PDF-Vollversion - Existenzanalyse Schweiz
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Achtung<br />
vor dem eigenen<br />
<strong>Existenzanalyse</strong><br />
Schicksal<br />
und anthroposophische Biografiearbeit<br />
- eine Annäherung.<br />
Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in<br />
<strong>Existenzanalyse</strong><br />
April 2013<br />
Eingereicht von:<br />
Eingereicht bei:<br />
Erika Salzmann<br />
Mag. Markus Angermayr<br />
DDr. Alfried Längle<br />
1
Zusammenfassung<br />
In meiner Abschlussarbeit gehe ich der Frage nach, ob – und wenn ja, bei welchen<br />
Fragestellungen – die <strong>Existenzanalyse</strong> durch die anthroposophische Biografiearbeit<br />
erweitert werden kann. Einer Antwort auf diese Frage versuche ich durch Darstellung der<br />
jeweiligen Menschenbilder und der phänomenologischen Herangehensweisen sowie der<br />
genauen Beschreibung der beiden Methoden der biografischen Arbeit näherzukommen.<br />
Anhand eines Fallbeispiels aus meiner Praxis beschreibe ich den Versuch, die biografische<br />
<strong>Existenzanalyse</strong> und die anthroposophische Biografiearbeit zu verbinden. Ergänzt wird die<br />
Arbeit durch praktische Anregungen für die Biografiearbeit.<br />
Schlüsselwörter<br />
Biografische <strong>Existenzanalyse</strong>, anthroposophische Biografiearbeit, Menschenbild,<br />
Phänomenologie<br />
Abstract<br />
In my degree paper I tackle the question if - and, given that, in which cases - existential<br />
analysis can be extended through biographical work on the basis of antroposophy. I try to<br />
find an answer to this question through display of the particular conception of man and the<br />
respective phenomenological approach, as well as an in depth description of both methods<br />
of biography work. On the basis of a case study from my personal work experience, I<br />
attempt to bring together biographical existential analysis and biography work based on<br />
anthroposophy. I also give a few practical suggestions for biography work.<br />
Keywords<br />
biographical existential analysis, biography work on the basis of antroposophy, conception<br />
of man, phenomenological approach, case study<br />
2
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Was mich zu diesem Thema geführt hat…………………………………................4<br />
2. Menschenbilder…………………………………………………………………… 7<br />
2.1 Das Menschenbild in der <strong>Existenzanalyse</strong>……………………………………..7<br />
2.1.1 Die Person……………………………………………………………....8<br />
2.2 Das anthroposophische Menschenbild………………………………………....9<br />
2.2.1 Der Mensch als Hüllenwesen…………………………………………...9<br />
2.2.2 Die Wesensglieder bei Steiner………………………………………….9<br />
3. Die phänomenologische Haltung in der <strong>Existenzanalyse</strong>………………………...11<br />
3.l Philosophische Grundlagen…………………………………………………….11<br />
3.2 Die Phänomenologie in der Praxis…………………………………………….12<br />
3.2.1 Die Personale <strong>Existenzanalyse</strong>…………………………………………….13<br />
4. Die biografische <strong>Existenzanalyse</strong>………………………………………………….14<br />
4.1 Die Schritte der biografischen Methode………………………………………16<br />
4.2 Indikation der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong>…………………………….…..18<br />
5. Die Biografiearbeit auf anthroposophischer Grundlage…………………………..19<br />
5.1 Theorie der anthroposophischen Biografiearbeit………………………….…..19<br />
5.2 Praxis der anthroposophischen Biografiearbeit……………………………….20<br />
5.3 Rhythmen, Metamorphosen und andere Gesetzmäßigkeiten…………….…..21<br />
5.3.1 Alle sieben Jahre……………………………………………………....23<br />
5.3.1.1 Die Themen der Jahrsiebte…………………………………….….23<br />
5.3.2 Metamorphosen……………………………………………………….25<br />
5.3.3 Mondknoten…………………………………………………………...26<br />
6. Die Haltung des Beraters, der Therapeutin in der ABA…………………………..27<br />
7. Fallbeispiel „Clara“………………………………………………………………..30<br />
8. Resumé…………………………………………………………………………….37<br />
9. Anhänge……………………………………………………………………………40<br />
9.1. Fragen zur Biografie…………………………………………………………..40<br />
9.2. Anregungen für die biografische Arbeit………………………………………44<br />
10. Literaturverzeichnis…………………………………………………………………....46<br />
3
1. Was mich zu diesem Thema geführt hat<br />
Als ich vor über 20 Jahren zum ersten Mal an einem Workshop zum Thema Biografie-<br />
Arbeit teilnahm, wusste ich sofort, dass das etwas ist, was mich länger beschäftigen wird.<br />
Ich hatte richtiggehend „Feuer gefangen“ und besorgte mir alle Bücher die es zu dieser<br />
Zeit zu diesem Thema gab. Ich war 28 Jahre alt (Das erwähne ich deshalb, weil es in der<br />
anthroposophischen Biografiearbeit nicht unbedeutend ist, wann solche<br />
lebensbestimmenden Entscheidungen getroffen werden. Mehr dazu im entsprechenden<br />
Kapitel). Einige Jahre später besuchte ich ein Seminar, in dem eine Woche lang intensiv an<br />
der eigenen Biografie gearbeitet wurde. Ich erlebte diese Arbeit ausgesprochen stärkend<br />
und motivierend, sie machte mich neugierig auf mein Leben.<br />
Mit ca. 35 Jahren kam ich in eine Sinnkrise, meine beiden Kinder besuchten mittlerweile<br />
die Schule bzw. den Kindergarten und mich plagte die Frage, welche Richtung ich meinem<br />
Leben nun geben soll, wohin mich mein Weg führen könnte. Das, was ich vorher gemacht<br />
hatte, passte nicht mehr zu mir. Da kam mir die biografische Arbeit wieder in den Sinn und<br />
ich entschloss mich zu einer Ausbildung in dieser Methodik beim Verein für<br />
Biographiearbeit auf der Grundlage der Anthroposophie in Arlesheim, <strong>Schweiz</strong>. Die<br />
intensive Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten, Rhythmen und spezifischen Themen<br />
der jeweiligen Lebensabschnitte eröffnete mir einen neuen Blick auf den Menschen und<br />
die Persönlichkeitsentwicklung.<br />
Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete ich einige Jahre mit arbeitssuchenden<br />
Erwachsenen. Die biografische Arbeit war ein Angebot, das freiwillig im Rahmen der<br />
AMS(Arbeitsmarktservice)-Schulungen besucht werden konnte. Die Arbeit fand in<br />
Gruppen von drei bis zehn Menschen statt, die zentrale Fragestellung war naturgemäß eine<br />
berufliche: „Welche Stärken habe ich? Gibt es liegengelassene rote Fäden? Wie möchte ich<br />
mein (berufliches) Leben in Zukunft gestalten?“ usf.<br />
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen empfanden die Auseinandersetzung mit ihrer<br />
Geschichte als sehr hilfreich in Bezug auf die Fragestellung. Besonders stärkend erlebten<br />
sie die Art und Weise der Arbeit: der betreffende Mensch erzählt seine Biografie (nach<br />
einer individuellen Vorbereitung) in ca. zwei Stunden, die anderen hören zu und stellen<br />
eventuell Verständnisfragen. Am Ende geben alle Zuhörer und Zuhörerinnen<br />
wertschätzendes und wohlwollendes Feedback: Wie wirkt diese Person auf mich? Was hat<br />
4
mich besonders beeindruckt? Wie ist sie bisher mit schwierigen Situationen umgegangen?<br />
usw. Der Fokus wurde ganz klar auf die Ressourcen gelegt, das Ziel war in erster Linie,<br />
wieder einen passenden Arbeitsplatz zu finden.<br />
In vielen Fällen reichte die ressourcenorientierte, beraterische Vorgehensweise aus, um die<br />
Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen, in manchen anderen allerdings kam ich mit der<br />
Biografiearbeit an Grenzen. Da lagen die Probleme tiefer, es gab Traumatisierungen, nicht<br />
verarbeitete Verletzungen usw. Diese Erfahrung führte mich schließlich zur Therapie-<br />
Ausbildung. Ich wollte tiefer dringen, die Probleme an ihrer Wurzel packen können, die<br />
Menschen besser verstehen…<br />
Die Entscheidung für die <strong>Existenzanalyse</strong> fiel mir leicht, es kam eigentlich gar nichts<br />
anderes in Frage, eine „Psychotherapie vom Geist her“, wie Frankl es einmal ausdrückte,<br />
das interessierte mich. Auch würde die <strong>Existenzanalyse</strong> gut zu meinem durch die<br />
Anthroposophie geprägten Menschenbild passen. Seit ich im Rahmen der Ausbildung die<br />
biografische Methode der <strong>Existenzanalyse</strong> kennenlernte, beschäftigt mich die Möglichkeit<br />
einer Verbindung der beiden Ansätze. Welche Gemeinsamkeiten gibt es? Wo<br />
unterscheiden sich die Methoden? Und wann macht es Sinn, die anthroposophische<br />
Methode im Rahmen einer Therapie einzusetzen?<br />
Interessanterweise bekam ich seit Abschluss der Grundausbildung in <strong>Existenzanalyse</strong><br />
wieder vermehrt Anfragen und Gelegenheit zur anthroposophischen Biografiearbeit – für<br />
mich eine Aufforderung, diese auf dem Hintergrund der <strong>Existenzanalyse</strong> zu versuchen. Die<br />
Erfahrungen, die ich bisher damit machte, möchte ich in dieser Arbeit mitteilen.<br />
Zuerst stelle ich die Menschenbilder der <strong>Existenzanalyse</strong> und Anthroposophie kurz vor.<br />
Darauf folgt ein Blick auf die phänomenologische Haltung der beiden Ansätze, die<br />
Darstellung der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong> und der anthroposophischen Biografiearbeit<br />
schließen diesen ersten Teil ab. Anhand der Biografie von Clara (Name geändert) versuche<br />
ich aufzuzeigen, wie eine Annäherung von <strong>Existenzanalyse</strong> und anthroposophischer<br />
Biografiearbeit aussehen könnte.<br />
5
Den Titel der Arbeit verdanke ich meiner Freundin Cornelia; sie fasste die Früchte, die sie<br />
durch die biografische Arbeit erhielt, so zusammen: „Ich habe Achtung vor meinem<br />
eigenen Schicksal bekommen!“<br />
Zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch: Ich verwende im Text abwechselnd die<br />
weibliche und die männliche Form.<br />
6
2. Menschenbilder<br />
2.1 Das Menschenbild in der <strong>Existenzanalyse</strong><br />
Das Menschenbild der <strong>Existenzanalyse</strong> ist ein dreidimensionales, d.h. es umfasst Leib,<br />
Seele und Geist. Frankl wählte zur Beschreibung des Menschen das geometrische Bild der<br />
drei Dimensionen: (Frankl 1959, zit. n. Längle 2008 S.65)<br />
Geist<br />
Emotion<br />
Kognition<br />
Psyche<br />
Körper<br />
Damit verließ er die zu seiner Zeit übliche Darstellungsform eines Schichtenmodells<br />
(Nikolai Hartmann, Max Scheler), die dimensionale Beschreibung erachtete er als<br />
geeigneter um für die Psychotherapie relevante Informationen wiederzugeben. (Längle<br />
2005 S.88) Darin drückt sich aus, dass der Mensch an drei differenten Aspekten des Seins<br />
Anteil hat. Der Leib oder Körper ist das Materielle am Menschen, die Seele oder Psyche<br />
umfasst Triebe, Stimmungen (z.B. Ängste, Depressionen, Reizbarkeit), Charakter, Affekte<br />
sowie die Copingreaktionen. Der Geist oder die Person ist das Freie im Menschen und<br />
somit die Fähigkeit zu wählen und zu entscheiden, Verantwortung zu übernehmen; auch<br />
Sinn und Gespür sind hier angesiedelt.<br />
Die Emotion nimmt eine Zwischenstellung ein, sie hat Anteil an der Psyche und am Geist,<br />
während die Kognition Anteil am geistigen Erfassen und am Werkzeugcharakter von<br />
Gedächtnis und Erleben hat. (ebd.)<br />
Mit dieser dimensionalen Darstellungsweise beschreibt Frankl ein spezifisch humanes<br />
Spannungsfeld: die Differenz zwischen dem Geistigen und dem „Psychophysikum“, dem<br />
Personalen und der „leiblich-seelischen Basis“ des Menschseins (Längle 2008) Das<br />
Geistige steht in ständiger Auseinandersetzung einerseits mit dem Psychophysikum und<br />
andererseits mit der Welt. Aber auch innerhalb jeder der drei Dimensionen besteht jeweils<br />
7
eine Polarität und dadurch eine Dynamik: auf der körperlichen Ebene ist der Mensch<br />
eingespannt zwischen Gesundheit und Krankheit, auf der psychischen Ebene zwischen<br />
Lust und Unlust und schließlich auf der geistigen Ebene zwischen Erfüllung und Leere.<br />
Da die drei Dimensionen einer gewissen Eigengesetzlichkeit unterliegen, kann es zu einer<br />
Divergenz im Kräftefeld kommen. So kann beispielsweise der Körper müde sein, während<br />
die Psyche ängstlich und unruhig ist. Das kann zu einem Spannungszustand führen, in dem<br />
keine Erholung möglich ist. Erst wenn die Psyche ruhig wird, stellt sich der Schlaf ein.<br />
(Längle 2005 S.89)<br />
2.1.1 Die Person<br />
Frankl bezeichnet die Person, das Freie im Menschen als die spezifisch menschliche<br />
Dimension. Sie ist einmalig und einzigartig, sie befindet sich in einem ständigen<br />
Wechselverhältnis mit dem anderen (dem Psychophysikum und der Welt) – von dem sie<br />
sich zwar abgrenzt auf das sie sich aber zugleich auch bezieht. Die Person zeigt sich in<br />
dem wie sie mit etwas umgeht, wie sie sich entscheidet. Sie ist nicht fassbar, ich kann der<br />
Person des anderen Menschen jedoch begegnen. (Frankl 1982)<br />
Ein besonderes Charakteristikum der menschlichen Existenz ist lt. Frankl die Fähigkeit des<br />
Menschen zur Transzendenz, d.h. der Mensch transzendiert sein Sein auf ein Sollen hin.<br />
Dadurch erhöht er sich über sein Psychophysikum in das Geistige, das eigentlich<br />
Menschliche. Während das Psychophysikum von der Psychodynamik (Triebe) beherrscht<br />
wird, ist das Geistige, die Person auf Werte und Sinn hin ausgerichtet. Dem Menschen geht<br />
es nach Frankl nicht darum, sich selbst zu verwirklichen sondern darum, Sinn zu erfüllen<br />
und Werte zu verwirklichen. In dem Maße wie ihm das gelingt, erfüllt er auch sich selbst.<br />
(Frankl 1986)<br />
8
2.2 Das anthroposophische Menschenbild<br />
Das der hier vorgestellten Biografiearbeit zugrundliegende Menschenbild geht zurück auf<br />
Rudolf Steiner (1861 - 1925), dem Begründer der Anthroposophie. Anthroposophie<br />
bedeutet in etwa „die Weisheit vom Menschen“. Sie ist „…eine spirituelle Bewegung auf<br />
philosophischer Grundlage mit sozialer Ausrichtung“ (Heisterkamp 2010 S.11) Diese<br />
Bewegung war und ist auch heute noch impulsgebend für verschiedene Lebensbereiche<br />
wie Medizin, Kunst, Landwirtschaft oder Pädagogik.<br />
Anthroposophie ist aber auch ein Erkenntnisweg mit einer detailliert beschriebenen<br />
Methode zur Erweiterung des Bewusstseins und der Entwicklung von Sozialkompetenz.<br />
Ziel des Schulungsweges ist ein Leben in Freiheit und Verantwortung. Steiner knüpft hier<br />
vor allem an die christliche Mystik, das Rosenkreuzertum, den Idealismus und die<br />
Theosophie an, die wiederum ihre Wurzeln in der indischen Philosophie, insbesondere des<br />
Hinduismus hat.<br />
2.2.1 Der Mensch als Hüllenwesen<br />
Während Frankl Leib, Seele und Geist dreidimensional darstellt, wird der Mensch in der<br />
anthroposophischen Anthropologie als „Hüllenwesen“ beschrieben. Das Ich als geistiger<br />
Wesenskern des Menschen bildet das „Innere“, die dem Ich nächste Hülle ist die Seele,<br />
während der physische Leib die äußerste Schicht bildet. Wie bei Frankl hat das Seelische<br />
hierbei eine Zwischenfunktion, es hat Anteil am Leiblichen als auch am Geistigen, und<br />
steht somit einer „zweifachen Notwendigkeit“ (Steiner 1904 in 1962 S.26) gegenüber.<br />
Durch diese drei verschiedenen Bereiche ist der Mensch „Bürger dreier Welten“ (ebd.<br />
S.23): Mit der physischen Welt ist er über seine Sinne verbunden, er sieht, hört, riecht,<br />
schmeckt und tastet die „Gegenstände der Welt“. Diese Wahrnehmungen machen<br />
Eindrücke auf die Seele, sie erwecken Lust oder Unlust und Gefallen oder Missfallen. In<br />
der „seelischen Welt“ reicht das Spektrum von bewussten bis zu weitgehend unbewussten<br />
Bereichen, wo das Ich kaum hinreicht. Die dritte „Welt“ ist die der Erkenntnis, die der<br />
Mensch aus den Wahrnehmungen und Eindrücken gewinnt, die geistige Ebene. (ebd.)<br />
2.2.2 Die Wesensglieder bei Steiner<br />
Rudolf Steiner differenziert Leib, Seele und Geist weiter in jeweils drei Bereiche und<br />
beschreibt so neun verschiedene „Wesensglieder“ (Steiner 1904 in 1962), die sich im<br />
Laufe des Lebens entwickeln bzw. vom Menschen zu entwickeln sind:<br />
9
Leib: Physischer Leib – Ätherleib – Astralleib<br />
Seele: Empfindungsseele – Verstandes- oder Gemütsseele – Bewusstseinsseele<br />
Geist: Lebensgeist – Geistselbst – Geistesmensch<br />
Da die genaue Beschreibung der Wesensglieder den Rahmen dieser Arbeit sprengen<br />
würde, beschränke ich mich auf einige wenige Hinweise (frei nach anthrowiki.at,<br />
abgerufen am 08.02.2013):<br />
Physischer Leib: Das unterste und entwicklungsgeschichtlich älteste Wesensglied des<br />
Menschen.<br />
Ätherleib: Umfasst jene Kräfte, die den physischen Leib bilden und erhalten.<br />
Astralleib: Der eigentliche Seelenleib, Träger des Bewusstseins jedoch nicht des<br />
Selbstbewusstseins. (Auch Tiere verfügen über einen „Astralleib“)<br />
Empfindungsseele: „Sitz“ der Triebe, Begierden, Leidenschaften, Affekte, Willensimpulse<br />
Verstandes- oder Gemütsseele: Wechselspiel zwischen Verstand und Gemüt, bereits etwas<br />
abgeklärter als die reine Empfindungsseele.<br />
Bewusstseinsseele: Diese Seelenqualität beinhaltet u.a. die Fähigkeit, etwas als wahr zu<br />
erkennen und danach zu leben.<br />
Lebensgeist (Sanskrit: Buddhi): der Lebensgeist wird gebildet, indem das menschliche Ich<br />
nach und nach die bewusste Herrschaft über die tiefergehenden Lebensgewohnheiten und<br />
Charaktereigenschaften gewinnt.<br />
Geistselbst (Sanskrit: Manas): das höhere Selbst des Menschen im engeren Sinn, das ihn<br />
als Genius inspiriert. Es wird durch die bewusste Arbeit des individuellen Ichs am<br />
menschlichen Astralleib gebildet.<br />
Geistesmensch (Sanskrit: Atma): die Bezeichnung für das dritte und höchste geistige<br />
Wesensglied des Menschen. Indem das menschliche Ich verwandelnd bis in den<br />
physischen Leib hineinwirkt, erfüllt es sich nach und nach mit den schöpferischen<br />
geistigen Kräften des Geistesmenschen.<br />
Während sich physischer Leib, Ätherleib und Astralleib beim gesunden Menschen<br />
sozusagen „von selbst“ entwickeln, bedarf es für die Ausbildung der höheren<br />
Wesensglieder zunehmend einer bewussten Schulung durch das Ich. Die<br />
Anthroposophische Biografiearbeit baut auf diesem Entwicklungsweg auf und beschreibt<br />
10
die Themen der verschiedenen Lebensphasen im Hinblick auf die Entwicklung, die jeweils<br />
ansteht. Diese Themen sind in Kapitel 5 beschrieben.<br />
3. Die phänomenologische Haltung in der <strong>Existenzanalyse</strong><br />
Um der Person gemäß dem der <strong>Existenzanalyse</strong> zugrundeliegenden Menschenbild gerecht<br />
werden zu können, bedarf es weniger einer Methode als einer bestimmten Haltung. (siehe<br />
Kap. 2.1 Mensch als Einheit von Leib, Psyche und personalem Geist) Geht es in der<br />
Existenzanalytischen Therapie doch darum, im Gespräch mit dem Patienten die Person zu<br />
sehen und in ihrer Freiheit anzusprechen (Längle 2007 S.18) „Die <strong>Existenzanalyse</strong> als<br />
phänomenologisch-personale Psychotherapie hat zum Ziel, der Person zu einem (geistig<br />
und emotional) freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und zu<br />
eigenverantwortlichem Umgang mit sich selbst und ihrer Welt zu verhelfen“. (Längle<br />
2005 S.8) Um sich diesem Ziel annähern zu können, ist eine Haltung angezeigt, die von<br />
der Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Person ausgeht: die phänomenologische Haltung.<br />
3.1 Philosophische Grundlagen<br />
Leitend für die phänomenologische Haltung in der <strong>Existenzanalyse</strong> (Offenheit zum<br />
anderen hin und ihn in seiner Eigenart belassend) ist Heideggers hermeneutische Wende<br />
(vgl. 1967, § 7) von Husserls Phänomenologie, wonach „Phänomen“ das ist, was sich von<br />
ihm selbst her zeigt. Etwas kann sich aber nie ganz zeigen, sondern nur so, wie es in<br />
Wechselwirkung mit einem Medium in Erscheinung treten kann. Diese verdeckte Form des<br />
alltäglichen Seins gilt es phänomenologisch aufzudecken, von ihm selbst her sehen zu<br />
lassen. Die Phänomenologie wird zu einer hermeneutischen, indem sie nicht von der<br />
Anschauung – von Objekten -, sondern vom Verstehen ausgeht. (Fernando Lleras 2000 zit.<br />
nach Längle 2007 S.25)<br />
Alfried Längle beschreibt die phänomenologische Haltung in der <strong>Existenzanalyse</strong><br />
folgendermaßen: „Phänomenologie ist „Wesensschau“, ist geistiges „Erfassen“ des<br />
Wesens einer Sache oder eines Menschen. Das Wesen ist jener zentrale Inhalt, der etwas<br />
zu dem macht, was es ist, unverwechselbar und eindeutig. Die phänomenologische Sicht<br />
erhellt das Einmalige und Einzigartige z.B. eines Menschen – also nicht das, was er „an<br />
sich“ ist, ohne Anspruch und ohne Vorgaben für die Zukunft, wie er nun zu sein hätte,<br />
11
sondern nur das, wie er in dieser Begegnung dem Betrachter gerade erscheint und sich in<br />
diese Begegnung von sich her zeigen konnte“. (Längle 2008 S.61)<br />
3.2 Phänomenologie in der Praxis<br />
Wie schaut diese Haltung nun praktisch in der Therapiestunde aus? Welche Gestimmtheit<br />
der Therapeutin ist notwendig? Wie kann Zuhören so gelingen, dass ein Raum entsteht<br />
zwischen Therapeutin und Patient, ein „Schwingungsfeld“ (Längle 2007 S.18), in dem sich<br />
etwas Wesentliches zeigen kann? In dem der Patient eben nicht nur ein Patient ist und die<br />
Therapeutin eine Expertin, sondern wo eine Begegnung von Mensch zu Mensch stattfinden<br />
kann?<br />
a) Achtsamkeit<br />
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Achtsamkeit einerseits dem Patienten<br />
gegenüber, andererseits aber auch sich selbst als Therapeutin gegenüber: Wie zeigt er sich?<br />
Was nehme ich bewusst wahr? Wie wirkt er auf mich? Wie ist seine Haltung, seine<br />
Stimme? Wie spricht er? Wie passen die einzelnen Elemente zusammen? Wie sind sie<br />
aufeinander bezogen? Wie zeigt sich dieser Mensch im „Hier und Jetzt“? Wie ist er im<br />
Dialog mit sich, mit der Welt? Wesentliches beim anderen kann nur mit dem eigenen<br />
Wesen wahrgenommen werden: der Zuhörerende nimmt das Gehörte ernst – und<br />
gleichzeitig sich selbst: das, was ihm das Gehörte sagt.<br />
b) Gelassenheit<br />
„Wesensschau“ braucht Zeit und Gelassenheit, man muss bereit sein, sich so lange der<br />
„Anschauung des Gegebenen“ hinzugeben, bis aus den einzelnen Phänomenen eine<br />
Ganzheit entsteht die das Geschaute erst verständlich macht. (Längle 2008 S. 62)<br />
c) Offenheit<br />
Damit sich die Therapeutin voll und ganz auf die Erscheinung, auf das, was sich zeigt,<br />
einlassen kann, bedarf es einer Offenheit und Voraussetzungslosigkeit. D.h. alles<br />
Vorwissen muss (vorläufig) beiseite gestellt, „eingeklammert“ werden (Epoché) (ebd.)<br />
Durch die Offenheit entsteht ein „generatives Feld“ ein Raum zwischen Therapeut und<br />
Patientin, in dem sich das Wesentliche ereignen kann (Längle 2007 S.21). Da kann etwas<br />
Neues hereinkommen, etwas, das es vorher so noch nicht gegeben hat.<br />
12
Des Weiteren verlangt die phänomenologische Haltung die Bereitschaft, sich auf<br />
ein Schauen einzulassen und eine ganzheitliche Zuwendung mit allen Sinnen und der<br />
Intuition. Auch Mut ist nötig, um das Bekannte zurückzulassen und sich dem<br />
Anschauungsgehalt auszuliefern, ohne zu wissen, wessen man gewahr wird. Dieser Mut<br />
gründet sich im Vertrauen in das Gehalten-Sein und in das Selbstvertrauen, es aushalten zu<br />
können. Und schließlich braucht es auch die Bereitschaft, sich dem zu unterwerfen, was<br />
man zu Gesicht bekommt, und was sich einem einstellt. Das erfordert eine gewisse<br />
„Demut“.<br />
(Längle 2007 S.21)<br />
3.2.2 Konkrete Vorgehensweise bei Heidegger<br />
Für die konkrete Vorgangsweise gibt Heidegger (1975 §5, zitiert nach Längle 2005 S.62)<br />
drei Schritte an, die erforderlich sind, um sich dem Phänomen des Menschseins zuwenden<br />
zu können:<br />
1. Reduktion: Was zeigt sich (spontan)? Dabei wird die interessengeleitete Einstellung des<br />
Alltags zurückgelassen, von den praktischen Eigenschaften abgesehen und auf die<br />
Seinsweise geachtet.<br />
2. Konstruktion: Wie ist es? Das Kernstück der Methode besteht in der „Aus-ein-andersetzung“<br />
der Grundzüge des Phänomens, die dann aufeinander bezogen werden. Das ist<br />
das freie, kreative Moment der Phänomenologie, in der die intuitive Fähigkeit der Person<br />
zum Tragen kommt.<br />
3. Destruktion: Ist es so? Im Sinne einer Suche nach Ganzheitlichkeit ist alle gefundene<br />
Erkenntnis laufend weiterhin kritisch zu hinterfragen und sind unthematisierte<br />
Verständnisse zu erhellen. (Längle 2007 S.23)<br />
3.2.3 Die Personale <strong>Existenzanalyse</strong><br />
In Anlehnung an die o.g. Vorgangsweise findet sich für die existenzanalytische Praxis in<br />
der Personalen <strong>Existenzanalyse</strong> (PEA) eine geeignete Methode, sich dem Wesen eines<br />
Menschen phänomenologisch zu nähern. (Längle 2007 S.23 und 2008 S.161)<br />
Ausgangspunkt ist die konkrete Wahrnehmung des „WAS“: Was zeigt sich (mir) spontan?<br />
(„Deskription“) Der Patient schildert, um was es ihm geht. Der Therapeut achtet beim<br />
Zuhören gleichzeitig auf den Inhalt der Schilderung und darauf, wie er es sagt. In dieser<br />
13
Phase der „Reduktion“ (siehe oben) wird alles Vorwissen eingeklammert. Man bezieht sich<br />
auf das, was einem erscheint und wie es bei einem ankommt. (PEA 1)<br />
Im zweiten Schritt geht es darum, das „WIE“ zu erfassen: Wie ist es? („Konstruktion“)<br />
Hier werden die einzelnen Fakten zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Es geht darum,<br />
die im ersten Schritt beobachteten Phänomene miteinander in Beziehung zu setzen und ihre<br />
Gesamtwirkung auf das eigene Wesen zu betrachten: die Erscheinung der Tonfall,<br />
Erregung oder Entspannung, eigene Konzentration…)<br />
Was verstehe ich? Was ist das Wichtige? Wie hängen die Sachen zusammen? (PEA 2)<br />
Im letzten Schritt geht es darum, sich selbst und das Wahrgenommene immer wieder in<br />
Frage zu stellen und nie als hundert prozentig sicher anzunehmen.<br />
Ist das wirklich das Wichtige? Ist das alles, was ich, du, wir beide verstanden haben?<br />
Ziel dieses Schrittes ist der eigene Ausdruck, der nun folgerichtig aus dem Geschauten<br />
hervorgehen kann. („Destruktion“) (PEA 3)<br />
4. Die biografische <strong>Existenzanalyse</strong><br />
Die Methode der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong> wurde erstmals 1991 auf der Tagung der<br />
GLE zum Thema „Persönlichkeitsreifung und Biographie“ in Hannover vorgestellt. Alfried<br />
Längle und Christoph Kolbe haben in ihren Vorträgen die Bedeutung der biografischen<br />
Arbeit aufgezeigt, methodische Schritte entwickelt und beschrieben, wo die biografische<br />
Herangehensweise innerhalb der <strong>Existenzanalyse</strong> angezeigt ist. (Kolbe 1992)<br />
Um dem Ziel der Existenzanalytischen Psychotherapie, der Person zu einem Leben in<br />
Freiheit und Verantwortung zu verhelfen, gerecht werden zu können, muss die Person in<br />
ihrer Ganzheitlichkeit, d.h. auch in ihrer Geschichtlichkeit, erfasst werden. (vgl. Längle<br />
1992)<br />
Die Methode der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong> ermöglicht es, den Menschen in seinem<br />
„Gewordensein“ zu verstehen. Ihn zu verstehen heißt, „zu sehen, wie er mit seiner Welt<br />
verbunden ist, in welchem Wirkungsbezug er steht, was ihn bewegt und was ihm wichtig<br />
ist.“ (Längle 2007, S.20) Dies bezieht sich jedoch nicht nur auf den aktuellen<br />
Lebenskontext, in dem der Mensch steht, sondern auch auf seine Lebensgeschichte, die<br />
Biografie.<br />
14
Biografie als „zum Ausdruck gebrachtes, individuelles Leben“ ist, wenn sie einmal<br />
entfaltet ist, der eigenen als auch der fremden Betrachtung zugänglich. (Längle 1992 S.9)<br />
In der biographischen <strong>Existenzanalyse</strong> ist jedoch nicht die Lebensgeschichte als solche<br />
Gegenstand der Betrachtung. Nicht die Fakten und die Chronologie der Ereignisse<br />
interessieren hier, sondern das „Lebendige“, nicht das „Was“ sondern das „Wie.“ Die<br />
Lebensgeschichte bildet lediglich die Grundlage, die „Bühne“, auf der sich das Leben<br />
abspielt. Dafür ist es nicht nötig, die ganze Biografie von der Geburt bis zum jetzigen<br />
Zeitpunkt aufzurollen, sondern nur gezielt einzelne Ereignisse, je nach Fragestellung. Denn<br />
wie ein einzelnes Blatt Auskunft über den Baum gibt, von dem es stammt, kann eine<br />
einzige Handlung in einer bestimmten Situation Auskunft über das Wesen dieser Person<br />
geben. Was wesentlich ist, ist gegenwärtig und in jeder lebendigen Äußerung enthalten. Es<br />
interessieren also die Ereignisse, die in einem Zusammenhang mit dem aktuellen Problem,<br />
der aktuellen Frage stehen. (vgl. Längle 1992) Auch die biografische Arbeit in der<br />
<strong>Existenzanalyse</strong> ist geprägt durch eine phänomenologische Grundhaltung. Ziel ist hier die<br />
„Restrukturierung der Person in ihrer Lebensgeschichte“. (Längle 2009 S.95)<br />
Eine mögliche Herangehensweise an die Biografie, ausgehend vom Strukturmodell der<br />
vier personal-existenziellen Grundmotivationen, lässt sich mit folgenden Fragen<br />
beschreiben: (eine genaue Darstellung der Grundmotivationen findet sich z.B. in Längle<br />
2008)<br />
1.GM: Was ist auf der „Bühne des Lebens“ geschehen?<br />
2.GM: Wie hat es die Person erlebt? Was hat sie bewegt, was war ihr wertvoll?<br />
3.GM: Wie hat die Person entschieden, was waren ihre Beweggründe?<br />
4.GM: Für was hat die Person gelebt, wie hat sie gehandelt, wie ist es ihr dabei ergangen?<br />
Diese Fragen zeigen bereits, dass „also nicht so sehr das zeitliche Nacheinander für<br />
Biographie in der <strong>Existenzanalyse</strong> von Interesse ist, als vielmehr das qualitativ von der<br />
Person Geformte“ (Jaspers, 1973, 563 zitiert nach Längle 1992 S.19) Wie lässt sich dieses<br />
„von der Person Geformte“ in der Biografie nun erfassen? Indem man danach fragt, wie<br />
die Person bisher mit sich und der Welt umgegangen ist: (Längle 2009 S. 97)<br />
Was hat dich getroffen – was hast du ausgewählt?<br />
Was hat dich bewegt? – Warum hast du das ausgewählt?<br />
15
Was hast du daraus gemacht und warum?<br />
Wie beurteilst du das heute?<br />
Ausgangspunkt existenzanalytischer biographischer Arbeit ist das Bewegtsein durch das,<br />
was zum jetzigen Zeitpunkt aktuell ist. Um das Bewegtsein zu verstehen kann es hilfreich<br />
sein, Situationen oder Ereignisse in der Vergangenheit, die den Menschen ähnlich bewegt<br />
haben, aufzuspüren.<br />
4.1 Die Schritte der biografischen Methode in der <strong>Existenzanalyse</strong><br />
Die methodischen Schritte der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong> (BEA) entsprechen jenen der<br />
Personalen <strong>Existenzanalyse</strong> (PEA). Zu Beginn muss jedoch ein Zugang zu den<br />
biografischen Inhalten geschaffen werden, die für das Verständnis der aktuellen Situation /<br />
Frage relevant sind. So gliedert sich die BEA in zwei große Teile:<br />
A) Erschließen des biografisch relevanten Inhalts:<br />
1. Durch Sammeln von Informationen und Bilden eines gemeinsamen Nenners wird<br />
der biografisch relevante Inhalt erschlossen. Die Indikation wird geklärt durch Fragen<br />
wie: Was hat das heutige Problem mit der Vergangenheit zu tun? Finden sich ähnliche<br />
Situationen, in denen das Problem vorkommt? Was ist daran typisch, was ist der<br />
gemeinsame Nenner dieser Probleme? (Z.B.: sich wiederholt in verschiedenen<br />
Situationen ausgenützt fühlen – Hinweis, dass hier etwas aus der Vergangenheit aktiv<br />
ist.)<br />
2. Biografische Deskription: Im zweiten Schritt wird das gegenwärtige Gefühl mit<br />
Aktuellem aus der Biographie verknüpft. Dies kann mit folgenden Fragen geschehen:<br />
„Woher kennen Sie das? Haben Sie das schon einmal erlebt? Wann zum ersten Mal?<br />
Gab es früher schon Erfahrungen mit „ausgenützt werden“? Es muss sich beim aktuell<br />
Erlebten um das gleiche Gefühl handeln wie bei früheren Erlebnissen. Dadurch erfolgt<br />
die Ortung der Störung im lebensgeschichtlichen Kontext, eine phänomenologische<br />
Rückführung zum „.Eiterherd“. (Im o.g. Beispiel fand die Patientin Beispiele dafür,<br />
dass sie von ihrer Mutter und auch in der Schule ausgenutzt wurde; wenn sie daran<br />
denke, wird ihr ganz heiß – Hinweis auf den aktuellen Lebenskontext)<br />
16
Hier muss die Therapeutin entscheiden,<br />
a) ob Beratung oder Therapie für die derzeitige Situation oder Fähigkeit des Patienten<br />
vordringlich ist, und<br />
b) wenn biographische Arbeit angezeigt ist: ist es für die therapeutische Arbeit jetzt<br />
wichtig? Wie steht das Thema zum Therapieauftrag, Therapieziel?<br />
B) Durcharbeitung<br />
Der zweite Teil der BEA besteht in der Durcharbeitung des biografischen Hintergrundes<br />
anhand der PEA – mit dem Unterschied, dass es zwei Perspektiven gibt: Die heutige und<br />
die damalige Sicht, das ist spezifisch für die BEA.<br />
Eindruck:<br />
Einholen der primären Emotion auf 2 Ebenen:<br />
a) Gegenwart (aus der Position des Erwachsenen):<br />
Gefühl: Wie ist das für Sie, wenn Sie mir das jetzt erzählen? Was empfinden Sie jetzt<br />
dabei?<br />
Intention: Was würden Sie am liebsten tun?<br />
b) Vergangenheit:<br />
Gefühl: Wie war das damals? Was haben Sie damals empfunden?<br />
Intention: Was hätten Sie am liebsten getan?<br />
Phänomenaler Gehalt: Was sagt es Ihnen heute? Wie haben Sie es damals verstanden?<br />
Stellungnahme als integrierte Emotionalität<br />
a) Aus der heutigen Sicht:<br />
Verstehen Sie das Vorgefallene, verstehen Sie Ihre Reaktion und Ihre Gefühle?<br />
Glauben Sie, hat Ihre Mutter vorsichtig gehandelt? Was fühlen Sie ganz zuinnerst<br />
dabei? Was war richtig, was nicht, nach Ihrem Gefühl aus heutiger Sicht? Was halten<br />
Sie heute, als erwachsener Mensch, von dem Verhalten der Mutter? (Stellungnahme)<br />
Spüren Sie, ob Sie heute etwas tun möchten um das auszugleichen? (Wille)<br />
→ Aktuelles Abgrenzen und Finden des Eigenen<br />
b) Aus der damaligen Sicht:<br />
Wäre Ihnen damals ein anderes Verhalten oder eine andere Entscheidung möglich<br />
gewesen? Wie haben Sie das Vorgefallene damals verstanden? Haben Sie es damals für<br />
17
ichtig empfunden? Wie haben Sie das beurteilt? Was haben Sie davon gehalten?<br />
(Stellungnahme) Haben Sie damals gespürt, dass Sie etwas hätten tun wollen? (Wille)<br />
→ Mit den Antworten restrukturiert die Person wieder ihre Mitte.<br />
→ Verstehen des eigenen Lebens als Antwort auf ein erstes Verstehen.<br />
Ausdruck:<br />
Gegenwart: Was würden Sie heute am liebsten und ganz konkret damit machen und<br />
sagen?<br />
Vergangenheit: Welche Antworten tragen Sie in sich? Seit damals? Was hätten Sie<br />
damals eigentlich sagen wollen? Und was haben Sie tatsächlich gesagt und getan?<br />
Gegenwart: Können Sie dieses Antwortverhalten, das Sie heute in sich tragen,<br />
verantworten? Was davon können Sie heute noch verwirklichen? Welche<br />
Konsequenzen hätte das?<br />
Abschluss:<br />
Damit die biografische Methode beendet werden kann, müssen Selbstverständnis und<br />
Fremdverständnis gegeben sein. Das Verstehen des Therapeuten ist heilsam und<br />
bahnend für die Restrukturierung der eigenen Person.<br />
→ Haltung des Therapeuten: „Verstehe ich dich, so kann ich dir helfen, verstehe ich<br />
dich nicht, so ist es nicht sicher, ob du dich selber verstehst und hast.“<br />
(Längle 2009, S.101ff und 1992, S.23ff)<br />
4.2 Indikation der BEA<br />
Die BEA wird nicht systematisch aus theoretischen Erfordernissen angewandt, sondern nur<br />
dann, wenn sich biografische Themen blockierend oder belastend in der Gegenwart<br />
auswirken. Oft sind es auch Probleme, die sich in gleicher Weise wiederholen, die eine<br />
biografische Bearbeitung verlangen. Aber auch wenn etwas aus der Zukunft hereindrängt<br />
das die Person beschäftigt oder das Leben im Jetzt gar behindert, ist die BEA angezeigt.<br />
Das kann bei anstehenden beruflichen Entscheidungen geschehen, bei der Wahl eines<br />
Partners oder bei der Frage nach dem Umgang mit schweren Diagnosen. (Längle 2009, S.<br />
101)<br />
Anders gesagt, biografische Arbeit ist überall dort indiziert, wo die phänomenologische<br />
Grundhaltung der Offenheit eingeschränkt ist und diese Einschränkung auf mangelnde<br />
Verarbeitung biografischer Erfahrungen zurückzuführen ist. Diese nicht integrierten<br />
18
iografischen Erfahrungen können ein „Einfallstor für Projektionen und persönliche<br />
Ideologien“ bilden. (Kolbe 1992, S.45) Durch das Anschauen und die Verarbeitung der<br />
biografischen Erfahrungen anhand der BEA wird der Realitätsbezug geklärt. Dies<br />
ermöglicht es der Person, die Wirklichkeit adäquat einzuschätzen – eine wichtige<br />
Voraussetzung für die Entfaltung der Potentiale. (ebd.)<br />
5. Die Biografiearbeit auf anthroposophischer Grundlage<br />
5.1 Theorie der anthroposophischen Biografiearbeit<br />
Die anthroposophische Biografiearbeit hat ihre Anfänge in den siebziger Jahren des<br />
vorigen Jahrhunderts. Insbesondere der niederländische Arzt, Psychiater,<br />
Unternehmensberater und Sozialforscher Bernhard Lievegoed hat mit dem Buch<br />
„Lebenskrisen, Lebenschancen“ (1976) die Grundlagen für die Arbeit an der Biografie<br />
geschaffen. Die Entwicklungsstufen des Seelenlebens und die Störungen, die in den<br />
jeweiligen Abschnitten auftreten können, hat Rudolf Treichler („Die Entwicklung der<br />
Seele im Lebenslauf“ 1982) als erster genau beschrieben. Gudrun Burkhard schließlich hat<br />
die Biografiearbeit für viele Menschen zugänglich und praktikabel gemacht (z.B. in „Das<br />
Leben in die Hand nehmen – Arbeit an der eigenen Biographie“ 1992).<br />
Im Mittelpunkt der Biografiearbeit auf der Grundlage des Menschenbildes Rudolf Steiners<br />
steht die Entwicklung der Individualität. Diese Entwicklung verläuft lt. Steiner vor dem<br />
Hintergrund objektiv wirksamer Gesetzmäßigkeiten wie Rhythmen, Phasen oder<br />
Metamorphosen. Entwicklung bedeutet immer wieder Infragestellung, Umschmelzung<br />
oder Auflösung von Altem zu Gunsten von Neuem. Dieser Prozess ist oft von<br />
existentiellen Krisen begleitet. Der Mensch kann aber, wenn er sich den<br />
Herausforderungen in rechter Weise stellt, gestärkt aus den Krisen hervorgehen. (vgl. Wais<br />
1992)<br />
Die Kenntnis der allgemeinen biografischen Gesetzmäßigkeiten soll den Umgang mit<br />
Krisen und Störungen erleichtern, da der Blick für die verborgenen Motive und<br />
Entwicklungsaufgaben geöffnet wird. Angenommen, ein junger Mann mit Mitte Zwanzig<br />
leidet darunter, seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden zu haben, er erlebt sich einem<br />
Druck ausgesetzt, sich doch endlich für eine Sache zu entscheiden. Für diesen jungen<br />
Mann kann es entlastend sein, wenn er erfährt, dass er sich biografisch in den „Lehr-und<br />
19
Wanderjahren“ befindet, es also gut und richtig ist, wenn er sich in der Welt umschaut,<br />
bevor er sich festlegt. Wenn sich dieser Mann dann allerdings mit 35 immer noch nicht für<br />
eine bestimmte Aufgabe entscheiden kann wird er erkennen müssen, dass die Wanderjahre<br />
nun vorbei sind und dieser Lebensabschnitt anderes von ihm verlangt.<br />
Durch das Bewusstmachen der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten wird die eigene Biografie<br />
in ein größeres Ganzes eingebettet. Das Erleben einer größeren Ordnung kann das<br />
Grundvertrauens in die Welt sehr stärken. Die Arbeit an der eigenen Biografie kann auch<br />
zu einem tieferen Verständnis des Schicksals führen. Wobei Schicksal nicht als etwas von<br />
außen wirkendes zu verstehen ist sondern als eine Kraft, die dann zu wirken beginnt wenn<br />
wir aktiv werden. „Wenn wir unser Leben nicht nur leben sondern wenn wir am gelebten<br />
Leben zu uns selbst erwachen.“ (Schneider 2010, S. 35)<br />
5.2 Praxis der anthroposophischen Biografiearbeit<br />
In meiner Tätigkeit als Trainerin für arbeitssuchende Erwachsene habe ich hauptsächlich<br />
mit Gruppen zu 3 bis max. 10 Personen biografisch gearbeitet. Auch in den Workshops für<br />
Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz konnte ich mit dem<br />
Gruppensetting sehr gute Erfahrungen machen.<br />
Innerhalb eines bestimmten, vorher festgelegten Themas formuliert jeder Teilnehmer eine<br />
aktuelle Frage. Ausgehend von dieser individuellen Fragestellung erzählt die Person in<br />
einem ungefähr festgelegten Zeitrahmen (je nach Alter ca. 1 - 2 Stunden) ihre Biografie,<br />
die anderen hören aufmerksam zu und stellen nur Verständnisfragen. Am Ende gibt jede in<br />
der Runde ein Feedback: was fällt auf, welche Stärken werden sichtbar, gibt es rote Fäden,<br />
die sich durchziehen? Je nach Fragestellung (Beruf, Beziehung, Entwicklungsaufgabe…)<br />
kann das Feedback variieren.<br />
Die biografische Methode eignet sich aber auch sehr gut für das Einzelsetting. Auch hier<br />
bilden die aktuelle Lebenssituation und die damit verbundene Fragestellung die<br />
Ausgangslage für die Herangehensweise. So kann man chronologisch vorgehen und sich<br />
an den Entwicklungsschwerpunkten der Lebensphasen orientieren: Wie war mein „Nest“<br />
in den ersten Jahren? Was ist meine erste Erinnerung? Gab es in der Grundschulzeit<br />
Lehrer, die ich verehrt habe? Was wurde mir oft gesagt? Hatte ich in der Zeit von 14 bis 21<br />
Jahre Ideale? – um nur einige zu nennen (weitere Fragen sind im Anhang angeführt). Die<br />
Verbindung zur Gegenwart kann durch Fragen wie: Welche Prägungen aus diesen<br />
20
Abschnitten leben heute noch in mir und wie stehen sie in Zusammenhang mit meiner<br />
Frage, meinem Problem? (vgl. Pflug 1998 S.42) Bei manchen Fragestellungen wird es<br />
sinnvoller sein, gezielt eine Phase herauszunehmen, z.B.: Welche Ideale hatte ich in meiner<br />
Jugendzeit? Wie kam das Neue herein?<br />
Zur Vorbereitung ist es sinnvoll, Fragen zu den einzelnen Abschnitten in „Hausarbeit“<br />
beantworten zu lassen. Die Fragen helfen dabei, die Erinnerung zu schärfen, die Einteilung<br />
in Phasen zu je sieben Jahren gibt Struktur und Ordnung. Die Erzählung der Biografie als<br />
Ganzes gibt Kontinuität, die Zeugenschaft der Zuhörerin verleiht der Lebensgeschichte<br />
einen zusätzlichen Wert. Beim Erzählen der Biografie kommt es darauf an, möglichst<br />
urteilsfrei aus dem Leben zu berichten, damit die Fakten und Ereignisse für sich sprechen<br />
können. Es geht darum, die Sprache der eigenen Biografie lesen zu lernen.<br />
„Vergessen Sie, dass Ihre Mutter nie zu Hause war, vergessen Sie auch dass Sie einen<br />
dominierenden Vater hatten. Vergessen Sie alle Begriffe und schildern Sie stattdessen, wie<br />
der Vater mit Ihnen umgegangen ist. Beschreiben Sie die Situation ganz objektiv, und<br />
vergessen Sie dabei die Wertung, dass Ihr Vater autoritär war.“<br />
(Burkhard 1992a S.39)<br />
R. Steiner bezeichnet das urteilsfreie Betrachten als ein „Sich-Verobjektivieren“, das zur<br />
Gesundheit führe. (In der <strong>Existenzanalyse</strong> wird dies als „Selbstdistanzierung“ bezeichnet.)<br />
Das Verobjektivieren kann durch Aufschreiben, Malen oder durch das Verfassen eines<br />
Märchens gefördert werden.<br />
Eine andere Möglichkeit an die Biografie heranzugehen besteht darin, ausgehend von der<br />
aktuellen Frage die Biografie „aufzufächern“ (Pflug 1998) Kam dieses Problem schon<br />
öfters vor? Wie hat es sich gezeigt? Wie ist der Zusammenhang mit den Themen der<br />
jeweiligen Lebensphase? Welche Gefühle, Gedanken, Reaktionen hat das damals<br />
ausgelöst? Wie stelle ich mich heute dazu? Diese Vorgehensweise kommt der<br />
existenzanalytischen Methode der Biografiearbeit sehr nahe.<br />
5.3 Rhythmen, Metamorphosen und andere Gesetzmäßigkeiten<br />
In der Anthroposophischen Biografiearbeit wird der Lebenslauf des Menschen in drei<br />
größere Abschnitte von jeweils ca. 21 Jahren gegliedert: Die erste Phase von der Geburt<br />
bis zum 21. Jahr steht ganz im Zeichen des körperlichen Aufbaus, der Entwicklung des<br />
physischen Leibes: Organreifung, bleibende Zähne, Größenwachstum, Geschlechtsreife -<br />
21
um nur einiges zu nennen. In dieser Phase überwiegt das Empfangende, Rezeptive, es ist in<br />
vielerlei Hinsicht eine Vorbereitung auf das Leben, das im zweiten Abschnitt zunehmend<br />
selbst in die Hand genommen werden kann.<br />
Im nächsten Abschnitt, der etwa bis zum 42. Lebensjahr dauert, entwickelt sich der<br />
Mensch in erster Linie seelisch. Erst jetzt wird es möglich, das Leben selbstverantwortlich<br />
zu gestalten. Die Kräfte, die zuvor in der leiblichen Entwicklung gebunden waren, werden<br />
jetzt in gewisser Weise frei. Es ist die Zeit, in der wir „expandieren“ (Burkhard 1992, S.<br />
19), uns für einen Beruf entscheiden, ev. eine Familie gründen, vielleicht ein Haus bauen<br />
oder zumindest sesshaft werden. Das Soziale spielt hier eine große Rolle, wir haben mit<br />
vielen Menschen zu tun und lernen an ihnen. Es gilt, die Gefühle unter die Kontrolle<br />
unseres Ich zu bringen. Wir reifen als Persönlichkeit durch die Auseinandersetzung mit<br />
anderen Menschen und der Welt. In dieser Phase halten sich Aufbau- und Abbauprozesse<br />
in unserem Leib die Waage, dadurch können wir nach außen hin sehr produktiv sein.<br />
Die dritte Phase, die bis ca. zum 63. Lebensjahr dauert, ist die Phase der geistigen<br />
Entwicklung. Nun können die Früchte des bisherigen Lebens zur vollen Reife gelangen.<br />
Die biologischen Kräfte lassen allmählich nach, die Abbaukräfte gewinnen die Oberhand.<br />
Zu den eigenen Zielen kommen (idealerweise) Menschheitsziele hinzu. Das wird durch das<br />
Freiwerden der Bewusstseinskräfte möglich, die in dem Maße zunehmen, in dem der<br />
Abbau des Leibes fortschreitet. Nun können die seelischen Kräfte entweder den Aufstieg<br />
der Bewusstseinskräfte mitvollziehen, oder, wenn wir nicht bewusst an uns arbeiten, dem<br />
Abbau unseres Leibes verfallen. Wenn ich z.B. zu der Einstellung neige, mit 50 Jahren<br />
schon zu alt zu sein um etwas Neues zu beginnen, falle ich in meiner seelischen<br />
Entwicklung ab. (Burkhard 1992, S. 20 ff) Diese Zeit kann auch als „Soziale Phase“<br />
bezeichnet werden da es jetzt darum geht, jüngere Menschen zu fördern und die eigenen<br />
Erfahrungen anderen zu Verfügung zu stellen.<br />
Selbstverständlich findet auch in der ersten Phase bis 21 eine seelische und in der zweiten<br />
Phase bis 42 eine geistige Entwicklung statt. Auch geht in der dritten Phase die seelische<br />
Entwicklung weiter und vieles, das vorher verpasst wurde, kann auch nachgeholt werden.<br />
Es geht jedoch in der Anthroposophischen Biografiearbeit darum, die Schwerpunkte der<br />
jeweiligen Phasen zu kennen und die Probleme und Krisen vor diesem Hintergrund zu<br />
sehen. Verläuft die Entwicklung „ideal“, d.h. dem geistigen Urbild entsprechend,<br />
22
überwiegt in den ersten 21 Jahren das Nehmen, in der mittleren Phase halten sich Geben<br />
und Nehmen in etwa das Gleichgewicht, während in der Zeit nach 42 bis zum Lebensende<br />
das Geben im Vordergrund steht.<br />
5.3.1 Alle sieben Jahre…<br />
Teilt man nun diese drei großen Phasen wieder durch drei, so ergibt sich ein<br />
Siebenjahresrhythmus.<br />
Dieser Rhythmus findet im biologischen Geschehen eine Analogie: mit sieben Jahren<br />
erscheinen die ersten bleibenden Zähne, um das vierzehnte Jahr herum entwickelt sich die<br />
Geschlechtsreife, mit dem einundzwanzigsten Geburtstag war lange Zeit die Volljährigkeit<br />
markiert - in der Anthroposophischen Biografiearbeit wird dieser Zeitpunkt auch als „Ich-<br />
Geburt“ bezeichnet. Mit 28 Jahren gehen die Jugendkräfte langsam zu Ende, mit dem 35.<br />
Geburtstag befinden wir uns in der Mitte des Lebens. In der ersten Lebenshälfte sind die<br />
Veränderungen offensichtlicher aber bei genauer Beobachtung findet sich dieser Rhythmus<br />
die ganze Biografie hindurch.<br />
Der Siebenjahresrhythmus „(Er)bewirkt von innen her, sowohl beim Kind wie beim<br />
Erwachsenen, im Verlauf von etwa sieben Jahren einen Bewusstseinswandel. Diesen<br />
Bewusstseinswandel kann man auffassen als eine stufenweise Annäherung des aus der<br />
geistigen Welt kommenden Ich an die irdischen Verhältnisse bis zur Lebensmitte und ein<br />
wiederrum stufenweises Zurücktreten des Ich von den äußeren Verhältnissen ab der<br />
Lebensmitte. So sind die Jahrsiebte Inkarnationsstufen bis zur Lebensmitte,<br />
Exkarnationsstufen nach der Lebensmitte. (…)Der Bewusstseinswandel tritt nicht abrupt,<br />
als umschriebenes Ereignis ein, sondern er kommt allmählich, findet in der Mitte eines<br />
Jahrsiebtes einen Höhepunkt, und bereits im dritten Drittel eines Jahrsiebtes kündigt sich<br />
dann schon das nächste Bewusstseinsthema an…. (Wais 1995 S.58)<br />
5.3.1.1 Die Themen der Jahrsiebte - abgeleitet aus der anthroposophischen<br />
Anthropologie<br />
0-7 Jahre: „Ich fühle mich geliebt, die Welt ist gut“; Entwicklung des physischen<br />
Leibes, Widerspiegelung der Umgebung, Lernen durch Nachahmung<br />
23
7-14 Jahre: „Die Welt ist schön“; die Lebenskräfte („Ätherleib“) stehen mit dem<br />
Durchbruch der zweiten Zähne zum schulischen Lernen mehr und mehr zur Verfügung;<br />
Lernen geschieht durch Liebe zu einer Autorität.<br />
14-21 Jahre: „Die Welt ist wahr“; Ausreifung des „Astralleibes“; Lernen durch Liebe zur<br />
Wahrheit, Ideale, Rebellion.<br />
21-28 Jahre: „Ich bin der, der so erlebt, empfindet und fühlt“ (Wais 1992 S.167)<br />
„Ich-Geburt“(d.h. das erwachsene, selbstbestimmte Ich); „Lehr-und Wanderjahre“:<br />
Entdeckung der Welt, Suche nach einer Aufgabe; Selbsterziehung wird möglich, Zeit der<br />
Empfindungsseele.<br />
28-35 Jahre: „Wie ist die Welt geordnet und welchen Beitrag kann ich zu dieser<br />
Ordnung erbringen?“ (ebd., S.168) Nachlassen der Jugendkräfte mit Ende Zwanzig – das<br />
Motto der 68er Generation: „Trau keinem über 30!“ hat wohl genau das erfasst; Zeit der<br />
Verstandes- oder Gemütsseele: bei einer Aufgabe bleiben, Sicherheit und Beständigkeit<br />
kommen als neue Werte hinzu; die Welt wird mit dem Verstand erfasst, das bringt die<br />
Gefahr der Verspießerung mit sich.<br />
35-42 Jahre: „Ist es richtig, wie ich bisher gelebt habe?“ Die Lebensmitte ist oft<br />
genkennzeichnet durch existenzielle Fragen und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten. Es<br />
gilt nun, die Illusionen über sich und die Welt aufzugeben und neue Werte zu entdecken.<br />
Die zunehmende Fähigkeit, sich selbstlos und überindividuell zu verhalten, ermöglicht es,<br />
das objektiv Wahre zu erleben. Durch die Bewusstseinsseele, die jetzt ausgebildet werden<br />
kann, wird das Ich fähig, sich ins Überpersönliche zu erweitern.<br />
42-49 Jahre: „Wie kann ich meine Erfahrungen kreativ einbringen?“ Durch die im<br />
vorigen Jahrsiebt entwickelte Fähigkeit, überpersönlich zu denken und handeln, kann jetzt<br />
ein Bedürfnis entstehen, die eigenen Erfahrungen uneigennützig weiterzugeben. Damit ist<br />
aber u.a. auch die Gefahr verbunden, andere belehren zu wollen. Im 4. Jahrsiebt ist es gut<br />
und richtig, auf Wanderschaft in die Welt zu gehen, nun kommt es darauf an, eine „innere<br />
Wanderschaft“ zu pflegen, um nicht zu erstarren.<br />
49-56 Jahre: „Was ist wesentlich?“ Loslassen und Selbstlosigkeit sind die Themen<br />
dieses Jahrsiebts: Kann auf das Privat-Persönliche und auf die Jugendlichkeit verzichtet<br />
werden? Wais bezeichnet diese Phase als die eigentliche Zeit des „Höheren Ichs“ es geht<br />
jetzt darum, auf die an uns gestellten Herausforderungen zu hören und andere zu<br />
inspirieren. (Wais 1992 S.181ff),<br />
24
56-63 Jahre: „Was von dem, was ich verwirklicht habe, hat über meinen Tod hinaus<br />
Bestand?“ Durch die schwindenden Lebenskräfte entsteht nun die Chance einer<br />
Verjüngung nach innen. Dieser Aufbruch in das Innere kann lt. Wais seelisch-geistige<br />
Kräfte freisetzen, wie es vorher noch nicht möglich war. (ebd., S.186) Burkhard beschreibt<br />
diese Phase als Zeit, seine Nachfolge zu regeln und den Ruhestand vorzubereiten.<br />
(Burkhard 1992, S. 208)<br />
ab 63 Jahre: „Wie kann ich intuitiv mit der Welt verbunden bleiben?“ Nun geht es<br />
darum, eine Lebensbilanz zu ziehen, mit vielem abzuschließen und trotzdem mit der Welt<br />
verbunden zu bleiben. Eine „heitere Gelassenheit“ ist die Haltung, die es nun zu<br />
einzunehmen gilt, um nicht rechthaberisch oder verbittert zu werden.<br />
Neben den Sieben-Jahre-Schritten kennt die Anthroposophische Biografiearbeit noch eine<br />
Reihe anderer Rhythmen wie z.B. den Fünferrhythmus, der soziale Entwicklungen gliedert.<br />
Die nähere Beschreibung würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Für<br />
interessierte Leserinnen verweise ich auf weiterführende Literatur (siehe<br />
Literaturverzeichnis)<br />
5.3.2 Metamorphosen<br />
Was sich im ersten Jahrsiebt im Leiblich- Stofflichen zeigt, in den Gegebenheiten, die der<br />
Mensch bei der Geburt vorfindet, kann verwandelt in den zwanziger Jahren im Seelischen<br />
auftauchen und ab vierzig als geistige Herausforderung erlebt werden. Es findet also eine<br />
Metamorphose vom Leiblichen ins Seelische und vom Seelischen ins Geistige statt.<br />
Ein Beispiel: Ein Kind wird in eine Familie hineingeboren, die gesellschaftlich sehr<br />
angesehen und wohlhabend ist, sich nach außen hin auch stets harmonisch zeigt, während<br />
es innerhalb viele Konflikte und Streitereien gibt. Äußeres und inneres Bild stimmen also<br />
nicht überein. Dieser Konflikt zeigt sich mit Anfang zwanzig vielleicht so, dass der<br />
mittlerweile 24 jährige Mann eine angesehene Stellung in einer Bank innehat und dabei ist,<br />
eine glänzende Karriere zu machen. Innerlich jedoch ist er sehr gespalten, er fühlt sich zu<br />
einer jungen Frau hingezogen, sie sich stark für Umweltschutz engagiert. Materieller<br />
Besitz ist ihr völlig unwichtig. So lebt er während der Woche ein Leben als<br />
Geschäftsmann, am Wochenende nimmt er an Demonstrationen gegen die Ausbeutung der<br />
Erde teil.<br />
25
Mitte Vierzig kann sich dieses Thema so zeigen, dass dieser Konflikt über das persönliche<br />
Leben hinaus erfasst wird und eine Verbindung des scheinbar Gegensätzlichen angestrebt<br />
wird. In unserem Beispiel könnte das bedeuten, dass der Mann beim Aufbau einer ethisch<br />
verantwortlich handelnden Bank mitarbeitet.<br />
5.3.3 Mondknoten<br />
Neben den Rhythmen, Wendepunkten (wie der Lebensmitte) und Metamorphosen spielen<br />
die sogenannten Mondknoten eine wichtige Rolle in der anthroposophischen<br />
Biografiearbeit. Alle achtzehn Jahre und sieben Monate (genau: 18 Jahre, 218 Tage)<br />
befinden sich Sonne, Mond und Erde in genau der Position, die sie zum Zeitpunkt der<br />
Geburt innehatten. (vgl. Archiati 2008 S.33)<br />
Zu diesen Zeiten, also mit ca. achtzehneinhalb, siebenunddreißig, fünfundfünfzig Jahren<br />
usw. kann eine kleine „Wiedergeburt“ stattfinden und Aufgaben, die sich die Individualität<br />
für ihr Leben „vorgeburtlich“ (ebd., S.34) vorgenommen hat, können sichtbar werden. Das<br />
zeigt sich oft durch Träume aber auch durch innere oder äußere Veränderungen. So hatte<br />
z.B. die mexikanische Malerin Frida Kahlo zur Zeit ihres ersten Mondknotens einen<br />
folgenschweren Unfall, der ihrem ganzen weiteren Leben eine völlig andere Richtung gab.<br />
Ursprünglich wollte sie Medizin studieren, durch den Unfall war sie jedoch gezwungen,<br />
viele Monate liegend zu verbringen. Sie begann zu malen – und wurde schließlich mit ihrer<br />
Kunst weltberühmt.<br />
Hier besteht sicher die Gefahr, Ereignisse, die zu den Zeiten des Mondknotens eintreten, zu<br />
überschätzen und eine Bedeutung hineinzulegen, die nicht zutreffend ist. Mit einer streng<br />
phänomenologischen Haltung und Herangehensweise kann dem jedoch entgegengewirkt<br />
werden.<br />
26
Die Phasen, Jahrsiebte und Themen des Lebenslaufes dargestellt von F. Glasl (Trigon-<br />
Seminarunterlage, mit freundlicher Genehmigung von Friedrich Glasl):<br />
6. Die Haltung des Beraters / der Therapeutin in der<br />
Anthroposophischen Biografiearbeit (ABA)<br />
Auch in der anthroposophischen Biografiearbeit ist die Haltung des Beraters maßgeblich<br />
für das Gelingen. M. Wais fordert eine „von Ehrfurcht und herzlicher Phantasie dem<br />
geistigen Wesenskern gegenüber“ getragene Einstellung (M. Wais 1995, S.156)<br />
Diese Haltung setzt ein Grundvertrauen in den Menschen voraus, die Fähigkeit an den<br />
Klienten zu glauben, an seine Kraft, seinem „Urbild“ gemäß zu leben.<br />
Der Wesenskern, das Geistige im Menschen ist mit Methoden nicht fassbar, die<br />
Biografiearbeiterin muss bemüht sein, ihr Alltags-Ich zurückzustellen und sich selbst in<br />
eine wache Präsenz zu bringen. „Man muss selbst ein Suchender sein“, (Wais 1992a S.11)<br />
um dem höheren Ich (Selbst) des anderen Menschen begegnen zu können.<br />
27
Die Beraterin folgt dem Klienten durch aufmerksames Zuhören auf seinen bisher<br />
zurückgelegten Wegen und versucht dabei, möglichst nicht zu urteilen. Dazu muss sie –<br />
wie in der phänomenologischen Haltung der <strong>Existenzanalyse</strong> - ihr Expertenwissen<br />
zurückhalten und eine sich eventuell einstellende Ratlosigkeit aushalten können. D.h.<br />
insbesondere gilt es in der ABA sämtliches Wissen über Rhythmen, Jahrsiebte,<br />
Mondknoten usw. während der Erzählung zu vergessen, da sonst die Gefahr besteht, die<br />
Biografie in ein Schema zu pressen. Dann steht dieses Wissen im Weg, die Vorstellung<br />
verstellt den Blick auf das Einzigartige der jeweiligen Biografie.<br />
Gudrun Burkhard betont, dass zudem eine gute Wahrnehmungsfähigkeit äußerst wichtig<br />
ist. Man sollte sehen können, wo der andere Mensch steht, welche<br />
Entwicklungsfähigkeiten in ihm liegen und wie diese zur Entfaltung gebracht werden<br />
können. Die richtigen Fragen zu stellen ist eine große Kunst, die es immer wieder zu üben<br />
gilt, z.B. durch eigene künstlerische Betätigung (Burkhard 1992, S.45).<br />
Es geht darum, den ganzen Menschen im Blick zu behalten, besonders da, wo er hinter<br />
seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Gerade da, wo Unzulängliches, Egoistisches,<br />
Abwegiges zur Sprache kommt kann dieser Blick auf das Wesenhafte des Menschen hinter<br />
den Ereignissen heilsam wirken.<br />
Auch ist die Fähigkeit zum Staunen, den Menschen freilassend und mit einer gewissen<br />
„Erwartungsneugier“ (Wais 1995, S.158) zu begegnen grundlegend für diese Haltung.<br />
Der Berater sollte sich selbst auch als Fragenden und Lernenden verstehen (Wais 1992a),<br />
dann ist eine gute Voraussetzung geschaffen, damit in der Therapiestunde „substanziell<br />
Neues“ entstehen kann. (ebd. S.8)<br />
Novalis drückt diese Herangehensweise sehr schön aus: „Der Beratende muss im Hören<br />
das Gewöhnliche in einen Geheimniszustand versetzen und dem Ungewöhnlichen sein<br />
Geheimnis, seine Faszination nehmen. Was im Gespräch begegnet, ist künstlerisch zu<br />
behandeln. Künstlerisch behandeln aber heißt, ein Wirkliches in seine Wahrheit zu<br />
verwandeln“. (Novalis, zitiert nach Wais 1995 S. 159)<br />
Bei der Erzählung der Biografie geht es nicht um eine lückenlose Aufzählung aller Fakten<br />
und Ereignisse, sondern der Blick richtet sich vielmehr auf die „Ich-Qualität“ (Wais 1995,<br />
28
S.159). Diese Qualität zeigt sich besonders im „Wie“ der Biografie: Wie ist der Klient mit<br />
Krisen umgegangen, wie gestalteten sich Brüche, Übergänge? Um es existenzanalytisch<br />
auszudrücken: Wie hat dieser Mensch bisher den Anforderungen des Lebens gegenüber<br />
Stellung bezogen? Der Berater achtet darauf, welche Werte sich in diesen Stellungnahmen<br />
zeigen, von welchen Ängsten und Sehnsüchten die Biografie spricht. Aber auch, wo die<br />
Kraftquellen liegen und welche Erfolge es gab. Besonders das, was nicht gelungen ist, wo<br />
Schwierigkeiten aufgetreten sind, kann Hinweise auf Entwicklungsaufgaben geben. Die<br />
zentrale Frage ist, wie der betreffende Mensch die einzelnen Ereignisse erlebt hat und wie<br />
er sie jetzt aus der Distanz erlebt. Wais bemerkt, dass die Betrachtung einer genauen<br />
Video-Aufzeichnung über das bisher gelebte Leben des Klienten niemals zu einem<br />
Sinnverständnis führen könnte, geschweige denn zu einer Idee seiner Urbildlichkeit. (Wais<br />
1995, S.160)<br />
Die Anthroposophische Biografiearbeit arbeitet auch mit Phänomenen, d.h. wie die<br />
Tatsachen dem Erlebenden erscheinen. Es geht nicht um ein Erklären, weder der Fakten<br />
noch des Erlebens, sondern der Blick richtet sich auf die „treibende Kraft hinter den<br />
Erscheinungen“ (Steiner zit. nach Wais 1995, S. 160). Es gilt, den ursprünglichen Impuls<br />
zu erfassen, aber auch einen „Möglichkeitsraum“ (Winnicott 1989 S. 49ff) zu eröffnen,<br />
den Blick auf das zu richten, was werden will. Insofern ist die anthroposophische<br />
Biografiearbeit nicht auf die Vergangenheit ausgerichtet sondern möchte dazu verhelfen,<br />
durch den Blick auf das Wie in der Vergangenheit das Urbildhafte des Menschen zu fassen<br />
und dadurch zu stärken.<br />
Die Aufgabe des Beratenden ist es also, durch dieses freilassende Zuhören aus der Präsenz<br />
dem Wesentlichen in die Welt zu verhelfen. Es geht um das Wechselspiel zwischen<br />
Einlassen und Distanz (Wais 1995 S.161), es braucht ein Ich und ein Du, das Gelingen der<br />
biografischen Arbeit hängt von der Qualität des Dialogs zwischen Berater und Klientin ab.<br />
Die Anthroposophische Biografiearbeit ist etwas „Gegenseitiges“ (Wais 1992a S.9), d.h.<br />
auch die Biografieberaterin geht aus einem guten Gespräch verändert hervor.<br />
Im Folgenden beschreibe ich anhand eines Beispiels aus meiner Praxis den Versuch, die<br />
anthroposophische Biografiearbeit mit der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong> zu verbinden. Ich<br />
bedanke mich an dieser Stelle bei Clara für die Erlaubnis, ihre Geschichte hier zu<br />
veröffentlichen (Namen und Orte habe ich selbstverständlich verändert).<br />
29
7. Fallbeispiel<br />
„Clara“<br />
Clara, eine 24 jährige Studentin, kam in Begleitung ihrer Mutter zum Erstgespräch. Die<br />
Mutter war die „treibende Kraft“, die auch die telefonische Anfrage nach einer primär<br />
biografischen Arbeit für ihre Tochter gestellt hatte. Als Ziel der Gespräche gab Clara an,<br />
dass sie lernen möchte, die belastenden Ereignisse in ihrem Leben so sehen zu können,<br />
dass sie diese als zu sich gehörend annehmen kann. Auch gebe es da einige Themen, die<br />
besonders in Stresssituationen immer wieder auftauchen würden.<br />
Wir vereinbarten 6 Doppelstunden in wöchentlichem Abstand, ich gab ihr zur<br />
Vorbereitung die „Fragen zur Biografie“ (siehe Anhang) mit.<br />
Die biografische Arbeit<br />
1. Jahrsiebt „Der Umzug“<br />
Clara wurde Ende der 1980er Jahre im Süden der USA geboren. Sie ist das zweite von<br />
zwei Kindern, ihr älterer Bruder kam nur 14 Monate vor ihr zur Welt, doch sie war,<br />
obwohl nicht „geplant“, sehr willkommen. Beide Eltern waren zum Zeitpunkt ihrer Geburt<br />
32 Jahre alt; die Mutter, eine gebürtige Deutsche, war mit 18 Jahren in die USA<br />
ausgewandert; der Vater, ein Sohn reicher US-Amerikaner, hatte sich – nach dem<br />
Niedergang seines Baugeschäftes - ganz der Literatur gewidmet. Clara sagte, er sei<br />
regelrecht besessen davon gewesen, einmal den ganz großen Durchbruch zu schaffen.<br />
Die Familie väterlicherseits war sehr wohlhabend „alles war überdimensional“: die Villa,<br />
der Garten, der Swimmingpool, der Christbaum. Liebe und Zuneigung wurde in erster<br />
Linie finanziell und materiell ausgedrückt.<br />
Clara war noch kein Jahr alt als sie und ihr Bruder von ihren Babysittern, zwei jungen<br />
Burschen, sexuell missbraucht wurden. Clara vermutet, dass es ein<br />
„Herumexperimentieren“ war, wobei das Hauptaugenmerk der Burschen auf Claras Bruder<br />
lag. Entdeckt hat den Missbrauch Claras Mutter als sie einmal unerwartet früher nach<br />
Hause kam. Die zwei jungen Männer waren die Söhne der Haushälterin der Großmutter,<br />
sie arbeite heute noch für die Familie. Der Großvater hatte schon Jahre vor dem Ereignis in<br />
der eigenen Familie eine Stiftung für missbrauchte Kinder ins Leben gerufen, seiner<br />
Schwiegertochter glaubte er jedoch nicht. „Meine Großeltern haben das total<br />
ausgeblendet!“ – obwohl der Missbrauch von Therapeuten bestätigt wurde. Die Mutter<br />
30
ließ die beiden Kinder in einem Kinderschutzzentrum therapeutisch behandeln, so dass die<br />
negativen Folgen zumindest für Clara auf ein Minimum beschränkt werden konnten.<br />
Dennoch fühle sie sich oft schutzlos, sie lasse andere Menschen oft viel weitergehen als sie<br />
eigentlich möchte, empfindet sich als zu höflich - dies führt sie auf den Missbrauch zurück.<br />
Auch häufige Darmprobleme in der Kindheit dürften damit in Zusammenhang gestanden<br />
haben, vermutet sie. Auch weiß Clara von ihrer Mutter, dass sie als Kleinkind „extrem<br />
stark gefremdelt“ hat und in den nächsten Jahren oft krank war: diverse Allergien,<br />
Scharlach und häufige Infekte sind ihr noch in Erinnerung.<br />
Claras erste Erinnerung: Die Mutter hat damals eine über 90-jährige Freundin gepflegt und<br />
nahm die beiden Kinder oft mit in deren Haus. Clara erinnert sich daran, wie sie mit ihrem<br />
Bruder gemeinsam den Treppenlift der alten Dame als Fahrstuhl „immer wieder rauf und<br />
runter“ benützt hat. Diese Fahrten haben Clara sehr viel Spaß gemacht. Auch bringt sie<br />
deutliche Erinnerungen an die Hände und die Stimme der Mutter mit der frühen Kindheit<br />
in Zusammenhang.<br />
In Claras früher Kindheit zog die Familie „mindestens 10 mal“ um, zwischenzeitlich<br />
wohnten sie auch bei den Großeltern. Seit dem Konkurs des Vaters waren die Eltern<br />
finanziell von den Großeltern abhängig. Im Haus der Großeltern fühlte sich Clara eher als<br />
Gast, an die ausgelassenen Spiele mit dem Vater im riesigen Garten denkt sie gerne.<br />
Ein einschneidendes Erlebnis war der Abflug nach Deutschland, Clara war zu diesem<br />
Zeitpunkt 5 Jahre alt: Erst am Flughafen realisierte sie, dass der Vater nicht mitkommen<br />
würde. Sie und ihr Bruder hatten Puppen geschenkt bekommen, die Mutter sagte ihnen, sie<br />
seien ein Abschiedsgeschenk von Papa, erst viel später hat sie erfahren, dass die Mutter sie<br />
ihnen gekauft hatte. Die erste Station in Deutschland war das Haus der Großeltern. Auch<br />
die Großeltern mütterlicherseits waren sehr wohlhabend, sie lebten in einem Schloss.<br />
Trotzdem musste die Mutter die erste Zeit nach der Rückkehr von Sozialhilfe leben, die<br />
Großeltern unterstützen ihre Tochter und die Enkelkinder kaum - die schlechte Beziehung<br />
zwischen der Mutter und ihren Eltern war ja schon Grund für die Auswanderung in die<br />
USA zwanzig Jahre zuvor.<br />
Auf die Frage, was in der Zeit Halt gegeben hat, erzählte sie von der Mutter, die sie „wie<br />
einen Fels in der Brandung“ erlebt hat, mit „unendlich viel Liebe“. Clara wurde oft gesagt,<br />
dass sie ein Abbild ihrer Mutter sei, sie selbst findet, sie sei eine „Mischung aus Mutter<br />
und Vater“.<br />
Der Vater kam in den darauf folgenden Jahren immer nur an Weihnachten nach<br />
Deutschland, er war ein „Feriendaddy“, sie hatten dann viel Spaß zusammen und Clara<br />
31
freute sich immer sehr auf ihn. Er sei aber nie eine richtige Vaterfigur für sie gewesen, was<br />
ihr jedoch nur in den ersten Jahren fehlte. Die Eltern ließen sich erst scheiden, als Clara<br />
zwölf Jahre alt war.<br />
Als Clara, sie war sechs oder sieben Jahre alt, einmal ihre geliebte Puppe Susi verlor, sagte<br />
sie zu ihrer Mutter: „Wenn Susi weggelaufen ist, dann braucht sie auch nicht<br />
wiederzukommen!“ Diese Kompromisslosigkeit, die sie gut kenne bei sich, sei eine<br />
Eigenschaft, die sie mit der Abwesenheit des Vaters in Zusammenhang bringe.<br />
2. Jahrsiebt „Villa Kunterbunt“<br />
In der ersten Klasse Volkschule ist Clara an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankt und<br />
konnte deshalb über ein halbes Jahr nicht am Unterricht teilnehmen. Sie sei aber sehr gerne<br />
in die Schule gegangen, war fast jedes Jahr die Klassenbeste, sei aber nicht gerne<br />
aufgefallen. Sie hatte viele Freunde, war immer in einer „ganzen Horde“ unterwegs. In der<br />
zweiten Klasse zog die Mutter mit den beiden Kindern in einen Nachbarort, in „unsere<br />
Villa Kunterbunt“. Diese Zeit hat Clara als sehr schön und aufregend in Erinnerung. Die<br />
Mutter war nach wie vor die wichtigste Bezugsperson. Trotzdem sehnte sich Clara<br />
manchmal nach ihrem Vater und war traurig darüber, dass sie keine „richtige Familie“<br />
waren. Die Sommerferien verbrachten sie immer in den USA, das Verhältnis zu den<br />
Großeltern blieb aber distanziert und oberflächlich.<br />
Die Werte, die die Mutter den Kindern in dieser Zeit vermittelte, waren ein ehrlicher und<br />
wertschätzender Umgang miteinander, gute biologische Ernährung und eine schöne<br />
Sprache, das grobe Süddeutsche war zuhause verpönt. Auch der Sinn für Künstlerisches,<br />
Geschichten erzählen, Malen und Singen gehörten zum Alltag der Familie.<br />
Erster (halber) Mondknoten: Mit ca. neun Jahren änderte Clara ihre Schrift und begann<br />
außerhalb der Familie Dialekt zu sprechen. Nachdem sie in das Gymnasium gewechselt<br />
hatte, wurden ihre Noten „eklatant“ schlechter. Clara arbeitete im Unterricht nicht mehr<br />
mit, war aber unauffällig. Auch war sie immer noch häufig krank. Sie hat sich damals stark<br />
an älteren Mädchen orientiert. Ihre Berufswünsche waren Archäologin, Architektin oder<br />
Ärztin.<br />
Als die Mutter eine neue Arbeit aufnahm und dadurch zwischen Deutschland und<br />
Österreich zu pendeln begann, zog eine junge Frau zu ihnen, die während der Woche für<br />
die Kinder sorgen sollte. Mia wurde ein großes Vorbild für die elfjährige Clara; als einige<br />
Zeit später auch der Vater nach Deutschland kam, nahm sie diesen als Autoritätsperson<br />
nicht ernst – Mia war viel wichtiger. Diese junge Frau befand sich jedoch in einer sehr<br />
32
schwierigen Situation, die Mutter hatte sie „wohl aus Mitleid aufgenommen“. Aus Claras<br />
heutiger Sicht war sie magersüchtig, konsumierte Drogen und hat ständig gelogen.<br />
Einerseits war Mia Vorbild, andererseits fühlte sich Clara für sie verantwortlich. Sie zog<br />
sich von ihren Freundinnen immer mehr zurück. Die Beziehung zu Mia war aufregend und<br />
abenteuerlich, alles was die Mutter verboten hatte, war bei ihr erlaubt: Rauchen,<br />
Autofahren, Ausflüge in die Stadt. Clara fühlte sich bei ihr erwachsen.<br />
An den Vater hat Clara in dieser Zeit wenige klare Erinnerungen. Mia hetzte sie gegen ihn<br />
auf und behauptete auch der Mutter gegenüber, er würde Clara und ihren Bruder nicht gut<br />
behandeln. Clara wirft sich vor, bei einem Streit zwischen Mutter und Vater nicht für den<br />
Vater Partei ergriffen zu haben. Die Mutter drohte dem Vater: „Du wirst meinen Kindern<br />
nicht wehtun!“ Clara war sehr berührt beim Erzählen dieser Begebenheit, deren Umstände<br />
sie noch ganz klar in Erinnerung hat. Sie habe alles aus Sicht von Mia gesehen, hätte aber<br />
eigentlich der Mutter sagen müssen, dass der Vater sie gut behandle und ihnen niemals<br />
wehgetan hatte. Kurz darauf ließen sich die Eltern scheiden – Clara fühlte sich dafür<br />
mitverantwortlich. Sie sagte, alles was ihr vorher lieb und wichtig war, war in dieser Zeit<br />
nichts wert, sie habe über die Menschen, die immer für sie da waren, schlecht gedacht. Für<br />
den Vater sei sie eine „Heilige“, er liebe sie abgöttisch – und sie habe sich nicht für ihn<br />
eingesetzt.<br />
Da Clara beim Erinnern dieser Situation sehr berührt war und weinte, erschien es mir<br />
sinnvoll, hier die PEA anzuwenden (verkürzt):<br />
Wie ist das jetzt für Sie, wenn Sie heute an diese Situation denken? Was empfinden Sie<br />
dabei?<br />
„Ich fühle mich schuldig weil ich nicht für meinen Vater eingetreten bin.“<br />
Wie war das damals? Was haben Sie damals empfunden?<br />
„Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen Mia und meinem Vater. Um niemanden zu<br />
verletzen habe ich gar nichts gesagt, sondern bin nur stumm daneben gestanden. Ich war<br />
überfordert und hatte Schuldgefühle.“<br />
Was hätten Sie am liebsten getan? „Ich hätte am liebsten laut geschrien: nein, das stimmt<br />
nicht, Vater ist immer gut zu uns!“<br />
Verstehen Sie, warum Sie sich so verhalten haben? „Ich befand mich in einem<br />
Wertekonflikt – ich stand zwischen Mia und meinem Vater / meiner Familie. Aus heutiger<br />
Sicht weiß ich, dass Mia krank war und professionelle Hilfe gebraucht hätte.“<br />
Was würden Sie jetzt am liebsten tun? „Ich möchte mit meinem Vater reden, ihn fragen,<br />
wie das für ihn war damals, die ganze Situation.“<br />
33
In der darauffolgenden Stunde fasste sie den Entschluss, eine Möglichkeit zu suchen um<br />
mit dem Vater zu reden:<br />
Wie könnten Sie das realisieren? „Ich könnte mir eine Auszeit nehmen und in die USA<br />
reisen, ich würde meinem Vater gerne als erwachsene Frau begegnen.“<br />
Weiter in der Biographie:<br />
Als Clara zwölf Jahre alt war, zog die Mutter mit den Kindern nach Österreich. Clara<br />
erlebte dies als „krassen Schnitt“: plötzlich war sie die Älteste in der Klasse, an der sich<br />
die jüngeren Mädchen orientierten. Sie wurde als die Neue von allen bewundert, hatte aber<br />
keinen wirklichen Anschluss. Freunde fand sie eher außerhalb der Schule.<br />
3. Jahrsiebt „Die Beziehung“<br />
Mit vierzehn Jahren verliebte sie sich zum ersten Mal und war mit diesem Jungen auch für<br />
einige Monate „zusammen“. Als er sich später in ihre beste Freundin verliebte gab sie sich<br />
nach außen hin gleichgültig und stolz „mir tut das nichts“, ihrer Mutter jedoch konnte sie<br />
sich in ihrem großen Schmerz anvertrauen. Kurze Zeit später lernte sie Sebastian kennen,<br />
mit dem sie über fünf Jahre eine liebevolle Beziehung hatte. Ab da sei ihr Leben „so<br />
dahingeplätschert“, nachdem sie Matura gemacht hatte („ich habe erst fünf Tage vorher<br />
intensiv zu lernen begonnen“), ist sie mit Sebastian zusammen gezogen, sie haben „wie ein<br />
Ehepaar“ gelebt, wobei er seine Hobbys hatte und Clara sich um den Haushalt kümmerte.<br />
Sie studierte Architektur und arbeitete als Immobilienmaklerin, die dreifache Belastung<br />
Studium, Job und Haushalt „war sehr anstrengend“.<br />
Um die Zeit ihres ersten Mondknotens (18 2/3 Jahre) kamen zwei langjährige Freunde bei<br />
einem Autounfall ums Leben, Clara brach zusammen und bekam kurz darauf eine schwere<br />
Lungenentzündung, die im Krankenhaus behandelt werden musste. Zu dieser Zeit<br />
beschloss sie mit dem Architekturstudium nicht mehr weiterzumachen. Allerdings hatte sie<br />
zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, was sie stattdessen studieren könnte.<br />
Im Herbst entschied sich Clara dann für Jura - das sei eine Bauchentscheidung gewesen,<br />
sie möchte eventuell als Juristin im Sozialbereich arbeiten- „weil man sich so mehr Gehör<br />
verschaffen kann als z.B. Pädagogin“.<br />
Auf die Frage, welche Ideale sie in diesem 3. Jahrsiebt hatte, sagte sie, dass sie sich sehr<br />
stark an ihrer Mutter orientiert hätte, sie habe sie sehr bewundert weil sie so vieles alleine<br />
geschafft hätte und sie zudem ein äußerst umsorgender und liebevoller Mensch sei.<br />
34
4. Jahrsiebt ab 21 (für diese Zeit hat Clara keine für sie passende Überschrift gefunden)<br />
Während eines Sommercamps für Kinder, in dem sie Englisch unterrichtete, wurde Clara<br />
bewusst, dass es sie als Einzelperson in der Beziehung nicht gab, sie existierte nur als<br />
„wir“. Im Camp erlebte sie sich zum ersten Mal eigenständig und unabhängig - Clara war<br />
21 Jahre alt. Sie trennte sich bald darauf von Sebastian, zog in eine andere Stadt und lebt<br />
seither in einer Wohngemeinschaft mit Studienkolleginnen. Das erste Jahr in der<br />
Wohngemeinschaft habe sie „ziemlich verplempert“ mit Ausgehen, Feiern und dem<br />
Genießen der neuen Freiheit. Es war ein Neuanfang, auch in persönlicher Hinsicht.<br />
Trotzdem schaffte sie innerhalb kürzester Zeit zwei große Prüfungen im Studium. Die<br />
Frage, warum sie mit dem Lernen immer bis zum „letzten Drücker“ wartet, beschäftigt<br />
Clara sehr. Sie sagt, sie mag sich in den lethargischen Phasen nicht und dennoch brauche<br />
sie immer Druck.<br />
Märchen:<br />
Für die vorläufig letzte Stunde gab ich ihr die Aufgabe, ihre Biografie als Märchen zu<br />
schreiben. Die Arbeit am Märchen fand sie schwierig, besonders schwer fiel ihr, eine<br />
zentrale Figur zu finden. Letztendlich habe sie die Geschichte aber „in einem runter<br />
geschrieben“. Sie trägt den Titel: „Märchen über den kleinen Spiegel“ – „Wer hinein<br />
schaut, nimmt die Reflexion seiner selbst wahr!“ Clara bearbeitet darin die Themen<br />
Anpassung, Licht und Schatten sowie die zentrale Frage: „Wer bin ich wirklich? – Nichts<br />
von alledem, was in mich hineinsah – oder alles zusammen?“<br />
Abschluss:<br />
Am Ende der biografischen Arbeit realisierte Clara ihren Entschluss und reiste für 4<br />
Wochen in die USA um ihren Vater „besser kennenzulernen.“ Dafür musste sie eine große<br />
Prüfung verschieben, sie wollte sich jetzt einmal erst um ihr Leben kümmern und alles<br />
andere zurückstellen.<br />
Nach ihrer Rückkehr aus den USA fand noch eine abschließende Stunde statt, um zu<br />
reflektieren. Clara kam mit viel Schwung bei der Tür herein, wirkte frisch und präsent.<br />
Wie schaut sie jetzt, nach dem Aufenthalt in den USA auf die Biografie-Arbeit zurück, hat<br />
die Arbeit etwas verändert, bewirkt?<br />
Die Strukturierung der Biografie nach Jahrsiebten erlebte sie als sehr hilfreich und<br />
ordnend, dadurch wurde das Chaos geglättet, die Probleme wurden greifbarer, neuralgische<br />
Punkte klarer. Durch das phänomenologische Betrachten und darauffolgende Hinterfragen<br />
35
hat sich die Sicht auf die Fakten teilweise verändert und dadurch auch das Erleben. So<br />
sieht Clara Mia nun nicht mehr als das zentrale Ereignis, sie stehe vielmehr für eine<br />
wichtige Zeit in ihrem Leben, in der sie eine starke Wandlung durchgemacht hat.<br />
Viele Beurteilungen habe sie direkt von der Mutter übernommen und als unumstößliche<br />
Gegebenheiten gesehen, der eigene Blick auf die Ereignisse wirkte befreiend, dadurch<br />
wurden die biografischen Ereignisse mehr zu ihren eigenen.<br />
An manchen Punkten stimmten die Erinnerungen nicht mit den Gegebenheiten überein,<br />
was sie dazu veranlasste „ihr Zeug zu klären.“ Viele Begebenheiten und Erlebnisse seien<br />
ihr erst wieder eingefallen, während sie über die jeweilige Zeitspanne geredet hat, an<br />
manchen Stellen habe sie sich gewundert, warum ihr gerade das jetzt einfällt. So entstand<br />
nach und nach ein Gesamtbild.<br />
Clara erlebte die intensive Beschäftigung mit ihrer Biografie als stärkend in Bezug auf die<br />
Fragen: „Was ist eigentlich meines?“ und „Wie sehe ich das heute, wie stelle ich mich<br />
heute dazu?“ Die Arbeit sei ein regelrechter Bewusstwerdungsprozess gewesen und gab<br />
Antwort auf die Frage: „Wie bin ich?“ Das Märchen empfand sie rückblickend als sehr<br />
förderlich für die Selbstdistanzierung.<br />
Seit sie aus den USA zurück ist, sei sie klarer und konfliktfreudiger. Sie wurde sogar schon<br />
gefragt, ob sie gewachsen sei. Abschließend bemerkte Clara: „Die Ereignisse sind so wie<br />
sie eben waren und es ist gut so, es ist mein Leben!“<br />
36
8. Resumé<br />
Zwischen der biografischen <strong>Existenzanalyse</strong> und der anthroposophischen Biografiearbeit<br />
gibt es zweifellos viele Parallelen. Die den Methoden zugrundeliegenden Menschenbilder<br />
benennen beide einen „geistigen Wesenskern“ bzw. eine „unzerstörbare geistige Person“<br />
und sehen Freiheit und Verantwortung als Ziel der Entwicklung. Bei meinen Recherchen<br />
zum Person-Begriff und den philosophischen Grundlagen der Logotherapie und der<br />
Anthroposophie bin ich auf folgende Hinweise gestoßen, die eine geistige Verwandtschaft<br />
auf menschliche Art bezeugen:<br />
Viktor Frankl betont in seinen Lebenserinnerungen die Bedeutung der Philosophie Max<br />
Schelers für die Entwicklung der Logotherapie. So habe Scheler ihn vollends aufgerüttelt,<br />
seinen eigenen Psychologismus zu durchschauen. Das Buch Schelers Der Formalismus in<br />
der Ethik und die materiale Wertethik habe er „wie eine Bibel“ mit sich herumgetragen.<br />
(Frankl 2009) Frankl hat Scheler stets als seinen großen Lehrer bezeichnet, er ist ihm<br />
jedoch nie persönlich begegnet.<br />
Von einer Begegnung mit Max Scheler berichtet Rudolf Steiner in seiner Autobiographie<br />
„Mein Lebensgang“ (1925 S.330ff) folgendes: "Ich hatte in Weimar Vorträge über<br />
anthroposophische Themen zu halten. Es wurde auch ein Vortrag in kleinerem Kreise in<br />
Jena veranlasst. … In diesem Kreise war Max Scheler, der damals in Jena als Dozent für<br />
Philosophie wirkte. In eine Erörterung über dasjenige, was er an meinen Ausführungen<br />
empfand, lief bald die Diskussion ein. Und ich empfand sogleich den tieferen Zug, der in<br />
seinem Erkenntnisstreben waltete. Es war innere Toleranz, die er meiner Anschauung<br />
entgegenbrachte. Diejenige Toleranz, die für denjenigen notwendig ist, der wirklich<br />
erkennen will. Wir diskutierten über die erkenntnistheoretische Rechtfertigung des Geist-<br />
Erkennens. Wir sprachen über das Problem, wie sich das Eindringen in die<br />
Geistwirklichkeit nach der einen Seite ebenso erkenntnistheoretisch müsse begründen<br />
lassen, wie dasjenige in die Sinnes-Wirklichkeit nach der andern Seite. Schelers Art, zu<br />
denken, machte auf mich einen genialischen Eindruck. Und bis heute verfolge ich seinen<br />
Erkenntnisweg mit dem tiefsten Interesse. Innige Befriedigung gewährte es mir immer,<br />
wenn ich - leider ganz selten - dem Manne, der mir damals so sympathisch geworden war,<br />
wieder begegnen konnte.“<br />
37
Nun zur Beantwortung meiner Forschungsfrage: Kann die anthroposophische<br />
Biografiearbeit (ABA) in die therapeutische Arbeit eingebunden werden? Wann ist das<br />
sinnvoll? Ich habe diesbezüglich besonders mit Menschen zwischen 20 und 35 Jahren mit<br />
Fragen nach dem Sinn und dem Sich-Verstehen gute Erfahrungen gemacht. In diesem<br />
Alter ist die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt oft drängend. Bei Fragen wie „Wo<br />
liegen meine Fähigkeiten und wie kann ich sie in der Welt einbringen?“, „Was ist mein<br />
Eigenes?“ oder „Warum bin ich so wie ich bin?“ „Bin ich überhaupt richtig?“ kann die<br />
ABA sehr unterstützend und klärend wirken. Ergänzt durch die PEA, die in speziellen<br />
biografischen Situationen zur Anwendung kommen kann, bietet sie ein gutes<br />
Handwerkszeug.<br />
Besonders die kreativen Methoden wie Malen, das Verfassen eines Märchens oder die<br />
Titulierung der Jahrsiebte durch eine prägnante Aussage oder eine Stimmung fördert die<br />
Selbstdistanzierung. Dies ermöglicht einen Blick auf das Ganze, auf die „Figur“ der<br />
Biografie und das „Wie“, das sich im bisherigen Umgang mit den Herausforderungen<br />
zeigt. Die Biografie als einzigartiges Kunstwerk und die Person als „Künstler“, der dieses<br />
Werk geschaffen hat, wird sichtbar. Dieser Blick spricht die Person, das Freie im<br />
Menschen, wie Frankl sagt, an und regt zum kreativen Umgang mit den Gegebenheiten –<br />
den vergangenen und gegenwärtigen - an.<br />
Sicher setzt die biografische Arbeit eine gewisse Stabilität und Reflektiertheit voraus, die<br />
bei manchen Menschen zu Beginn der Therapie oft noch nicht gegeben ist. Bei klinischen<br />
Krankheitsbildern mit klarem therapeutischem Auftrag kann die ABA aber unter<br />
Umständen im späteren Verlauf der Therapie ergänzend dort eingesetzt werden, wo es um<br />
das heilsame Erleben von Kontinuität geht. Wenn es gelingt, die Vergangenheit objektiv zu<br />
vergegenwärtigen, sie so zu beobachten als säße man am Ufer eines Flusses und ließe die<br />
Erinnerungen vorüberziehen, dann kann ein Bewusstsein für sich selbst als Beobachter<br />
entstehen. Ein Bewusstsein darüber, dass es da etwas gibt, das sich durch alle<br />
Lebensphasen hindurch ausdrückt und dennoch still und unverändert bleibt: „Ich bin“.<br />
Auch kann die Erzählung der Biografie als Ganzes zu einem Werterleben führen: durch<br />
das Zuhören der Therapeutin oder besser noch, einer kleinen Gruppe, bekommt die<br />
Geschichte ein zusätzliches Gewicht. Wie oft habe ich Patienten schon sagen hören: „So<br />
interessant ist mein Leben nicht!“ Bereits während dem Erzählen jedoch fühlen sie sich<br />
38
stolz und wertvoll, entwickeln Interesse und Respekt für sich selbst. „Ich bin auch wer!“<br />
brachte es eine Teilnehmerin einer Biografie-Gruppe auf den Punkt. So kann es gelingen,<br />
am eigenen Leben zu sich selbst zu erwachen und dadurch eine Stärkung des Selbstwertes<br />
zu erfahren.<br />
Eine weitere positive Erfahrung mit der Kombination von BEA und ABA beschreibt eine<br />
Patientin, die in ihrer frühen Kindheit durch alkoholkranke Eltern traumatisiert worden<br />
war, folgendermaßen: „Durch die biografische Arbeit ist mir bewusst geworden, dass es<br />
auch viel Gutes in meiner Kindheit gegeben hat, ich habe bis dahin nur das Negative<br />
gesehen.“<br />
Die ABA mit ihrem spirituellen Hintergrundkonzept ist, besonders was die sogenannten<br />
höheren Wesensglieder des Menschen betrifft, mit herkömmlichen wissenschaftlichen<br />
Methoden nicht nachvollziehbar. Hier sehe ich auch eine gewisse Gefahr, den<br />
individuellen Lebenslauf in ein Schema zu pressen. Dann wird Ereignissen eine Bedeutung<br />
gegeben, die ihnen vielleicht gar nicht zusteht, weil sie jedoch z.B. an einem<br />
„Mondknoten“ liegen, „müssen“ sie bedeutungsvoll sein. Andererseits kann das Erkennen<br />
allgemeiner Gesetzmäßigkeiten im eigenen Lebenslauf zu einem Erleben von Halt führen<br />
und das Grundvertrauen in die Welt sehr stärken: Es gibt eine implizite Ordnung, nach der<br />
sich mein Leben strukturiert! Die Themen der Jahrsiebte können im Hinblick auf<br />
anstehende Entwicklungsschritte Orientierung bieten, wobei auch hier darauf zu achten ist,<br />
diese Themen als Möglichkeit anzubieten, und niemals als Dogma hinzustellen.<br />
Fazit: Elemente aus der anthroposophischen Biografiearbeit können therapeutisch dann<br />
eingesetzt werden, wenn die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung gegeben ist und die<br />
Bereitschaft und die Möglichkeit vorliegen, sein Leben selbst aktiv in die Hand zu<br />
nehmen. Aber auch nicht explizit angewandt dient mir das Wissen um die<br />
Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung im Lebenslauf als Hintergrund und Aufforderung, in<br />
meiner Arbeit an manchen Stellen der Therapie noch aufmerksamer hinzuhören.<br />
39
9. Anhänge<br />
9.1 Fragen zur Biografie<br />
1. Jahrsiebt 0 - 7<br />
Wie war deine Geburt – natürlich, eingeleitet, Frühgeburt?<br />
Warst du ein erwünschtes Kind?<br />
Wie alt waren deine Eltern bei deiner Geburt?<br />
Siehst du mehr der Mutter oder dem Vater ähnlich?<br />
Gibt es besondere Krankheiten in deiner Familie?<br />
Wie war dein "Nest"? (Haus, Gegend...)<br />
Familie: Eltern, Großeltern, Geschwister?<br />
Gab es Rituale, Tagesrhythmen?<br />
Hattest du Kosenamen?<br />
Welche Krankheiten hast du durchgemacht?<br />
Wann und wie erfolgten Aufrichten, Gehen und Sprechen?<br />
Wie und was hast du gespielt? Besuchtest du einen Kindergarten?<br />
Was ist deine erste Erinnerung?<br />
Hattest du Ängste?<br />
Gab es Verbote, Strafen?<br />
Welche Bedeutung hatten Märchen, Geschichten, Kinderlieder, Spiele und Spielsachen,<br />
TV etc. für dich?<br />
Wie erlebtest du die Einschulung?<br />
Wie war das Grundgefühl im ersten Jahrsiebt? (Farbe, Bewegung, Bild)<br />
Welche Kräfte oder Behinderungen resultieren aus dem ersten Jahrsiebt für das weitere<br />
Leben?<br />
2. Jahrsiebt 7 - 14<br />
Wann wurdest du eingeschult?<br />
Gingst du gerne zur Schule? Was waren deine Lieblingsfächer?<br />
Wurden die Bilderwelt und die Phantasiekräfte gepflegt?<br />
Was fiel dir leicht, was schwer?<br />
Warst du aufmerksam oder zerstreut, aktiv oder faul in der Schule?<br />
Wie waren deine Beziehungen zu den Lehrern?<br />
Wie waren deine Beziehungen zu den MitschülerInnen?<br />
40
Wie verbrachtest du die Ferien?<br />
Hattest du Gelegenheit zu Naturerlebnissen und Ausflügen?<br />
Hast du sportliche Aktivitäten ausgeübt?<br />
Welches waren deine Lieblingsspiele? Gab es Mutproben oder Wettbewerbe?<br />
Welches waren deine Lieblingsbücher?<br />
Welche Verpflichtungen hattest du?<br />
Wie war dein Verhältnis zu Hause mit Vater, Mutter, Geschwistern?<br />
Wer war deine wichtigste Bezugsperson?<br />
Welche Autoritäten fürchtetest du?<br />
Was wurde dir oft gesagt? (Verhaltensregeln usw.)<br />
Welche Gewohnheiten herrschten zu Hause? (Essen, Schlafen, etc.)<br />
Gab es Erwachsene, die Vorbild für dich waren?<br />
Hattest du Taschengeld oder kleine Verdienste?<br />
Welche Werte waren für deine Eltern wichtig? Setzten sie dir Grenzen?<br />
Hattest du Gelegenheit zu künstlerischer Betätigung?<br />
Hast du eine besondere Veränderung um das 9. Jahr verspürt?<br />
Kannst du dich erinnern, welchen Berufswunsch du ca. mit 12 Jahren hattest?<br />
Wurdest du gerecht behandelt?<br />
Hast du Freunde mit nach Hause bringen dürfen?<br />
Welche Kleidung hattest du?<br />
Fühltest du dich schön oder hässlich?<br />
Welches Temperament bildete sich aus? Welche Konstitution?<br />
Krankheiten? Unfälle? Operationen?<br />
Für Frauen: Wann war deine erste Menstruation?<br />
Welche Kräfte oder Behinderungen resultieren aus dem zweiten Jahrsiebt für dein weiteres<br />
Leben?<br />
3. Jahrsiebt 14 - 21<br />
Wie erlebtest du die Pubertät?<br />
Wie war das Kräftebefinden?<br />
Welche Krankheiten hattest du in dieser Zeit?<br />
Hattest du Depressionen oder Wutausbrüche? Selbstmordideen?<br />
Was hattest du für Interessen?<br />
Gegen was kämpftest du an?<br />
41
Hattest du Ideale in dieser Zeit? Idole?<br />
Hattest du eine Clique, Freundeskreis?<br />
Wie war dein Verhältnis zu Drogen (Alkohol, Rauchen...)<br />
Wie verlief die schulische/berufliche Bildung?<br />
Welche Fächer interessierten dich am meisten?<br />
Wann musstest du ein Studium wählen?<br />
Welche Berufswünsche hattest du?<br />
Gab es Arbeiten, die du spontan auf eigene Initiative und mit Freude machtest?<br />
Gab es Berufungen oder Begabungen, die du nicht ausleben durftest?<br />
Hattest du Arbeitsverpflichtungen außer den schulischen Leistungen?<br />
Wie war die Wohnsituation? Hattest du seelischen Raum? Eine Privatsphäre?<br />
Gab es Menschen, bei denen du dich aussprechen konntest?<br />
Gab es Menschen, die dich in negativer Art beeinflusst haben?<br />
Welches waren deine Lieblingslektüre, -musik und –filme?<br />
Unternahmst du Reisen?<br />
Hattest du einen Freund, eine Freundin?<br />
Wie war deine Beziehung zur Wahrheit?<br />
Fühltest du dich frei?<br />
Hast du seelische/geistige Veränderungen gegen Ende dieser Zeit bemerkt?<br />
„1. Mondknoten“ (18 Jahre, 7 Monate, 9 Tage): besondere Ereignisse?<br />
4. Jahrsiebt 21 - 28<br />
Wie erlebtest du die Zeit um 21?<br />
Wie war deine Weltanschauung?<br />
Wann bist du von daheim ausgezogen?<br />
Welchen inneren Bezug hattest du zu deinem Beruf? Hattest du das Gefühl, beruflich den<br />
richtigen Weg eingeschlagen zu haben?<br />
Welche Arbeiten haben dir Spaß gemacht?<br />
Welche Veränderungen, Reisen gab es?<br />
Gab es wichtige Freizeitaktivitäten, (ehrenamtliches) Engagement, Hobbys?<br />
Wie war deine Weltanschauung?<br />
Wichtige Ereignisse und Bezugspersonen?<br />
42
5. Jahrsiebt 28 - 35<br />
Gab es eine sogen. "Talentekrise"? wie bist du herausgekommen?<br />
Wie hast du dein Berufs- und Privatleben organisiert?<br />
Hast du eigene Vorstellungen im Beruf einbringen können?<br />
Hattest du auch zweckfreie Interessen?<br />
Was war dir wichtig?<br />
Hast du Schulden gemacht?<br />
Wichtige Ereignisse und Bezugspersonen?<br />
6. Jahrsiebt 35 - 42<br />
Wie erlebtest du die Zeit um 35?<br />
Was fiel dir leicht, was schwer?<br />
Hast du neue Ideale, Werte gefunden?<br />
Was für eine Bedeutung hatte die Arbeit im Verhältnis zum Interesse an der Arbeit?<br />
Merktest du den körperlichen Abbau? Hast du was dagegen unternommen? (Sport...)<br />
Wichtige Ereignisse und Bezugspersonen?<br />
7. Jahrsiebt 42 - 49<br />
Hast du innere oder äußere Veränderungen um 42 bemerkt?<br />
Wie gehst du mit dem Abnehmen der Kräfte um?<br />
Fühlst du dich von Jüngeren bedrängt (in der Arbeit)?<br />
Kannst du deine Gewohnheiten ändern?<br />
Willst und kannst du dich weiterentwickeln?<br />
Wichtige Ereignisse und Bezugspersonen?<br />
8. Jahrsiebt 49 - 56<br />
Was hast du verwirklicht, was strebst du noch an?<br />
Gibt es Bereiche, in denen du noch zu Veränderungen bereit wärst?<br />
Hast du einen neuen Lebensrhythmus gefunden?<br />
Welche neuen Fähigkeiten möchtest du noch entwickeln?<br />
Wie kommst du mit jüngeren Menschen aus?<br />
Wichtige Ereignisse und Bezugspersonen?<br />
…weitere Fragen:<br />
Was hast du bisher (von deinen Träumen) verwirklicht?<br />
43
Was strebst du noch an, welche (Lebens-)Ziele verfolgst du?<br />
Welche deiner Fähigkeiten möchtest du noch verstärkt ins Leben einbringen?<br />
Was möchtest du unbedingt noch lernen?<br />
Für welche Bedürfnisse, Menschen möchtest du etwas tun?<br />
Auf was möchtest du zurückblicken können, wenn du am Sterbebett liegst?<br />
(vgl. Burkhard 1994)<br />
9.2 Anregungen für die biografische Arbeit:<br />
Für jedes Jahrsiebt ein Blatt:<br />
Senkrecht in 2 Hälften teilen:<br />
Äußeres Ereignis / Gefühl<br />
z.B. 1995 Umzug nach …<br />
z.B. „große Freude“<br />
Fotos zu allen Jahrsiebten<br />
Besonderes Augenmerk auf das 3. Jahrsiebt – was kommt an Neuem herein?<br />
(Rebellion, Ideale?)<br />
Malen: Mein Leben als Fluss<br />
Wenn mein Leben ein Fluss wäre, durch welche Landschaften ist er bisher<br />
geflossen? Durch karge Gegenden, gar durch Wüsten, oder durch üppige<br />
Blumenfelder? Wie schaut die Quelle aus? Ist der Fluss breit, schnell fließend, oder<br />
eher ein dünnes Rinnsal? Welche Menschen stehen links und rechts des<br />
Flussbettes? Welche Grundfarben dominieren in den einzelnen Abschnitten?<br />
(Wasserfarben, Wachsmalstifte)<br />
Symbole für jedes Jahrsiebt<br />
z.B. Kreis, Spirale, Stufen…<br />
Überschriften / Titel für jedes Jahrsiebt<br />
z.B. „Der dunkle Wald.“<br />
44
Schreiben: Mein Leben als Märchen<br />
Versuche die Grundgeste deines bisherigen Lebens zu erfassen und symbolisch in<br />
Form eines Märchens auszudrücken. Trage die Idee als Frage einige Tage in dir –<br />
und schreibe es dann, am besten „in einem Guss“, nieder. Schreibe aus dem Gefühl<br />
heraus!<br />
„Rote Fäden“? „Liegengelassene Fäden“?<br />
Taucht etwas immer wieder auf? Habe ich etwas vergessen oder vernachlässigt, das<br />
ich wieder aufgreifen könnte?<br />
45
10. Literaturverzeichnis<br />
ARCHIATI, P. (2008): Kunstwerk Biografie. München: Archiati Verlag<br />
BURKHARD, G. (1992): Das Leben in die Hand nehmen. Stuttgart: Verlag Freies<br />
Geistesleben<br />
BURKHARD, G. (1992a): Therapeutische und hygienische Biographiearbeit. In:<br />
Flensburger Hefte, Biographiearbeit 2, Sonderheft Nr. 10. Flensburg: Flensburger Hefte<br />
Verlag<br />
BURKHARD, G. (1994): Schlüsselfragen zur Biographie. Stuttgart: Verlag Freies<br />
Geistesleben<br />
FRANKL, V. (1982): Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. München: Piper. 3.<br />
Auflage (1979)<br />
FRANKL, V. (1986): Die Psychotherapie in der Praxis. München: Piper 5.Auflage (1982)<br />
FRANKL, V. (2009): Was nicht in meinen Büchern steht. Weinheim und Basel: Beltz<br />
(2002)<br />
HEISTERKAMP, J. (2010): Was ist Anthroposophie? Dornach: Verlag am Goetheanum<br />
KOLBE, C. . (1992): Stellungnahmen aufgrund biografischer Erfahrungen in ihrer<br />
Bedeutung für das aktuelle Handeln. In: Kolbe C. (Hrsg) Biographie. Verständnis und<br />
Methodik biographischer Arbeit in der <strong>Existenzanalyse</strong>. Wien: Tagungsbericht der GLE, 9-<br />
33<br />
LÄNGLE, A. (1992): Die biographische Vorgangsweise in der Personalen<br />
<strong>Existenzanalyse</strong>. In: Kolbe C. (Hrsg.) Biographie. Verständnis und Methodik<br />
biographischer Arbeit in der <strong>Existenzanalyse</strong>. Wien: Tagungsbericht der GLE, 9-33<br />
LÄNGLE, A. (2005): Lehrbuch der <strong>Existenzanalyse</strong>, 1. Teil, Grundlagen. 3.Auflage<br />
LÄNGLE, A. (2007): Das Bewegende spüren. Phänomenologie in der existenzanalytischen<br />
Praxis. In: Das Wesentliche sehen. Phänomenologie in Psychotherapie und Beratung.<br />
Tagungsbericht der GLE Nr. 2/2007, 24. Jahrgang.<br />
LÄNGLE, A. (2007a): Lernskriptum zur <strong>Existenzanalyse</strong>. 1.Grundmotivation. 4.Auflage,<br />
Wien<br />
LÄNGLE, A. (2008): <strong>Existenzanalyse</strong>. In: LÄNGLE, A., HOLZHEY-KUNZ, A.:<br />
<strong>Existenzanalyse</strong> und Daseinsanalyse. Wien: UTB<br />
LÄNGLE, A. (2009): Lernskriptum zur <strong>Existenzanalyse</strong>. 3. Grundmotivation. 4. Ausgabe,<br />
November 2009.<br />
LIEVEGOED B.(2001): Lebenskrisen, Lebenschancen. 12. Auflage. (1976) München:<br />
Kösel<br />
46
PFLUG, C.(1998): Der Lebenslauf – ein Übungsweg. Bad Liebenzell: Verein für<br />
Anthroposophisches Heilwesen e.V.<br />
STEINER, R. (2000): Mein Lebensgang. Dornach: Rudolf Steiner Verlag (1925)<br />
STEINER, R. (1962): Theosophie. Dornach: Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung (1904)<br />
SCHNEIDER, J.W. (2010): Unser Leben, unser Schicksal. Stuttgart: Verlag Freies<br />
Geistesleben<br />
TREICHLER, R. (1986): Die Entwicklung der Seele im Lebenslauf. Stuttgart: Verlag<br />
Freies Geistesleben<br />
WAIS, M. (1992): Biographiearbeit Lebensberatung. Stuttgart: Urachhaus<br />
WAIS, M. (1992a): Mit welcher Berechtigung machen wir Biographiearbeit? In:<br />
Flensburger Hefte, Biographiearbeit 2, Sonderheft Nr. 10. Flensburg: Flensburger Hefte<br />
Verlag<br />
WAIS, M. (1995): Ich bin was ich werden könnte. Stuttgart: Edition Tertium<br />
WINNICOTT, D.W. (1989): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta<br />
http://www.anthrowiki.at<br />
47