Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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<strong>Reformation</strong><br />
<strong>Reformation</strong><br />
EINE<br />
WICHTIGE<br />
ZÄSUR<br />
Lag im Trend der Zeit: Die Verfassung der<br />
Weimarer Republik brach das „Bündnis<br />
von Thron und Altar“ auf, wenn auch nicht<br />
ganz konsequent<br />
VON STEFAN RUPPERT<br />
DR. STEFAN RUPPERT,<br />
MdB, ist Beauftragter für<br />
<strong>Kirche</strong>n und Religionsgeme<strong>in</strong>schaften<br />
der<br />
FDP-Bundestagsfraktion<br />
und Parlamentarischer<br />
Geschäftsführer<br />
Das Grundgesetz ist<br />
zu f<strong>in</strong>den unter<br />
www.bundestag.de/<br />
bundestag/aufgaben/<br />
rechtsgrundlagen/<br />
grundgesetz/<strong>in</strong>dex.html<br />
16<br />
Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) ist<br />
für die evangelischen <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
e<strong>in</strong>e besonders wichtige Zäsur <strong>in</strong> ihrem<br />
Verhältnis zum Staat. Mit der Abschaffung<br />
des landesherrlichen <strong>Kirche</strong>nregiments, dem<br />
„Bündnis von Thron und Altar“, wurde das Symbol<br />
der evangelischen Staatsnähe schlechth<strong>in</strong> beseitigt.<br />
Bei näherer Betrachtung relativiert sich<br />
dieser Befund aber e<strong>in</strong> wenig, ohne dass dieses<br />
bis heute geltende Verfassungsrecht dadurch <strong>in</strong>sgesamt<br />
an Bedeutung verliert. E<strong>in</strong>erseits hatten<br />
die evangelischen <strong>Kirche</strong>n das gesamte 19. Jahrhundert<br />
h<strong>in</strong>durch bereits um ihre eigene Verfasstheit<br />
und das rechtliche Verhältnis zum Staat<br />
gerungen. Andererseits blieben gewisse rechtliche<br />
Beziehungen auch danach erhalten, e<strong>in</strong>e<br />
gewisse „Staatsgläubigkeit“ kennzeichnete evangelische<br />
Milieus auch weiterh<strong>in</strong>.<br />
Wie nun sollte <strong>in</strong> der Weimarer Republik<br />
wenige Jahrzehnte nach der Beilegung des Kulturkampfs<br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> das Verhältnis von<br />
Staat und <strong>Kirche</strong>n aussehen? Vielen Beteiligten<br />
waren die gravierenden Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
zwischen Staat und katholischer <strong>Kirche</strong> noch<br />
lebhaft <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Weite bürgerliche Kreise,<br />
vor allem aber die Zentrumspartei und die<br />
<strong>Kirche</strong>n selbst wollten e<strong>in</strong>e erneute Eskalation<br />
eher vermeiden. Gleichzeitig lag<br />
e<strong>in</strong>e stärkere Trennung von Staat und<br />
<strong>Kirche</strong>, wie sie <strong>in</strong>sbesondere von der<br />
politischen L<strong>in</strong>ken, aber auch Teilen<br />
der Liberalen gefordert wurde,<br />
durchaus im allgeme<strong>in</strong>en Trend der<br />
Zeit. Das 14. Amendment zur Bundesverfassung<br />
von 1868 ermöglichte<br />
<strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten von Amerika<br />
die Übernahme des Trennungssystems des<br />
ARTIKEL 137<br />
(1) Es besteht ke<strong>in</strong>e Staatskirche.<br />
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und<br />
verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Schranken des für alle geltenden<br />
Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne<br />
Mitwirkung des Staates oder der<br />
bürgerlichen Geme<strong>in</strong>de.<br />
WE IM ARE R RE I CH SVE RFA SSU NG DRITTER ABSCHNITT Religion und Religionsgesellschaften<br />
W E<br />
I M A R E R<br />
ARTIKEL 173<br />
(1) Bis zum Erlaß e<strong>in</strong>es<br />
Reichs gesetzes gemäß Artikel 138<br />
bleiben die bisherigen auf Gesetz,<br />
Vertrag oder besonderen Rechts titeln<br />
beruhenden Staatsleistungen an<br />
die Religionsgesellschaften<br />
bestehen.<br />
R E I C H SVERFASSUNG DRITTER ABSCHNITT<br />
Religion und Religionsgesellschaften<br />
ARTIKEL 138<br />
(1) Die auf Gesetz, Vertrag<br />
oder besonderen Rechtstiteln<br />
beruhenden Staatsleistungen an die<br />
Religionsgesellschaften werden durch<br />
die Landesgesetzgebung abgelöst.<br />
Die Grundsätze hierfür stellt<br />
das Reich auf.<br />
WEIM ARER RE ICHSVE RFA SSU NG DRITTER ABSCHNITT Religion und Religionsgesellschaften<br />
WESENTLICHE TEILE<br />
der Bestimmung des<br />
Verhältnisses von Staat<br />
und <strong>Kirche</strong> haben die<br />
Mütter und Väter des<br />
Grundgesetzes aus<br />
der Weimarer Reichsverfassung<br />
übernommen.<br />
Darauf<br />
verweist Art. 140 GG.<br />
Bundes auf die E<strong>in</strong>zelstaaten. In Frankreich<br />
fanden die langjährigen erbitterten<br />
Diskussionen über e<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong>stitutionelle Entflechtung<br />
von <strong>Kirche</strong> und Staat, die<br />
negative Religionsfreiheit<br />
sowie die Gleichbehandlung<br />
aller Religionsgeme<strong>in</strong>schaften<br />
e<strong>in</strong>en Abschluss<br />
mit dem Trennungsgesetz<br />
von 1905.<br />
Wenige Jahre später wurde<br />
<strong>in</strong> der Sowjetunion<br />
durch unbeschreibliche Unterdrückung<br />
und Verfolgung<br />
jegliches <strong>Kirche</strong>nleben be<strong>in</strong>ahe<br />
ausgelöscht. Nach dem Ende des Ersten<br />
Weltkrieges drohte der Streit auch <strong>in</strong><br />
der Weimarer Republik zu eskalieren.<br />
Streitthemen waren zunächst das<br />
<strong>Kirche</strong>nsteuersystem<br />
und die Staatsleistungen<br />
an die <strong>Kirche</strong>n,<br />
wie sie zum Teil<br />
durch den Reichsdeputationshauptschluss<br />
begründet, zum Teil aber auch<br />
nachträglich e<strong>in</strong>geführt worden<br />
waren. Insbesondere die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
<strong>in</strong> Preußen um<br />
die Konfessionsschulen und den<br />
Religionsunterricht, gegen die<br />
der Volksbildungsm<strong>in</strong>ister Adolph<br />
Hoffmann (USPD) vorg<strong>in</strong>g, mobilisierten<br />
auch Widerstand. Nach<br />
Massenprotesten, Wahlerfolgen des<br />
Zentrums und dem Rücktritt Hoffmanns<br />
lenkte die SPD e<strong>in</strong>. Das<br />
Staatskirchenrecht der Weimarer<br />
Reichsverfassung führte dann zu<br />
e<strong>in</strong>er gewissen Befriedung. Die wenigen<br />
Artikel, die bekanntlich bis<br />
heute geltendes Verfassungsrecht<br />
darstellen, vollzogen e<strong>in</strong>e „h<strong>in</strong>kende<br />
Trennung“ mit entsprechenden Erfolgen<br />
für beide Konfliktparteien. Das<br />
<strong>Kirche</strong>nsteuersystem blieb genauso<br />
wie das <strong>Kirche</strong>nvermögen erhalten.<br />
Von besonderer Bedeutung für die <strong>Kirche</strong>n war<br />
<strong>in</strong>sbesondere Art. 137 Abs. 3 WRV, der den <strong>Kirche</strong>n<br />
e<strong>in</strong> Selbstbestimmungsrecht <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Schranken der für alle geltenden Gesetze gab. Die<br />
Abschaffung wichtiger staatlicher Aufsichtsrechte<br />
führte so zu e<strong>in</strong>er kirchlichen Freiheit über die<br />
Selbstbestimmung <strong>in</strong> den eigentlichen geistlichen<br />
Angelegenheiten h<strong>in</strong>aus. Bei den besonders umstrittenen<br />
Staatsleistungen proklamierte Art. 138<br />
„DIE<br />
WENIGEN<br />
ARTIKEL<br />
VOLLZOGEN<br />
EINE<br />
HINKENDE<br />
TRENNUNG.“<br />
Abs. 1 WRV e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong> Ablösungsgebot durch<br />
e<strong>in</strong>e Rahmengesetzgebung auf Reichsebene und<br />
entsprechende Ablösungsgesetze <strong>in</strong> den Ländern.<br />
Andererseits garantierte Art. 173 WRV bis zum<br />
verfassungsrechtlich nicht term<strong>in</strong>ierten Erlass<br />
dieser Gesetzgebung den vermögensrechtlichen<br />
status quo. Die Verfassung machte deutlich, dass<br />
es sich bei den Staatsleistungen nicht um e<strong>in</strong>en<br />
e<strong>in</strong>seitig durch staatliche Handlung zu beendenden<br />
„Gnadenakt“, sondern um e<strong>in</strong>en Rechtsanspruch<br />
der <strong>Kirche</strong>n handelte. Bis heute stehen<br />
e<strong>in</strong>er flächendeckenden Ablösung zahlreiche<br />
praktische Probleme, die e<strong>in</strong>malig hohe f<strong>in</strong>anzielle<br />
Belastung des Staates und e<strong>in</strong> fehlender politischer<br />
Wille entgegen. Verlässt man e<strong>in</strong>mal die<br />
historische Betrachtung, so wäre e<strong>in</strong> Dialog des<br />
Staates auf Augenhöhe mit den <strong>Kirche</strong>n über e<strong>in</strong>e<br />
faire Ablösung der Staatsleistungen im<br />
Konsens wünschenswert. Beispiele wie<br />
die Ablösung der Baulasten <strong>in</strong> Hessen<br />
s<strong>in</strong>d durchaus ermutigend.<br />
Das Verbot e<strong>in</strong>er Staatskirche <strong>in</strong><br />
Art. 137 Abs. 1 WRV beschrieb e<strong>in</strong>erseits<br />
das bereits seit der Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts bestehende Verständnis,<br />
wonach das landesherrliche <strong>Kirche</strong>nregiment<br />
ke<strong>in</strong> Teil der eigentlichen Staatsgewalt<br />
mehr se<strong>in</strong> sollte. Es musste aber nun auch die Frage<br />
nach dem eigenen Selbstverständnis und der<br />
<strong>in</strong>neren Verfasstheit der evangelischen Landeskirchen<br />
beantwortet werden. Alle evangelischen<br />
Landeskirchen gaben sich zwischen 1919 und<br />
1926 neue <strong>Kirche</strong>nverfassungen. Deren Entstehungsgeschichten<br />
waren von <strong>in</strong>tensiven Debatten<br />
um die Stellung des geistlichen Amtes („Pastorenkirche<br />
oder Laienkirche“) und die Verstärkung<br />
synodaler Strukturen bestimmt. Das Rechtsverhältnis<br />
zwischen Staat und evangelischer <strong>Kirche</strong><br />
sollte <strong>in</strong> der Weimarer Republik zusätzlich durch<br />
Staatskirchenverträge ausgestaltet werden. Bei genauerer<br />
Betrachtung ergibt sich <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong> Bild<br />
größerer Kont<strong>in</strong>uität als es die Zäsur der Weimarer<br />
Reichsverfassung zunächst suggeriert.<br />
Die Beständigkeit des <strong>in</strong> der Weimarer Reichsverfassung<br />
etablierten Verhältnisses zwischen<br />
Staat, <strong>Kirche</strong>n und Religionsgeme<strong>in</strong>schaften ist<br />
bemerkenswert. Nach me<strong>in</strong>er persönlichen Auffassung<br />
hat es sich bis heute bewährt, gerade auch<br />
weil es offen ist für e<strong>in</strong>e moderate Fortentwicklung<br />
sowie für die weltanschaulich neutrale Behandlung<br />
aller Glaubensgeme<strong>in</strong>schaften. Dieses<br />
traditionsgesättigte, jedoch nicht überkommene<br />
Religionsrecht des Grundgesetzes, das die <strong>in</strong>dividuelle<br />
und korporative Religionsfreiheit <strong>in</strong> den<br />
Vordergrund stellt, bildet im Vergleich zu strikt<br />
laizistischen Trennungssystemen zweifellos den<br />
moderneren verfassungsrechtlichen Ansatz.<br />
17<br />
FOTOS: AKG; BPB