Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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POLITIK<br />
PROF. DR. HEINRICH<br />
BEDFORD-STROHM<br />
ist Landesbischof<br />
der Evangelisch-<br />
Lutherischen <strong>Kirche</strong><br />
<strong>in</strong> Bayern.<br />
„Zweiter Stellenbosch-<br />
Konsens“, zu f<strong>in</strong>den unter<br />
http://web.ev-akademietutz<strong>in</strong>g.de/cms/fileadm<strong>in</strong>/<br />
content/Die%20Akademie/<br />
Aktuelles/pdf/Der_Zweite_<br />
Stellenbosch_Konsens_<br />
Endfassung.pdf<br />
> Wir stehen vor der Aufgabe, den Wohlstand<br />
so neu zu def<strong>in</strong>ieren und die wirtschaftlichen<br />
Mechanismen so zu verändern, dass unser gutes<br />
Leben nicht länger auf der Zerstörung der Erde<br />
beruht.<br />
Der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz<br />
haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>sam veröffentlichten<br />
Erklärung zu dem Gipfel Rio plus 20 im<br />
Juni 2012 festgestellt:<br />
„Für uns Christen geht es bei Fragen von Umwelt<br />
und Entwicklung immer zugleich um den<br />
Menschen als Gottes Ebenbild und um die Bewahrung<br />
der uns von Gott anvertrauten Schöpfung.<br />
Die ethischen Grundlagen des Leitbilds<br />
der nachhaltigen Entwicklung f<strong>in</strong>den im Schöpfungsglauben<br />
sowie <strong>in</strong> der biblischen Vision der<br />
Gerechtigkeit e<strong>in</strong>e tiefe Verankerung.<br />
Die Deutsche Bischofskonferenz<br />
und der Rat der <strong>Evangelische</strong>n<br />
<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
erwarten daher, dass auch die<br />
diesjährige Rio-Konferenz am<br />
Pr<strong>in</strong>zip der Nachhaltigkeit anknüpft. Für e<strong>in</strong>e<br />
zukunftsgerechte Gesellschaftsgestaltung müssen<br />
ökonomische Prozesse sozial und ökologisch<br />
verträglich gestaltet werden.“<br />
Man wird sagen müssen, dass der Rio-Gipfel<br />
<strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht die Erwartungen nicht erfüllt<br />
hat. Der entscheidende Grund dafür war die<br />
mangelnde Verknüpfung der ökologischen Fragen<br />
mit den Forderungen sozialer Gerechtigkeit.<br />
Die armen Länder konnten den notwendigen<br />
hohen Umweltstandards für e<strong>in</strong>e globalisierte<br />
Wirtschaft nicht zustimmen, weil sie mit ihren<br />
sich entwickelnden Wirtschaften an diesen Standards<br />
ohne weltweiten Ressourcenausgleich nur<br />
hätten scheitern können. Sie wären gegenüber<br />
den weit entwickelten Ländern mit ihren ausgereiften<br />
Umwelttechnologien wie <strong>Deutschland</strong><br />
e<strong>in</strong>mal mehr die Verlierer gewesen. Nur wenn es<br />
gel<strong>in</strong>gt, die ärmeren Länder dazu <strong>in</strong> die Lage zu<br />
versetzen, bei e<strong>in</strong>er globalisierten Wirtschaft mit<br />
hohen Umweltstandards mitzuhalten, wird die<br />
nächste Konferenz erfolgreicher se<strong>in</strong>.<br />
Um e<strong>in</strong>e Verständigung über Leitplanken des<br />
Umsteuerns <strong>in</strong> der Weltwirtschaft zu gew<strong>in</strong>nen,<br />
die sowohl die ökologische Herausforderungen<br />
annehmen als auch das Thema soziale Gerechtigkeit<br />
mite<strong>in</strong>beziehen, trafen sich im Februar<br />
2013 Repräsentant<strong>in</strong>nen und Repräsentanten<br />
der EKD-Sozialkammer und der <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong><br />
Südafrika sowie Ökonomen und Vertreter anderer<br />
Professionen aus beiden Ländern – zu ihnen<br />
gehörte auch der deutsche „Wirtschaftsweise“<br />
Prof. Dr. Peter Bof<strong>in</strong>ger – zu e<strong>in</strong>er Konsultation<br />
<strong>in</strong> Stellenbosch/Südafrika. Der nach e<strong>in</strong>er<br />
früheren Konsultation zur Globalisierung nun<br />
„GOTT HÄLT DIE<br />
WELT IN DER HAND,<br />
GIBT KRAFT ZUR<br />
VERÄNDERUNG.“<br />
als „Zweiter Stellenbosch-Konsens“ bezeichnete<br />
Abschlusstext benennt das, was aus der Sicht der<br />
<strong>Kirche</strong>n trotz der völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Kontexte und<br />
über die politischen Lager h<strong>in</strong>weg geme<strong>in</strong>sam<br />
gesagt werden kann. „Jeder Mensch auf dieser<br />
Erde“ – so heißt es da – „hat das gleiche Recht<br />
auf Teilhabe an dem weltweiten Reichtum natürlicher<br />
Ressourcen. Das gegenwärtige Ausmaß an<br />
Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist unvere<strong>in</strong>bar<br />
mit diesem gleichen Recht. Dieses Recht setzt<br />
dem privaten Eigentum an natürlichen Ressourcen<br />
und dem Handel mit ihnen Grenzen.“ Das<br />
Dokument fordert e<strong>in</strong>e grundlegende Transformation<br />
unserer globalen Wirtschaft h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />
kohlenstoffarmen Entwicklung und e<strong>in</strong>em neuen<br />
ressourcenverbrauchsarmen<br />
Wohlstandsmodell. Da die Kosten<br />
für unseren gegenwärtigen<br />
Lebensstil nicht e<strong>in</strong>fach auf die<br />
Menschen <strong>in</strong> ärmeren Ländern<br />
oder auf zukünftige Generationen<br />
verschoben werden könnten, sei es die<br />
Verantwortung der Reichen, die Armen <strong>in</strong> jeder<br />
H<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> dem notwendigen Transformationsprozess<br />
zu unterstützen. Diejenigen, die Schaden<br />
an der Umwelt oder an anderen Menschen verursachten,<br />
müssten auch die Kosten tragen.<br />
Ausdrücklich wird den <strong>Kirche</strong>n die Aufgabe<br />
zugeschrieben, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen:<br />
„Als <strong>Kirche</strong>n verpflichten wir uns durch<br />
konkretes Handeln wie der bewussten Veränderung<br />
unserer Konsummuster, unserem Umgang<br />
mit Mobilität oder dem Energieverbrauch <strong>in</strong> unseren<br />
Gebäuden zu dem notwendigen Wandel<br />
beizutragen. Durch Wort und Tat verpflichten<br />
wir uns zu e<strong>in</strong>er Vision erfüllten Lebens, die e<strong>in</strong><br />
Leben <strong>in</strong> Würde für alle Menschen und e<strong>in</strong> Verhältnis<br />
zur Natur e<strong>in</strong>schließt, das ihren Charakter<br />
als Schöpfung Gottes widerspiegelt.“<br />
In vielen Gliedkirchen der EKD hat der mit<br />
diesen Worten <strong>in</strong>s Auge gefasste Prozess längst<br />
begonnen. Umweltzertifizierungen breiten sich<br />
aus, ehrgeizige CO 2<br />
-E<strong>in</strong>sparungsziele werden gesetzt<br />
und Klimakampagnen gestartet. Das ist der<br />
richtige Weg. Aber er muss gleichzeitig auf politische<br />
Veränderungen zielen. Wenn die <strong>Kirche</strong>n<br />
bei sich selbst anfangen, wird das Werben für<br />
e<strong>in</strong> grundlegendes Umsteuern auf der Ebene von<br />
Wirtschaft und <strong>Politik</strong> umso glaubwürdiger. Das<br />
E<strong>in</strong>treten für e<strong>in</strong>e sozial gerechte ökologische<br />
Umorientierung der Wirtschaft verdankt sich als<br />
Konsequenz des Bekenntnisses zu Gott als dem<br />
Schöpfer e<strong>in</strong>em tiefen geistlichen Impuls. Und es<br />
lebt aus der Zuversicht, dass Gott diese Welt <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Hand hält und die Kraft zur Veränderung<br />
geben wird.<br />
FOTO: PLAINPICTURE<br />
„VERDRÄNGEN GILT<br />
NICHT MEHR“<br />
CORNELIA COENEN-MARX sprach mit dem <strong>Politik</strong>wissenschaftler<br />
FRITZ ERICH ANHELM über die Notwendigkeit<br />
e<strong>in</strong>er Zeitenwende, wie tiefgreifend diese se<strong>in</strong> könnte<br />
und welche Rolle die <strong>Kirche</strong>n dabei spielen<br />
Cornelia Coenen-Marx: Mit se<strong>in</strong>er<br />
Stellungnahme „Wie e<strong>in</strong> Riss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
großen Mauer“ hat der Rat der EKD im<br />
Jahr 2009 e<strong>in</strong>e politische Perspektive<br />
gewiesen: Es geht um die konsequente<br />
Entwicklung e<strong>in</strong>er ökologisch-sozialen<br />
Marktwirtschaft. Vor welchen Herausforderungen<br />
stehen wir heute auf diesem<br />
Weg?<br />
Fritz Anhelm: Wer sich darüber e<strong>in</strong><br />
halbwegs umfassendes Bild machen<br />
will, sollte e<strong>in</strong> paar grundlegende Analysen<br />
aus unterschiedlichen Kontexten<br />
im Zusammenhang lesen: Das Hauptgutachten<br />
des Wissenschaftlichen Beirates<br />
der Bundesregierung Globale<br />
Umweltveränderungen (WBGU):<br />
„Gesellschaftsvertrag für e<strong>in</strong>e Große<br />
Transformation“ (2011). Den Bericht<br />
der Ethik-Kommission der Bundesregierung<br />
Sichere Energieversorgung<br />
(Toepfer-Kommission) zum Geme<strong>in</strong>schaftswerk<br />
Energiewende (2011). Den<br />
Vorschlag für e<strong>in</strong>en neuen sozial-ökologischen<br />
Indikatorensatz zur Ergänzung<br />
des Brutto<strong>in</strong>landsprodukts (BIP)<br />
durch die Enquete-Kommission des<br />
Bundestages Wachtum, Wohlstand,<br />
Lebensqualität (2013). Den nach Interpretationsquerelen<br />
gerade erschienenen<br />
Armuts- und Reichtums-Bericht<br />
der Bundesregierung. Und die Zwischenbilanz<br />
der Millenniumsziele der<br />
Vere<strong>in</strong>ten Nationen zur Armutsbekämpfung<br />
(2010).<br />
Daraus ergibt sich e<strong>in</strong> gigantisches<br />
Anforderungsprofil für die Transformation,<br />
der sich die Weltgesellschaft<br />
gegenübersieht, global bis lokal. Klar<br />
ist: Vertrösten und Verdrängen gilt<br />
nicht mehr. Handeln ist das Gebot der<br />
Stunde.<br />
Der Begriff „Große Transformation“<br />
ist strittig. Geht es nicht lediglich um<br />
e<strong>in</strong>en weiteren zeitgeschichtlichen Übergang,<br />
wie wir das seit 1969 oder 1989 erleben?<br />
1969 markiert die Ause<strong>in</strong>andersetzung der Kriegsmit<br />
der Nachkriegsgeneration zwischen Schuld<br />
und Pragmatismus, Vietnam und Wirtschaftswachstum,<br />
alten Autoritäten und neuen Lebensentwürfen.<br />
1989 markiert das Ende der Bipolarität<br />
hoch gerüsteter Systeme, das Schleifen von<br />
Mauern aus Beton und Ideologien, aber auch den<br />
Beg<strong>in</strong>n der ökonomischen Uniformierung der<br />
Weltgesellschaft nach westlichen Vorgaben. Sicher<br />
wirkt dies alles noch. Doch die „Große Transformation“<br />
reicht tiefer und weiter. Im Kern geht ><br />
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