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Toleranz nach evangelischem Verständnis

Synodale Texte, Vorträge und geistliche Worte von Bischof Markus Dröge.

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IX.<br />

Versteht man <strong>Toleranz</strong> als Haltung, als Tugend, als Ethos, wird sie in der Begegnung<br />

mit anderen Menschen praktisch. Das Grundlagenpapier spürt der Dynamik<br />

des Zwischenmenschlichen <strong>nach</strong> und fragt <strong>nach</strong> der Art der <strong>Toleranz</strong>, die<br />

Christinnen und Christen an den Tag legen sollten. Die Überlegungen basieren<br />

auf zwei Einsichten.<br />

Erstens: Moderne politische Theorien zur <strong>Toleranz</strong> betonen die wechselseitige<br />

Bedingtheit der <strong>Toleranz</strong>. <strong>Toleranz</strong> bedeutet in modernen Gesellschaften, wie<br />

gesehen, nicht einseitige Duldung, sondern wechselseitige Anerkennung als Person<br />

mit Anspruch auf Achtung und Respekt des individuellen Lebensentwurfs.<br />

Doch damit Gegenseitigkeit entstehen kann, muss jemand zuweilen den ersten<br />

und vielleicht auch noch den zweiten und dritten Schritt machen. Aus den im<br />

Grundlagenpapier entfalteten theologischen Einsichten zur <strong>Toleranz</strong> folgt für<br />

Christinnen und Christen die Selbstverpflichtung, den Menschen als Gegenüber<br />

unbedingt zu achten. <strong>Toleranz</strong> in evangelischer Perspektive ist auf Gegenseitigkeit<br />

angelegt, setzt diese jedoch nicht voraus.<br />

Zweitens: Wir hatten gesehen, dass <strong>Toleranz</strong> qua Definition Ablehnung beinhaltet.<br />

Ablehnung des Anderen aber ist heutzutage aus christlicher Sicht tendenziell<br />

anstößig. An dem Problem setzt das im Grundlagenpapier entfaltete Modell<br />

der konviventen <strong>Toleranz</strong> an. Konvivenz leitet sich von convivere, zusammenleben,<br />

ab. Der Begriff ist im interreligiösen und interkulturellen Dialog fest etabliert<br />

und meint dort so etwas wie gute Nachbarschaft, ein Miteinanderauskommen<br />

im Geiste wechselseitiger Hilfe, des wechselseitigen Lernens und der<br />

einladenden Gastfreundschaft. In diesem Sinne formuliert der Grundlagentext,<br />

solle das Fremde am Anderen als »Anregung und Bereicherung« erlebt werden.<br />

Zugleich warnt der Text aber auch vor einer Instrumentalisierung des Fremden,<br />

vor unreflektiertem Exotismus.<br />

X.<br />

Konvivente <strong>Toleranz</strong> wird als Übergangsphänomen beschrieben. <strong>Toleranz</strong> solle<br />

im Miteinander münden, nicht im Nebeneinander, in der Freundschaft, nicht<br />

bloß im Erdulden, heißt es in den Ausführungen des Grundsatzpapiers. Das ist<br />

ein anspruchsvolles Programm. Vielleicht liegt es an meiner déformation professionnelle<br />

als Staatsrechtslehrer, dass ich an dieser Stelle hellhörig werde. Die<br />

Überlegung scheint mir fast anstößig, anstößig wie Kernbotschaften des christlichen<br />

Glaubens eben sind. Die größte Zumutung des Christentums für die bürgerliche<br />

Existenz unserer Tage ist vielleicht das Gebot der Feindesliebe. Reicht<br />

nicht als Ausdruck der Feindesliebe, wenn wir uns <strong>nach</strong> außen hin zügeln und<br />

Verachtung und Antipathie dem anderen nicht offen zeigen? Müssen wir uns<br />

wirklich bemühen, unsere Gegner uns zum Freund zu machen? Schon im unmittelbaren<br />

menschlichen Nahbereich übersteigt das schnell das menschliche Vermögen.<br />

Erst recht gilt das für größere soziale Kontexte.<br />

Deshalb muss sich die These, eine <strong>Toleranz</strong> der Wertschätzung oder des Respekts<br />

sei moralisch »wertvoller« als eine <strong>Toleranz</strong> der Duldung oder der Koexistenz,<br />

auf ihre Praxistauglichkeit hin befragen lassen. Anders formuliert: Läuft die<br />

konvivente <strong>Toleranz</strong> nicht auf eine »Übermoralisierung« hinaus? Ich will dieser<br />

Frage <strong>nach</strong>gehen, indem ich das andere Extrem betrachte: Ist <strong>Toleranz</strong> überhaupt<br />

ein moralisches Problem? Der Sozialphilosoph Bernard Williams hat in einem<br />

lesenswerten Essay die These vertreten, dass sich <strong>Toleranz</strong> überzeugender<br />

politisch als moralisch begründen lasse. 19 <strong>Toleranz</strong> gründe nicht in starken Annahmen<br />

zur Autonomie der Person, sondern in der pragmatischen Einsicht, dass<br />

liberale Ordnungen größere Akzeptanz finden. Auf die moralischen Motive zur<br />

<strong>Toleranz</strong> soll es also gar nicht ankommen. Nun sprechen in der Tat für den Bereich<br />

der politischen Theorie gute Gründe dafür, sie so zu konzipieren, dass sie<br />

mit möglichst wenigen moralischen Prämissen auskommt. Deshalb ist mir der<br />

Versuch, <strong>Toleranz</strong> als politische und nicht als moralische Frage zu behandeln,<br />

grundsätzlich sympathisch. Doch bin ich skeptisch, ob man ohne eine zumindest<br />

schwache moralische Konzeption von personaler Autonomie auskommt, um<br />

eine freiheitliche politische Kultur zu begründen. <strong>Toleranz</strong> ist dem<strong>nach</strong> nicht nur<br />

eine politische, sondern immer auch eine moralische bzw. ethische Frage.<br />

66 FRÜHJAHRSSYNODE 2013<br />

VORTRÄGE<br />

67

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