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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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POLITIK POLITIK<br />

E<strong>in</strong>e GEDENKTAFEL an<br />

der Außenwand der<br />

Gemarker <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong><br />

Wuppertal-Barmen.<br />

Hier verabschiedeten<br />

Vertreter evangelischer<br />

<strong>Kirche</strong>n am 31. Mai<br />

1934 die Barmer Theologische<br />

Erklärung.<br />

WIDER DIE<br />

GLEICHSCHALTUNG<br />

Die Barmer Erklärung war zutiefst theologisch –<br />

und gerade deshalb hochpolitisch<br />

Wer heute durch Barmen, e<strong>in</strong>es der<br />

Stadtzentren <strong>in</strong> Wuppertal geht, wird<br />

vergeblich nach Spuren der <strong>Reformation</strong><br />

suchen. Ins Auge stechen zunächst die<br />

Folgen e<strong>in</strong>er tiefgreifenden Transformation gesellschaftlicher<br />

Wirklichkeit städtischen Lebens.<br />

Die großen evangelischen <strong>Kirche</strong>n der Stadt<br />

müssen sich den sozialen und <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Herausforderungen stellen, wollen sie nicht nur<br />

VON MARTIN ENGELS<br />

die Silhouette der Stadt zeichnen, sondern das<br />

Mite<strong>in</strong>ander der Stadt prägen.<br />

Und doch ist bis heute mit dem Namen „Barmen“<br />

auch etwas anderes verbunden: Vor 80<br />

Jahren war die Gemarker <strong>Kirche</strong> im Zentrum<br />

Barmens e<strong>in</strong> Ort, der die Lebendigkeit und gestalterische<br />

Kraft der <strong>Reformation</strong> im 20. Jahrhundert<br />

unter schwierigsten politischen und gesellschaftlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen zum Leuchten brachte.<br />

FOTOS: FERNKORN/EPD; KIRCHENKREIS WUPPERTAL<br />

Im Mai 1934 kommen Vertreter aller<br />

evangelischen <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

zur Barmer Bekenntnissynode<br />

zusammen. Über die Grenzen aller<br />

evangelischen Konfessionen h<strong>in</strong>weg<br />

widersetzen sich die 139 Delegierten,<br />

unter ihnen e<strong>in</strong>e Frau, der Gleichschaltung<br />

der evangelischen Landeskirchen<br />

durch die nationalsozialistische<br />

Diktatur. In der Konfrontation<br />

mit dem umfassenden Herrschaftsanspruch<br />

der Nationalsozialisten wird<br />

auf der Bekenntnissynode <strong>in</strong> der Gemarker<br />

<strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong> eigenes Verständnis<br />

von <strong>Kirche</strong>nleitung und <strong>Kirche</strong>nrecht<br />

formuliert und <strong>in</strong> der Barmer<br />

Theologischen Erklärung niedergeschrieben.<br />

In der Vielfalt ihrer reformierten,<br />

lutherischen und unierten<br />

Herkunft f<strong>in</strong>den die Synodalen ihre<br />

Orientierung letztlich <strong>in</strong> der reformatorischen<br />

Konzentration auf das<br />

Evangelium von Jesus Christus. Ihm<br />

alle<strong>in</strong> und dar<strong>in</strong> Gottes Zuspruch<br />

und Anspruch <strong>in</strong> allen Bereichen des<br />

Lebens wollen sie gehorchen.<br />

DIE FRAGEN HEUTE SIND<br />

DIE GLEICHEN<br />

Der Stachel des reformatorischen<br />

Denkens, der sich im 16. Jahrhundert<br />

gegen e<strong>in</strong>e römische Amtskirche und<br />

ihre Ordnung des menschlichen Lebens<br />

gerichtet hatte, aktualisiert sich<br />

1934 im Kontext auf den totalitären<br />

deutschen Staat.<br />

E<strong>in</strong>e zutiefst theologische Erklärung, die <strong>in</strong>nerhalb<br />

der evangelischen <strong>Kirche</strong> Klarheit schaffen<br />

soll, wird auf e<strong>in</strong>mal politisch. Gerade dar<strong>in</strong><br />

liegt wohl bis heute die Kraft dieser Erklärung:<br />

Sie ist von Anfang bis Ende ganz bei der theologischen<br />

Sache und doch spürt man ihr <strong>in</strong> Bibelzitat,<br />

Thesen und Verwerfungssätzen an, dass sie<br />

von der Kraft des Wortes Gottes getragen <strong>in</strong> die<br />

konkrete zeitgeschichtliche Wirklichkeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

redet.<br />

Zwischen 1934 und 2014 s<strong>in</strong>d 80 Jahre vergangen,<br />

<strong>in</strong> denen die Welt und die Menschen<br />

sich verändert haben. Fremd kommen uns die<br />

alten Bilder vor, die alte Frakturschrift macht<br />

manch schweren Text für unsere Augen schlecht<br />

lesbar und doch werden wir mit den Menschen<br />

damals durch unsere geme<strong>in</strong>same Suche nach<br />

Orientierung zusammengehalten. Die großen<br />

Herausforderungen für das Handeln von <strong>Kirche</strong><br />

und jeden e<strong>in</strong>zelnen s<strong>in</strong>d andere geworden, aber<br />

die Fragen bleiben damals wie heute die Gleichen:<br />

Wem vertraue ich?<br />

Wer bekommt <strong>Macht</strong> über<br />

me<strong>in</strong> Leben? Inwiefern ist<br />

die Gestalt und Ordnung<br />

der <strong>Kirche</strong> Ausdruck ihrer<br />

Verkündigung? Wor<strong>in</strong><br />

besteht der Auftrag<br />

der <strong>Kirche</strong>, wo liegen<br />

ihre Grenzen und wo<br />

muss sie sich abgrenzen?<br />

NUR WER WEISS,<br />

WO ER STEHT,<br />

KANN<br />

WIDERSTEHEN<br />

Im R<strong>in</strong>gen um Antworten<br />

auf diese Fragen<br />

heute kann die<br />

Barmer Theologische<br />

Erklärung ihre Kraft<br />

entfalten und herausfordern.<br />

Denn nur<br />

wer weiß, wofür er<br />

steht, kann auch widerstehen.<br />

Im Juni 2014 wird am<br />

historischen Ort der Bekenntnissynode <strong>in</strong> der<br />

Gemarker <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Barmen e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teraktive<br />

Ausstellung zur Barmer Theologischen Erklärung<br />

eröffnet. Unter dem Arbeitstitel „Zwischen<br />

Widerstand und Anpassung“ wird die Erklärung<br />

selber, ihre Wirkungsgeschichte und die<br />

orientierende Kraft ihrer Aussagen allgeme<strong>in</strong>verständlich<br />

zugänglich gemacht werden. Der<br />

Blick auf die 1934 aktualisierte und fortgeführte<br />

reformatorische Bewegung soll dabei für e<strong>in</strong><br />

tieferes Verständnis der Gegenwart sensibilisieren<br />

und Besucher<strong>in</strong>nen und Besucher e<strong>in</strong>laden,<br />

die eigene Haltung und das eigene Verhalten im<br />

Horizont der gegenwärtigen Herausforderungen<br />

zu reflektieren.<br />

Die Barmer Theologische Erklärung – ob als<br />

„Bekenntnis“ oder zeitgeschichtliches Dokument<br />

verstanden – zeigt, welche Rolle reformatorische<br />

Traditionen, der christliche Freiheitsbegriff, die<br />

Betonung der Eigenverantwortlichkeit und der<br />

Gewissensentscheidung jedes E<strong>in</strong>zelnen bei der<br />

Gestaltung e<strong>in</strong>er demokratischen, friedlichen<br />

und sozialgerechten Gesellschaft spielen kann.<br />

Zugleich nimmt sie aber auch die <strong>Kirche</strong> im<br />

21. Jahrhundert <strong>in</strong> die Pflicht, Transformationsprozesse<br />

<strong>in</strong> Staat und Gesellschaft im Vertrauen<br />

darauf mitzugestalten, was als Abschlusswort<br />

unter die Barmer Theologische Erklärung gesetzt<br />

wurde: „Verbum dei manet <strong>in</strong> aeternum“ –<br />

„Gottes Wort bleibt <strong>in</strong> Ewigkeit“.<br />

MARTIN ENGELS,<br />

Pfarrer <strong>in</strong> der<br />

Ev.-reformierten<br />

Geme<strong>in</strong>de Ronsdorf,<br />

leitet das Projekt zur<br />

Barmer Theologischen<br />

Erklärung im <strong>Kirche</strong>nkreis<br />

Wuppertal.<br />

Der Text der Barmer<br />

Theologischen Erklärung<br />

ist zu f<strong>in</strong>den unter:<br />

www.ekd.de/glauben/<br />

bekenntnisse/<br />

barmer_theologische_<br />

erklaerung.html<br />

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