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28 WIRTSCHAFT - German Historical Institute Washington DC

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<strong>28</strong> <strong>WIRTSCHAFT</strong> FRANKFURTER ALLGEMEIN E SONNTAGSZEITUNG, 8. DEZEMBER 2013, NR. 49<br />

Jedes Schulkochbuch<br />

enthalt eine Einweisung<br />

in die jeweils aktuelle<br />

Kuchentechnik.<br />

Sonntags beteiligt sich vati<br />

an der Hausarbeit.<br />

Foto Interfoto<br />

-<br />

Zwanzig Jahre nachdem<br />

der Apotheker Dr. August<br />

Oetker in Bielefeld<br />

mit dem Verkauf<br />

von Backpulver begonnen<br />

hat, legt er r:t:.m..,hnti~n.K.nobL:iocb-<br />

l!l:f'rllhlln&•nriobeln<br />

otllClgM&\rell<br />

lKnobl'1uch"'h.,,<br />

4TLSpelNOl,<br />

1.D.BUl:


FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 8. DEZEMBER 2013, NR. 49 <strong>WIRTSCHAFT</strong> 29<br />

Kochen will gelernt seln. s<br />

erste Kochbuch von I9II enthiilt<br />

<strong>28</strong>0 ,,Kochvorschriften".<br />

Wer die 13 bis 14 Neufassungen<br />

des Schulkochbuches nebeneinanderlegt,<br />

kann besonders sehen, wie<br />

sich die Haltung der Gesellschaft<br />

zurn Fleischgenuss verandert.<br />

Fleisch steht stets im Mittelpunkt,<br />

selbst heute, indem sich vegetarische<br />

und vegane Gerichte in ihrem<br />

Verhaltnis zurn Fleisch definieren.<br />

Uhlich ist allerdings bis in die<br />

siebziger Jahre hinein, class alles<br />

vom Tier verwertet wird von der<br />

Zunge iiber die Nieren bis zurn<br />

Eisbein. Der kulinarische Hohepunkt<br />

ist fur jenc Familicn, die<br />

sich es leisten konnten, der Sonntagsbraten.<br />

Er soll spater noch<br />

eine wichtige Rolle spielen.<br />

Zunachst leistet sich Deutschland<br />

ein paar wenige bessere Jahre<br />

zwischen den grofien Kriegen. Im<br />

Jahr 1927 meldet Dr. Oetker:<br />

,,Nach langer Pause, die durch den<br />

Krieg und seine Folgezeit bedingt<br />

wurde, kommt das Schulkochbuch<br />

nun in vollstandig neuer Bearbeitung<br />

heraus." Geandert haben<br />

sich die Erkenntnisse iiber gesunde<br />

Ernahrung (Vitamine!) und die<br />

Kiichentechnik (ein Gerat zurn<br />

nahrstoffschonenden Backen, Braten<br />

und Diinsten namens Kiichenwunder).<br />

Die Bielefelder Firma<br />

startet im selben Jahr der Neuauflage<br />

mit einem neuen Projekt, das<br />

Marketing und volkspadagogische<br />

Ambitionen unter einem Dach vereint:<br />

Uberall in grofien deutschen<br />

Stadten entstehen Koch- und<br />

Waschschulen. Dr. Oetkers Partner<br />

ist die Waschmittelfirma Henkel<br />

(Persil). 5000 bis 6000 Hausfrauen<br />

absolvieren jahrlich diese<br />

Schul en.<br />

Die Rezeptesammlung des Jahres<br />

1927 ist deutlich grofier, bunter<br />

und eine Spur genussvoller: Der<br />

Hammel drangt ins Kochbuch.<br />

Pilzgerichte kommen offenbar in<br />

Mode, Rehragout wird vorgestellt,<br />

Apfelsinen finden Erwahnung,<br />

und selbst ein Makkaroniauflauf<br />

mit Schinken gehort zurn Repertoire<br />

der zwanziger Jahre.<br />

Zehn Jahre sparer regieren der<br />

Mangel und die Nazis. Sie fordern<br />

die Herrschaft in alien Lebensbereichen<br />

einschliefilich der Kiiche.<br />

Fiir den ideologischen Content bedienen<br />

sie sich aus der Lebensreform-Bewegung,<br />

die schon langer<br />

Vollwert, natiirliche, unprozessierte<br />

Lebensmittel und vegetarische<br />

Kost propagiert.<br />

Der damalige Oetker-Chef und<br />

-Gesellschafter Richard Kaselowsky<br />

ist ein strammer Nationalsozialist<br />

und gehort zum exklusiven<br />

,,Freundeskreis des Reichsfiihrers",<br />

in dem sich Hitler-treue<br />

Industriekapitane versammeln.<br />

Die Kiiche wird reichsdeutsch.<br />

Gefordert sind saisonal ausgerich-<br />

Das essen die Deutschen<br />

Jahresverbrauch je Einwohner in kg<br />

Damals (1900)<br />

Milch,<br />

Butter,<br />

Kase<br />

Fleisch<br />

Brot<br />

GemOse, -<br />

Sa lat<br />

Obst<br />

Kartoffeln<br />

ZitrusfrOchte .,.,,,,_~-""<br />

Ole, Fette<br />

Fisch<br />

Eier<br />

(Stock)<br />

Ouelle:n: DBV; AMI; BMELV I F.A.Z. ·Grafik Brocker<br />

tete Speiseplane und Produkte, die<br />

,,im Reich" hergestellt werden.<br />

Einzig die Erzeugnisse der ,,Achsenmachte"<br />

wie Italien finden<br />

noch die Gnade. Mit Tomaten bezahlen<br />

die Italiener lmporte aus<br />

Deutschland. Die Steckriibe, als<br />

ostpreufiische Ananas verulkt, findet<br />

sich immer haufiger auf dem<br />

Speiseplan.<br />

Von den Hausfrauen wird verlangt,<br />

class sie Essensreste systematisch<br />

verwerten. Das hausliche Essen<br />

bleibt nicht !anger eine Privatangelegenheit,<br />

wie eine entsprechende<br />

Kampagne zeigt. Unter<br />

dem Motto ,Jeder Eintopfsonntag<br />

ein Ehrentag der Nation" propagiert<br />

das Wmterhilfswerk den Abschied<br />

vom Sonntagsbraten an jedem<br />

zweiten Sonntag eines Monats.<br />

Was die Hausfrau spart, soll<br />

in die Sammelbiichse des Wmterhilfswerks,<br />

fordert der Vegetarier<br />

Adolf Hitler.<br />

Im 1937 erscheinenden Kochbuch<br />

ist die Rede von naturgemafier<br />

Ernahrung, es zeigt ausfiihrlich,<br />

wie man Obst und Gemiise<br />

haltbar machen kann. Fiir schlechte<br />

Zeiten. Die stehen unmittelbar<br />

bevor.<br />

Im Kochbuch 1943 wird die prekare<br />

Ernahrungslage ablesbar: Es<br />

regiert die Fleischillusion. Vor allem<br />

Rezepte fur die Herstellung<br />

von Ersatzspeisen wie Kohlrabischnitzel<br />

oder Graupenbratlingen<br />

erganzen das alte Programm von<br />

1937. Der Mangel wird in der brei-<br />

ten Bevolkerung spatestens 1944<br />

korperlich spiirbar. Bis dahin hatten<br />

die Rationierung der Nazis<br />

und die gnadenlose Auspliinderung<br />

der eroberten Gebiete noch<br />

ihre Wrrkung entfalten konnen.<br />

Schlimm wird nach dem Krieg<br />

der Hungerwinter 1946/47. In der<br />

britischen Zone liegt die offizielle<br />

Ration bei neunhundert Kalorien.<br />

2500 Kalorien gelten als Normalmafi.<br />

Hunderttausende, so<br />

grobe Schatzungen, sterben des<br />

Hungers. Noch im Mai 1948 demonstrieren<br />

im Frankischen Hausfrauen<br />

und Mutter mit der schlichten<br />

Aussage, nicht verhungern zu<br />

wollen.<br />

Im Schulkochbuch von 1960 beginnt<br />

die kleine Ernahrungslehre,<br />

die den Rezepten vorangestellt ist,<br />

mit einer grundsatzlichen Betrachtung<br />

des Hungers und der Aufgabe<br />

der Nahrung, diesen immer<br />

wieder zu stillen. Im Kopf sind die<br />

Leute noch beim Mangel stehengeblieben,<br />

die Bauche sind allerdings<br />

schon weiter. In den Jahren<br />

zwischen 1948 und 1960 verzeichnen<br />

die Deutschen die grofite Gewichtszunahme<br />

des vergangenen<br />

Jamhunderts, berichtet Historiker<br />

Uwe Spiekermann.<br />

Es ist eine paradoxe Lage. Die<br />

Generation, die einmal den Schrecken<br />

des Hungers spiirte, hat die<br />

Fahigkeit verloren, halbleere Teller<br />

zuriickzulassen. Und die Kinder<br />

werden zu den Mahlzeiten bestandig<br />

ermahnt. In strengen Familien<br />

mit den Worten: ,,Der Teller<br />

wird leer gegessen." Weichherzige<br />

Eltern sagen: ,,Iss doch wenigstens<br />

das Fleisch."<br />

Gemiise gibt es reichlich im<br />

Kochbuch 1960, doch gerne gefi.illt<br />

mit Gehacktem. Siilzkoteletts<br />

werden beliebt und Gegrilltes wie<br />

Schaschlik. Aber es gibt auch den<br />

unverbliimten Hinweis: ,,Rohkost<br />

vor dem Essen ist gut fur dicke<br />

Leute, weil sie den Appetit<br />

dampft."<br />

Kulinarisch beendet das Schulkochbuch<br />

die Nachkriegszeit im<br />

Jalu;e 1976. Es fehlen die Hinweise<br />

zur Zubereitung von Mischkaffee,<br />

Ideen zur Resteverwertung wie<br />

,,Ganse- oder Entenkleinsuppe<br />

mit Kartoffeln oder Reis", dafiir<br />

wird es exotischer mit dem jugoslawischen<br />

Schweinefleischspiefi.<br />

Die nachsten Ausgaben des Buches<br />

folgen verschiedenen Trends:<br />

Das Essen soil gesiinder sein, internationaler,<br />

schneller zuzubereiten<br />

und kalorieniirmer. Das Fleisch<br />

wird magerer, aus den Steaks verschwindet<br />

das weific Fett. Gcfliigel<br />

kommt haufiger auf den Tisch.<br />

Dafiir bleibt manches auf der<br />

Strecke wie die sauren Nieren<br />

oder die Rinderzunge, die aus der<br />

jiingsten Ausgabe eliminiert wur-<br />

de. Man konzentriert sich auf Filet,<br />

Keule und Kotelett. Selbst das<br />

Eisbein, in Kombination mit Sauerkraut<br />

einst so etwas wie das deutsche<br />

Nationalgericht, verschwindet<br />

aus den Kochbiichern. Die<br />

deutsche Fleischwirtschaft hat<br />

sich darauf eingestellt und exportiert<br />

die weniger gefragten Teile<br />

des Viehs.<br />

Eine neue Phase in der Ernahrung<br />

kiindigt sich an. Die Essensauswahl<br />

wird - wieder - politisch, Tierhaltung<br />

zur Frage der Ethik. Fiir Veganer<br />

gibt es jetzt eigene Supermiirkte,<br />

die noch nicht einmal Honig<br />

haben. Carola Reich, Chefin des<br />

Schulkochbuchs, meint, der Veganismus<br />

bleibe eine Mode wie das Heilfasten:<br />

,,Man macht es halt mal." Im<br />

Jungsten Schulkochbuch ist die<br />

Salatsektion stattlich, und manche<br />

Gerichte wie der Avocado-Sprossensalat<br />

bekommen den zartgriin gehaltenen<br />

Hinweis: vegetarisch.<br />

Das neue Schulkochbuch erscheint<br />

im Herbst nachstenJahres.<br />

Mehrere Gerichte darin werden neben<br />

der klassischen in einer vegetarischen<br />

Version prasentiert. Eine<br />

Tradition wird aber<br />

voraussichtlich nicht durchbrochen.<br />

Seit die Buchdeckel des Dr.<br />

Oetker Schulkochbuchs mit Fotos<br />

aufgemacht werden, ist ein Fleischgericht<br />

abgelichtet worden, zuletzt<br />

ein prima Fleischrouladen-Gericht.<br />

Das Griinzeug sieht man<br />

leicht verschwommen im Hintergrund.<br />

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