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JUNG SEIN<br />
IN DER KULTUR<br />
THEATERNACHWUCHS<br />
Laura Ender ist noch jung, und da sie erst seit 2009<br />
eigene Stücke anbietet, passt die Bezeichnung «Nachwuchs». Wirkt<br />
das Prädikat als Bonus oder als Handicap?<br />
von Laura Ender<br />
Seite 24 / 25<br />
DÜNGEN, SÄEN,<br />
ERNTEN<br />
kulturdünger unterstützt kreative<br />
Projekte junger Menschen.<br />
von Miriam Suter<br />
Seite 28 / 29<br />
FEDERLESEN<br />
Adrian Erni und Jürg Morgenegg<br />
über Nachwuchsbands<br />
aufgezeichnet von Evelyne Baumberger<br />
Seite 26 / 27<br />
BILDSCHIRM<br />
Stefan Wegmüller<br />
Seite 30–32<br />
EXIL/LOG<br />
Lorenz Olivier Schmid aus Paris<br />
Seite 33<br />
HIMMEL & HÖLLE<br />
Am Kirschbaum<br />
von Sascha Garzetti<br />
Illustration von Simone Bissig<br />
Seite 34 / 35<br />
KLEIN & FEIN<br />
flussaufwärts<br />
von Claudia Storz<br />
Seite 36<br />
TAUCHSIEDER<br />
Standortattraktivität versus Kultur<br />
(Brugg-Windisch)<br />
NR<br />
36<br />
Wie ist es im Hause Windsor? Die Grossmutter harrt als<br />
Queen auf ihrem Posten aus, bis die Zeit für den Enkel<br />
William gekommen ist. Prinz Charles, ihr ältester Sohn<br />
und der eigentliche Thronfolger, wurde, kaum war er 40,<br />
schlagartig alt, sehr alt. Sein trauriges Gesicht wirkt wie<br />
das Logo einer Generation, die nicht zum Zug kommt.<br />
Eine der grossen Aufgaben in der Kulturpolitik ist die<br />
Nachwuchsförderung. Mit dem neuen Kulturförderungsgesetz<br />
von 2012 hat Pro Helvetia vom Bund den Auftrag<br />
erhalten, die Förderung des künstlerischen Nachwuchses<br />
anzugehen. Man will mit neuen Programmen die bestehende<br />
Förderung von Kantonen, Städten und privaten<br />
Stiftungen optimal ergänzen und bestehende Lücken<br />
füllen. Welche Möglichkeiten bieten sich zudem für<br />
Jungtalente? Das Migros-Kulturprozent fördert seit 1969<br />
junge Künstlerinnen und Künstler in allen Sparten, dazu<br />
veranstaltet es jährlich verschiedene Wettbewerbe und<br />
vergibt Studien- und Förderpreise an Nachwuchstalente,<br />
die es erlauben, sich voll und ganz auf die Aus- oder<br />
Weiterbildung zu konzentrieren. Schauen wir auf den<br />
Kanton Aargau: Soeben fand hier das 7. Nachwuchs <br />
band-Festival bandXaargau statt, ein Projekt mit Vorzeigecharakter.<br />
Das Festival bietet professionelle Auftrittsmöglichkeiten<br />
und fördert damit die junge Musikkultur<br />
im Aargau. kulturdünger, ein Gefäss, das aus dem Aargauer<br />
Ideentopf heraus entstanden ist, unterstützt originelle,<br />
kreative Kulturprojekte von Jugendlichen bis 25<br />
Jahren. Doch was, wenn die Talente auf die 30 zugehen?<br />
Werden sie auf dem Markt Fuss fassen? Wie können sie<br />
sich positionieren, wenn sie älter werden und nicht mehr<br />
in die Nachwuchsförderung passen?<br />
Wir haben uns daran gewöhnt, junge Menschen unter<br />
30 als halbe Kinder oder Grünschnäbel zu betrachten.<br />
Doch frei im Leben schwadronieren und jahrelang ungerichtet<br />
studieren zu können wie noch vor der Bologna-<br />
Reform – diese Zeiten sind vorbei. Stattdessen müssen<br />
Junge früh schon effizient und auf sich gestellt sein. Mit<br />
den neuen technischen Möglichkeiten hat die Jugend –<br />
wann endet sie denn? – einen gänzlich anderen Horizont<br />
als noch vor 30 Jahren, und eine Kulturtechnologie an<br />
der Hand, die alles übertrifft, was eine nachwachsende<br />
Generation je zur Verfügung hatte, um sich Dominanz<br />
zu verschaffen.<br />
Jung sein ist eine Kunst. Junge sind im Mittelpunkt<br />
dieser JULI-Ausgabe. Sie kommen. Und damit hoffentlich<br />
auch definitiv der Sommer.<br />
Andrina Jörg und Madeleine Rey, Redaktion<br />
von Irene Wegmann<br />
Seite 37
Theaternachwuchs<br />
von Laura Ender<br />
Man hat mich angefragt, einen Bericht über meine<br />
Situation als Nachwuchsschauspielerin im Kanton<br />
Aargau zu schreiben. Ich bin also «Nachwuchs». Angesichts<br />
dessen, dass ich mit 28 Jahren noch eher<br />
jung bin, und erst seit 2009 eigene Stücke auf dem<br />
Theatermarkt anbiete, passt die Bezeichnung.<br />
Aber was hab ich davon? Wirkt das Prädikat «Nachwuchs»<br />
als Bonus oder als Handicap?<br />
Mich interessieren Betitelungen wie Amateur-,<br />
Laien-, Profi- oder Nachwuchsschauspieler nicht. Was<br />
zählt, ist der Moment, in dem ein Mensch auf der<br />
Bühne steht und was er mit seinem Spiel bewirkt.<br />
Vor vier Jahren gründete ich mit Joséphine François<br />
das «Duo Bildhübsch», wir kreieren und spielen<br />
eigene Stücke. Parallel dazu rief ich das Label «WAHR<br />
HAFTIGE PRODUKTIONEN» ins Leben. Unter<br />
diesem Namen entstanden zwei Stücke: das Solostück<br />
«ErreichPaar» und «Karussell Amor», ein Spiel für<br />
eine Frau und einen Mann. Unter der Regie von Cédric<br />
du Bois war ich in beiden Produktionen Schauspielerin,<br />
daneben wirkte ich als Produktionsleiterin,<br />
Geldeintreiberin, Vermarkterin und als Mädchen<br />
für alles. Einerseits lernte ich dabei unglaublich viel<br />
und es war interessant zu sehen, wie der Theater <br />
markt funktioniert, andererseits war es finanziell<br />
schlichtweg unmöglich, Arbeiten abzugeben. Für eine<br />
Produktion wurde ich durchschnittlich mit 11’000<br />
Franken von diversen Stiftungen unterstützt. Diese<br />
Summe zwingt einen, die Ausgaben extrem niedrig<br />
zu halten und für wenig Geld zu arbeiten.<br />
Kann ich meine Pläne verwirklichen? Ja, ich kann<br />
meine Pläne verwirklichen, weil ich keiner Stiftung<br />
die Macht gebe, darüber zu entscheiden, ob eine Produktion<br />
zu Stande kommt oder nicht. Im Notfall<br />
lasse ich das Projekt schrumpfen, aber ich breche<br />
nicht ab. Wenn ich weiss, warum ich etwas tue und<br />
mich mein Schaffen nährt, ist es einfacher, auf<br />
Geld zu verzichten. Um mein Leben finanzieren zu<br />
können, bin ich dennoch gezwungen, Nebenjobs<br />
nachzugehen. Bis jetzt hatte ich das Glück, Künstler<br />
gefunden zu haben, welche ebenfalls bereit waren,<br />
zu solchen Konditionen zu arbeiten.<br />
Die kompakte, überschaubare Kleinstadt Aarau<br />
bietet mir ein dichtes Netz an Künstlern, die einander<br />
kennen und unterstützen. Eine Hand wäscht die andere<br />
und im Notfall weiss ich sogar, in welchem Kaffee<br />
die Person, die ich gerade suche, zu finden ist. In<br />
dieser Kleinstadt haben kleine Aktivitäten grosse<br />
Wirkung. Das Gefühl, am Kulturteig mitzukneten,<br />
gefällt mir.<br />
Die Nachwuchstheaterschaffenden im Kanton<br />
Aargau kann man allerdings an einer Hand abzählen.<br />
Die Wenigen, die es gab, hat es in grössere Städte<br />
gezogen, oder sie befinden sich irgendwo dazwischen<br />
auf der Suche nach Angeboten. Um sie in den<br />
Aargau zurück zu locken, muss man ihnen etwas<br />
anbieten. In den letzten Jahren wurde Nachwuchsförderung<br />
immer wieder zum Thema, die Situation<br />
sieht jedoch nach wie vor relativ trostlos aus.<br />
Ich sehe Aarau als Nährboden und Ausgangspunkt<br />
für mein Schaffen. Von hier aus suche ich Spielorte,<br />
um meine Stücke in der ganzen Schweiz und ausserhalb<br />
zu zeigen. <strong>Als</strong> noch «Unbekannte» ist das kein einfaches<br />
Unterfangen, da Kleintheater ohnehin mit<br />
Anfragen überhäuft werden. Es ist schwierig, zu Auftrittsmöglichkeiten<br />
zu kommen, sogar an den Theatern<br />
in der eigenen Stadt. Da sind Gefässe wie das<br />
Nachwuchsfestival «Agenten der Zukunft», welches am<br />
Theater Tuchlaube einige Male stattfand, eine gute<br />
Starthilfe. Man bot Nachwuchstheaterschaffenden<br />
eine Plattform, um ihre eigenen Stücke zu zeigen. Das<br />
Festival wurde schweizweit wahrgenommen und<br />
man profitierte von der Referenz, in der Tuchlaube<br />
gespielt zu haben. Leider existiert diese Plattform<br />
trotz Erfolg nicht mehr.<br />
Natürlich liegt es auch an uns. Würden wir uns<br />
zusammentun und unser Recht einfordern, wie<br />
in Zeiten der Innerstadtbühne, würden die Chancen<br />
merklich steigen. Der heutige Drang zum Individualismus<br />
behindert die Revolution.<br />
Auch bei der kantonalen Kulturförderung hat man<br />
als Neuling einen schweren Stand. Zwar ist im Vergleich<br />
zu Grossstädten die Konkurrenz relativ überschaubar,<br />
aber es fehlen auch da die Gefässe. <strong>Als</strong><br />
junger Musiker hat man es wesentlich einfacher, da<br />
zwischen verschiedenen Sparten wie Pop, Jazz und<br />
Klassik unterschieden wird. Für uns gibt es nur einen<br />
Topf, und da nimmt man Theater und Tanz sogar<br />
noch zusammen. Ein grosses, renommiertes Theater<br />
bezieht seine Unterstützungsgelder aus derselben<br />
Kasse wie ein unabhängiger Kleinkünstler, wodurch<br />
die Chancen ungleichmässig verteilt sind, obwohl<br />
die Qualität und nicht die Grösse des Projektes ausschlaggebend<br />
sein sollte.<br />
Es ist ein Teufelskreis, ich muss professionell sein,<br />
um unterstützt zu werden. Und professionell heisst,<br />
dass ich vom Theater lebe und schon oft und auf renommierten<br />
Bühnen aufgetreten bin. Um aber soweit<br />
zu kommen, muss ich erst mal unterstützt werden.<br />
Werde ich nicht unterstützt, kann ich nicht davon<br />
leben und gelte nicht als professionell. Finanziell gesehen,<br />
wirkt die Bezeichnung «Nachwuchs» also<br />
eher als Handicap. Ich wünsche mir von allen Seiten<br />
mehr Risiko in der Kleintheaterszene.<br />
Laura Ender geniesst dank eines Weiterbildungsbeitrags des<br />
Aargauer Kuratoriums dieses Jahr viel Weiterbildung in<br />
Berlin. Duo Bildhübsch feiern im Oktober 2013 mit einem<br />
neuen Stück Premiere in Aarau.<br />
www.lauraender.ch, www.duobildhuebsch.ch<br />
24
Laura Ender in «ErreichPaar», ein Stück Sehnsucht. Eine Frau und ein Cello,<br />
zwei Körper, bereit für Klang und Bewegung. Fotos: Cédric du Bois<br />
25
FEDERLESEN<br />
Adrian Erni<br />
und Jürg<br />
Morgenegg<br />
über Nachwuchsbands<br />
und das Leben<br />
als Musiker im<br />
Aargau.<br />
Nachgefragt und aufgezeichnet von<br />
Evelyne Baumberger<br />
Adrian, dein Herz schlägt<br />
für die Musik. Wo stehst du<br />
momentan?<br />
Adrian Erni Seit ich vierzehn bin,<br />
seit neun Jahren also, bin ich Sänger<br />
von John Caroline, einer Band mit Ursprung<br />
in Baden. Sie ist meine Familie.<br />
Wir sind beste Freunde und machen<br />
jede Woche zusammen Musik.<br />
Der Musikstil hat sich über die Jahre<br />
stetig verändert. Wir werden alle älter,<br />
studieren verteilt in der ganzen<br />
Schweiz, doch die Musik hält uns<br />
zusammen.<br />
Dann hast du auch noch eine<br />
zweite Band ...<br />
Adrian Erni Genau, seit zwei Jahren<br />
bin ich Sänger bei YOKKO, musikalisch<br />
und arbeitstechnisch das Gegenteil<br />
von John Caroline – für mich<br />
ein super Ausgleich! Die YOKKO-<br />
Gang arbeitet professionell. Mit einem<br />
Label, Booker und Promomaschinen<br />
im Hintergrund ist dies für<br />
mich eine neue Welt, in welcher ich<br />
mich jedoch sehr wohl fühle.<br />
Jürg, du warst Schlagzeuger<br />
von HNO. Spielst du heute noch<br />
in einer Band?<br />
Jürg Morgenegg Nein. Ich war nie der<br />
Typ Musiker, der Stunden im Übungsraum<br />
verbraten hat. Ich habe mich<br />
immer schon gerne mit Management,<br />
Booking, Labels und solchen Dingen<br />
beschäftigt. Heute bin ich Fachmitarbeiter<br />
beim Aargauer Kuratorium<br />
und auf der Geschäftsstelle zuständig<br />
für Jazz und Rock/Pop. Vorher habe<br />
ich bandXaargau gegründet, führte<br />
mit einem Kollegen das Label FFRecords,<br />
habe Konzerte veranstaltet<br />
und das Booking für verschiedene<br />
Bands gemacht.<br />
Du und Adrian, woher kennt<br />
ihr euch?<br />
Adrian Erni Kennen gelernt haben<br />
wir uns durch John Caroline am<br />
bandXaargau 2009. Damals fand<br />
Jürg: «Das ist eine Band, die Potenzial<br />
hat, die soll diesen Wettbewerb gewinnen.»<br />
Dann gings los mit ein paar<br />
Konzerten im Aargau und dem Werkbeitrag<br />
für unsere ersten Aufnahmen.<br />
Jürg hat uns an Lukas Speissegger<br />
vermittelt, unseren Produzenten.<br />
Jürg, besteht dein Job –<br />
grob gesagt – darin, Geld an<br />
Musiker zu vergeben?<br />
Jürg Morgenegg Ich persönlich vergebe<br />
gar kein Geld. Das Aargauer Kuratorium<br />
besteht aus 11 Kuratorinnen<br />
und Kuratoren, die nicht entlöhnt<br />
werden. Dies garantiert die Autonomie.<br />
Wir von der Geschäftsstelle stellen<br />
den Kontakt zwischen den Kulturschaffenden<br />
und den zuständigen Kuratoren<br />
her. Dadurch haben wir viele<br />
Informationen aus erster Hand. Wir<br />
lassen diese in die Sitzungen einfliessen,<br />
dürfen auch mitdiskutieren, haben<br />
aber kein Stimmrecht.<br />
26<br />
Du arbeitest seit dreizehn Jahren<br />
beim Kuratorium. Wie hat<br />
sich die Szene verändert, die<br />
du beobachtest und betreust?<br />
Jürg Morgenegg Man tritt heute<br />
selbst bewusster in Erscheinung, auch<br />
fordernder, was ich sehr gut finde. Es<br />
dürfte sogar noch mehr so sein – der<br />
Werkbeitrag von ca. 20’000 Franken<br />
oder ein Atelieraufenthalt ist in der<br />
Sparte Rock/Pop noch nicht so nachgefragt,<br />
wie er sein sollte. Bands denken<br />
gar nicht daran, dass der kreative<br />
Kopf der Band ein Stipendium beantragen<br />
könnte, um an neuen Ideen zu<br />
arbeiten. Entscheidungskriterien für<br />
die Werkbeiträge sind Eigenständigkeit<br />
und Professionalität, darüber<br />
wird lang und heftig diskutiert. Das<br />
Schöne am Förderinstrument «Werkbeitrag»<br />
ist, dass die Empfänger Zeit<br />
bekommen, um konzentriert an etwas<br />
zu arbeiten. Wir haben praktisch<br />
keine Auflagen – die Künstler bleiben<br />
unabhängig. Wir vergeben gewissermassen<br />
Risikobeiträge, bei denen<br />
man nicht weiss, was passiert. Wenn<br />
eine von uns geförderte Band dann<br />
irgendwann Konzerte gibt oder bei einem<br />
Radio «Act der Woche» wird,<br />
freue ich mich extrem!<br />
Adrian, ist dir bewusst,<br />
dass du einen Werkbeitrag<br />
beantragen könntest?<br />
Adrian Erni Ich bin der Überzeugung,<br />
dass Musik nicht ehrlicher oder<br />
intensiver wird, wenn man im Geld<br />
schwi mmt. Es ist schön, wenn die Finanzen<br />
stimmen, um sich etwas leisten<br />
zu können. Ich nutze die Förderangebote<br />
momentan nicht. Die Musik<br />
steht bei mir so sehr im Vordergrund,<br />
dass ich praktische Dinge manchmal<br />
vergesse. In den nächsten Monaten<br />
wird sich zeigen, wie wir John Caroline<br />
positionieren. Wir wollen nicht einfach<br />
ein schwammiges Konzept vorlegen.<br />
Jürg Morgenegg Das ist eine lobenswerte<br />
Einstellung. Ich habe aber Mühe<br />
mit der Abgrenzung zwischen Management<br />
und Musik, wie sie viele<br />
Kunstschaffende machen. Im Rock/<br />
Pop-Bereich muss man sich im Klaren
FEDERLESEN<br />
sein, dass man ein Produkt macht,<br />
denn irgendwann ist der Zeitpunkt der<br />
Kreation vorbei und dann geht es um<br />
die Vermarktung. Das gehört einfach<br />
dazu. Spätestens wenn man Konzerte<br />
spielen will, steht man auch im Wettbewerb<br />
mit anderen Bands.<br />
Welche Fördermittel gibt es<br />
sonst noch für junge Bands?<br />
Jürg Morgenegg Eine ganze Palette:<br />
CD-Produktionsbeiträge, Tourneebeiträge,<br />
AKU-Sounds, Programmbeiträge<br />
für Veranstalter und neu auch Reisestipendien.<br />
Im Aargau gibt es sehr gute<br />
Förderinstitutionen. In der Schule werden<br />
die Schulbands gefördert, mit<br />
bandXaargau gibt es einen Newcomer-<br />
Bandwettbewerb, hinter dem ein Netzwerk<br />
von Produzenten und Ver anstaltern<br />
steht. <strong>Als</strong> nächster Schritt<br />
kommt der kulturdünger und schliesslich<br />
das Aargauer Kura to rium.<br />
Adrian, welche Rolle spielt für<br />
dich der Aargau noch? Du<br />
besuchst Konzerte überall in<br />
der Schweiz und bist mit deinen<br />
Bands international unterwegs.<br />
Die letzte YOKKO-CD<br />
wurde in Florida produziert.<br />
Adrian Erni Baden ist eine kleine<br />
Stadt, die wie jede andere ihre Sonnen-<br />
und Schattenseiten hat. Es ist<br />
für mich aber immer ein Nachhausekommen.<br />
Für mich legt die Schweiz<br />
mit ihrem System, den vielen Wegen,<br />
die einem offen stehen, ein passendes<br />
Fundament, um meinen eigenen Weg<br />
zu finden. Sie ermöglicht mir, mich<br />
für eine gewisse Zeitspanne auszuklinken,<br />
ohne vor die Hunde zu gehen<br />
– die momentan beste Lösung, um<br />
Erfahrungen zu sammeln.<br />
Und gleichzeitig kannst du<br />
hierzulande fast nicht von der<br />
Musik leben.<br />
Adrian Erni Das kommt natürlich<br />
auf den Lebensstandard an – wenn du<br />
eine Villa mit Barkeeper und drei Autos<br />
willst, natürlich nicht. Meinen<br />
Lohn sehe ich nicht auf dem Konto,<br />
sondern an meiner Zufriedenheit.<br />
Das Wichtigste ist für mich, Zeit zu<br />
haben für das, was mich happy macht.<br />
Ist es dein Ziel als Musiker,<br />
international Erfolg zu haben?<br />
Adrian Erni Mein Wunsch ist es,<br />
meine Geschichten durch die Musik<br />
vielen Menschen weiterzugeben. Wo<br />
die Reise mit den Bands hinführt,<br />
kann man nie sagen – es kann sein,<br />
dass die nächste Platte floppt, aber es<br />
kann auch sein, dass wir plötzlich in<br />
Japan oder England auf Tournee sind.<br />
Das Schönste ist, dass man dank der<br />
Musik Orte und Persönlichkeiten<br />
kennen lernt, die man sonst nie treffen<br />
würde. Wenn das international<br />
möglich würde, wäre das toll – gerne<br />
würde ich neben dem Musizieren<br />
durch die Welt tuckern und andere<br />
Kulturen kennenlernen.<br />
Jürg, hören sich für dich<br />
Adrians Vorstellungen bescheiden<br />
oder realistisch an?<br />
Jürg Morgenegg Realistisch. In der<br />
Schweiz ist es leider so, dass man auf<br />
anderem Weg oft viel einfacher Geld<br />
verdienen könnte. Es gibt selten Notwendigkeit<br />
für das künstlerische<br />
Schaffen. Unsere Strukturen sind im<br />
europaweiten Vergleich sehr gut. Das<br />
hat man noch nie so deutlich gesehen<br />
wie jetzt. Das Bildungssystem funktioniert<br />
– aber mit Einschränkungen<br />
für die Kreativität: man wird zu früh<br />
in bestimmte Bahnen gelenkt. Adrian<br />
und ich sind dafür gute Beispiele: Wir<br />
haben zuerst eine Lehre gemacht,<br />
machen müssen. In der Schweiz sagen<br />
die wenigsten mit sechzehn Jahren:<br />
«Ich werde Musiker.»<br />
Adrian Erni Man wird ins Leben<br />
geleitet und muss nichts selber entscheiden.<br />
Die wichtige Frage «Wo will<br />
ich hin?» wird gar nicht gestellt, sondern<br />
aufgrund unserer Strukturen<br />
überhört. Bist du gut in Mathe – dann<br />
studier Mathematik. Aber ob das tatsächlich<br />
das ist, was du mit sechzehn<br />
willst, ist fraglich. Ich habe vor zwei<br />
Jahren aufgehört, 100 % zu arbeiten,<br />
und habe mich der Musik verschrieben.<br />
Natürlich ist das naiv und teilweise<br />
asozial, denn wenn alle so leben<br />
würden, würde das System nicht<br />
funktionieren. Manchmal wäre ich<br />
froh, ich hätte mehr Strukturen, denn<br />
ich muss mich täglich selber reflektieren,<br />
was durchaus anstrengend sein<br />
kann. Aber ich leiste es mir, vor allem<br />
Musik zu machen, Konzerte zu veranstalten<br />
und zu besuchen und mir Gedanken<br />
über mein Leben zu machen.<br />
Sah dein Leben auch einmal<br />
so aus, Jürg?<br />
Jürg Morgenegg Ich habe immer<br />
Struk turen gebraucht. Ich bin am<br />
Morgen produktiver als am Abend,<br />
was sich mit der Arbeit in der Band<br />
nicht so gut vertragen hat. Aber es<br />
braucht beide Arten von Menschen.<br />
<strong>Als</strong> Kunstschaffender wirfst du einen<br />
Aussenblick auf die Gesellschaft.<br />
Adrian Erni Ich glaube, die Gesellschaft<br />
grundlegend verändern zu<br />
wollen, würde Jahrzehnte dauern.<br />
Aber Menschen zum Denken anregen<br />
soll und kann man immer. Eine<br />
Schande, was sich heutzutage alles<br />
Musik nennt. Die Medien präsentieren<br />
fast nur noch kommerziell ausgerichtete<br />
Produkte und verfälschen<br />
so das Wesentliche. Die auf Mainstream<br />
ausgerichtete Gesellschaft<br />
gilt es wachzurütteln, mit echten<br />
Emotionen. Wenn ich das ein Stück<br />
weit erreichen kann auf meinem Weg<br />
als Musiker, bin ich happy.<br />
Was wünschst du dir von<br />
der Aargauer Kulturförderung?<br />
Adrian Erni Den Werkbeitrag von<br />
20’000 Franken.<br />
Und du, Jürg, was würdest du<br />
dir von Adrian und John Caroline<br />
wünschen?<br />
Jürg Morgenegg<br />
Einen grossen Hit!<br />
Aktuelle Konzerttermine:<br />
www.johncaroline.ch, www.yokko.tv<br />
Evelyne Baumberger, Kulturjournalistin<br />
27
düngen,<br />
säen,<br />
ernten<br />
von Miriam Suter<br />
kulturdünger unterstützt kreative<br />
Projekte junger Menschen<br />
Jährlich fliessen im Aargau 50’000 Franken<br />
in die Förderung neuer Talente.<br />
Das Förderinstrument «kulturdünger»,<br />
ein Projekt des KiFF Aarau, wird finanziert<br />
durch den Kanton Aargau und<br />
unterstützt durch den Projektpartner<br />
Kanal K. kulturdünger entwickelte sich<br />
2006 aus dem Vorgängerprojekt Aargauer<br />
Ideentopf und war in den ersten Jahren<br />
ans Lenzburger Stapferhaus ange <br />
bunden. 2010 zog das Büro ins KiFF in<br />
Aarau und wurde 2012 unter dessen<br />
Schirmherrschaft gestellt.<br />
2012 unterstützte kulturdünger unter anderem das<br />
Literaturmagazin «Narr» für junge Autoren von Lukas<br />
Gloor und den Poetry Slam «Jung im ALL», die<br />
Nachwuchsorganisation des Aargauer Literaturhauses<br />
in Lenzburg.<br />
Bis Anfang Jahr war Daniela Hallauer knapp vier<br />
Jahre lang als Projektleiterin angestellt. Neu hat die<br />
Stelle der 25-jährige Nico Schulthess aus Widen übernommen.<br />
Vergangenen Sommer gab Nico sein Vollzeitstudium<br />
an der Pädagogischen Hochschule Bern<br />
auf, um sich mehr seinen beiden Indie-Bandprojekten<br />
– Al Pride und John Caroline – widmen zu können.<br />
Nun arbeitet er nebenbei einen Tag pro Woche als<br />
Projektleiter. Das passt, denn Al Pride erhielten vom<br />
kulturdünger einen finanziellen Zustupf für das erste<br />
Album und die Produktion zum Musikvideo zur<br />
Singleauskopplung «Popsong». – Eine neue Projektleitung<br />
bringt auch Veränderungen: Nico Schulthess<br />
hat sich vorgenommen, die Veranstaltung «Dünger in<br />
der Futterfabrik» auszubauen: Bereits einmal jährlich<br />
erhielten vom kulturdünger unterstützte Projekte<br />
eine Plattform zur Präsentation. Eine zweite Plattform<br />
wird am 14. September dieses Jahr in Baden im Merkker<br />
organisiert. Dass er als Musiker unbewusst eher<br />
musikalische Projekte bevorzugt, glaubt Schulthess<br />
nicht: «Ich bin bei der Evaluation der Projekte nur die<br />
prüfende Instanz. Über die Unterstützung und die<br />
Höhe des Beitrags entscheidet ohnehin die Fachgruppe.<br />
Bei der Evaluation der Anträge spielt die Qualität eine<br />
Nebenrolle, das persönliche Engagement der Projekttragenden<br />
ist wichtiger, es muss Herzblut fliessen.<br />
kulturdünger bietet finanzielle Starthilfe und steht<br />
den unterstützten Projekten danach bei der Umsetzung<br />
beratend zur Seite, um so die Qualität zu fördern.<br />
Ein solches Projekt ist zum Beispiel der Kurzfilm<br />
«Soul Robber» von Leon Schwitter aus Muri. Der<br />
19-Jährige, der die Kantonsschule besucht, hat letztes<br />
Jahr den Zuschlag für die finanzielle Unterstützung<br />
seines Projekts erhalten. In seinem Film geht es um<br />
einen Fotografen, der das Verlassen der Seele aus dem<br />
Körper während des Todesmoments festhalten will –<br />
und von dieser Idee geradezu besessen ist. Das ist bei<br />
weitem nicht Leons erstes Filmprojekt. Bereits im<br />
Alter von acht Jahren drehte er seine ersten Kurzfilme:<br />
«Das waren ganz einfache Stop-Motion-Filme, die<br />
ich mit meinen Legos gemacht habe. Damals haben<br />
wir die Szenen mit einer Videokamera aufgenommen.»<br />
Geholfen hat ihm sein Götti, der die Hauptrolle im<br />
aktuellen Film spielt. Das Geld vom kulturdünger<br />
deckt allerdings nur einen kleinen Teil der Ausgaben,<br />
den grössten Teil steckt Schwitter selber rein – er<br />
verdient sich neben der Schule mit Werbefilmen für<br />
Schweizer Firmen etwas dazu. Die Schauspieler für<br />
den Film fand Leon über Online-Netzwerke: Studenten,<br />
die erste Schauspielerfahrungen sammeln wollen.<br />
Dabei geht es nicht darum, etwas zu verdienen, sondern<br />
darum, Erfahrungen zu sammeln und besser zu<br />
werden. «Ich kann allen jungen Filmemachern raten:<br />
produziert, produziert, produziert! Nur durch das<br />
Machen sammelt man Erfahrungen. Indem man zum<br />
Beispiel bei einem Filmprojekt assistiert, auch wenn<br />
28
Viermal jährlich entscheidet eine siebenköpfige<br />
Fachgruppe, deren Mit glieder im<br />
Durchschnitt nicht älter als 25 Jahre<br />
sind, welche der eingereichten Projekte<br />
unterstützt werden. Die Bewerberinnen<br />
und Bewerber dürfen nicht älter als 25<br />
Jahre sein, auch in einer Gruppe darf der<br />
Altersdurchschnitt nicht höher sein –<br />
kulturdünger spricht ausdrücklich junge<br />
Kreative an. Des Weiteren muss ein klarer<br />
Bezug zum Aargau vorhanden sein.<br />
Eine Veranstaltung etwa muss im Kanton<br />
aufgeführt oder von Leuten organisiert<br />
werden, die im Aargau wohnen<br />
oder aufgewachsen sind.<br />
Die Fachgruppe ist offen für Neues und<br />
bietet den Initianten die Möglichkeit für<br />
Experimente und erste Projekterfahrungen.<br />
Die ausgewählten Projekte werden<br />
jeweils mit einem Maximalbetrag von<br />
5’000 Franken unterstützt. Grundsätzlich<br />
sieht sich kulturdünger als Starthilfe,<br />
wenn aber nicht alle Gelder ausgeschöpft<br />
werden, haben auch wiederkehrende<br />
Projekte eine Chance, ein zweites<br />
Mal teilfinanziert zu werden. Aller dings<br />
wird dann eine massgebliche Veränderung<br />
des eingegebenen Projektes erwartet.<br />
Überzeugt die Bewer bung die Fachgruppe<br />
und schliesslich die Projektleitung,<br />
wird der Beitrag zugesprochen.<br />
man nur die Kabelrolle hält. Macht einfach weiter,<br />
auch wenns beim ersten Mal nicht gleich ein Geniestreich<br />
wird!» Leon spricht aus Erfahrung. 2010<br />
reichte er seinen Kurzfilm «Film Noir Smoking» am<br />
Luzerner Filmfestival «Upcoming Filmmakers» ein<br />
und gewann damit prompt den Spezialpreis. «Diesen<br />
Film kann ich heute nicht mehr anschauen, es ist<br />
mir fast schon peinlich. Die schauspielerische Leistung<br />
ist unterirdisch, die Musik sowieso geklaut, von Licht<br />
und Ausleuchten hatte ich noch keine Ahnung.<br />
Aber es zeigt mir, dass ich mich entwickle und besser<br />
werde und woran ich noch arbeiten muss», so Schwitter.<br />
Und er belässt es nicht beim Filmemachen. Zusammen<br />
mit einem Freund hat er das Label «Independent<br />
Frames» gegründet. Zusätzlich führt Schwitter bei all<br />
seinen Filmen Regie, er arbeitet als Kameramann,<br />
Cutter und Produzent. Einzig vor der Kamera mag sich<br />
das Multitalent nicht sehen, er habe einfach keine<br />
schauspielerischen Qualitäten, findet er. «Aber ich kann<br />
mir gut vorstellen,<br />
ein paar<br />
Schauspielkurse<br />
zu be legen, um<br />
leichter nachvollziehen<br />
zu<br />
können, wie<br />
es ist, vor der<br />
Kamera zu<br />
stehen. Ich<br />
denke, so werde<br />
ich auch besser<br />
mit Schauspielern<br />
zusammenarbeiten<br />
können.» Inspiration<br />
findet<br />
Leon natürlich<br />
auch in anderen<br />
Filmen. Seine<br />
Augen leuchten,<br />
wenn er von<br />
seinen grossen<br />
Vorbildern<br />
spricht. Lynch,<br />
Welles, Tarantino,<br />
um nur die<br />
Bekanntesten<br />
zu nennen. Dass<br />
in seiner Kantiklasse viele Leute Regisseure wie<br />
Woody Allen nicht kennen, stört Schwitter nicht. Es<br />
sei halt so: «Es gibt zwei Arten von Kinogängern. Die<br />
einen suchen im Kino seichte Unterhaltung, das<br />
könnte übrigens mitunter ein Grund sein, warum<br />
deutsche Synchronfassungen in den Schweizer Kinos<br />
mehr und mehr Überhand nehmen, die anderen<br />
schauen Filme einfach anders. Die sehen das ganze<br />
Bild. Die Rollen, die perfekt auf die Geschichte abgestimmt<br />
wurden, die Schauspieler, die wiederum<br />
diese Rollen besetzen, das Filmset, die Musik. Eine<br />
Welt für sich. Jemand der sich nicht mit Filmen,<br />
mit der Geschichte des Films auseinandersetzt,<br />
nimmt sie auch anders wahr. Wer Tarantino nicht versteht,<br />
könnte denken, «Django Unchained» sei<br />
rassistisch.» Schwitter möchte nach seinem Abschluss<br />
gerne Film an der Zürcher Hochschule der Künste<br />
studieren. Auf die Frage, ob an der allgemeinen Meinung,<br />
Kunstschulen drückten ihren Schützlingen gerne<br />
ihren schuleigenen Stempel auf, etwas dran sei, meint<br />
er: «Natürlich wird man geformt von der Schule, an<br />
der man studiert. Im Idealfall bringt man Begabung<br />
mit. Regisseur wird man nicht durch ein Studium,<br />
aber man kann bestimmt sein Talent verfeinern und<br />
besser werden.» Inputs und konstruktive Kritik von<br />
aussen sind immer förderlich. Und ein Garant für Erfolg<br />
ist ein Studium sowieso nicht.» Es geht dem 19-Jährigen<br />
auch nicht darum, erfolgreiche Blockbuster zu<br />
drehen, die möglichst viele Leute in die Kinosäle<br />
locken: Mein Hauptziel ist es, authentisch zu bleiben.<br />
Das zu machen, was ich gut finde, hinter dem ich<br />
stehen kann. Wenn ich damit Erfolg haben kann, wäre<br />
das natürlich am schönsten. Aber ich hätte auch<br />
kein Problem damit, bis dahin in einer Videothek zu<br />
arbeiten, und wenns noch zehn Jahre dauert. Bei<br />
Tarantino war das schliesslich auch so.»<br />
Miriam Suter wohnt in Aarau und arbeitet als Redaktorin<br />
und freischaffende Journalistin für verschiedene Kulturmagazine.<br />
Sie kauft lieber Bücher als Kleider, mag Avocados<br />
und Lillet und will so bald wie möglich ihren Roman in ihrer<br />
Lieblingsstadt Paris zu Ende schreiben.<br />
Bilder: Screenshots aus dem Kurzfilm «Soul Robber» von<br />
Leon Schwitter.<br />
29
Bildschirm<br />
things to throw<br />
Seite 30<br />
«Ohne Titel», 2013, Fotografie<br />
Seite 31<br />
«United», 2013, Collage<br />
Seite 32<br />
«Passiv-aggressiv», 2012, Fotomontage<br />
Abermillionen Bilder gehören mittlerweile zum Allgemeingut<br />
und zum Inventar der modernen Gesellschaft.<br />
Sie rauschen über Bildschirme, fluten durchs Internet,<br />
kleben an Wänden oder lagern in Büchern und Zeitungen.<br />
Viele der Prints und Filmstills übermitteln gezielte<br />
Botschaften, oft aggressiv und unmissverständlich. Messages<br />
verdichten sich in Medien, missionieren, verleiten,<br />
verlocken – beispielsweise in der Werbung.<br />
Der Künstler Stefan Wegmüller (*1984) befasst sich<br />
in seiner künstlerischen Arbeit mit den bekannten Bildzeichen,<br />
nutzt den kollektiven Bilder- und Erfahrungsschatz,<br />
um gekonnt zu irritieren und zu hinterfragen. Er<br />
isoliert abgebildete Objekte und stellt sie in eigens zusammengestellten<br />
Assemblagen in überraschend neue<br />
Sinnzusammenhänge.<br />
Indem der Künstler die Bilder aus ihrem gewohnten<br />
Kontext befreit, sie manipuliert, ihnen Informationen<br />
raubt oder sie in neuer Konstellation zusammenführt,<br />
verlieren sie ihre Beweislast. Sie werden leicht und beweglich<br />
und verführen nunmehr durch eine scheinbar<br />
sinnbefreite Ästhetik. Die von Stefan Wegmüller gestalteten<br />
oder bearbeiteten Bildkonstellationen verwandeln<br />
sich je nach Kombination zuweilen auch in ihr Gegenteil.<br />
Aus Spass wird ernst, die hellen Momente eines ausgelassenen<br />
Sommers verdunkeln sich, werden zu gewalttätigen<br />
Szenen, aus den Nachrichten bekannt. Verheissungen<br />
werden zu Drohungen, Privates wird politisch,<br />
eine einfache Flasche für Sonnencrème zum Wurfgeschoss<br />
und eine Wasserdusche zur Waffe. Die Bildaussagen<br />
beginnen sich zu verheddern. Auch Markennamen,<br />
Piktogramme, grafische Zeichen und Gesten verwandeln<br />
sich unter Stefan Wegmüllers Hand: Eine<br />
römische Ziffer wird bei genauerer Betrachtung beispielsweise<br />
zu einer vier statt einer fünf und ein einschlägiges<br />
Handzeichen mutiert dank einer kleinen Veränderung<br />
zu einer unerwarteten, mehrfach lesbaren<br />
Aussage. Man verliert als Betrachter/in in der plötzlichen<br />
Mehrdeutigkeit der Zeichen die Orientierung, muss sie<br />
immer wieder neu herstellen. Wie etwa in der fotografischen<br />
Arbeit «neu», welche uns ein Buch des Autoren<br />
Stefan Wegmüller mit dem Titel «Neuverhandlung der<br />
Himmelsrichtungen» vorführt – oder vortäuscht?<br />
www.stefanwegmueller.ch<br />
Arbeiten von Stefan Wegmüller<br />
sind aktuell zu sehen:<br />
3. Mai – 23. Juni<br />
Helmhaus Zürich<br />
Talk to the Hand<br />
Sprechende Fäuste, patentierte Gesten<br />
32
EXIL/LOG<br />
Lorenz Olivier Schmid<br />
aus Paris<br />
So ein Aufbruch, denke ich mir, ist ja auch eine wunderbare<br />
Gelegenheit, für einmal durch die sich verengenden<br />
Maschen zu schlüpfen, die der Alltag unerbittlich um<br />
einen spinnt, wenn man nicht aufpasst. <strong>Als</strong> erster<br />
Schritt auf dem Weg zur Place de la Liberté lasse ich also<br />
das Smartphone zurück im Zimmer mit Ausblick auf die<br />
Notre Dame in der Cité Internationale des Arts und<br />
stürze mich mit dem damit einhergehenden Gefühl unbedingter<br />
Freiheit beherzt in die einsetzende Dämmerung.<br />
So lange dauert das Hochgefühl, bis ich mit all den<br />
anderen, die da ebenfalls gekommen sind, den Salon de<br />
Dessin 13 anzusehen, in einer Reihe stehe und mit steigender<br />
Besorgnis feststelle, dass da alle ihre Smartphones<br />
zücken und dem Türsteher hinhalten. Sein Gesicht<br />
hellt sich im Schein der Geräte auf, mal grüner, mal<br />
blauer, je nach Modell, und er gewährt nickend Einlass:<br />
das Mail mit der Einladung ist auch Eintrittskarte.<br />
Kulissenwechsel: 19 rue des Frigos, also Strasse der<br />
Kühlschränke Nr. 19. Nein, kein von Endzeitstimmung<br />
durchtränkter Wachtraum führt mich hierhin, vielmehr<br />
die Einladung des Ton- und Installationskünstlers Jacques<br />
Rémus, der im riesigen, ausgedienten Kühlhaus von<br />
Paris eines seiner zwei Ateliers unterhält.<br />
Er erzählt mir, die Geschichte des imposanten Gebäudes,<br />
das mit seinen dicken Betonmauern den Charakter<br />
einer zivilen Festung ausstrahlt und ganz gut als<br />
Kulisse für Die Sinfonie der Grossstadt hätte herhalten<br />
können, beginne nach dem Ersten Weltkrieg. Damals<br />
habe der steigende Umsatz der Halles Centrales, des<br />
grossen Marktes im Herzen von Paris, zum Bau des Gare<br />
frigorifique de Paris-Ivry geführt. Wo Jacques Rémus<br />
heute mittels Bunsenbrennern Orgelpfeifen erklingen<br />
lässt und seine Besucher durch ein Feld von Bewegungssensoren<br />
schickt, wodurch er sie in Dirigenten improvisierter<br />
Stücke verwandelt, wurde noch bis in die 1980er-<br />
Jahre Rindfleisch in schieren Massen tiefgekühlt. Mit<br />
der Verlagerung des Marktes in die Peripherie der Stadt<br />
sei das Gebäude damals für die kulturelle Nutzung frei<br />
geworden. Heute arbeiten hier rund 200 Künstlerinnen<br />
und Künstler. Eine ihres Berufs überdrüssige Malerin<br />
hat im Erdgeschoss ein Restaurant eröffnet, sehr zur<br />
Freude des bunt gemischten Volks, das es sich auf der<br />
Terrasse in der Frühjahrssonne gemütlich macht. Les<br />
Frigos: eine irrsinnig bunte urbane Kolonie, mehr und<br />
mehr bedrängt von profitversprechenden Neubauten, die<br />
monochrom und von allen Seiten her die dickhäutige<br />
kulturelle Trutzburg belagern.<br />
Das zweite Atelier des Künstlers, nicht minder geschichtsträchtig,<br />
befindet sich in unmittelbarer Nach<br />
barschaft in den alten Kavalleriestallungen der Armee<br />
Napoleons III. In einem grosszügigen Gewölbekeller –<br />
man hielt die Pferde kanonensicher unter Tage – türmen<br />
sich ausgeweidete und zu Trommeln und Schiffshörnern<br />
umgebaute Waschmaschinen, mit giftgrünem Wasser gefüllte<br />
Rundkolbenorgeln und ein Glockenspiel aus Alteisen<br />
zu einem riesigen «mechamusikalischen» Orchester.<br />
Alle Kabel laufen in einem Knäuel zusammen, der<br />
dem Ausdruck Kabelsalat spottet, davor ein Bildschirm.<br />
Ein Klick, und schon stürzen mir mitten im Keller von<br />
Paris von historischen, gewölbten Wänden Bachs Toccata<br />
und Fuge in d-moll entgegen, arrangiert für Plastikschläuche<br />
und pneumatische Pumpen, getränkt von<br />
subsonischen Bässen, die nur noch mein Zwerchfell verstehen<br />
kann.<br />
Ich bin dann doch noch reingekommen in den Salon<br />
de Dessin 13, weil die junge Dame auf der anderen Seite<br />
des Türrahmens sich meiner erbarmte: die Einladung<br />
gilt jeweils für zwei. Nach diesem ersten Abend wusste<br />
ich, dass, wer als Künstler in Paris ein Atelier hat, entweder<br />
über ein Stipendium, über gehörigen Erfolg oder<br />
eine stille Quelle verfügt. Seit gestern, dass der Besuch<br />
eines Kolloquiums mit Georges Didi-Huberman ebenso<br />
wahrnehmungsverändernd ist wie die Lektüre seiner Bücher.<br />
Heute lese ich sein L`homme qui marchait dans<br />
la couleur. Und morgen wandere ich los, auf dem Jakobsweg<br />
Richtung Bordeaux, mit wenig Gepäck und einem<br />
Pilgerpass für billige Nächte. Und mit meinem Smartphone<br />
natürlich, wo lebe ich denn eigentlich.<br />
Lorenz Olivier Schmid arbeitet seit seinem Masterabschluss<br />
in Bildender Kunst an der Hochschule Luzern in der alten<br />
Papiermühle in der Benken-Klus mit experimenteller Fotografie,<br />
Video und Installation. Bis Juni 2013 wohnt er im Atelier<br />
des Aargauer Kuratoriums in der Cité Internationale des<br />
Arts in Paris. Soeben ist im Vexer Verlag St.Gallen sein Buch<br />
«Anthologie Bd. 1» erschienen.<br />
www.vexer.ch<br />
33
Himmel & Hölle<br />
Am<br />
Kirschbaum<br />
von Sascha Garzetti<br />
Wenn ich auf den Friedhof gehe, zupfe ich in der Friedhofsauffahrt<br />
eine Primel aus. Meist ist es eine gelbe Primel<br />
und dann denke ich, dass das nicht viel ist. Ich las,<br />
dass die Primel bei einem schwachen Herz helfe. Bei<br />
Hustenreiz sei sie gut, die gelbe Primel, die wilde vielleicht.<br />
Diese Friedhofauffahrtsprimel sieht allerdings<br />
aus, als wisse sie nicht, wie jemandem zu helfen sei,<br />
sieht aus, als sei sie zu nichts zu gebrauchen als zum<br />
Stehen in einem Betontopf. Nur wenig spricht für die<br />
Primel. Dennoch lege ich sie später auf die Platte mit<br />
dem eingravierten Namen unter Cordts Stein. Schliesslich<br />
könne sie den Husten lindern, so sagt man. Und vielleicht<br />
ist sie gut bei einem schwachen Herz.<br />
Wenn ich dann an Cordts Stein stehe, fährt hinter<br />
mir der Wind in die Äste des Kirschbaums, greift in die<br />
Zweige, auch in diejenigen der umstehenden Bäume und<br />
weht die Blätter über die Erde und über meine Schuhe.<br />
So stehe ich reglos da.<br />
Es war Hannes, der mich anrief und sagte, dass es<br />
ihm leid tut. Er konnte nichts dafür. Das wusste ich. Das<br />
wusste auch er. Hannes ist Cordts bester Freund. Cordt<br />
war notoperiert worden. Dann die Hirnblutung. Man<br />
habe nichts tun können. Ich stand in der Küche, kochte<br />
mit Freunden. Ein Geburtstagsessen. Dann kam der Anruf,<br />
den ich zuvor weggedrückt hatte, als hätte ich gewusst,<br />
was kommt, als hätte ich mit dem Drücken der<br />
Taste etwas verändern, etwas verhindern können, was<br />
bereits geschehen war. Jedes Jahr im März taumele ich<br />
durch die Tage wie angeschossen. Zuweilen hinke ich<br />
gar, ziehe kaum merklich ein Bein nach. Manchmal erwischt<br />
es mich schon im Februar. Linderung kommt im<br />
April.<br />
Wenn ich an Cordts Stein stehe, denke ich, dass<br />
Cordt hier gut liegt. Hinter Cordts Stein befindet sich<br />
die Wohnung des Friedhofgärtners. Auf dem Platz vor<br />
dem Haus spielen die Kinder. Sie haben zwei Torpfosten<br />
und eine Querlatte auf das Garagentor aufgemalt. Ja,<br />
denke ich dann. Cordt liegt gut hier, wo man hören kann,<br />
wie Kinder den Ball gegen das Garagentor treten und wo<br />
der Kirschbaum seine Blätter ausstreut.<br />
Ich hatte Cordt zuletzt im Dezember gesehen. Es war<br />
kurz vor Weihnachten. Wir sassen mit Freunden bei ihm<br />
zu Hause. Cordt holte einen ungarischen Obstbrand aus<br />
dem Spirituosenschrank. Der Name des Obstbrandes<br />
klang wie der Name des tschechoslowakischen Fussballers<br />
Antonín Panenka. Panenka – von seinen Bewunderern<br />
aufgrund seiner Spielübersicht auch «der Mann mit<br />
den Radaraugen» genannt – war es, der den entscheidenden<br />
Elfmeter im Final der Fussballeuropameisterschaft<br />
1976 gegen Deutschland verwandelte. Anstatt den<br />
Ball in die Maschen zu dreschen, hob Panenka den Ball<br />
in die Mitte des Tores. Sepp Maier, der Torhüter der<br />
deutschen Mannschaft, warf sich in eine Torecke und<br />
war ohne Chance. Pálinka, sagte Cordt, der Schnaps<br />
heisst Pálinka.<br />
Wir waren zu fünft, zu sechst, standen draussen auf<br />
der Terrasse, tranken und rauchten. Aischa, die Hundedame<br />
des Hauses, zwängte sich durch den Spalt der<br />
Schiebetür und stürmte in den Neuschnee hinaus. Hinter<br />
ihren Läufen flog das Weiss auf wie hinter einem<br />
durchdrehenden Wagenrad. Und plötzlich – der Panenka<br />
muss mir ins Blut und ins Kinderherz gestiegen<br />
sein, das ich an diesem Abend in der Brust trug – lief<br />
ich ihr nach. Mit grossen Schritten, die rechteigentlich<br />
Sprünge waren, rannte ich dem Tier hinterher. Daraus<br />
ergab sich eine Stolperei, die uns, Aischa und mich, weit<br />
in den verschneiten Garten hinausführte. Eine Hetzerei,<br />
bei der bald niemand mehr wusste, wer wen jagte<br />
und weshalb, und so standen wir dann, halb hingetaumelt,<br />
halb hingehüpft wie zwei übermütige Kinder, aber<br />
schwer atmend, auf dem zugeschneiten Eis des Gartenteichs.<br />
Das Eis brach sogleich unter meinen Füssen ein.<br />
Um auf dem steinigen Untergrund des Teiches nicht zu<br />
stürzen, hielt ich mich an Aischa fest. Reglos stand sie<br />
auf der Eisfläche, die sie mühelos trug. Zuerst griff ich<br />
sie an der Rute, was mir sogleich unangebracht erschien.<br />
Aischa knurrte. Ich fasste sie um den Oberkörper,<br />
tastete mich über Rücken und Hals an ihr vor, entschuldigte<br />
mich für den ersten unbedachten Griff, worauf<br />
mich Aischa, die Pfoten in den Schnee drückend,<br />
die drei Schritte uferwärts begleitete. Ich stand mit nassen<br />
Schuhen und Hosenbeinen im Schneerasen. Die<br />
Kälte stach zwischen Schuhleder und Sohle und durch<br />
die Socken zwischen die Zehen.<br />
<strong>Als</strong> ich später mit hochgekrempelten Hosenbeinen<br />
vor dem Trockner sass und zusah, wie sich Socken und<br />
Schuhe im Kreis drehten, kam Cordt mit zwei Gläsern<br />
in der Hand und der Flasche Pálinka unter dem Arm herein.<br />
Was dagegen, wenn ich mitschaue?, fragte er und<br />
glitt neben mir zu Boden. Wir sahen zu, wie sich Socken<br />
und Schuhe weiter drehten und sprachen kein Wort.<br />
Wenn ich an Cordts Stein stehe, hebe ich manchmal<br />
die Hand im Mantel, als hielte ich ein Glas darin und wie<br />
zum Gruss. Pálinka, sagt Cordt dann, der Schnaps heisst<br />
Pálinka.<br />
Sascha Garzetti, geboren 1986 in Zürich, lebt in Baden. 2010<br />
publizierte er den Gedichtband «Vom Heranwachsen der<br />
Sterne». Im Herbst 2012 folgte «Gespräch in der Manteltasche».<br />
Er ist an der Lesung «Verse! Verse!» am 12. Juni, ab<br />
18.30, im Theater Neumarkt in Zürich zu hören.<br />
Simone Bissig, Illustration. Sie lebt und arbeitet als freie<br />
Illustratorin in Baden.<br />
34
Rubrikentitel<br />
Rubrikentitel<br />
35
Klein & Fein<br />
Seit die Schwanbar und das Summertime-Restaurant an<br />
einer breiten Promenade mit Lichtergirlande die Aare<br />
näher zu den Menschen bringen, haben Heerscharen den<br />
Fluss als Lebensader entdeckt. Wie die Solothurner an<br />
ihren «Hors Sol»-Treffpunkten rund ums Landhaus und<br />
das alte Schlachthaus kommen die Menschen jetzt auch<br />
in Aarau auf Inline-Skates, mit Fahrrädern und Kinderwagen<br />
ans Wasser. Ein Fest mit dem Namen Aargrandissimo<br />
hat vor Jahren den Menschen gezeigt, wie es sein<br />
könnte, wenn der grüne Fluss als pochendes Herz der<br />
Stadt erkannt wird. Seit da sitzen die Menschen auf den<br />
Steinstufen am Ufer, essen und promenieren vom Süffelsteg<br />
zum Rüchligstauwehr oder zu den Fussgängerbrücken,<br />
schauen dem bengalischen Spiegelbild des<br />
Springbrunnens bei der kleinen Insel zu. Und die unentwegten<br />
Wanderer – die es früher schon gab – wagen sich<br />
von Biberstein bis Schönenwerd vor, auf beiden Seiten<br />
des Wassers. Pontons liegen vertäut, selten wagen sich<br />
Liebespaare hinein.<br />
In einzelnen Sommern bieten die jungen Frauen<br />
Anna Byland und Jeannine Hangartner – unter dem Titel<br />
«flussaufwärts» – Kultur auf Weidlingen an. Man trifft<br />
sich im Juni und Juli an einem der Abende – mit den<br />
Gondolieri aus dem Pontonierhäuschen, die – angetan<br />
mit weissen Hemden und Strohhüten – die Pontons den<br />
Fluss hinauf rudern.<br />
Drei Boote scharten sich um die Sängerin Susanne<br />
Wiesner, die wie ein kleiner Leuchtturm im Bug stand<br />
und gegen den einsetzenden Regen ansang. Anna und<br />
Jeannine hatten einen herrlichen Imbiss und Wein mit<br />
Gläsern mitgebracht. Alle verkleideten sich in ihren farbigen<br />
Goretex-Jacken und niemandem konnte der Sommerregen<br />
etwas anhaben. Nixenhaare hingen von den<br />
Rudern und den weissen Lämpchen und plötzlich griff<br />
ein kleiner Kerl neben mir aus dem Wasser und zog mit<br />
flussaufwärts<br />
von Claudia Storz<br />
36<br />
den Pfoten einige Blätter von den hängenden Ästen, bevor<br />
er sein braunes Gesicht wieder abwandte. Es war ein<br />
Biber, wir hatten den Biber neben uns, angelockt durch<br />
die geheimnisvollen Klänge der Boote und der Lieder.<br />
Diese Abende waren sehr vielfältig. Nicht nur die Witterung<br />
konnte lau oder kühl, regnerisch oder heiss sein,<br />
auch das kulturelle Angebot variierte zwischen instrumentalen<br />
Auftritten vorne im Bug, Lesungen auf den<br />
Sandbänken und Gesang, wie an dem Abend, den wir<br />
genossen. Zauberhaft und besonders waren die Abende<br />
allemal.<br />
Diese romantischen Fahrten im Ponton werden diesen<br />
Sommer wieder angeboten.<br />
Jeweils mittwochs vom Mi. 5. Juni bis 3. Juli 2013,<br />
20.30–22.00, Verschiebedaten bei schlechtem Wetter<br />
in den August oder September, 19.30–21.00.<br />
Mi. 5. Juni Hexenkessel (Stimme und Schlagzeug)<br />
Mi. 12. Juni Pit Gutmann (Perkussion, Klangobjekte)<br />
Mi. 19. Juni Isa Wiss (Stimme)<br />
Mi. 26. Juni Albin Brun (Saxophon, Schwyzerörgeli etc.)<br />
Mi. 3. Juli Barbara Schirmer (Hackbrett)<br />
Start Anlegestelle beim Flösserhüsli,<br />
Albert-Einstein-Weg, Aarau.<br />
Reservation: www.flussaufwaerts.ch<br />
Claudia Storz hat vor einem halben Jahr ihr zehntes Buch<br />
«Boote für den blinden Passagier» veröffentlicht, an den Solothurner<br />
Literaturtagen diesen Mai vorgelesen und im Think<br />
Tank mitgedacht. Sie hat für mehrere Theaterstücke und<br />
Oratorien Texte geschrieben und wohnt in Aarau, Salzburg<br />
und La Napoule.<br />
Foto: Simon Gautschy<br />
Anna Byland und Jeannine Hangartner auf der schönen Aare.
Tauchsieder<br />
Standortattraktivität<br />
versus Kultur<br />
von Irene Wegmann<br />
Zwischen der mondänen Stadt Baden und<br />
der Kantonshauptstadt Aarau gelegen und<br />
nicht weit von der Metropole Zürich entfernt:<br />
Die Brugger haben es wirklich nicht<br />
einfach, sich als Kulturstadt zu etablieren.<br />
Aber wollen sie das überhaupt? Am<br />
Abend oder an den Wochenenden wirkt<br />
die Altstadt wie ausgestorben. Dennoch<br />
gibt es Kultur. Zwei Kinos, drei Kulturhäuser<br />
mit Odeon, Dampfschiff und Salzhaus,<br />
ein Jugendkulturhaus, das mit seinen<br />
fünfzig Jahren eines der ältesten in<br />
der Schweiz ist und bekannt für richtig<br />
laute Heavy-Metal-Konzerte. Ausserdem<br />
finden alle zwei Jahre die Brugger Literaturtage<br />
statt. Nicht in Brugg, aber ganz in<br />
der Nähe, nämlich in der Klosterkirche<br />
Königsfelden werden die Tanzaufführungen<br />
von Brigitta Luisa Merki durchgeführt.<br />
Seit letztem Jahr ist «tanz&kunst<br />
königsfelden» ein kultureller Leuchtturm<br />
des Kantons Aargau.<br />
In der Kleinstadt Brugg ist einiges los<br />
und doch würde niemand auf die Idee<br />
kommen, Brugg als Kulturstadt zu bezeichnen.<br />
Dazu ein Beispiel. Im Zug von<br />
Aarau nach Brugg sprechen zwei Frauen<br />
über ein grossformatiges Landschaftsgemälde,<br />
das ihnen im Aargauer Kunsthaus<br />
aufgefallen ist. Adolf Stäbli (1842–1901)<br />
hat es gemalt. Verwundert stellt eine der<br />
beiden Frauen fest: «In Brugg gibt es ein<br />
Stäblistübli, wo Gemälde eines Künstlers<br />
namens Stäbli ausgestellt sind. Doch der<br />
kann unmöglich derselbe wie im Kunsthaus<br />
sein.»<br />
Wieso diese Zweifel? Kann Brugg in<br />
den Augen der Kunsthausbesucherin keine<br />
berühmten Künstler hervorbringen?<br />
Adolf Stäbli war Brugger Ortsbürger, allerdings<br />
wuchs er in Winterthur auf und<br />
starb in München. Zweifelt sie, dass<br />
Brugg je Geld für den Kauf von dreissig<br />
Stäblibildern locker gemacht hätte? Mit<br />
dieser Vermutung könnte sie Recht haben.<br />
Die Bilder wurden den Ortsbürgern<br />
nach dem Tod des Künstlers vermacht.<br />
Vielleicht ist die Kunsthausbesucherin<br />
auch unsicher, weil das Stäblistübli im<br />
Vergleich zur einstigen Bekanntheit des<br />
Malers ein beinahe vergessenes Dasein<br />
fristet. Dem war nicht immer so. 1984<br />
fand eine Ausstellung mit grosser Ausstrahlung<br />
statt. Seither wurde es still.<br />
Eine andere Stadt, mit mehr Glauben an<br />
ihre Kultur, hätte vielleicht mehr aus einer<br />
derartigen Schenkung gemacht.<br />
Doch der Stadtrat hat andere Sorgen.<br />
Die Debatte dreht sich um den Wirtschafts-<br />
und Bildungsstandort Brugg-Windisch.<br />
Am 3. März bewilligten die Brugger<br />
und Windischer Stimmbürgerinnen und<br />
Stimmbürger eine jährliche Defizitgarantie<br />
von total 600’000 Franken für den Betrieb<br />
des Campussaals, dies in den nächsten fünf<br />
Jahren. Um die Summe schmackhaft zu<br />
machen, beschworen die Behörden die gesteigerte<br />
Standortattraktivität von Brugg<br />
und Windisch. Vieles blieb vage in dieser<br />
Diskussion, eines wurde aber deutlich: Kultur<br />
spielt eine untergeordnete Rolle.<br />
Irene Wegmann, Germanistin und<br />
Journalistin, lebt in Windisch.<br />
FONDATION BEYELER<br />
8. 6. – 6. 10. 2013<br />
RIEHEN / BAsEl<br />
MUSIKFESTWOCHE<br />
MEIRINGEN<br />
5. –13. JULI 2013<br />
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Maurizio Cattelan, Untitled, 2001, © Maurizio Cattelan, Photo: Attilio Maranzano, courtesy the artist<br />
37<br />
Künstlerischer Leiter: Patrick Demenga<br />
Klassik – 10 Konzerte vom feinsten<br />
Grosse Werke der Kammermusik, sowie Neues und Rares in unerhörten<br />
Interpretationen…<br />
Der Goldene Bogen<br />
Die Preisverleihung an die Barockgeigerin Chiara Banchini.<br />
Geigenbauschule Brienz<br />
«Sphärenmusik» und «Geigengeschichten»: Vorträge, offene Werkstatt.<br />
Vorverkauf: kulturticket.ch, Telefon 0900 585 887<br />
haslital.ch, Telefon 033 972 50 50<br />
www.musikfestwoche-meiringen.ch
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V O K A L E N S E M B L E<br />
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Johann<br />
1604–1673<br />
Johann Christoph<br />
1642–1703<br />
Johann Ludwig<br />
1677–1731<br />
Johann Sebastian<br />
1685–1750<br />
Johann Christoph<br />
Friedrich<br />
1732–1795<br />
Vokalensemble<br />
opus 48 Zofingen<br />
Sopran<br />
Barbara Zinniker<br />
Alt<br />
Roswitha Müller<br />
Tenor<br />
Tino Brütsch<br />
Bass<br />
Marcus Niedermeyr<br />
Ensemble la fontaine<br />
Leitung<br />
Peter Baumann<br />
Sa, 8. Juni, 20 Uhr<br />
reformierte Kirche<br />
Meisterschwanden<br />
So, 9. Juni, 17 Uhr<br />
Stadtkirche<br />
Zofingen<br />
Eintritt Fr. 30.–<br />
Ermässigung<br />
www.opus48.ch<br />
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