Ausgabe 10, 14.12.2013 - StudiWeb der PH Zürich
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WERTSCHÄTZUNG<br />
BRAUCHE ICH SIE WIRKLICH UND WENN JA, VON WEM?<br />
Kolumne<br />
Montagmorgen in einer kaufmännischen Berufsschule<br />
in <strong>der</strong> Region <strong>Zürich</strong>. Ich verteile<br />
meine sorgfältig und mit viel Energie erstellten<br />
Arbeitsblätter an meine Lernenden. Ein<br />
Raunen geht durch die Klasse. Keine Vorfreude<br />
im Hinblick auf das neue Thema, das ich<br />
sogleich starten werde, kommt auf. Meine<br />
schöne Vorbereitungsarbeit wird von den Lernenden<br />
einfach nicht gewürdigt. Im Gegenteil.<br />
Die Lernenden verziehen ihre Miene und ich<br />
kann förmlich spüren, wie sie gedanklich ihre<br />
Hände über dem Kopf verwerfen. Es ist gerade<br />
mal 7.20 Uhr und die transitorischen Konten<br />
stellen nach einem wohl farbigen (Party-)Wochenende<br />
wohl nicht gerade ein verlockendes<br />
Highlight dar. Ich trage die Reaktion <strong>der</strong> Lernenden<br />
mit Fassung.<br />
Ist das jetzt mangelnde Wertschätzung <strong>der</strong> Lernenden<br />
gegenüber mir und meiner Arbeit o<strong>der</strong><br />
einfach ihr Energielevel, <strong>der</strong> zu Wochenstart<br />
noch nicht hochgefahren ist? Ich weiss es nicht.<br />
Vielleicht liegt die Wahrheit auch irgendwo dazwischen.<br />
O<strong>der</strong> die Lernenden können einfach<br />
die Tragweite des Qualifikationsverfahrens am<br />
Ende ihrer Ausbildung (noch) nicht erkennen.<br />
Kann ich es ihnen verübeln? Jetzt wollen doch<br />
erst einmal die Erlebnisse des vergangenen Wochenendes<br />
– die Dates, die Boys, die Girls, die<br />
neuen Klei<strong>der</strong> und die neusten Chats mit dem<br />
potentiellen Freund/<strong>der</strong> potentiellen Freundin<br />
– ausgetauscht werden. Dagegen haben „meine“<br />
transitorischen Konten nicht den Hauch einer<br />
Chance…<br />
Ich beginne meinen Unterricht trotzdem und<br />
tröste mich damit, dass ich sicher mein Bestes<br />
gegeben habe in <strong>der</strong> Vorbereitung und mir vieles<br />
überlegte, als ich die Arbeitsblätter erstellte.<br />
Irgendwann einmal – spätestens am Tag des<br />
Qualifikationsverfahrens – werden sie mir wohl<br />
dankbar sein und meine Arbeit – wenn auch im<br />
Nachhinein – zu schätzen wissen. O<strong>der</strong> auch<br />
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nicht. Daran will ich gar nicht denken. Wenn<br />
meine Motivation, stets aufs Neue guten Unterricht<br />
zu erteilen nur davon abhängen würde,<br />
ob und wann die pubertierenden Lernenden<br />
meine Arbeit wertschätzen, dann wäre meine<br />
Motivation schon lange auf null gesunken. Direkte<br />
und sichtbare Wertschätzung gibt es eben<br />
nur selten. Und das nicht nur im Unterricht.<br />
Warum also legen wir Menschen darauf so viel<br />
Wert? Warum scheint für uns die Wertschätzung<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en so wichtig zu sein? Ginge es<br />
nicht auch ohne? Würde es nicht reichen, wenn<br />
wir einfach uns selbst wertschätzen? Unseren<br />
eigenen Wert zu schätzen wissen, egal, was die<br />
an<strong>der</strong>en gerade von uns o<strong>der</strong> über uns denken?<br />
Wenn wir vollkommen überzeugt wären von<br />
unserem eigenen Wert, völlig selbstsicher und<br />
eins mit uns selbst, wäre es uns ja auch völlig<br />
egal, wie an<strong>der</strong>e über uns urteilen, o<strong>der</strong>? Ist<br />
also Wertschätzung nur etwas für Schwache,<br />
Unsichere, Ratlose und Frustrierte? O<strong>der</strong> brauchen<br />
wir nicht doch alle hie und da ein klein<br />
bisschen Anerkennung von an<strong>der</strong>en Menschen?<br />
Wer von uns ist schon immer perfekt und voller<br />
Selbstliebe und Wertschätzung für sich selbst,<br />
trotz aller Fehler, die wir haben? Ausser dem<br />
Dalai Lama und ein paar an<strong>der</strong>en Erleuchteten<br />
kann das wohl niemand auf dieser Erde von sich<br />
behaupten.<br />
Geben wir es doch einfach ehrlich zu: Wir alle<br />
lechzen nach Wertschätzung – mal mehr, mal<br />
weniger. Je nach Lebenssituation.<br />
Ein guter Anfang ist auf jeden Fall, sich seines<br />
eigenen Wertes bewusst zu sein. Am besten<br />
schreiben wir uns ein paar tolle Sachen über uns<br />
– am besten gerade in diesem Augenblick – auf<br />
einen Zettel und legen uns diesen in unser Portemonnaie.<br />
So haben wir ihn immer zur Hand,<br />
wenn wir wegen einer erwarteten und nicht<br />
erhaltenen Wertschätzung in die emotionale<br />
Abwärtsspirale geraten und uns mit negativen<br />
Selbstgesprächen und Selbstkritik weiter nach<br />
unten zu bewegen drohen.<br />
So nehme ich also an besagtem Montagmorgen<br />
gedanklich meinen Zettel aus meinem Portemonnaie,<br />
führe mir vor Augen, was für eine<br />
tolle Frau (und Berufsschullehrerin) ich bin,<br />
lächle in mich hinein, dann zu meinen Lernenden<br />
und beginne die Lektion. Und siehe da: Der<br />
eine o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e hört mir tatsächlich zu!<br />
Ein Schmunzeln zieht über mein Gesicht, ich<br />
klopfe mir in Gedanken auf die Schulter, denn<br />
ich habe soeben meinen Wochenstart selbst „gerettet“<br />
und freue mich jetzt auf eine neue, tolle<br />
Arbeitswoche.<br />
von Claudine Birbaum<br />
Studiengang Berufsschullehrerin W&G (Sek II)<br />
Danke<br />
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