AOK. Wir tun mehr. „Wenn es um meine ... - Goethe-Universität
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Forschung aktuell<br />
von Barbara<br />
Heitzmann,<br />
Marc P. Nogueira<br />
und Klaus<br />
Günther<br />
Man muss nur wollen?<br />
Zur Ambivalenz von Verantwor<strong>tun</strong>g<br />
Nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im Bereich<br />
der G<strong>es</strong>undheits- und Altersvorsorge oder<br />
bei Arbeitslosigkeit wird von Vertretern aus <strong>Wir</strong>tschaft<br />
und Politik in den letzten Jahren verstärkt Eigenverantwor<strong>tun</strong>g<br />
der Bürger gefordert. Eigenverantwor<strong>tun</strong>g<br />
gehört zu den Standards im »H<strong>um</strong>an R<strong>es</strong>ource Management«<br />
und soll die B<strong>es</strong>chäftigten in ihrer ganzen<br />
Persönlichkeit mobilisieren, <strong>um</strong> berufl iche Aufgaben<br />
erfolgreich zu bewältigen. Dabei lässt sich eine merkwürdige<br />
Selbstbezüglichkeit beobachten, denn <strong>es</strong> wird<br />
der Eindruck erweckt, als sei Verantwortlichkeit allein<br />
eine Angelegenheit d<strong>es</strong> Willens und nicht auch eine<br />
Frage von Möglichkeiten. Jede Art von Verantwor<strong>tun</strong>g<br />
realisiert sich jedoch erst innerhalb ein<strong>es</strong> vorgegebenen<br />
Handlungsrahmens, zu dem nicht nur die normativen<br />
Erwar<strong>tun</strong>gen gehören, für deren Erfüllung oder Enttäuschung<br />
jemand verantwortlich gemacht wird, sondern<br />
auch die äußeren und inneren Bedingungen, unter denen<br />
jemand in einer konkreten Situation handelt. D<strong>es</strong>halb<br />
sind bei Forderungen nach Verantwor<strong>tun</strong>g stets<br />
die Voraussetzungen für das erwartete Handeln, wie<br />
personale Fähigkeiten und soziale Bedingungen, mitzubedenken.<br />
Die Übernahme von Verantwor<strong>tun</strong>g kann<br />
von einer Person gerechterweise nur innerhalb ein<strong>es</strong> so<br />
vorgegebenen Handlungsrahmens erwartet werden.<br />
Neue Tendenzen in Sozial- und Kriminalpolitik<br />
Bisher war <strong>es</strong> der Anspruch der Wohlfahrtspolitik,<br />
die soziale Ungleichheit in der G<strong>es</strong>ellschaft materiell<br />
z<strong>um</strong>ind<strong>es</strong>t etwas abzufedern. Die neue Sozialpolitik<br />
zielt nun darauf ab, dass jeder weitgehend selbst für die<br />
Risiken sein<strong>es</strong> Daseins vorsorgen solle. Von Personen,<br />
die aufgrund von Arbeitslosigkeit auf Sozialversicherungsleis<strong>tun</strong>gen<br />
angewi<strong>es</strong>en sind, wird verlangt, sich<br />
bei der Suche nach einem Arbeitsplatz »selbst zu aktivieren«.<br />
Die strukturellen Probleme d<strong>es</strong> Arbeitsmarkt<strong>es</strong><br />
treten dabei in den Hintergrund.<br />
Tendenzen zur Individualisierung der Verantwortlichkeit<br />
lassen sich gegenwärtig auch in der Kriminalpolitik<br />
beobachten. Dort werden Sanktionen und<br />
Maßregeln verschärft und der bisher g<strong>es</strong>ellschaftlich<br />
weit gehend anerkannte Zweck der Reintegration von<br />
Straftätern zunehmend zurückgenommen. Natürlich<br />
zielt das Strafrecht immer darauf, den Einzelnen für<br />
seinen Verstoß gegen rechtliche Verhaltensnormen zur<br />
Verantwor<strong>tun</strong>g zu ziehen. Jedoch drückte sich bisher<br />
in den rechtfertigenden Prinzipien d<strong>es</strong> Strafens eine<br />
gewisse Bereitschaft aus, schwierige Lebenslagen zu<br />
berücksichtigen. Gegenwärtige Änderungen d<strong>es</strong> Strafrechts<br />
laufen nun darauf hinaus, die G<strong>es</strong>ellschaft möglichst<br />
anhaltend vor dem »kriminellen Subjekt« zu<br />
schützen, indem man <strong>es</strong> möglichst lange hinter »Schloss<br />
und Riegel« hält. Beispiele dafür sind etwa die kürzliche<br />
Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />
(auch für Heranwachsende) und die aktuellen<br />
Forderungen, die Höchststrafe für Jugendliche von<br />
zehn auf 15 Jahre heraufzusetzen. Zu befürchten ist,<br />
dass Kriminalität dabei immer weniger als Ausdruck<br />
sozialer Konfl ikte gedeutet wird.<br />
Studie z<strong>um</strong> Rechtsverständnis<br />
Aufgrund der Veränderungen in der Sozial- und<br />
Kriminalpolitik drängt sich die Frage auf, ob <strong>es</strong> auch im<br />
Alltagsverständnis eine Tendenz gibt, Verant wor<strong>tun</strong>g<br />
und Schuld nur individualisierend zuzuschreiben. Im<br />
Institut für Sozialforschung b<strong>es</strong>chäftigen wir uns mit<br />
der Frage, ob die vielfältigen Verweise auf Eigenverantwor<strong>tun</strong>g<br />
im g<strong>es</strong>ellschaftlichen Leben Laien dazu<br />
mo tivieren, sozial bedingte, schwierige Handlungs<strong>um</strong>stände<br />
nicht als Schuld mindernde Gründe zu berücksichtigen.<br />
Das Forschungsprojekt »Zuschreibung von<br />
Verantwor<strong>tun</strong>g im Rechtsverständnis« untersucht mit<br />
einem methodischen Ansatz aus der qualitativen Sozialforschung,<br />
wie Befragte aus Frankfurt (Main) und<br />
Leipzig Akteuren in drei vorgegebenen Rechtsfällen<br />
Verantwor<strong>tun</strong>g zuschreiben. Die Probanden unterscheiden<br />
sich nicht nur nach ihrer Herkunft aus Ost-<br />
und W<strong>es</strong>tdeutschland, sondern auch im G<strong>es</strong>chlecht<br />
sowie in ihrem beruflichen Status. Aus ihren Arg<strong>um</strong>entationen<br />
können wir z<strong>um</strong> einen die Beurteilungskriterien<br />
herauskristallisieren, mit denen sie die volle<br />
Schuldzurechnung oder eine Schuldminderung begründen.<br />
Z<strong>um</strong> anderen haben wir die Stellungnahmen<br />
auch daraufhin untersucht, wie sich die Befragten idealerweise<br />
eine verantwortliche Person vorstellen.<br />
Forschung Frankfurt 2/2008