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Die Judenbank (.pdf, 16.74 KB)

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Einleitung von Hanno Loewy:

Die Judenbank – früher stand sie in mancher deutschen Groß- und Kleinstadt. Sich auf sie zu

setzen, bedeutete, sich öffentlich selbst zu misshandeln. Als der Berliner Renée Leudesdorff

sich vor fünf Jahren an seine Kindheit erinnert, da ist es siebzig Jahre her, dass im Deutschen

reich die Synagogen angezündet wurden.

Im Stadtpark Schöneberg, heute Volkspark geht er 2008 spazieren, auf der Suche: „Doch halt!

Wenige Schritte davor, die von hohen Büschen eingefasste Nische - ja, die gibt's immer noch,

und die Bank. Damals, vor 70 Jahren, war sie gelb gestrichen, heute steht hier ein grünes

Exemplar. 1938 war sie die einzige ekel-gelbe im ganzen Park, von den Blicken abgesondert

und mit abscheulicher Inschrift reserviert "Nur für Juden". Und davor ich, der zehnjährige

Quintaner, der nie hier einen Menschen sitzen sah.

Denn wer wollte sich schon in diese vermüllte Ecke setzen, sich in ihrem Gestank erholen?

Auch ich, gerade ein halbes Jahr Hitlerjugend-Pimpf, konnte das nicht begreifen. Ich kannte

doch Juden, das Bayerische Viertel bewohnten viele. Unser Zahnarzt Dr. Marx hatte mir stolz

sein Eisernes Kreuz 1. Klasse aus dem Ersten Weltkrieg gezeigt, wohl meinend: "Mir kann

nichts passieren."

Heute ist es 75 Jahre her, dass diese Bänke auch in Österreich aufgestellt wurden.

Am 11. März wurden auch im Gasthaus Weißes Kreuz in Dornbirn, einem Stammlokal

Vorarlberger Nationalsozialisten, die Nachrichten aus Wien mit Jubel quittiert. Gauleiter Toni

Plankensteiner und ein Trupp NSDAP-Mitglieder zogen nach Bregenz um Landeshauptmann

Winsauer putschartig seines Amtes zu entheben. In Dornbirn zog ein nächtlicher Fackelzug

durch die Stadt, während viele Bürger sich verängstigt zu Hause einschlossen.

Nationalsozialisten aus dem Hatlerdorf zogen vor das Haus Lustenauer Straße 3, in dem die

jüdische Familie Turteltaub wohnte, und skandierten lautstark „Henkt die Schwarzen, henkt

die Juden!“ der gröhlende Mob jagte zugleich den ehemaligen Landesobmann der

Katholischen Jugend, Toni Winkler, über den Marktplatz. Es gab niemand mehr, der diesem

Treiben Einhalt gebieten konnte. Zu viele, allzu viele Vorarlberger hatten schon lange auf

genau diesen Tag gewartet.

Das Vorarlberger Tagblatt titelte mit einem großen Hakenkreuz und dem Aufmacher: „Der

Sieg des Nationalsozialismus in Österreich“. Auf Seite 3 wurde Ottokar Kernstocks Hymne

auf „Das Hakenkreuz“ abgedruckt. Ja genau, der Ottokar Kernstock, nach dem in Hohenems

bis heute die Straße benannt ist, aus der die Polizei und die Feuerwehr kommt, wenn man sie

braucht. Hoffentlich.

Wenn in Vorarlberg heute jüdische Grabsteine umgeworfen, eine Gedenktafel für Paul

Grüninger im alten Rhein versenkt oder ein Asylwerberheim angefackelt wird, dann ist die

Polizei ohnehin nicht zuständig. Es sind ja nur „Betrunkene“ am Werk...

Was hat sich sonst noch so abgespielt in Vorarlberg in jenen Märztagen vor 75 Jahren?

Am 14. März trafen die ersten von vielen hunderten von jüdischen Flüchtlingen in Feldkirch

ein. In Wien waren sie misshandelt und dazu gezwungen wurden, mit Scheuerbürsten jene

Parolen „für ein freies Österreich“ von den Straßen zu kratzen, die in den Tagen vor dem

sogenannten Anschluss von österreichischen Patrioten auf die Straßen gepinselt worden

waren.

In Feldkirch wurden sie von Vorarlberger SS-Leuten mit „Saujud“-Rufen empfangen. Man

zog den Männern die Ringe von den Fingern, nahm den Frauen den Schmuck ab. Aber man

ließ sie weiterfahren, in die Schweiz.

Am 15. und 16. März durchsuchte die Gestapo die Wohnungen von Juden in Bregenz. Die

Gestapo war an diesem Tag aktiver als in Hohenems. In der Bahnhofstraße 35 gelang es

ihnen, bei Fabrikdirektor Leopold Schwarz zwei, wie es heißt, „kommunistische Bücher“ zu


eschlagnahmen, welche von Ing. Haselbacher von der Sicherheitsdienststelle Bregenz in

Verwahrung genommen wurden. So vermerkt es stolz das Protokoll

Die Hausdurchsuchung bei Hans Huppert in der Felderstraße 10, hatte weniger Erfolg. Aber

die Gestapo nahm dafür den Buchsachverständigen selbst erst einmal in Schutzhaft. Nicht

fündig wurde die Gestapo auch bei David Brandes, in der Belruptstraße 30, Julius Krott in der

Kaspar-Schoch-Straße 7, Alfred Ehrenzweig in der Bahnhofstraße 31, Abraham Bloch in der

Kornmarktstraße 2, Samuel Spindler, in der Klostergasse 38 und auch beim Hohenemser

Harry Weil, in der Bregenzer Staudachgasse 11, fanden sie nichts. Aber darum ging es auch

nicht. Sie hinterließen etwas. Angst.

Harry Weil hatte sich gerade wieder mit seiner Familie in Hohenems niederlassen wollen.

Seine Mutter war gestorben, er wollte den Spielwarenladen seiner Familie neu einrichten und

vergrößern. Zugleich hatte er sich nach St. Gallen beworben um dort als Kantor der jüdischen

Gemeinde zu wirken. Der leidenschaftliche Musiker, Gründer des Hohenemser

Nibelungenchores, meinte, er habe doch alle Sulzer Gesänge drauf. Und er könne ja leicht

zwischen Hohenems und St. Gallen pendeln. Daraus wurde nichts.

Der Terror hatte schon früher begonnen. Vor dem Haus der Elkans in Hohenems hatten

Illegale Nazis, und das war in Vorarlberg zwischen 1934 und 1938 für viele längst ein

Ehrentitel, in der Brunnerstraße hatten sie ihre famosen „Böller“ gezündet, wie es so

verharmlosend hieß. An anderen Orten in Vorarlberg benutzten sie schon damals richtigen

Sprengstoff. Nur noch nicht gegen Menschen.

Wenige Tage nach dem Anschluss wurde die Brunnerstraße umbenannt, sie sollte nicht länger

an die jüdische Familie erinnern, die Hohenems im 19. Jahrhundert mitgestaltet hatte, sondern

an einen jener Illegalen, der schon 1934 zum Terroristen wurde, den Mörder des Innsbrucker

Polizeikommandanten Hickl, Friedrich Wurnig.

Das war das Maß des Heldentums, das fortan gefeiert wurde.

Harry Weil floh im Sommer 1938 in die Schweiz, dann in die USA, seinen Bruder Louis

holten sie ab und ermordeten ihn in Dachau, schon im August.

Ivan Landauer, den zu ruinieren es reichte, ihm seine Gastwirtkonzession zu entziehen, floh

ebenfalls in die Schweiz, so wie Sarah Fränkel und auch die meisten der Bregenzer Juden.

Die, die blieben, weil sie an soviel Bosheit nicht glauben wollten, sie überlebten nicht.

Seit 1945 wird davon geredet, was wir alles aus der Geschichte lernen sollen, und gelernt

haben sollen. Aber das ist eine trügerische Euphorie. Das Eis auf dem wir gehen ist ziemlich

dünn.

Wie es mit dem demokratischen Bewusstsein in Österreich steht, nun ja das Linzer Market-

Institut hat gerade mal wieder die Menschen in diesem Land befragt. Umfragewerte, die ich

unkommentiert lasse.

61% wünschen sich einen starken Mann an der Spitze Österreichs

57 % finden es absolut in Ordnung, wenn es Leistungen des Staates nur „für das eigene Volk“

gibt

42% finden, dass unter Hitler doch „nicht alles schlecht war“

39 % halten Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung für möglich und 17% für sehr

wahrscheinlich.

61 % der Österreicher finden, dass die Nazizeit schon ausreichend aufgearbeitet sei.

Die ehemalige Brunnergasse heißt immer noch nach einem unbekannten Herrn Schweizer, die

Kernstock-Straße heißt noch immer nach Herrn Kernstock, so wie die Lueger-Straße in

Feldkirch noch immer nach dem bislang nicht identifizierten Verwandten eines früheren

Wiener Bürgermeisters, und nach Aron Tänzer, Harry Weil, Hans Elkan und manchen

anderen heißt noch immer: nichts.


Nun steht eine „Judenbank“ auf der Bühne des Hohenemser Löwen. Harry Weil ist oft hier

aufgetreten oder hat sich mit seinen Hohenemser Freunden hier vergnügt.

Noch in seinem amerikanischen Nachkriegsexil hat er das Hohenemser Gemeindeblatt

gelesen. Und als er 1967 darin las, dass der Löwen nicht abgerissen würde, sondern nur „die

Ecke abkommt“, da hat er seinem Freund Gebhard Klien sofort eine glückliche Postkarte

geschickt.

Was er heute wohl sagen würde, wenn er diese, irgendwie auch seine Geschichte auf der

Bühne seines geliebten Löwen sähe. Wir wissen es nicht. Aber die Straßennamen in

Hohenems würden ihn jedenfalls noch immer verwirren. Da bin ich mir sicher.

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