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Der Weg der Bundesrepublik Deutschland - Deutsche Gesellschaft ...

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<strong>Der</strong> <strong>Weg</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

in die Vereinten Nationen<br />

von Walter Gehlhoff<br />

(Ständiger Vertreter <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> bei den UNvon 1971 bis 1974)<br />

Jeweils am dritten Dienstag im September eröffnen die Vereinten Nationen in<br />

New York ihre jährliche, etwa drei Monate dauernde Generalversammlung.<br />

1973 fiel <strong>der</strong> dritte Dienstag auf den 18. September. An diesem Tag wurden die<br />

<strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> und die <strong>Deutsche</strong> Demokratische Republik als<br />

133. und 134. Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen. <strong>Der</strong> Sicher<br />

heitsrat hatte die Mitgliedschaft nach Prüfung <strong>der</strong> beiden Aufnahmeanträge<br />

einstimmig empfohlen. Nun lag <strong>der</strong> Generalversammlung ein Entschließungs<br />

entwurf vor, mit dem uno actu <strong>der</strong> Beitritt <strong>der</strong> beiden deutschen Staaten be<br />

schlossen werden sollte. Durch Akklamation wurde die Resolution angenom<br />

men.<br />

<strong>Der</strong> Beitritt markierte einen tiefen Einschnitt in <strong>der</strong> deutschen Nachkriegsge<br />

schichte. War die Teilung <strong>Deutschland</strong>s jetzt durch die Völkergemeinschaft be<br />

siegelt? O<strong>der</strong> bildete, umgekehrt, die Doppelmitgliedschaft den unvermeidba<br />

ren Umweg zu einer gesamtdeutschen Mitgliedschaft? Ein Rückblick auf die<br />

Situation vor zwei Jahrzehnten mag geeignet sein, die Antwort auf diese Fra<br />

gen zu erleichtern.<br />

Zeitenwandel in <strong>der</strong> UNO<br />

Auch in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Vereinten Nationen selbst bildete <strong>der</strong> deutsche Bei<br />

tritt eine deutliche Zäsur. Mit den beiden deutschen Staaten waren alle früheren<br />

Feindstaaten zur vollen Mitgliedschaft avanciert. Im Gründungsjahr 1945 zählte<br />

die Weltorganisation 51 Mitglie<strong>der</strong>. 28 Jahre später flatterten bereits die Fahnen<br />

von 135 Mitgliedstaaten vor dem Glaspalast am East River. Die meisten Kolo<br />

nialgebiete hatten inzwischen ihre Unabhängigkeit gewonnen.<br />

Charakter und Funktion <strong>der</strong> Vereinten Nationen hatten sich in dieser Zeitspan<br />

ne beträchtlich gewandelt. Aus einer Kriegsallianz gegen <strong>Deutschland</strong> und Ja<br />

pan sowie <strong>der</strong>en Verbündete hervorgegangen, war die Weltorganisation als ein<br />

Instrument zur Friedenswahrung konstruiert worden. Bindende Beschlüsse<br />

des Sicherheitsrats, des mit den meisten Vollmachten ausgestatteten Organs,<br />

sollten Gewähr dafür bieten, daß <strong>der</strong> Frieden gesichert blieb o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>herge<br />

stellt wurde; und darunter verstand man vor allem, daß <strong>der</strong> territoriale Status<br />

quo erhalten wurde. Zu diesem Zweck konnte <strong>der</strong> Sicherheitsrat notfalls militäri<br />

sche Maßnahmen ergreifen. In <strong>der</strong> Praxis setzte dies allerdings voraus, daß die<br />

fünf ständigen, mit einem Vetorecht ausgestatteten Mitglie<strong>der</strong> des Sicherheits<br />

rats eine übereinstimmende Weltsicht besaßen und gemeinsam handelten. <strong>Der</strong><br />

Ausbruch des kalten Krieges machte diese Hoffnung rasch zunichte.<br />

Als sich <strong>der</strong> Sicherheitsrat infolge sowjetischer Vetos immer mehr als ein<br />

stumpfes Schwert erwies, verlagerte sich das Schwergewicht <strong>der</strong> Vereinten Na-<br />

tionen in die Generalversammlung. Hier verfügten die USA mit den Stimmen<br />

<strong>der</strong> westeuropäischen und lateinamerikanischen Staaten über eine sichere<br />

Mehrheit. Hier ließen sich Entschließungen gegen ein ablehnendes Votum <strong>der</strong><br />

Sowjetunion durchsetzen. Freilich konnte die Generalversammlung nur Emp<br />

fehlungen aussprechen, nicht aber, wie <strong>der</strong> Sicherheitsrat, Beschlüsse fassen,<br />

die für die Mitgliedstaaten bindende Kraft besaßen.<br />

Die Vorherrschaft des Westens in <strong>der</strong> Generalversammlung dauerte nicht lange<br />

an. ImZuge <strong>der</strong> Dekolonisierung betraten mehr und mehr junge Staaten Asiens<br />

und Afrikas die New Yorker Bühne. Zunächst richtete sich ihr Interesse darauf,<br />

nicht in den Konflikt zwischen Ost und West hineingezogen zu werden. Aber im<br />

Laufe <strong>der</strong> Jahre gelang es ihnen, die Generalversammlung bei Abstimmungen<br />

zu beherrschen und ihr auch die Themen aufzuzwingen. Fragen <strong>der</strong> Entwick<br />

lungspolitik und <strong>der</strong> als ungerecht kritisierten Struktur <strong>der</strong> Weltwirtschaft scho<br />

ben sich in den Vor<strong>der</strong>grund. Laut und nachdrücklich for<strong>der</strong>te die dritte Welt die<br />

Befreiung <strong>der</strong> restlichen Kolonialgebiete, den Kampf gegen die Apartheid in<br />

Südafrika und die Freigabe <strong>der</strong> von Israel 1967 besetzten arabischen Gebiete.<br />

Begriffe, die in <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen ursprünglich eine »westliche«<br />

Bedeutung gehabt hatten, erfuhren eine neue Interpretation. Als Menschen<br />

rechte wurden jetzt nicht in erster Linie die Freiheitsrechte des Individuums ver<br />

standen, die es gegen Übergriffe des Staates zu schützen galt. Stattdessen<br />

sprach die dritte Welt von kollektiven Rechten <strong>der</strong> Völker und von ihrem Recht<br />

auf wirtschaftliche Entwicklung. Vielleicht am deutlichsten zeigte sich <strong>der</strong> Wan<br />

del, als Generalsekretär Waldheim 1972 — nach den Attentaten auf <strong>der</strong> Mün<br />

chener Olympiade — den »Kampf gegen den Terrorismus«' auf die Tagesord<br />

nung <strong>der</strong> Generalversammlung brachte. An<strong>der</strong>s als geplant, setzte sich die<br />

Dritte Welt nicht mit den Ereignissen in München auseinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n benutz<br />

te den Punkt dazu, eine Verurteilung <strong>der</strong> »terroristischen Akte <strong>der</strong> kolonialen,<br />

rassistischen und fremdländischen Regime« zu for<strong>der</strong>n.<br />

Dies also war das Bild <strong>der</strong> Vereinten Nationen am Vorabend des deutschen Bei<br />

tritts. <strong>Der</strong> Ost-West-Konflikt wurde zunehmend von <strong>der</strong> Nord-Süd-Problematik<br />

überlagert.<br />

Die Mission des Ständigen Beobachters<br />

Schon vor ihrem Beitritt brauchte sich die <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> im Sy<br />

stem <strong>der</strong> Vereinten Nationen nicht als Fremdling zu fühlen. Bald nach ihrer<br />

Gründung war sie allen Son<strong>der</strong>organisationen <strong>der</strong> Vereinten Nationen beigetre<br />

ten, so — um nur einige wenige zu nennen — 1950 <strong>der</strong> Ernährungs- und Land<br />

wirtschaftsorganisation (FAO), 1951 <strong>der</strong> UNESCO, <strong>der</strong> Weltgesundheitsorgani<br />

sation (WHO) und dem Internationalen Arbeitsamt (ILO). Sie gehörte verschie<br />

denen Unterorganen <strong>der</strong> Vereinten Nationen an wie dem Entwicklungspro<br />

gramm (UNDP), und sie leistete erhebliche freiwillige Finanzhilfen, so zum<br />

Weltkin<strong>der</strong>hilfswerk (UNICEF) und zum Hilfsprogramm für arabische Flüchtlin<br />

ge aus Palästina (UNRWA). Sie wußte sich in ihrer Außenpolitik den Grundsät<br />

zen <strong>der</strong> UN-Charta verpflichtet; ja, sie hatte diese Verpflichtung 1955 im<br />

<strong>Deutschland</strong>vertrag mit den drei westlichen Alliierten feierlich bekräftigt. Seit<br />

18<br />

19


1952 unterhielt sie am Sitz <strong>der</strong> Vereinten Nationen in New York eine offiziell zu<br />

gelassene Ständige Beobachtermission.<br />

Im Mai 1971 übernahm ich die Leitung dieser Mission. Sie hatte ihre Büros da<br />

mals im Chrysler-Building. Wenig später zog sie in ein neu errichtetes Gebäude<br />

in <strong>der</strong> Third Avenue um. Die neue Behausung bot eine Reihe von Vorteilen. Es<br />

gab genügend Platz, um all die zusätzlichen Aufgaben zu übernehmen, die mit<br />

<strong>der</strong> Mitgliedschaft auf uns zukommen würden. <strong>Der</strong> Komplex <strong>der</strong> Vereinten Na<br />

tionen ließ sich in passabler Zeit erreichen. Freilich mußten wir einige »Kin<strong>der</strong><br />

krankheiten« des neuen Gebäudes überstehen. So geschah es gelegentlich,<br />

daß <strong>der</strong> Fahrstuhl im Schacht stecken blieb und man eine halbe Stunde lang<br />

buchstäblich in <strong>der</strong> Luft hing.<br />

Worin bestanden die Aufgaben <strong>der</strong> Beobachtermission? In erster Linie selbst<br />

verständlich darin, Bonn über alle laufenden Angelegenheiten in den Vereinten<br />

Nationen zu unterrichten. Also über politische wie wirtschaftliche, rechtliche<br />

wie organisatorische und personelle Fragen. In einigen Fällen ging es um The<br />

men von unmittelbarem materiellen Interesse, wie bei den Arbeiten des 1968<br />

eingesetzten Meeresbodenausschusses, <strong>der</strong> die Dritte Internationale See<br />

rechtskonferenz vorbereiten und den Rahmen für die weltweite wirtschaftliche<br />

Ausbeutung des Meeresbodens abstecken sollte; ebenso bei den Arbeiten zur<br />

Schaffung eines erweiterten internationalen Handelsrechts. Dann wie<strong>der</strong> stan<br />

den Themen von allgemeiner politischer Bedeutung im Vor<strong>der</strong>grund. Daß da<br />

heim alle Aktivitäten auf den Gebieten <strong>der</strong> Menschenrechte und <strong>der</strong><br />

Entwicklungspolitik interessierten, braucht kaum betont zu werden.<br />

Die Beobachtermission hatte zu allen Hauptorganen <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

(vor allem Generalversammlung, Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat, Se<br />

kretariat) freien Zugang. Sie konnte also ungehin<strong>der</strong>t »beobachten«. Re<strong>der</strong>echt<br />

besaß sie nicht. Wenn wir bei irgendeiner Beratung unsere sachlichen Interes<br />

sen berücksichtigt sehen wollten, so waren wir auf die Hilfean<strong>der</strong>er Delegatio<br />

nen angewiesen. Die Pflege vertrauensvoller Beziehungen zu den an<strong>der</strong>en<br />

Missionen, ohnehin ein Kardinalpunkt in <strong>der</strong> multilateralen Diplomatie, war mit<br />

hin für die Mitglie<strong>der</strong><strong>der</strong> Beobachtermission beson<strong>der</strong>s wichtig. Mit Dankbar<br />

keit sei hier gesagt, daß alle meine Mitarbeiter diese Aufgabe gut erfüllten.<br />

Ebenso sei hervorgehoben, daß wir bei den Sitzungen innerhalb <strong>der</strong> westlichen<br />

Gruppe nicht als Zaungäste, son<strong>der</strong>n als gleichberechtigte Partner behandelt<br />

wurden.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Zeit gewann eine zweite Aufgabe für die Beobachtermission wach<br />

sende Bedeutung, nämlich den Beitritt unseres Landes zu den UN vorzuberei<br />

ten. Dabei waren vielerlei rechtliche und prozedurale Fragen zu klären, tech<br />

nisch-organisatorische Details zu klären und thematische Vorarbeiten zu lei<br />

sten. Nichtzuletzt kam es darauf an, den Zusammenhang zwischen dem ange<br />

strebten UN-Beitritt und den notwendigen Fortschritten in <strong>der</strong> Bonner Ostpoli<br />

tik, namentlich in den deutsch-deutschen Verhandlungen, im Auge zu behal<br />

ten.<br />

Diesen Zusammenhang galt es auch gegenüber dem bei den Vereinten Natio<br />

nen akkreditierten Pressecorps zu erläutern. Ich führte deshalb viele Pressege<br />

spräche. Doch nicht nur dies. Von Zeit zu Zeit hielt ich kurze Vorträge vor ameri-<br />

kanischen Geschäftsleuten o<strong>der</strong> UNO-Clubs, vor Studenten einer Universität<br />

o<strong>der</strong> dem »Council on Foreign Relations« in New York. Mitgroßer Freude entsin<br />

ne ich mich so mancher Einzelgespräche mit einflußreichen amerikanischen<br />

Persönlichkeiten wie John McCIoy und General Lucius D. Clay, ebenso mit<br />

deutschen politischen Emigranten wie den Professoren Arnold Brecht, Hans<br />

Staudinger und Hannah Arendt, die an <strong>der</strong> New School for Social Research in<br />

New York eine neue Wirkungsstätte gefunden hatten. Stets ging es darum, das<br />

Verständnis dafür zu vertiefen, daß die Bundesregierung mit <strong>der</strong> Ostpolitik und<br />

<strong>der</strong> UN-Mitgliedschaft bei<strong>der</strong>deutscher Staaten ihrenBeitrag zurÜberwindung<br />

des Kalten Krieges leisten wollte, ohne doch an <strong>der</strong> festen Verankerung unseres<br />

Landes im Lager <strong>der</strong> westlichen Demokratien zu rütteln und ohne das Ziel <strong>der</strong><br />

deutschen Einheit aufzugeben.<br />

Meine Vorgänger in New York hatten stets genauestens darauf achten müssen,<br />

daß nicht etwa die DDR von den Vereinten Nationen anerkannt würde. Diese<br />

Aufgabe spielte auch zu meiner Zeit noch eine Rolle. Allerdings handelte es<br />

sich dabei, wie später darzulegen sein wird, um ein Rückzugsgefecht.<br />

Am Beginn meiner dreijährigen Tätigkeit in New York ging es, wie gesagt, im<br />

wesentlichen ums Beobachten. Auf drei Fragen, die während jener Zeit große<br />

Beachtung fanden und auch für die Bundesregierung von hohem Interesse wa<br />

ren, will ich näher eingehen.<br />

<strong>Der</strong> Platz Chinas in den Vereinten Nationen<br />

Gemäß <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen gehört China zu den fünf Mächten,<br />

die einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat innehaben. Ihn nahm seit 1945, dem<br />

Gründungsjahr, die Regierung Tschiang Kai-Schek ein. Dabei blieb es auch, als<br />

Mao Tse-tung mit seinen Kommunisten 1949 die Macht in China eroberte und<br />

Tschiang Kai-Schek sich auf die dem Festland vorgelagerte Insel Taiwan zu<br />

rückzog. Die USA lehnten es zwei Jahrzehnte lang ab, die kommunistische Re<br />

gierung Chinas anzuerkennen. Ihr Einfluß verhin<strong>der</strong>te, daß die Generalver<br />

sammlung, die diesen Punkt regelmäßig auf ihre Tagesordnung setzte, den Sitz<br />

Chinas <strong>der</strong> Regierung in Peking zusprach. Dabei war den Abstimmungen über<br />

die Sachfrage eine von den USA aus taktischen Gründen eingebrachte Verfah<br />

rensfrage vorgeschaltet. Die Generalversammlung mußte zunächst mit einfa<br />

cher Mehrheit entscheiden, ob sie die Vertretung Chinas als eine »wichtige«<br />

Frage ansehe. Wurde dies bejaht, so war anschließend gemäß Art. 18 <strong>der</strong> Char<br />

ta eine Zweidrittelmehrheit erfor<strong>der</strong>lich, um Chinas Platz in den Vereinten Na<br />

tionen Peking zuzuerkennen.<br />

Im Juli 1971 hatte Kissinger mit seiner Geheimreise nach Peking eine Annähe<br />

rung zwischen den USA und <strong>der</strong> Volksrepublik China eingeleitet. Noch aber<br />

war die US-Regierung nicht bereit, daraus die entsprechenden Konsequenzen<br />

für die Vereinten Nationen zu ziehen. Auf <strong>der</strong> Generalversammlung im Herbst<br />

1971 setzte sich die amerikanische Delegation unter ihrem agilen Chef George<br />

Bush dafür ein, die Vertretung Chinas wie<strong>der</strong>um zu einer »wichtigen« Frage er<br />

klären zu lassen. Doch diesmal verlor sie die Abstimmung über die Verfahrens<br />

frage. Folglich reichte eine einfache Mehrheit dazu aus, in <strong>der</strong> China-Frage eine<br />

20<br />

21


Wende herbeizuführen. Und prompt sprach sich am 25. Oktober 1971 die Gene<br />

ralversammlung für Peking aus. Im Plenarsaal führte <strong>der</strong> Vertreter Tansanias ei<br />

nen Freudentanz auf. Er feierte auf diese Weise den Sieg <strong>der</strong> Dritten Welt über<br />

die Supermacht USA.<br />

Die New Yorker Entscheidung besaß unmittelbare Bedeutung für die Außenpo<br />

litik <strong>der</strong> Bundesregierung. Bis dahin hatte Bonn keine diplomatischen Bezie<br />

hungen zum kommunistischen China aufgenommen, einerseits aus Rücksicht<br />

auf die USA, an<strong>der</strong>erseits gemäß <strong>der</strong> »Hallstein-Doktrin« (Peking unterhielt di<br />

plomatische Beziehungen mit <strong>der</strong> DDR). Allerdings hatte es die Bundesregie<br />

rung vermieden, die Republik auf Taiwan völkerrechtlich anzuerkennen.<br />

Bonn mußte sich nun darauf einstellen, daß unser Beitritt zu den Vereinten Na<br />

tionen die Zustimmung Pekings erfor<strong>der</strong>te, jedenfalls nicht durch ein chinesi<br />

sches Veto im Sicherheitsrat blockiert werden durfte. Für eine <strong>der</strong>artige Mög<br />

lichkeit gab es zwar keine Anhaltspunkte, jedoch fehlte es zu dieser Zeit noch<br />

an amtlichen Kanälen, über die wir präzise Informationen einholen konnten. Ich<br />

war deshalb bemüht, mit dem chinesischen Chefdelegierten Huang Hua in<br />

Kontakt zu kommen. Im Laufe des Jahres 1972 führten wir eingehende Gesprä<br />

che miteinan<strong>der</strong>, in denen ich ihm die Entspannungspolitik <strong>der</strong> Regierung<br />

Brandt, unseren geplanten Beitritt zu den Vereinten Nationen und unser Fest<br />

halten am Ziel <strong>der</strong> deutschen Einheit erläuterte. Huang Hua, <strong>der</strong> seinem Land<br />

später als Außenminister diente, beeindruckte mich als ein kluger und aufmerk<br />

samer Gesprächspartner. Interessiert und informationshungrig fragte er nach<br />

dieser und jener außenpolitischen Position <strong>der</strong> Bundesregierung. Obwohl er es<br />

vermied, mir eindeutige Zusicherungen zu geben, ließ er doch klar erkennen,<br />

daß Peking unserem geplanten Beitritt keine Schwierigkeiten bereiten werde.<br />

Neuwahl des Generalsekretärs<br />

Neben <strong>der</strong> China-Frage beanspruchte die Neuwahl des Generalsekretärs gro<br />

ße Aufmerksamkeit auf <strong>der</strong> 26. Generalversammlung. Dieses Amt hatte seit<br />

1961 <strong>der</strong> Burmese UThant inne. 1966 wurde er für eine zweite (fünfjährige)<br />

Amtsperiode wie<strong>der</strong>gewählt. Müde geworden und gesundheitlich nicht in be<br />

ster Verfassung, ließ er im Herbst 1971 wissen, daß er für eine dritte Amtszeit<br />

nicht zur Verfügung stehe. Um seine Nachfolge bewarben sich in erster Linie<br />

<strong>der</strong> Österreicher Kurt Waldheim und <strong>der</strong> Finne Max Jakobson. Beide blickten<br />

auf vielfältige Erfahrungen in den Vereinten Nationen zurück. Außer ihnen be<br />

saß Carlos de Rozas, Ständiger Vertreter Argentiniens in New York, gute Aus<br />

sichten, gewählt zu werden. Er erfreute sich hohen Ansehens unter den Dele<br />

gationen.<br />

Nach <strong>der</strong> Charta wird <strong>der</strong> Generalsekretär von <strong>der</strong> Generalversammlung er<br />

nannt, doch muß er zuvor die Hürde des Sicherheitsrats nehmen. Dieser muß<br />

die Ernennung mit einer Mehrheit von mindestens neun Stimmen empfehlen,<br />

wobei alle fünf Ständigen Mitglie<strong>der</strong> ein zustimmendes Votum abgeben müs<br />

sen. An <strong>der</strong> letztgenannten Bedingung scheiterten zunächst alle drei genann<br />

ten Kandidaten. Jakobson erschien insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Sowjetunion als zu unab<br />

hängig und für ihre Interessen zu wenig aufgeschlossen. <strong>Der</strong> sowjetische Chef-<br />

delegierte Malik war stets darauf bedacht, daß <strong>der</strong> Generalsekretär nicht selbst<br />

ständig Politik machte. Vermutlich kalkulierte die Sowjetunion auch ein, daß Ja<br />

kobson von den arabischen Staaten als recht israelfreundlich angesehen wur<br />

de. De Rozas, von den Staaten <strong>der</strong> dritten Welt und ebenso von den Westmäch<br />

ten gut gelitten, scheint ebenfalls für die Sowjetunion nicht akzeptabel gewesen<br />

zu sein. Er wäre wohl ein eigenwilliger, für die Großmächte manchmal unbeque<br />

mer Generalsekretär geworden.<br />

Das Veto gegen Waldheim im 1. und 2. Wahlgang im Sicherheitsrat stammte<br />

nach allgemeiner Ansicht — ungeachtet des geheimen Abstimmungsverfah<br />

rens — von China. Dann jedoch erhielt Waldheim die erfor<strong>der</strong>lichen Stimmen.<br />

Keines <strong>der</strong> fünf Ständigen Mitglie<strong>der</strong> im Sicherheitsrat hatte letzten Endes<br />

ernsthafte Einwände gegen ihn. Von allen drei Kandidaten schien er noch am<br />

meisten Gewähr dafür zu bieten, sein Amt mit <strong>der</strong> gebotenen Neutralität auszu<br />

üben und die Interessen <strong>der</strong> Großmächte genügend zu berücksichtigen. Die<br />

Bestätigung <strong>der</strong> Wahl durch die Generalversammlung war dann kaum mehr als<br />

eine Formsache.<br />

In vielen Besprechungen, die ich im Laufe <strong>der</strong> Jahre mit ihm führte, zeigte sich<br />

Waldheim immer kenntnisreich und wienerisch-liebenswürdig. Hatte <strong>der</strong> kraft<br />

volle Dag Hammarskjöld versucht, seine Amtsbefugnisse extensiv auszulegen,<br />

um die Vereinten Nationen trotz des Ost-West-Gegensatzes zu einem starken<br />

Instrument für die Friedenssicherung auszubauen, so ließ es sich Waldheim<br />

angelegen sein, nicht in einen Gegensatz zur Mehrheitsmeinung in New York<br />

zu geraten. Desgleichen schien es ihm als dem Staatsbürger eines zwar neu<br />

tralen, aber <strong>der</strong> politischen Kultur nach zum Westen gehörigen Landes geboten<br />

zu sein, nicht den Verdacht einer zu großen politischen Nähe zum Westen auf<br />

kommen zu lassen. Dennoch blieb ihm nicht erspart, daß Sowjetbotschafter<br />

Malik ihn in einer öffentlichen Sitzung daran erinnerte, daß es die souveränen<br />

Staaten und zumal die fünf Ständigen Mitglie<strong>der</strong> des Sicherheitsrat seien, die<br />

in den Vereinten Nationen den Ton anzugeben hätten.<br />

Fragen <strong>der</strong> Informationsfreiheit<br />

Als dritten Fall, <strong>der</strong> intensive Beobachtung verdiente, will ich den Entwurf nen<br />

nen, den die Sowjetunion auf <strong>der</strong> Generalversammlung 1972 für eine internatio<br />

nale Konvention über Direktübertragungen durch Fernsehsatelliten einbrachte.<br />

Kaum überraschend zur damaligen Zeit, zeichnete sich <strong>der</strong> Entwurf vor allem<br />

durch strenge Verbote und durch »Gummiparagraphen« aus, die <strong>der</strong> Sowjet<br />

union jede ihr genehme Interpretation erlaubten. Direkte Übertragungen von<br />

Fernsehsendungen mittels Satellit, so hieß es im Entwurf, seien illegal, wenn<br />

sie in an<strong>der</strong>e Staaten ohne <strong>der</strong>en Zustimmung ausgestrahlt würden, wenn sie<br />

den Frieden und die internationale Sicherheit gefährdeten, wenn sie den Men<br />

schenrechten zuwi<strong>der</strong>liefen, wenn sie sich in innerstaatliche Angelegenheiten<br />

einmischten o<strong>der</strong> wenn sie die Öffentlichkeit falsch informierten. In allen diesen<br />

Fällen von »Illegalität« sollte den betroffenen Staaten ein Recht auf Abwehrmaß<br />

nahmen zustehen.<br />

22<br />

23


Botschafter Malik kämpfte um diesen Entwurf wie ein Löwe. Jeden Kompromiß<br />

lehnte er ab. Seinen Stellvertreter, <strong>der</strong> bei den Beratungen im Ausschuß ein be<br />

grenztes Entgegenkommen zeigte, pfiff er zurück. Er wußte nur zu gut, daß das<br />

Machtmonopol seiner Partei, <strong>der</strong> KPdSU, nicht zuletzt auf ihrem Informations<br />

monopol beruhte.<br />

Es war unverkennbar, daß die Annahme eines <strong>der</strong>artigen Entwurfs den freien<br />

Informationsfluß behin<strong>der</strong>n und den künftigen Einsatz von Satelliten für Fern<br />

sehsendungen erschweren, wenn nicht für viele Staaten unmöglich machen<br />

würde. Die Sowjetunion vermochte sich mit ihrem Entwurf denn auch nicht<br />

durchzusetzen. Allerdings waren die Angriffe auf die Informationsfreiheit damit<br />

nicht ein für allemal erledigt. Das Thema hat die Vereinten Nationen und ihre<br />

Son<strong>der</strong>organisationen, in erster Linie die UNESCO, seither wie<strong>der</strong>holt beschäf<br />

tigt.<br />

Die Gründe für den späten deutschen Beitritt<br />

Alle diese Aktivitäten nicht nur zu beobachten, son<strong>der</strong>n bei ihrer Beratung voll<br />

mitzuwirken, lag sicherlich im Interesse <strong>der</strong> Bundesregierung. Jedoch kam die<br />

Mitgliedschaft lange Zeit praktisch nicht in Frage. Denn einerseits war klar, daß<br />

die Sowjetunion einen Bonner Aufnahmeantrag mit ihrem Veto im Sicherheits<br />

rat blockieren würde, solange nicht die gleichzeitige Aufnahme <strong>der</strong> DDR ge<br />

währleistet war; und an<strong>der</strong>erseits war es für die Bundesregierung zwei Jahr<br />

zehnte lang nicht vorstellbar, die Teilung <strong>Deutschland</strong>s als eine Tatsache anzu<br />

erkennen, wie dies mit dem Beitritt von zwei deutschen Staaten zu den Verein<br />

ten Nationen unvermeidlich verbunden war.<br />

Dies än<strong>der</strong>te sich entscheidend erst mit <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> Regierung<br />

Brandt/Scheel im Oktober 1969. Zugrunde lag dem neuen Kurs die Erkenntnis,<br />

daß die bis dahin verfolgte Wie<strong>der</strong>vereinigungspolitik in eine Sackgasse gera<br />

ten war. We<strong>der</strong> hatte die Nichtanerkennung <strong>der</strong> DDR verhin<strong>der</strong>n können, daß<br />

diese seit Mitte <strong>der</strong> sechziger Jahre eine gewisse, wenn zunächst auch be<br />

grenzte Aufwertung in <strong>der</strong> nichtkommunistischen Welt erfuhr. Noch bestand ir<br />

gendeine vernünftige Aussicht, daß das Ziel <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> staatli<br />

chen Einheit <strong>Deutschland</strong>s allein mit Hilfe von NATO-Kommuniques und welt<br />

weiten diplomatischen Demarchen zu erreichen sein würde. Im Gegenteil: die<br />

Grenze entlang <strong>der</strong> Elbe hatte sich im Laufe <strong>der</strong> Jahre verfestigt, und für die<br />

Menschen in beiden Teilen <strong>Deutschland</strong>s wurde es immer schwieriger, ihre Ver<br />

bindungen untereinan<strong>der</strong> aufrechtzuerhalten. Um diesen Prozeß zu stoppen,<br />

mußten neue <strong>Weg</strong>e beschritten werden.<br />

Zwei weitere, nicht min<strong>der</strong> wichtige Faktoren kamen hinzu. Zu Beginn <strong>der</strong> sech<br />

ziger Jahre hatte <strong>der</strong> amerikanische Präsident KennedySchritte zu einer Über<br />

windung des kalten Krieges eingeleitet. Wollte Bonn international nicht isoliert<br />

werden, mußte es sich mit eigenen Initiativen am Abbau <strong>der</strong> Spannungen betei<br />

ligen. Das hieß in erster Linie, ein neues Verhältnis zu den Staaten Osteuropas<br />

herzustellen. Dieses Ziel ließ sich aber nicht erreichen, solange die Staatlich<br />

keit <strong>der</strong> DDR für Bonn ein Tabu darstellte und solange die Frage <strong>der</strong> O<strong>der</strong>-Nei<br />

ße-Grenze ausgeklammert blieb.<br />

<strong>Der</strong> dritte, meist zu wenig beachtete Grund lag in <strong>der</strong> angestrebten Fortentwick<br />

lung <strong>der</strong> Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu einer Politischen Union,<br />

die in <strong>der</strong> Lage war, international geschlossen zu handeln. Daß <strong>Deutschland</strong><br />

nicht notwendigerweise für immer geteilt bleiben würde und die Bundesregie<br />

rung auf das Ziel <strong>der</strong> staatlichen Einheit nicht verzichtete, wurde von den Part<br />

nern Bonns hingenommen, vielleicht nicht immer leichten Herzens. Daß die<br />

Bundesregierung aber prinzipiell an dem Fortbestand <strong>der</strong> deutschen Grenzen<br />

von 1937 festhielt — von Grenzen, notabene, die seinerzeit von keiner ausländi<br />

schen Macht bestritten und nur von Hitler mißachtet wurden —, dies mußte sich<br />

auf Dauer als Hemmnis für die europäische Einigung erweisen. Durfte man<br />

wirklich erwarten, daß unsere Partner einer politischen Union mit <strong>der</strong> Bundes<br />

republik zustimmen würden, wenn sie dadurch Gefahr liefen, für eine Ände<br />

rung <strong>der</strong> bestehenden Grenzen Polens eintreten zu müssen?<br />

Alle drei Gründe machten es unaufschiebbar, daß Bonn neue <strong>Weg</strong>e in seiner<br />

<strong>Deutschland</strong>politik und in seinen Beziehungen zu den osteuropäischen Staa<br />

ten einschlug. Die Bundesregierung mußte sich bereit finden, die Existenz des<br />

zweiten deutschen Staates, <strong>der</strong> DDR, offiziell zur Kenntnis zu nehmen; und sie<br />

mußte auf ihren Anspruch verzichten, die einzige Vertreterin des deutschen<br />

Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sein. Das war schmerzlich, aber<br />

nicht zu umgehen. Die Bereitschaft, zusammen mit <strong>der</strong> DDR in die Vereinten<br />

Nationen einzutreten, ergab sich als logische Folge aus <strong>der</strong> neuen Politik.<br />

<strong>Der</strong> Beitritt konnte allerdings nur das letzte Glied in einer langen Kette von Ver<br />

einbarungen sein. Zuerst galt es, wie Bundeskanzler Brandt dem DDR-Mini<br />

sterpräsidenten Stoph bei ihrem Kasseler Treffen im Mai 1970 erläuterte, das<br />

Grundverhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten vertraglich zu regeln.<br />

Die Vereinten Nationen sollten nicht zu einer Bühne für die »querelles allemandes«<br />

gemacht werden. Wichtiger noch: Bonn wollte den sehnlichen<br />

Wunsch <strong>der</strong> DDR, endlich die allgemeine internationale Anerkennung zu errei<br />

chen, dafür ausnutzen, wenigstens ein Minimum an innerdeutscher Freizügig<br />

keit auszuhandeln. Ferner war das Berlin-Problem zu berücksichtigen. Keines<br />

falls durfte die DDR eine Handhabe erhalten, sich unter Berufung auf ihre Sou<br />

veränität und die Anerkennung durch die Staatengemeinschaft, auf die sie sich<br />

nach dem UN-Beitritt stützen konnte, dem freien Zugang nach Berlin zu wi<strong>der</strong><br />

setzen. Das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin mußte deshalb ebenfalls vor<br />

dem gemeinsamen UN-Beitrittabgeschlossen sein.<br />

Bis zur Klärung all dieser Fragen setzte die Bundesregierung ihre Bemühun<br />

gen fort, die internationale Anerkennung <strong>der</strong> DDR zu verhin<strong>der</strong>n. Doch besaß<br />

diese Politikjetzt einen streng instrumentalen Zweck und war zeitlich begrenzt.<br />

Es sollte damit Druck auf die DDR ausgeübt werden, einem vernünftigen<br />

Grundlagenvertrag zuzustimmen.<br />

<strong>Der</strong> Streit um »Wiener Formel« und »Alle-Staaten-Formel«<br />

Jahrelang wurde im System <strong>der</strong> Vereinten Nationen um die Formel gestritten,<br />

nach welcher zur Teilnahme an einer weltweiten Konferenz o<strong>der</strong> zur Zeichnung<br />

einer internationalen Konvention eingeladen wird. Es gab zwei Standardklau-<br />

24<br />

25


sein. Nach <strong>der</strong> »Wiener Formel« hatte <strong>der</strong> UN-Generalsekretär alle Staaten ein<br />

zuladen, die den Vereinten Nationeno<strong>der</strong> einer ihrerSon<strong>der</strong>organisationen an<br />

gehörten o<strong>der</strong> die dem Statut des Internationalen Gerichtshofs beigetreten wa<br />

ren. Dies traf auf die <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> zu, bis Ende 1972 aber nicht<br />

auf die DDR, die erst zu diesem Zeitpunkt in eine Son<strong>der</strong>organisation, die<br />

UNESCO, aufgenommen wurde (und daraufhin eine offizielle Beobachtermis<br />

sion in New York errichten konnte). Die »Alle-Staaten-Formel« war hingegen<br />

nicht streng definiert. Sie bürdetedem Generalsekretär die Verantwortung auf,<br />

in strittigen Fällen zu entscheiden, ob ein bestimmtes Territorium o<strong>der</strong> eine Be<br />

freiungsbewegung als ein Staat im völkerrechtlichen Sinne zu betrachten und<br />

demgemäß einzuladen sei. <strong>Der</strong>artige Entscheidungen hätten üblicherweise in<br />

<strong>der</strong> politischen Verantwortung <strong>der</strong> Generalversammlung, und nichtdes Gene<br />

ralsekretärs, liegen müssen. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten versuchten<br />

jedoch stets, die »Alle-Staaten-Formel« durchzusetzen, weil sie hofften, dann<br />

den Generalsekretär zur Einladung <strong>der</strong> international nichtallgemein anerkann<br />

ten DDR drängen zu können.<br />

Dieser Streit spielteauf <strong>der</strong> Generalversammlung des Jahres 1971 eine große<br />

Rolle, als <strong>der</strong> Kreis <strong>der</strong> Staaten bestimmt werden mußte, die zu <strong>der</strong> ersten inter<br />

nationalen Umweltkonferenzin Stockholm eingeladen werden sollten. Auch bei<br />

dieser Gelegenheit auf die Annahme <strong>der</strong> »WienerFormel« hinzuwirken, bildete<br />

einen ebenso wichtigen wie schwierigen Auftrag unserer Beobachtermission.<br />

So manche Delegation zögerte, sich bei dem »unpolitischen« Thema Umwelt<br />

noch einmal für Bonn stark zu machen und für die »Wiener Formel« zu stim<br />

men, zumal ja die Bundesregierung inzwischen selber nicht mehr die Staatlich<br />

keit <strong>der</strong> DDR bestritt. Die Sowjetunion drohte mit einem Boykott <strong>der</strong> Stockhol<br />

mer Konferenz, falls die »Wiener Formel« angenommen und demzufolge die<br />

DDR nicht eingeladen würde. War es zu verantworten, wegen des Streits um<br />

die Einladungsformel — unddas hieß praktisch um die Einladung <strong>der</strong> DDR —<br />

die Universalität <strong>der</strong> Konferenz aufs Spiel zu setzen? Die Bundesregierung<br />

stellte als Kompromiß in Aussicht, daß, wenn schon nicht die DDR als solche,<br />

doch ihre Experten zur Konferenz eingeladenwerden könnten. Die DDR jedoch<br />

lehnte jeden Kompromiß ab.<br />

Schließlich stimmte die Generalversammlung mitklarer Mehrheitfür die »Wie<br />

ner Formel«. Alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Beobachtermission hatten sich für diesen Ab<br />

stimmungserfolg abgerackert. In ihrem Werben gegenüber den an<strong>der</strong>en Dele<br />

gationen hatten sie immer wie<strong>der</strong> gebeten, den schwebenden Prozeß <strong>der</strong><br />

deutsch-deutschen Verhandlungen, an <strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> gemeinsame Beitritt zu<br />

den Vereinten Nationen stehen sollte, nicht durch einevorzeitige Anerkennung<br />

o<strong>der</strong> Aufwertung <strong>der</strong> DDR zu stören. Ebenso hatten sie erläutert, daß unsere<br />

Bereitschaft, mit dem eigenen Beitritt zugleich die Mitgliedschaft <strong>der</strong> DDR in<br />

den Vereinten Nationen zu akzeptieren, keinen Wi<strong>der</strong>spruch zu dem fortbeste<br />

henden Ziel <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung bedeutete. Die Bundesregierung hatte ja<br />

nicht erst 1973 anläßlich des UN-Beitritts, son<strong>der</strong>n bereits 1970 bei Abschluß<br />

des deutsch-sowjetischen Vertrages im sogenannten Brief zur deutschen Ein<br />

heit ihrZiel bekräftigt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken,<br />

in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wie<strong>der</strong>er<br />

langt.<br />

Ich möchte an dieser Stelle einfügen, daß die <strong>Deutschland</strong>frage eines <strong>der</strong> Stan<br />

dardthemen war, wann immer ich Gespräche mit meinen ausländischen Kolle<br />

gen führte. Viele Delegierte <strong>der</strong> Dritten Welt versicherten mir, für unseren<br />

Wunsch nach Wie<strong>der</strong>vereinigung volles Verständnis zu haben. Nur konnten sie<br />

sich nicht recht vorstellen, was sie denn zur Erreichung dieses Zieles beitragen<br />

sollten. Manche von ihnen schienen ungeduldig den Tag herbeizusehnen, an<br />

dem ihre Regierung diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehmen konnte,<br />

ohne noch unseren Zorn fürchten zu müssen. Das war nicht überraschend.<br />

Dagegen nahmen Gespräche mit Osteuropäern mitunter einen für mich uner<br />

warteten Verlauf. So bekam ich von diesem und jenem Missionschef aus Ost<br />

europa als seine persönliche Meinung zu hören, die Teilung <strong>Deutschland</strong>s sei<br />

unnatürlich und werde nicht unbegrenzt fortbestehen. Es sei aber unumgäng<br />

lich, daß Bonn ersteinmal die DDR anerkenne. Dadurch werde mehr Bewe<br />

gungsspielraum für die europäische Politik gewonnen, würden neue Perspekti<br />

ven eröffnet. Nur wenig verhüllt klang in dieser Einschätzung die Erwartung<br />

mit, daß in Europa Verhältnisse geschaffen werden könnten, die nicht nur zu ei<br />

ner Wie<strong>der</strong>vereinigung <strong>Deutschland</strong>s, son<strong>der</strong>n vor allem zu nationaler Unab<br />

hängigkeit ihrer eigenen Län<strong>der</strong> führen würden.<br />

Die Vertretung Berlins in den Vereinten Nationen<br />

Bei <strong>der</strong> Vorbereitung des Beitritts stellten sich drei Son<strong>der</strong>probleme. Würden<br />

durch unsere Mitgliedschaft die Rechte und Verantwortlichkeiten berührt wer<br />

den, welche die Vier Mächte in bezug auf Berlin und <strong>Deutschland</strong> als Ganzes<br />

besaßen? Wie würde die Vertretung Berlins geregelt werden? Welche Bedeu<br />

tung mußten wir den Artikeln 53 und 107 <strong>der</strong> UN-Charta, den sogenannten<br />

Feindstaatenklauseln, beimessen?<br />

Die Berlin-Frage hatte imSystem <strong>der</strong> Vereinten Nationen oftzu Schwierigkeiten<br />

und Reibereien geführt. AufGrund sowjetischer Interventionen hatte General<br />

sekretär UThant den Mitglie<strong>der</strong>n des UN-Sekretariats Ende <strong>der</strong> sechziger Jah<br />

re untersagt, an Tagungen <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Stiftung für Entwicklungslän<strong>der</strong> in<br />

Berlin teilzunehmen. Wie<strong>der</strong>holt hatte die Sowjetunion dagegen protestiert,<br />

daß Experten aus Berlin als Mitglie<strong>der</strong>einer Delegation <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

zu einer Tagung im Rahmen <strong>der</strong> UN-Familie angemeldet wurden.<br />

Hier mußte vor dem Beitritt soweit wie möglich Klarheit geschaffen werden. Im<br />

Auftrag <strong>der</strong> Bundesregierung übergab ich Generalsekretär Waldheim zusam<br />

men mit unserem Aufnahmeantrag vom 13. Juni 1973 eine Berlin-Note. Darin<br />

teilte Bundesaußenminister Scheel mit, daß die <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong>,<br />

in Übereinstimmungmit<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Alliierten Kommandantur erteilten Geneh<br />

migung, die Rechte und Pflichten aus <strong>der</strong> UN-Charta auch für Berlin (West)<br />

übernehme und die Interessen von Berlin (West) in den Vereinten Nationen und<br />

ihren Nebenorganen vertreten werde. Diese Note wurde als offizielles Doku<br />

ment veröffentlicht und allen Mitgliedstaaten zur Kenntnis gebracht.<br />

Nicht, daß damit alle Schwierigkeiten beseitigt waren. Moskau und Ost-Berlin<br />

gaben ihre Politik <strong>der</strong> Nadelstiche nichtso rasch auf. Ichbekam dies zu spüren,<br />

wenn ich mit dem Rechtsberater im UN-Sekretariat darüber stritt, ob die beiden<br />

26<br />

27


Teile Berlins in den Jahrbüchern und Statistiken <strong>der</strong> Vereinten Nationen recht<br />

lich in gleicher Weise behandelt würden. Diese Auseinan<strong>der</strong>setzungen be<br />

schäftigten michbiszu meinem letzten Arbeitstag in New York.<br />

Die Frage ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und<br />

<strong>Deutschland</strong> als Ganzes wurde zwischen den Vier Mächten ohnegroße Mühe<br />

beantwortet. In einer gemeinsamen Erklärung vom 9. November 1972, später<br />

ebenfalls als Dokument <strong>der</strong> Vereinten Nationen veröffentlicht, stellten sie fest,<br />

daß sie die Aufnahmeanträge <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> und <strong>der</strong> Deut<br />

schen Demokratischen Republik, sobald diese gestellt wären, unterstützen<br />

würden, daß aber ihre Rechte und Verantwortlichkeiten hierdurch nicht berührt<br />

würden. Für Bonn besaß diese Erklärung einen doppelten Wert. Sie bestätigte<br />

nichtnur, daß die deutsche Frage offen blieb;sie stellte auch klar, daß die Rech<br />

te <strong>der</strong> drei Westmächte in Berlin und ihr freier Zugang zu dieser Stadt (einschlielich<br />

<strong>der</strong> Luftkorridore) voll gewahrt wurden.<br />

Die Feindstaatenklauseln<br />

In <strong>der</strong> innenpolitischen Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen den Parteien des Bun<br />

destages, dieden Beitritt begleitete, gaben die sogenannten Feindstaatenklau<br />

seln <strong>der</strong> UN-Charta einen Streitpunkt ab. Die praktische Bedeutung dieser<br />

Klauseln wurde dabei meist überschätzt, möglicherweise infolge einer Nei<br />

gung, internationale politische Probleme allzusehr durch eine juristische Brille<br />

zu betrachten. Wenn einzelne Politiker als Bedingung für unseren Beitritt gar<br />

dievorherige Abschaffung <strong>der</strong> Feindstaatenklauseln, alsoeine Charta-Reform,<br />

verlangten, so versteckte sich dahinter wohl eher <strong>der</strong> Versuch, den Beitritt auf<br />

den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.<br />

In Wahrheit eignen sich die Feindstaatenklauseln eher für eine historisch-völ<br />

kerrechtliche Dissertation, als daß sie heute noch Gewicht für die internationa<br />

len Beziehungen besäßen (o<strong>der</strong> 1973 besessen hätten). Zur Sache istfestzu<br />

halten, daßArtikel 53 und 107 die Siegermächte des 2. Weltkriegs von <strong>der</strong> Be<br />

achtung bestimmter Charta-Verpflichtungen freistellen, wenn sie glauben, ge<br />

gen einen<strong>der</strong> Feindstaaten des 2. Weltkriegs »Maßnahmen wegen Wie<strong>der</strong>auf<br />

nahme <strong>der</strong>Angriffspolitik« (Art. 53) o<strong>der</strong>»Kriegsfolgemaßnahmen« (Art. 107) er<br />

greifen zu sollen. Keineswegs schaffen die Artikel eineeigene Rechtsgrundla<br />

ge für Kriegsfolgemaßnahmen o<strong>der</strong>für Interventionen <strong>der</strong>Siegermächte.<br />

Außer <strong>Deutschland</strong> gelten als Feindstaaten im Sinne <strong>der</strong> Charta noch Bulga<br />

rien,Finnland, Italien, Japan, Rumänien undUngarn. Keiner dieser Staaten hat<br />

beiseinerAufnahme in dieVereinten Nationen eine Erklärung zuden Artikeln<br />

53 und 107 abgegeben. Sie alle hielten es vielmehr für offenkundig, daß mit ih<br />

rem Beitritt die beiden Artikel für sie obsolet geworden waren, zumal Art. 2 <strong>der</strong><br />

Charta ausdrücklich von dem Grundsatz <strong>der</strong> souveränen Gleichheit aller Mit<br />

glie<strong>der</strong> spricht.<br />

Politisch gesehen ist <strong>der</strong> ganze seinerzeit überdieses Thema geführte Streit<br />

ein Sturm im Wasserglas gewesen. In den seithervergangenen Jahren haben<br />

die Feindstaatenklauseln in den Außenbeziehungen <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> denn<br />

auch keine Rolle gespielt. Man kann es den Vereinten Nationen getrost selber<br />

überlassen, ob sie dieses historische Relikt weiter mitschleppen wollen.<br />

<strong>Der</strong> Beitritt<br />

Die Bundesregierung legte auf einen möglichst normalen Ablauf des Beitritts<br />

verfahrens Wert. Mit dem Gedanken, eine Son<strong>der</strong>-Generalversammlung zur<br />

Aufnahme <strong>der</strong> beiden deutschen Staaten einzuberufen, wie dies zeitweilig von<br />

osteuropäischer Seite ins Gespräch gebracht wurde, wollte sie sich nicht an<br />

freunden. Nachdem die vielfältigen Vorfragen geklärt waren, nachdem <strong>der</strong> Si<br />

cherheitsrat sich am 22. Juni 1973 zustimmend mit den beiden Aufnahmeanträ<br />

gen befaßt hatte, konnte <strong>der</strong> Beitrittzu Beginn <strong>der</strong> jährlichen Herbstsitzung <strong>der</strong><br />

Generalversammlung geschäftsmäßig ablaufen.<br />

Die Aufnahmezeremonie verlief sehr eindrucksvoll. Im großen Saal wurde all<br />

gemeiner Beifall laut, als <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> Generalversammlung, <strong>der</strong> Kolum<br />

bianer Leopoldo Benites, den Eintritt <strong>der</strong> beiden deutschen Staaten in die Ver<br />

einten Nationen verkündete. Die beiden Delegationen, unter Führung ihrer Au<br />

ßenminister Walter Scheel und Otto Winzer, hatten die Prozedur auf Besucher<br />

sitzen am Rande des Saalesverfolgt. Nun wurden sie vom Protokollchef <strong>der</strong> UN<br />

zu ihren Plätzen inmitten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Delegationen geleitet. Nach allgemei<br />

nem Urteil stellte <strong>der</strong> deutsche Doppelbeitritt eines <strong>der</strong> herausragenden Ereig<br />

nisse <strong>der</strong> 28. Generalversammlung dar.<br />

In seiner Rede, mit <strong>der</strong> er auf die zahlreichen Begrüßungsansprachen vor dem<br />

Weltforum antwortete, erläuterte Außenminister Scheel die Gründe, die einer<br />

Mitgliedschaft zu einem früheren Zeitpunkt entgegen gestanden hatten. Er<br />

machte deutlich, daß <strong>der</strong> Doppelbeitritt nicht das Ende aller Hoffnungen <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsche</strong>n bedeute, eines Tages wie<strong>der</strong> in einem geeinten Staat zu leben. Mit<br />

Nachdruck versicherte Scheel, daß die <strong>Bundesrepublik</strong> überall dort tatkräftig<br />

und in <strong>der</strong> ersten Reihe mitarbeiten werde, wo es um die Würde des Menschen<br />

gehe, um seine Befreiung von leiblicher Not und um sein Recht auf menschen<br />

würdige Existenz.<br />

Eine Woche später, am 26. September 1973, hielt Bundeskanzler Brandt eine<br />

vielbeachtete Rede in <strong>der</strong> Generalversammlung. Als Träger des Friedensnobel<br />

preises war er in New York gut bekannt. Wie schon Außenminister Scheel, stell<br />

te Brandt die Hoffnung <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n auf Wie<strong>der</strong>erlangung ihrer staatlichen<br />

Einheit heraus, betonte aber zugleich, daß die Bundesregierung die Vereinten<br />

Nationen nicht als Klagemauer für deutsche Probleme betrachten wolle. Unter<br />

Hinweis auf leidvolle Erfahrungen in Europa warnte er die Völkergemeinschaft<br />

vor einem egoistischen, zerstörerischen Nationalismus. Nationen fänden ihre<br />

Sicherheit nicht mehr in <strong>der</strong> isolierten Souveränität, son<strong>der</strong>n in einer größeren<br />

Gemeinschaft. Brandt erläuterte die Bemühungen um Entspannung in Europa<br />

und drückte die Hoffnung aus, daß das wachsende Gewicht <strong>der</strong> Europäischen<br />

Gemeinschaft sich vorteilhaft für die Vereinten Nationen auswirken werde.<br />

28<br />

29


Mitwirkung <strong>der</strong> Delegation in <strong>der</strong> 28. Generalversammlung<br />

Nach diesenbeiden Redenbegannfür unsereDelegation <strong>der</strong> Alltag. Jetzt kam<br />

es daraufan, auf <strong>der</strong> Basis<strong>der</strong> allgemeinen Prioritäten <strong>der</strong> BonnerAußenpolitik<br />

eine Linie zu verfolgen, die durch Glaubwürdigkeit zu überzeugen vermochte<br />

und Vertrauen schaffte. Wenn die Delegation Profil gewinnen wollte, durfte sie<br />

Kontroversen nichtaus dem <strong>Weg</strong>egehen. Im großenund ganzen istdiese Auf<br />

gabe während <strong>der</strong> 28. Generalversammlung gelöst worden.<br />

<strong>Der</strong> Beginn <strong>der</strong>aktiven Mitarbeit bereitete unskeine nennenswerten Schwierig<br />

keiten. Es zahlte sich aus, daß die Beobachtermission mit Thematik und Ar<br />

beitsweise <strong>der</strong> Vereinten Nationen seit Jahren vertraut war. Wir hatten uns dar<br />

auf vorbereitet, zu allen wichtigen Fragen <strong>der</strong> 110 Punkte, dieauf<strong>der</strong>Tagesord<br />

nung <strong>der</strong> 28. Generalversammlung standen, Stellung zu nehmen. Zu nennen<br />

sindinsbeson<strong>der</strong>e diefriedenserhaltenden Operationen (Entsendung von Frie<br />

denstruppen in Krisengebiete) und die Friedensforschung, die Abrüstung, die<br />

Nutzung des Meeresbodens unddes Weltraums, dieEntwicklungshilfe und die<br />

Dekolonisation, ferner die Informationsfreiheit, die Menschenrechte und die<br />

Beseitigung je<strong>der</strong> Form von rassischerDiskriminierung. Die Delegation scheu<br />

te sich nicht, gegebenfalls ihre von <strong>der</strong> Mehrheit abweichende Überzeugung<br />

vorzutragen. Vor allem machte sie deutlich, daß <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> friedlichen<br />

Lösung von Konflikten für die <strong>Bundesrepublik</strong> übergeordnete Bedeutung habe.<br />

Gewalt als Mittel zur Erreichung politischerZiele sei abzulehnen. Ausnahmen<br />

seien nicht zulässig, auch nicht im Nahen Osten o<strong>der</strong> im Südlichen Afrika.<br />

Außenminister Scheelhattediedrei im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag vertretenen Frak<br />

tionen eingeladen, sich mit Abgeordneten an <strong>der</strong> Delegation zu beteiligen. Da<br />

hinterstand die Absicht, unser Land durcheine breit gefächerte nationale Dele<br />

gation repräsentiert zu sehen und so die neu erworbene UN-Mitgliedschaft in<br />

allen Teilen<strong>der</strong> Bevölkerung fest zu verwurzeln. Lei<strong>der</strong> hielt die löbliche Absicht<br />

<strong>der</strong> rauhen Wirklichkeit nicht stand. Verständlicherweise richteten dieAbgeord<br />

netenihre Tätigkeit in ersterLinie an den(innen-)politischen Zielen ihrer jeweili<br />

gen Fraktion aus und fühlten sich nicht an Weisungen <strong>der</strong> Regierung gebun<br />

den. Das Experiment ist in <strong>der</strong> Folgezeit nicht wie<strong>der</strong>holt worden.<br />

Wahl in Gremien mit begrenzter Mitgliedschaft<br />

Neben <strong>der</strong> Generalversammlung und ihren sieben Hauptausschüssen,in de<br />

nen stets alle Mitgliedstaaten Sitz und Stimme haben, gibt es in den Vereinten<br />

Nationen zahlreiche Gremien mitbegrenzter Mitglie<strong>der</strong>zahl. Am bekanntesten<br />

ist <strong>der</strong> Sicherheitsrat, <strong>der</strong> ursprünglich 11 Mitglie<strong>der</strong> umfaßte und seit seiner Er<br />

weiterung im Jahr 1965 bis heute 15 Mitglie<strong>der</strong> zählt. Seine zehn nichtständi<br />

gen Mitglie<strong>der</strong> werden von <strong>der</strong> Generalversammlung für eine Dauer von zwei<br />

Jahrengewählt. Für dieWahl ist eingenauer geographischer Schlüssel festge<br />

legt. Schon im ersten Jahr ihrer Mitgliedschaft in den Sicherheitsrat einzutre<br />

ten, kam fürdie <strong>Bundesrepublik</strong> nicht in Betracht. Wohl aber gelang es ihrauf<br />

<strong>der</strong> 28. Generalkonferenz, inden Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) undei<br />

nige seiner Unterorgane sowie in die Kommission für das Internationale Han<br />

delsrecht (UNCITRAL), ferner in einige kleinere Ausschüsse gewählt zu wer-<br />

'<br />

den. Dennoch blieb hier zunächst ein Nachholbedarf bestehen, <strong>der</strong> erst im Lau<br />

fe <strong>der</strong> Jahre ausgeglichen werden konnte.<br />

Ähnlich lagen die Dinge hinsichtlich des deutschen Personals im UN-Sekreta<br />

riat. Gemäß dem für die <strong>Bundesrepublik</strong> bei ihrem Beitritt festgesetzten Bei<br />

tragsschlüssel (7,1% des UN-Haushalts) stand unseine Quote von 100 bis 130<br />

Stellen zu. Wie leicht einzusehen war, war es we<strong>der</strong> einfach, sofort geeignete<br />

deutsche Bewerberzu finden, noch möglich, imSekretariat zusätzliche Stellen<br />

zu schaffen o<strong>der</strong> vorhandene Stellen für die neu ankommenden <strong>Deutsche</strong>n<br />

freizumachen. Auf Grund einer Vereinbarung mit dem Generalsekretär wurde<br />

zu Beginn des Jahres 1974 einekleine Kommission des Sekretariats nach Bonn<br />

entsandt, die mit<strong>der</strong> Bundesregierung praktische <strong>Weg</strong>ezur Rekrutierung deut<br />

schen Personals erörtete und auch schon erste Vorstellungsgespräche mitqua<br />

lifizierten Bewerbern führte. DieLösung des Problems zog sich allerdings län<br />

gere Zeit hin.<br />

Inden Monaten unmittelbar vor dem deutschen Beitritt war in den Wandelgän<br />

gen des UN-Gebäudes eine Diskussion darüber entstanden, obJapan und die<br />

<strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhalten<br />

sollten. Ließ sich zu diesem Zweck eine Kategorie von ständigem Sitz ohne Ve<br />

torecht schaffen? Mein japanischer Kollege fand das Ziel erstrebenswert und<br />

versuchte, meine Unterstützung zu gewinnen. Bonn verhielt sich zum Glück<br />

kühl und schwieg. Es war vorauszusehen, daß die Diskussion ins Abseits füh<br />

ren würde. Allenfalls war sie geeignet, Befürchtungen unserer westeuropäi<br />

schen Partner vor einer neuen deutschen Großmannssucht zu wecken.<br />

Schon damals — ähnlich wie heute — hielten <strong>der</strong>artige Ideen einer nüchternen<br />

Analyse nicht stand. Den Sicherheitsrat durch neueständige Mitglie<strong>der</strong> erwei<br />

tern heißt die Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen än<strong>der</strong>n. Jede Verfassungsände<br />

rung aber muß von zwei Dritteln <strong>der</strong> Mitgliedstaaten beschlossen und ratifiziert<br />

werden. Schon damals war klar,daß die Staaten <strong>der</strong> Dritten Welt nicht an einer<br />

Stärkung des westlichen, son<strong>der</strong>n ihres eigenen Einflusses interessiert waren.<br />

Län<strong>der</strong> wie Indien, Pakistan und Indonesien, Nigeria, Ägypten und Brasilien<br />

würden wegen ihrer Bevölkerungszahl o<strong>der</strong> ihrer weltpolitischen Bedeutung<br />

o<strong>der</strong> auch nur aus Gründen <strong>der</strong> Rivalität einen ständigen Platz im Sicherheits<br />

rat beanspruchen, falls Japan o<strong>der</strong>die<strong>Bundesrepublik</strong> einsolchesZiel verfolg<br />

te. Außerdem würde jede <strong>der</strong> fünf regionalen Gruppen in den UN eifersüchtig<br />

darüberwachen, bei einer Erweiterung des Sicherheitsrats die angemessene<br />

Anzahl zusätzlicher Sitze zu erhalten. Wäre aber ein auf mindestens 25 Mitglie<br />

<strong>der</strong> erweiterter Sicherheitsrat noch arbeitsfähig, noch zu raschem Handeln in<br />

<strong>der</strong> Lage? Es war also nicht Verantwortungsscheu, son<strong>der</strong>n nüchterne Ein<br />

schätzung <strong>der</strong> Realitäten, die Bonn zu großer Zurückhaltung in dieser Frage<br />

veranlaßte.<br />

Das Abstimmungsverhalten <strong>der</strong> Delegation<br />

In den Vereinten Nationen und ihren Son<strong>der</strong>organisationen werden Entschlie<br />

ßungen oft durch Akklamation o<strong>der</strong> im Konsens angenommen. 77mal wurde<br />

auf <strong>der</strong> 28. Generalversammlung namentlich abgestimmt. DieStatistiker haben<br />

30<br />

31


T<br />

festgehalten, daß unsere Delegation hierbei 34mal mit Ja und 3mal mit Nein<br />

stimmte, während sie sich in den übrigen 40 Fällen <strong>der</strong> Stimme enthielt. Die<br />

häufige Stimmenthaltung läßt den Verdacht von Unentschlossenheit aufkom<br />

men. Dieser Eindruck ist vor<strong>der</strong>gründig. Meistens handelte es sich um Ent<br />

schließungen (zumeist von Delegationen <strong>der</strong> Dritten Welt eingebracht), die wir<br />

in ihrer allgemeinen Zielrichtung, etwa hinsichtlich <strong>der</strong> Beendigung von rassi<br />

scher Diskriminierung in Südafrika, voll billigten, die aber in einzelnen Ab<br />

schnitten, etwa hinsichtlich <strong>der</strong> Beseitigung von rassischer Diskriminierung<br />

»mit allen Mitteln«, für uns nicht annehmbar waren. In <strong>der</strong>artigen Fällen ist es<br />

gebräuchlich, Stimmenthaltung zu üben. Die Delegation kann dann nach <strong>der</strong><br />

Abstimmung die Gründefür ihrVerhalten ineiner geson<strong>der</strong>ten Erklärung erläu<br />

tern. Dieses Verfahren ist von den europäischen Partnern Bonns in gleicher<br />

Weise und in ungefähr demselben Umfang wievon uns gewähltworden.<br />

Im Rückblick erscheint dieser <strong>Weg</strong> dennoch nicht sehr befriedigend. Im ge<br />

nannten Fall werden we<strong>der</strong> die afrikanischen Delegationen durch unsere<br />

Stimmenthaltung zufrieden gestellt, noch kommt unsere Ablehnung von Ge<br />

walt als Mittel zur Lösung politischerProbleme deutlich genug zum Ausdruck.<br />

Auch ist<strong>der</strong>eigenenÖffentlichkeit schwer begreiflich zu machen, warum nicht<br />

eindeutig mit Ja o<strong>der</strong> Nein gestimmt wurde. Auf Dauer wird deshalb zu prüfen<br />

sein, ob die Delegation nicht eine Nein-Stimme abgeben sollte, wenn eine Ent<br />

schließung ein Mixtum compositum von begrüßenswerten Zielen und abzuleh<br />

nenden Methoden enthält. Dieser <strong>Weg</strong> wird in <strong>der</strong> Praxis um so eher beschrit<br />

ten werden können, je mehr es gelingt, hierfür die Unterstützung aller Mitglie<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft zu finden.<br />

Regionale Gruppen und europäische politische Zusammenarbeit<br />

Die Gesamtheit <strong>der</strong> Mitgliedstaaten glie<strong>der</strong>t sich in New York in fünf regionale<br />

Gruppen. Diese Gruppenbildung verfolgtvorallem den Zweck, bei <strong>der</strong> Wahlfür<br />

Gremien mit begrenzterMitglie<strong>der</strong>zahl und bei<strong>der</strong> BesetzungvonPosten(Aus<br />

schußvorsitz, Berichterstatter usw.) für eine gleichmäßige geographische Ver<br />

teilung zusorgen. Erhebliches Gewicht besitzendie regionalen Gruppenferner<br />

bei <strong>der</strong> politischen Meinungsbildung und <strong>der</strong> Koordinierung des Abstimmungs<br />

verhaltens unter den Delegationen. Neben den fünf regionalen Gruppen, die<br />

fest in <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Vereinten Nationen verankert sind,gibtes überlappenddie<br />

»Gruppe <strong>der</strong>77«, auch die Gruppe<strong>der</strong> »Ungebundenen« genannt. DieserBlock<br />

umfaßt alle Entwicklungslän<strong>der</strong> und verfügt über rund 100 Stimmen. Verhand<br />

lungen über Resolutionsentwürfe werden oft vonGruppezu Gruppe geführt.<br />

Unter den fünf regionalen Gruppen ist die westliche (offiziell als »Gruppe <strong>der</strong><br />

westeuropäischen und an<strong>der</strong>en Staaten«bezeichnet) beson<strong>der</strong>s heterogen zu<br />

sammengesetzt. Da gibt es Län<strong>der</strong>, die Mitglied <strong>der</strong> NATO sind, wie Belgien<br />

und die USA; an<strong>der</strong>e, die neutralsind, wieÖsterreich, Schweden und Finnland;<br />

Län<strong>der</strong>, die sich dem Lager <strong>der</strong> »Ungebundenen« zugehörig fühlen, wie Malta<br />

und Zypern; endlich die pazifischen Staaten Australien und Neuseeland. Infol<br />

ge ihrerHeterogenitätkommen in<strong>der</strong> westlichen Gruppe meist nur Absprachen<br />

über die Besetzung von Posten zustande. Ein geschlossenes politisches Auf<br />

treten und eine einheitliche Stimmabgabe herbeizuführen, so wie dies in den<br />

an<strong>der</strong>en Gruppen die Regel ist, gelang in <strong>der</strong> westlichen Gruppe fast nie.<br />

Als sehr fruchtbar wirkte sich unter diesen Umständen aus, daß die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Europäischen Gemeinschaft im Herbst 1970 einen Beschluß über ihre politi<br />

sche Zusammenarbeit (EPZ) gefaßt und hierüber ein formelles Dokument an<br />

genommen hatten. Schon in <strong>der</strong> Vorbereitung auf die 28. Generalversammlung<br />

hatten sich die »Neun« (außer den sechs Gründungsmitglie<strong>der</strong>n des Gemein<br />

samen Marktes damals Dänemark, Großbritannien und Irland) intensiv bera<br />

ten. Während <strong>der</strong> drei Monate <strong>der</strong> Herbstsitzung trafen ihre Delegationen auf<br />

dieser und jener Ebene fast täglich zusammen. Informationen wurden ausge<br />

tauscht, Stellungnahmen koordiniert, gemeinsame Erklärungen formuliert und<br />

ein einheitliches Abstimmungsverhalten besprochen. Auch wenn mal die eine,<br />

mal die an<strong>der</strong>e Delegation <strong>der</strong> »Neun« ein Son<strong>der</strong>interesse geltend machte und<br />

infolgedessen eine völlig gemeinsame Linienicht gewahrt wurde, so gehört die<br />

enge und vertrauensvolle Konsultation<strong>der</strong> »Neun«für mich doch zu den beson<br />

<strong>der</strong>s erfreulichen Entwicklungen während meiner drei New Yorker Jahre. Die<br />

zunehmende Geschlossenheit <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft<br />

fand rasch bei den an<strong>der</strong>en Gruppen Beachtung. Verschiedentlich stimmten<br />

an<strong>der</strong>e Delegationen ihr Vorgehen mit den »Neun« ab o<strong>der</strong> richteten sich bei<br />

Abstimmungen gar an diesen aus.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Vereinten Nationen im 4. Nahost-Krieg<br />

Während im Plenarsaal noch die Generaldebatte lief, bei <strong>der</strong>, wie stets, zahlrei<br />

che Außenminister aus allen fünf Erdteilen das Wort ergriffen, brach am 6. Okto<br />

ber 1973 überraschend <strong>der</strong> 4. Nahost-Krieg aus. Ägyptische Einheiten über<br />

querten den Suez-Kanal und drangen auf die seit 1967 von Israel besetzte, zu<br />

Ägypten gehörende Sinai-Halbinsel vor. Ich war just an diesem Tage, einem<br />

Samstag, zur Mittagsstunde zu einem Treffen mit dem saudischen Außenmini<br />

ster Saqqaf in seinem New Yorker Hotel verabredet. Unser Gespräch sollte ei<br />

ner Erörterung <strong>der</strong> deutsch-saudischen Beziehungen dienen, wandte sich je<br />

doch rasch den neuen Ereignissen zu. Mehrmals lief <strong>der</strong> Außenminister aus<br />

dem Zimmer, um mit seiner Regierung zu telephonieren und sich die letzten<br />

Nachrichten über die Entwicklung am Suez-Kanal geben zu lassen. Die Frage<br />

beschäftigte uns, wie angesichts des neuen Ausbruchs von Feindseligkeiten<br />

schließlich doch eine dauerhafte, friedliche Lösung des Nahost-Konflikts er<br />

reicht werden könnte.<br />

Die Rolle, welche die Vereinten Nationen in diesem Krieg spielten, lieferte ein<br />

bemerkenswertes Beispiel für die Machtlosigkeit <strong>der</strong> Weltorganisation ebenso<br />

wie für ihre Möglichkeiten bei <strong>der</strong> Beendigung eines bewaffneten Konflikts.<br />

Zwei Tage nach Ausbruch des Krieges wurde <strong>der</strong> Sicherheitsrat zu einer Sit<br />

zung einberufen. Doch die Erörterungen in diesem Gremium erschöpften sich<br />

in wechselseitigen Anklagen und in Hinhaltemanövern. Offenkundig war <strong>der</strong><br />

Sicherheitsrat ohne vorherige Verständigung zwischen den beiden Super<br />

mächten nicht handlungsfähig. Diese aber wollten den Verlauf <strong>der</strong> Kämpfe erst<br />

einige Zeit abwarten. Sie schienen auf entscheidende Vorteile für ihren jeweili<br />

gen Schützling zu hoffen. Deshalb kam ein Aufruf an die Konfliktparteien zur<br />

32<br />

33


Feuereinstellung nicht zustande. <strong>Der</strong> Sicherheitsrat mußte seine ergebnislos<br />

gebliebene Sitzung bald vertagen. Erst als sich nach wechselvollen Kämpfen<br />

auf dem Sinai die beiden Supermächte auf Bedingungen für die Beendigung<br />

des Waffengangs geeinigt hatten, erst als zwischen ihnen ein Aktionsplan für<br />

den Sicherheitsrat vereinbart war, konnte dieser wie<strong>der</strong> einberufen werden.<br />

Jetzt endlich verabschiedete er eine Resolution mit dem Aufruf zur Feuerein<br />

stellung. Volle zwei Wochen waren seit <strong>der</strong> ersten Sitzung verstrichen.<br />

Nun aber zeigte sich, daß die beiden Supermächte trotz <strong>der</strong> zwischen ihnen er<br />

zielten Einigung nicht willens o<strong>der</strong> nicht in <strong>der</strong> Lage waren, ohne den Sicher<br />

heitsrat zu handeln. Mit dem Siegel <strong>der</strong> Legitimität vermochten nur die Verein<br />

ten Nationen die Auffor<strong>der</strong>ung zur Feuereinstellung zu versehen. Nur diese wa<br />

ren in <strong>der</strong> Lage, eine Friedenstruppe und Beobachter in die Krisenregion zu<br />

entsenden, welche die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen sollten.<br />

In <strong>der</strong> Generalversammlung waren <strong>der</strong> Nahost-Konflikt und seine Folgen ein<br />

Dauerthema. Zum Teil ging es dabei um materielle Hilfen für palästinensische<br />

Flüchtlinge, vornehmlich aber um politische Anklagen wegen <strong>der</strong> israelischen<br />

Praktiken in den 1967 besetzten arabischen Gebieten. In diesen Debatten be<br />

währte sich wie schon oft zuvor eine arabisch-afrikanische Zweckallianz, die<br />

auf <strong>der</strong> Basis gegenseitiger Unterstützung im Nahost-Konflikt bzw. bei <strong>der</strong> Ver<br />

urteilung <strong>der</strong> Apartheidpolitik in Südafrika seit mehreren Jahren bestand. Un<br />

sere Delegation wahrte in diesen Auseinan<strong>der</strong>setzungen Zurückhaltung und<br />

stimmte gegen Resolutionen, die einseitige Verurteilungen enthielten. Propa<br />

gandistische Attacken gegen eineangebliche politische Achse, dievon Südafri<br />

ka über das damalige Rhodesien und über Portugal bis Israel reichen sollte,<br />

wiesen wir zurück. Praktische Hilfsmaßnahmen für palästinensische Flüchtlin<br />

ge wurden von uns bereitwillig unterstützt. Hervorgehoben sei, daß sich die<br />

Bundesregierung am Transport von Kontingenten <strong>der</strong> Friedenstruppe beteilig<br />

te, die auf Beschluß des Sicherheitsrats in den Nahen Osten entsandt wurde.<br />

<strong>Der</strong> Abschluß <strong>der</strong> 28. Generalversammlung<br />

Nach den ersten drei Monaten Mitgliedschaft, am Ende <strong>der</strong> Herbstsitzung, zo<br />

gen wir Bilanz. Die Delegation hatte ihren Willen zu konkreter, sachlicher Mitar<br />

beit bewiesen und ihre Haltung zu vielen politischen wie wirtschaftlichen<br />

Grundsatzfragen deutlich gemacht. Ihre Stellungnahmen wurden von den an<br />

<strong>der</strong>en Delegationen mit Aufmerksamkeit verfolgt. Das Gewicht <strong>der</strong> Europäi<br />

schen Gemeinschaft in New York war durch den deutschen Beitritt verstärkt<br />

worden. Die Delegation hatte für sich viele neue, wertvolle Erfahrungen sam<br />

meln können, die ihr bei späteren Sitzungen zugute kommen mußten. Hatte sie<br />

bei ihrem ersten Auftreten laute Töne zu Recht vermieden, so hatte sie doch<br />

auch gelernt, daß Klappern nicht nur dem Sprichwort zufolge, son<strong>der</strong>n ganz be<br />

son<strong>der</strong>s auf <strong>der</strong> New Yorker Bühne zum Handwerk gehört.<br />

Die Kontakte zur Delegation <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Demokratischen Republik, die ne<br />

ben uns saß, kamen in den ersten Monaten über einige belanglose Worte selten<br />

hinaus. Beide Seiten vermieden polemische Auseinan<strong>der</strong>setzungen. Von Kon<br />

sultationen in Sachfragen war man in dieser Anfangsphase noch weit entfernt.<br />

Mein DDR-Kollege Peter Florin und ich begegneten einan<strong>der</strong> ebenso höflich<br />

wie distanziert. In Gesprächen mit an<strong>der</strong>en Delegationen ließ ich es mir übri<br />

gens nicht nehmen, die Verschränkung <strong>der</strong> beiden deutschen Staaten gele<br />

gentlich durch den Hinweis zu erläutern, daß Florin aus Köln am Rheinstamm<br />

te, ich hingegen aus Berlin.<br />

Nicht immer ginges beimeinerArbeit um große Politik, nicht immer spielte sie<br />

sich auf offener Bühne ab. Noch während meinerZeit als Ständiger Beobachter<br />

hatte ich Generalsekretär Waldheim gebeten, sich bei dem Mitglied Guineas im<br />

Sicherheitsrat für die Freilassung eines in Guinea inhaftierten deutschen Ex<br />

perten zu verwenden. Dieser Experte, Adolf Marx aus Aachen, warim Novem<br />

ber 1970verhaftet worden. Man beschuldigte ihn, zusammen mitan<strong>der</strong>en an ei<br />

nem Komplott zum Sturz des Staatspräsidenten Sekou Toure beteiligt gewesen<br />

zusein. Angeblich hatteAdolf Marx seine Beteiligung an demUmsturzversuch<br />

gestanden. Ein Gericht verurteilte ihn zumTode. Späterwurde das Urteil in le<br />

benslängliche Zwangsarbeit »abgemil<strong>der</strong>t«. Es gab jedoch zuverlässige Hin<br />

weise dafür, daß die Anschuldigungen von dritter Seite lanciert worden waren.<br />

Als Waldheim im Februar 1974 zu einer Afrikareise aufbrach, die ihn auch nach<br />

Guinea führen sollte, bat ich ihn, sich bei Sekou Toure noch einmal für Adolf<br />

Marx zu verwenden. Waldheim nahm die Bitte auf, stieß bei Sekou Toure zu<br />

nächst aber aufwenig Gegenliebe. Immerhin warjetztein persönlicher Kontakt<br />

hergestellt. Darauf ließ sich aufbauen. In einer Besprechung mit mir erklärte<br />

sich Waldheim nach Rückkehr von seiner Afrikareise bereit, seinen Presse<br />

sprecher Andre Lewin, einen französischen Diplomaten, als seinen Son<strong>der</strong>be<br />

auftragtenim April 1974 nach Conakry zu schicken. Ersolltedie Bemühungen<br />

zur Freilassung von Marx fortsetzen. Lewin, mitallen Einzelheiten und Hinter<br />

gründen des Falles vertraut gemacht, erwies sich als ein geschickter Unter<br />

händler. In ständiger enger Absprache mit uns gelang es ihm zwar nicht im er<br />

sten Anlauf, aber dann bei einer zweiten Reise im Juli 1974, Marx sowie zwei<br />

weitere inhaftierte <strong>Deutsche</strong> freizubekommen. Hier trug die stille Diplomatie<br />

reiche Frucht.<br />

6. Son<strong>der</strong>sitzung <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

Die durch den 4. Nahost-Krieg ausgelöste erste große Erdölkrise führte zu er<br />

heblichen Störungen in <strong>der</strong> Weltwirtschaft. Die Entwicklungslän<strong>der</strong>, die von<strong>der</strong><br />

Vervierfachung des Rohölpreises am härtesten betroffen wurden, drängten<br />

deshalb auf eine Son<strong>der</strong>sitzung <strong>der</strong> Generalversammlung. Diese wurde unter<br />

dem Thema »Rohstoffe und Entwicklung« für die Zeit vom 9. April bis 2. Mai<br />

1974einberufen. Unisono for<strong>der</strong>ten die Entwicklungslän<strong>der</strong> eine neue Weltwirt<br />

schaftsordnung, dieeine gerechtereVerteilung <strong>der</strong> Güterdieser Erde, eine Um<br />

verteilung des wirtschaftlichen Wohlstands in <strong>der</strong>Welt und gesicherte Rohstoff<br />

preise bringen sollte.<br />

Verlauf und Ergebnis <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>sitzung waren wenig befriedigend. Bei allen<br />

Beratungen und bei<strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> Schlußdokumente nutztedie Drit<br />

te Welt ihre Mehrheit (rund 100 von 135 Stimmen) dazu aus, ihre For<strong>der</strong>ungen<br />

und Texte ungeschmälertdurchzubringen. Vorbehalte und Einwände <strong>der</strong> Indu-<br />

34<br />

35


strielän<strong>der</strong> wurden kaum berücksichtigt. <strong>Der</strong>en Appelle, keine unrealistischen<br />

For<strong>der</strong>ungen zu stellen, verhallten ungehört. Zu groß war bei <strong>der</strong> »Gruppe <strong>der</strong><br />

77« die Verbitterung darüber, daß alle bilateralen und multilateralen Entwick<br />

lungsprogramme den großen Abstand zwischen arm und reich in <strong>der</strong> Welt nicht<br />

verringert hatten.<br />

Durch Konsens wurden am Ende <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>sitzung eine Grundsatzerklärung<br />

über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung und ein Aktionspro<br />

gramm verabschiedet. Letzteres enthielt einen breiten Katalog von wirtschaftli<br />

chen For<strong>der</strong>ungen an die Industrielän<strong>der</strong>, ferner ein Son<strong>der</strong>programm mit Maß<br />

nahmen auf handeis-, finanz- und währungspolitischem Gebiet zugunsten je<br />

ner Entwicklungslän<strong>der</strong>, die unter <strong>der</strong> Erdölkrise am stärksten zu leiden hatten.<br />

Für sie wurde außerdem die Errichtung eines Son<strong>der</strong>fonds beschlossen.<br />

Ich habe die Son<strong>der</strong>sitzung in keiner guten Erinnerung. In den Debatten<br />

herrschte meist ein hitziger, vorwurfsvoller Ton. <strong>Der</strong> Konsens, mit dem die bei<br />

den Schlußdokumente angenommen wurden, vermochte nicht darüber hinweg<br />

zutäuschen, wie gegensätzlich, ja unvereinbar die Positionen von Industrieund<br />

Entwicklungslän<strong>der</strong>n geblieben waren. Man hatte einen Scheinkonsens<br />

erreicht. Die Entwicklungslän<strong>der</strong> hatten dank ihrer Stimmenmehrheit zwar alle<br />

ihre For<strong>der</strong>ungen zu Papier bringen können, aber sie besaßen keine Möglich<br />

keit, die Beschlüsse in die Tatumzusetzen. Sie waren <strong>der</strong> Tendenz erlegen, den<br />

Schein (d.h. eine angenommene Resolution) für die Wirklichkeit zunehmen.<br />

Ebenso verdient allerdings die Haltung <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong> Kritik. Um des lie<br />

ben Friedens willen stimmten sie den von ihnen nicht wirklich gebilligten<br />

Schlußdokumenten zu. Anschließend gaben sie ihre Vorbehalte zu Protokoll<br />

und lösten so den Konsens de facto wie<strong>der</strong> auf. Dieses Vorgehen half letzten<br />

Endes keiner Seite. Es entsprach nicht <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach einem aufrichtigen<br />

Dialog mit den Entwicklungslän<strong>der</strong>n.<br />

<strong>Der</strong> Westen, auch dies muß gesagt werden, sollte trotz des unbefriedigenden<br />

Ergebnisses <strong>der</strong> 6. Son<strong>der</strong>sitzung nicht <strong>der</strong> Versuchung erliegen, sich eine all<br />

zu vor<strong>der</strong>gründige Kritik <strong>der</strong> Vereinten Nationen zu eigen zu machen. Die Ab<br />

stimmungsmehrheiten in New York entsprechen zwar nicht den realen Macht<br />

verhältnissen auf <strong>der</strong> Erde. Aber sie spiegeln den Unmut <strong>der</strong> Dritten Welt über<br />

die krassen Unterschiede zwischen armen und reichen Län<strong>der</strong>n wi<strong>der</strong>. Die<br />

Rufe nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung werden deshalb nicht verstum<br />

men. Die <strong>Weg</strong>e zu diesem Ziel, wie sie von den Entwicklungslän<strong>der</strong>n vorge<br />

schlagen werden, mögen utopisch und unrealistisch sein. Eine bessere Welt<br />

wirtschaftsordnung läßt sich nicht per Dekret schaffen. Doch <strong>der</strong> Westen wird<br />

mit dieser For<strong>der</strong>ung konfrontiert bleiben, solange nicht ein gründlicher Wandel<br />

vollzogen ist.<br />

Wenige Wochen nach dem Ende <strong>der</strong> 6. Son<strong>der</strong>sitzung <strong>der</strong> Generalversamm<br />

lung wurde ich nach Bonn zurückberufen, um im Auswärtigen Amt eine neue<br />

Aufgabe zu übernehmen. Drei Jahre bei den Vereinten Nationen, wie erschei<br />

nen sie im Rückblick? In einem wichtigen Abschnitt unserer Außenpolitik hatte<br />

ich an einem <strong>der</strong> Zentren <strong>der</strong> Weltpolitik wirken können. Den Beitritt unseres<br />

Landes vorbereitet und mitvollzogen zu haben, dies bildete gewiß den Höhe<br />

punkt <strong>der</strong> drei Jahre. Unser Land war mit offenen Armen aufgenommen und<br />

herzlich begrüßt worden. Die Weltorganisation erwartete eine aktive, ideenrei<br />

che Mitarbeit von uns. Eswar nicht leicht, diesen Erwartungen gerecht zu wer<br />

den, jaeswar unvermeidlich, daß manche Hoffnungen enttäuscht wurden, auf<br />

unserer wie auf<strong>der</strong>an<strong>der</strong>en Seite. Aber auch bei Konflikten ließen sich nahezu<br />

alle Delegationen vom Geist einer vertrauensvollen Zusammenarbeit leiten.<br />

Man empfand sich als eine große Familie. Trotz vieler Unvollkommenheiten in<br />

denVereinten Nationen war zuspüren, daßdort ein Gefühl für diegemeinsame<br />

Verantwortung für das Geschehen auf unserem Erdball herrschte. Zu vielen<br />

Kollegen aus aller Welt habe ich in jener Zeit persönliche Beziehungen herge<br />

stellt, die sich inspäteren Jahren bewährten.<br />

Mein kurzer Rückblick wäre nicht vollständig, wenn ich nicht meine Freude aus<br />

drückte, drei Jahre in New York, dieser wahrhaft kosmopolitischen Stadt, gelebt<br />

zuhaben. Ihre Menschen und ihre kulturelle Fülle haben mich sehr bereichert.<br />

<strong>Der</strong>Wert <strong>der</strong> multilateralen Zusammenarbeit<br />

Skeptiker äußern oft Zweifel, ob die Vereinten Nationen denn eine nützliche Ar<br />

beit leisten und ob unser eigenes Land Vorteile aus ihrer Arbeit zieht. Diese<br />

Skeptiker haben nicht ausnahmslos unrecht. Nur machen sie essich mit ihren<br />

Zweifeln zu einfach. Eshat wenig Sinn, die Vereinten Nationen entwe<strong>der</strong> ideahstisch-verklärend<br />

in den Himmel zu heben o<strong>der</strong>sie herablassend-geringschät<br />

zig zu verdammen. Sie sind we<strong>der</strong> eine effiziente Weltregierung noch eine blo<br />

ße Quasselbude. Sie sind eine Notwendigkeit. Auch für uns.<br />

In unserer Welt, die dank mo<strong>der</strong>ner Verkehrsmittel und Nachrichtentechnik im<br />

mer enger zusammenwächst, gibt es zahllose Entwicklungen, die in an<strong>der</strong>en<br />

Kontinenten ihren Ursprung haben und nach <strong>Deutschland</strong> hineinwirken. Man<br />

denke an das Drogenproblem, an die Abholzung <strong>der</strong> tropischen Regenwäl<strong>der</strong><br />

im Amazonas-Becken, an das Ozonloch über <strong>der</strong> Antarktis, an dieVerschmut<br />

zung <strong>der</strong> Meere mit ihren verheerenden Folgen für die Meeresbiologie. Man<br />

denke an die beiden großen Erdölkrisen und an unsere Abhängigkeit von aus<br />

ländischen Rohstoffen. Man denke an das Bevölkerungswachstum in <strong>der</strong> Drit<br />

ten Welt und andie steigende Anzahl von Menschen, die wegen politischer Ver<br />

folgung o<strong>der</strong> aus wirtschaftlicher Not bei uns Zuflucht suchen. Für alle diese<br />

Probleme müssen Lösungen in <strong>der</strong> multilateralen Zusammenarbeit gesucht<br />

werden. Bilaterale o<strong>der</strong>gar rein nationale Rezepte reichen hier nicht aus.<br />

Daß die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft auf eine enge Zusammenar<br />

beit untereinan<strong>der</strong> angewiesen sind, leuchtet <strong>der</strong> großen Mehrheit <strong>der</strong> Deut<br />

schen heute ein, Wohlstand und Stabilität nach dem 2. Weltkrieg haben wir<br />

dem Zusammengehen mit unseren Partnern nicht weniger zu verdanken als ei<br />

gener Tüchtigkeit. Daß die Zusammenarbeit auch in weltweitem Rahmen geför<br />

<strong>der</strong>t werden muß, mag als weniger dringend empfunden werden, ist deshalb<br />

aber nicht weniger notwendig. Es ist eine Illusion anzunehmen, ein einzelnes<br />

Land könne in <strong>der</strong>Gegenwart die Vorteile <strong>der</strong>internationalen Zusammenarbeit<br />

nutzen und sich gleichzeitig gegen die Übernahme von Verantwortung sperren.<br />

Gerade <strong>Deutschland</strong>, das von so vielen Nachbarstaaten umgeben ist, das in<br />

seinemWohlstand so starkvon dem Florieren seiner Exportwirtschaft abhängt<br />

36<br />

37


und infolgedessen so eng in die Weltwirtschaft verflochten ist, darf nicht in ei<br />

nen Scheuklappen-Nationalismus zurückfallen.<br />

Es ist kein Zeichen von Weitblick zu meinen, die überseeischen Län<strong>der</strong> ver<br />

dienten unsere Aufmerksamkeit einzig wegen ihrer Strände für unsere Touri<br />

sten. Und es ist naiv zu glauben, <strong>der</strong> Strom <strong>der</strong> Asylsuchenden und Flüchtlinge<br />

könne auf Dauer durch Verweigerung eines Visums o<strong>der</strong> durch Polizeiverbot<br />

o<strong>der</strong> schlimmstenfalls durch stacheldrahtbewehrte Grenzen unterbunden wer<br />

den. Eine vorausschauende, verantwortungsbewußte, auf das eigene Wohl be<br />

dachte Politik muß sich in unserer Zeit ständig um die Ursachen international<br />

auftreten<strong>der</strong> Probleme kümmern. Sie muß nicht nur die notwendigen inner<br />

staatlichen Maßnahmen ergreifen, son<strong>der</strong>n auch Lösungen in <strong>der</strong> multilatera<br />

len Zusammenarbeit finden.<br />

Zumeist werden wir nicht gewahr, in welchem Ausmaß multilaterale Organisa<br />

tionen schon heute in unseren Alltag hineinwirken, sei es beim internationalen<br />

Post- und Fernmeldeverkehr o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Luftfahrt, sei es bei <strong>der</strong> Wettervorher<br />

sage, im Gesundheitswesen o<strong>der</strong> beim Schutz geistigen Eigentums. Auf allen<br />

diesen Gebieten und ungezählten weiteren leisten die Son<strong>der</strong>organisationen<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen eine gut funktionierende Arbeit. <strong>Der</strong> Mittelpunkt aber<br />

für die weltweite Zusammenarbeit liegt in New York bei den Vereinten Nationen<br />

selber. Dies ist <strong>der</strong> Platz, an dem die Völker ihre Sorgen und Nöte artikulieren<br />

können; wo die Außenminister aus fünf Kontinenten alljährlich zu einem einzig<br />

artigen Meinungsaustausch zusammentreffen; wo Regeln und Konventionen<br />

für das Zusammenleben <strong>der</strong> Völker ausgearbeitet werden; wo nach Möglichkei<br />

ten für einen Abbau des wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälles gesucht wird; wo<br />

friedenserhaltende Operationen, wie unvollkommen auch immer, vereinbart<br />

werden.<br />

nenpolitischen Diskussion kaum noch umstritten, auch wenn sie gegenwärtig<br />

durch die Krise am Persischen Golf überschattet wird. Ich meine, wir können ei<br />

nem klaren Ja nicht mehr lange ausweichen. Dies gebietet unsere Verpflich<br />

tung fürdie Zusammenarbeit unterden Völkern undfürdie Sicherung des Frie<br />

dens. Durch unsere Mitgliedschaft in <strong>der</strong> Weltorganisation haben wir nicht nur<br />

Rechte erworben, son<strong>der</strong>n auch Pflichten übernommen.<br />

Vor dem <strong>Deutsche</strong>n Bundestag erläuterte Außenminister Scheel am 3. Oktober<br />

1973 den Beitritt <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> zu den Vereinten Nationen.<br />

»Wir wurden gezwungen«, so führte er aus, »die Introvertiertheit unserer frühe<br />

ren Außenpolitik endgültig zu verlassen und uns als Teil des universellen Gan<br />

zen zu begreifen, <strong>der</strong> seine eigenen Problemein den Zusammenhang mit<strong>der</strong><br />

Wirklichkeit bringen muß«.<br />

Dies gilt unverän<strong>der</strong>t.<br />

Ausblick<br />

Meine Erfahrungen bei den Vereinten Nationen in New York und von 1985 bis<br />

1989 als Mitglied des Exekutivrats <strong>der</strong> UNESCO in Paris haben mir immer wie<br />

<strong>der</strong> vor Augen geführt, daß die Interessen unseres Landes in <strong>der</strong> Zusammenar<br />

beit mit an<strong>der</strong>en Völkern besser aufgehoben sind als in nationaler Abkapse<br />

lung. In dem Maße, wie wir die internationale Zusammenarbeit pflegen, för<strong>der</strong>n<br />

wir zugleich das eigene Wohl. In New York wie in Paris wie in vielen an<strong>der</strong>en<br />

Städten, in denen internationale Organisationen ihren Sitz haben, wird unsere<br />

Stimme gehört, ja unser Rat gesucht, jedenfalls solange wir nicht überheblich<br />

auftreten o<strong>der</strong> als Besserwisser auftrumpfen. Ebensowenig dürfen wir uns al<br />

lerdings verstecken wollen o<strong>der</strong> in Provinzialismus verfallen. <strong>Deutschland</strong> ist<br />

nach den USA, <strong>der</strong> UdSSR und Japan <strong>der</strong> viertgröte Beitragszahler <strong>der</strong> Verein<br />

ten Nationen. Vier Jahrzehnte nach Gründung <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> und zumal<br />

jetzt als geeintes <strong>Deutschland</strong> kommen wir nicht umhin, unser volles Maß an<br />

Verantwortung im internationalen Geschehen zu tragen.<br />

Gehört zu dieser Verantwortung, daß wir unsere Bereitschaft erklären, uns an<br />

<strong>der</strong> Aufstellung von Friedenstruppen durch die Vereinten Nationen zu beteili<br />

gen, so wie sie z. B. nach Zypern entsandt worden sind? Die Frage ist in <strong>der</strong> in-<br />

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