kompetenzen auszubauen, kann die Hilfe eines<br />

Verhaltenstherapeuten für Kinder mit geistiger Behinderung in Anspruch<br />

genommen werden. Auch die weiteren beschriebenen<br />

Verhaltensauffälligkeiten sind im Kontext der geistigen Behinderung zu<br />

bewerten. Der Entwicklungsverlauf sollte weiterhin regelmäßig überprüft<br />

werden.<br />

5.3.2 Darstellung <strong>und</strong> Interpretation der Ergebnisse<br />

Die Ergebnisse der Intelligenztests zeigen für die Patienten mit<br />

Mikrodeletionssyndrom 22q11 eine große Variabilität, die sich ähnlich wie bei<br />

der Apert-Gruppe zwischen geistiger Behinderung (IQ 52) <strong>und</strong><br />

durchschnittlicher Intelligenz (IQ 99) bewegt (Abb. 29). Der<br />

Leistungsschwerpunkt liegt, trotz der anatomisch bedingten<br />

Artikulationsstörungen <strong>und</strong> teilweise anamnestisch bekannten<br />

Sprachentwicklungsverzögerungen, im verbal-kenntnisbezogenen Bereich


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 164<br />

(Abb. 30). Die Untertestergebnisse der Wechsler-Tests <strong>und</strong> der K-ABC (Tab.<br />

14 u. 15) zeigen besondere Schwächen im Bereich<br />

� der räumlich-konstruktiven Leistungen,<br />

� der logisch-sequentiellen Anforderungen,<br />

� des mathematischen Denkens <strong>und</strong><br />

� des visuell-räumlichen Gedächtnisses.<br />

Die Aufteilung der K-ABC-Skalen in Abbildung 31, zeigt die schwächsten<br />

Leistungen für die sprachfreie Skala (NV). Die räumliche-konstruktive<br />

Schwäche zeigte sich auch im ATK (Abb. 32).<br />

IQ-/Standardwerte<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

J/2;6, n.w.<br />

Intelligenzverteilung Mikrodeletion 22q11<br />

J/3;7,n.w.<br />

J/8;7<br />

52<br />

M/8;11<br />

82<br />

J/8;11<br />

89<br />

J/13;1<br />

79<br />

J/14;1<br />

65<br />

J/15;6<br />

59<br />

M/16;8<br />

60<br />

M/19;4<br />

Abbildung 29: Intelligenzverteilung bei Mikrodeletion 22q11 (N = 10) in der<br />

Alterspanne 2;6 bis 19;4 Jahre. Die Ergebnisse der ersten<br />

beiden Kinder war nicht wertbar (n.w.).<br />

99


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 165<br />

130<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Wechsler-Skalen Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />

84,3<br />

68<br />

75,2<br />

VT HT G<br />

IQ<br />

STABW<br />

Abbildung 30: Intelligenzwerte anhand der Wechsler-Skalen (HAWIK-III,<br />

HAWIE-R) bei Mikrodeletionssyndrom 22q11 (N = 6, Alter 8;11-<br />

19;4 J.).<br />

Tabelle 14: Untertestergebnisse der Wechsler-Skalen (a N = 6, 8;11-19;4<br />

J., b N = 5, 8;11-16;8 J.)<br />

Untertests<br />

HAWIK-III/HAWIE-<br />

R<br />

a<br />

WP<br />

a<br />

STABW<br />

b<br />

WP<br />

b<br />

STABW<br />

AW 6.8 2.4 6.0 1.4<br />

GF 8.5 2.5 8.0 2.4<br />

RD 4.3 2.8 4.0 3.0<br />

WT 6.8 4.0 6.4 4.3<br />

AV 8.0 3.1 7.8 3.5<br />

ZN 7.5 2.9 6.8 2.6<br />

BE 6.7 5.1 5.6 4.8<br />

ZS 5.1 3.9 4.0 3.0<br />

BO 4.0 3.7 3.2 3.5<br />

MT 3.8 2.9 2.8 1.6<br />

FL 5.5 3.4 4.4 2.3


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 166<br />

180<br />

160<br />

140<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

71<br />

K-ABC Mikrodeletion 22q11<br />

64 67 70<br />

SED SGD SIF FS NV<br />

55<br />

SW<br />

STABW<br />

Abbildung 31: Ergebnisse der K-ABC (N = 2, Alter 8;7 <strong>und</strong> 8;11 Jahre) für die<br />

Skalen einzelheitlichen <strong>und</strong> ganzheitlichen Denkens<br />

(SED/SGD), die Skala intellektueller Fähigkeiten (SIF), die<br />

Fertigkeitenskala (FS) <strong>und</strong> die sprachfreie Skala (NV).<br />

a b c<br />

Abbildung 32: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK <strong>und</strong> c Hauszeichnung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 167<br />

Tabelle 15: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests<br />

Untertests<br />

K-ABC WP STABW N<br />

ZF 0<br />

WG 6.5 0.7 2<br />

HB 5.8 2.2 4<br />

GS 7.3 6.3 3<br />

ZN 6.0 0.0 2<br />

DR 2.5 2.1 2<br />

WR 6.0 1.4 2<br />

BE 6.0 5.7 2<br />

RG 4.0 4.2 2<br />

FS 4.0 4.2 2<br />

Aus der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung ergaben<br />

sich besonders für die jüngeren Kinder Auffälligkeiten im Bereich „Körperliche<br />

Bewegung“ <strong>und</strong> es zeigte sich eine minimale Abweichung vom Cut-Off-Wert<br />

für den Bereich „Stimmung“, was mit der aus der Literatur bekannten<br />

Stimmungslabilität der Kinder (siehe unter 3.3.3) konform geht. Hinweise auf<br />

unübliche Bewegungen <strong>und</strong> Interessen oder selbstverletzend/aggressives<br />

Verhalten fanden sich bei keinem der Patienten (Abb. 33).<br />

Die Elternbeurteilungen im E-FB/KGS, ergaben zwar für alle Bereiche<br />

auffällige Ergebnisse (Abb. 34), bestätigen aber die Erkenntnisse aus den<br />

IQ-Tests, indem die sprachlichen Fertigkeiten als am geringsten<br />

beeinträchtigt eingeschätzt wurden. Die geringe Standardabweichung weist<br />

hierbei auf eine sehr einheitliche Bewertung durch die Eltern hin. Am<br />

wenigsten trauten die Eltern ihren Kindern im Bereich „Soziale<br />

Fertigkeiten/Verhalten“ zu.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 168<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Mikrodeletion 22q11<br />

SV KB UBI SAV ST<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 33: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung<br />

anhand des VB-KGS (SV = Sozialverhalten, KB =<br />

Körperliche Bewegung, UBI = unübliche<br />

Bewegungen/Interessen, SAV =<br />

selbstverletzendes/aggressives Verhalten, ST = Stimmung) bei<br />

Mikrodeletion 22q11. Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%)<br />

beziehen sich auf den erreichbaren Maximalwert (N = 10).<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB/KGS Mikrodeletion 22q11<br />

PRT SPF SFV KBB<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 34: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS) für die Skalen<br />

Praktische Tätigkeiten (PRT), Sprachliche Fertigkeiten (SPF),<br />

Soziale Fertigkeiten/Verhalten (SFV) <strong>und</strong> Körperliche<br />

Besonderheiten/Beschwerden (KBB) bei Mikrodeletion 22q 11<br />

(N = 10). Die Prozentangaben (Cut off- Wert 80%) beziehen<br />

sich auf den Maximalwert für unauffällige Entwicklung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 169<br />

5.4 Vergleich der Ergebnisse der Syndromgruppen<br />

Es folgen eine Überprüfung der unter 4.5 aufgestellten Hypothesen <strong>und</strong><br />

ein Vergleich der Ergebnisse aus VB/KGS <strong>und</strong> E-FB/KGS für die vier<br />

Syndrome.<br />

5.4.1 Überprüfung der Hypothesen zur Intelligenzverteilung<br />

5.4.1.1 Deskriptivstatistik<br />

Die Gruppe mit dem Fragilen-X-Syndrom weist mit einem Mittelwert von<br />

IQ 48 den niedrigsten IQ-Wert auf. Die Gruppen mit Mikrodeletionssyndrom<br />

22q11 (Mittelwert: 73) <strong>und</strong> Apert-Syndrom (Mittelwert: 74) weisen nahezu<br />

gleiche Intelligenzwerte auf. Die Gruppe mit Crouzon-Syndrom erreicht mit<br />

einem Mittelwert von IQ 100 die höchsten Werte (siehe Tabelle 16).<br />

Tabelle 16: Deskriptive Statistik<br />

Syndrome N Minimum Maximum MW STABW Varianz<br />

Apert 8 52 105 74 16.7 279.7<br />

Crouzon 3 88 113 100 12.5 156.3<br />

Fragiles X 11 40 58 48 5.4 29.5<br />

Mikrodeletion<br />

22q11<br />

8 52 99 73 16.6 274.1<br />

5.4.1.2 Inferenzstatistik<br />

Um die unabhängigen Stichproben in ihrer zentralen Tendenz zu<br />

vergleichen, wurde der H-Test von Kruskal <strong>und</strong> Wallis (1952, zitiert nach<br />

Bortz & Lienert, 2003) verwendet. Hierbei handelt es sich um ein<br />

verteilungsfreies Verfahren, das weitgehend der parametrischen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 170<br />

Varianzanalyse entspricht, im Gegensatz zu dieser aber auch für kleine<br />

Stichprobengrößen geeignet ist. Zunächst wurden die Ränge ermittelt, die im<br />

Resultat dem deskriptiven Ergebnis entsprechen (siehe Tabelle 17).<br />

Tabelle 17: Mittlere Ränge der Syndromgruppen (IQ-Verteilung)<br />

Syndrome<br />

N<br />

Mittlerer Rang<br />

Crouzon 3 27.5<br />

Apert 8 19.7<br />

Mikrodeletion22q11 8 19.4<br />

Fragiles X 11 6.4<br />

Anschließend wurde die unter 4.5 aufgestellte Arbeitshypothese (Ho: „Es<br />

finden sich keine signifikanten Differenzen für die Intelligenzverteilungen in<br />

den vier Syndrompopulationen (Apert-, Crouzon-, Fragiles-X-Syndrom <strong>und</strong><br />

Mikrodeletionssyndrom 22q11“) mit dem Kruskal-Wallis-Test überprüft (siehe<br />

Tabelle 18).<br />

Tabelle 18: Statistik für Kruskal-Wallis-Test (IQ <strong>und</strong> Syndrome)<br />

IQ<br />

Chi-Quadrat 20.801<br />

df 3<br />

Asymptotische Signifikanz .000<br />

Das Ergebnis ist signifikant (p


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 171<br />

sich signifikant. Dies legitimiert zur weiteren Ausführung von<br />

Einzelvergleichen. Für die Einzelvergleiche wurde ein Verfahren gewählt, das<br />

auf dem Prinzip der impliziten α-Fehlerprotektion basiert. Dabei soll eine<br />

Kumulierung des Alpha-Fehlers vermieden werden, indem das vereinbarte α-<br />

Fehlerrisiko (0.05) für den gesamten Satz der im Einzelvergleichsverfahren<br />

zu treffenden Entscheidungen gilt (Bortz & Lienert, 2003). Die kritische<br />

Differenz (siehe Tab. 19) für den paarweisen Vergleich der Syndrome, wurde<br />

mit folgender Formel berechnet:<br />

Ng( N + 1) ⎛ 1 1 ⎞<br />

D = H<br />

⎜ + ⎟<br />

T( crit) ( Nj, k,<br />

α ) g g<br />

12 ⎝ Nj Nj´<br />

⎠<br />

Tabelle 19: Paarweise Signifikanzprüfung der IQ-Unterschiede<br />

zwischen den Syndromen<br />

Kritischer Rangdurchschnitts-<br />

Einzelvergleich Wert Differenz Signifikanz<br />

Apert vs. Crouzon 16.67 7.81 nein<br />

Apert vs. Fragiles X 11.44 13.33 ja<br />

Apert vs. Mikrodeletion 22q11 12.31 0.31 nein<br />

Crouzon vs. Fragiles X 16.04 21.14 ja<br />

Crouzon vs. Mikrodeletion<br />

22q11<br />

16.66 8.12 nein<br />

Fragiles X vs. Mikrodeletion<br />

22q11<br />

11.44 13.03 ja<br />

Die Richtung der signifikant voneinander unterschiedlichen<br />

Einzelvergleiche ist folgendermaßen:<br />

� Die Apert-Gruppe hat einen signifikant höheren IQ als die Fragiles-<br />

X-Gruppe.<br />

� Die Crouzon-Gruppe hat einen signifikant höheren IQ als die<br />

Fragiles-X-Gruppe.<br />

� Die Mikrodeletion 22q11-Gruppe hat einen signifikant höheren IQ


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 172<br />

als die Fragiles-X-Gruppe.<br />

Zusammenfassend ist also auch statistisch nachweisbar, was der<br />

augenscheinlichen Verteilung entspricht. Die Gruppe der Kinder mit dem<br />

Fragilen-X-Syndrom hat im Vergleich zu jeder anderen Gruppe einen<br />

signifikant niedrigeren IQ. Die Gruppe der Kinder mit kraniofacialen<br />

Fehlbildungssyndromen (Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom), haben trotz höherer<br />

mittlerer IQ-Werte für die Crouzon-Kinder, keine signifikanten Unterschiede in<br />

der Intelligenzverteilung, was auch mit der für beide Syndrome recht hohen<br />

Standardabweichungen zusammenhängt. Auch zwischen den kraniofacialen<br />

Syndromen <strong>und</strong> dem Mikrodeletionssyndrom 22q11 bestehen keine<br />

signifikanten Unterschiede für die Intelligenzverteilung.<br />

5.4.2 Zusammenfassender Vergleich der kognitiven <strong>und</strong><br />

verhaltensbezogenen Ergebnisse<br />

Gemeinsam sind den kraniofacialen Fehlbildungssyndromen <strong>und</strong> der<br />

Mikrodeletion 22q11 nicht nur die variable IQ-Verteilung mit Durchschnitt im<br />

Bereich der Lernbehinderung, sondern auch die Schwächen<br />

� im räumlich-konstruktiven Bereich,<br />

� (dadurch mitbedingt) in der visuell-figuralen Merkfähigkeit,<br />

� Defizite im formal-logischen <strong>und</strong> mathematischen Denken,<br />

� in der seqentiellen Verarbeitung sowie<br />

� sprachliche Auffälligkeiten mit Schwerpunkt in der Artikulation.<br />

Mit dem Fragilen-X-Syndrom, gibt es für beide Syndromgruppen<br />

übereinstimmende Schwächen


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 173<br />

� im räumlich-konstruktiven Bereich<br />

� <strong>und</strong> in Teilbereichen der Merkfähigkeit<br />

� <strong>und</strong> der Aufmerksamkeit.<br />

Letztere sind, wohl auch aufgr<strong>und</strong> der erheblichen Hyperaktivität, bei den<br />

Kindern mit Fragilem-X-Syndrom viel globaler ausgeprägt. Auch die räumlichkonstruktive<br />

Störung fällt massiver aus <strong>und</strong> mündet in einen „Gestaltzerfall“.<br />

Orientierend wurde ein Vergleich der Ergebnisse aus der<br />

Verhaltensbeobachtung <strong>und</strong> der Elternbewertung (Abb. 35-43)<br />

vorgenommen. Bezüglich des Sozialverhaltens in der<br />

Untersuchungssituation, ergeben sich laut dem vorläufigen Cut off-Wert von<br />

80%, nur für das Fragile-X-Syndrom auffällige Ergebnisse. Unerwünschte<br />

körperliche Bewegung im Sinne motorischer Unruhe oder Passivität waren<br />

für alle Syndromgruppen etwas auffällig, aber wiederum für die Kinder mit<br />

Fragilem-X-Syndrom am stärksten ausgeprägt. Unübliche Bewegungen <strong>und</strong><br />

Interessen fanden sich nur bei den Fragiles-X-Kindern. Selbstverletzendes<br />

oder aggressives Verhalten fand sich während der Untersuchung für keine<br />

der Syndromgruppen. Im Bereich „Stimmung“ gab es nur für Kinder mit<br />

22q11-Deletion ein grenzwertiges Ergebnis.<br />

Erwünschtes Verhalten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Sozialverhalten<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 174<br />

Abbildung 35: Ergebnisvergleich „Sozialverhalten“ in der<br />

untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung (Ap + Cr =<br />

Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom, FraX = Fragiles-X-Syndrom,<br />

del22q11 = Mikrodeletionssyndrom 2q11).<br />

Erwünschtes Verhalten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Körperliche Bewegung<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 36: Ergebnisvergleich für „Körperliche Bewegung“ in der<br />

untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung.<br />

Erwünschtes Verhalten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Unübliche Bewegungen/Interessen<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 37: Ergebnisvergleich für „Unübliche Bewegungen/Interessen“ in<br />

der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 175<br />

Erwünschtes Verhalten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Selbstverletzendes/aggressives Verhalten<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 38: Ergebnisvergleich für „Selbstverletzendes/aggressives<br />

Verhalten“ in der untersuchungsbegleitenden<br />

Verhaltensbeobachtung.<br />

Erwünschtes Verhalten<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

VB/KGS Stimmung<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 39: Ergebnisvergleich für „Stimmung“ in der<br />

untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 176<br />

erwünscht/unauffällig<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB-KGS Praktische Tätigkeiten<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 40: Ergebnisvergleich für „Praktische Tätigkeiten“ aus dem<br />

Elternfragebogen.<br />

erwünscht/unauffällig<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB/KGS Sprachliches Fertigkeiten<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 41: Ergebnisvergleich für „Sprachliche Fertigkeiten“ aus dem<br />

Elternfragebogen.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 177<br />

erwünscht/unauffällig<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB/KGS Soziale Fertigkeiten/Verhalten<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 42: Ergebnisvergleich für „Soziale Fertigkeiten/Verhalten“ aus dem<br />

Elternfragebogen.<br />

erwünscht/unauffällig<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

E-FB/KGS Körperliche<br />

Besonderheiten/Beeinträchtigungen<br />

Ap+Cr FraX del22q11<br />

PR<br />

STABW<br />

Abbildung 43: Ergebnisvergleich für „Körperliche Besonderheiten/<br />

Beeinträchtigungen“ aus dem Elternfragebogen.<br />

Verhaltensauffälligkeiten zeigten sich also hauptsächlich für Kinder mit<br />

Fragilem-X-Syndrom. Dies kann damit zusammenhängen, dass<br />

Verhaltensauffälligkeiten bei geistig behinderten Kindern häufiger Auftreten


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 178<br />

<strong>und</strong> diese Gruppe intellektuell am stärksten beeinträchtigt war. Es zeigte sich<br />

aber gerade im Bereich Hyperaktivität <strong>und</strong> unübliche Bewegungen/Interessen<br />

Auffälligkeiten, die als syndromtypisch gelten (siehe auch unter 3.2.3 <strong>und</strong><br />

5.2.2). Im E-FB/KGS ergaben sich für alle Kinder auffällige Bewertungen für<br />

praktische Tätigkeiten. Die sprachlichen Fertigkeiten wurden bei den<br />

kraniofacialen Fehlbildungen als grenzwertig eingeschätzt, für die anderen<br />

beiden Syndrome als auffällig. Die deutlichsten Beeinträchtigungen wurden<br />

beim Fragilen-X-Syndrom angegeben. Der Bereich „Soziale<br />

Fertigkeiten/Verhalten“, wurde für alle drei Syndromgruppen als auffällig<br />

bewertet, aber für das Fragile-X-Syndrom <strong>und</strong> die Mikrodeletion 22q11 im<br />

Vergleich zu den kraniofacialen Fehlbildungen als erheblich problematischer<br />

beschrieben. Körperliche Besonderheiten oder Beeinträchtigungen wurden<br />

besonders für die Mikrodeletion 22q11 angegeben. Für die kraniofacialen<br />

Fehlbildungen ergaben sich anhand der Elternbewertung<br />

überraschenderweise vergleichsweise geringere Auffälligkeiten. Für das<br />

Fragile-X-Syndrom ergaben sich erwartungsgemäß nur diskrete körperliche<br />

Auffälligkeiten.<br />

5.4.2.1 Vorschläge für Screeningverfahren<br />

Die Erstellung von Screeningverfahren macht nur unter Einbeziehung<br />

körperlicher, kognitiver <strong>und</strong> verhaltensbezogener Faktoren Sinn. Im Rahmen<br />

der Stichprobengröße können zudem nur Vorschläge für Screeningverfahren<br />

gemacht werden. Für die Gruppe der kraniofacialen Fehlbildungssyndrome<br />

besteht kein Bedarf an einem Screeningverfahren, da die Diagnose<br />

phänotypisch offensichtlich ist.<br />

Für das Fragile-X-Syndrom <strong>und</strong> das Mikrodeletionssyndrom 22q11<br />

könnten Screenings wie in den Abbildung 44 <strong>und</strong> 45 aussehen.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 179<br />

Entwicklungsauffälligkeiten unbekannter<br />

Ursache (evtl. familiär):<br />

Wahrnehmungsstörungen, beeinträchtigte<br />

Sprachentwicklung, motorische Defizite bei<br />

muskulärer Hypotonie, erschwerte<br />

Sauberkeitserziehung?<br />

Leichte bis mittelgradige<br />

Intelligenzminderung<br />

(Durchschnitts-IQ 50,


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 180<br />

Organfehlbildungen unbekannter Ursache<br />

(evtl. familiär):<br />

Herzfehlbildungen, Nebenschilddrüsen- <strong>und</strong><br />

Thymushypoplasie, Gaumenspalte oder<br />

Gaumensegelinsuffizienz (u.a.), in Folge häufig<br />

Hyperkalzämie, Immunschwäche,<br />

Schluckbeschwerden <strong>und</strong> Gedeihstörungen<br />

(mehr in den ersten Jahren)?<br />

Eher mild ausgeprägte<br />

Gesichtsdysmorphiezeichen<br />

(birnenförmige Nase, kleiner<br />

Unterkiefergroße, teilweise<br />

dysplastische Ohren,<br />

Hypertelorismus, ausgedünnte<br />

Augenbrauen?<br />

Lernbehinderung bis leichte<br />

Intelligenzminderung<br />

(Durchschnitts-IQ 70) oder<br />

normale Intelligenz mit<br />

Lernschwächen?<br />

Sprachauffälligkeiten mit<br />

Schwerpunkt in der Artikulation<br />

(anatomisch bedingt), Non-<br />

Verbal-Learning-Disorder<br />

(NLD,Verbal-IQ >Handlungs-IQ)?<br />

Evtl. psychische Vulnerabilität<br />

(Introversion, Antriebsarmut,<br />

Angst, Depression, bipolare<br />

Störung, mangelnde<br />

Selbständigkeit bei<br />

Symbioseneigung)?<br />

Humangenetische Abklärung einer Mikrodeletion 22q11<br />

Abbildung 45: Vorschlag für ein Screening für die Mikrodeletion 22q11.


Kapitel 5 Ergebnisse der Forschungsarbeit 181<br />

Die Screeningverfahren stellen lediglich eine Zusammenstellung der von<br />

uns erhobenen <strong>und</strong> aus der Literatur bekannten Merkmale dar. Das Fehlen<br />

einzelner Symptome ist daher nicht mit einem Ausschluss der Diagnose<br />

gleichzusetzen. Finden sich aber Symptome aus jeweils drei oder mehr der<br />

aufgeführten Felder, sollte nach Empfehlung der Verfasserin, eine<br />

humangenetische Untersuchung in Betracht gezogen werden.


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 182<br />

6 Diskussion der Ergebnisse <strong>und</strong> perspektivischer Ausblick<br />

Ziel dieser Forschungsarbeit war es, die Ergebnisse der<br />

neuropsychologischen Untersuchungen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung<br />

innerhalb der jeweiligen Syndromgruppe (intrasyndromale Übereinstimmung)<br />

<strong>und</strong> in Abgrenzung zu den anderen Syndromgruppen (intersyndromale<br />

Verschiedenheit) zu überprüfen. Dazu wurde mit Hilfe des H-Tests nach<br />

Kruskal-Wallis ein Vergleich der Intelligenzverteilungen vorgenommen.<br />

Dieser bestätigte zwar die Hypothese, dass sich Unterschiede in der<br />

Intelligenzverteilung für die Syndromgruppen finden, allerdings zeigten die<br />

Einzelvergleiche nach impliziter α-Fehlerkorrektur keine signifikanten<br />

Unterschiede zwischen den Verteilungen innerhalb der kraniofacialen<br />

Fehlbildungen. Dies war, aufgr<strong>und</strong> der engen Verwandtschaft der<br />

Störungsbilder, von der Verfasserin erwartet worden, weshalb auch bereits<br />

die Syndromdarstellungen gemeinsam vorgenommen wurden (siehe unter<br />

den Punkten 3.1 u. 5.1). Es zeigte sich jedoch auch kein signifikanter<br />

Unterschied zwischen den Intelligenzverteilungen dieser<br />

zusammengefassten Syndromgruppe <strong>und</strong> der für das Mikrodeletionssyndrom<br />

22q11. Für alle drei Syndrome (Apert-, Crouzon- <strong>und</strong> Mikrodeletion 22q11)<br />

fand sich eine große Variabilität der Intelligenzwerte, deren Mittelwerte im<br />

Bereich der Lernbehinderung, beziehungsweise für das Crouzon-Syndrom im<br />

Altersdurchschnitt, angesiedelt waren. Auch das kognitive Leistungsprofil der<br />

kraniofacialen Fehlbildungssyndrome <strong>und</strong> des Mikrodeletionssyndroms<br />

22q11, weisen große Übereinstimmungen auf (siehe unter Punkt 5.4.2). Die<br />

für beide Syndromgruppen auftretenden, neuropsychologischen Defizite,<br />

liegen im räumlich-konstruktiven Bereich, in der visuell-figuralen<br />

Merkfähigkeit, im formal-logischen, mathematischen Denken <strong>und</strong> in der<br />

seqentiellen Verarbeitung. Außerdem gibt es bei beiden sprachliche<br />

Auffälligkeiten, mit Schwerpunkt in der Artikulation <strong>und</strong> nur zum Teil auch im<br />

Sprachverständnis. Bei der Mikrodeletion 22q11, wird die Sprechproblematik


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 183<br />

von der Umwelt häufiger bemerkt, als andere Symptome, obwohl die<br />

sprachbezogenen Fähigkeiten den Leistungsschwerpunkt der Patienten<br />

stellen. Die Artikulationsschwäche ist meist anatomisch begründet, da durch<br />

die Gaumensegelinsuffizienz <strong>und</strong> ein gespaltenes Zäpfchen, eine<br />

hypernasale Lautbildung zustande kommt. Mit Logopädie allein, kann hier<br />

nicht immer Abhilfe geschaffen werden. Zum Teil müssen operative<br />

Korrekturen vorgenommen werden. Auch beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom<br />

ist die Sprache durch die Gesichtsdysmorphien <strong>und</strong> durch eine oft<br />

begleitende Schallleitungsschwäche beeinträchtigt<br />

Hier kann also nicht von einem intersyndromal spezifisch<br />

unterschiedlichen kognitiven Phänotyp ausgegangen werden.<br />

Anders verhält es sich beim Fragilen-X-Syndrom. Diese Gruppe<br />

unterschied sich in der Intelligenzverteilung signifikant von den anderen<br />

Syndromen. Dabei zeigten sich außerdem sehr homogene Ergebnisse im<br />

Bereich der mittelgradigen geistigen Behinderung <strong>und</strong> ein sehr einheitliches<br />

Leistungsprofil mit massiven Aufmerksamkeitsproblemen mit Hyperaktivität,<br />

Kurzzeitgedächtnisproblemen <strong>und</strong> räumlich-konstruktiven Defiziten bis hin<br />

zum „Gestaltzerfall“.<br />

Die Erkenntnis, dass sich im kognitiven Bereich wenig Unterschiede<br />

zwischen den kraniofacialen Fehlbildungen <strong>und</strong> dem Mikrodeletionssyndrom<br />

22q11 feststellen ließen, machte deutlich, dass eine spezifische Zuordnung<br />

für diese Syndrome nicht allein anhand kognitiver Kriterien erfolgen kann,<br />

sondern die typischen Merkmale der Syndrome in der Kombination aus<br />

körperlichen, psychischen <strong>und</strong> kognitiven Symptomen zu finden sind (siehe<br />

auch Abb. 44 u. 45). Da es sich bei beiden Syndromgruppen um<br />

Fehlbildungssyndrome handelt, bei denen die Folgen der Fehlbildungen <strong>und</strong><br />

deren Behandlung weitere Risikofaktoren für die Entwicklung darstellen, ist<br />

hier nicht abschließend zu klären, ob die Defizite mit Schwerpunkt im


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 184<br />

nonverbalen Bereich, generell stärker durch genetische Faktoren beeinflusst<br />

werden oder ob sie auch besonders vulnerabel für externe Störeinflüsse sind.<br />

Die hohe Anzahl von Kindern mit räumlich-konstruktiven Störungen in der<br />

Allgemeinpopulation (Muth, Heubrock & Petermann, 2001), könnte ein<br />

mögliches Indiz hierfür sein. Andererseits gehören die räumlichkonstruktiven,<br />

visuell-logischen Leistungen in den gängigen Intelligenztests<br />

zum Bereich der fluiden Gr<strong>und</strong>intelligenz. Die Gr<strong>und</strong>intelligenz grenzt sich<br />

von der kristallinen, erworbenen Intelligenz ab. Wie bereits unter Punkt 2.7.1<br />

diskutiert, ergeben sich in der Forschung Hinweise darauf, dass die<br />

Gr<strong>und</strong>intelligenz deutlich stärker durch genetische Faktoren beeinflusst ist,<br />

als die erworbene. Auch dies könnte ein Gr<strong>und</strong> dafür sein, dass sich<br />

Störungen in diesem Bereich gehäuft bei verschiedenen genetischen<br />

Syndromen, so beispielsweise auch bei der Neurofibromatose Typ 1 (NF 1)<br />

finden.<br />

Viele der gef<strong>und</strong>enen Symptome <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten schienen in<br />

ihrer Ausprägung auch mit dem Grad der geistigen Behinderung zu<br />

korrelieren oder im Fall der Kinder mit Apert-Syndrom, mit auch assoziierten<br />

ZNS-Fehlbildungen, wie der Agenesie des Corpus Callosum (ACC),<br />

einherzugehen. Auf eine direkte Beteiligung der betroffenen Genabschnitte<br />

an der kognitiven Entwicklung, lässt sich anhand der vorliegenden Bef<strong>und</strong>e<br />

also nicht schließen, auch wenn zumindest eine indirekte Beteiligung<br />

plausibel ist. Der genetische Defekt würde somit ein Risiko für die<br />

Entwicklung darstellen, das multifaktoriellen Einflüssen unterliegt.<br />

Dagegen trägt das unter Punkt 3.2.1.1 beschriebene Fragile X linked<br />

mental retardation gene 1 (FMR1-Gen) seinen Namen offenbar zu Recht.<br />

Hier scheint es tatsächlich einen unmittelbaren Zusammenhang, zwischen<br />

dem genetischen Defekt <strong>und</strong> einer Intelligenzminderung, zu geben.


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 185<br />

Die Frage nach der intersyndromalen Unterschiedlichkeit kann also für<br />

drei der vier hier vorgestellten Syndrome nicht positiv beantwortet werden.<br />

Wird der Begriff des kognitiven- <strong>und</strong> Verhaltensphänotyps also so<br />

verstanden, dass er für jedes Syndrom unterschiedlich ausfallen muss, so<br />

könnte man nur für das Fragile-X-Syndrom einen solchen Phänotyp<br />

formulieren. Allerdings kann man auch von syndromspezifischen kognitiven<br />

Phänotypen sprechen, wenn sich innerhalb einer Syndromgruppe die<br />

Tendenz zu übereinstimmenden Profilen ergibt. Hier ist ein geradezu<br />

erstaunliches Resultat der Forschungsergebnisse, dass sie – trotz kleiner<br />

Stichprobengrößen - sehr große Übereinstimmungen zu den Ergebnissen,<br />

der unter Kapitel 3 im Theorieteil aufgeführten internationalen Studien,<br />

besteht. Für die kraniofacialen Fehlbildungen wurden in der Literatur IQ-<br />

Bewertungen zwischen IQ 52 <strong>und</strong> IQ 114 gef<strong>und</strong>en (Lefebvre et al., 1986,<br />

Sarimski, 2003). Wir fanden für diese Gruppe Ergebnisse zwischen IQ 52<br />

<strong>und</strong> IQ 113.<br />

Für das Fragile-X-Syndrom wurde in der Literatur ein Durchschnitts-IQ<br />

von 50 angegeben, wir fanden einen Durchschnitts-IQ von 48 (Fre<strong>und</strong> &<br />

Reiss, 1991, Hodapp et al., 1990, 1992).<br />

Eine genauso große Übereinstimmung findet sich für die Mikrodeletion<br />

22q11, bei der in der Literatur ein Durchschnitts-IQ von 72 (vgl. Sarimksi,<br />

2003) gef<strong>und</strong>en wurde, während er in unserer Studie bei IQ 73 lag.<br />

Auch die in der Literatur beschriebenen Profilbesonderheiten fanden sich<br />

für alle Syndrome bestätigt.<br />

In unserer Verhaltensbeobachtung zeigten sich für das Fragile-X-Syndrom<br />

ein auffälliges Sozialverhalten (Vermeidung von Blickkontakt, Scheu,<br />

Distanzlosigkeit), unübliche Interessen (Fixierung auf Objekte), Echolalie <strong>und</strong><br />

eine ausgeprägte motorische Unruhe. Dies entspricht auch den unter 3.2.3<br />

beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten.


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 186<br />

Die Kinder mit kraniofacialen Fehlbildungen waren – mit Ausnahme der<br />

Kinder mit ACC – weitestgehend unauffällig. Während die jüngeren Kinder<br />

<strong>und</strong> die ACC-Kinder zu motorischer Unruhe neigten, fiel bei den etwas<br />

älteren Kindern eher eine körperliche Passivität auf. Das Sozialverhalten fiel<br />

besonders positiv auf. Auch in der Literatur werden die Kinder als häufig<br />

besonders offen zugewandt beschrieben (siehe unter 3.1.3).<br />

Innerhalb der Gruppe mit Mikrodeletion 22q11, fanden sich leichte<br />

Auffälligkeiten im Bereich der körperlichen Bewegung, im Sinne motorischer<br />

Unruhe oder Passivität. Der Bereich „Stimmung“ fiel für diese Gruppe<br />

grenzwertig aus. Vergleicht man dies mit den unter 3.3.3 aufgeführten<br />

Ergebnissen von Swillen et al. (1999), die Aufmerksamkeitsprobleme <strong>und</strong><br />

Stimmungslabilität beschrieben oder mit Rauch & Kubben (2001), die eine<br />

Vulnerabilität für Gemütserkrankungen anführen, so fügen sich auch diese<br />

Ergebnisse tendenziell in das Bild, das andere Studien liefern.<br />

Unsere Ergebnisse weisen demnach insgesamt große<br />

Übereinstimmungen mit den international bekannten Studien auf. Dies<br />

unterstützt die Annahme, dass sich innerhalb der von den Syndromen<br />

betroffenen Patienten relativ einheitliche Tendenzen zu bestimmten<br />

kognitiven- <strong>und</strong> verhaltensbezogenen Phänotypen zeigen. Außerdem soll an<br />

dieser Stelle auch ein nicht quantifizierbarer Eindruck beschrieben werden,<br />

der sich bei den Untersuchern der Kinder einstellte. Für den genauen<br />

Beobachter ist es geradezu unheimlich, wie charakteristisch die Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendlichen während der Untersuchungen wirkten. Hat man einmal den<br />

geschulten Blick erworben, erkennt man auch diskretere Merkmale der<br />

Kinder, die einem sonst unter Umständen verborgen geblieben wären. Nun<br />

könnte man vermuten, dass dieser „Blick“ durch Erwartungshaltungen<br />

geprägt ist. Doch selbst Kollegen in der Ambulanz, die den Kinder nur in den<br />

Fluren oder im Wartezimmer begegneten <strong>und</strong> im Rahmen von<br />

Fallkonferenzen mit den Besonderheiten der Syndrome vertraut gemacht


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 187<br />

wurden, konnten nach einiger Zeit bereits nur anhand eines kurzen<br />

Eindrucks, eine relativ sichere Syndromzuordnung vornehmen. Dies wäre für<br />

die kraniofacialen Fehlbildungen einfach, aber beim Fragilen-X-Syndrom <strong>und</strong><br />

beim Mikrodeletionssyndrom 22q11, erfordert dies schon eine genauere<br />

Beobachtungsgabe.<br />

Es bleibt also, der sich durch verschiedene Studien andeutende <strong>und</strong><br />

subjektiv sehr stark empf<strong>und</strong>ene Eindruck, charakteristischer Symptombilder<br />

für die einzelnen Syndrome. Rückschlüsse auf die exakten Funktionen der<br />

betroffenen Genabschnitte sind nicht möglich, aber es lassen sich anhand<br />

der Ergebnisse, Behandlungsempfehlungen zusammenfassen.<br />

Neben den für die kraniofacialen Syndrome <strong>und</strong> die Mikrodeletion 22q11<br />

erforderlichen operativen Eingriffen, empfiehlt sich in beiden Fällen eine früh<br />

einsetzende intensive Förderung durch Ergotherapie <strong>und</strong> Logopädie. Zum<br />

Teil sind krankengymnastische Übungen angezeigt. Die Aufgabe der<br />

klinischen Neuropsychologen besteht in kognitiven Entwicklungskontrollen<br />

<strong>und</strong> gegebenenfalls in der Behandlung der Funktionsstörungen.<br />

Beim Fragilen-X-Syndrom ist ebenfalls eine umfassende Frühförderung mit<br />

ergotherapeutischen, logopädischen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

krankengymnastischen Übungen erforderlich.<br />

Für alle Patienten können psychotherapeutische Interventionen notwendig<br />

werden. Bei den Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Patienten speziell zur Unterstützung<br />

eines positiven Selbstbildes, bei den Kindern mit Fragilem-X-Syndrom unter<br />

Umständen wegen Ängstlichkeit <strong>und</strong>/oder Aggresion <strong>und</strong> bei den Kindern mit<br />

Mikrodeletion 22q11 wegen der emotionalen Labilität.<br />

Für alle Syndrome gilt, dass umso früher sie erkannt werden <strong>und</strong> die<br />

betroffenen Kinder gemäß ihrer besonderen Bedürfnisse gefördert <strong>und</strong> die<br />

Angehörigen diesbezüglich beraten werden, desto besser.<br />

Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen so manche Fragestellungen offen, die


Kapitel 6 Zusammenfassung <strong>und</strong> Diskussion der Ergebnisse 188<br />

wohl nur durch zukünftige Studien geklärt werden können. Wirklich<br />

aussagekräftige Ergebnisse können aber nur erreicht werden, wenn es<br />

gelingt, die verschiedenen kleinen Einzelstudien, in groß angelegten<br />

Forschungskooperationen zusammenzuführen. Außerdem müssten sowohl<br />

auf fachärztlicher Seite, als auch auf Patientenseite, mehr Personen zur<br />

Mitarbeit mobilisiert werden. Die bisherige Erfahrung innerhalb Deutschlands<br />

zeigt, dass es letztendlich immer wieder dieselben engagierten Eltern sind,<br />

die sich an Studien beteiligen. Ein Austausch mit den Elternvereinen ergab,<br />

dass viele Kinder, die an unserer Studie teilnahmen, sich beispielsweise auch<br />

in München an den Studien von Sarimski beteiligten. Bei den zum Teil recht<br />

hohen Prävalenzzahlen erstaunt es doch einigermaßen, dass es sich so<br />

schwierig gestaltet, höhere Fallzahlen zu erreichen.<br />

Es bleibt zu hoffen, dass das in den letzten Jahren international ständig<br />

wachsende Interesse an der Thematik, auch auf nationaler Ebene zu einem<br />

Umdenken <strong>und</strong> einer verstärkten Sensibilisierung für diesen weiterhin sehr<br />

relevanten Bereich führt.


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Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildungsverzeichnis 203<br />

Abbildung 1: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei schweren geistigen<br />

Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983)…………16<br />

Abbildung 2: Prozentuale Verteilung der Ursachen bei leichteren geistigen<br />

Behinderungen (mod. nach Hagberg & Kyllerman, 1983)…………17<br />

Abbildung 3: Intrauterine Entwicklung (aus Tariverdian & Buselmaier,<br />

2004, S. 271, Abb. 7.25)……………………………………………….21<br />

Abbildung 4: Schadenstypen der DNA (mod. nach Witkowski & Hermann,<br />

1989, S. 106, Abb. 36)………………………………………………..28<br />

Abbildung 5: Die fünf Ebenen der genetischen Analyse (mod. nach<br />

v. Gontard, 1998, S. 71)……………………………………………….29<br />

Abbildung 6: a Gesichtsanthropometrie, b epikanthale Variante,<br />

c Abstand von Pupille zu Mittellinie (nach Smith 1982,<br />

in Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 163, Abb. 4.31)……………31<br />

Abbildung 7: Hautleistenmuster (nach Smith, 1982, in Tariverdian &<br />

Buselmaier, 2004, S. 164, Abb. 4.32)……………………………..…32<br />

Abbildung 8: Methoden zur Identifikation von Krankheiten, die einfach<br />

mendelnd vererbt werden (nach Guselle et al. 1983 in<br />

Tariverdian & Buselmaier, 2004, S. 47, Abb. 1.25)………………...33<br />

Abbildung 9: Schema der Kraniosynostosen (Müller, Steinberger & Kunze,<br />

1997)……………………………………………………………………..49<br />

Abbildung 10: a 6jähriger Junge, b 8jähriges Mädchen mit Apert-Syndrom...........54<br />

Abbildung 11: 8jähriges Mädchen mit Distraktionsgerät………………………..…54<br />

Abbildung 12: Mikroskopisch sichtbare Unterbrechung der<br />

Chromosomenstruktur <strong>und</strong> dessen schematische<br />

Darstellung (mod. nach Froster, in<br />

Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V., 2000)…………………….68<br />

Abbildung 13: Jungen a 8 Jahre <strong>und</strong> b 12 Jahre mit Fragilem-X-Syndrom………71<br />

Abbildung 14: Durchschnittliche IQ-Werte bei 130 Jungen mit<br />

FraX-Syndrom in vier Altersgruppen (Dykens et al.,<br />

1996, in Sarimski 2003, S. 165, Abb. 30)……………………………72


Abbildungsverzeichnis 204<br />

Abbildung 15: Scoring-System für das Fragile-X-Syndrom nach<br />

Giangreco et al. (1996). ………………………………………………76<br />

Abbildung 16: a 16jähriges Mädchen, b 13jähriger Junge mit<br />

Mikrodeletion 22q11…………………………………………………...81<br />

Abbildung 17: Zwillinge, 2;6 Jahre alt, mit Crouzon-Syndrom……………………..116<br />

Abbildung 18: Zwillinge aus Abb. 17, 5;7 Jahre alt…………………………………117<br />

Abbildung 19: Intelligenzverteilung bei Kindern mit Apert- <strong>und</strong><br />

Crouzon-Syndrom……………..……………………………………..125<br />

Abbildung 20: Ergebnisse der Crouzon-Zwillinge über vier Messzeitpunkte<br />

(2;6 bis 5;7 Jahre) in der K-ABC……………………………………126<br />

Abbildung 21: Zeichenleistungen eines 11jährigen Mädchens mit<br />

Apert-Syndrom ohne Intelligenzminderung: a <strong>und</strong><br />

b Beispiele aus dem ATK, c Hauszeichnung……………………..128<br />

Abbildung 22: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />

Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS……………………129<br />

Abbildung 23: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS)………………….130<br />

Abbildung 24: Intelligenzverteilung beim Fragilen-X-Syndrom…………………...146<br />

Abbildung 25: Ergebnisse der Testbatterie für geistig behinderte<br />

Kinder (TBGB) für die Gruppe mit Fragilem-X-Syndrom…………147<br />

Abbildung 26: Zeichenleistungen eines 11jährigen Jungen mit<br />

Fragilem-X-Syndrom: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK,<br />

c Hauszeichnung……………………………………………………..148<br />

Abbildung 27: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />

Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS……………………149<br />

Abbildung 28: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS)………………….149<br />

Abbildung 29: Intelligenzverteilung bei Mikrodeletion 22q11……………………..164<br />

Abbildung 30: Intelligenzwerte anhand der Wechsler-Skalen<br />

(HAWIK-III, HAWIE-R) bei Mikrodeletionssyndrom 22q11………165<br />

Abbildung 31: Ergebnisse der K-ABC……………………………………………….166<br />

Abbildung 32: a <strong>und</strong> b Beispiele aus dem ATK <strong>und</strong> c Hauszeichnung…………..166


Abbildungsverzeichnis 205<br />

Abbildung 33: Ergebnisse der untersuchungsbegleitenden<br />

Verhaltensbeobachtung anhand des VB-KGS…………………….168<br />

Abbildung 34: Ergebnisse des Elternfragebogens (E-FB/KGS)…………………168<br />

Abbildung 35: Ergebnisvergleich „Sozialverhalten“<br />

in der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung …….173<br />

Abbildung 36: Ergebnisvergleich für „Körperliche Bewegung“<br />

in der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung……..174<br />

Abbildung 37: Ergebnisvergleich für „Unübliche Bewegungen/Interessen“<br />

in der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung…….174<br />

Abbildung 38: Ergebnisvergleich für „Selbstverletzendes/aggressives<br />

Verhalten“ in der untersuchungsbegleitenden<br />

Verhaltensbeobachtung……………………………………………..175<br />

Abbildung 39: Ergebnisvergleich für „Stimmung“ in<br />

der untersuchungsbegleitenden Verhaltensbeobachtung……….175<br />

Abbildung 40: Ergebnisvergleich für „Praktische Tätigkeiten“<br />

aus dem Elternfragebogen…………………………………………..176<br />

Abbildung 41: Ergebnisvergleich für „Sprachliche Fertigkeiten“<br />

aus dem Elternfragebogen…………………………………………176<br />

Abbildung 42: Ergebnisvergleich für „Soziale Fertigkeiten/Verhalten“<br />

aus dem Elternfragebogen…………………………………………..177<br />

Abbildung 43: Ergebnisvergleich für „Körperliche Besonderheiten/<br />

Beeinträchtigungen“ aus dem Elternfragebogen………………….177<br />

Abbildung 44: Vorschlag für ein Screening für das Fragile-X-Syndrom................179<br />

Abbildung 45: Vorschlag für ein Screening für die Mikrodeletion 22q11…………180


Tabellenverzeichnis<br />

Tabellenverzeichnis … 206<br />

Tabelle 1: Bestandteile Neuropsychologischer Diagnostik<br />

(mod. nach Heubrock & Petermann, 2000, S. 264f)…………………...8<br />

Tabelle 2: Neuropsychologische Folgen einer ACC (mod. nach Heubrock,<br />

Lex & Petermann, 2005)………………………………………………...52<br />

Tabelle 3: Ressourcenorientiert angewandte Testverfahren…………………....89<br />

Tabelle 4: Hypothesen der Doktorarbeit…………………………………………...95<br />

Tabelle 5: Psychometrisches Leistungsprofil von Veronika, 8;5 Jahre……….101<br />

Tabelle 6: Psychometrisches Leistungsprofil von Jasmin, 6;4 Jahre…………110<br />

Tabelle 7: Mittelwerte <strong>und</strong> Standardabweichungen der Intelligenzwerte<br />

beim Apert- <strong>und</strong> Crouzon-Syndrom mit <strong>und</strong> ohne Agenesie des<br />

Corpus Callosum (ACC)……………………………………………….125<br />

Tabelle 8: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests…………………………………128<br />

Tabelle 9: Psychometrisches Leistungsprofil von Mirco, 9;8 Jahre………......136<br />

Tabelle 10: Psychometrisches Leistungsprofil Stefan, 12;1 Jahre……………….144<br />

Tabelle 11: Untertestergebnisse der K-ABC beim Fragilen-X Syndrom…………146<br />

Tabelle 12: Untertestergebnisse in den Wechsler-Skalen………………………..147<br />

Tabelle 13: Psychometrisches Leistungsprofil Alexandra, 16;8 Jahre…………..155<br />

Tabelle 14: Untertestergebnisse der Wechsler-Skalen ………………………….165<br />

Tabelle 15: Ergebnisse in den K-ABC-Untertests………………………………...167<br />

Tabelle 16: Deskriptive Statistik…………………………………………………….169<br />

Tabelle 17: Mittlere Ränge der Syndromgruppen (IQ-Verteilung)………………..170<br />

Tabelle 18: Statistik für Kruskal-Wallis-Test (IQ <strong>und</strong> Syndrome)……………….170<br />

Tabelle 19: Paarweise Signifikanzprüfung der IQ-Unterschiede<br />

zwischen den Syndromen……………………………………………..171


Anhang I<br />

Verzeichnis der Anhänge<br />

Anhang A: Einverständniserklärung der Eltern……………………………II<br />

Anhang B: Verhaltensbeobachtungsbogen (VB/KGS)…………………..III<br />

Anhang C: Elternfragebogen (E-FB/KGS)………………………………VIII


Anhang A II<br />

Einverständniserklärung 1<br />

Hiermit erkläre ich / erklären wir mein / unser Einverständnis, dass von der<br />

Diagnostik meines / unseres Kindes in der Ambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong><br />

Video-Aufnahmen zu Lehr- <strong>und</strong> Forschungszwecken angefertigt werden dürfen.<br />

Eine Veröffentlichung des Videomaterials bedarf ggf. einer gesonderten<br />

Einverständniserklärung.<br />

<strong>Bremen</strong>, den Unterschrift/-e<br />

Einverständniserklärung 2<br />

Hiermit erkläre ich / erklären wir mein / unser Einverständnis, dass die in der<br />

Ambulanz der <strong>Universität</strong> <strong>Bremen</strong> bei der Diagnostik meines / unseres Kindes<br />

erhobenen Daten <strong>und</strong> Fotomaterialien anonymisiert zu Lehr- <strong>und</strong><br />

Forschungszwecken genutzt <strong>und</strong> veröffentlicht werden dürfen.<br />

<strong>Bremen</strong>, den Unterschrift/-en


Anhang B III


Anhang B IV


Anhang B V


Anhang B VI


Anhang B VII


Anhang C VIII<br />

Liebe Eltern,<br />

E-FB/KGS<br />

bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, um diesen Fragebogen<br />

auszufüllen.<br />

Name des Kindes :<br />

Geburtsdatum :<br />

Geschlecht :<br />

Diagnose :<br />

Nachfolgend nennen wir Ihnen einige Verhaltensweisen. Wenn Sie diese<br />

bei Ihrem Kind schon beobachtet haben, so kreuzen Sie bitte „JA“ an.<br />

Andernfalls kreuzen Sie bitte immer „NEIN“ an.<br />

Mein Kind...<br />

I. Praktische Tätigkeiten<br />

Kleidet sich ohne Hilfe an <strong>und</strong> aus<br />

Kann sich die Jacke zuknöpfen <strong>und</strong> auch die Schuhe<br />

zubinden<br />

Verrichtet die eigene Körperpflege selbständig<br />

Ißt ohne Hilfe <strong>und</strong> kann sich selbständig Nahrung<br />

zubereiten; z.B. „ein Brot schmieren“<br />

Geht ohne Hilfe zu Bett<br />

Hilft bei kleinen Hausarbeiten mit<br />

Gebraucht Geräte <strong>und</strong> Werkzeuge<br />

Gebraucht Roll- oder Schlittschuhe, Schlitten <strong>und</strong><br />

Wagen<br />

Malt <strong>und</strong> schreibt mit Bunt- oder Bleistiften<br />

Geht ohne Begleitung zur Schule<br />

Ist immer vorsichtig <strong>und</strong> vermeidet Gefahren<br />

Weiß sich in einfachen Situationen zu helfen<br />

Nennt bekannte Gegenstände mit Namen.<br />

Berichtet über Erfahrungen<br />

Führt anderen etwas vor<br />

Kann für St<strong>und</strong>en allein gelassen werden <strong>und</strong> dabei<br />

auf sich <strong>und</strong> andere achten<br />

Verrichtet einfache schöpferische Arbeit<br />

Liest aus eigenem Antrieb<br />

JA<br />

NEIN


Anhang C IX<br />

II. Sprachliche Fertigkeiten<br />

Kann nicht sprechen<br />

Gebraucht einzelne Wörter<br />

Kann Sätze von drei oder mehr Wörtern bilden<br />

Benutzt gestische Ausdrucksformen zur<br />

Verständigung<br />

Benutzt Blickkontakt <strong>und</strong> Handzeichen zur<br />

Kommunikation<br />

Hat Artikulationsschwierigkeiten<br />

Spricht grammatikalisch richtig <strong>und</strong> vollständig<br />

Spricht in einem gleichmäßigen Sprachrhythmus<br />

Antwortet <strong>und</strong> fragt kontextbezogen<br />

Versteht Anweisungen nach ihrer Bedeutung<br />

Neigt zu Wort-<strong>und</strong>/oder Satzwiederholungen<br />

Spricht häufig phrasen-<strong>und</strong> klischeehaft<br />

III. Soziale Fertigkeiten/Verhalten<br />

Kann Kontakt zu Gleichaltrigen aufnehmen<br />

Kann sich gut allein beschäftigen<br />

Benötigt klare <strong>und</strong> übersichtliche Strukturen z.B. beim<br />

Spiel oder im Tagesablauf<br />

Wirkt isoliert<br />

Ist distanzlos gegenüber Fremden<br />

Benutzt einen unüblichen Blickkontakt<br />

Gebraucht unübliche Gestik oder Mimik<br />

Verhält sich antisozial in der Familie oder gegenüber<br />

Gleichaltrigen<br />

Hat rasche Stimmungsschwankungen<br />

Wird schnell zornig <strong>und</strong> aggressiv<br />

Zeigt selbststimulierendes oder selbstverletzendes<br />

Verhalten<br />

Hat unübliche Interessen<br />

Ist ziellos oder übertrieben in seinen Bewegungen<br />

Reagiert empfindlich auf laute Geräusche<br />

Ist häufig unaufmerksam oder leicht irritierbar<br />

Besteht auf Gewohnheiten<br />

Ist auffällig auf bestimmte Themen fixiert (z.B.<br />

„Essen“ )<br />

Hat unangepasste Stimmungen<br />

Hat häufig Wutausbrüche<br />

Fordert viel Aufmerksamkeit<br />

Hat Trennungsschwierigkeiten


Anhang C X<br />

Ist ungeschickt<br />

Greift Erwachsene <strong>und</strong> Gleichaltrige körperlich an<br />

Schaukelt den eigenen Körper<br />

IV. Körperliche Besonderheiten/Beschwerden<br />

Während der Schwangerschaft waren die<br />

Kindsbewegungen vermindert<br />

Es hat eine abnorme Entbindungslage vorgelegen<br />

Es ergaben sich auf Gr<strong>und</strong> eines allgemeinen<br />

verminderten Muskeltonus Fütterungsprobleme im<br />

Säuglingsalter<br />

Die Genitalien sind zu klein ( bei Jungen häufig<br />

„Hodenhochstand“)<br />

Es besteht Übergewicht <strong>und</strong> vermehrtes Verlangen<br />

nach Nahrung<br />

Es besteht eine Fehlsichtigkeit<br />

Das Kind ist unfähig zu erbrechen<br />

Das Körperwachstum ist verlangsamt<br />

Die Stimme ist auffällig rauh bzw. tief<br />

Es besteht eine Anomalie des Herzens (z.B. Aortenoder<br />

Pulmonalstenose)<br />

Das Gesicht ist optisch auffällig (z.B. große Ohren,<br />

langes schmales Gesicht)<br />

Es besteht eine Epilepsie (Anfallsleiden)<br />

Häufige Mittelohrentzündungen können beobachtet<br />

werden<br />

Probleme im Bereich der Wirbelsäule sind zu<br />

beobachten<br />

Es besteht ein Minderwuchs<br />

Saug-<strong>und</strong> Atembeschwerden im Säuglingsalter waren<br />

vorhanden<br />

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