liebe sie alle - Hessischer Rundfunk

05 | SEPTEMBER/OKTOBER | 2006
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kultur
KULTURTIPPS
Musik aus Kurdistan: Sivan Perwer,
der bekannteste kurdische Sänger,
präsentiert am Fr, 15. Sept., 20 Uhr, gemeinsam
mit dem „Orient Orchestra“ im
hr-Sendesaal die Musik seiner Heimat.
Tickets (25 Euro/Vorverkauf 22 Euro)
beim hr-Ticketcenter, Tel. 069/155-2000
Literaturreise Osthessen: Die Initiative
„Literaturland Hessen“ lädt vom
13. bis 15. Oktober zu einer literarischen
Reise durch Osthessen ein. Zwei Übernachtungen,
die Mahlzeiten, Busfahrten
und das Rahmenprogramm kosten
372 Euro pro Person im Doppelzimmer.
Informationen unter Tel. 069/155-4960
und www.literaturland.hr-online.de.
Kulinarisches für Ohren und
Gaumen: Mit der „Klassischen Vollendung“
beginnt am 15. Okt., 11 Uhr,
die hr2-Lunchkonzert-Reihe. Im
hr-Sendesaal spielt der russische
Ausnahmepianist Evgeni Koroliov.
Das Buffet im Anschluss verspricht
die kulinarische Vollendung.
Tickets (41 Euro inkl. Lunch) beim
hr-Ticketcenter, Tel. 069/155-2000.
„Erlebnis Zuhören“: Vom Alltagsphänomen
des Hörens bis zur Schlüsselqualifikation
des Zuhörens – am Sa,
7. Okt., startet das neue Funkkolleg.
hr2 sendet die 30-teilige Reihe immer
samstags von 9.25 Uhr an, hr-info
die Wiederholung sonntags von
11.35 Uhr an. Informationen unter
www.wissen.hr-online.de.
„Starke Stimmen“: Große Bücher,
gelesen von außergewöhnlichen
Frauen – das ist das Erfolgskonzept
der Hörbuch-Reihe der Zeitschrift
„Brigitte“. Am Fr, 20. Okt., 20 Uhr,
sind einige dieser starken Stimmen
im hr-Sendesaal live zu erleben. Es
lesen unter anderen Andrea Sawatzki
aus Leonie Swanns „Glennkill“, Jessica
Schwarz aus dem Buch „Kitchen“ von
Banana Yoshimoto und Nina Petri aus
„Das ist kein Liebeslied“ von Karen Duve.
Tickets (21,80 bis 28,40 Euro) beim
hr-Ticketcenter, Tel. 069/155-2000.
hr2 sendet die Aufzeichnung der Veranstaltung
am 17. März 2007, 20.05 Uhr.
Jubiläumskonzerte Alte Oper: Mit
drei Festkonzerten feiert die Alte Oper
Frankfurt am 17., 18. und 19. September
ihren 25. Geburtstag. Erstmals konzertieren
das hr-Sinfonieorchester und das
Frankfurter Museumsorchester gemeinsam.
Karten (17 bis 53 Euro) beim
hr-Ticketcenter, Tel. 069/155-2000.
Foto: pa/dpa
Buchmesse
Leben im Blindflug
Straßenschilder, Behördenbriefe, Flaschenetiketten – für
Menschen, die nicht lesen können, wird das Leben zum
Spießrutenlauf. Analphabetismus, Schwerpunktthema der
diesjährigen Buchmesse, ist noch immer ein Tabu. Zu Besuch
im Deutschkurs der Volkshochschule Alsfeld.
Buchstabensalat: Peter Hubertus vom „Bundesverband Alphabetisierung“ hilft Menschen, die
nicht lesen können
Frau Lehmann geht an die Tafel
und malt zehn große Kreidelettern.
Das Wort hat es in sich:
ANNAUNFSPE. Die sechs gestandenen,
vom Leben gezeichneten Männer zwischen
18 und 53 Jahren schauen einander
ratlos an und beugen sich über die
Schulbank. ANNAUNFSPE? „Ihr kennt
das Wort“, beharrt die resolute Frau
Lehmann, eine Sonderschulpädagogin
von altem Schrot und Korn, „wir haben
uns das letzte Mal damit beschäftigt.
Aber vorgesagt wird nicht.“ Otmar, 48,
nickt artig. Seine Arbeit im Steinbruch
hat er vor kurzem verloren.
Frau Lehmann liebt diese Spiele.
Buchstabensalat, angerichtet für erwachsene
Menschen, die sich entschlossen
haben, noch einmal ganz von vorn
anzufangen, als Abc-Schützen.
Otmar etwa war drei, als er durch
einen Unfall gehandicapt wurde. Er
landete auf der Sonderschule. Dass er
nicht lesen und schreiben konnte, hat
dort niemanden gekümmert. „Ich bin
Karikaturen aus Indien
Illustration: Suresh Sawant
durchs Leben geschlängelt“. Als Müllmann,
als Totengräber, im Steinbruch.
Jetzt lebt er von Hartz IV. „Wer stellt
schon einen Analphabeten ein?“
Darum büffelt er jetzt zweimal pro
Woche in der Volkshochschule Alsfeld.
Frau Lehmann, Anfang 60, die für all
ihre Schüler die „Jutta“ ist, begreift sich
als Entwicklungshelferin mitten in
Deutschland. Im Land der Dichter und
Denker gibt es – nach glaubhaften
Schätzungen – rund vier Millionen
Menschen, die als Analphabeten gelten.
Selbst wenn es nur zwei Millionen
wären: Die siebenstellige Quote ist ein
pädagogischer Supergau, der gern
tabuisiert wird – von den Betroffenen,
die sich schämen, von den Bildungspolitikern,
die sich schämen müssten.
Die Volkshochschulen kämpfen einen
einsamen Kampf. Zuschüsse für ihre
Kurse, die sich dezent „Deutsch für
Deutsche“ nennen, werden Jahr für
Jahr etwas mehr gekürzt.
Dabei werden die sechs, die da
Die Ausstellung „Indien im Blick“ in der Goldhalle
des Hessischen Rundfunks widmet sich
anlässlich der Frankfurter Buchmesse dem Schwerpunktland
Indien. Sie zeigt vom 15. Sept. bis 18.
Okt. erstmals in Europa eine repräsentative Auswahl
an Werken indischer Karikaturisten. hr-Funkhaus,
Bertramstraße 8, tägl. 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei. ■
Der hr auf Buchmesse (Auswahl)
• ARD-Radionacht der Bücher,
Gäste: Hape Kerkeling, Felicitas
Hoppe, Ilija Trojanow u. a.,
hr-Sendesaal, Fr, 6. Okt, 20 bis
24 Uhr, Karten (14 Euro) beim
hr-Ticketcenter, Tel. 069/
155 20 00. hr2 überträgt live.
• hr2-Hörbuchnacht mit Harry
Rowohlt, Udo Wachtveitel und
anderen, hr-Sendesaal, Sa,
7. Okt., 20 bis 22.30 Uhr, Karten
(14 Euro) beim hr-Ticketcenter,
Tel. 069/155-2000. hr2 sendet
am Sa, 4. Nov., 21 Uhr
• „Hauptsache Kultur“ zur
Buchmesse, hr-fernsehen,
Do, 5. Okt., 23 Uhr
• Verleihung des Friedenspreises
des deutschen Buchhandels an
Wolf Lepenies, hr-fernsehen und
hr2, So, 8. Okt., 11 Uhr (live)
• Buchmesse-Land Indien,
„Service: Reisen“, hr-fernsehen,
Di, 3. Okt., 18.50 Uhr
www.buchmesse.hr-online.de
jeden Dienstag und Donnerstag das
Kombinieren von Vokalen und Konsonanten
pauken, ihre Jutta noch brauchen.
Um ihr Handikap auch nur in
Ansätzen zu überwinden, bedarf es in
aller Regel mindestens zwei Jahre. Bennie,
der Fliesenleger, will an Weihnachten
wenigstens die SMS-Nachrichten
seiner Freundin lesen können.
Das Leben verlangt Analphabeten
einiges ab. Beim Einkaufen müssen sie
wissen, dass die Zuckertüte größer ist
als das Päckchen mit Salz, dass ein
Joghurt-Becher anders ausschaut als
einer mit Sahne. Wie oft haben sie versucht,
ihr großes Manko zu verbergen.
„Können Sie mir bitte behilflich sein,
ich hab meine Brille vergessen“ – die
verflixten Ausreden! Wie Ottmar es
durch die schriftliche Führerscheinprüfung
geschafft hat? „Mit einem Trick“,
mehr sagt er nicht. „Ein Zauberkünstler
verrät doch auch nichts.“
In Alsfeld sind heute Abend die
„M“-Worte dran. Mutig, morsch und
mager. Mehr als fünf, sechs Buchstaben
sollten es noch nicht sein. Der Kurs ist
hochkonzentriert bei der Sache. „Ich
hab’s“, platzt der arbeitslose Schreiner
Martin in die Runde: „ANNAUNFSPE –
das kann doch nur Aufspannen heißen.“
Was denn auch sonst? Er lacht.
[Tilmann Jens] ■
Buchmessethema Analphabetismus bei
„Hauptsache Kultur“, hr-fernsehen, Di,
26. Sept., 22.15 Uhr