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DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land<br />

Ausgabe 20, 2013 - 3,50 Euro<br />

Archipel<br />

Ausstellung Von der Heydt-Kunsthalle<br />

Himmel auf Erden<br />

Sammlung Von der Heydt-Museum<br />

Bilder einer Ausstellung<br />

Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters<br />

Wolfgang Schmidtke<br />

Im Jazz muss man sich selbst finden<br />

Das Schlupfloch zur Freiheit<br />

Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte<br />

Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff<br />

Ausstellung im Museum Solingen<br />

Immer wieder neu<br />

Historische Parkanlage Hardt<br />

Kunst in der Sparkasse<br />

Ausstellung Kairos<br />

Annika Boos<br />

und ihre glückliche Reise<br />

ISSN 18695205<br />

1


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„Ihre Gefühle waren und sind einzigartig.<br />

Dieser Schmuck ist eine ewige Erinnerung.“<br />

Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Verständnis<br />

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Wir helfen Ihnen in schweren Zeiten. Und das<br />

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2<br />

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Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Sie halten heute die 20. Ausgabe des Kulturmagazins Die Beste Zeit in Ihren<br />

Händen - ein kleines Jubiläum.<br />

Seit Oktober 2009 und inzwischen im 5. Jahrgang informieren wir regelmäßig<br />

über das kulturelle Leben unserer Region. Leider werden die Zeiten immer<br />

schwieriger, ein solches Format auf Dauer in Wuppertal zu etablieren, und<br />

so bin ich jedesmal erleichtert, wenn wieder eine Ausgabe in die Welt gesetzt<br />

ist. Ganz besonders möchte ich mich an dieser Stelle bei den Unternehmen<br />

bedanken, die das Projekt regelmäßig mit ihren Anzeigen unterstützen, aber<br />

auch bei den Autoren, die für das Magazin schreiben, dafür recherchieren und<br />

ihr Fachwissen einsetzen. Ohne ihr fundiertes Engagement wäre es mir nicht<br />

möglich, das Magazin in dieser Kontinuität und Qualität erscheinen zu lassen.<br />

In erster Linie sehe ich mich als Macher der Besten Zeit, stelle das Heft im<br />

Dialog mit den Redakteuren inhaltlich zusammen, layoute, produziere und<br />

scheitere im Allgemeinen an der Anzeigenakquise oder dem Vertrieb. Unser<br />

Format ist noch immer zu wenigen kulturinteressierten Bürgern in Wuppertal<br />

und im Bergischen Land bekannt.<br />

Ein generelles Problem liegt also in der Verbreitung. Indes wird der Aufwand,<br />

der hinter jeder Ausgabe steckt, nicht weniger, und oftmals stelle ich mir - bei<br />

allen schönen Reaktionen und bei aller Zustimmung, die ich erfahre - die<br />

Frage, ob eine Stadt wie unsere ein solches Magazin neben der normalen Tagespresse<br />

braucht. Dabei war es mir von Anfang an ein Anliegen, hier eine Lücke<br />

zu schließen und ausführlicher, farbiger und informativer aus dem kulturellen<br />

Leben unserer Region zu berichten, ihre Vielfalt und ihren Reichtum vorzustellen<br />

und immer wieder auch Ereignisse und Persönlichkeiten zu würdigen,<br />

die ansonsten - völlig zu Unrecht - ein Schattendasein führen. Dazu gehören<br />

Erstveröffentlichungen von Literaten, ausführliche Rezensionen von Schauspielund<br />

Opernaufführungen, ein offenes Ohr für die Jazzszene, der Blick in die<br />

Ausstellungen und in die Ateliers selbst und auch die Vorstellung von kulturell<br />

engagierten Institutionen in Wuppertal. Wir hoffen, damit ein wenig zur Vitalität<br />

der Kulturszene beizutragen, und träumen davon, dass mit jeder Ausgabe,<br />

ja, mit jedem Bericht unser Magazin etwas bekannter und schließlich vielleicht<br />

sogar in unserer Region selbstverständlich, unverzichtbar wird.<br />

Von meiner Seite schwanke ich immer wieder mit der Frage „weitermachen“<br />

oder aber „aufhören“.<br />

Bislang habe ich mich voller Hoffnung engagiert für das Weitermachen<br />

entschieden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen dieser<br />

Ausgabe.<br />

Herzliche Grüße<br />

Ihr HansPeter <strong>Nacke</strong><br />

3


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Telefon: +49 (0) 202 2 80 96-0<br />

www.ueberholz.de<br />

Impressum<br />

Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land<br />

Erscheinungsweise: alle zwei Monate<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal - Die beste Zeit<br />

Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />

Telefon 02 02 - 28 10 40, E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />

V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong><br />

Ständige redaktionelle Mitarbeit: Frank Becker, Thomas Hirsch,<br />

Ulrich Dohmen, Susanne Schäfer<br />

Darüber hinaus immer wieder Beiträge von: Marlene Baum,<br />

Heiner Bontrup, Antonia Dinnebiert, Beate Eickhoff, Fritz Gerwinn,<br />

Klaus Göntzsche, Johannes Vesper und weiteren Autoren<br />

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzl.<br />

Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des<br />

Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />

zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen<br />

im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann<br />

keine Gewähr übernommen werden.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder<br />

Unterlassungen keine Haftung übernommen.<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.<br />

Abbildung Cover, Ausschnitt:<br />

Alexej von Jawlensky, Madame Curie, 1905, Öl auf Karton, 50 x 38 cm<br />

TANZ TRÄUME<br />

Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch.<br />

Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />

120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />

ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong><br />

Friedrich-Engels-Allee 122<br />

42285 Wuppertal -<br />

Telefon 0202 - 28 10 40<br />

verlag@hpnackekg.de<br />

4


Inhalt<br />

Ausgabe 20, 5. Jahrgang, April 2013<br />

Archipel<br />

Ausstellung Tatjana Valsang<br />

In der Von der Heydt-Kunsthalle Seite 6<br />

Die Vielfalt der Möglichkeiten<br />

Tatjana Valsangs „Archipel“ gibt der<br />

Phantasie Raum, von Frank Becker Seite 11<br />

Himmel auf Erden<br />

Ausstellung aus der Sammlung des<br />

Von der Heydt-Museums Seite 12<br />

Verdis Maskenball in Wuppertal<br />

Sängerfest und solide Inszenierung,<br />

von Fritz Gerwinn Seite 14<br />

Bilder einer Ausstellung<br />

Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters<br />

Wuppertal, von Johannes Vesper Seite 18<br />

Im Jazz muss man sich selbst finden<br />

Der Saxophonist und Komponist Wolfgang<br />

Schmidtke, von Marlene Baum Seite 22<br />

Projekt Moving Art Box<br />

Die Abschlusspräsentation<br />

im Neuen Kunstverein Wuppertal Seite 28<br />

Immer wieder neu<br />

Historische Parkanlage Hardt,<br />

von Antonia Dinnebier Seite 32<br />

Das Schlupfloch zur Freiheit<br />

Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte,<br />

von Torsten Krug Seite 37<br />

Frau mit Gipsbein<br />

von Karl Otto Mühl Seite 41<br />

Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff<br />

Die Sammlung Frank Brabant im<br />

Museum Solingen, von Rolf Jessewitsch Seite 43<br />

Wuppertal hat Gute Karten<br />

Die Bürgerinitiative „(M)eine Stunde<br />

für Wuppertal“ Seite 53<br />

Ein Pferd ist ein Pferd<br />

von Wolf Christian von Wedel Parlow Seite 55<br />

Kunst in der Sparkasse<br />

Kairos – Vom Umgang mit dem günstigen<br />

Augenblick, von Gisela Elbracht-Iglhaut Seite 58<br />

Annika Boos<br />

und ihre glückliche Reise…,<br />

von Klaus Göntzsche Seite 64<br />

Paragraphenreiter<br />

Interessantes zu den Themen Steuern und<br />

Recht, von Susanne Schäfer Seite 66<br />

tanz nrw 13 in Wuppertal<br />

Die nordrhein-westfälische Tanzszene,<br />

von Katja Roters Seite 67<br />

Für Ulle Hees<br />

Nachruf im Ort, 20. Juli 2012,<br />

von Klaus Harms Seite 69<br />

Konrad Hupfer (1935 – 2013)<br />

Nachruf auf den Komponisten,<br />

von Ulrich Klan Seite 73<br />

für dich<br />

Gedicht von Angelika Zöllner,<br />

Foto „Im Nebel“ von E. Heinemann Seite 74<br />

Wie ein Bad im Klang und Raum der Zeit<br />

Von Pérotin bis Pärt Teil V – Konzertreihe,<br />

von Magdalene Zuther Seite 76<br />

Neue Kunstbücher<br />

Vermessung einer Region,<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 78<br />

Das indische Tuch<br />

TiC-Theater-Aufführung sehr frei nach<br />

Edgar Wallace, von Frank Becker Seite 48<br />

Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

porträtiert von Matthias Dohmen<br />

Seite 80<br />

Der Hochglanzprospekt<br />

Gedanken über eine Geldanlage,<br />

von Dorothea Renckhoff Seite 49<br />

Kulturnotizen<br />

Kulturveranstaltungen in der Region Seite 81<br />

5


„Tatjana Valsangs Kunst feiert Farbe, Bewegung und Licht,<br />

die staunenswerten Strukturen in der vorfindbaren Welt, den Augensinn,<br />

der sie erschließt, die Rätsel, die bleiben, die Kräfte, die wirken und<br />

zeugen, die Formen, die wandlungsfähig sind, unerschöpft und<br />

überraschend.“<br />

Kirsten Voigt<br />

(aus dem Ausstellungskatalog)<br />

6


Tatjana Valsang<br />

Noch bis zum 26. Mai 2013<br />

in der Von der Heydt-Kunsthalle<br />

im Haus der Jugend Barmen<br />

Archipel<br />

linke Seite: Tagsüber, 2010, 120 x 100 cm<br />

Foto: Frank Becker<br />

rechts: Kongogrün, 2009, 220 x 140 cm<br />

Tatjana Valsangs abstrakte Malerei<br />

inszeniert ein komplexes Zusammenspiel<br />

von Farbe, Form und Bildraum.<br />

In ihren neuen Arbeiten sind es häufig<br />

von klar umrissenen Formen überlagerte<br />

Wellenformationen, die den<br />

Bildraum organisieren, ihm Tiefe,<br />

Bewegung und Dynamik verleihen.<br />

Es werden ihre großformatigen Bilder<br />

aus den Jahren 2009–2012 gezeigt.<br />

7


8<br />

Kairo, 2010, 240 x 160 cm


Die Frage nach dem Verhältnis zwischen<br />

dem, was man sieht, dem, was der<br />

Künstler mit seiner besonderen Beobachtungsgabe,<br />

seiner Sensibilität und seinem<br />

ästhetischen Bewusstsein erkennt, und<br />

dem, was er gestaltet, hat bereits Künstler<br />

wie Cézanne und Klee tief beschäftigt,<br />

mit dem Ergebnis: Parallel zur Natur<br />

oder analog zu ihr schafft der Künstler<br />

oder die Künstlerin etwas gänzlich Neues<br />

und Unbekanntes. Unter den Bildern,<br />

die Tatjana Valsang für die Räume der<br />

Kunsthalle ausgewählt hat, rufen manche<br />

vielleicht Formen aus der Natur wie Vögel,<br />

Blüten oder Blätter in Erinnerung. Bevor<br />

der Betrachter sich auf völlig Unbekanntes<br />

einlässt – zu dem diese Bilder eigentlich<br />

einladen –, sucht er noch Hilfe bei benennbaren<br />

Formen aus Flora und Fauna.<br />

Denn wie ein Dichter sein Gedicht<br />

schreibt oder der Komponist sein Lied,<br />

genau in dieser Weise setzt Tatjana Valsang<br />

als Malerin Farbe und Leinwand ein, um<br />

in ihrer Sprache Neues zu schaffen und der<br />

Welt damit etwas hinzuzufügen. Der polyfokale<br />

Raum, die geordnete Strichführung,<br />

die gegenläufige Bewegung, der Rhythmus,<br />

der lang gezogene Ton, die Melodie oder<br />

die amöbenartige Form, die den Betrachter<br />

durch unbekannte Räume geleitet – unversehens<br />

fühlen wir uns in eine Zwiesprache<br />

versetzt: Ich und das Bild.<br />

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog<br />

Tatjana Valsang. Maltext<br />

Texte von Martin Engler, Gerhard Finckh,<br />

Durs Grünbein und Kirsten Voigt.<br />

Deutsch/Englisch, 144 Seiten,<br />

ca. 40 Abbildungen<br />

StrzeleckiBooks, Köln<br />

im Buchhandel: 29,80 Euro, 42,– CHF<br />

im Museum: 20,– Euro<br />

Passage, 2011, 170 x 220 cm<br />

Öffentliche Führungen:<br />

Mittwoch, 27. März, 11.15 Uhr<br />

Samstag, 13. April, 16.00 Uhr<br />

Sonntag, 26. Mai, 11.30 Uhr<br />

Kosten 6 Euro inkl. Eintritt<br />

Von der Heydt-Kunsthalle<br />

im Haus der Jugend Barmen<br />

Tel. 0202 563 6231, Fax 0202 563 8091<br />

Geschwister Scholl Platz 4 – 6<br />

42275 Wuppertal<br />

von-der-heydt-kunsthalle.de<br />

9


10<br />

Artikel, 2002, 180 x 140 cm


Die Vielfalt der Möglichkeiten<br />

Tatjana Valsangs „Archipel“ gibt<br />

der Phantasie Raum<br />

Das weite Feld der Kunst ist immer wieder<br />

für Überraschungen gut. Eine ganz<br />

besonders erfreuliche ist die Entdeckung<br />

des außergewöhnlichen Œuvres der Wuppertaler<br />

Malerin Tatjana Valsang, deren<br />

erste Museumsausstellung überhaupt<br />

der Leiter des Von der Heydt-Museums,<br />

Dr. Gerhard Finckh mit sicherem Blick<br />

für das Besondere an sein Haus geholt<br />

hat. Ab Sonntag sind in der Kunsthalle<br />

Barmen in einer von Dr. Beate Eickhoff<br />

kuratierten Werkauswahl 33 überwältigend<br />

schöne, großformatige Arbeiten zu<br />

sehen, die sich in bestechender Ästhetik<br />

jedem naseweisen Vergleich entziehen.<br />

Mit zwei Galerie-Präsentationen war<br />

die 1964 geborene Schülerin von Dieter<br />

Krieg erstmals vor zwei Jahren in die<br />

Öffentlichkeit gegangen, obwohl sie<br />

bereits über Jahrzehnte ihr Auge geschärft<br />

und ihre Technik vervollkommnet hat:<br />

„Ich übe ja noch“, äußert sie in charmanter<br />

Bescheidenheit. Nachdem Gerhard<br />

Finckh auf die solitäre Schönheit ihrer<br />

Malerei aufmerksam wurde, Zitat: „… ihr<br />

scharfer Sinn für Qualität“, tritt sie nun<br />

in der seit über 100 Jahren der Moderne<br />

verpflichteten Kunsthalle mit ungemein<br />

effektiver zarter Wucht in die Spuren,<br />

die innovative Künstler wie Franz Marc,<br />

Alexej von Jawlensky, Emil Nolde, Adolf<br />

Erbslöh und August Macke dort gelegt<br />

haben. Tatjana Valsang malt mit großem,<br />

oft übergroßem Pinsel mit Acrylfarben<br />

auf großzügig dimensionierte liegende<br />

Leinwände. Die zwar konzipierten, doch<br />

beim Entstehungsprozeß eine Eigendynamik<br />

entwickelnden Bilder zeigen, was<br />

so noch kein Maler gezeigt hat, sie haben<br />

„… keinen Punkt, an dem man sich festhalten<br />

kann“ (Gerhard Finckh). „Ich bin<br />

oft selbst verblüfft“, kommentiert Tatjana<br />

Valsang ihre zauberhaften Bilder, deren<br />

Titel nicht unbedingt ein Schlüssel sind:<br />

Passage, Zug, Kahn, Transit, Sammlung,<br />

Barmen, Malsatz, Leutkirch, Stufen, Taj<br />

Mahal, Fuge, Archipel… Und doch,<br />

ein Bild, das „Sechs“ heißt, zeigt sechs<br />

Flächen. Zufall?<br />

In den Eigenleben offenbarenden<br />

Arbeiten, die aus den letzten vier Jahren<br />

stammen, zeigt sich viel vom Wesen der<br />

Künstlerin, die sich als bemerkenswert<br />

uneitel, äußerst humorvoll, offen und<br />

liebenswert präsentiert. Die sinnliche<br />

Ästhetik und Heiterkeit von Werken<br />

wie Ostwind, Fuge, Forum, Archipel,<br />

Antrieb, Bergschatten und Hall geht<br />

unmittelbar auf den Betrachter über, sorgt<br />

für die Magengrube kitzelnde überraschte<br />

„Aaahs“, entzieht sich der Interpretation<br />

und macht, indem sie einfach nur schön<br />

ist, glücklich. Was wir in den letzten<br />

düsteren Monaten an Licht und Sonne<br />

vermißt haben, wird von Tatjana Valsangs<br />

Bildern kompensiert. Nur ein Grund, sich<br />

die Ausstellung unbedingt anzuschauen.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.strzelecki-books.com<br />

Frank Becker<br />

Tatjana Valsang vor „Taj Mahal“ (2010) Foto: Frank Becker<br />

11


Die Sammlung des<br />

Von der Heydt-Museums<br />

14. April. bis 1. September 2013<br />

Himmel auf Erden<br />

Das Museum bleibt in Bewegung. Es zeigt<br />

immer wieder neue Ausschnitte aus seiner<br />

bedeutenden Sammlung. Jede Werkauswahl<br />

setzt andere Schwerpunkte: Einzelne Gemälde<br />

oder Skulpturen werden herausgestellt,<br />

selten gezeigte Schätze ganz besonders zur<br />

Geltung gebracht, wichtige Neuerwerbungen<br />

erstmalig präsentiert. Unterschiedliche<br />

Orte, neue Perspektiven, wechselnde<br />

Zusammenhänge gewähren überraschende<br />

Blicke auf die weltberühmten Highlights des<br />

Museums.<br />

Im Anschluss an die große Rubens-<br />

Ausstel lung ordnet sich das Von der Heydt-<br />

Museum neu. Im Frühjahr/Sommer 2013<br />

konzentrie rt es sich ganz auf die Sammlung.<br />

Im Zwi schengeschoss werden Highlights des<br />

19. und frühen 20. Jahrhunderts gezeigt,<br />

im 1. Stock eine Auswahl Alter Meister von<br />

Dürer bis Goya und im 2. Stock wird neu<br />

präsentiert: „Himmel auf Erden“ − Kunst<br />

des 20. und 21. Jahrhunderts.<br />

Marc, Macke, Kandinsky, Munch,<br />

Kirchner, Beckmann – für die Kunst des<br />

Expressionismus ist die Von der Heydt-<br />

Samm lung bekannt. Auch die Kunst der<br />

1920er Jahre ist mit welt berühmten Bildern<br />

wie Otto Dix, „An die Schönheit“ oder den<br />

„Industriebauern“ von Georg Scholz, die<br />

ebenfalls jetzt wie der im 2. Obergeschoss des<br />

Museums zu sehen sind, bes tens vertreten.<br />

Darüber hinaus hat die Nachkriegsmoderne<br />

in Wuppertal immer viele begeisterte<br />

Anhänger gefunden, so dass die Museumssammlung<br />

durch Ankäufe, Schenkungen<br />

und Stiftungen stetig und außergewöhnlich<br />

erweitert wer den konnte.<br />

Die aktuelle Präsentation legt hier<br />

einen zweiten Schwer punkt: Neben den<br />

Highlights aus der ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts werden bekannte Künstler<br />

des Informel, des Konstruktivismus und<br />

August Macke, Mädchen mit dem Fischglas, 1914, Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

12


der Farbmalerei gezeigt. Und viel Raum<br />

wird auch jüngsten Neuerwerbungen<br />

gegeben, dazu gehören Arbeiten von Bettina<br />

Pousttchi, Jan Albers, Daniel Lergon, Brad<br />

Downey.<br />

Das Von der Heydt-Museum unterstützt<br />

überdies mit 39 Leihgaben die Ausstellung<br />

„Von Buddha bis Picasso – Der Sammler<br />

Eduard von der Heydt“ (20.4.-18.8.2013)<br />

im Museum Rietberg Zürich. Ab Oktober<br />

2015 wird die Ausstellung hier im Von der<br />

Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen sein.<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Turmhof 8, 42103 Wuppertal<br />

Telefon 0202 - 563 6231<br />

von-der-heydt-museum@stadt.wuppertal.de<br />

Cornelius Völker, Hände, 2003, Von der Heydt-Museum Wuppertal,<br />

VG Bild-Kunst, Bonn 2013<br />

Wassily Kandinsky, Riegsee – Dorfkirche, um 1908, Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

13


Sängerfest und solide Inszenierung<br />

Premiere am 24. Februar 2013<br />

Weitere Aufführungen:<br />

am 2., 14., 22., 30. März, 7. April, 6., 8.,<br />

16., 22. Juni im Opernhaus Wuppertal<br />

Verdis Maskenball in Wuppertal<br />

Kaum waren die ersten Takte des Vorspiels<br />

erklungen, da konnte man schon<br />

ahnen, dass die musikalische Qualität<br />

dieses Abends besonders hoch sein<br />

würde. Der Dirigent Florian Frannek<br />

begann zwar ungewöhnlich langsam,<br />

dadurch wurde aber fast leitmotivisch<br />

herausgestellt, welche Motive zu wem<br />

gehören. Die nervige Piccoloflöte ließ<br />

an der zu erwartenden Tragik keinen<br />

Zweifel, hier wie an vielen anderen<br />

Stellen wurden aber die Verbindungslinien<br />

zwischen den einzelnen Teilen<br />

der Oper besonders deutlich gemacht.<br />

Das Vorspiel steht nicht für sich, sondern<br />

geht bruchlos in die erste Szene<br />

der Oper über, die Motive werden<br />

auch später wieder aufgenommen. Einerseits<br />

wurde auf diese Verbindungslinien<br />

geachtet, andererseits wird aber<br />

auch das Gegenteil klar: wenn z. B. in<br />

der Ulrica-Szene ständig Überraschungen<br />

vorkommen, Kontraste zwischen<br />

laut und leise, Dissonantem und<br />

Konsonantem, rhythmischen Prestound<br />

fast tempolosen Adagio-Passagen,<br />

Melba Ramos, Kay Stiefermann<br />

linke Seite:<br />

vorne: Melba Ramos, Felipe Rojas Velozo<br />

hinten: Chor, Extrachor und Statisterie der<br />

Wuppertaler Bühnen<br />

15


ernsten und lustigen Abschnitten, so<br />

wird das, was in der Musik steckt,<br />

konsequent aufgenommen und sinnfällig<br />

dargestellt. Ein großes Lob also<br />

für Florian Frannek und das Wuppertaler<br />

Orchester.<br />

Hervorragend waren auch die Leistungen<br />

der Sänger, allerdings mit einer<br />

Einschränkung. Der Sänger des Riccardo,<br />

Felipe Rojas Velozo, war, wie<br />

vorher angesagt, erkältet, hielt aber<br />

sein Rolle durch, obwohl er einige<br />

Passagen oktaviert singen musste, ließ<br />

aber an etlichen Stellen doch hören,<br />

dass er gesund den Genuss des Gesanges<br />

noch weiter erhöht und damit<br />

abgerundet hätte. In den weiteren<br />

Aufführungen wird er dies sicher tun.<br />

Melba Ramos als Amelia, vielen Wuppertalern<br />

noch als äußerst beliebtes<br />

ehemaliges Ensemblemitglied in Erinnerung,<br />

erhielt für ihre Leistung schon<br />

bei ihrem ersten fulminanten Auftritt,<br />

und später noch mehrfach, Szenenapplaus.<br />

Überzeugend ebenso Zdravka<br />

Ambric als Ulrica, mit besonders<br />

faszinierenden tiefen Tönen. Mehrfachen<br />

Szenenapplaus erhielt auch Kay<br />

Stiefermann als Renato, der als Warner<br />

und Rächer viele Forte-Stellen zu<br />

singen hatte, aber im ersten Bild des 3.<br />

Aktes besonders durch seine nuancenreichen<br />

Pianostellen überzeugte. Die<br />

Naivität und fast nervige Fröhlichkeit<br />

des Pagen Oskar, der nichts kapiert<br />

von der Tragik der Ereignisse, war<br />

sängerisch und darstellerisch bei Elena<br />

Fink in besten Händen. Auch die<br />

kleineren Rollen, so als Verschwörer<br />

Martin Js. Ohu und Olaf Haye, und,<br />

besonders auffallend, Miljan Milovic<br />

als Matrose waren hervorragend<br />

besetzt. Der Chor, verstärkt durch<br />

den Extrachor, war ein ebenso großer<br />

Garant für die hohe musikalische<br />

Qualität wie das Orchester.<br />

Die Inszenierung, durch Opernchef<br />

Johannes Weigand, war eher kammerspielartig,<br />

betonte die kleinen Gesten,<br />

war aber z. T. doch eher statisch, wobei<br />

zugute zu halten ist, dass, zumindest<br />

in den ersten drei Bildern, eher wenig<br />

Gelegenheit zu großer Aktion zu finden<br />

ist. Die Typisierung der Personen<br />

ist aber gelungen und nachvollziehbar,<br />

besonders deutlich bei Riccardo, wo<br />

die leicht arrogante Leichtlebigkeit<br />

und der damit verbundene Glaube<br />

an seine Unverletzlichkeit sehr schön<br />

ausgespielt wird. Immerhin werden<br />

die wenigen Möglichkeiten zur Aktion<br />

ausgenutzt, wenn etwa im ersten Bild<br />

der Page Oskar den sturen Oberrichter,<br />

der Ulrica ausweisen lassen will, in sei-<br />

16


ner Verteidigung gestisch nachäfft. Im<br />

zweiten Bild werden die sich ständig<br />

ändernden Vorgaben der Musik vor<br />

allem durch die Personenregie ausgedrückt.<br />

Szenisch reichhaltiger sind die<br />

beiden letzten Bilder gestaltet, dort<br />

passiert ja auch viel mehr als im ersten<br />

Teil. Sehr gelungen ist die Tanzszene<br />

im letzten Bild, in der auch fünf<br />

Musiker des Orchesters auf der Bühne<br />

erscheinen und als Banda zum Tanz<br />

aufspielen. Dass Weigand aber auch<br />

hier nicht auf Aktionismus setzt, zeigt<br />

die Szene direkt nach dem Attentat,<br />

wenn der Chor nicht chaotisch durcheinander<br />

läuft, sondern sich sorgsam in<br />

zwei Reihen aufstellt, während der Musikmeister<br />

mit einem großen Taktstock<br />

die Musiker zum Weiterspielen anhält.<br />

Das Bühnenbild von Moritz Nitsche<br />

ist minimalistisch karg, vor allem im<br />

ersten Teil. So bleibt der Friedhof<br />

im dritten Bild nur als große graue<br />

Treppe in Erinnerung. Im zweiten<br />

Teil wird dagegen häufiger und<br />

erhellender mit Lichtregie gearbeitet.<br />

So verliert das Grün des Vorhanges in<br />

den ersten Szenen des dritten Aktes<br />

immer mehr die Farbe, je mehr der<br />

Mordplan Gestalt annimmt, und<br />

im letzten Bild wird sehr geschickt<br />

mit rotem Licht in unterschiedlicher<br />

Form gearbeitet.<br />

Erst in der letzten Szene wird klar,<br />

dass die „amerikanische“ Fassung der<br />

Oper gespielt wird. Die sehr kreativen<br />

Kostüme (Judith Fischer) verlegen sie<br />

in jedem Fall in das 18. Jahrhundert.<br />

Wo die Oper spielt, scheint aber nicht<br />

so wichtig, weil es auf die Geschichte<br />

und die Darstellung der Gefühle<br />

ankommt.<br />

Also: Kammerspielartige Inszenierung,<br />

ein Fest der Stimmen und eine<br />

intelligente, sinnfällige musikalische<br />

Darstellung! Äußerst empfehlenswert!<br />

Fritz Gerwinn<br />

Fotos: Uwe Stratmann<br />

linke Seite:<br />

v.l.n.r. Olaf Haye, Kay Stiefermann,<br />

Martin Js. Ohu<br />

unten:<br />

v.l.n.r.: Elena Fink, Felipe Rojas Velozo,<br />

Kay Stiefermann<br />

17


Jubiläumskonzert des<br />

Sinfonieorchesters Wuppertal mit<br />

Abonnenten in der<br />

Historischen Stadthalle<br />

Bilder einer Ausstellung<br />

In diesem Jahr begeht das Sinfonieorchester<br />

Wuppertal das 150. Jahr seiner Gründung.<br />

Bemerkenswert, dass das Orchester<br />

also älter ist als die Berliner Philharmoniker<br />

(gegründet 1882) oder auch als<br />

die Essener Philharmoniker (gegründet<br />

1899). Zur Geschichte des Orchesters<br />

hat Werner Wittersheim, Leiter der<br />

Programmgruppe Musik beim WDR 3,<br />

in den Programmen der Sinfoniekonzerte<br />

dieser Saison und auch im Jubiläumsband<br />

interessante Beobachtungen mitgeteilt.<br />

Aus Anlaß des Jubiläums in Wuppertal<br />

fand am 2. Februar 2013 ein in seiner Art<br />

einzigartiges, sensationelles Konzert statt.<br />

Das Orchester hatte nämlich seine Abonnenten<br />

eingeladen, mit ihm gemeinsam<br />

zu spielen. Ca. 60 Musiker aus Kreisen<br />

der Abonnenten hatten seit November<br />

2012 zusammen mit den Musikern des<br />

Sinfonieorchesters zunächst unter der<br />

Federführung Tobias Deutschmanns die<br />

„Bilder einer Ausstellung“ von Modest<br />

Mussorgsky in der farbigen Orchesterfassung<br />

von Maurice Ravel erarbeitet.<br />

18


Am Konzertabend erlebte das äußerst<br />

interessierte Publikum in der gut besetzten<br />

Historischen Stadthalle Wuppertal<br />

zunächst eine Probe unter Chefdirigent<br />

Toshiyuki Kamioka. Seine lebendige Mimik<br />

und intensive Gestik wurden auf eine<br />

Großleinwand übertragen und - für jeden<br />

hörbar - seine Kommentare zu Werk<br />

und Aufführungspraxis über Mikrophon<br />

in den Saal übertragen. Dabei wurde<br />

die Zahl der Luftnoten, mit denen der<br />

erfahrene Dilettant zunächst durch die<br />

Hektik der vertrackten Orchesterstimmen<br />

hastet, bald vermindert. Nach der Pause<br />

erlebten die Konzertbesucher, unterbrochen<br />

von sachkundigen Hinweisen des<br />

Schlagzeugers Martin Schacht zum Werk<br />

und ergänzt durch die Projektion der<br />

musikalisch dargestellten Bilder, das ganze<br />

Werk mit den 150 Musikern. Herrliches<br />

Blech (Gänsehaut in den Katakomben),<br />

flinke, flotte, hörbar gackernde Holzbläser<br />

beim Tanz der Küken, erschütterndes<br />

Pianissimo der Geigen im Gespräch der<br />

Toten und nach dem wilden Tanz der<br />

Baba Yaga dann der mächtige Choral im<br />

„Großen Tor von Kiew“. Da hielt es das<br />

Publikum, das immmer wieder bereits<br />

Zwischenapplaus gegeben hatte, nicht auf<br />

den Sitzen, man gab anhaltende stehende<br />

Ovationen.<br />

Das Konzert spiegelte zwischen Traditionspflege<br />

und Musikvermittlung in seiner<br />

Resonanz die Bedeutung eines Sinfonieorchesters<br />

für die Stadtgesellschaft am<br />

positiven Beispiel Wuppertals (siehe auch<br />

die Beiträge von Lutz-Werner Hesse und<br />

Michael Okroy im Jubiläumsband). Ein<br />

großer Abend.<br />

Johannes Vesper<br />

Fotos: Karl-Heinz Krauskopf<br />

Redaktion Frank Becker<br />

21


Im Jazz muss man sich selbst finden<br />

Der Saxophonist<br />

und Komponist Wolfgang Schmidtke<br />

Das Pferd mit Wolfgang Schmidtke beim<br />

10. Wuppertaler Jazzmeeting 2012<br />

Zum 65. Geburtstag seines Kollegen Peter<br />

Brötzmann hat Wolfgang Schmidtke ein<br />

Stück geschrieben, in welchem vierzehn<br />

Musiker nach einem auskomponierten<br />

Notentext spielen, während der Solist<br />

improvisiert. Schon diese Komposition<br />

zeigt, dass weniger einzelne Gattungen und<br />

Stilarten den Saxophonisten und Komponisten<br />

Wolfgang Schmidtke fesseln, als<br />

gerade die Zwischentöne und die Zwischenwelten.<br />

In der Musik ist es z.B. das<br />

Oszillieren zwischen Notation und Improvisation,<br />

zwischen Ton und Geräusch. Die<br />

Freude am Experiment mit künstlerischen<br />

Disziplinen und musikalischen Stilarten,<br />

Vielseitigkeit und Offenheit sind charakteristisch<br />

für die Arbeit dieses Künstlers: „Ich<br />

neige nicht zur Dogmatik, für mich ist Karl<br />

Poppers Gedanke ‚Lasst Ideologien anstelle<br />

von Menschen sterben’ sehr wichtig, diese<br />

Idee findet in der Kunstwelt viel zu wenig<br />

Beachtung.“<br />

Folglich bleibt Schmidtke nicht nur beim<br />

Jazz. Gemeinsam mit der Künstlerin<br />

Christine Haller erdachte er anlässlich der<br />

Eröffnung des neuen Konzertsaales für die<br />

Wiener Sängerknaben eine Art Gesamt-<br />

kunstwerk: Die Künstlerin errichtete aus<br />

Baumaterialien wie Bauschutt, Metallen<br />

oder Glassplittern ein großes Portal, in welchem<br />

vier Lautsprecherpaare so installiert<br />

waren, dass die Konzertbesucher, während<br />

sie es passierten, zunächst Baustellengeräusche<br />

wie Bohren und Hämmern hörten,<br />

die allmählich rhythmisiert und schließlich<br />

in Klänge transformiert wurden, bis als<br />

Steigerung die Singstimme der in Wuppertal<br />

lebenden farbigen Jazzsängerin Brenda<br />

Boykin hinzutrat. Für diese Klangcollage<br />

hat Schmidtke zum ersten Mal elektronische<br />

Mittel verwendet. Er selbst spielte in<br />

diesem Stück sein zweites Instrument, die<br />

Bassklarinette. Und der zahlreichen Wuppertalern<br />

als Schauspieler in Erinnerung<br />

gebliebene Jörg Reimers hat als begeisterter<br />

Hobbyschreiner beim Aufbau geholfen!<br />

Seit fünf Jahren leitet Schmidtke gemeinsam<br />

mit dem Schlagzeuger Peter Weiss den<br />

„Jazz Pool NRW“. Auch in diesem Projekt<br />

arbeitet der Musiker flexibel und undogmatisch.<br />

Er komponiert und arrangiert Stücke<br />

für jährlich neu zusammengestellte Ensembles<br />

aus wechselnden Partnerländern in<br />

ganz Europa. Damit entspricht er genau der<br />

23


Tradition des Jazz, der von Anfang an ein<br />

Melting Pot aus verschiedenen Nationalitäten<br />

und musikalischen Stilarten gewesen ist.<br />

Nur geht diese Bewegung nicht von Amerika<br />

nach Europa, sondern die erarbeiteten<br />

Projekte werden in verschiedenen Ländern<br />

des Kontinents aufgeführt: „Da reisen wir<br />

weit herum. Wenn die Leute hören, dass<br />

wir aus Wuppertal kommen, treffen wir<br />

sofort auf offene Ohren, weil Wuppertal<br />

international als Stadt des Jazz gilt. Als ich<br />

in Lissabon das Theater Sao Luiz betrat, sah<br />

ich dort als erstes eine Fotografie von Pina<br />

Bausch!“<br />

Bis heute ist Schmidtke dem ehemaligen<br />

Generalintendanten der Wuppertaler<br />

Bühnen, Holk Freytag, verbunden, für den<br />

er seit fünfzehn Jahren Bühnenmusiken<br />

schreibt. Freytag ist Leiter der Festspiele in<br />

Bad Hersfeld. Er hat den Musiker beauftragt,<br />

für die Festspiele in Bad Hersfeld<br />

2013, William Shakespeares „Der Sturm“<br />

als Musical zu vertonen, das Mitte Juni<br />

uraufgeführt werden soll. Die Textfassung<br />

erstellt der ehemalige Theaterdramaturg der<br />

Wuppertaler Bühnen, Gerold Theobald.<br />

Das ist nicht das erste Musical, bereits 2010<br />

hat Schmidtke „Carmen – ein deutsches<br />

Musical“ für die Festspiele in Bad Hersfeld<br />

geschrieben, Judith Kuckart hat dazu den<br />

Text verfasst. Das sind nur einige wenige<br />

Beispiele für das vielfältige Schaffen von<br />

Wolfgang Schmidtke.<br />

Immer wieder ist Wuppertal der Angelpunkt.<br />

Dabei stammt der Musiker aus dem<br />

Sauerland; schon als Kind spielte er Klavier,<br />

Posaune und E-Gitarre. Wie damals üblich<br />

war die Ausbildung klassisch, doch die<br />

jugendliche Begeisterung galt der Rockmusik,<br />

besonders Jimi Hendrix hatte es ihm<br />

angetan. Doch dann kam das Schlüsselerlebnis:<br />

„Ich war 15 Jahre alt, als ich in einer<br />

Radiosendung von Joachim Berendt (Das<br />

Jazzbuch) „My Favorite Things“ von John<br />

Coltrane hörte. Am nächsten Tag bin ich<br />

in ein Musikaliengeschäft gegangen und<br />

habe meine E-Gitarre in ein Alt-Saxophon<br />

umgetauscht.“<br />

Die Eltern hatten nie Zweifel hinsichtlich<br />

der musikalischen Vorlieben des Sohnes.<br />

Dieser verdankt seiner Klavierlehrerin, einer<br />

Kantorin, Entscheidendes, denn sie trug<br />

dem Schüler auf, jede Woche eine neue<br />

oben: Wolfgang Schmidtke mit Gunnar Plümer<br />

unten: mit Channel Crossing<br />

24


Kadenz in einer anderen Tonart zu komponieren.<br />

Wahrscheinlich war damit die Basis<br />

für den späteren Komponisten Wolfgang<br />

Schmidtke gelegt: „Heute ist die sogenannte<br />

Musiktheorie sehr unbeliebt, doch sie ist<br />

unerlässlich zum Verständnis der Architektur<br />

von Musikstücken.“<br />

Wolfgang Schmidtke studierte zunächst in<br />

Münster Musikwissenschaften. Dann lernte<br />

er Axel Jungbluth kennen, der in Boston Jazz<br />

studiert hat und Verfasser der ersten deutschsprachigen<br />

Harmonielehre für Jazz ist. Da<br />

Jungbluth an der Musikhochschule Wuppertal<br />

lehrte, wechselte Schmidtke in diese Stadt:<br />

„Hier lebe ich noch immer sehr gern!“<br />

Für den Komponisten Schmidtke dürften<br />

die von der Klavierlehrerin aufgegebenen<br />

Kadenzen eine wichtige Grundlage gewesen<br />

sein, für den Jazzmusiker war es die Begegnung<br />

mit „My Favorite Things“ von John<br />

Coltrane.<br />

Im Jazz kommt es in erster Linie auf den<br />

ganz persönlichen Ausdruck, die individuelle<br />

Tongebung, oder, wie man es nennt, das<br />

spezielle Feeling des Interpreten an. „Einem<br />

Orchestermusiker ist es vergleichsweise<br />

ziemlich klar, wie ein Ton klingen muss,<br />

das Klangmaterial ist zu 90% durch die<br />

Tradition definiert. Der Jazzmusiker muss<br />

für sich selbst herausfinden: Wie willst du<br />

klingen? Dazu kann man sich z.B. mit dem<br />

Instrument vor eine Wand stellen und einen<br />

bestimmten Ton aushalten, um dessen<br />

klanglichen Schattierungen auszuprobieren.<br />

Große Jazzmusiker wie Louis Armstrong<br />

oder Miles Davis erkennt man nicht an<br />

einer Phrase, sondern daran, wie sie einen<br />

einzigen Ton gestalten. Wenn ich nicht so<br />

klinge, dass man mich von allen anderen<br />

unterscheiden kann, habe ich keine Chance.<br />

In der Improvisation spielt man so, wie<br />

man in diesem Augenblick kann und will,<br />

nur so steigert sich das Niveau.“<br />

Wie kein anderer Stil erlaubt der Jazz dem<br />

Interpreten so eminent viel Freiheit zur Gestaltung<br />

des Klanges, und der ist Wolfgang<br />

Schmidtke am wichtigsten. „Das Instrument<br />

ist gleichsam die Verlängerung der<br />

eigenen Stimme und damit der Seele. Wenn<br />

ich den Wunsch habe, mich durch Töne zu<br />

äußern, dann liefert die eigene Stimme die<br />

höchste Intensität des Ausdrucks. Wenn ich<br />

die nicht in der Stimme habe, kann ich sie<br />

auch nicht auf das Instrument übertragen.<br />

Wolfgang Schmidtke mit Peter Brötzmann<br />

25


So lasse ich meine Schüler Melodien, die<br />

sie nicht verstanden haben, singen, dann<br />

spüren sie, wo sie atmen müssen. Auch wir<br />

Musiker verständigen uns singend – ohne<br />

Singen ist keine Kommunikation möglich.“<br />

Für das Saxophon hat Schmidtke sich<br />

durch John Coltrane erwärmt. „Dieses<br />

Instrument ist besonders obertonreich und<br />

daher hell und laut, es kann sogar aggressiv<br />

klingen. Die Bassklarinette ist dagegen<br />

wunderbar warm.“<br />

Seit dreißig Jahren arbeitet Wolfgang<br />

Schmidtke immer wieder mit dem Sinfonieorchester<br />

zusammen, nicht nur als<br />

Orchestermusiker. Besonders gern erinnert<br />

er sich an die Saisoneröffnung 1999, als<br />

im Rahmen von „Jazz Meets Classic“ das<br />

„Concerto for Jazzband and Orchestra“<br />

von Rolf Liebermann unter der Leitung<br />

von George Hanson aufgeführt wurde, und<br />

Schmidtke und seine Bigband gemeinsam<br />

mit dem Sinfonieorchester der Stadt Wuppertal<br />

musiziert haben.<br />

Seit 1997 leitet Wolfgang Schmidtke<br />

das „Nachtfoyer“: „Als ich jung war, gab<br />

es noch keine Hochschulen, an denen<br />

Jazz gelehrt wurde, sondern man fuhr zu<br />

Workshops. Mein erster Jazz-Workshop<br />

war in Dortmund, geleitet hat ihn Peter<br />

Kowald. Da war ich noch Schüler und lebte<br />

im Sauerland. 1997 haben Peter Kowald<br />

und ich dann beim allerersten „Nachtfoyer“<br />

im Schauspielhaus Wuppertal gespielt –<br />

ausschließlich Stücke von John Coltrane.<br />

Die Grundidee für das „Nachtfoyer“ ist,<br />

Konzerte zu kreieren, die nur an diesem<br />

Abend, an diesem Ort stattfinden.“ Hier<br />

treten bekannte nationale und internationale<br />

Jazz-Musiker auf. Wenn Wolfgang<br />

Schmidtke den Abend gestaltet, komponiert<br />

er für dieses jeweilige Konzert das<br />

gesamte Programm!<br />

Seit 2003 ist Wolfgang Schmidtke Vorsitzender<br />

der Peter Kowald Gesellschaft. „Der<br />

Kontrabassist Peter Kowald hatte die Gabe,<br />

Menschen zu motivieren und zusammenzubringen,<br />

er war ein Künstler, der vorbildhaft<br />

Grenzüberschreitungen gelebt hat, und<br />

deshalb ist die Arbeit im ‚Ort’ so wichtig für<br />

uns alle.“<br />

Der Künstler Tony Cragg hat der Peter<br />

Kowald Gesellschaft für eine Ausstellung<br />

Mappen mit Lithographien „Das Waldzimmer“<br />

zur Verfügung gestellt, deren Erlös<br />

der Gesellschaft zugedacht ist. Auch an<br />

diesem Beispiel zeigt sich, wie bereichernd<br />

im schönsten Sinne die Kunstszene in<br />

Wuppertal ist.<br />

Wenn Ende dieser Spielzeit das Schauspielhaus<br />

endgültig geschlossen werden<br />

wird, gibt es bis zur Eröffnung einer neuen<br />

Spielstätte Überlegungen zu einem anderen<br />

Spielort für das beliebte „Nachtfoyer“. Der<br />

Künstler bleibt positiv „trotz des enormen<br />

Kulturverlustes durch den Tod von Pina<br />

Bausch und das Debakel um die Schließung<br />

des Schauspielhauses.“ Kaum jemand<br />

könnte besser beurteilen als er, wie stark<br />

und wie vernetzt die Kulturszene dieser<br />

Stadt inzwischen ist, „zumal sich hier,<br />

obgleich oder gerade weil geographisch zwischen<br />

Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen<br />

isoliert, ein sehr eigenständiger kreativer<br />

Geist entwickelt. Das sollte man nicht nur<br />

im Ausland zur Kenntnis nehmen“, meint<br />

Wolfgang Schmidtke.<br />

„Im Jazz muss man sich selbst finden“, doch<br />

gerade in der Freiheit, deren musikalischer<br />

Ausdruck der Jazz ist, kann man auch den<br />

anderen finden.<br />

Marlene Baum<br />

Fotos:<br />

Karl-Heinz Krauskopf<br />

Auftritt mit:<br />

Bert Fastenrath, Harald Eller und Peter Weiss<br />

26


Wolfgang Schmidtke<br />

(* 24. Dezember 1956 in Lüdenscheid)<br />

Schmidtke erhielt ersten musikalischen<br />

Unterricht am Piano, mit 16 Jahren kam das<br />

Saxophon dazu. Nach dem Abitur studierte er<br />

zunächst Musikwissenschaft an der Westfälischen<br />

Wilhelms-Universität in Münster; er<br />

wechselte dann an die Hochschule für Musik<br />

Köln, Standort Wuppertal, wo er Saxophon<br />

studierte.<br />

Zunächst spielte er in einem Improvisationsensemble<br />

um Harald Bojé; dann wirkte<br />

er in der Fusionjazz-Band „Das Pferd“, die<br />

unter anderem mit Harry Beckett, Marilyn<br />

Mazur, Chris McGregor sowie Peter Kowald<br />

zusammenarbeitete, und unternahm Tourneen<br />

mit Ginger Baker, Randy Brecker, Horace<br />

Parlan, John Lindberg und Bobby McFerrin,<br />

aber auch mit Georg Danzer, Lydie Auvray,<br />

Karlheinz Stockhausen und sinfonischen<br />

Orchestern. 1998 gründete er das „Wolfgang<br />

Schmidtke Orchestra“, das unter anderem mit<br />

Markus Stockhausen, Lee Konitz, Steve Lacy<br />

und Alexander von Schlippenbach arbeitete.<br />

Weiterhin spielt er im Projekt „African Sketchbook“<br />

(unter anderem mit Arkady Shilkloper).<br />

Als Komponist und Produzent wirkte er an<br />

fünf CDs des Essener Sängers Tom Mega mit.<br />

Für den WDR organisierte Schmidtke eine<br />

Reihe von Produktionen, deren übergeordnetes<br />

Konzept die Verbindung von Genres<br />

und Stilistiken ist, die normalerweise nicht<br />

kombiniert und zusammen präsentiert<br />

werden: Beispielsweise die Gegenüberstellung<br />

eines gemischten Chores mit einem Bläserensemble<br />

und einem Perkussionisten im Rahmen<br />

des Rheinischen Musikfestes 1989 oder die<br />

Produktion „Tango Westfalica“, eine Verbindung<br />

von mittelalterlichen Musiken mit der<br />

Welt des Tango, an der Hans Reichel, Stephan<br />

Meinberg, Achim Fink und Christian Thome<br />

mitwirkten (2005). 2008 komponierte er ein<br />

dreisätziges Septett für Klavier und Streicher,<br />

dessen Klavierpart von Simon Nabatov bestritten<br />

wurde. 2010 schrieb er die Musik zu<br />

„Carmen - ein deutsches Musical“.<br />

Schmidtke unterrichtete Saxophon und<br />

Jazzimprovisation am Fachbereich Wuppertal<br />

der Musikhochschule Köln. Seit 2002 ist er<br />

künstlerischer Leiter des Wuppertal Musikfests<br />

„Die 3. ART“ und des „Nachtfoyers“, des musikalischen<br />

Nachtprogramms der Wuppertaler<br />

Bühnen. Weiterhin ist er der Vorsitzende der<br />

Peter Kowald Gesellschaft.<br />

27


Die Künstlergruppe 6PACK<br />

startete im März 2012 ihr<br />

aktuelles Projekt MOVING ART<br />

BOX und lud Künstler in ganz<br />

Europa ein, auf die allein reisende<br />

Kunstkiste zu reagieren.<br />

Nach über einem Jahr kehrt nun<br />

die 1 m³ Kunstkiste an ihren<br />

Ursprungsort Wuppertal<br />

zurück.<br />

Projekt Moving Art Box<br />

Gestartet in Wuppertal mit 17 Künstlern<br />

aus den Sparten Bildende Kunst, Musik,<br />

Film und Tanz ging die Reise über<br />

Sunderland /GB, Bedburg-Hau/D,<br />

Amsterdam/NL, Otterlo/NL, Antwerpen/B,<br />

Gießen/D, Cala Figuera,<br />

Mallorca/E und Wroclaw/PL.<br />

Erlaubt und gewünscht war, in vielfältiger<br />

Weise auf die Kunstkiste und deren Inhalt<br />

zu reagieren. Allen beteiligten Künstlern<br />

ging es um die Idee des gemeinschaftlichen<br />

künstlerischen Agierens und Kommunizierens,<br />

der Auseinandersetzung über künstlerische<br />

Prozesse, Impulse aufzunehmen,<br />

neue weiterzugeben, zu experimentieren.<br />

Die Abschlusspräsentation vom 26.<br />

April bis 12. Mai 2013 im Neuen<br />

Kunstverein Wuppertal führt nun<br />

erstmalig die beteiligten Künstler und<br />

die Kunstkiste zusammen, dazu reisen<br />

über zwanzig europäische Künstler aus<br />

ihren Heimatländern an. Mit einem<br />

umfangreichen Programm wird ein<br />

Querschnitt der unterschiedlichen<br />

Beiträge vorgestellt und Möglichkeiten<br />

und Grenzen der gemeinsamen<br />

(Weiter)Entwicklung künstlerischer<br />

Strategien befragt.<br />

28


linke Seite:<br />

Studenten der Justus-Liebig-Universität<br />

Gießen arbeiten zur Kunstkiste mit fotografischen<br />

Mitteln (Foto: Marcus Recht)<br />

unten:<br />

Moving art box – die Kunstkiste in<br />

Künstlerhand<br />

(Foto: Michael Odenwaeller)<br />

Neben skurrilen, witzigen Vorgehensweisen,<br />

fantasievollen Aktionen, provokativen<br />

Eingriffen, fotografischen Experimenten,<br />

Film- und Soundprojekten,<br />

gibt es auch die leisen, intensiven Töne,<br />

überraschende neue Arbeiten, die erst<br />

durch die Ankunft der Kunstkiste<br />

angeregt und nun in Wuppertal erstmals<br />

vorgestellt werden.<br />

MOVING ART BOX war eine Herausforderung,<br />

der sich die über 80 beteiligten<br />

Künstlerinnen und Künstler mit Mut<br />

und Freude gestellt haben. MOVING<br />

ART BOX hat im wahrsten Sinne viel<br />

bewegt. Auf der projekteigenen Website<br />

können umfangreiche Informationen zu<br />

dem bisherigen Verlauf der Reise und<br />

zu den beteiligten Künstlern eingesehen<br />

werden.<br />

www.movingartbox.de<br />

29


linke Seite:<br />

In seinem Atelier in Antwerpen baute der<br />

Künstler Mark Swysen eine Installation als<br />

Antwort auf die Kunstkiste<br />

(Foto: Mark Swysen)<br />

unten links:<br />

Moving art box in Amsterdam – kleed<br />

(Foto: Guda Koster)<br />

rechts oben:<br />

Moving Art Box – die Kunstkiste in England<br />

(Foto: Jörg Lange).<br />

rechts unten:<br />

Moving art box – Zwischenstopp (Foto:<br />

Michael Odenwaeller).<br />

Eröffnung Freitag 26. April 2013, 19 Uhr<br />

Neuer Kunstverein Wuppertal,<br />

Hofaue 51, 42103 Wuppertal<br />

Öffnungszeiten:<br />

Mi – Fr 17 – 20 Uhr, Sa – So 15 – 18 Uhr<br />

www.neuer-kunstverein-wuppertal.de<br />

Es gibt im öffentlichen Stadtraum Kunstaktionen<br />

von den Künstlern (aktuelle<br />

Ankündigung beachten).<br />

Großzügig gefördert wurde dieses Projekt<br />

von der Sparkassen-Stiftung der Rheinlande,<br />

der Jackstädt-Stiftung, der Stadtsparkasse<br />

Wuppertal, dem Kulturbüro der<br />

Stadt Wuppertal, von Karoline Becker,<br />

i.i.d.open. In Zusammenarbeit mit dem<br />

Internationalen Begegnungszentrum<br />

Caritasverband Wuppertal/Solingen e.V.,<br />

Freundschaftsverein Liegnitz/Legnica e.V.<br />

Verantwortliche Künstler:<br />

Wuppertal Künstlergruppe 6PACK,<br />

Regina Friedrich-Körner, Renate Löbbecke<br />

u. a.) – Sunderland Lothar Götz,<br />

James Hutchinson – Bedburg-Hau Claus<br />

van Bebber, Marijke Schlebusch<br />

Amsterdam Guda Koster – Otterlo<br />

Marian Mijnhardt – Antwerpen Mark<br />

Swysen – Gießen Carl-Peter Buschkühle,<br />

Marcus Recht – Cala Figuera Peter Marquant,<br />

Josefina Pino – Wroclaw Dagmara<br />

Angier-Sroka, Bartlomeij Sroka<br />

Kontakt: Regina Friedrich-Körner<br />

0202 4698160 und Renate Löbbecke<br />

0202 86038<br />

31


Historische Parkanlage Hardt<br />

Immer wieder neu<br />

Die Hardt ist eine der bekanntesten Parkanlagen<br />

in Wuppertal, die viel Platz für<br />

unterschiedliche Aktivitäten bietet. Beinahe<br />

alle suchen sie gern auf: Junge wie Alte,<br />

Botaniker und Blumengucker, Promenierende<br />

und Jogger, Hundeausführer und Wiesenbelagerer,<br />

Cafébesucher und Musikfans,<br />

Bergbesteiger und Busbenutzer.<br />

Neue Hardt:<br />

Liegewiesen auf dem Rücken des Berges<br />

32


Als große Grünfläche inmitten der Stadt<br />

steht die Hardt unter Landschaftsschutz,<br />

die Hardthöhlen stehen unter Naturschutz.<br />

Wegen ihrer historischen Bedeutsamkeit<br />

ist die Anlage außerdem als Baudenkmal<br />

geschützt, übrigens bislang als einziger Park<br />

Wuppertals. Die 54 ha große Anlage birgt<br />

beachtlichen gartenkünstlerischen und<br />

stadthistorischen Reichtum. Immer wieder<br />

wurde der Park erweitert, aktuellen Bedürfnissen<br />

angepasst und hat neue gestalterische<br />

Impulse erfahren.<br />

Schon der erste Blick in die Geschichte<br />

des Parks zeigt, dass das Neue hier so einige<br />

Vorgänger hat. Abgekürzt lautet die Bilanz<br />

der Geschichte: Alte Hardt, Alte neue Hardt,<br />

Neue Hardt und Neuer Garten auf der<br />

Hardt. Hinter der prosaischen Namensgebung<br />

verbergen sich große räumliche,<br />

stilistische und soziale Veränderungen.<br />

Bemerkenswert neu war einmal die<br />

Anlage eines Parks auf dem Gelände, das<br />

Anfang des 19. Jhs. in einem Zustand war,<br />

den man heute als Brache bezeichnet. Die<br />

Wertigkeit des Ortes befand sich damals auf<br />

dem Tiefpunkt. Der einstige Bergwald, den<br />

der Name „Hardt“ bezeichnet, war abgeholzt.<br />

Eine kahle Öde außerhalb der Stadt<br />

war geblieben, schlecht genug für Schindanger<br />

und Ziegenweide. Übrig war der Fels,<br />

den die Bürger in mehreren Steinbrüchen<br />

abbauten. Um 1800 handelte es sich bei der<br />

Hardt also um ein wüstes Gelände ohne<br />

positives Image.<br />

Dann kam die erste Runde der Erneuerung:<br />

Der Wundarzt Johann Anton Stephan<br />

Diemel stellt 1807 im Stadtrat den Antrag,<br />

gerade hier eine Promenade anzulegen. Der<br />

Magistrat stimmt zu, und Diemel sammelt<br />

erfolgreich Geld. Während es andernorts<br />

die Fürsten waren, die den Bürgern Zutritt<br />

zu ihren Gärten gewährten, schafften sich<br />

die Elberfelder aus eigener Kraft einen<br />

Park. Die wenigen Vermögenden jener<br />

Zeit waren offenbar trotz hereinbrechender<br />

Kontinentalsperre willig, einen Bürgerpark<br />

zu finanzieren. Schon wenige Jahre später<br />

berichtet ein Reisender: „Aber man hat dort<br />

kunstvoll, und ich sage durchaus auch mit<br />

Geschmack, mehrere Rundwege angelegt,<br />

damit sich hier an den Sonntagen jene<br />

zahlreichen Grüppchen von ehrbaren und<br />

arbeitsamen Familien treffen können, die<br />

herkommen, um den Anblick des von ihnen<br />

selbst geschaffenen Werkes zu genießen, um<br />

ihren Kindern die Häuser, die Gärten, die<br />

33


Rasenplätze, die Werkstätten, die Fabriken<br />

und Geschäftshäuser dieses gewerbetreibenden<br />

Volkes zu zeigen, das auf eigne<br />

Rechnung arbeitet und das eines Tages von<br />

seinen Kindern wiederum Sorgfalt, Umsicht<br />

und vorbildhaftes Verhalten verlangen wird.“<br />

(Sokolnicki 1810)<br />

Was Diemel tat, nennen wir heute<br />

bürgerschaftliches Engagement. Im 19. Jh.<br />

wurde es eine Stärke Wuppertals und lief<br />

„im Grünen“ zu Höchstform auf. Bevor<br />

staatliche oder kommunale Wohlfahrtseinrichtungen<br />

existierten, erfanden Elberfelder<br />

Bürger so Einiges, das wir inzwischen als<br />

öffentliche Aufgabe zu betrachten gewohnt<br />

sind. Der Begriff Frühindustrialisierung<br />

deutet in Kürze den Hintergrund dafür an.<br />

Bei der vergleichsweise frühen Entstehung<br />

industrieller Strukturen sammelte sich im<br />

Tal erheblicher Reichtum und zugleich<br />

überdurchschnittlich große Armut. So wuchs<br />

auf der einen Seite die Notwendigkeit von<br />

Fürsorge für diejenigen, auf deren Schultern<br />

der Wohlstand der anderen lastete. Auf der<br />

anderen Seite drängte das Bürgertum nach<br />

Darstellung seiner Potenz, die politisch noch<br />

hinter der tradierten Stellung des Adels zurückstand.<br />

Sozialistische Ideen waren kaum<br />

im Spiel, als die führende Klasse öffentliches<br />

Grün für jedermann einführte und auf<br />

eigene Kosten finanzierte.<br />

Um es zusammenzufassen: Neu in der<br />

ersten Phase der Hardt ist die Schaffung<br />

einer öffentlichen Parkanlage und das<br />

bürgerschaftliche Engagement, dem sie<br />

sich verdankt. Der Anlagenteil, der damals<br />

entstand, erhielt in der nächsten Phase den<br />

Namen Alte Hardt.<br />

Die zweite Runde der Erneuerung<br />

vergrößerte das Parkgelände nämlich um die<br />

„Neue Hardt“. Auch sie fußte wesentlich<br />

auf bürgerschaftlichem Engagement, doch<br />

nun war es bereits organisiert: Initiative<br />

und Geld brachten der Elberfelder Verschönerungsverein<br />

und der eigens gegründete<br />

Hardtverein mit. Es waren reiche Vereine,<br />

in denen demokratische Gepflogenheiten so<br />

selbstverständlich waren, wie die Tatsache,<br />

dass Fabrikanten und Bankiers den Ton angaben.<br />

Vorreiter im Tal war 1863 der Barmer<br />

Verschönerungsverein gewesen.<br />

Die Elberfelder holten 1870 auf und<br />

gründeten ebenfalls einen Verschönerungsverein,<br />

der mit Entschlossenheit die<br />

Höhenzüge um die Stadt als Freiraum<br />

sicherte und begrünte. Im Tal explodierte<br />

Elisenturm<br />

Elisenhöhe - Villa Eller mit Kriegsschäden<br />

Alte neue Hardt - Heinrich Siesmayers gestaltete das schwierige Gelände<br />

34


Elisenturm - Ausblick<br />

Botanischer Garten<br />

Neuer Garten auf der Hardt - Neue Mitte der Parkanlage<br />

die Bevölkerung - sie verzehnfachte sich seit<br />

1800 fast -, die hygienischen Verhältnisse<br />

waren katastrophal. Die Betuchteren zogen<br />

an den Stadtrand, wo Neubauviertel bessere<br />

Luft und grünes Ambiente versprachen.<br />

Auch dem Proletariat wurde - bei anständigem<br />

Benehmen - wochenendliche Erholung<br />

in der Natur inklusive „Luftkur“ angeboten.<br />

Die in kürzester Zeit in Angriff genommenen<br />

Wald- und Parkanlagen sind von einem<br />

Umfang, der deutschlandweit einmalig sein<br />

dürfte. Selbstverständlich engagierte sich der<br />

Elberfelder Verschönerungsverein auch auf<br />

der Hardt. In gemeinsamer Anstrengung mit<br />

dem Hardtverein und der Stadt Elberfeld<br />

wurde die Größe der Parkanlage vervielfacht.<br />

Mit der Gestaltung der „Neuen Hardt“<br />

beauftragte man einen der meist beschäftigten<br />

Gartenarchitekten dieser Zeit, den<br />

bekannten Heinrich Siesmayer. Er schaffte<br />

einen Landschaftsgarten, der weite Wiesen,<br />

geschwungene Wege und frei wachsende<br />

Bäume meisterlich in das topografisch komplizierte<br />

Terrain hineinkomponierte. Der<br />

Stil der Zeit verlangte allerdings mehr: Zum<br />

historistischen Landschaftsgarten gehören<br />

neben den unregelmäßigen oder englischen<br />

Anlagen auch solche, die regelmäßig<br />

gestaltet sind und an den französischen Stil<br />

des Barockgartens anknüpfen. Ort dieser<br />

Gestaltung auf der Hardt war das „Bergische<br />

Haus“, das den einfachen Biergarten mit<br />

Ansprüchen der vornehmen Gesellschaft<br />

verband. Es bildete das Zentrum der Parkanlage<br />

und darf getrost mit dem adeligen<br />

Schloss verglichen werden. - Bürgerliche<br />

Selbstdarstellung lehnte sich noch immer an<br />

adelige Repräsentationsformen an. - Siesmayer<br />

positionierte das „Bergische Haus“ am<br />

Hang mit Blick über Elberfeld. Üppig, reich<br />

ornamentiert und bunt muss man sich die so<br />

genannten „Teppichbeete“ vorstellen, die es<br />

umgaben. Die Wirkung des Baus erhöhten<br />

drei vorgelagerte Terrassen, die durch<br />

Treppen und Kutschenvorfahrt verbunden<br />

waren.<br />

Neu in der zweiten Phase der Hardt war<br />

die Tätigkeit der Verschönerungsvereine<br />

mit ihrer großflächigen Sicherung der noch<br />

unbebauten Hangflächen, die man bald als<br />

„grünen Kranz“ um das Tal bezeichnete. Die<br />

Verschönerungsvereine bereiteten die grünen<br />

Aufgaben vor, die um die Jahrhundertwende<br />

die kommunale Verwaltung übernahm.<br />

In der dritten Runde der Erneuerung<br />

legte Stadtgärtner Thomas Ruprecht auf<br />

35


Nachbargrundstücken einen Schulgarten<br />

und die Stadtgärtnerei an. Die Ulmen<br />

gesäumte Reichsallee führte nun vom Park<br />

nach Barmen. Auf der Grenze beider Städte<br />

entstand 1907 der Bismarckturm, mit dem<br />

der Denkmalskult in seinen nationalistischen<br />

Zenit trat. Erstmals fanden Spielplätze in den<br />

Parkplänen Berücksichtigung. Julie Eller-<br />

Vogdt stiftete auf einem ihrer angrenzenden<br />

Grundstücke das Bürger-Krankenhaus, auf<br />

einem anderen gründete sich der private<br />

„Hardt Tennis-Club“. Wenig später zog im<br />

ehemaligen Privatgarten Eller der zum Botanischen<br />

Garten qualifizierte Schulgarten ein.<br />

Neu in der dritten Phase der Hardt war<br />

die Differenzierung der Nutzung. Nicht<br />

mehr nur Sehen und Gesehen werden, Promenieren<br />

und Aussicht genießen, bildeten<br />

die Aufgaben der Grünanlage. Hinzu trat<br />

eine ganze Palette von Funktionen: Belehrung<br />

und Gartenbau, Verkehr und politische<br />

Symbolik, Gesundheit, Spiel und Sport. Neu<br />

war auch der Übergang planerischer und gestalterischer<br />

Aufgaben an einen Stadtgärtner,<br />

der sich später Gartenbaudirektor nannte.<br />

Die vierte Runde der Erneuerung brachte<br />

wieder eine „Neue Hardt“. Nach Beseitigung<br />

der großen Schäden aus dem 2. Weltkrieg<br />

folgte die Einbeziehung des Höhenrückens<br />

in die Parkanlage. Die Hardt reichte nun<br />

bis zum Bismarckturm und schloss damit<br />

an den Hardtbusch, einen Waldrest am<br />

Unterbarmer Südhang, an. Rechts und links<br />

der Reichallee entstanden Liegewiesen mit<br />

wunderbaren Ausblicken zu beiden Seiten.<br />

Auf dem Gelände des früheren Schulgartens<br />

wurde der Rosengarten angelegt, der die<br />

Verbindung zwischen der Neuen Hardt und<br />

der Alten neuen Hardt herstellte.<br />

Neu in der vierten Phase der Hardt war<br />

der Verlust des gesellschaftlichen Zentrums<br />

durch die Kriegszerstörung des „Bergischen<br />

Hauses“, auf dessen Wiederbau verzichtet<br />

wurde. Ebenso musste die Hardt jetzt ohne<br />

bürgerschaftliches Engagement auskommen.<br />

Hardtverein und Elberfelder Verschönerungsverein<br />

waren durch die nationalsozialistische<br />

Gleichschaltung zerfallen und lösten<br />

sich nun auf. Die Stadtverwaltung schien sie<br />

entbehrlich gemacht zu haben. Neu war aber<br />

auch die Eroberung des Rasens, der seither<br />

betreten, belagert und bespielt wird.<br />

Der „Neue Garten auf der Hardt“ bildet<br />

die fünfte Phase der Erneuerung. Mit ihm<br />

schaffte die Regionale 2006 ein neues Raumgefühl<br />

in der Mitte und für die Mitte des<br />

Parks. Sie war seit der Nachkriegserweiterung<br />

Richtung Barmen durch die Stadtgärtnerei<br />

mehr oder weniger blockiert gewesen. Nun<br />

öffnete sich der Kern der Grünfläche und<br />

verbindet seither die Anlagenteile miteinander.<br />

An dieser Stelle sind die Glashäuser<br />

entstanden und übernehmen ein Stück weit<br />

die Aufgabe des verlorenen Gesellschaftshauses.<br />

Der neue Garten gibt dem Park ein<br />

neues Zentrum. Diese Aufgabe kann das<br />

Gebäude nicht durch Pflanzenzucht allein<br />

ausfüllen, das große Glashaus ist vielmehr für<br />

den Besuch der Öffentlichkeit gedacht und<br />

für Veranstaltungen konzipiert. Die ebenfalls<br />

erneuerte Gastronomie liegt zwar nicht im<br />

gleichen Gebäude, aber in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft. Die Elisenhöhe ist also das<br />

neue Zentrum der Parkanlage Hardt.<br />

Die Geschichte brachte der Hardt viele<br />

Neuigkeiten, nur die Bezeichnung „neu“,<br />

die ist richtig alt. Künftige Neuerungen<br />

sollten die wertvolle alte Substanz stärken<br />

und besser zur Geltung bringen. Hier gibt<br />

es einige Schätze zu heben, die in Vergessenheit<br />

geraten sind: manches Denkmal<br />

sollte wiederhergestellt, die noch immer<br />

kriegsbeschädigte Villa Eller in Stand gesetzt<br />

werden. Fantastische Ausblicke können<br />

hinzugewonnen, die romantische Konzeption<br />

der Alten Hardt wieder herausgearbeitet<br />

werden. Schließlich fordert der Umzug der<br />

Justizvollzugsschule die Neustrukturierung<br />

der freiwerdenden Fläche.<br />

Die Aufnahme der Parkanlage Hardt in<br />

die Route der Gartenkultur im Rheinland<br />

war ein erster Schritt, einen der ältesten Bürgerparks<br />

in Deutschland auch überregional<br />

stärker ins Bewusstsein zu bringen. Neuerdings<br />

hat die Hardt sogar übernationale Anerkennung<br />

im Europäischen Gartennetzwerk<br />

gefunden. Man darf daher mit steigender,<br />

auch touristischer Bedeutung des Grüns in<br />

Wuppertal rechnen.<br />

In diesem Jahr rückt die Veranstaltung<br />

„Gartenkunst in Wuppertal - Heinrich<br />

Siesmayers Gärten“ eine Epoche der Hardt<br />

in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Sommer<br />

wird die Ausstellung „Heinrich Siesmayer.<br />

Gartenkünstler der Gründerzeit“ im<br />

Glashaus zu sehen sein, begleitet von einem<br />

umfangreichen Programm, in dem auch der<br />

Zoo eine wichtige Rolle spielt.<br />

Antonia Dinnebier<br />

Denkmal als Aussichtsturm - Bismarckturm<br />

Alte Hardt - Felsenkante des ehemaligen<br />

Steinbruchs mit Gärtnerhaus<br />

Hardtstein – 50 Jahre Hardtverein 1880-<br />

1930<br />

36


Karl Otto Mühls späte<br />

Prosa und Gedichte<br />

Vortrag im Februar 2013 im Rahmen des<br />

Symposiums an der Bergi schen Universität<br />

zum Werk von Karl Otto Mühl anlässlich<br />

seines Neunzigsten Geburtstages<br />

Torsten Krug, Foto: Mariann Menke<br />

Das Schlupfloch zur Freiheit<br />

Als ich vor einigen Jahren zusammen mit<br />

einem Freund einen kleinen Musik-Clip<br />

für die Oper Gelsenkirchen drehte, war ich<br />

auf der Suche nach einem möglichst alten<br />

Mann. Dieser sollte als Protagonist dieses<br />

Musik-Clips zunächst in ganz alltäglichen<br />

Situationen gefilmt, sodann mittels einer<br />

Arie aus Manon Lescaut an eine ferne<br />

Vergangenheit erinnert werden. Kapazitäten<br />

dieser Stadt verwiesen mich für diese<br />

Aufgabe an Karl Otto Mühl, dessen knorriger<br />

Bass mir schon am Telefon sympathisch<br />

war, und der sofort zusagte. Wir könnten<br />

den ganzen Tag filmen. Als wir in der<br />

vereinbarten Wohnung ankamen - seine<br />

Schreibwohnung oder sein „Büro“, wie er<br />

sie gerne nennt - waren wir vollkommen<br />

verblüfft: kein Locationscout hätte eine<br />

solche Wohnung finden, kein Bühnenbildner<br />

sie so perfekt nachbauen können, wir<br />

traten in eine Wohnung, welche nahezu<br />

komplett in den Siebziger Jahren stehengeblieben<br />

war. Sie bot das perfekte Umfeld<br />

für unsere kleine Geschichte: Ein Mann<br />

bleibt nach einer großen Liebe in jungen<br />

Jahren allein zurück und lebt ein langes<br />

Leben lang weiter, doch er bleibt immer an<br />

diese eine große Liebe und die Erinnerungen<br />

daran gebunden. Jetzt, beim Erarbeiten<br />

dieses Vortrages, musste ich erneut an diese<br />

Konstellation denken.<br />

Wir filmten Karl Otto Mühl also beim<br />

Griff in eine Keksdose, beim Tippen am<br />

Computer, beim Blick aus dem Fenster,<br />

beim Wandeln durch diese wie aus der Zeit<br />

gefallenen Räume. Ich traf auf einen Mann,<br />

der versonnen vor sich hin brummte, sobald<br />

- wie beim Drehen üblich - kleinere Pausen<br />

entstanden, zwischendurch zeigte er mir Fotos<br />

an den Wänden seines Schreibzimmers<br />

- Tankred Dorst, Hanna Jordan, und viele<br />

andere, von denen ich nur die Namen kannte,<br />

und - ich stutzte - Bilder seiner Töchter,<br />

alle drei deutlich jünger als ich. Einmal, als<br />

wir ihn schlafend im Bett filmten, schlief er<br />

tatsächlich ein, wachte im entscheidenden<br />

Moment erfrischt wieder auf und bot uns<br />

erneut Nüsse und Äpfel an. Schließlich<br />

filmten wir ihn vor dem Badezimmerspiegel<br />

beim Hören der Puccini-Arie. Große Nahaufnahmen<br />

seines Gesichtes, einer Erinnerungslandschaft<br />

gleich.<br />

Dies alles ließ dieser Mann mit einer<br />

Seelenruhe geschehen, hatte zwischendurch<br />

offensichtlich Freude und Interesse an<br />

uns Jungen, stellte immer wieder Fragen<br />

37


nach unserem Leben, unseren Arbeitsmöglichkeiten<br />

als Künstler, unseren Familien.<br />

Während der zwei Tage, die wir mit<br />

ihm und bei ihm drehten, entstand eine<br />

gemeinsame, bisweilen beinahe tranceartige<br />

Ruhe, und wir vergaßen die Zeit. Seither<br />

sind wir Freunde.<br />

Ich habe diese etwas launige Anekdote zum<br />

Einstieg erzählt, weil ich merke, dass diese<br />

erste Begegnung mit Karl Otto Mühl für<br />

mich beinahe alles enthält, was ich wenig<br />

später in seinen Texten und vor allem<br />

in seiner neuesten Prosa so ausgeprägt<br />

wiedergefunden habe. Seither habe ich drei<br />

seiner Veröffentlichungen lektorieren und<br />

z.T. gestalten können und durfte so sein<br />

Schreiben der letzten Jahre begleiten.<br />

2001 überrascht Karl Otto Mühl, der<br />

„stille Beobachter“ und „sanftbissige<br />

Chronist des Angestelltenlebens“, wie ihn<br />

Jörg Aufenanger in seinem Vorwort nennt,<br />

mit der Veröffentlichung einer Sammlung<br />

von Gedichten, welche Ende der neunziger<br />

Jahre entstanden sind. Obwohl Mühl<br />

schon als Jugendlicher Gedichte schreibt,<br />

mag man diese Veröffentlichung mit dem<br />

Titel „Inmitten der Rätsel“ bemerkenswert<br />

finden. Ein lyrisches Ich meldet sich<br />

da, welches deutlicher, intimer, zugleich<br />

rätselhafter von sich selbst erzählen<br />

möchte, ja: sich selbst erlebbar machen<br />

möchte. Streng genommen, so bemerkt<br />

auch Aufenanger, war es schon immer da,<br />

dieses Ich: Fast alle seine Romane - mit<br />

Ausnahme vielleicht von „Fernlicht“,<br />

seinem einzigen Ausflug in den Bereich<br />

des Jugendbuches - folgen der erlebten<br />

Wirklichkeit des Kriegsheimkehrers<br />

Mühl (in „Siebenschläfer“), des leitenden<br />

Angestellten (in „Trumpeners Irrtum“<br />

und in „Hungrige Könige“), der eigenen<br />

Kindheit und Jugend im Dritten Reich (in<br />

„Nackte Hunde“), der Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Vergangenheit (in „Die<br />

alten Soldaten“). Immer geht es um dieses<br />

Ich, das sich selbst reflektiert, auch und<br />

gerade in der Beobachtung und Analyse<br />

der anderen. Dennoch scheint hier, mit<br />

der ersten größeren Veröffentlichung von<br />

Gedichten, ein neuer Raum eröffnet. Ein<br />

neuer Ton klingt an, welcher sich 2008 -<br />

nach den beiden späten Romanen „Hungrige<br />

Könige“ und „Nackte Hunde“ (beide<br />

2005) - in einem weiteren Gedichtband<br />

mit dem Titel „Lass uns nie erwachen“<br />

fortsetzt. Mühls späte Prosa, die Bände<br />

„Stehcafé“ von 2010 und „Die Erfindung<br />

des Augenblicks“ von 2012 (und in gewisser<br />

Weise auch seine mittlerweile zwei<br />

Aphorismenbände), knüpfen an dieser<br />

Entwicklung an. In dieser Prosa sind die<br />

lyrische Gestimmtheit und das selbstreflexive<br />

Ich nunmehr ständig präsent, ist das<br />

Alter Ego, welches jetzt durchweg „Ich“<br />

sagt, kaum oder gar nicht vom Autor<br />

Mühl zu unterscheiden.<br />

Seit etlichen Jahren kann man Karl<br />

Otto Mühl morgens gegen halb neun in<br />

einem winzigen Stehcafé im Domagkweg<br />

in Wuppertal antreffen. Kein Wiener<br />

Kaffeehaus, nicht einmal eine wirkliche<br />

Sitzgelegenheit gibt es, lediglich ein Dreieckstisch<br />

in der Ecke bietet einen gewissen<br />

Halt in dem kleinen Raum; vor der Theke<br />

mit Backwaren findet sich ein schmaler<br />

Schlauch mit einigen Stehplätzen. Hier<br />

gehen sie ein und aus, die Anwohner der<br />

Gegend rund um den Mirker Hain, Handwerker<br />

kommen für ihre Pause vorbei,<br />

Hundebesitzer, junge Frauen, die im nahen<br />

Wald ihre Runden laufen, „Geschiedene“,<br />

so Mühl, „Getrennte, Einsame, Singles,<br />

Verwitwete, Analphabeten, gefügige<br />

Lehrlinge mit ihren Meistern, Gärtner,<br />

ein Kraftfahrer, der über seine sechs<br />

unehelichen Kinder berichtet“ - und eben<br />

auch, angelockt durch Karl Otto Mühl,<br />

Schriftstellerkolleginnen und -kollegen,<br />

emeritierte Professoren, Politikerwitwen,<br />

Künstler oder Lehrer. Es ist ein perfekter<br />

Ort für den Autor Karl Otto Mühl, ein<br />

Menschenpark, ein Umschlagplatz für<br />

kleine und große Schicksale, für Informationen,<br />

Gerüchte, Halbwissen und scheinbar<br />

Unbedeutendes. Jedes Gesicht, jede fremde<br />

Erscheinung läßt Schicksale erahnen oder<br />

erfinden. Hier findet Mühl, was er sucht<br />

und braucht, entfaltet sich seine Gabe zur<br />

genauen Beobachtung und befriedigt sich<br />

seine Neugier. Alles kann hier zum Anlaß<br />

werden für eine philosophische Reflexion,<br />

eine Einsicht, eine Erkenntnis oder auch:<br />

eine persönliche Erinnerung. Ganz nahe<br />

an diesem Stehcafé, das einfacher und<br />

bescheidener nicht sein könnte, liegt der<br />

Wald des Mirker Hain, der mindestens<br />

ebenso bedeutend für das Szenario dieser<br />

späten Prosa ist. Die Natur spricht auch,<br />

wenn die Menschen schweigen, und bildet<br />

eine „Sinfonie lautloser Ereignisse“, wie es<br />

in dem kurzen Text „Donnerstagmorgen<br />

mit einem Zufriedenen“ heißt:<br />

„Wieder ein regennasser Morgen. Andere<br />

Läufer und Geher scheinen heute wenig Lust<br />

zu haben. Die Waldwege sind menschenleer;<br />

bis zum Ende der Strecke, von wo sich<br />

die bunten Gestalten sonst, langsam größer<br />

werdend, nähern, ist niemand zu sehen.<br />

Dafür spricht der Wald umso mächtiger und<br />

deutlicher zu mir, fast scheint es, als richteten<br />

sich die Bäume jäh vor mir auf und lächelten<br />

dann gutmütig, weil sie mich erschreckt<br />

haben. Die Luft ist feuchtkalt. Es ist ja Herbst<br />

mit einer Prise Winter darin. Rechts am Wegrand<br />

liegt ein großer Stapel dicker, gefällter<br />

Stämme, krumme und gerade übereinander<br />

getürmt. Die hellbraunen Schnittflächen<br />

leuchten, die gestürzten Riesen türmen sich<br />

wie gigantische Muskelpakete, noch immer<br />

bersten sie vor Kraft. Ich weiß nicht, wo ich in<br />

dieser Sinfonie der lautlosen Ereignisse zuerst<br />

hinschauen soll.“ (aus: Stehcafé)<br />

Durch dieses Szenario - das Stehcafé als<br />

Sinnbild einer Gesellschaft, umgeben<br />

von der belebten Natur - mäandert das<br />

Alter Ego dieser späten Prosa. Man kann<br />

sie kaum Geschichten oder Erzählungen<br />

nennen, eher Reflexionen, Beobachtungen,<br />

Miniaturen oder auch Meditationen.<br />

„Man schreibt, um sich selbst erlebbar zu<br />

machen“, lautet eine frühe Selbstaussage<br />

Mühls. Die Bäckerei und der Wald werden<br />

zu den Orten dieser Bemühung:<br />

„Heute ist Montag. Ein ganz anderes Gefühl<br />

habe ich heute; kein Vergleich zu gestern<br />

morgen, als ich auch durch den Wald lief.<br />

Sonntags besteht ja immer die Gefahr, dass<br />

ich von der Welt vergessen werde. An Sonntagen<br />

bemerkt sie mich nicht, die Welt, ob sie<br />

nun im Sonnenlicht schweigt oder ob sie unter<br />

Regengüssen versinkt oder den Morgennebel<br />

wie eine Decke über den Kopf zieht. Erst in<br />

der Bäckerei werde ich schließlich bemerkt.“<br />

(aus: „Stehcafé“)<br />

Oft werden Geschichten nur angedeutet,<br />

selten wird eine wirkliche Handlung,<br />

ein Ereignis zu Ende erzählt, sondern im<br />

Gegenteil: hinter jeder Biegung leuchten<br />

die zahllosen anderen Lebensmöglichkeiten<br />

hervor, und hinter jedem Satz stehen unzählige<br />

andere, welche den soeben gesagten<br />

ins Unendliche vertiefen. Es ist diese Vielstimmigkeit,<br />

diese Verschachtelung ganz<br />

heterogener Ebenen, welche diese späte<br />

Prosa zu einem originären literarischen<br />

Genre machen.<br />

Literarische Vorbilder hierzu finden sich<br />

am ehesten in der Romantik. „Indem ich<br />

38


dem Gemeinen einen hohen Sinn“, heißt<br />

es in der wohl prägnantesten Definition des<br />

Romantischen bei Novalis, „dem Gewöhnlichen<br />

ein geheimnisvolles Ansehen, dem<br />

Bekannten die Würde des Unbekannten,<br />

dem Endlichen einen unendlichen Schein<br />

gebe, so romantisiere ich es.“ In diesem<br />

Sinne läßt sich Mühls späte Prosa lesen<br />

als ein lyrisch gestimmter, tagebuchartiger<br />

Bericht und zum Teil eine Überhöhung<br />

des Alltäglichen. „Der romantische Geist“,<br />

schreibt Rüdiger Safranski in seinem<br />

Buch über die Romantik, „ist vielgestaltig,<br />

musikalisch, versuchend und versucherisch,<br />

er liebt die Ferne der Zukunft und der<br />

Vergangenheit, die Überraschungen im<br />

Alltäglichen, die Extreme, das Unbewusste,<br />

den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe<br />

der Reflexion. Der romantische Geist bleibt<br />

sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich,<br />

sehnsüchtig und zynisch, ins<br />

Unverständliche vernarrt und volkstümlich,<br />

ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt<br />

und gesellig (...)“ (aus: „Romantik. Eine<br />

deutsche Affäre“). All dies läßt sich in<br />

Mühls später Prosa finden.<br />

Ein Bericht von einem Elektrotechniker,<br />

der seinen Kunden nur noch so viel abverlangt,<br />

wie sie zu zahlen bereit sind, gerät<br />

dem Autor zum Märchen, was er auch<br />

umgehend selbst reflektiert:<br />

„Ich merke jetzt, dass ich diese Geschichte<br />

wie ein Märchen erzählt habe. Man kann<br />

ja auch heiter und beschwingt dabei werden,<br />

alles vergessen. Ich zum Beispiel meinen<br />

Onkel Karl, der bei Kriegsende in Rumänien<br />

als Gefangener in einem Schuppen lag, mit<br />

einem Sack zugedeckt, und endlich sterben<br />

durfte; ich denke an Krankheiten und an<br />

die Geschwindigkeit, mit der wir durch<br />

das Leben getrieben werden. Und dass ich<br />

immer denken muss: Irgendwann sehe ich<br />

den oder die nicht wieder. Oder anders: Dass<br />

die Wirklichkeit hinter meinem Bericht viele<br />

Schichten hat, und dass durch alle geschehenen<br />

Fakten hindurch Kräfte wirken, die wir<br />

nicht sehen (...); es erklingen Melodien, die<br />

wir nicht hören. (...) Eigentlich suchen wir<br />

aber das Schlupfloch zur Freiheit.“ (aus: „Die<br />

Erfindung des Augenblicks“)<br />

Diese Musik hinter den Dingen, diese<br />

Melodien hinter der Melodie sind auch<br />

dem Trauma der Generation des Autors geschuldet:<br />

Als Kriegsheimkehrer gehört er zu<br />

denen, die überlebten. Ein „Rätsel“ mithin<br />

seither schon die Frage, warum man noch<br />

lebt und ein anderer nicht. Das „Schlupfloch<br />

zur Freiheit“ hieße ein Ankommen,<br />

ein Moderieren der unerträglich aufeinander<br />

prallenden Empfindungen. „Inmitten<br />

der Rätsel“ enthält ein Gedicht mit dem<br />

Titel „Das Unerträgliche“:<br />

Eigentlich könnt ich<br />

nur leben<br />

wenn ich die Hölle vergäße<br />

in der andere sind<br />

vielleicht morgen ich<br />

Sie rufen und strecken<br />

die Hände empor<br />

Ich lebe trotzdem<br />

ich glaube<br />

die Musik<br />

ist zu laut<br />

Wenn die Musik zu laut ist, wenn die<br />

Melodien hinter den Dingen, die Erinnerungen<br />

an Unfassbares oder die Vorahnung<br />

von Unfassbarem, zu laut werden, ist<br />

das Leben unerträglich. Dieser Umstand<br />

erfordert Widerstand, Lebenswillen und<br />

die Lust, kleine Dinge zu beachten, sie in<br />

den Rang einer unerhörten Begebenheit<br />

zu erheben, kurz: seine eigene Melodie zu<br />

singen.<br />

Das lyrische Ich braucht Ermutigung, holt<br />

sie sich beim ersten Blick in die Zeitung:<br />

Der Morgen<br />

fängt gut an.<br />

Ich lese die Todesanzeigen,<br />

und ich bin nicht dabei.<br />

Die Tatkraft, das Knorrige, Selbstbewusste,<br />

und der Humor bilden das Gegengewicht<br />

zur romantischen Auflösung oder Vertiefung;<br />

die alltägliche Organisation, das<br />

„Erledigen“ wird zum „Tagewerk“, wie es<br />

in einem der Texte heißt. Und doch ist die<br />

Vergänglichkeit, die eigene inbegriffen,<br />

fast immer präsent. „Der Herbst“, heißt<br />

es zu Beginn einer Aufzeichnung aus dem<br />

ersten Stehcafé-Band, „ist mein Nachbar<br />

geworden“:<br />

„Nachts weckt er mich auf mit tosenden<br />

Windböen, mit Blitz und Donner, morgens<br />

verstellt er das Außenthermometer auf unvorstellbare<br />

sechs Grad, vor der Haustüre ragt<br />

mir sein braunes, nasses Gesicht entgegen. Er<br />

reißt mir den Wunsch nach Promenadenfröhlichkeit<br />

und Leichtfertigkeit aus der Hand, er<br />

erinnert unbarmherzig daran, wie rasch die<br />

letzten zehn und mehr Jahre vergangen sind,<br />

und, schreit er, das sollte mit den letzten paar<br />

Jahren nicht auch so gehen?“ (aus: „Stehcafé“)<br />

Auch hier sind die Naturbilder metaphorisch<br />

aufgeladen, steht der Jahreskreislauf<br />

für den Lauf des Lebens. „Der Herbst<br />

räumt sie weg, die alten Freunde“, heißt es<br />

am Ende desselben Textes. Und: „Wohin<br />

immer ich jetzt gehen werde, es wird nur<br />

vorläufig sein“.<br />

Dieses Bewußtsein für die eigene Endlichkeit<br />

ist, wie gesagt, nicht neu für den<br />

kriegserfahrenen Mühl. Ein Gedicht aus<br />

dem Band „Inmitten der Rätsel“ berichtet<br />

von einer Einsicht des jungen Mannes:<br />

Kriegsgefangenentransport<br />

Führ er doch schon zurück,<br />

unser eiserner Wurm!<br />

Unsere Köpfe<br />

wackeln im Takt.<br />

Durch verstepptes Land,<br />

wie eine karge<br />

Glatze bewachsen,<br />

donnert unser gestohlenes Leben.<br />

In jeder Kurve<br />

drängt in uns hoch,<br />

daß wir gedankenlos waren.<br />

Wir schmissen es weg, das Leben,<br />

das uns liebte.<br />

Dieses „gestohlene Leben“ ist durchaus<br />

mehrdeutig: Zum einen meint es ein Leben,<br />

das in die Hände der Feinde gefallen und<br />

insofern gestohlen ist; zum anderen war es<br />

schon vorher gestohlen - und das wird dem<br />

lyrischen Ich nun klar: es sind die gestohlenen<br />

Jahre der Jugend und des jungen Mann-<br />

Seins einer ganzen Generation. Doch rückblickend<br />

hat dieses „gestohlen“ noch eine<br />

dritte Konnotation: Karl Otto Mühl wird<br />

nicht müde zu betonen, dass die Kriegsgefangenschaft<br />

und damit der frühe Austritt<br />

aus den Kriegshandlungen sein größtes<br />

Glück und seine Rettung waren. Und so<br />

lebt er in gewisser Weise dieses gestohlene<br />

Leben fort, während es zahllosen anderen,<br />

darunter Freunden, genommen wurde. Das<br />

gestohlene ist auch ein geschenktes Leben.<br />

Dieses memento mori, welches seine späten<br />

Texte wie ein roter Faden durchzieht, führt<br />

jedoch nicht oder selten zu einer Schwere,<br />

39


einer Verdunklung bis hin zu Düsternis,<br />

sondern es erscheint aufgefangen oder sublimiert<br />

durch eine Form der Romantischen<br />

Ironie. Diese bedeutet, so schreibt Friedrich<br />

Schlegel um 1800, „im ursprünglich Sokratischen<br />

Sinn (...) eben nichts andres, als<br />

das Erstaunen des denkenden Geistes über<br />

sich selbst, was sich oft in leises Lächeln<br />

auflöst“. Dabei könne sich, so Schlegel, infolge<br />

der Selbstdistanz durchaus das Gefühl<br />

von Komik einstellen - verstanden als eine<br />

wichtige Voraussetzung für eine „höher<br />

liegende Ernsthaftigkeit“.<br />

Einen letzten bemerkenswerten Aspekt dieser<br />

späten Prosa möchte ich noch herausheben.<br />

Sowohl die beinahe ständige thematische<br />

Präsenz der Vergänglichkeit als auch<br />

die lyrische Gestimmtheit in diesen Texten<br />

führen nicht selten zu einer erzählerischen<br />

Verdichtung auf einen Augenblick hin.<br />

Schon im Gedichtband „Inmitten der<br />

Rätsel“ sind das Erleben des Augenblicks<br />

und die Unmöglichkeit, ihn in Worte zu<br />

fassen, Thema:<br />

Rätsel<br />

Da hat ein Gesicht<br />

durch die Tür gespäht;<br />

nur einen Spalt,<br />

dann ging sie zu.<br />

Voll solcher stummer<br />

Augenblicke<br />

ist mein Leben.<br />

Sie sagen niemals,<br />

wer sie sind.<br />

Hör hin, wenn Glas zerspringt,<br />

sieh zu, wenn Efeu erschauert.<br />

Sie sagen die Wahrheit,<br />

beide.<br />

Beide sagen<br />

die Wahrheit.<br />

„Die Wahrheit“ ist mithin etwas, an das<br />

die Sprache nicht reicht, die Wahrheit<br />

ist ein Rätsel. Und so nähert sich Mühls<br />

späte Prosa immer wieder einem solchen<br />

Augenblick, umkreist ihn, erinnert ihn,<br />

versucht ihn zu fassen, doch es ist immer<br />

ein „Danach“ und in diesem Sinne eine<br />

„Erfindung des Augenblicks“.<br />

In einem kurzen Text aus dem gleichnamigen<br />

Prosaband überquert das Alter<br />

Ego Mühls eine Straße, „in einigen<br />

hundert Metern Entfernung werden<br />

Autos sichtbar“, heißt es, „Zeit ist aber<br />

noch genug“.<br />

„Da passiert etwas. Der Asphalt hat Risse,<br />

und ich stolpere, kurz bevor ich die andere<br />

Straßenseite erreiche. Mit einer Hand fange<br />

ich den Sturz ein wenig ab, doch spüre ich,<br />

wie ich über den rauen Asphalt schramme.<br />

Für Sekunden muss ich nichts gedacht, gespürt<br />

oder gefühlt haben. Dies war ein seliger<br />

Augenblick mit dem Gefühl des Nichtseins.<br />

Ich erinnere mich heute, es war, als ob sich ein<br />

Vorhang nach beiden Seiten öffnete, Luft und<br />

Licht wurden dünn und blass, aber dennoch<br />

überglänzt. Es war nichts mehr vorhanden,<br />

nicht einmal ich, aber dennoch gab es mich<br />

und alle, die ich kenne, es gab die Freunde,<br />

die toten und die lebendigen; keiner zu<br />

sehen, aber jeder gegenwärtig als Idee seiner<br />

selbst. Nichts war zu sehen, aber alles voller<br />

Freundlichkeit vorhanden und ich mitten<br />

darin. Ein Auto bremst einige Meter vor mir.<br />

In diesem Augenblick rolle ich mich aber<br />

bereits zum Bürgersteig hin, stehe auf und<br />

klopfe den Staub ab.“ (aus: „Die Erfindung<br />

des Augenblicks“)<br />

„Was bleibt“, fragt sich der Erzähler an<br />

anderer Stelle, „wenn sich herausstellt, dass<br />

es Vergangenheit und Zukunft real gar<br />

nicht gibt? Was sind wir dann?“ Nicht nur<br />

der Asphalt, sondern die Realität hat Risse.<br />

In ihnen - Heidegger würde sagen: im<br />

Ereignis, im Nicht Ableitbaren - offenbart<br />

sich unsere Existenz.<br />

Und so gerät diese späte Prosa - und auch<br />

manch spätes Gedicht - an ihren glücklichsten<br />

Stellen in eine ganz eigene Art des<br />

Schwebens zwischen Oberfläche und Tiefe,<br />

zwischen schalkhaftem Witz und empfundener<br />

Tragik, zwischen knorriger Alltagsbeschreibung<br />

und philosophischer Reflexion.<br />

Die Romantische Ironie bietet hierbei ein<br />

„Schlupfloch zur Freiheit“, eine Möglichkeit,<br />

zwischen umfassenderen Sinnstiftungen<br />

einerseits und alltäglich auszuhaltenden,<br />

meist banalen oder auch frustrierenden<br />

Lebensumständen andererseits im aktuellen<br />

Hier und Jetzt zu vermitteln.<br />

Karl Otto Mühls literarische Produktivität<br />

ist ungebrochen. Wöchentlich, manchmal<br />

täglich erreichen seine Freunde E-Mails mit<br />

Texten - Fragmente zumeist, Anfänge oder<br />

Augenblicke, kleine Szenen, tagebuchartig,<br />

skizzenhaft eingefangen; „zu einem<br />

Roman“, sagte er einmal zu mir, „spüre ich<br />

nicht die Kraft“. Ein neues, noch unvollendetes<br />

Manuskript trägt den Arbeitstitel<br />

„Mein Leben als Greis“. Es beginnt mit<br />

dem durchaus ironischen Satz: „Vielleicht<br />

ist dies mein letztes Buch. Schonungslos<br />

werde ich die Wahrheit sagen, über alles<br />

und jeden, ausgenommen mich selbst.“<br />

Ganz in diesem Sinne möchte ich mit<br />

einem Gedicht enden, das auch uns Junge<br />

mit einbezieht:<br />

An die Alten<br />

Nur alte Säcke ringsumher,<br />

silbernes Haar, Freskengesicht,<br />

knochiger Hintern, schlaffe Haut,<br />

ausgestreut wie Abfall am<br />

Rand des Lebens.<br />

Wehrt euch, ihr grauen Dämmergestalten,<br />

wehrt euch.<br />

Nicht mit Krähen und Keifen,<br />

aber mit deutlichem Blick,<br />

mit stillem Schlurfen ins Dunkel,<br />

mit lichten Gedanken<br />

und Freundlichkeit.<br />

Seht nur, wie die Jungen<br />

da schmatzend vorüberziehn,<br />

und neidisch schaun sie auf euch.<br />

Torsten Krug<br />

ist Theaterregisseur, Musiker und Autor<br />

und lebt in Wuppertal. Er studierte Neuere<br />

deutsche Literatur, Musikwissenschaft und<br />

Philosophie in Tübingen. Danach war er<br />

u. a. Assistent von Katharina Thalbach.<br />

Seit 2006 ist er freischaffend tätig und<br />

inszenierte u. a. in Chemnitz, Rudolstadt,<br />

Berlin, Regensburg, Heilbronn sowie an<br />

der bremer shakespeare company. Er war<br />

Gastdozent an der Hochschule für Musik<br />

und Theater Leipzig sowie am Institut für<br />

Schauspiel-, Film- und Fernsehberufe ISFF<br />

in Berlin.<br />

40


Karl Otto Mühl wurde am 16. 2. 1923 in<br />

Nürnberg geboren. 1929 folgte der Umzug der<br />

Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum<br />

Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in<br />

Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika,<br />

USA, England.<br />

Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal,<br />

wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt,<br />

der auch Paul Pörtner angehört. Erste<br />

Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht.<br />

Am Carl-Duisberg-Gymnasium holt er 1948<br />

das Abitur nach, danach Werbe- und Verkaufsleiter<br />

in Maschinen- und Metallwarenfabriken.<br />

Erst in der Mitte der 60er Jahre gelingt es ihm<br />

wieder, kontinuierlich zu schreiben. Zwischen<br />

1964 und 1969 entsteht der Roman »Siebenschläfer«<br />

(veröffentlicht 1975), mit den<br />

Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in<br />

Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer«<br />

gelingt ihm der Durchbruch.<br />

Seitdem veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn<br />

Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme,<br />

Hörspiele und Romane.<br />

Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den<br />

Eduard von der Heydt-Preis.<br />

Karl Otto Mühl, Foto: Frank Becker<br />

Frau mit Gipsbein<br />

Ich schreibe heute am Küchentisch. Hier<br />

ist von der Westseite her guter Lichteinfall,<br />

und es bleibt länger hell. Das spart Licht<br />

und damit Strom, worauf ich weitaus mehr<br />

achte als andere.<br />

Damit wäre ich schon bei einer meiner<br />

Eigenschaften, denn die sind es, die ich<br />

gerade hier formulieren muß, weil ich diese<br />

Kontaktanzeige zu verfassen suche, die<br />

mein Kollege Fabian Brösel ins Internet<br />

stellen wird, wie er sagt. Ich werde mich<br />

vor der Fülle von Zuschriften kaum mehr<br />

retten können, sagt er. Nur, ich muß die<br />

Eigenschaften, die ich habe, deutlich<br />

darstellen. Das geht nicht so leicht, weil<br />

ich gegen meine Bescheidenheit verstoßen<br />

muß. Ich dränge mich nie in den Vordergrund.<br />

Ich überlegte vorhin, ob ich mich bei der<br />

Anzeige zunächst auf die Angabe meiner<br />

wichtigsten Eigenschaften beschränken<br />

sollte, nämlich: Sparsamkeit, Sauberkeit<br />

und Ordnungsliebe. Alle drei scheinen mir<br />

gleich wichtig zu sein, und trotzdem wird<br />

es darauf ankommen, was jede einzelne von<br />

den Leserinnen am meisten schätzt. Ich<br />

muß es darauf ankommen lassen. Schließlich<br />

bin ich bisher immer gut damit gefahren.<br />

Obwohl ich schon Sechsundfünfzig<br />

bin, habe ich damit Aussichten, denke ich,<br />

eine verständnisvolle Partnerin zu finden,<br />

die sie zu schätzen weiß, die Eigenschaften<br />

und natürlich, so hoffe ich doch, deren<br />

Inhaber, also mich.<br />

Selbst für die Erfüllung eines Kinderwunsches<br />

wäre es noch nicht zu spät. Ein Kind<br />

würde genügen, vorausgesetzt, es würde so<br />

verständig, dass es meine Ratschläge und<br />

Lebensregeln annehmen und beherzigen<br />

könnte.<br />

In der Sparkasse, in der ich beschäftigt bin,<br />

weiß man, so denke ich manchmal, meine<br />

Eigenschaften zu schätzen. Noch kürzlich<br />

sagte Frau Tilly, die in der Revision<br />

arbeitet, zu mir: „Sie sind aber ordentlich!“<br />

Dabei hatte ich nur einige Krümel von<br />

ihrem Schreibtisch entfernt.<br />

Aber niemand hat mich so geschätzt wie<br />

meine Mutter, glaube ich. Zuletzt, als sie<br />

schon sehr schwach war, sagte sie einmal zu<br />

mir: „Du meinst es gut, Rolfi. Ich weiß das.<br />

Laß die anderen über dich reden, was sie<br />

41


Katrin Schoenian, Matthias Aprath<br />

RINKE TREUHAND GmbH – www.rinke.eu<br />

DAS ERGEBNIS ALLER<br />

PRÜFUNGEN IST<br />

EIN SACHGERECHTES<br />

UND<br />

OBJEKTIVES URTEIL,<br />

WELCHEM UNSERE<br />

KUNDEN UND DIE<br />

WEITEREN ADRESSATEN<br />

VERTRAUEN.<br />

NACHHALTIG GUT BERATEN.<br />

wollen. Du weißt ja, die reden manchmal<br />

so daher.“<br />

Das nenne ich Mutterliebe. An ihrem<br />

Todestag bringe ich noch heute Blumen zu<br />

ihrem Grab, genau um die Stunde, in der<br />

sie gestorben ist. Es war um sechzehn Uhr<br />

dreiundzwanzig.<br />

Es ist ein gutes Gefühl, in meinem Alter<br />

immer noch die freie Auswahl unter<br />

möglichen Ehepartnerinnen zu haben, also,<br />

sozusagen den Rücken freizuhaben. Das<br />

wäre nicht so, wenn einige Dinge anders<br />

gelaufen wären. Ich meine die Beziehung<br />

zu Nora.<br />

Ich muß sagen, dass mit ihr am Anfang alles<br />

sonnenklar zu sein schien, also auch eine<br />

etwaige lebenslange Verbindung. Sie schien<br />

mir von allen Frauen, die ich kannte, am<br />

verträglichsten und verständigsten zu sein;<br />

und kleine Fehler oder auch Fehlverhalten<br />

von ihr konnte ich immer korrigieren und<br />

fand bei ihr auch Bereitschaft dafür. Die<br />

Schwierigkeit für unsere Beziehung kam<br />

völlig unerwartet von einer ganz anderen<br />

Seite.<br />

Wir waren am Sonntagnachmittag in der<br />

Gaststätte „Margaretenhof“ im Siebengebirge<br />

gewesen, hatten Kaffee getrunken und<br />

bezahlten nun. Ich hatte schon befürchtet,<br />

sie würde erwarten, dass ich ihren Verzehr<br />

bezahle. Das soll es ja geben. Aber bei ihr<br />

war das nicht so, sie zog rechtzeitig ihre<br />

Börse aus der Handtasche. Wir machten uns<br />

auf den Weg zum Bus.<br />

Und nun geschah es. Wir hatten erst ein<br />

paar Schritte gelegt, da stolperte sie über<br />

einen Stein, stürzte unglücklich, stöhnte mit<br />

schmerzverzerrtem Gesicht: „Ich glaube, da<br />

ist etwas gebrochen.“<br />

Ich konnte sie überzeugen, dass sie zwar<br />

in eine Klinik müsse, dass aber der Transport<br />

dahin, wenn nicht mit dem Bus, so<br />

doch mit einem Taxi erfolgen könne, und<br />

nicht etwa mit einem unerschwinglichen<br />

Krankenwagen. Wir fuhren also mit dem<br />

herbeigerufenen Taxi zur Unfallklinik.Während<br />

ich ihre Hand hielt – nur, um sie zu<br />

beruhigen -, erklärte ich ihr, dass ich für die<br />

Taxikosten selbstverständlich in Vorleistung<br />

treten würde.<br />

Der Rest geschah nun ohne mein Zutun.<br />

Sie mußte einige Tage in der Klinik bleiben.<br />

Dann holte ich sie ab und sah, dass sie bis<br />

über das Knie hinaus mit einer Gipsmanschette<br />

versehen war. Ich muß sagen, der<br />

Anblick war ein Schock für mich. Ich begleitete<br />

sie bis zu ihrer Wohnungstür, an der<br />

sie bereits von ihrer Mutter erwartet wurde.<br />

Mir war unterwegs längst klar geworden,<br />

dass ich mich nicht mit einer behinderten<br />

Frau belasten konnte. Zu groß waren die Risiken,<br />

nicht absehbar die Folgekosten, und<br />

das alles für mich wegen eines Menschen,<br />

der mir bis vor Kurzem völlig gleichgültig<br />

gewesen war, ja, den ich nicht einmal<br />

kannte.<br />

Natürlich sagte ich ihr dies alles nicht mit<br />

solcher Deutlichkeit. Ich schrieb ihr nur,<br />

dass sich mein Kindheits-Asthma wieder<br />

gemeldet habe und ich eine Zeit lang völlig<br />

zurückgezogen leben wolle, vielleicht auch<br />

sparsam leben müsse, um eventuelle außergewöhnliche<br />

Behandlungskosten auffangen<br />

zu können.<br />

Manchmal habe ich in den vergangenen<br />

Jahren an sie zurückgedacht. Ich hoffe nicht,<br />

dass sie unter meinem Verlust gelitten hat.<br />

Dazu kannte sie mich vielleicht nicht genug.<br />

Übrigens hatte die Beziehung noch ein<br />

Schlußkapitel. Vor zwei Monaten rief sie<br />

mich an, ja, sie lebe noch. Ja, sie sei verheiratet,<br />

mit einem Brasilianer, aber der habe sich<br />

seit zwei Jahren nicht gemeldet. Sie habe<br />

auch nie gewußt, was der Mann dachte.<br />

Er sei undurchsichtig, ganz anders eben als<br />

ich.<br />

Wir haben uns getroffen. Das Wiedersehen<br />

war herzlich und offenherzig. Wir gingen<br />

in ein Café und suchten uns ein Tischchen<br />

in der Ecke aus. Es gab da eine Sitzbank<br />

und zwei einzelne Stühle. Ich halte das hier<br />

genau fest, denn solche Einzelheiten vergißt<br />

man später schnell.<br />

Nora setzte sich, blickte zu mir auf, klopfte<br />

mit der Hand auf den Platz neben sich und<br />

sagte: „Hier, setzen Sie sich. Ja! Direkt hier!“<br />

Es wäre dort eher eng gewesen. Und sie<br />

wollte, dass ich mich neben sie setze, Hüfte<br />

an Hüfte.<br />

Das habe ich nicht gemacht.<br />

Karl Otto Mühl<br />

42


Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff<br />

Die Sammlung Frank Brabant<br />

Im Kunstmuseum Solingen bis<br />

zum 5. Mai 2013<br />

Conrad Felixmüller, Frühlingsabend in<br />

Klotzsche, 1926,<br />

Öl auf Leinwand,75 x 90 cm<br />

Das Kunstmuseum Solingen zeigt als<br />

Auftaktausstellung des in Gründung<br />

befindlichen „Zentrums für verfolgte<br />

Künste“ bis Anfang Mai 2013 101 Bilder<br />

aus einer der bedeutendsten Privatsammlungen<br />

Deutschlands.<br />

Frank Brabant ist ein Sammler aus<br />

Leidenschaft. 1958 hatte der Schweriner<br />

in der ehemaligen DDR den Entschluss<br />

gefasst, „in den Westen zu machen“. In<br />

Wiesbaden war er geschäftlich erfolgreich.<br />

1964 besuchte er „eher zufällig“ eine<br />

Galerie. Er kaufte einen Holzstich von<br />

Max Pechstein. „Der Name sagte mir<br />

damals nichts. Picasso ja, aber Pechstein?“<br />

300 Mark zahlte er – und das bei einem<br />

Monatsgehalt von 350 Mark.<br />

Mit diesem Kauf wurde er zum Sammler,<br />

der sich nun über Pechstein kundig<br />

machte und so der Kunst verfiel. Erspartes<br />

für den Traum von einem VW-Käfer<br />

setzte er dann doch in ein Aquarell von<br />

Ernst-Ludwig Kirchner um.<br />

Viele weitere Käufe von Bildern und<br />

Büchern folgten im Laufe der Jahrzehnte:<br />

expressionistische Meisterwerke von<br />

Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky,<br />

Emil Nolde, August Macke, Franz Marc,<br />

Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel<br />

oder Karl Schmidt-Rottluff aber auch Bilder<br />

heute nahezu unbekannter Künstler<br />

wie beispielsweise Ernst Fritsch, Harry<br />

Deierling, Elfriede Lohse-Wächtler, Heinrich<br />

Richter-Berlin, Siegfried Donndorf,<br />

Carl Gunschmann, Josef Scharl und<br />

Fritz Schaefler – bis hin zur Kunst der<br />

Gegenwart. Dabei wurde der Sammler<br />

zum Kenner. Sein Geld wollte er nicht in<br />

Autos anlegen. Es folgten fast 500 weitere<br />

Kunstwerke.<br />

Der Schwerpunkt der Präsentation in<br />

Solingen liegt auf den Künstlern der Klas-<br />

43


echts: Alexej von Jawlensky<br />

Madame Curie, 1905, Öl auf Karton,<br />

50 x 38 cm<br />

rechte Seite: Hermann Max Pechstein<br />

Rote Häuser mit Windmühle, um 1922,<br />

Öl auf Leinwand, 70,5 x 80,5 cm<br />

sischen Moderne. Die Künstler gerieten<br />

von einer unberechenbaren Monarchie<br />

über einen Ersten Weltkrieg, die entbehrungsreiche<br />

Weimarer Zeit in den Naziterror<br />

und in die absolute Katastrophe des<br />

Zweiten Weltkrieges.<br />

Ihre farben- und ideenreichen Bilder sind<br />

in dieser Zeit der Aufbruch der Expressionisten,<br />

die kritische Infragestellung der<br />

Gesellschaft und die Suche nach einer<br />

Neuen Sachlichkeit.<br />

Neben Bildern von Maria Caspar-Filser,<br />

Elfriede Lohse-Wächtler und Otto Möller<br />

begeistern die Künstler aus der ersten<br />

Reihe. Ludwig Meidners „Betrunkene<br />

Straße“ (1915) zeigt die Apokalypse der<br />

Städte, Lyonel Feiningers „Pariser Häuser“<br />

(1920) den Weg zur Abstraktion.<br />

Auch die Künstler der „Brücke“ sind<br />

vertreten: Kirchner, Heckel, Schmidt-<br />

Rottluff, auch die später hinzugekommenen<br />

Max Pechstein, Emil Nolde und Otto<br />

Müller.<br />

Die Kontakte dieser Künstler nach München<br />

zum „Blauen Reiter“ sind vielfältig<br />

und diese bekannte Künstlergruppe um<br />

August Macke, Franz Marc, Wassily<br />

Kandinsky und Alexej von Jawlensky<br />

wiederum lockte Helmut Macke, William<br />

Straube und Heinrich Richter-Berlin an.<br />

Auch diese Bekannten und Unbekannten<br />

sind mit sehenswerten Bildern in Solingen<br />

vertreten.<br />

Eine ganze Reihe von Gemälden von<br />

Alexej von Jawlensky aus verschiedenen<br />

44


Nolde Tappert<br />

Schaffensphasen ist alleine die Anreise<br />

wert:<br />

An der Petersburger Kunstakademie<br />

lernte er ab 1890 kurz beim bedeutendsten<br />

Vertreter des russischen Realismus,<br />

Ilja Repin, dann langfristig bei Marianne<br />

von Werefkin. Sie zog 1896 mit Jawlensky<br />

und ihrem Dienstmädchen, Helene<br />

Nesnakomoff, nach München.<br />

Ein charakteristisches Ölbild dieser Zeit<br />

ist das im Bild signierte und 1900 datierte<br />

ganzfigurige Porträt der fünfzehnjährigen<br />

Helene im spanischen Kostüm. Stilistisch<br />

weist es mit seinen im „Lenbachbraun“<br />

gehaltenen Farbtönen auf seine vorausgegangenen<br />

realistischen Gemälde, um<br />

gleichzeitig den Anfang zu weiterem<br />

„Arbeiten mit breiten Linien“ der kommenden<br />

Jahre zu markieren. 1903 reiste<br />

Jawlensky nach Paris. Er traf dort Henry<br />

Matisse und Marie Curie. Ihr Porträt<br />

aus diesem Jahr bestätigt einen frühen<br />

Einfluss van Goghs. Marie Curie (1867<br />

- 1934) war eine Physikerin polnischer<br />

Herkunft, die in Frankreich wirkte. Sie<br />

untersuchte die 1896 von Henri Becquerel<br />

beobachtete Strahlung von Uranverbindungen<br />

und prägte für diese das Wort<br />

„radioaktiv“. Im Rahmen ihrer Forschungen,<br />

für die ihr 1903 ein Nobelpreis für<br />

Physik und 1911 der Nobelpreis für<br />

Chemie zugesprochen wurde, entdeckte<br />

sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre<br />

Curie die chemischen Elemente Polonium<br />

und Radium. Marie Curie ist bisher die<br />

einzige Frau unter den vier Mehrfach-Nobelpreisträgern<br />

und neben Linus Pauling<br />

die einzige Person, die Nobelpreise auf<br />

zwei unterschiedlichen Gebieten erhalten<br />

hat.1906 war sie die erste Frau, die an der<br />

Pariser Universität Sorbonne lehrte.<br />

Im Sommer 1908 kam es zur Zusammenarbeit<br />

zwischen Jawlensky, Werefkin,<br />

Kandinsky und Münter. 1908<br />

hatten Werefkin, Jawlensky, Adolf<br />

Erbslöh und Oscar Wittenstein die Idee,<br />

die Neue Künstlervereinigung<br />

München zu gründen. 1909 wurde<br />

Kandinsky zum ersten Vorsitzenden gewählt.<br />

1910 zur zweiten Ausstellung der<br />

Neuen Münchner Künstlervereinigung<br />

kam Franz Marc. Auch August Macke<br />

besuchte Jawlensky und Werefkin. Dann<br />

45


kam Kandinsky aus Russland<br />

zurück. Schließlich traf Franz<br />

Marc ein, zusammen mit<br />

Helmuth Macke, dem Vetter<br />

von August Macke. Im Herbst<br />

1912 lernte Jawlensky, Emil<br />

Nolde auf der Ausstellung in<br />

München kennen. 1917 zogen<br />

Jawlensky und Werefkin in die<br />

Schweiz, wo er seine Reihe der<br />

Mystischen Köpfe zu malen<br />

begann. Als Inspiration diente<br />

ihm nunmehr das menschliche<br />

Gesicht. In der Regel handelt es<br />

sich um Frauenköpfe.<br />

Alle genannten Künstler sind in<br />

der Ausstellung vertreten.<br />

Rolf Jessewitsch<br />

Drei Kataloge werden im<br />

Museumsshop zur Ausstellung<br />

angeboten.<br />

Kunstmuseum Solingen<br />

Wuppertaler Straße 160<br />

42653 Solingen<br />

www.kunstmuseum-solingen.de<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di – So 10 – 17 Uhr<br />

linke Seite: Ivo Hauptmann<br />

Zwei Segelboote, 1912, Öl auf<br />

Leinwand, 91,5 x 64,5 cm<br />

Max Beckmann<br />

Stillleben mit grüner Kerze,<br />

1941, Öl auf Leinwand,<br />

95,5 x 55,5 cm<br />

47


TiC-Theater-Aufführung<br />

sehr frei nach Edgar Wallace<br />

Der Fall der verängstigten Dame<br />

oder: Das Geheimnis des<br />

Wandschranks<br />

Das indische Tuch<br />

„Hier spricht…“ - nein nicht Edgar Wallace,<br />

sondern ein dank des jüngsten Streichs des<br />

Wuppertaler TiC-Theaters vergnügter Rezensent.<br />

Am Freitagabend, zur besten Krimi-Zeit,<br />

hatte nämlich eine dort von Intendant Ralf<br />

führen. Wer aber ist der Unhold, der Nacht für<br />

Nacht mit Heimtücke durch die Gänge des<br />

Schlosses schleicht? Das verraten wir hier natürlich<br />

nicht, auch nicht, wer seine Opfer sind<br />

und wann er zuschlägt. – Oder ist es eine Sie?<br />

„Edgar Wallace hat mehr Frauen nachts<br />

wach gehalten als jeder andere Mann –<br />

und das ganz ohne Sex.“<br />

(Focus).<br />

Infos und Termine: www.tic-theater.de<br />

v. l.: Andreas Wirth, Carsten Müller, Dilara Baskinci, Klaus Hasbach. Foto: Martin Mazur<br />

Budde inszenierte Bühnenfassung des Klassikers<br />

„Das indische Tuch“ (sehr frei nach dem<br />

legendären englischen Krimi-Autor) Premiere.<br />

Premiere auch für einige der Darsteller, denn<br />

das TiC hat seit dem jüngsten Casting neue,<br />

vielversprechende Talente hinzugewonnen.<br />

Darstellerische Schwergewichte und Säulen<br />

der Aufführung sind allerdings drei bewährte<br />

und wie die anderen Charaktere hervorragend<br />

besetzte altgediente TiC-Schauspieler: Torsten<br />

Kress brillant als herrlich fieser Dr. Leicester<br />

Amersham, Andreas Wirth köstlich in der Rolle<br />

des verklemmten Lord Willie Lebanon und<br />

souverän seriös Carsten Müller als Inspektor<br />

Bill Tanner. Handlungsort: das alte Schloß<br />

Marks Priory der Lebanons in ländlicher<br />

englischer Umgebung, von Iljas Enkaschew<br />

genial auf kleinstem Raum mit allen notwendigen<br />

Andeutungen von Treppen, Gängen,<br />

Park zu greifbaren Illusionen gestaltet. Kerstin<br />

Faber hat dazu passend die zeitlos stimmigen<br />

Kostüme gestaltet, Heike Kehrwisch die Maske.<br />

Story: auf Marks Priory, dessen undurchsichtige<br />

Bewohner in feindlicher Atmosphäre<br />

nebeneinander her leben, geht ein Mörder um.<br />

Sein Werkzeug ist ein rotes Seidentuch, mit<br />

dem er einer alten indischen Tötungsmethode<br />

folgend seine Opfer erdrosselt. Die Spuren<br />

führen zurück in die koloniale Vergangenheit<br />

der männlichen Mitglieder der etwas skurrilen<br />

Gesellschaft. Es gibt - na klar - Leichen, Schuss -<br />

waffen, Motive und Wendungen und obendrein<br />

diverse Mordversuche, die nicht alle zum vom<br />

meuchelnden Mörder gewünschten Erfolg<br />

Ralf Budde beherrscht das musikalisch auf den<br />

Punkt untermalte Verwirrspiel, er legt falsche<br />

Fährten und läßt mal diesen, mal jene verdächtig<br />

erscheinen. Klaus Hasbach gibt bei dem<br />

Verwirrspiel den unheimlichen Butler Gilder<br />

in bester Wallace-Tradition, Dennis Gottschalk<br />

den unbekümmerten Chauffeur Studd und<br />

den eifersüchtig schießwütigen Parkwächter<br />

John Tilling sowie Isabel Bartnik des letzteren<br />

laszive Frau Joan, die einige kinowürdige große<br />

Auftritte hat. Ralf Budde spielt elegant mit Klischees,<br />

was dem Stück den ironischen Anstrich<br />

mancher Alfred Vohrer-Inszenierung gibt.<br />

Überhaupt sind die Damen hier die<br />

interessanten Entdeckungen des Ensembles:<br />

Erika Klein-Ejupi gibt als Lady Jane Lebanon<br />

eine würdige Flickenschildt-Kopie ab, Dilara<br />

Baskinci die etwas mysteriöse Sekretärin Isla<br />

Crane (einfach göttlich die Kußszene mit…<br />

- verraten wir auch nicht! – in der sie mit fein<br />

gezirkelter Armbewegung die Brille absetzt)<br />

und eben Isabel Bartnik, die ihren Sex-Appeal<br />

fein dosiert einzusetzen versteht.<br />

Sie sehen schon, der Kritiker schreibt unentwegt<br />

um den heißen Brei herum, denn anders<br />

als weiland Wolfgang Neuss vor 51 Jahren<br />

beim Fernsehkrimi „Das Halstuch“ wollen wir<br />

Ihnen ja nicht durch „Geheimnisverrat“ die<br />

Spannung nehmen. Gehen Sie hin, lassen Sie<br />

sich für gut zwei Stunden köstlich unterhalten<br />

und vertrauen Sie auf die seit über 60 Jahren<br />

gültige Werbung des Wilhelm Goldmann<br />

Verlages: „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace<br />

nicht gefesselt zu werden!“ Frank Becker<br />

48


Zum ersten Mal machte ich mir<br />

Gedanken über eine Geldanlage.<br />

Dorothea Renckhoff<br />

Studium Theater- u. Literaturwissenschaft,<br />

Theorie des Films Ruhr-Universität Bochum;<br />

Praktika an Theatern u. als Kulturjournalistin<br />

Erstes Engagement am Schauspielhaus<br />

Bochum bei Peter Zadek (Assistentin Regie/<br />

Dramaturgie), später Dramaturgin Freie<br />

Volksbühne Berlin, Regieassistentin u. Autorin<br />

WDR-Fernsehen, Leitende Dramaturgin<br />

Rheinisches Landestheater, Chefdramaturgin<br />

Städtische Bühnen Münster.<br />

Beendigung der Theaterkarriere, da eine<br />

führende Position am Theater mit den<br />

familiären Anforderungen (verheiratet, zwei<br />

Kinder) nicht mehr vereinbar war.<br />

Seitdem freischaffend in Köln als Autorin<br />

und literarische Übersetzerin.<br />

Seit 2008 Mitglied im PEN-Club.<br />

Dorothea Renckhoff, Foto: Frank Becker<br />

Der Hochglanzprospekt<br />

Das Haus meiner Großeltern hatte<br />

verkauft werden müssen; es sollte einem<br />

öffentlichen Bauprojekt weichen. Die<br />

Erbengemeinschaft bereitete den Erwerb<br />

eines anderen Objekts vor, aber ich war<br />

die Streitereien um Reparaturen und<br />

Instandhaltungskosten leid und ließ mir<br />

meinen Anteil auszahlen.<br />

Das Geld als Finanzierungsgrundlage für<br />

eine größere Wohnung zu nutzen, kam<br />

für mich nicht in Frage; ich hatte keine<br />

Lust, mich auf Jahre hinaus zu verpflichten,<br />

und mit dem Appartement, das<br />

meine Mutter mir geschenkt hatte, war<br />

ich völlig zufrieden.<br />

Eine Anlageberaterin meiner Bank stellte<br />

mir eine Liste von Vorschlägen zusammen,<br />

wie mein Portefeuille, wie sie es<br />

nannte, sicher und dennoch gewinnbringend<br />

strukturiert werden könnte. Sie war<br />

eine schöne üppige Frau, und ihre Ausführungen<br />

wirkten durchdacht. Da mein<br />

kleines Kapital aus einem Hausverkauf<br />

stammte, gefiel mir der Gedanke, dass ein<br />

größerer Teil der Summe für Immobilienfonds<br />

verwendet werden sollte.<br />

Sie informierte mich über Ertragssituation,<br />

Wertschwankung, Ausschüttungen<br />

und vieles andere, und erst dann legte<br />

sie den Hochglanzprospekt des Fonds<br />

vor mir auf den Tisch. Ich war bereits<br />

entschlossen, mich ganz auf ihre Sachkenntnis<br />

zu verlassen, und blätterte das<br />

Heft nur aus Höflichkeit durch, doch die<br />

leuchtenden Farbfotos nahmen meine<br />

Aufmerksamkeit sofort gefangen. Es<br />

handelte sich um Beispiele für die Liegenschaften,<br />

in denen die Gelder des Fonds<br />

in aller Welt angelegt waren.<br />

Die Bilder übten einen merkwürdigen<br />

und stetig wachsenden Sog auf mich aus.<br />

Ich hatte mit einem Schlag das dringende<br />

Bedürfnis, vor diesen Gebäuden zu<br />

stehen, ihre wirkliche Gestalt vor mir<br />

aufragen zu sehen, sie zu betreten, die<br />

schimmernden Mauern, die Glasfassaden<br />

zu berühren und in die Tiefe ihrer<br />

Räume einzudringen, von denen mir der<br />

Prospekt nur das äußere Bild zeigte. Es<br />

war eine Sehnsucht wie ein brennender<br />

Durst, und ohne lange zu überlegen, verringerte<br />

ich meine Anlagesumme, um mir<br />

49


eine Reise zu einigen der Objekte leisten<br />

zu können, von denen mir nun bald, wie<br />

ich es mir vorstellte, ein Steinchen, ein<br />

Klümpchen Beton oder ein Zweig im<br />

Vorgarten gehören sollte.<br />

Wenig später befand ich mich in Paris<br />

und war unterwegs zu einem achtstöckigen<br />

Bürogebäude, dessen Abbildung sich<br />

in der Werbebroschüre in meiner kleinen<br />

Mappe befand. Ich hatte mir klar gemacht,<br />

dass ich nicht alle Schauplätze der<br />

abgedruckten Fotos würde besuchen können,<br />

aber ein rasch erbetener und gewährter<br />

Urlaub von vierzehn Tagen sollte mich<br />

über Paris und London nach Florida, ins<br />

Silicon Valley und nach Tokyo und Seoul<br />

führen. Je nach meinem Befinden und<br />

dem Zustand meiner Finanzen würde ich<br />

eventuell auf dem Rückweg noch eine<br />

Bank in Budapest und ein Hotel in Wien<br />

besichtigen.<br />

Es war noch früh am Nachmittag, aber<br />

die Dezembersonne stand tief hinter<br />

schweren Wolken. Die Straßenlaternen<br />

brannten schon, und Cafés, Auslagen<br />

und Büros, alle Fenster waren hell erleuchtet.<br />

Ich blieb vor einem Delikatessgeschäft<br />

stehen, um meinen Prospekt aus<br />

der Tasche zu holen, und in dem Lichtschein,<br />

der durch die gläserne Tür nach<br />

draußen fiel, betrachtete ich noch einmal<br />

das Foto, dessen Vorbild in der Wirklichkeit<br />

ich suchte: ein hoch aufragender,<br />

langgestreckter Körper, wie in einer vorwärts<br />

drängenden Bewegung erstarrt, ein<br />

schlanker Riesenelefant mit Hunderten<br />

strahlender Fenster am ganzen Leib, ein<br />

kraftstrotzendes Wesen im perlfarbenen<br />

Dunst der Großstadt.<br />

Im Weitergehen hielt ich das Heft in der<br />

Hand; ich war im richtigen Stadtteil,<br />

es konnte nicht mehr weit sein. Und<br />

unvermittelt stieg es vor mir in die Höhe,<br />

mein Bürogebäude, das erste Ziel meiner<br />

Pilgerfahrt. Ich stand ganz still und sah zu<br />

ihm auf, und sehr langsam rieselte durch<br />

meine Augen etwas in mich ein, das als<br />

Erstaunen begann und sehr schnell zu<br />

Schrecken wurde.<br />

Die vielen großen Fenster an seinen<br />

Flanken, an Brust und Bauch waren<br />

dunkel. In allen Gebäuden ringsum war<br />

Licht und Leben, aber in diesem wurde<br />

in keinem Büro gearbeitet. Am frühen<br />

Nachmittag eines Werktages wurde hier<br />

nicht gearbeitet. Ich suchte und fand den<br />

Haupteingang, er war verschlossen. Nicht<br />

ein einziges Firmenschild war neben der<br />

Tür angebracht. Nicht mal ein Notlicht<br />

brannte in dem weitläufigen Vestibül,<br />

dessen dämmernde Leere sich hinter den<br />

Glasscheiben breitete.<br />

Ich fragte in der Nachbarschaft, in Läden<br />

und Restaurants, aber mein Französisch<br />

ist schlecht, und ich erhielt keine<br />

verständliche Antwort. Immer wieder sah<br />

ich zu dem eleganten Koloss auf, der es<br />

wagte, sich an einer exponierten Pariser<br />

Straßenkreuzung in Dunkel zu hüllen.<br />

Erst als ich die Kreuzung überquert<br />

hatte und mich ein Stück entfernte, um<br />

zu überprüfen, ob wirklich alle Fenster<br />

dunkel waren, sah ich hoch oben an der<br />

schmalen Stirnseite ein einziges Licht. Das<br />

kleine helle Quadrat war längs unterteilt<br />

durch einen schwarzen Balken und starrte<br />

auf mich herunter wie das Auge eines<br />

Reptils mit seiner senkrechten Pupille.<br />

Mühsam wandte ich mich ab und ging<br />

fort. In den Kronen der kahlen Bäume<br />

am Straßenrand rieselten die silberblauen<br />

Tropfen der Weihnachtsbeleuchtung mit<br />

derselben Kälte wie das eisige Erschrecken<br />

in mir. Dieser Schrecken war mehr als die<br />

Sorge um mein Kapital. Ich hatte das Gefühl,<br />

auf dem gedruckten Bild in meinem<br />

Prospekt hätten sich schwarze Löcher<br />

aufgetan, um mich durch das Papier in<br />

einen Abgrund zu reißen.<br />

Ich versuchte, meine Fassung wieder zu<br />

gewinnen, und während ich das Reptilienauge<br />

noch im <strong>Nacke</strong>n spürte, griff ich<br />

nach meinem Mobiltelefon und wählte<br />

die Nummer meiner Anlageberaterin. Ich<br />

erreichte sie nicht; sie war im Kundengespräch;<br />

man würde ihr meinen Anruf<br />

ausrichten.<br />

Bedrückt kehrte ich in mein Fünfsternehotel<br />

zurück. Ich dachte an die Rechnung<br />

und ärgerte mich über meinen Leichtsinn.<br />

Dennoch ging es mir schon wieder<br />

etwas besser, und plötzlich fiel mir ein,<br />

dass das dunkle Bürogebäude vielleicht<br />

von nur einer einzigen Firma gemietet<br />

war, den Namenszug konnte ich übersehen<br />

haben, und möglicherweise war die<br />

ganze Belegschaft auf dem jährlichen Betriebsausflug,<br />

oder bei einer vorgezogenen<br />

Weihnachtsfeier. Der Gedanke beruhigte<br />

mich. Überprüfen konnte ich ihn nicht,<br />

denn für den nächsten Tag hatte ich<br />

bereits die Besichtigung eines Objekts in<br />

London eingeplant, eines Geschäftshauses<br />

im Finanzdistrikt, schlank und stolz<br />

wie ein riesiges Schiff aus blaugrünem<br />

Glas, als hätte der König des Meeres sich<br />

aus Wellen eine Handelsniederlassung<br />

gebaut.<br />

Als ich mir durch Hunderte von Banken<br />

meinen Weg zu dieser architektonischen<br />

Schönheit suchte, hatte ich alle Sorgen<br />

vergessen. Ich hielt mein Heft in der<br />

Hand wie einen Kompass, aufgeklappt<br />

bei dem Bild, nach dessen Wirklichkeit<br />

ich suchte. Ich fand es ohne Schwierigkeit.<br />

Da lag mein Flaggschiff vor dem<br />

Wind und zerteilte mit seinem schön geschnittenen<br />

Bug die Straßen des Börsenviertels.<br />

Aber es war ein Schiff, das dem<br />

Abwracker in die Hände geraten war. Es<br />

kam mir vor wie eine groteske Karikatur<br />

auf das schimmernde Schmuckstück, das<br />

ich gesucht hatte.<br />

Es war eine Ruine. Im Herzen von Londons<br />

Finanzimperium spreizte sich ein<br />

riesiges Gebäude aus rostigen Skeletten<br />

mit blinden Fenstern und zerbrochenen<br />

Scheiben. Der Haupteingang stand offen,<br />

die Türen schlugen im Wind. Ich trat ein<br />

und erschrak über ein allgegenwärtiges,<br />

rasselndes Geräusch, bis ich begriff, dass<br />

der Luftzug Unmengen trockener Blätter<br />

hereingeweht hatte und auf den langen<br />

Fluren vor sich hertrieb. Von irgendwoher<br />

quoll ein fauliger Geruch. Überall lagen<br />

Scherben, und als ich durch die gesprungenen<br />

gläsernen Wände hinaus blickte,<br />

bot sich die gesamte Architektur ringsum<br />

meinen Augen als Trümmerlandschaft dar;<br />

die ganze Londoner City schien zermürbt,<br />

zerbröckelt und verfallen.<br />

Ich stürzte nach draußen, und sofort<br />

stand der Finanzdistrikt wieder unversehrt<br />

vor mir. Nur mein herrliches<br />

Haus aus blauem Glas blieb ein elendes<br />

Gespenst seiner selbst. Mit zitternden<br />

Fingern wählte ich die Nummer meiner<br />

Beraterin. Dies Mal meldete sie sich,<br />

50


wollte nicht glauben, was ich erzählte.<br />

Vielleicht hielt sie mich für betrunken.<br />

Doch dann wurde sie sehr ernst und versprach,<br />

der Sache nachzugehen. Sie würde<br />

mich wieder anrufen.<br />

Sehr bedrückt trat ich die Weiterreise<br />

an. Das Unglück blieb mir treu. Alle<br />

Flüge nach Florida waren gestrichen. Ich<br />

beschloss, Florida zu überspringen, und<br />

versuchte stattdessen, so schnell wie möglich<br />

nach Kalifornien zu kommen. Meine<br />

Beraterin rief mich nicht zurück. Ich<br />

versuchte immer wieder, sie zu erreichen,<br />

aber die Leitung war tot.<br />

Alle Hoffnungen setzte ich jetzt auf die<br />

große Appartementanlage im Silicon<br />

Valley, deren Bild mich von Anfang an<br />

fast am meisten von allen bezaubert hatte,<br />

wie ein Traum aus dem Paradies. Eine<br />

Gruppe weißer Bungalows mit Veranden<br />

und Pergolasäulen, blütenumrankt und<br />

unter alten Bäumen geborgen; jedes der<br />

Häuser unterschied sich ein wenig von<br />

den andern, und alle sahen sie aus wie<br />

nach dem Goldenen Schnitt gebaut.<br />

Es war Spätnachmittag, als ich vor meinem<br />

Ziel aus dem Mietwagen stieg. Die<br />

Anlage wirkte auf den ersten Blick sehr<br />

gepflegt. Ich atmete auf: keine Ruinen,<br />

keine Scherben, keine leeren Fensterhöhlen.<br />

Ich ging auf den Haupteingang zu<br />

und betätigte den nostalgischen Klingelzug<br />

an der Mauer. Drinnen erklang ein<br />

lange anhaltendes melodisches Läuten<br />

von vielen kleinen und großen Glocken.<br />

Darauf folgte ein Wispern und Flüstern<br />

von vielen hundert Stimmen, das am<br />

Tor begann und ins Innere davon lief.<br />

Es waren keine Worte zu verstehen, und<br />

erst, als das letzte Zischeln in der Ferne<br />

verklungen war, öffnete sich ein Türchen<br />

in der Wand, und eine alte Frau bat mich<br />

herein. Sie hatte ein zartes Gesicht voller<br />

tief eingegrabener Runzeln und führte<br />

ein kleines Kind an der Hand. Als sie<br />

sich umwandte, um mir voran in ihre<br />

Portiersloge zu gehen, sah ich, dass ihre<br />

grauen Haare ihr über den Rücken bis<br />

zu den Knöcheln der Füße hingen, doch<br />

es waren keine einzelnen Strähnen oder<br />

Locken zu erkennen, alles war zu einer<br />

dicht verwobenen Matte zusammengewachsen,<br />

aus der man Filzpantoffeln hätte<br />

herstellen können, und tatsächlich trug<br />

sie welche an den Füßen.<br />

Sie empfing mich in einem Raum, wo<br />

eine medizinische Schautafel an der<br />

Wand und ein großer ausgestopfter<br />

Alligator unter der Decke hingen. Wir<br />

nahmen in holzgeschnitzten Sesseln<br />

vor einem leeren Kamin Platz, und das<br />

Kind saß auf ihrem Knie und sah mich<br />

mit ruhigem Blick unverwandt an. Ich<br />

erzählte ihr, ich sei seit kurzem an dem<br />

Fonds beteiligt, dem die Anlage gehöre,<br />

und wolle mir gerne ein reales Bild von<br />

den Liegenschaften machen. Zwischen<br />

ihren Runzeln tat sich ein mädchenhaftes<br />

Lächeln auf, es sei schön, sagte sie, dass<br />

einmal jemand von uns vorbeikomme.<br />

Dann stellte sie das Kind auf den Boden,<br />

reichte ihm einen Finger und begann,<br />

mich durch das gesamte Anwesen zu<br />

führen.<br />

Alles schien in bester Verfassung, die<br />

Häuser blumenüberrankt unter blühenden<br />

Bäumen, wie ich es auf dem Foto gesehen<br />

hatte, kleine Brunnen plätscherten<br />

an sauberen Wegen, und die Abendsonne<br />

spiegelte sich in klaren Fensterscheiben.<br />

Aber alles war still, nirgendwo zeigte sich<br />

ein Bewohner, kein Hund bellte, und die<br />

eleganten Rattanmöbel auf Veranden und<br />

Terrassen blieben leer. Nur ein einziges<br />

Mal strömte aus einem der Bungalows<br />

eine singende Männerstimme wie ein<br />

goldener Strahl aus einem Brunnen, und<br />

das Kind zeigte mit dem Händchen und<br />

sagte: ‚Papa‘.<br />

Die Anlage war viel größer, als es auf der<br />

Abbildung den Anschein gehabt hatte,<br />

und die Alte führte mich immer tiefer<br />

hinein. Tatsächlich glich kein Haus dem<br />

andern, aber dennoch hätte ich schon<br />

bald den Rückweg ohne Hilfe nicht<br />

mehr finden können. Das kleine Kind<br />

ging unverdrossen auf bloßen Füßchen<br />

mit, und ich fragte mich, ob unter den<br />

Pflanzen keine Schlangen und Skorpione<br />

lauern konnten, aber die Alte schien ganz<br />

unbesorgt.<br />

Nach und nach begann ich die Folgen der<br />

Reise und der Aufregungen der letzten<br />

Tage zu spüren; meine Schritte wurden<br />

langsamer, und meine Aufmerksamkeit<br />

ließ nach. Die Alte merkte es; sie bat<br />

mich in die nächstgelegene Veranda und<br />

lud mich ein, die Nacht im dazu gehörigen<br />

Bungalow zu verbringen, das sei<br />

Sitte hier, sagte sie, wenn einmal einer der<br />

Anteilseigner käme. Sie bot mir an, mein<br />

Gepäck zu holen und mir etwas zum<br />

Essen zu bringen, und ich war so müde,<br />

dass ich das Angebot gerne annahm. Erschöpft<br />

sank ich auf ein bequemes Sofa;<br />

das Kind blieb bei mir und kratzte mit<br />

dem Fingerchen in den Fugen zwischen<br />

den Bodenplatten herum. An der Wand<br />

sonnte sich eine große grüne Eidechse.<br />

Es war warm und die Luft sehr feucht,<br />

und das, obwohl es doch ganz in der<br />

Nähe eine Wüste gab. Einen Augenblick<br />

lang glaubte ich, ich wäre trotz allem in<br />

Florida gelandet, und der Alligator in der<br />

Portierslounge sei aus den nahen Everglades<br />

hergebracht worden, aber dann<br />

schreckte ich hoch und erkannte meinen<br />

Irrtum.<br />

Die Alte kam mit meinem Köfferchen<br />

und einem Picknickkorb zurück und<br />

zeigte mir mein Haus für die Nacht. In<br />

einem großen Raum standen ein elegantes<br />

hochbeiniges Bett und ein riesiger<br />

alter Schrank einander gegenüber. Die<br />

Eidechse war mit hereingekommen und<br />

sah sich wartend um. Die Alte bewirtete<br />

mich, aber ich entschuldigte mich bald,<br />

und sie verschwand mit dem Kind auf<br />

dem Arm. Draußen war es dunkel geworden,<br />

und ich ließ die Lampe im Zimmer<br />

brennen und stieg in das schöne Bett.<br />

Als ich erwachte, saß die grüne Eidechse<br />

an der Wand gegenüber. Sie schien<br />

gewachsen zu sein. Neben ihr hockte ein<br />

großer Leguan. Sie beobachteten mich,<br />

und als sie merkten, dass ich wach war,<br />

krochen sie hinter den Schrank. Es war<br />

mir unangenehm, die Tiere im Zimmer<br />

zu wissen. Mir schoss der Gedanke durch<br />

den Kopf, ich könnte mich geirrt haben,<br />

und vielleicht war hier im Raum kein<br />

Leguan, sondern ein kleiner Alligator,<br />

wie sie oft von ihren Besitzern ausgesetzt<br />

werden, um in der Freiheit zu wachsen<br />

und zur Gefahr für Mensch und Tier zu<br />

werden. Doch ich war zu schlaftrunken,<br />

um mir ernsthafte Gedanken zu machen.<br />

51


Als ich das nächste Mal erwachte, saßen<br />

die Tiere wieder auf der Wand neben<br />

dem Schrank. Der Leguan schien tatsächlich<br />

ein Leguan zu sein, aber die Eidechse<br />

war ein ganzes Stück gewachsen,<br />

sie war bereits größer als ihr Gefährte<br />

und sah eindeutig wie ein Alligator aus.<br />

Ein fauliger Geruch hing im Zimmer.<br />

Ich wäre gerne geflüchtet, aber ich<br />

wusste nicht genau, wo meine Schuhe<br />

waren und wagte nicht, mit nackten Füßen<br />

auf den Boden zu treten, denn was<br />

mochte unter dem Bett sitzen? In diesem<br />

Augenblick erlosch das Licht. Mit einem<br />

Schlag hatte ich Angst. Ich spürte, wie<br />

die Tiere sich regten, hörte ein Schleifen<br />

auf dem Boden wie von einem schuppigen<br />

Schwanz, und plötzlich kam mir der<br />

Gedanke, die in meinem Hochglanzprospekt<br />

abgebildeten Orte könnten unter<br />

der Oberfläche miteinander verbunden<br />

sein, wie zuweilen weit voneinander<br />

entfernte Brunnen und Bäche durch unterirdische<br />

Wasseradern miteinander in<br />

geheimer Beziehung stehen, und wenn<br />

auch kein Flugzeug mich hatte nach<br />

Florida bringen können, so krochen<br />

hier vielleicht dennoch die Reptilien<br />

aus den Everglades in mein Zimmer<br />

im Silicon Valley. Sie waren durch den<br />

Fonds ja alle untereinander verbunden,<br />

das dunkle Bürogebäude an der Pariser<br />

Straßenkreuzung, die Scherbenruine<br />

in London, das Hotelressort mit der<br />

Krokodilsfarm in den Everglades und die<br />

Appartementanlage hier in Kalifornien –<br />

genauso wie das Kaufhaus in Osaka und<br />

der Büroturm in Seoul. Ich lag reglos im<br />

Dunkeln und lauschte, aber trotz meines<br />

Grauens schlief ich irgendwann noch<br />

einmal ein.<br />

Als ich zum letzten Mal erwachte, war<br />

der Schrank verschwunden. An seiner<br />

Stelle führen ein paar Stufen hinunter<br />

in ein Bassin. Mein Bett ist in die Mitte<br />

des Raumes gerückt und mein Oberkörper<br />

von Kissen gestützt, so dass ich die<br />

dunkle Wasseroberfläche sehen kann.<br />

Sie bewegt sich von Zeit zu Zeit, und<br />

manchmal reckt sich ein Stück von einem<br />

Schuppenpanzer daraus in die Höhe.<br />

Einmal erscheint der Kopf des kleinen<br />

Alligators, er ist wieder größer geworden,<br />

aber er verschwindet gleich wieder.<br />

Der faulige Geruch ist unerträglich<br />

geworden.<br />

Jetzt öffnen sich zwei Türen im Raum,<br />

und eine Masse zerlumpter Elendsgestalten<br />

drängt herein. Sie scharen sich um<br />

mich, aneinandergedrängt, eine lebende<br />

Gefängnismauer. Als Letzte tritt die Alte<br />

mit der Haarmatte ins Zimmer.<br />

Das schwarze Wasser gerät in heftige<br />

Bewegung, der kleine Alligator taucht<br />

auf und verschwindet blitzschnell unter<br />

meinem Bett. Hinter ihm hebt sich eine<br />

riesige Gestalt im Schuppenpanzer aus<br />

dem Bassin. Ein Maul mit Zähnen, so<br />

spitz wie gefeilt. Ein gezackter Schwanz<br />

peitscht das Wasser. Und das Wesen richtet<br />

sich auf und geht auf zwei Beinen.<br />

Die elenden Menschen sinken in die<br />

Knie. Sie beginnen zu murmeln, es klingt<br />

wie eine Litanei. Sie heben die nach oben<br />

gewandten Hände wie eine Opferschale.<br />

Wolken von Gestank wälzen sich über<br />

mir zusammen: Das Schuppenwesen<br />

nähert sich. Der Echsenschwanz gewinnt<br />

eigenes Leben, er windet und wiegt sich<br />

wie eine Schlange, und dann züngelt aus<br />

seinem schmalen Ende etwas Dunkel-<br />

Gespaltenes, das berührt mein Bein, zart<br />

und saugend, wie ein Schmetterlingsrüssel.<br />

Von hoch oben starrt mich das gelbe<br />

Reptilienauge an, wie in Paris, bei meiner<br />

ersten Begegnung mit der Realität hinter<br />

den Fotos.<br />

Ich werde das Kaufhaus in Osaka, das<br />

Bürogebäude in Seoul nicht sehen. Ich<br />

brauche auch die Bank in Budapest und<br />

das Hotel in Wien nicht mehr aufzusuchen.<br />

Ich kenne die Wirklichkeit hinter<br />

den glänzenden Bildern. Sie heißt Elend<br />

und Opfer.<br />

Und dies Mal bin das Opfer ich.<br />

Dorothea Renckhoff<br />

Textilmarkt<br />

Schloss Lüntenbeck<br />

Tageskarte: 3 € | Dauerkarte: 5 € | Kinder bis 12 Jahre frei<br />

9. – 12. Mai 2013, 11–18 Uhr<br />

Modenschau täglich 12 Uhr<br />

Tageskarte: 3 €, Dauerkarte: Schloss 5 Lüntenbeck €, Kinder bis | 42327 12 Jahre Wuppertal frei | www.schloss-luentenbeck.de<br />

Schloss Lüntenbeck, 42327 Wuppertal, www.schloss-luentenbeck.de<br />

52


Genau genommen sind es inzwischen 1200<br />

Gute Karten. So viele Ehrenamtskarten<br />

hat die Bürgerinitiative „(M)eine Stunde<br />

für Wuppertal“ inzwischen herausgegeben.<br />

„Wären wir eine Partei“, so Eva Möllers,<br />

Mitglied des Gute Karte Teams, „dann<br />

stünden wir bereits jetzt an zweiter Position.<br />

Und wir werden wahrscheinlich bald an<br />

der ersten Stelle stehen. Zumindest können<br />

wir heute schon davon ausgehen, dass wir<br />

Wuppertaler die Gemeinde mit den meisten<br />

Ehrenamtskarten in ganz Deutschland sind!“<br />

Nur eineinhalb Jahre nach dem Start der<br />

Guten Karte ist das eine stolze Bilanz.<br />

Foto: Till Brühne<br />

Foto: Bundespräsidialamt<br />

Wuppertal hat Gute Karten<br />

Unbürokratisch und ehrenamtlich.<br />

Woher kommt dieser Erfolg? Gudrun<br />

Herrmann, Projektleiterin bei „(M)<br />

eine Stunde für Wuppertal“, hat eine<br />

einleuchtende Erklärung: „Wir in Wuppertal<br />

machen die Dinge einfach etwas<br />

anders, niederschwellig, unbürokratisch,<br />

kostengünstig und natürlich ehrenamtlich“.<br />

Getreu dem Motto der Initiative<br />

ist jede Stunde wertvoll, die in der Stadt<br />

ehrenamtlich geleistet wird. Wer sich für<br />

andere einsetzt – und sei es für wenige<br />

Stunden – erhält seine Gute Karte. Dafür<br />

steht ein übersichtlicher Antrag auf www.<br />

meinestundefuerwuppertal.de bereit.<br />

Gute Karte drückt Anerkennung aus.<br />

Und wofür ist die Gute Karte gut? Lohn<br />

für die Mühen? Geld, Vergünstigungen?<br />

Zahlreiche Gespräche mit Ehrenamtlern<br />

haben gezeigt, dass es vor allem darauf<br />

ankommt, Menschen, die aus eigenem<br />

Antrieb für sich und andere Gutes tun,<br />

eines zukommen zu lassen: Anerkennung.<br />

Das ist daher auch der (einzige)<br />

Zweck der Guten Karte. Inhaber der<br />

Guten Karte werden in unregelmäßigen<br />

Abständen zu Veranstaltungen eingeladen,<br />

die Anerkennung in Form außergewöhnlicher<br />

Erlebnisse zum Ausdruck<br />

bringen.<br />

Einladungen zu Events für<br />

Gute Karte-Inhaber.<br />

Organisationen und Unternehmen unterstützen<br />

„(M)eine Stunde für Wuppertal“<br />

und bieten exklusive Veranstaltungen an.<br />

Sei es der Zoo, der nach Schalterschluss<br />

zu einer exklusiven Führung einlädt;<br />

eine Buchhandlung, die für Ehrenamtliche<br />

eine exklusive Lesung organisiert;<br />

der Intendant des Opernhauses, der zu<br />

einer Führung hinter die Kulissen und<br />

zu einer Probe persönlich einlädt; oder<br />

ein Brauhaus, das zeigt, wie Hopfen und<br />

Malz zusammenhängen. Opernintendant<br />

Johannes Weigand bringt es auf den<br />

einfachen Nenner: „Es ist mir einfach eine<br />

große Freude, auf diesem Wege einmal<br />

den Menschen Danke sagen zu können,<br />

die im Hintergrund wirken und unendlich<br />

wichtige Arbeit am Nächsten leisten.“<br />

53


Initiative trägt viele Früchte.<br />

Als „(M)eine Stunde für Wuppertal“ 2006<br />

von Bürgern für Bürger gegründet wurde,<br />

ging es vor allem darum, einfallsreich und<br />

humorvoll auf das Ehrenamt aufmerksam<br />

zu machen. Bald kam die Unterstützung<br />

durch die Stadt hinzu, die eine Servicestelle<br />

Ehrenamt einrichtete. Inzwischen wird<br />

jährlich ein wertvoller, vom Wuppertaler<br />

Künstler Frank Breidenbruch entworfener<br />

und privat gestifteter Preis für besonderes<br />

Engagement im Ehrenamt vergeben. Und<br />

im Sommer 2011 folgte die Gute Karte. In<br />

Kürze werden Bürger der Stadt gemeinsam<br />

mit der Verwaltung eine Freiwilligenagentur<br />

eröffnen, das „Zentrum für Gute Taten“.<br />

Es gibt allen Grund, Wuppertal als Stadt<br />

mit herausragenden Aktivitäten für das<br />

ehrenamtliche Engagement zu bezeichnen.<br />

Mit anderen Worten: Wuppertal hat Gute<br />

Karten!<br />

Mitmachen erwünscht!<br />

„(M)eine Stunde für Wuppertal“ ist von<br />

einer einfachen Initiative zu einer festen Organisation<br />

in Wuppertal gewachsen und wird<br />

von einer unabhängigen und gemeinnützi-<br />

Vom Wuppertaler Künstler Frank<br />

Breidenbruch entworfener Preis.<br />

Foto: Till Brüne<br />

gen „(M)eine Stunde für Wuppertal GmbH“<br />

getragen, die in der Elberfelder Schokoladenfabrik<br />

ihren Sitz hat. Dorthin können sich<br />

alle Bürger oder Organisationen wenden, die<br />

im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit<br />

das Logo von „(M)eine Stunde für Wuppertal“<br />

übernehmen oder Anerkennungsevents<br />

für Ehrenamtliche unterstützen möchten.<br />

Und natürlich alle, die für ihr ehrenamtliches<br />

Engagement in Wuppertal eine Gute Karte<br />

erhalten wollen.<br />

„(M)eine Stunde für Wuppertal“<br />

Schokoladenfabrik,<br />

Obergrünewalderstr. 8a, 42103 Wuppertal<br />

Telefon 0202-42990884<br />

E-Mail:<br />

info@MeineStundefuerWuppertal.de<br />

www.MeineStundefuerWupppertal.de<br />

Persönlicher Service für Fragen rund um<br />

die Gute Karte an jedem ersten Montag im<br />

Monat, 16-19 Uhr in der Schokoladenfabrik.<br />

Sparkassen-Finanzgruppe<br />

„Wunderbar, dass unsere Sparkasse<br />

einer der größten Kulturförderer<br />

Wuppertals ist.“<br />

<br />

Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer<br />

Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen<br />

wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse<br />

54


Wolf Christian von Wedel Parlow<br />

ist 1937 in Prenzlau geboren, wuchs in<br />

der Uckermark, Böhmen und Baden auf,<br />

studierte in Heidelberg und Kiel Volkswirtschaftslehre,<br />

Geschichte und Soziologie,<br />

arbeitete als Wirtschaftswissenschaftler<br />

am Osteuropa-Institut in Berlin,<br />

an der Ökonomischen Hochschule in Prag<br />

und der Universität Wuppertal und<br />

lebt gegenwärtig in Wuppertal.<br />

Im NordPark Verlag Wuppertal erschienene<br />

Veröffentlichungen:<br />

Deutschlandhymnus. Gedicht<br />

Drahomira. Roman<br />

Wolf Christian von Wedel Parlow,<br />

Foto: Frank Becker<br />

Ein Pferd ist ein Pferd<br />

Froh, ihrem ständigen Spott, er habe<br />

bisher noch nie auch nur einen Euro<br />

zum gemeinsamen Haushalt beigetragen,<br />

endlich etwas Handfestes entgegensetzen<br />

zu können, reiste Friedrich<br />

nach Nürnberg, wo er im schriftlichen<br />

Nachlass Franz Marcs beim Germanischen<br />

Nationalmuseum Schriftstücke zu<br />

finden hoffte, die von der Franz-Marc-<br />

Forschung bisher vernachlässigt worden<br />

waren. Er war ehrgeizig, und sein<br />

Ehrgeiz war es, das festgefügte Bild, das<br />

die Wissenschaft von dem Künstler gezeichnet<br />

hatte, durch seinen Beitrag zu<br />

dem Ausstellungskatalog zu erschüttern.<br />

In ein anerkennendes Staunen wollte er<br />

die Kollegen versetzen, die das Forschungsfeld<br />

besetzt hielten. Um endlich<br />

aufgenommen zu werden in ihren Kreis.<br />

Denn bisher war er ein Nichts in der<br />

Hierarchie der Franz-Marc-Forscher,<br />

zählte gerade einmal zum Fußvolk.<br />

Der Archivbestand war seit seinem<br />

letzten Besuch in Nürnberg durch<br />

Neuzugänge erheblich gewachsen.<br />

Zweimal nahm er sich die Akten<br />

Stück für Stück vor − und musste sich<br />

eingestehen, dass die Kollegen, die sich<br />

vor ihm dieser Fron unterzogen hatten,<br />

sorgfältig gearbeitet hatten. Es fand sich<br />

nicht ein Hinweis, der den Stand der<br />

Forschung korrigiert oder auch nur um<br />

eine Schattierung ergänzt hätte. Er war<br />

enttäuscht. Er würde sich nun auf das<br />

Übliche beschränken müssen, Leben<br />

und Werk des Künstlers darstellen,<br />

vielleicht unter Einbeziehung neuerer<br />

Veröffentlichungen. Mehr als ein konventioneller<br />

Katalogbeitrag würde dabei<br />

nicht herauskommen.<br />

Ganz am Rande der Recherche war er<br />

auf ein Schriftstück gestoßen, das ihn<br />

inzwischen mehr beschäftigte als der<br />

Katalogbeitrag. Es handelte sich um ein<br />

Handschreiben an Franz Marc. Absender<br />

war ein gewisser Andreas, Arnulf<br />

oder Alexander – die Unterschrift ließ<br />

sich bei bestem Willen nicht genauer<br />

bestimmen. Der Verfasser – ob er<br />

nun Andreas hieß oder einen anderen<br />

Vornamen trug – schildert darin einen<br />

Besuch bei Gabriele Münter und Wassily<br />

Kandinsky, bei dem er Zeuge einer<br />

heftigen Auseinandersetzung zwischen<br />

den beiden wurde. Wer auch immer<br />

dieser Andreas war, vermutlich niemand<br />

55


Wassily Kandinsky, Improvisation 13,<br />

1910, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn, 2012<br />

vom Fach, weder Künstler noch Kunsthändler<br />

oder Kunstwissenschaftler, aber<br />

vielleicht ein wohlhabender Freund und<br />

Förderer sowohl Franz Marcs als auch<br />

der Gastgeber, wer auch immer er war,<br />

er war offensichtlich tief beeindruckt<br />

von dem Streit, so tief, dass er meinte,<br />

er müsse ihn Wort für Wort festhalten<br />

in seinem Brief an den Freund.<br />

Friedrich fand den Brief bemerkenswert<br />

und begab sich sofort an die Transkription<br />

des nur schwer lesbaren Schriftstücks.<br />

Er tat sich immer noch schwer<br />

mit dem Entziffern altdeutscher Handschriften,<br />

aber wenn sie wie in diesem<br />

Fall auch noch mit nachlässiger Hand<br />

geschrieben waren, war es wirkliche<br />

Schwerarbeit. Doch die Mühe lohnte<br />

sich, wie er am Ende feststellte.<br />

Lieber Franz, – so begann der unbekannte<br />

Briefschreiber – unsere Freunde<br />

haben mich sehr herzlich aufgenommen.<br />

Am Abend floss für mich ungewohnt<br />

viel Wein. Wassil las einen<br />

Brief seiner Mutter vor. Seit dem blutig<br />

niedergeschlagenen Aufstand von 1905<br />

herrschen in Russland unglaubliche<br />

Zustände. Hausdurchsuchungen, Denunziationen,<br />

willkürliche Verhaftungen,<br />

Verbannungen. Die herrschende<br />

Klasse hat Angst, dass sich so etwas wie<br />

der Aufstand von 1905 wiederholt. Sie<br />

versucht deswegen, jegliche politische<br />

Debatte zu unterdrücken. Wassil überlegt<br />

sich allen Ernstes, ob sein Platz jetzt<br />

nicht in Russland sein sollte. Gabriele<br />

und ich versuchten, es ihm auszureden.<br />

Der Wein trug sicher viel zu der aufgewühlten<br />

Stimmung bei.<br />

Am Morgen waren wir alle wie gerädert.<br />

Wassil war sehr still. Er stellte eine<br />

schon grundierte, große Leinwand auf<br />

und begann mit heftigem Pinselstrich<br />

irgendwelche für mich nicht identifizierbaren<br />

Gebilde zu entwerfen. Ich<br />

saß an der Wand und sah ihm zu. Wir<br />

wechselten kein Wort. Irgendwann rief<br />

er nach Gabriele und bat sie, uns Kaffee<br />

zu machen.<br />

Bald darauf stieß Gabriele mit dem<br />

Ellenbogen die Tür auf und blieb mit<br />

dem Tablett im Türrahmen stehen.<br />

„Der Kaffee, Wassil, wie der Meister<br />

befohlen.“<br />

Wassily, knurrend: „Stell ihn hin!“<br />

„Schade um die Leinwand. Den ganzen<br />

Morgen bist du schon so aggressiv. Was<br />

ist los mit dir?“<br />

„Was ist los mit dir“, machte er sie nach.<br />

„Hast du nicht gehört, was meine Mutter<br />

geschrieben hat? Gestern Abend habe<br />

ich dir den Brief vorgelesen. Mal du nur<br />

56


weiter deine Stillleben, deine friedlichen<br />

Dörfer. Dich berührt das alles nicht.<br />

Russland, das ist so weit weg.“<br />

„Und du meinst, du hilfst deinem Volk,<br />

indem du Blut über die Leinwand fließen<br />

lässt.“ Sie wandte sich zum Gehen.<br />

„Bleib hier, Riele. Lass dir das erklären.<br />

Auch du kannst nur darstellen, was in<br />

deinem Kopf ist. Was steckt dort wohl<br />

drin in diesem Moment? Doch sicher<br />

wieder einmal ein Blumenstrauß. Hast<br />

du nicht gerade wieder einen gepflückt?<br />

Welcher Friede, welche Harmonie muss<br />

in so einem Blumenstrauß stecken!“<br />

Gabriele verschränkte die Arme, ganz<br />

Ablehnung.<br />

„Aber in meinem Kopf“, fuhr er fort,<br />

„gibt es nichts Harmonisches mehr seit<br />

dem Brief meiner Mutter. Kein Teich<br />

mit Seerosen, keine Kathedrale von<br />

Rouen. Sicher, das waren revolutionäre<br />

Darstellungen, aber wie fern von der<br />

gesellschaftlichen Situation. In meinem<br />

Kopf ist nur Zerrissenheit, nur die kann<br />

ich darstellen.“<br />

„Dann mach eben mal eine Pause, du<br />

Berserker. Komm, wir machen einen<br />

Spaziergang.“ Sie legte ihm die Hand auf<br />

die Schulter.<br />

„Hebe dich hinweg, Verführerin!“ Er<br />

drückte einen Klecks tiefrote Farbe auf<br />

die Palette und mischte mit dem Pinsel<br />

eine Spur giftiges Grün hinein.<br />

„Schon die Farben, die du nimmst, da ist<br />

nichts Wirkliches, nichts Erkennbares.<br />

Ästhetik, die Kunst der Wahrnehmung.<br />

Was soll, was kann der Betrachter auf<br />

dieser Leinwand erkennen? Du machst<br />

dir deinen Ruf kaputt, wenn du so weiter<br />

machst.“<br />

„Vielleicht denkst du da an deinen eigenen<br />

Ruf, Riele. Dass du mit diesem Kerl<br />

zusammen bist. Die Kunst der Wahrnehmung,<br />

meine Güte.“ Er fasste sich an<br />

die Stirn. „Du machst es dir zu einfach,<br />

Riele. Es kann doch nichts Beliebiges<br />

sein, was wahrgenommen werden soll.<br />

Es geht um die Wahrheit in den Dingen,<br />

in ihrer Darstellung, im Prozess ihrer<br />

künstlerischen Wiedergabe. Es wäre eine<br />

Lüge, wenn ich mich jetzt mit der Staffelei<br />

vor die Kirche stellte und – wie der<br />

unglückliche Sisley in Rouen – anfinge,<br />

meine Impression von der Kirche auf die<br />

Leinwand zu projizieren. Wahr ist nur das<br />

Chaos in meinem Kopf. Nur das kann ich<br />

in diesem Moment darstellen.“<br />

„In diesem Moment. Niemand zwingt<br />

dich, in diesem Moment zu malen.<br />

Warum wartest du nicht einfach ab, bis<br />

du die Dinge wieder siehst, wie sie sind.<br />

Ein Baum ist ein Baum. Ein Pferd ist ein<br />

Pferd. Ein Reiter ist ein Reiter. Und die<br />

Zustände in Russland sind, wie sie sind.“<br />

Sie drehte ihm den Rücken zu und sah<br />

zum Fenster hinaus.<br />

„Nun fehlt nur noch, dass du sagst, ich<br />

sei krank. Krank, weil unfähig, in einem<br />

Pferd ein Pferd zu sehen. Ich will es<br />

dir einmal genau sagen: Ein Pferd als<br />

Pferd darzustellen ist so überflüssig wie<br />

ein Kropf. Man sieht das Tier doch alle<br />

Tage. Das Pferd müsste schon irgendetwas<br />

auslösen, ein Gefühl, . . . weil es<br />

auf irgendetwas losgeht, weil es angreift.<br />

Aber Pferde sind Fluchttiere. Sie passen<br />

irgendwie zu deiner Harmoniesucht, die<br />

ja auch nur eine Art Flucht ist, Flucht<br />

vor der Wirklichkeit. . . . Jetzt bleib doch<br />

hier, Riele, du musst nicht gleich beleidigt<br />

sein, wenn ich mal ein kritisches Wort<br />

verliere.“ Die Palette mit dem Pinsel<br />

in der Linken, ging er zu ihr hin und<br />

streichelte sie am Ohr. „Du hast mich da<br />

auf etwas gebracht.“ Er sah auf die Straße<br />

hinaus. „Ein Reiter könnte das Pferd<br />

lenken, zum Angriff . . . oder wenigstens<br />

zum Protest. Aber jetzt muss erst einmal<br />

diese Arbeit fertig werden. Schau mal,<br />

dieser schräge Strich könnte der Pferderücken<br />

sein, ein Pferd, das sich aufbäumt<br />

. . .“<br />

„Kein Pferd hat einen so geraden Rücken!“<br />

Sie sah immer noch zum Fenster<br />

hinaus, mit verschränkten Armen.<br />

„Es geht doch nur um eine Andeutung.<br />

Wenn ich noch den Reiter hinzufüge,<br />

wird dem Betrachter schon klar werden,<br />

dass es sich hier verdammt nicht nur<br />

um eine aus der Verzweiflung geborene<br />

Komposition handelt. Natürlich ist alles<br />

ein wenig improvisiert. Mensch, vielleicht<br />

wäre Improvisation wieder einmal ein<br />

passender Titel, die Nr. 13 meiner Improvisationen<br />

. . . Schau nicht so verdüstert,<br />

Riele, ist doch ein guter Tag heute.“<br />

Ich glaube, ich brauche Dir nicht zu<br />

erklären, warum ich den Wortwechsel<br />

zwischen den beiden so ausführlich wiedergebe.<br />

Es könnte manche Anregung für<br />

Dich darin enthalten sein. Indiskret bin<br />

ich nicht, meine ich. Ich hatte sie gefragt,<br />

ob ich Dir von dem Streit berichten<br />

dürfte.<br />

Du erfreust Dich hoffentlich bester<br />

Gesundheit und ungetrübter Schaffensfreude.<br />

In alter Freundschaft Dein getreuer ...<br />

Kein Wunder, dachte Friedrich, dass der<br />

Brief keine Beachtung bei den Franz-<br />

Marc-Spezialisten gefunden hatte. Er<br />

betraf Franz Marc ja nur indirekt, hatte<br />

ihn vielleicht beeinflusst, aber beweisen<br />

ließ sich das nicht. Außerdem, was fing<br />

man als gestandener Franz-Marc-Forscher<br />

mit dem Brief eines Unbekannten an?<br />

Das machte sich einfach nicht gut in<br />

einem Fachbeitrag. Es hörte sich an, als<br />

habe der Verfasser da etwas konstruiert,<br />

den Brief vielleicht sogar erfunden. Die<br />

genaue Quellenangabe diente, wer weiß,<br />

vielleicht nur der Tarnung.<br />

Für die Kandinsky-Forschung wäre das<br />

Schriftstück natürlich ein Fest, aber die<br />

schaute begreiflicherweise nicht in das<br />

Franz-Marc-Archiv, sie hatte genug damit<br />

zu tun, die schriftlichen Hinterlassenschaften<br />

ihres eigenen Hausgottes zu sichten.<br />

Und Friedrich hielt es für abträglich,<br />

sich als Fachfremder auf das Gebiet der<br />

Kandinsky-Forschung zu wagen. Man<br />

hätte seinen Beitrag wahrscheinlich belächelt.<br />

Er musste auf seinen Ruf achten.<br />

Allzu leicht bekam man das Etikett eines<br />

Dilettanten angehängt.<br />

Aber totschweigen wollte Friedrich den<br />

Brief des Unbekannten auch nicht.<br />

Denkbar schien eine Veröffentlichung im<br />

Feuilleton einer größeren Zeitung, vielleicht<br />

einer Wochenzeitung. Er bekäme<br />

damit ein weiteres Argument gegen den<br />

Spott seiner Lebensgefährtin in die Hand.<br />

Allerdings müsste er noch einen Vorspann<br />

verfassen, am besten, indem er schildert,<br />

wie er auf den Brief gestoßen ist. Ja, so<br />

wollte er es machen.<br />

Wolf Christian von Wedel Parlow<br />

57


Kairos<br />

Vom Umgang mit dem günstigen Augenblick<br />

Klaudia Anosike, Kirsten Rönfeldt,<br />

Anna Stöcker<br />

Klaudia Anosike<br />

Schlaraffenland 1, 4-teilig, 270 x 200 cm,<br />

Acryl und Collage auf Leinwand<br />

Kunst in der Sparkasse<br />

Die Arbeiten von Klaudia Anosike, Kirsten<br />

Rönfeldt und Anna Stöcker verbindet inhaltlich<br />

kaum etwas miteinander. Im Gegenteil,<br />

die Ideen, Intentionen und Konzepte der<br />

Künstlerinnen scheinen vielmehr konträr<br />

zu sein. Auch im biografischen Werdegang<br />

finden sich keine Gemeinsamkeiten: Klaudia<br />

Anosike hat Grafikdesign mit dem Schwerpunkt<br />

Freie Grafik und Illustration an der<br />

Folkwangschule in Essen studiert, Kirsten<br />

Rönfeldt absolvierte den Studiengang Industrial<br />

Design an der Bergischen Universität<br />

und Gesamthochschule in Wuppertal<br />

und Anna Stöcker verließ die Düsseldorfer<br />

Kunstakademie als Meisterschülerin von<br />

Frau Prof. Irmin Kamp nach ihrem Studium<br />

der Freien Kunst und der Bildhauerei.<br />

In der Verschiedenheit und Eigenständigkeit<br />

der drei Künstlerinnen liegt die Stärke ihrer<br />

gemeinsamen Ausstellung, die sie „Kairos“<br />

genannt haben.<br />

Kairos galt in der griechischen Mythologie<br />

als Gott des günstigen Augenblicks. In der<br />

Philosophie bezeichnet der Begriff den günstigen<br />

Zeitpunkt für eine richtige Entscheidung,<br />

den man nicht verstreichen lassen,<br />

sondern beim Schopf packen sollte. Für<br />

die Künstlerinnen, deren Arbeiten hier im<br />

Mittelpunkt stehen, ist Kairos der Moment,<br />

der für das Kunstschaffen essentiell und wesentlich<br />

ist, weil ohne die entscheidende Idee<br />

und Initialzündung keine Kunst entstehen<br />

kann. Jede Künstlerin und jeder Künstler erlebt<br />

diesen Augenblick individuell, niemand<br />

kann ihn forcieren oder beschleunigen. Die<br />

Angst vor der weißen Leinwand kennen<br />

Maler ebenso wie Autoren die gefürchtete<br />

Schreibblockade. In diesen leeren Situationen<br />

wartet Jede und Jeder sehnsüchtig<br />

auf Kairos. Der richtige und entscheidende<br />

Moment kann sich unverhofft, plötzlich und<br />

überraschend, abseits des Ateliers, einstellen.<br />

Inspiration und Intuition, Idee und Gedanke<br />

werden dann zum Initiator für neue<br />

Werke. Kairos verbindet die Künstlerinnen<br />

miteinander und steht für den Beginn und<br />

Ursprung ihrer Werke, die sich unterschiedlich<br />

entwickeln und individuell, autonom<br />

und unabhängig nebeneinander stehen. Der<br />

Reiz der gemeinsamen Präsentation liegt im<br />

Gegensatz und in der Unterschiedlichkeit<br />

der Bildaussagen und Darstellungsweisen.<br />

Der Dialog der Exponate verdeutlicht<br />

Differenzen und zeigt zugleich die Besonderheiten<br />

und einzigartigen Merkmale und<br />

Eigenschaften dreier spannender, außerordentlich<br />

bemerkenswerter Positionen der<br />

Gegenwartskunst.<br />

58


Klaudia Anosike<br />

Schlaraffenlandschaften<br />

Klaudia Anosike liebt die Natur,<br />

zeichnet und fotografiert im eigenen<br />

Garten und nimmt dabei gerne<br />

die Position eines Käfers ein, der<br />

mittendrin im saftigen Grün einer<br />

Wiese die Vielfalt und Übermacht der<br />

Natur empfindet. Aber auch laufend<br />

erkundet die passionierte Joggerin das<br />

Bergische Land und erlebt, erspürt<br />

und genießt die Wälder und ihren<br />

Wandel im Verlauf der Jahreszeiten.<br />

Das Hauptmotiv in den Bildern von<br />

Klaudia Anosike gehört zum traditionellsten<br />

Thema in der Geschichte<br />

der Kunst: Die Landschaft steht im<br />

Mittelpunkt der mehrteiligen Werke,<br />

deren eindrucksvolle Bildwelten verschiedene<br />

Medien kongenial miteinander<br />

verbinden. Malerei, Fotografie,<br />

Zeichnung und Collage dienen der<br />

Künstlerin als technische Mittel, um<br />

ihre scheinbar realistischen, beeindruckenden<br />

und farbintensiven Phantasielandschaften<br />

zu erfinden. Gräser<br />

und Farne werden fotografiert und<br />

am Computer vergrößert. Im Garten<br />

entstandene Zeichnungen scannt<br />

die Künstlerin ein, bearbeitet sie am<br />

Rechner, verändert ihre Proportionen<br />

und Farben und druckt das Ergebnis<br />

aus. Die bearbeiteten Naturstudien<br />

dienen als Collagematerial und<br />

werden Teil der gemalten Leinwandbilder.<br />

Klaudia Anosike konstruiert<br />

in einem langwierigen Arbeitsprozess<br />

zeitgenössische Ideallandschaften, die<br />

sie „Schlaraffenland“ nennt. Malend<br />

schafft sie eine grün und blau geprägte<br />

Bühne für Gräser, Farne, Blüten und<br />

Klaudia Anosike<br />

Cutout 3, 107 x 78 cm, (geschnitten aus<br />

aquarelliertem Büttenpapier)<br />

Flechten, die den Bildraum definieren.<br />

Die verschiedenen Bildelemente<br />

werden Teil fiktiver Traumwelten, deren<br />

Perspektive bewusst keiner Logik<br />

folgt. Bestimmendes Gestaltungsprinzip<br />

ist die Phantasie. Die künstlichen<br />

Produkte wirken wie täuschend echte<br />

Abbilder, deren Dimensionen den<br />

Betrachter in das Bild hineinziehen.<br />

Während des Entstehungsprozesses<br />

wachsen die Bilder und werden<br />

großformatig und mehrteilig fortgeführt.<br />

So wird der Mensch, obwohl<br />

er auf den erfundenen Orten niemals<br />

sichtbar ist, integraler Bestandteil der<br />

Landschaft. Die Natur dient auch als<br />

Ideengeber für die Reihe „Cutouts“.<br />

Die Künstlerin zeichnet mit dem<br />

Bleistift florale Formen und ornamentale<br />

Strukturen auf Büttenpapier,<br />

färbt die Flächen grün und schneidet<br />

diese anschließend mit dem Skalpell<br />

aus. Diese filigrane Arbeit erfordert<br />

Geduld, Akkuratesse, Konzentration,<br />

Fingerspitzengefühl und kontemplative<br />

Ruhe. Die Format füllenden<br />

Pflanzengebilde wachsen scheinbar<br />

grenzenlos in- und übereinander. Das<br />

Auge des Betrachters taucht ein, verliert<br />

sich im akribischen Gestrüpp des<br />

paradiesischen Grüns und muss doch<br />

sehr präzise schauen, um sich zu orientieren.<br />

Dabei stößt der Betrachter<br />

an die Grenzen des Sehens. Die Tiefe<br />

59


des Bildraums lässt sich nicht umfassend<br />

bis auf den Grund erobern.<br />

Mensch und Natur nähern sich bei<br />

Klaudia Anosike auf wunderbar<br />

beglückende Weise: Sensibel und<br />

feinfühlig präsentiert wird die Welt<br />

nachdrücklich spürbar.<br />

Kirsten Rönfeldt<br />

Augenschmaus<br />

Darstellungen zu Geschichten und beflügeln<br />

inspirierend unsere Vorstellungskräfte. Als<br />

zentrales Motiv des Surrealismus steht das<br />

Auge als Metapher für die labile Zugeordnetheit<br />

der Dinge und verweist darauf, dass<br />

die Realität allein mit dem bloßen Auge<br />

nicht zu erkennen sei. Die übergeordnete<br />

Wirklichkeit galt als vieldeutig und nicht<br />

entschlüsselbar. Das Auge gilt als Instrument<br />

der sinnlichen aber auch der intellektuellen<br />

Wahrnehmung. Es sieht, schaut, guckt,<br />

gafft, zwinkert, blinzelt, beobachtet und<br />

dient als wesentliches Mittel zur Erkenntnis.<br />

Die Individualität des menschlichen Auges<br />

und der damit verbundene Ausdruck höchster<br />

Emotionalität fehlen den toten Tieren<br />

in den Fotografien von Kirsten Rönfeldt.<br />

Dennoch sind die animalischen Objekte<br />

von merkwürdig anziehender, melancholischer<br />

Schönheit und spiegeln das Licht<br />

schillernd und bizarr wider. Die Künstlerin<br />

schafft kraftvolle, märchenhafte Werke, die<br />

uns zugleich abstoßen und anziehen. Kirsten<br />

Rönfeldt stört unsere Sehgewohnheiten,<br />

provoziert und bricht Konventionen. Ihre<br />

poetischen Fotos handeln vom alltäglichen<br />

Das Hauptmotiv in den Fotografien von<br />

Kirsten Rönfeldt ist das Auge. Die Künstlerin<br />

erhält Tierköpfe vom Schlachthof, greift<br />

selbst zum Skalpell und pult die Augen der<br />

Schweine, Schafe und Hühner eigenhändig<br />

heraus. Sie ist fasziniert von der Ästhetik<br />

der tierischen Sinnesorgane, die bei der<br />

Erzeugung von Wurst- und Fleischwaren als<br />

Abfallprodukte gelten. Schnelles Arbeiten<br />

ist erforderlich, wenn die Künstlerin die<br />

Lieferung des Schlachthofs erhält, denn<br />

nach kurzer Zeit trübt sich die Iris des toten<br />

Organs ein. Kirsten Rönfeldt verwendet<br />

die Augäpfel für ihre Fotografien und<br />

nahezu Ekel erregend glotzen die Tieraugen<br />

zwischen Cornflakes, aus der Bratpfanne<br />

oder auf dem Brotbelag hervor. Die surrealen,<br />

disparaten Arrangements befremden,<br />

erstaunen und irritieren den Betrachter.<br />

Die Kombination der profanen Gegenstände<br />

mit einer Menge seltsam homogen<br />

starrender Augen wirkt grotesk, absurd und<br />

abwegig. Bereiche des alltäglichen, bürgerlich<br />

anmutenden, spießigen Wohnumfelds<br />

werden zur hintergründig rätselhaften Kulisse.<br />

Die Metaphorik der inszenierten drastischen<br />

Milieustudien erschließt sich nicht.<br />

Dennoch animieren die äußerst narrativen<br />

60


Leben, von der Vergänglichkeit und vom<br />

Tod. Die ambivalenten Stimmungsbilder<br />

bewegen sich zwischen Realität und Fiktion<br />

und führen uns an reizvolle Abgründe von<br />

Grauen und Schönheit.<br />

Kirsten Rönfeldt, linke Seite:<br />

Aus der Serie „Blauäugig“, 150 x 100 cm,<br />

Fotoprint auf Alu-Dibond<br />

unten:<br />

Aus der Serie „Blauäugig“, 100 x 70cm,<br />

Fotoprints<br />

Anna Stöcker<br />

Körperräume<br />

Für ihre inszenierten Fotografiecollagen<br />

steht Anna Stöcker selbst Modell. Das<br />

Medium für ihre überaus tiefsinnige<br />

Darstellung seelischer Befindlichkeiten ist<br />

ihr eigener Körper. Reduziert, egalisiert<br />

und anonymisiert negiert das eigene Ich<br />

allerdings jede Individualität und wird zur<br />

bloßen äußeren Hülle mit aussagekräftigem<br />

Innenleben. Die menschliche Figur<br />

steht dem Betrachter frontal gegenüber<br />

und füllt den vertikalen Bildraum aus.<br />

Das Abbild des Körpers wird nüchtern<br />

und analytisch präsentiert, fast als solle<br />

es der medizinischen Analyse dienen und<br />

die Anatomie des Körpers thematisieren.<br />

Die verletzlich erscheinende grazile Körperhülle<br />

dient der Künstlerin jedoch zur<br />

Vermittlung feinsinniger und bedeutsamer<br />

Inhalte, die sich mit dem Seelenleben<br />

des Menschen auseinandersetzen. Mittels<br />

banaler Kinderschuhkartons, die hinter<br />

die Fotografie montiert werden, schafft<br />

die Künstlerin formale Bildräume, die<br />

räumlich real und metaphorisch in die<br />

Tiefe gehen. Kompositorisch stehen die<br />

Innenräume im Fokus des Bildes und<br />

zentral in der Mitte des Körpers. Sie sind<br />

gefüllt mit alltäglichen Materialien, die<br />

allegorisch für bestimmte emotionale<br />

Zustände des Menschen stehen. Mullbinden<br />

dienen als Sinnbild der Verletzlichkeit,<br />

Steine symbolisieren die schwere<br />

Last, die auf einem Menschen liegen<br />

Anna Stöcker<br />

Rote Quadrate, 2 x 200 x 200 cm<br />

Filzstift auf Papier<br />

61


Anna Stöcker<br />

ganz oben:<br />

Rote Quadrate, 2 x 200 x 200 cm<br />

Filzstift auf Papier<br />

Rote Quadrate<br />

„Jeder Mensch ist ein Künstler. (…) Damit<br />

sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur<br />

etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die<br />

in jedem Menschen vorliegt.“<br />

(Joseph Beuys)<br />

Anna Stöcker hat Personen in der Öffentlichkeit<br />

angesprochen und sie darum geoben:<br />

Körperräume, Installation, 9-teilig,<br />

je 50 x 30 cm<br />

kann. Fast voyeuristisch blickt der<br />

Betrachter in das Innere des gläsernen<br />

Menschen und auf den Grund seiner<br />

Seele. Anna Stöcker schafft beeindruckende<br />

psychologische Portraits vom<br />

Menschen, die individuell und zugleich<br />

allgemeingültig sind: Sie treffen<br />

und betreffen jeden von uns.<br />

Stadt im Transit<br />

Schaulustige Einblicke in die Privatsphäre<br />

fremder Haushalte gewährt die Künstlerin<br />

mit ihrer Arbeit „Stadt im Transit“.<br />

Zahlreiche Milchtüten werden in einem<br />

Holzcontainer neben- und übereinander<br />

zu einer fiktiven Stadtansicht arrangiert.<br />

Die Häuserzeilen erscheinen vollkommen<br />

gleichförmig, denn das Format des<br />

Tetra-Packs ist vorgegeben und wird<br />

seriell aneinandergereiht. Uneinheitlich<br />

dagegen fällt der Blick durch das simulierte<br />

Fenster aus, das reale Wohnräume<br />

zeigt. Anna Stöcker hat Wohnungen von<br />

Freunden und Bekannten fotografiert<br />

und die entstandenen Aufnahmen für<br />

ihre Installation verwendet. Sie lässt den<br />

Betrachter teilhaben am Blick hinter die<br />

Fassade. Persönlicher Hausrat, Einrichtungsstil,<br />

antikes Mobiliar oder Ikeasofa,<br />

Chaos oder Ordnung – es gibt Hinweise<br />

auf die Personen, die dort wohnen und<br />

ihre Privatsphäre namenlos offenbaren.<br />

Das Bewahren der Anonymität schützt die<br />

Intimität der namenlosen Protagonisten.<br />

Im Zeitalter sozialer Netzwerke, wo private<br />

Momente demonstrativ gepostet werden,<br />

ist das nicht selbstverständlich. Was aber<br />

offenbaren die belanglosen Uploads im<br />

World Wide Web über den Menschen?<br />

Anna Stöckers Einblicke in alltägliche Küchen<br />

und Wohnzimmer sind lebendiger<br />

und spannender, weil hier die Sicht auf das<br />

Selbst thematisiert wird. Die vermeintlich<br />

subjektiven Bilder von fremden Wohnstätten<br />

führen zu umfassenden tiefgehenden<br />

Gedanken und Aussagen über den Menschen<br />

und sein Zuhause.<br />

62


eten, an einer Kunstaktion teilzunehmen.<br />

Jeder, der zufällig gefundenen Akteure, sollte<br />

ein Viereck von 10 x 10 cm Fläche mit<br />

roten Stiften bemalen, die anschließend zu<br />

einem großen Quadrat arrangiert wurden.<br />

400 Menschen gestalteten auf diesem Wege<br />

ein 2 x 2 Meter großes rotes Bild. Anna<br />

Stöcker fotografierte die unprofessionellen<br />

Zeichnerinnen und Zeichner, während sie<br />

konzentriert und still, oder auch gestisch,<br />

schnell und spontan agierend, ihre Aufgabe<br />

umsetzten. Diese 400 fotografischen Dokumentationen<br />

wurden, ebenfalls im Format<br />

10 x 10 cm, zu einem weiteren Quadrat<br />

kombiniert. Die Künstlerin hebt mit ihrer<br />

Aktion bewusst Schranken auf. Der öffentliche<br />

Raum wird zum Atelier. Menschen,<br />

die sich vielleicht überhaupt nicht mit<br />

Kunst auseinandersetzen, tragen entscheidend<br />

zur Entstehung eines Kunstwerkes bei<br />

und werden Teil einer konzeptuellen Aktion.<br />

Anna Stöcker hinterfragt klug den gängigen<br />

Kunstbegriff. Wo kann Kunst heute<br />

stattfinden? Wodurch definieren sich Kunst<br />

und Künstler? Eine endgültige Antwort<br />

auf diese Fragen gibt die Künstlerin nicht.<br />

Aber sie regt an, über solche Fragestellungen<br />

nachzudenken. Dabei bezieht sie ganz gezielt<br />

die Öffentlichkeit ein. Menschen, wie<br />

Du und Ich, erhalten die Möglichkeit, aktiv<br />

am Kunstprozess teilzunehmen. Kunst wird<br />

vom Sockel gehoben und demokratisiert.<br />

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ und hat alle<br />

Möglichkeiten, das Leben zu gestalten.<br />

Körperräume, Installation, 9-teilig,<br />

Details, je 50 x 30 cm<br />

Fazit<br />

Drei außergewöhnliche Künstlerinnen,<br />

drei phänomenale Ansätze junger Kunst,<br />

ein entscheidender Moment – Kairos! Das<br />

Ergebnis: Unzählige Ideen, Gedanken,<br />

Bilder, Betrachtungen, Reflexionen und<br />

Fiktionen über das Leben. Klaudia Anosike,<br />

Kirsten Rönfeldt und Anna Stöcker malen,<br />

zeichnen, fotografieren, inszenieren, collagieren,<br />

arrangieren, kolorieren, variieren,<br />

komponieren und entwickeln unterschiedliche<br />

Werke. Sie schaffen eine vielfältige und<br />

unerschöpfliche, narrative oder meditative,<br />

reale oder hypothetische Bildwelt. Sozialkritisch,<br />

ästhetisch, konzeptuell, symbolisch,<br />

subversiv, metaphorisch, sensibel und<br />

individuell schaffen sie hinterfragend komplexe<br />

Bedeutungsebenen. Sie lenken den<br />

Blick sowohl auf globale Inhalte als auch<br />

auf unsere eigene Identität und erweitern<br />

unseren geistigen Horizont so maßgebend<br />

und nachdrücklich.<br />

Gisela Elbracht-Iglhaut<br />

The art of tool making<br />

63


und ihre glückliche Reise…<br />

Annika Boos, Foto: Jessylee<br />

Spielzeit 2012/13<br />

Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen<br />

November 2012<br />

Rolle der Monika in "Glückliche Reise",<br />

Wuppertaler Bühnen<br />

2007-2012<br />

Gesangsstudium bei Prof.in Klesie Kelly-Moog<br />

Seit 2008<br />

Zusätzliches Studium<br />

der Allgemeinen Musikerziehung<br />

November 2012<br />

3.Preis beim Bundeswettbewerb Gesang<br />

Berlin und Preis für beste Darbietung<br />

eines zeitgenössischen Stücks<br />

Juni 2012<br />

3.Preis beim internationalen<br />

Robert-Schumann-Wettbwerb in Zwickau<br />

März 2012<br />

1.Preis Barmenia Musikwettbewerb<br />

Mai 2011<br />

1.Preis International<br />

LiedDou Concours Enschede<br />

September 2011<br />

Nominierung als beste Nachwuchssängerin<br />

in NRW von der Fachzeitschrift "Theater<br />

Pur" für die Rolle der Margareta in "Der<br />

Drache vom Dönberg"<br />

Annika Boos<br />

Mit herkömmlichen Inszenierungen war<br />

und wird es immer schwierig sein, überregionales<br />

Interesse zu wecken. Oft gehört<br />

Mut dazu, auch selten aufgeführte Stücke<br />

in den Spielplan zu nehmen. Wuppertals<br />

Opernintendant Johannes Weigand<br />

bewies diesen Mut, als er die seit 25 Jahren<br />

nicht mehr aufgeführte lyrische Oper, die<br />

Tragödie „Bluthochzeit“ mit der Musik<br />

von Wolfgang Fortner seinem Publikum<br />

präsentierte. Nicht nur die Wuppertaler<br />

Medienlandschaft hat sich mit der „Bluthochzeit“<br />

intensiv beschäftigt. Die renommierte<br />

Fachzeitschrift „Opernwelt“ widmete<br />

in der März/2013-Ausgabe der Wuppertaler<br />

Inszenierung eine Doppelseite. Vor allem<br />

die an vielen Häusern weltweit tätige Dalia<br />

Schaechter wurde hochgelobt. Seit 1995 ist<br />

die gebürtige Israelin an der Kölner Oper<br />

fest engagiert. Aufgetreten ist sie an der Wiener<br />

und der Berliner Staatsoper, in Bayreuth<br />

und in der Carnegie Hall in New York mit<br />

einer Vielzahl hochkarätiger Dirigenten.<br />

In einer eher kleinen Rolle als Das<br />

Kind/Ein Mädchen stand auch Annika<br />

Boos bei dieser Inszenierung auf der Bühne.<br />

Sehr konzentriert mit einem Seilchen<br />

springend und die Bühne per Sturz verlassend<br />

traf sie dennoch erstaunlich virtuos die<br />

Töne (siehe letzte Ausgabe von Beste Zeit.)<br />

In einer anderen Inszenierung im<br />

Opernhaus spielte Annika Boos eine<br />

der Hauptrollen. In der im Jahre 1932<br />

im Berliner Kurfürstendamm-Theater<br />

uraufgeführten Eduard Künneke-Operette<br />

„Glückliche Reise“ brillierte sie in der<br />

Rolle der Monika Brink. Und das als festes<br />

Ensemblemitglied. Es ist in der jüngeren<br />

Geschichte dieses Hauses nicht allzu oft<br />

(wenn überhaupt) vorgekommen, dass<br />

eine noch so junge, gebürtige Wuppertalerin<br />

mit einem festen Vertrag belohnt<br />

wurde. Dahinter steht die sehr besondere<br />

Geschichte, als sich die Abiturientin des<br />

Carl Duisberg-Gymnasiums im Jahre 2006<br />

um eine Praktikantenstelle bei den Bühnen<br />

bewarb und in einer rekordverdächtigen<br />

und von vielen glücklichen Umständen<br />

begleiteten Zeit in eine Regie-Assistentenrolle<br />

schlüpfte und nicht minder schnell<br />

auch ihre Gesangskünste beweisen durfte.<br />

Sie sang im Extrachor, war die Margery im<br />

„Drachen vom Dönberg“, die Papagena in<br />

der „Zauberflöte“, die Ilse in der Uraufführung<br />

der Kammeroper „Aufstand“ und<br />

nun hat sie das Wuppertaler Publikum in<br />

der „Glücklichen Reise“ begeistert. Sie hat<br />

zu dieser Blitzkarriere gesagt: „Ich habe<br />

einfach immer Glück gehabt.“ Behutsam<br />

begleitet hat dieses Glück der von seinen<br />

Mitarbeitern für warmherziges Teamwork<br />

gemochte Intendant Johannes Weigand.<br />

Annika Boos landete schon als Praktikantin<br />

direkt bei ihm und als sich das Ensemble<br />

und auch viele Besucher zur öffentlichen<br />

Premierenfeier nach der „Glücklichen<br />

Reise“ im Kronleuchter-Saal einfanden,<br />

war dem nach der Spielzeit 2013/2014<br />

scheidenden Intendanten eine Prise Stolz<br />

anzumerken, als er die Solisten nach vorn<br />

bat. Bei Annika Boos prophezeite er: „Ich<br />

glaube, da kommt noch was…“<br />

Zu den Premierengästen im Opernhaus<br />

zählten neben der Mutter und der Tante<br />

rechts<br />

Annika Boos und ihre Mutter Christa<br />

rechte Seite:<br />

„Glückliche Reise“ mit Annika Boos und<br />

Olaf Heye. Foto: Uwe Stratmann<br />

64


Bei der Championatsehrung auf der Galopprennbahn in Dortmund. Foto: Klaus-Jörg Tuchel<br />

Ruth Drees auch zwei Omas und ein Opa.<br />

Alle mächtig stolz auf Annika, von der die<br />

Frau Mama zu recht sagte: „Es war toll, wie<br />

viel Charme sie auf der Bühne versprühte.“<br />

Es war auch ihr Verdienst, dass die<br />

„Glückliche Reise“ zu einem Erfolgsstück<br />

dieser Wuppertaler Saison wurde. Allerdings<br />

vermutete man selbst bei näherer Betrachtung<br />

in dieser Rolle von Annika Boos keine<br />

25-jährige. Da hatte das Team um Markus<br />

Moser als Leiter der Maske Außergewöhnliches<br />

geleistet, bei Elena Fink als Lona<br />

Vonderhoff nicht minder. Mit der populären<br />

und mittlerweile in Wuppertal vielfältig<br />

verwurzelten Solistin und jungen Mutter<br />

versteht sich Annika Boos bestens: „Sie ist<br />

ein absoluter Profi und ich bin stolz, mit ihr<br />

auftreten zu können.“<br />

Die Basis dafür waren Auftritte mit<br />

Musical- und Popsongs im CDG und der<br />

Gospelchor der Gemeinde Unterbarmen-<br />

Mitte. In der nicht mehr kirchlich genutzten<br />

Bonhoeffer-Kirche ist sie vom späteren<br />

Hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten<br />

Professor Dr. Peter Steinacker getauft und<br />

von Sylvia Bukowksi konfirmiert worden.<br />

Deren Ehemann Peter Bukowski, Leiter<br />

des Theologischen Zentrums Wuppertal,<br />

hat früh erkannt, welches Potenzial in ihrer<br />

Stimme steckt. Christa Boos lässt keinen<br />

Zweifel: „Er ist ihr eigentlicher Entdecker.“<br />

Einen Wohnsitz hat die Wuppertalerin<br />

Annika Boos noch in der Nähe des<br />

Eigelstein-Viertels in Köln. An der Musikhochschule<br />

der Domstadt hat sie studiert.<br />

Derzeit trifft man sie aber häufig zu Hause<br />

in der Nähe des Barmer Klinikums an. Und<br />

wo geht die glückliche Reise der inzwischen<br />

für zahlreiche Konzerte gebuchten Sopranistin<br />

hin? Annika Boos nimmt es gelassen:<br />

„Ich plane nichts. Vieles ist doch ohnehin<br />

von Zufällen abhängig. Wenn es mit einer<br />

großen Karriere nicht klappt, bin ich auch<br />

für andere Dinge geerdet genug.“ Als<br />

kleinen Ansporn hat Theaterfreunde-Chef<br />

Günter Völker ihr das längst vergriffene<br />

Rundschau-Buch „Sprungbrett Wuppertal“<br />

überreicht. Ihre Mutter hat zum Thema<br />

Karriere eine eigene Ansicht: „Ich wäre<br />

schon mit einer kleinen Karriere zufrieden.<br />

Sonst muss ich sie ja mit noch mehr anderen<br />

Menschen teilen.“ Oder sich verstärkt<br />

auf glückliche Reisen begeben.<br />

Zunächst ist das aber nicht notwendig,<br />

denn die nächsten Rollen im Opernhaus<br />

sind fest terminiert. In „Don Quichotte“<br />

singt und spielt Annika Boos die Rolle des<br />

Pedro und im Musical „Evita“ die Mistress,<br />

Perons Geliebte. In der Hauptrolle der<br />

„Evita“ ist Banu Böke zu erleben, die sehr<br />

anspruchsvolle Bass-Rolle des „Don Quichotte“<br />

wird von John In Eichen gesungen.<br />

Einen sehr speziellen Auftritt meisterte<br />

Annika Boos am 30. Dezember 2012. Auf<br />

der Galopprennbahn in Dortmund-Wambel<br />

fand die Ehrung der Champions des<br />

Jahres 2012 statt. Üblicherweise am Ende<br />

mit der Nationalhymne „aus der Dose“<br />

mehr schlecht als recht abgespielt. Weil der<br />

Dortmunder Rennvereins-Ehrenpräsident<br />

Hans-Hugo Miebach und seine Gattin<br />

Jutta aber langjährige, leidenschaftliche und<br />

weitgereiste Opernliebhaber sind, durfte der<br />

Moderator aus Wuppertal „seine Sängerin“<br />

mitbringen. Allerdings mit großen Bedenken<br />

aufgrund der bekannt problematischen<br />

Beschallung auf dem weitläufigen Geländen.<br />

Doch Annika Boos nahm das alles<br />

sehr gelassen. Einen Ständer mit Text zur<br />

Sicherheit lehnte sie ab, legte eine grandiose<br />

Vorstellung hin und begeisterte die<br />

hartgesottenen Typen des Galopprennsports<br />

mächtig. Der Jockey-Champion Andrasch<br />

Starke: „Das war doch der eigentliche Höhepunkt<br />

der Ehrung.“ Auch für den sehr<br />

erleichterten Moderator aus Wuppertal.<br />

Klaus Göntzsche<br />

Weitere Informationen<br />

www.annikaboos.de<br />

www.wuppertaler-buehnen.de<br />

65


Paragraphenreiter<br />

Kann ich mit der Übertragung<br />

von Kunstsammlungen Steuern<br />

sparen?<br />

Susanne Schäfer, Steuerberaterin<br />

Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/<br />

Steuerberatungsgesellschaft<br />

Theoretisch kann ich das. Eine Menge<br />

schöne Dinge sind nicht nur schön, sondern<br />

auch zur Reduzierung einer überhöhten<br />

Abgabenlast durchaus geeignet. Kunstgegenstände<br />

und Sammlungen zum Beispiel.<br />

Speziell um deren Erwerb und Erhaltung<br />

zu fördern, gibt es den § 13 Abs. 1 Nr. 2<br />

ErbStG. Danach können Kunstgegenstände,<br />

Kunstsammlungen oder wissenschaftliche<br />

Sammlungen zu einem Großteil oder<br />

sogar in vollem Umfang von der Erbschaftoder<br />

Schenkungsteuer befreit werden, wenn<br />

eine Anzahl von Bedingungen erfüllt ist.<br />

Da das Hauptziel der Befreiung die<br />

zusammenhängende Erhaltung wirklich<br />

umfangreicher, wichtiger und wertvoller<br />

Sammlungen und Kunstwerke ist, sind die<br />

Bedingungen ziemlich zahlreich. Die wichtigsten<br />

(aber noch längst nicht alle) sind,<br />

1. dass die Erhaltung der Gegenstände<br />

wegen ihrer Bedeutung für Kunst oder<br />

Wissenschaft im öffentlichen Interesse<br />

liegt,<br />

2. dass die jährlichen Kosten der Erhaltung<br />

in der Regel die erzielten Einnahmen<br />

übersteigen,<br />

3. dass die Gegenstände den Zwecken der<br />

Forschung oder Volksbildung zugänglich<br />

gemacht werden,<br />

4. dass die Gegenstände sich seit mindestens<br />

20 Jahren im Besitz der Familie<br />

befinden oder im Verzeichnis national<br />

wertvollen Kulturguts enthalten sind.<br />

Und da wundert man sich dann manchmal<br />

doch, welche Fälle so alle vor dem Bundesfinanzhof<br />

landen, weil ein Steuerpflichtiger<br />

die gesetzlichen Vorschriften ein bisschen<br />

weit auslegt.<br />

Zum Beispiel unter dem Aktenzeichen II<br />

R 7/98 der Kläger, der seiner Tochter nicht<br />

nur eine besonders wertvolle, im Vorjahr in<br />

London ersteigerte handbemalte Postkarte,<br />

sondern auch noch 20 weitere „Kunstgegenstände“<br />

schenkte, deren Gesamtwert unstrittig<br />

den schenkungsteuerlichen Freibetrag<br />

(der für Kinder aktuell bei 400.000.Euro<br />

liegt) überstieg, aber trotzdem schenkungsteuerfrei<br />

bleiben sollte.<br />

Schließlich sammele er ja schon seit über<br />

20 Jahren so dies und das (Erfüllung von<br />

Voraussetzung 4), was der Nachwelt erhalten<br />

bleiben solle (Erfüllung von Voraussetzung<br />

1), in seiner Wohnung eine Menge<br />

Platz wegnahm und somit Miete kostete<br />

(Erfüllung von Voraussetzung 2) und interessierten<br />

Forschern auf Anfrage jederzeit zur<br />

Ansicht zur Verfügung stehe (Erfüllung von<br />

Voraussetzung 3).<br />

Das sah der BFH naturgemäß anders. Insbesondere<br />

die Übertragung einzelner, noch<br />

nicht 20 Jahre im Familienbesitz befindlicher<br />

Gegenstände aus einer schon länger<br />

bestehenden Vermögensmasse, die vielleicht<br />

auch die Bezeichnung „Sammlung“ verdient,<br />

wurde von ihm beanstandet. Die schwierige<br />

Frage, ob teure Postkarten forschungs- und<br />

förderungswürdige Kulturgüter sind, musste<br />

er damit gar nicht mehr beantworten.<br />

Fazit: Die vielfältigen Ratschläge an<br />

wohlhabende Väter, statt eines profanen<br />

schenkungsteuerpflichtigen Aktiendepots<br />

doch lieber eine schöne schenkungsteuerfreie<br />

Kunstsammlung anzulegen und auf<br />

ihre Kinder zu übertragen, klingen zwar<br />

gut, sind aber in der Praxis eher schwierig<br />

umzusetzen.<br />

www.rinke.eu<br />

„Am liebsten auf der Bühne,<br />

und wer weiß wo sonst noch,<br />

sind mir Sätze,<br />

die man auch tanzen<br />

könnte.“<br />

KARL OTTO MÜHL<br />

Zugelaufene Sprüche<br />

Neu<br />

Karl Otto Mühl<br />

Zugelaufene Sprüche<br />

„Das Leben ist sportlich:<br />

Der, den du überholst, sitzt dir danach<br />

im <strong>Nacke</strong>n.“<br />

„Mit guten Absichten überschminkt die<br />

Seele ihre Pickel“<br />

2013<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />

80 Seiten, 9.00 Euro<br />

ISBN: 978-3-942043-90-8<br />

„Das wäre ein wunderbares Leben<br />

gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn<br />

man vorher gewusst hätte, dass alles gut<br />

geht.“<br />

66


Die nordrhein-westfälische Tanzszene<br />

ist vielseitig, spartenübergreifend und<br />

international vernetzt. Einen umfassenden<br />

Eindruck dieser beeindruckenden Tanzlandschaft<br />

vermittelt alle zwei Jahre tanz nrw.<br />

Auch in 2013 präsentiert das Festival<br />

wieder eine Auswahl herausragender freier<br />

Tanzproduktionen aus NRW.<br />

Tanzinteressierten bietet es einen umfassenden<br />

Überblick über aktuelle Entwicklungen<br />

und individuelle Künstlerprofile in der<br />

nordrhein-westfälischen Tanzszene.<br />

Die nunmehr vierte Edition von tanz nrw<br />

verbindet vom 27. April bis 7. Mai 2013<br />

acht Städte NRWs (Bonn, Düsseldorf,<br />

Essen, Köln, Krefeld, Münster, Viersen,<br />

Wuppertal + Satellit Bochum)<br />

zu einem regionalen Festival mit<br />

internationaler Ausstrahlung.<br />

Szu-Wei Wu, „Cernes“<br />

Foto: Lena Hedermann<br />

Der Choreograf und Tänzer Fabien Prioville<br />

und sein Kollege, der Tänzer Pascal<br />

Merighi, beide ehemalige Mitglieder des<br />

Wuppertaler Tanztheaters, haben sich getanz<br />

nrw 13 in Wuppertal<br />

Das Wuppertaler Programm von tanz<br />

nrw 13 steht ganz im Zeichen ehemaliger<br />

Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters<br />

und Absolventen sowie Studierenden der<br />

Folkwang Universität Essen. Am 2. Mai<br />

zeigen Studierende und Absolventen des<br />

Instituts für Zeitgenössischen Tanz ab<br />

16 Uhr in der Reihe „Choreografische<br />

Inseln“ erste Arbeiten im Café Ada.<br />

Ebenfalls am 2. 5. um 20.30 Uhr im Café<br />

Ada, provoziert die Renegade-Tänzerin<br />

Szu-Wei Wu die Begegnung zweier<br />

Pina-Pausch-Tänzerinnen mit einem<br />

Breakdancer. Sie untersucht in ihrer<br />

Debutinszenierung „Cernes“ die unterschiedlichen<br />

Herangehens- und Sichtweisen<br />

von Streettänzern und modernen<br />

Tänzern. Können diese so unterschiedlichen<br />

Tanzstile überhaupt miteinander<br />

kommunizieren? Gibt es eine gemeinsame<br />

Sprache?<br />

fragt, ob es funktioniert, sich mit anderen<br />

Akteuren auf einer virtuellen Plattform<br />

zu treffen und im Modus der digitalen<br />

Interaktion zu experimentieren. Inspiriert<br />

vom Videochatroom chatroulette, in dem<br />

sich Nutzer aus aller Welt präsentieren<br />

und anderen per Zufallsgenerator begegnen,<br />

fragen sich die beiden Tänzer, was<br />

eigentlich genau den Reiz dieser virtuellen<br />

Begegnungen ausmacht: „Experiment<br />

on Chatting Bodies“ am 3. Mai, 18 Uhr,<br />

Haus der Jugend Barmen. Diese Veranstaltung<br />

ist auch Station der Tanz Tour 2,<br />

die bereits um 18 Uhr per Bus in Köln<br />

beginnt. Von Wuppertal geht’s weiter ins<br />

Düsseldorfer tanzhaus nrw (Tchekpo<br />

Dance Company „Three Levels“) und<br />

anschließend zurück zum Kölner Hbf.<br />

Überhaupt lohnt sich der Blick über die<br />

Stadtgrenze hinaus: Zum Beispiel nach<br />

Bonn, wo tanz nrw 13 am 27. April<br />

von der Ministerin für Familie, Kinder,<br />

Jugend, Kultur und Sport, Ute Schäfer,<br />

dem Oberbürgermeister der Bundesstadt<br />

Bonn, Jürgen Nimptsch, sowie der<br />

Show „Three Levels“ der Tchekpo Dance<br />

Company in den Kammerspielen Bad<br />

67


Fabien Prioville Dance Company<br />

„Experiment on chatting bodies“<br />

Foto: Ursula Kaufmann<br />

Godesberg eröffnet werden wird. Auch<br />

Düsseldorf ist eine Reise wert.<br />

Dort präsentiert das tanzhaus nrw am 28.<br />

4. die NRW-Premiere von „Don’t Ask,<br />

Don’t Tell“ von Ben J. Riepe in Zusammenarbeit<br />

mit dem indischen Choreografen<br />

Navtej S. Johar (auch am 2. 5., in der<br />

Halle Kalk, Köln). Neuer Tanz zeigt in<br />

der Orangerie/Marstall Schloss Benrath<br />

„CHOR(E)OGRAPHIE / JOURNA-<br />

LISMUS: „kurze stücke“ von VA Wölfl<br />

(Version Paris) (1. 5.) und CHOR(E)<br />

OGRAPHIE /JOURNALISMUS: „kurze<br />

stücke“ von VA Wölfl (Version Benrather<br />

Linie) (5.5.). Köln hat ebenfalls ein umfangreiches<br />

Festivalprogramm. Zu sehen<br />

sind u.a. Gudrun Langes Produktion mit<br />

Jugendlichen „ich geschichtet“ (3. 5., Alte<br />

Feuerwache), Raimund Hoghes „Pas de<br />

Deux“ (4. 5., Halle Kalk) und „Rotlicht“<br />

von Henrietta Horn in Zusammenarbeit<br />

mit der Musikerin Dorothée Hahne (5. 5.,<br />

Alte Feuerwache). In der Viersener Innenstadt<br />

kann man 29. und 30. 4. die skurrile<br />

site-specific-Installation „Dressing the City<br />

und Mein Kopf ist ein Hemd“ von Angie<br />

Hiesl und Roland Kaiser erleben und in<br />

Essen sollte man sich zusammen mit dem<br />

Choreografen Martin Nachbar auf einen<br />

Spaziergang über das Gelände der Zeche<br />

Zollverein begeben: „The Walk“ (4. 5.,<br />

Pact Zollverein).<br />

Karten gibt es über die einzelnen Veranstaltungsorte.<br />

Das gesamte Programm findet<br />

man unter:<br />

www.tanz-nrw-13.de<br />

Katja Roters<br />

68


im Ort, 20. Juli 2012<br />

Ulle mit Kater Lorbas<br />

Für Ulle Hees<br />

Ulle als Künstlerin und Person zu<br />

würdigen, ist schwierig. Zu groß ihr<br />

künstlerisches Schaffen, zu weit verzweigt<br />

und vielfältig ihr Leben als Mitmensch,<br />

als Freundin, Weggefährtin, Kollegin. Ich<br />

beschränke mich daher auf den winzig<br />

kleinen Ausschnitt aus ihrem Leben, den<br />

ich mit ihr teilen durfte, die gelegentlichen<br />

Begegnungen, die mich bewegten<br />

und die ich nie vergessen werde.<br />

Irgendwann bei ihr in ihrem Atelier. Ich<br />

hatte Ulle um Ideen für ein CD-booklet<br />

gebeten. Ihre Daphne fand ich so schön,<br />

so schön verträumt, die sollte vorn auf das<br />

Titelblatt. Aber Ulles Gedanken waren<br />

völlig andere Wege gegangen. Lächelnd<br />

schob sie mir ein kleines Blatt über den<br />

Tisch, drauf in kräftigen Farben, in Grün,<br />

Blau und Schwarz die wilde Skizze einer<br />

springenden Katze.<br />

„Was ist denn das?“, fragte ich verständnislos.<br />

„Siehste doch! - ’n Katzensprung!“<br />

„Katzensprung?!“<br />

„Ja, ich hab Eure Musik gehört und das<br />

jiddische Lied vom Katzensprung, das<br />

find ich so toll.“<br />

„Aber, aber die Daphne ...“, begann<br />

ich noch einmal, „die ist doch so schön<br />

verträumt.“<br />

„Eure Musik ist aber nicht verträumt, und<br />

jetzt heißt Eure CD eben Katzensprung.<br />

Willste ’n Kaffee?“<br />

So war sie, die Ulle, und sie hatte wie so<br />

oft Recht. Die CD hieß Kaznschprung.<br />

Als wir neulich abends in Ulles verwaistem,<br />

dämmerigen Atelier saßen und zusammen<br />

traurig waren, da gab es wieder<br />

einen Katzensprung. Ulles verwirrte und<br />

suchende Katze kauerte sich zusammen<br />

und schnellte dann hoch auf meinen<br />

Schoß. Suchte Zuflucht an einem Ort,<br />

der nicht ihrer war, und verließ ihn bald,<br />

um ziellos weiter zu suchen. Liebe Ulle,<br />

wo bist du?, hörte man es lautlos fragen.<br />

Kaznschprung! Das alte jiddische Lied<br />

von Mordechaj Gebirtig fiel mir ein. Huljet,<br />

huljet Kinderlech heißt es. Da singt<br />

ein alter Mensch, der den Kindern beim<br />

Spielen zuschaut.<br />

Spielt, liebe Kinderchen, der Frühling<br />

schon beginnt!<br />

69


Oh, wie bin ich , Kinderchen, neidisch<br />

auf Euch!<br />

Freut euch, freut euch, Kinderchen,<br />

solange ihr jung seid,<br />

denn vom Frühling bis zum Winter ist es<br />

ein Katzensprung.<br />

Spielt, liebe Kinderchen, versäumt keinen<br />

Augenblick.<br />

Nehmt mich auch herein ins Spiel, vergönnt<br />

mir auch das Glück.<br />

Guckt nicht auf meinen grauen Kopf,<br />

oder stört euch das im Spiel?<br />

Meine Seele ist noch jung, wie zurück vor<br />

vielen Jahren.<br />

Meine Seele ist noch jung und vergeht vor<br />

Sehnsucht.<br />

Ach, wie gerne will sie aus dem alten<br />

Körper heraus.<br />

Spielt, spielt, liebe Kinderchen, versäumt<br />

keinen Augenblick,<br />

denn der Frühling endet bald, mit ihm<br />

das höchste Glück.<br />

Huljet, huljet Kinderlech, kol-sman ir<br />

sent noch jung.<br />

Ulles 1. Ausstellung, 1961<br />

Wail fun friling bis zum winter is a kaznschprung.<br />

Schaut man in die Photoalben, sieht<br />

man die junge Ulle. Groß, schlank, lange<br />

Beine in geringelten Strümpfen und<br />

dieses offene, freundlich-schöne Gesicht,<br />

dieser warme Regen an Zugewandtheit,<br />

den sie einem schenkte. Die erste<br />

Wuppertaler Frauengruppe, aus der eine<br />

WG an der Briller Straße wurde, in der<br />

auch einige Männer geduldet wurden.<br />

Die feiernde, fröhliche Ulle. Der stille,<br />

bedeutungsvolle Blick inmitten ihrer<br />

Bilder und Skulpturen.<br />

Viele, viele verblichene, alte Bilder.<br />

Was sag ich – alt?<br />

Mensch, das ist doch gerade erst gewesen.<br />

Einundsiebzig Lebensjahre, über<br />

fünfzig Künstlerjahre:<br />

A Kaznschprung, wenn man sie von<br />

rückwärts anschaut.<br />

Das ist alles noch so nah und gegenwärtig,<br />

als sei es eben erst geschehen.<br />

Und wer sie in den letzten Jahren erlebt<br />

hat, der fühlte, wie da eine noch junge<br />

Seele in einem älter und schwächer werdenden<br />

Körper wohnte.<br />

Meine Seele ist noch jung wie zurück<br />

von vielen Jahren. Huljet, huljet, Kinderlech.<br />

Sie hat ihrem Körper viel zugemutet,<br />

mehr als er verkraften konnte. Aber es war<br />

eben ihr Weg und sie hat die Folgen in<br />

Kauf genommen.<br />

Sie lebte in einer Lebens- und Schaffensgemeinschaft<br />

direkt am „schwarzen<br />

Fluss“. Sie teilte den Fluss ihres Lebens<br />

mit Euch. Aber sie schuf dort eine ganz<br />

eigene Welt, die unverwechselbar die ihre<br />

war.<br />

Kein Wunder, denn wer außer Ulle hätte<br />

in Ulles Welt wohnen können. Es ist<br />

unausdenkbar und völlig ausgeschlossen,<br />

dass in Ulles Atelier irgendetwas anderes<br />

sein könnte als Ulles Atelier. Wer diesen<br />

Raum betritt, der spürt, sie ist noch da.<br />

Sie wohnt und lebt in der flimmernden<br />

Vielfalt all dieser Millionen Einzelheiten,<br />

die das Auge entführen, solange man sich<br />

umschaut. Und diese Anwesenheit darf<br />

nicht zerstört werden. Wer immer Hand<br />

daran legt, sollte im Sinn haben, das<br />

alles zu bewahren, zu katalogisieren, der<br />

Nachwelt, wie wir sagen, zu erhalten, statt<br />

es womöglich zu vermarkten.<br />

70


Ulle und ökonomisches Denken, das war<br />

immer ein unvereinbarer Gegensatz. Sie<br />

tat so oft, was sich nicht rechnet, und<br />

gerade das machte sie so attraktiv. Ein<br />

Leben ohne Rendite und Wachstumsdiktat<br />

– dass es das noch gibt! Dass das geht!<br />

Das lässt hoffen in einer Zeit, in der die<br />

großen Hoffnungen sich erschöpft haben.<br />

Die großen Staatstheorien haben sich<br />

erledigt, die Welt erstickt im Kommerz.<br />

Die großen Religionen sind auf verhängnisvolle<br />

Weise mit sich selbst beschäftigt<br />

und driften ab in den Fundamentalismus.<br />

Politiker schreiben Plagiate oder schmuggeln<br />

Teppiche aus Kriegsgebieten am<br />

Zoll vorbei, eine hoffnungslos auf Profit<br />

ausgerichtete Welt. Eine Führungselite<br />

mit Kleinkriminellen. Wo gäbe es da<br />

Anlässe zum Hoffen? Vielleicht brauchen<br />

wir in der Welt der großen, bedeutungslosen<br />

Worte Eure Kunst, Ihr vielen<br />

Künstler, die Ihr heute da seid, im Ort<br />

in der Luisenstraße. Wir brauchen Eure<br />

Kunst, die ohne große Worte Wahres sagt<br />

und unbeeindruckt vom Kommerz innere<br />

Prozesse unbestechlich Gestalt werden<br />

lässt, von Herz zu Herz erzählt und wirkt,<br />

im Kleinen Hoffnung, Mut, Oppositionsgeist<br />

und Phantasie weckt.<br />

Die Phantasie, habe ich in Ulles Atelier<br />

gelernt, ist ein wilder Affe. Und wilde<br />

Affen lassen sich nicht beherrschen.<br />

Eine solche Wirkung wie eben beschrieben<br />

ging von Ulle aus. Wer ihre Nähe<br />

suchte, der wollte etwas abbekommen<br />

vom wilden Affen, vom ungezähmten<br />

Leben, das wir so bitter nötig haben. Von<br />

der Sehnsucht und von der Courage.<br />

Alte Menschen kamen zu ihr, angehende<br />

Psychotherapeuten kamen als Gruppe,<br />

Kunststudenten, Laienkünstler, die sich<br />

manchmal erstaunlich schnell in ihrem<br />

künstlerischen Schaffen steigerten. Und<br />

nicht nur Erwachsene förderte sie.<br />

Eines Tages war eine Gruppe hochbegabter<br />

Kinder bei ihr zu Gast. Die sollten in<br />

ihren künstlerischen Kompetenzen gefördert<br />

werden. Als die Lehrerin die Kinder<br />

am Ende des Nachmittages fragte, was<br />

ihnen denn nun am Besten gefallen habe,<br />

sagte eines völlig überraschend:<br />

Der Tisch da – und zeigte auf Ulles Sofatisch.<br />

Warum? Man muss dran gesessen<br />

haben, um das zu verstehen. Umkränzt<br />

von einem alten Sofa und einfachen<br />

Holzstühlen türmt sich dort auf diesem<br />

Tisch ein Kosmos von unterschiedlichsten<br />

Fundstücken: Blumen, Gläser, Haribo<br />

Lakritzen auf einer dreistufigen Etagere,<br />

Herzen, Plastikspielzeug, Zigaretten,<br />

Steinchen, Glasperlen, Sterne, Monde<br />

in schrillen Farben und: mittendrin und<br />

ein bisschen obenauf ein kleines, rotes<br />

Kaleidoskop, Sinnbild für dieses uferlose<br />

Gewimmel. Wer das Durcheinander<br />

aber mit Abstand anschaut, gewahrt die<br />

ordnende Hand, die schöpferische Gestaltung.<br />

Irgendwie, fragt mich nicht warum,<br />

ist dieses Chaos schön.<br />

Es war ein Kind, das das bemerkte.<br />

Vielleicht verstehen das auch am ehesten<br />

Kinder, dass da ein Mensch in einer ganz<br />

und gar eigenen chaotisch schönen Welt<br />

lebt und in dieser Welt wirkt und arbeitet,<br />

liebt und kämpft, genießt und leidet,<br />

hofft und stirbt. Sie hätte mit all ihrem<br />

Talent und einem Mehr an Disziplin ein<br />

abgesichertes, bürgerliches Leben gestalten<br />

können. Aber sie war zufrieden, wenn für<br />

den täglichen, bescheidenen Bedarf gesorgt<br />

war. Sie war in einem guten Sinne sorglos.<br />

Das machte sie reich. Sie zeigte keine,<br />

wie die Buddhisten sagen: Anhaftung an<br />

bürgerliche Werte und Ziele. Das war ihre<br />

große Freiheit. Und sie lebte achtsam,<br />

mit dem Blick auf die kleinen Dinge, die<br />

Nebensachen, die das Leben oft so charaktervoll<br />

machen.<br />

Ich habe sie großzügig erlebt. Sie schenkte<br />

einem viel von ihrer Zeit. Viel von ihrer<br />

Achtsamkeit. Wenn man mit ihr sprach,<br />

bekam man ein Gefühl von eigenem<br />

Wert. In ihrer Ansprache lag immer etwas<br />

Förderndes, Wertschätzendes. Immer ging<br />

ich ein wenig mutiger von ihr fort, als ich<br />

gekommen war. Schon ihr Atelier machte<br />

mir Mut. Das ist heute noch so. Mut zu<br />

einem selbstgestalteten, unkonventionellen<br />

Leben. Wer dieses Atelier betritt, bekommt<br />

ein Stück von seinem Kinder-Ich zurück,<br />

das Staunen, das Mit-großen-Augen-<br />

Schauen, das Sich-überraschen-Lassen.<br />

Eine Villa Kunterbunt, in der eine Frau<br />

lebte, die ihre Stärke aus der Individualität<br />

gewann. Sie konnte nicht nur ein Pferd<br />

stemmen, sie konnte sich auch gegen den<br />

Ulle auf ihrer Atelier-Schaukel, Karneval 1981<br />

Ulle mit Großneffe Julian, 1990 (Foto: Hensel)<br />

Ulle in der Galerie „Kunsthandel Schmidt“,<br />

1991, v. l. n. r.: Zotos Zachariadis,<br />

Peter Kowald, Detlef Schmidt, Ulle Hees<br />

71


aunen Zeitgeist stemmen, der einst war<br />

und der noch immer ist.<br />

Sie war Beichtmutter für Viele. Mit ihr<br />

konnte man ruhig und ohne Scham auf<br />

das eigene, unvollkommene Leben schauen.<br />

Erstaunlich viele Frauen sagen, Ulle<br />

sei ihre beste Freundin. Und nicht nur<br />

ihr nahestehenden Menschen ging das so.<br />

Sie konnte auch Wildfremden bei Bedarf<br />

zu Hilfe kommen. Wie oft hat sie Geld<br />

verliehen, Bürgschaften übernommen,<br />

Zivilcourage gezeigt.<br />

Liebe Ulle, wo bist Du?<br />

Ulle mit Freunden im Atelier anlässlich ihres 50. Geburtstags, 1991<br />

Ulle und die Fotografin Ellen Auerbach in ihrer New Yorker Wohnung, 1998<br />

Ulle im ort, April 2012, eines der letzten Fotos, links Cooper-Moore, rechts Jorgo Schäfer<br />

(Foto: Helmut Steidler)<br />

Der Oberbürgermeister dieser Stadt hat<br />

gesagt, durch die Skulpturen, die Frau<br />

Hees hinterlassen habe, bleibe sie der<br />

Stadt wertvoll.<br />

Nein, Herr Oberbürgermeister ! Eben<br />

nicht ! Ulle kann man nicht auf die Wiedergabe<br />

Wuppertaler Originale reduzieren.<br />

Sie lebt nicht allein in der Wirkung<br />

ihrer Plastiken. Sie lebt in all den Herzen,<br />

die sie erwärmt hat. Sonst wären wir alle<br />

heute nicht hier.<br />

Oder ist sie etwa nicht lebendig in den<br />

Begegnungen, die wir mit ihr hatten? Sehen<br />

wir etwa nicht, wie sie da hinten mit<br />

einem Glas Wein in der Hand lächelnd<br />

zuhört, während wir hier ihrer gedenken?<br />

Sie ist auf eine geheimnisvolle Weise<br />

gegangen. Sie hat die Welt des Konkreten<br />

– Vorfindlichen verlassen, um ihre Reise<br />

nach Überall anzutreten. Sie ist wie so oft<br />

eine Pionierin. Sie ist schon mal vorgegangen.<br />

Und ist uns von dort aus so nah.<br />

In weiter Ferne so nah.<br />

A Kaznschprung, mehr trennt uns nicht<br />

von ihr und den anderen da drüben.<br />

Grüß schön, liebe Ulle, grüß Peter Kowald<br />

und die Anderen und komm immer<br />

mal wieder in unsere Runde, um uns Mut<br />

zu machen, wir brauchen Dich.<br />

Es ist ja gar nicht weit.<br />

Und irgendwann, irgendwann kommen<br />

wir ja nach.<br />

Huljet, huljet Kinderlech, kol-sman ir<br />

sent noch jung.<br />

Wail fun friling bis zum<br />

winter is a kazn-schprung.<br />

Klaus Harms<br />

72


Nachruf auf den Komponisten<br />

Konrad Hupfer (1935 – 2013)<br />

Den eigenen Weg gegangen!<br />

Am 4. März 2013 starb der Komponist<br />

Konrad Hupfer in seiner Geburtsstadt<br />

Wuppertal. Mit ihm verliert die Kunst<br />

und Musik der Gegenwart einen unbestechlich<br />

innovativen, stillen, aber<br />

richtungsweisenden Vordenker und<br />

Pragmatiker. Längst bevor das „modern“<br />

wurde, gelangte Konrad Hupfer in seiner<br />

Klangkunst zu einer eigenständigen<br />

Synthese aus „Universal denken und lokal<br />

handeln!“. Begonnen hatte er als Jazz-<br />

Pianist, -Komponist und -Arrangeur, ehe<br />

er unübersehbare Zeichen setzte auf dem<br />

Gebiet der Neuen Musik. Hier schuf er<br />

erstaunliche eigene Werke – von innovativen<br />

„Zeit-Raum-Klang“-Projekten,<br />

oft mit regionaler Anbindung, wie der<br />

Klangskulptur für das Redaktionshaus<br />

der „Bergischen Blätter“, Wuppertal 1995<br />

oder „ZeitRaumKlang2000“ zum 100jährigen<br />

Jubiläum der Historischen Stadthalle<br />

Wuppertal, bis hin zu Kammermusik,<br />

Lyrik-Kompositionen u.a. zu Texten von<br />

Baudelaire, Georg Werth, Else Lasker-<br />

Schüler und Armin T. Wegner (2006)<br />

und Orchesterwerken wie „Orchesterbild<br />

mit Amadeus“ (1990). Als Begründer<br />

des renommierten Nova Ensemble schuf<br />

er einen engagierten Klangkörper, mit<br />

dem er vielen Werken zeitgenössischer<br />

Kollegen zur (Ur-)Aufführung und zum<br />

Durchbruch verhalf. Das Nova Ensemble<br />

wurde auch zum gediegenen Markenzeichen<br />

der Uraufführung seiner eigenen<br />

Werke.<br />

Dass man die Musik Konrad Hupfers<br />

nicht auf ein, zwei „schnelle Begriffe“<br />

bringen kann, spricht für sie: Seine sensiblen<br />

Klänge passten nicht in „Schubladen“,<br />

und an „Populismus“ hatte er so<br />

wenig Interesse wie an „breitgetretenen<br />

Wegen“. Die Frage aus Schuberts „Winterreise“<br />

könnte die seine gewesen sein:<br />

„Was vermeid ich denn die Wege, die die<br />

anderen Wandrer geh`n?“ Und dennoch<br />

gelangen ihm unmittelbar sinnliche, direkt<br />

zu Herzen gehende Klänge, wirkliche<br />

Klangerlebnisse für viele, die ihm zuhörten.<br />

Nicht zuletzt auch deshalb, weil er es<br />

meisterhaft verstand, die Klangfarben der<br />

Stimmen und Instrumente einzusetzen.<br />

Konrad Hupfer setzte sich mit seinem<br />

Werk auch für die Erinnerung an vergessene<br />

und verdrängte Autor/inn/en oder<br />

geistig-politische Strömungen ein. So<br />

etwa für Georg Werth und für die demokratische<br />

Revolution von 1848 / 49 in<br />

„Hammer und Amboss sein - 7 Hörbilder<br />

zur Revolution 1849 in Elberfeld“ (1995)<br />

oder für die „großen poetischen Söhne<br />

und Töchter“ aus dem Wuppertal, die<br />

er zuweilen nicht angemessen gewürdigt<br />

fand: Mit seinem impulsiven Else Lasker-<br />

Schüler-Zyklus „Singe, Eva, dein banges<br />

Lied“ und mit seinen beeindruckenden<br />

Vertonungen des ebenfalls aus Elberfeld<br />

stammenden Dichters Armin T. Wegner<br />

- „Wolken“ für Bariton und Kammerensemble,<br />

geschrieben 2006 im Auftrag der<br />

Armin T. Wegner Gesellschaft, uraufgeführt<br />

2008 vom Nova Ensemble und<br />

nachhaltig hörbar auf der Armin T-Wegner-Doppel-CD<br />

„Bildnis einer Stimme<br />

/ picture of a voice“ (Wallstein Verlag,<br />

Göttingen 2008).<br />

Wie Konrad Hupfer überraschende neue<br />

Konnotationen in „alten Stoffen“ fand,<br />

die er selbst zu innovativem Musiktheater<br />

gestaltete für Schauspieler/innen, Tänzer/<br />

innen, Licht und Klänge, ist beispielhaft<br />

zu sehen und zu hören an zwei abendfüllenden<br />

Werken: „Der Schwarze Blick“<br />

- mit neuem Blick auf die mittelalterliche<br />

Pest und ihre gesellschaftlichen Folgen<br />

(2006) – und „Verdammt, die Sirenen<br />

singen nicht – Odyssee verkehrt“ (2009).<br />

Manches davon ist in Aufnahmen für die<br />

Nachwelt bewahrt – andere Werke warten<br />

noch auf die Wiederaufführung und die<br />

Einspielung als CD.<br />

Konrad Hupfer ist mit zahlreichen Kompositionspreisen<br />

ausgezeichnet worden,<br />

unter anderen mit dem Musikpreis der<br />

Stadt Marl (1971), dem Preis des Concours<br />

International de Composition de<br />

Musicale-Opera et Ballett, Genf (1975),<br />

dem Preis der GEMA-Stiftung für<br />

Orchester-Kompositionen (1984) oder<br />

dem Preis der Weimarer Frühlingstage für<br />

zeitgenössische Musik (2001).<br />

Ulrich Klan<br />

Foto: Frank Becker<br />

73


74<br />

Im Nebel, Foto: Elisabeth Heinemann


für dich<br />

wenn du von uns gehst<br />

irgendwann oder morgen<br />

sind deine spuren gesät<br />

verborgen noch<br />

im geflüster der knospen<br />

wiegen sie<br />

das geheimnis der frucht<br />

und wurzeln tiefer<br />

jahr um jahr.<br />

angelika zöllner<br />

75


Wie ein Bad im Klang und Raum der Zeit<br />

Von Pérotin bis Pärt Teil V –<br />

900 Jahre geistliche Musiktradition<br />

begegnet der Moderne<br />

Inspirierend, reinigend, tröstend<br />

Was ursprünglich als einmaliges<br />

Konzert um ein Werk des zeitgenössischen<br />

estländischen Sakralkomponisten Arvo<br />

Pärt geplant war, hat sich inzwischen zu<br />

einer der erfolgreichsten Konzertreihen<br />

der freien Szene im Bergischen Land entwickelt.<br />

Das diesjährige Auftaktkonzert<br />

findet am 20. April in St. Laurentius,<br />

Wuppertal-Elberfeld statt.<br />

Der Pool der Instrumentalmusiker um die<br />

vier Sänger der Wuppertaler Bühnen wurde<br />

in diesem Jahr um ein Streichquartett, bestehend<br />

aus Musikern des Wuppertaler Sinfonieorchesters,<br />

erweitert. So werden die<br />

fünf Veranstaltungen zum ersten Mal in<br />

wechselnder Instrumentalbesetzung gespielt.<br />

Nach Veranstaltungen in St. Maria<br />

Magdalena, Wuppertal-Beyenburg, St.<br />

Lambertus, Mettmann und einem Konzert<br />

in der preisgekrönten Kölner Böhmkirche<br />

St. Gertrud, findet die diesjährige Abschlussveranstaltung<br />

am 26. Mai in Kooperation<br />

mit dem 3. Bonner Orgelfest<br />

statt.<br />

Mit A-capella-Gesängen, Instrumental-<br />

und Ensemblestücken verspricht das<br />

neue musikalische Programm wieder einen<br />

faszinierenden Gang durch 900 Jahre<br />

geistlicher Musik vom Mittelalter bis zur<br />

Moderne: Das „Viderunt omnes“ von<br />

Pérotin ist ein Zeugnis der frühen mehrstimmigen<br />

Kirchenmusik des Mittelalters,<br />

dass den Ohren von heute sehr der minimal<br />

musik von Steve Reich und Phillip<br />

Glass verwandt scheint.<br />

Mit Josquin Despréz und Johannes<br />

Ockegehm sind zwei Tonmeister der Renaissance<br />

vertreten. Das klagende „Mors tu<br />

as navré“ von Ockeghem wird neben den<br />

Gesangsstimmen in einer authentischen<br />

Instrumentalbesetzung mit Gambe, Theorbe<br />

und Orgel vorgestellt.<br />

Ockeghems Schüler Desprez wird mit<br />

Auszügen seiner „Missa pangue lingua“<br />

präsentiert. Ein Werk, das in beeindruckender<br />

Weise die Emotionen des latainischen<br />

Textes zum Vorschein kommen lässt<br />

und zu den großen Meisterwerken des<br />

mehrstimmigen A-capella-Gesanges zählt.<br />

Mit dem „Funeral canticle“ von John Tavener<br />

ist ein ergreifendes Lamento, das der<br />

Komponist zum Tode seines Vaters geschaffen<br />

hat, im Programm. Er benutzt die<br />

Tonsprache der byzantinischen Kultur und<br />

spendet durch seine Komposition große<br />

Kraft für die trauernde menschliche Seele.<br />

Das „Agnus Dei“ aus der doppelchörigen<br />

Messe von Frank Martin ist sicher als<br />

eine der schönsten Mess-Vertonungen des<br />

20. Jahrhunderts zu nennen.<br />

Und von Arvo Pärt, einem der Namensgeber<br />

dieser Konzertreihe und vielleicht<br />

der bedeutendste zeitgenössische<br />

Komponist für geistliche Musik, ist in diesem<br />

Jahr unter anderem das „Da pacem<br />

domine“ im Programm. Im Jahr 2004 hat<br />

er es zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags<br />

in Madrid komponiert.<br />

Die Veranstaltungen beginnen mit einer<br />

kurzen Führung durch den Kirchenbau.<br />

Dauer ca. 100 min. Der Eintritt ist frei,<br />

um ein Spende am Ausgang wird gebeten.<br />

Mehr über die Konzertreihe unter<br />

www.perotin-paert.de<br />

Konzerte 2013:<br />

Die Musiker<br />

Marco Agostini, Tenor<br />

Jochen Bauer, Bass<br />

Nathan Northrup, Tenor<br />

Javier Zapata Vera, Bariton<br />

Heike Haushalter, Violine<br />

Liviu Neagru-Gruber, Violine<br />

Martin Roth, Violine<br />

Petra Stalz, Violine<br />

Momchil Terziyski, Viola<br />

Michael Hablitzel, Violoncello<br />

Gudrun Fuß, Gambe<br />

Zorro Zin, Laute/Theorbe<br />

Christoph Ritter, Orgel<br />

Plakat zur Konzertreihe<br />

76


Neue Kunstbücher<br />

Die Vermessung einer Region<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Wie fassbar ist das Phänomen Kunst? Es<br />

gibt immer wieder publizistische Versuche,<br />

die Kunstlandschaft zu kartographieren,<br />

rein statistisch zu definieren oder<br />

Maßstäbe für Qualität zu entwickeln.<br />

Berühmt ist der Kunstkompass, der vor<br />

Jahrzehnten begründet wurde und auf<br />

der Grundlage von Ausstellungen und<br />

Auktionsergebnissen alljährlich eine<br />

Rangliste der weltweit „wichtigsten“<br />

lebenden Künstler veröffentlicht. Oder es<br />

gibt in jüngerer Zeit gewichtige Bücher<br />

etwa der Verlage Phaidon und Taschen,<br />

welche Newcomer und Shooting Stars<br />

der Kunstszene versammeln. Angesichts<br />

einer immer größeren globalen Nachrichtendichte<br />

und einer immer stärkeren Unübersichtlichkeit<br />

sind diese Sammlungen<br />

von Basisinformationen verständlich und<br />

wahrscheinlich auch sinnvoll. Natürlich<br />

spielen interne Verflechtungen wie bei<br />

allen Arten der Präferenz und Ausstellung<br />

im Kunstbereich, etwa die Positionierung<br />

von Galeristen und deren Lobby-Arbeit,<br />

eine wesentliche Rolle.<br />

Fernab von jedem wertenden Ranking<br />

ist nun ein dreibändiges Werk erschienen,<br />

das innerhalb seines Interessenradius<br />

absolut demokratisch vorgeht. Der<br />

Düsseldorfer Publizist und Künstler<br />

Wolfgang Funken hat in mehrjähriger<br />

Recherche den öffentlichen Raum der<br />

Landeshauptstadt durchkämmt. Sein<br />

Titel „Ars Publica Düsseldorf“ ersetzt<br />

ein ähnliches, aber konzentrierteres Buch,<br />

welches vor einem Jahrzehnt Clemens<br />

von Looz-Corswarem und Rolf Purpar<br />

veröffentlicht haben. Geblieben ist die<br />

Anordnung nach Stadtteilen; aber Wolfgang<br />

Funken greift weiter aus. Er erfasst<br />

nun auch viele unauffällige Skulpturen im<br />

öffentlichen Raum, an öffentlichen und<br />

auch privaten Bauten, auch Grabsteine<br />

auf Friedhöfen und widmet sich allem<br />

mit der gleichen Akribie und mit großen<br />

Elan. Seine Darstellung hilft, Düsseldorf<br />

und seine Geschichte etwas besser kennen<br />

zu lernen, dazu tragen die vielen Kurztexte<br />

im Plauderton bei, die eine Menge an<br />

Informationen und Erkenntnissen liefern,<br />

und man sollte das unruhige Lay-Out<br />

und so manchen Verschreiber verzeihen.<br />

Wolfgang<br />

Funken, Ars<br />

Publica<br />

Düsseldorf, drei<br />

Bände im Schuber, 1728 S. mit<br />

zahlreichen farbigen Abb., geb. mit Schutzumschlag,<br />

je 28,5 x 30 cm, Klartext, 159,- Euro<br />

Denn so nahe kommt man der Kunst im<br />

öffentlichen Raum sonst nicht. Es wäre<br />

zu wünschen, dass sie auch in anderen<br />

Städten mit dieser Leidenschaft und<br />

Beharrlichkeit aufgearbeitet wird.<br />

Ein Kompendium ganz anderer Art ist –<br />

ebenfalls in Bezug auf Düsseldorf, aber<br />

auch darüber – vor einigen Monaten neu<br />

aufgelegt werden. 1958 und 1961 haben<br />

Heinz Mack und Otto Piene drei Künstlerpublikationen<br />

unter dem Titel ZERO<br />

veröffentlicht. Als unverändertes Reprint,<br />

zusammengebunden und mit einem<br />

dafür entstandenen Anhang versehen,<br />

sind diese Publikationen nun bei richter<br />

| fey verlegt worden. Der vierte Teil<br />

beleuchtet rückblickend die Bedeutung<br />

der Gruppe ZERO und ihrer Publikationen,<br />

veröffentlicht aber auch erstmals<br />

einen Text von Daniel Spoerri, der für<br />

ZERO 3 bestimmt war. ZERO, die später<br />

berühmte Avantgarde-Bewegung um die<br />

D. Pörschmann, M. Visser (Hg.), ZERO 4<br />

3 2 1, 552 S., durchgehend bebildert,<br />

Hardcover, mit Silberschnitt, 20 x 20 cm,<br />

richter | fey, 49,- Euro<br />

Düsseldorfer Mack und Piene, zu denen<br />

später Günther Uecker stieß, versammelte<br />

im Rahmen von Ausstellungen und<br />

Aktionen herausragende Künstler aus<br />

Deutschland und aus dem benachbarten<br />

Ausland, die in ihrer Kunst einen Neuanfang<br />

formulierten: Diese Kunst wirft den<br />

Ballast des Gegenständlichen und alles<br />

Expressive von sich, akzeptiert Farbe nur<br />

als Monochromie, besonders als Weiß.<br />

Sie interessiert sich für neue Technologien<br />

und deren Materialien, handelt mit Licht,<br />

setzt dazu Raster, Spiegel und Kinetik ein<br />

und zielt – im Sinne einer gesellschaftlichen<br />

Utopie – auf eine Erweiterung der<br />

Lebensräume. Zum Symbol von ZERO<br />

wird eine senkrecht aufsteigende Rakete.<br />

Die drei Ausgaben, die in unterschiedlichem<br />

Maße die Anmutung von Büchern<br />

besaßen, waren nun eine reine Künstlersache<br />

und dürfen als vorbildlich für alle<br />

Formen von Künstlerpublikationen gewürdigt<br />

werden. Die Beiträge von ZERO<br />

1 bis 3 stammen neben Mack und Piene<br />

von Yves Klein, Lucio Fontana, Manzoni<br />

und vielen anderen Künstlern, welche das<br />

Spektrum von ZERO um die Dimensionen<br />

der Stille, der Leere und der Schwerelosigkeit<br />

erweitern. Die Originalausgaben<br />

sind natürlich längst Sammlerstücke, aber<br />

das könnte mit dem vorliegenden Buch<br />

irgendwann auch passieren: In seinem<br />

„Look“ ist es zugleich ein eigenes Statement<br />

zu ZERO – es ist unverzichtbar für<br />

jeden, der sich mit dieser Kunstrichtung,<br />

ihren Anfängen und ihrer Aktualität<br />

beschäftigt.<br />

So wie ZERO einmal Avantgarde war –<br />

und die Künstler die Publikation ihres<br />

Werkes hier selbst in die Hand genommen<br />

haben – so gibt es immer wieder Versuche,<br />

von außenstehender Perspektive die Avantgarde<br />

von Morgen aufzuspüren und in<br />

Ausstellungen und Katalogen zu bündeln.<br />

Das ist im Grunde der Job etwa von Kunstvereinen.<br />

Zunehmend entstehen davon<br />

unabhängig Bücher, die den Überblick im<br />

Bereich des noch nicht Verfestigten unternehmen.<br />

Im Kontext mit Düsseldorf ist vergangenes<br />

Jahr das dickleibige Buch „Rising<br />

– Young Artists to keep an Eye on!“ zu<br />

erwähnen. Es stellt 100 Künstler, die in den<br />

1970er und 1980er Jahren geboren wurden,<br />

auf jeweils vier Seiten vor: ganz klassisch,<br />

mit einem einführenden Text und meh-<br />

78


Olaf Salié (Hg.), Rising – Young Artists to<br />

keep an eye on! 420 S. mit rund<br />

500 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag,<br />

29 x 24,5 cm, daab, 65,- Euro<br />

reren Werkabbildungen. Alles steht und<br />

fällt natürlich mit den Juroren und mit der<br />

Konsequenz des Konzeptes. Im vorliegenden<br />

Buch sind ein Überhang von Künstlern<br />

aus dem Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie<br />

und aus einigen Galerien dieser<br />

Stadt und ein punktueller Einbezug von<br />

Künstlern des nahen und fernen Auslandes<br />

zu konstatieren. Einige Künstler wiederum,<br />

die nicht in diesen Galerien ausstellen, aber<br />

doch im Rheinland eine wichtige Rolle<br />

spielen, fehlen. Aber recht machen kann<br />

man es niemandem. Ein guter Anfang ist<br />

gemacht, der etliche herausragende Künstler<br />

kompetent vorstellt und das Spektrum<br />

zeitgenössischer Kunst umreißt.<br />

Der Klassiker aller objektiven Nachschlagewerke<br />

ist natürlich das „Allgemeine<br />

Künstlerlexikon der Bildenden Künstler<br />

aller Zeiten und Völker“, kurz: AKL, das<br />

in der Tradition seiner Vorgängerwerke<br />

Vollmer und Thieme-Becker steht. Und wie<br />

schon Thieme-Becker ist das AKL ab 1983<br />

mit den ersten Bänden zunächst bei E.A.<br />

Seemann in Leipzig erschienen, ehe es 1992<br />

vom Saur Verlag in München übernommen<br />

und fortgesetzt wurde. Die Redaktion aber<br />

blieb da noch in Leipzig. Das Konzept<br />

ist genau definiert: Nach einem festen<br />

Schema werden die überregional bekannten<br />

Kunstschaffenden aller Gattungen mit ihrer<br />

Vita und ihren Werken und Ausstellungen<br />

vorgestellt, grundsätzlich ohne Abbildung,<br />

aber noch mit einer knappen Werkbeschreibung.<br />

Vor ein, zwei Jahren nun wurde<br />

das Projekt von de Gruyter in München<br />

übernommen und die Redaktion dorthin<br />

und nach Berlin verlegt. Mittlerweile sind<br />

wir bei Band 77 und dem Buchstabenbereich<br />

IZ-JE angekommen, und einiges hat<br />

sich mit dem Redaktionswechsel verändert.<br />

Dies beginnt bei kleinen Äußerlichkeiten<br />

(auf den Schutzumschlag wird mittlerweile<br />

leider verzichtet) und setzt sich inhaltlich<br />

fort. Klarer wird nun durch die definierten<br />

Zeilenumfänge die inhaltliche Bedeutung.<br />

Zugleich schreitet das Projekt in einem ganz<br />

anderen Tempo voran. Aber es berücksichtigt<br />

auch weiterhin Künstler der jüngeren<br />

Generation, soweit sie im Ausstellungsgeschehen<br />

präsent sind. Das AKL ist ein<br />

Nachschlagewerk primär in Bibliotheken.<br />

Es dient der ersten Orientierung zu einem<br />

Künstler und teilt mit, wo sich weitere Informationen<br />

zu ihm finden. Hier könnten<br />

dann die drei anderen Bücher weiterhelfen.<br />

Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden<br />

Künstler aller Zeiten und Völker, zuletzt: Bd.<br />

77 (Iza-Jer), 540 S. ohne Abb., Hardcover,<br />

geb., 24 x 17 cm, de Gruyter, 279,- Euro<br />

www.occhio.de<br />

Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal<br />

Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de<br />

Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr<br />

79


Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />

Ein Glücksfall.<br />

Zum Start ausgewählter Werke in Einzelausgaben<br />

legt der renommierte Göttinger<br />

Wallstein-Verlag den Band „Der Knabe<br />

Hüssein und andere Erzählungen“ von<br />

Armin T. Wegner vor. Der gebürtige<br />

Elberfelder, Jurist von Beruf, war in der<br />

Weimarer Republik ein beachteter Autor,<br />

schrieb 1933 Adolf Hitler einen Brief,<br />

in dem er gegen die Judenverfolgung<br />

protestierte, was ihm den Aufenthalt in<br />

mehreren Konzentrationslagern einbrachte,<br />

stand 1947 beim ersten Nachkriegs-<br />

PEN-Kongress auf der Totenliste und<br />

starb 1978 in Italien, wohin er 1934<br />

exilieren konnte.<br />

So richtig kam dieser große Poet im<br />

Nach-1945-Deutschland nicht mehr auf<br />

die Beine, weder im Osten noch im Westen.<br />

Um so verdienstvoller ist die Arbeit<br />

der Armin-T.-Wegner-Gesellschaft unter<br />

ihrem rührigen Vorsitzenden Ulrich Klan<br />

und das Engagement der Stadtsparkasse<br />

Wuppertal, welche die Publikation finanziell<br />

unterstützt hat. Die späte Rückkehr<br />

eines Schriftstellers, dessen Werke 1933<br />

auf dem Scheiterhaufen brannten.<br />

Armin T. Wegner, Der Knabe Hüssein und<br />

andere Erzählungen, Göttingen: Wallstein<br />

2012. 311 S., 29,90 Euro<br />

Ein Schwarzbuch.<br />

Auch die Kemna ist auf der „Übersichtskarte<br />

über die Konzentrationslager, Zuchthäuser<br />

und Gefängnisse“ des Reprints des Buchs<br />

„Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg<br />

gegen die Friedenskämpfer in Deutschland<br />

– Ein Tatsachenbericht“ verzeichnet. 1936<br />

erschien das Werk mit Hunderten Fotos, Dokumenten<br />

und Faksimiles in Straßburg. Heute<br />

weiß man, dass die anonym erschienene<br />

Dokumentation aus der Feder von Maximilian<br />

Scheer alias Walter Schlieper stammt, der<br />

im benachbarten Haan (und nicht Hahn,<br />

wie es etwa auf S. 393 heißt) zur Welt kam.<br />

Im Anhang finden sich biographische Skizzen<br />

zu Willi Münzenberg und zu Scheer<br />

sowie die Lagerordnung und die Disziplinarordnung<br />

des Konzentrationslagers Esterwegen,<br />

das wegen des Moorsoldatenliedes<br />

vielen Antifaschisten ein Begriff ist. In den<br />

mit dem 1. 8. 1934 datierten Dokumenten<br />

heißt es, jedem „Schutzhaftgefangenen“ werde<br />

Gelegenheit gegeben, entweder seine „innere<br />

Einstellung gegen Volk und Vaterland“<br />

zu ändern oder „für die schmutzige 2. oder<br />

3.“ (vulgo die sozialdemokratische oder die<br />

kommunistische) „Juden-Internationale<br />

eines Marx oder Lenin zu sterben“.<br />

Das deutsche Volk klagt an. Erweiterter Reprint<br />

der in Deutsch erschienenen Originalausgabe,<br />

Hamburg: Laika 2012. 405 S., 24,90 Euro<br />

Ein Mythos wird entschleiert.<br />

Den „Weltkrieg als Erzieher“ analysiert<br />

Arndt Weinrich. Darin setzt er sich<br />

ausführlich mit dem Langemarck-Mythos<br />

auseinander, der als „Sieg der deutschen<br />

Kultur“, als ein Triumph der „Ideen<br />

von 1914“ über die „Ideen von 1789“<br />

verkauft wurde (S. 248) und die faschistische<br />

Ideologie der „Volksgemeinschaft“ zu<br />

begründen half.<br />

Der Zweck heiligt die Mittel: Heute<br />

wissen wir, dass die „jungen Regimenter“<br />

tatsächlich mehrheitlich aus gedienten<br />

Männern bestanden und auch der Kern<br />

des Langemarck-Mythos, der Gesang des<br />

Deutschlandlieds beim Sturmangriff, „mit<br />

großer Sicherheit nicht den historischen<br />

Tatsachen“ entspricht sowie überdies,<br />

alles in allem, der „Sieg von Langemarck“<br />

militärisch-operativ belanglos war.<br />

Weimar hieß der Feind: Die Feiern zum<br />

11. November 1914 „lieferten mit dem<br />

Bild der idealistischen ‚Opferjugend’ eine<br />

heroische Gegenfolie zur November-<br />

Revolution“ (S. 249).<br />

Arndt Weinrich, Der Weltkrieg als Erzieher.<br />

Jugend zwischen Weimarer Republik<br />

und Nationalsozialismus, Essen: Klartext<br />

2013 (= Schriften der Bibliothek für<br />

Zeitgeschichte – Neue Folge, 27). 351 S.,<br />

39,95 Euro<br />

80


Kulturnotizen<br />

Kunstmuseum Ahlen<br />

Eduard Micus: Retrospektive<br />

Malerei, Arbeiten auf Papier, Objekte<br />

Ausstellung bis zum 5. Mai 2013<br />

Eduard Micus: Fiesta Nr. 63, 1986, Acryl,<br />

Papier auf Leinwand, 228 x 230 cm<br />

© Nachlass Eduard Micus<br />

Mit vielen seiner Werke versuchte der<br />

1925 in Höxter geborene Eduard Micus<br />

einen „Akkord des Kontrastes“ zu erzeugen.<br />

Häufig teilte er seine Bilder in zwei Hälften,<br />

von denen er eine mit Formen anfüllte, die<br />

andere aber leer ließ. „Die Stille macht das<br />

Gestörte stärker und das Gestörte oder Zerstörte<br />

das Stille stiller, oder einfach: das eine<br />

ergänzt das andere – beide Hälften ergeben<br />

ein Ganzes“, schrieb der Künstler dazu in<br />

einem Katalogtext von 1996. Das Prinzip<br />

der Bildteilung, das Micus bereits Anfang<br />

der 1950er Jahre entwickelte, behielt er bis<br />

zu seinem Lebensende im Jahr 2000 bei<br />

und veränderte es immer wieder aufs Neue.<br />

Mit diesen „Kontrastkompositionen“<br />

hat Eduard Micus einen einzigartigen<br />

Beitrag zum Kunstgeschehen der deutschen<br />

Nachkriegszeit geleistet. Als Grenzgänger<br />

zwischen informeller und konstruktiver<br />

Kunst stellte er sich bewusst an den Rand<br />

wechselnder Moden des Kunstbetriebs.<br />

Besonders seit seinem Umzug nach Ibiza<br />

1972 nahm er buchstäblich Abstand zu<br />

den Zentren der Kunst in Deutschland.<br />

Die Retrospektive im Kunstmuseum Ahlen<br />

unternimmt mit rund 100 Exponaten eine<br />

umfassende Würdigung seines Werkes. Gezeigt<br />

werden Malerei, Arbeiten auf Papier<br />

und Objekte aus allen Schaffensphasen.<br />

Mitte der 1940er Jahre kam Micus<br />

durch Reinhard Schmidhagen, einem<br />

Schüler von Käthe Kollwitz, zur Malerei.<br />

Zunächst war er der impressionistischen<br />

Malweise verhaftet, dann spürte er dem<br />

Expressionismus nach, bevor er sich als<br />

Schüler von Willi Baumeister an der<br />

Kunstakademie Stuttgart (1948-1952) von<br />

überkommenen Bildvorstellungen löste und<br />

zu einer abstrakten Bildsprache gelangte.<br />

Micus konzentrierte sich dabei zunächst<br />

auf eine weitgehende Abkehr von der Form<br />

zugunsten farblich einheitlicher Bildflächen.<br />

1962 entwickelte er die so genannten „Coudragen“,<br />

überwiegend weiße Leinwände,<br />

die durch eine senkrechte Naht deutlich<br />

sichtbar miteinander verbunden sind. Als<br />

Mitglied der Künstlergruppe SYN (1965-<br />

1970), zu der Klaus Jürgen-Fischer, Erwin<br />

Bechtold, Bernd Berner und Rolf-Gunter<br />

Dienst gehörten, strebte Micus eine Verbindung<br />

der gegensätzlichen Ausdrucksweisen<br />

von informeller und konstruktiver Kunst<br />

an. Nach Jahren des angewandten Schaffens<br />

für namhafte deutsche Zeitschriften und<br />

Verlage siedelte Micus 1972 mit seiner Frau<br />

nach Ibiza über. Dort experimentierte er<br />

mit unterschiedlichsten Materialien und<br />

bildnerischen Mitteln. Phasen zurückhaltender,<br />

eher konstruktiver Bildlösungen<br />

wechselten mit solchen, in denen eine<br />

überbordende, zur Auflösung neigende<br />

Gestaltung überwiegt, so dass im unermüdlichen<br />

Schaffen ein facettenreiches Werk<br />

entstanden ist.<br />

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher<br />

Katalog im Wienand-Verlag (Hrsg.<br />

Burkhard Leismann) mit zahlreichen<br />

Abbildungen und Beiträgen von Stephan<br />

N. Barthelmess, Susanne Buckesfeld, Erich<br />

Franz und Ulrike Schaz.<br />

Öffnungszeiten: Mi-Fr 14 -18 Uhr, Sa,<br />

So, Feiertage 11 - 18 Uhr, Mo, Di geschl.<br />

Kunstmuseum Ahlen<br />

Museumsplatz 1 / Weststraße 98<br />

59227 Ahlen, Tel.: 0 23 82 / 91 83 0<br />

www.kunstmuseum-ahlen.de<br />

Kreativ50plus<br />

Lesen oder musizieren?<br />

Literaturcafé und Bergische Orchestertage<br />

bei kreativ50plus<br />

Im Mai lädt die Akademie Remscheid<br />

im Rahmen des Programms kreativ50plus<br />

zweimal zum Mitmachen ein.<br />

Das 2. Literaturcafé am Samstag, den 4.<br />

Mai richtet sich an alle, die gerne schrei-<br />

ben. Sie sind eingeladen, sich vom diesjährigen<br />

Thema Mut inspirieren zu lassen.<br />

Im Literaturcafé können Interessierte in<br />

gemütlicher Atmosphäre ihre Geschichten,<br />

Gedichte oder Essays vortragen. Aber auch<br />

zum Zuhören und Austauschen im Literaturcafé<br />

melden Sie sich bei der Akademie<br />

Remscheid unter www.kreativ50plus.de an.<br />

Ein paar Tage später, vom 8. bis 12.Mai<br />

können Spätberufene und Wiedereinsteiger<br />

bei den bergischen Orchestertagen<br />

musizieren. Der Kurs richtet sich an Menschen,<br />

die erst spät begonnen haben, ihr<br />

Orchesterinstrument zu erlernen oder die<br />

nach Jahren Pause die Freude am gemeinsamen<br />

Musizieren wiederentdeckt haben.<br />

Orchestererfahrung ist keine Voraussetzung.<br />

Geübt und im Abschlusskonzert<br />

am Sonntag vorgetragen wird die Sinfonie<br />

Nr. 8, die „Unvollendete“ von Schubert.<br />

Besetzung: Flöten, Oboen, Klarinetten,<br />

Fagotte, Hörner, Trompeten, Posaunen<br />

und Streicher.<br />

Beide Veranstaltungen finden statt in der<br />

Akademie Remscheid, Küppelstein 34.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.kreativ50plus.de oder telefonisch<br />

unter 02191-794 212.<br />

81


Kulturnotizen<br />

Ein gelungenes Zusammenspiel<br />

„GERMAN SONG“, ein Multimedia-<br />

Stück von Heiner Bontrup<br />

Mit der „freien Szene“ zusammenzuarbeiten:<br />

Das ist eine der Anforderungen,<br />

die an die Kandidaten für die nächste<br />

Schauspielintendanz in Wuppertal gestellt<br />

werden. „GERMAN SONG“, ein<br />

Multimedia-Gastspiel im Kleinen Schauspielhaus,<br />

hat jetzt daran erinnert, daß das<br />

schon geschieht – und daß der Vorwurf an<br />

die bisherige Leitung, solche Kontakte versäumt<br />

zu haben, schief ist; wie so mancher.<br />

Heiner Bontrup, Wuppertaler Autor<br />

und Kulturjournalist, hat gemeinsam mit<br />

Ulrike Müller den Abend konzipiert; und<br />

zur Realisierung zusammengekommen<br />

sind: Die Musiker Dietrich Rauschtenberger<br />

und Charles Petersohn, die Schauspieler<br />

Caroline Keufen, Ralf Grobel und Andreas<br />

Ramstein, die Schülerin und Sprecherin<br />

Faith Iyere, die Videokünstlerin Wasiliki<br />

Noulesa, die Tänzerin Chrystel Guillebaud.<br />

Was dann das Publikum durch diese<br />

Vielfalt erlebt (sofern man denn die enorme<br />

Schlange an der Kasse noch glücklich mit<br />

einer Karte in der Hand verlassen hat): Das<br />

ist ein stark aufs Atmosphärische setzendes<br />

Programm um Gewalt und Verantwortung<br />

– ausgehend von literarischen Texten<br />

von Else Lasker-Schüler, Paul Celan und<br />

Gottfried Benn.<br />

Wenn genre-übergreifende Kunst mehr<br />

sein will als eine Collage, kann sie ein<br />

verbindendes Gerüst gebrauchen. Und das<br />

ist heute „Am Beispiel meines Bruders“ von<br />

Uwe Timm, die autobiografische Erzählung<br />

zur Verarbeitung der Naziverbrechen<br />

anhand der Vergangenheit von Timms<br />

Bruder in der Waffen-SS. Akustisch – visuell,<br />

textlich – tänzerisch: Was die einzelnen<br />

beteiligten Künstler heute zeigen, gruppiert<br />

sich um Auszüge dieses Berichts, den an<br />

Stelle des erkrankten Hans Richter der<br />

Schauspieler Ralf Grobel liest.<br />

Ständig präsent sind dabei die Beiträge<br />

von Noulesa, Rauschtenberger und<br />

Petersohn: Die Videokünstlerin wechselt<br />

abstrahierte Aufnahmen aus der Natur ab<br />

mit Personenportraits; und für die volle<br />

Wirkung der Projektionen nutzt sie die<br />

hintere Wandfläche in ganzer Breite. Dietrich<br />

Rauschtenberger, als Pionier des Free<br />

Jazz sicher mit der namhafteste Teilnehmer,<br />

arbeitet mit Schlagwerk und Gongs in<br />

verschiedenen Größen; er wirkt spielerisch<br />

dabei und doch genau abgestimmt auf<br />

all das, was sonst noch passiert auf der<br />

Bühne. Gleiches gilt für Charles Petersohn,<br />

Produzent, DJ und musikalischer Leiter des<br />

Abends, der seine Klänge unauffällig, aber<br />

durchgängig einmischt ins Geschehen.<br />

Und es ist ja immer das Zusammenwirken,<br />

das (neben dem Text-Gerüst)<br />

eine Kooperation verschiedener Künste<br />

unterscheidet von einer bloßen Revue aus<br />

Einzeltalenten. Bei GERMAN SONG<br />

mag sich tatsächlich ein Gesamteindruck<br />

zwischen den Akteuren einstellen: Während<br />

etwa Caroline Keufen vor besagtem Hintergrund<br />

Passagen aus Celans „Todesfuge“<br />

spricht, im Wechsel mit der 17-jährigen<br />

Faith Iyere, die diese selbst [in die Sprache<br />

ihrer afrikanischen Heimat?] übersetzt hat:<br />

Da schwenkt Chrystel Guillebaud, zuvor<br />

gestenreich in Bewegung, zuvor plötzlich<br />

um und kauert sich auf den Boden – wie<br />

ein trauernder Friedhofsengel? Vielleicht.<br />

Vielleicht auch ganz anders. Kunst, die so<br />

stark ans Unterbewußte appelliert wie der<br />

heutige Abend, ist ja prädestiniert fürs freie<br />

Assoziieren.<br />

Neben solch inszenierter Kombination<br />

der Künste ist auch spannend zu beobachten,<br />

wie die Akteure aufeinander reagieren,<br />

wenn eine der Kunstformen gerade „Pause<br />

hat“. Etwa wenn Rauschtenberger an<br />

seinen Instrumenten sichtbar „mitgeht“<br />

mit all der Bewegung vor ihm. Oder<br />

Stichwort „Lili Marleen“: jener Schlager,<br />

den die Militärpropaganda zur Hymne des<br />

deutschen Soldaten machte und der in Europa<br />

und Nordafrika an allen Fronten lief.<br />

Als die Melodie erklingt, wie eine zynische<br />

Begleitmusik zum Tun auch von Timms<br />

Bruder: Da hören Faith Iyere, die schwarze<br />

junge Frau, ebenso zu wie Petersohn, der<br />

jetzt einen Judenstern trägt: wach, aber<br />

stumm.<br />

Menschen aus verschiedenen Hintergründen,<br />

die sich durchaus auch etwas<br />

fremd bleiben dürfen: Das ist es wohl, was<br />

den Reiz eines freien Projekts wie GER-<br />

MAN SONG zum Gutteil ausmacht, wo<br />

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet<br />

Täglich neu – mit großem Archiv<br />

Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografi e – Reise<br />

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb<br />

www.musenblaetter.de<br />

82


die Akteure in dieser Konstellation nur zu<br />

diesem Anlaß zusammenkommen. Mit<br />

ihrem Ad-hoc-Charakter sind sie so gesehen<br />

ja schon vom Ansatz etwas anderes als ein<br />

Ensemble-Stadttheater (mit seinen eigenen<br />

Vorzügen). Schön, wenn ein Theater sich<br />

dem öffnet, wenn es denn paßt – wie heute.<br />

Zur Offenheit der Bühnen Richtung Szene<br />

nimmt Charles Petersohn auch Noch-<br />

Intendant Christian von Treskow entschieden<br />

gegen Vorwürfe in Schutz: „Er hat den<br />

Kontakt zur Stadt, also zur freien Szene und<br />

deren Community angestoßen. Er hat jeden<br />

eingeladen, etwas zu realisieren, der etwas<br />

Professionelles zu bieten hat.“<br />

Martin Hagemeyer<br />

kunsthochdrei<br />

Die erfolgreiche Reihe „kunsthochdrei“<br />

geht in eine neue Runde.<br />

Die fünf bevorstehenden Programme aus<br />

Musik, Literatur und Bildender Kunst<br />

werden anders als bisher sämtlich im Von<br />

der Heydt-Museum stattfinden. Weitere<br />

Neuerung – und etwas paradox zur ersten:<br />

Bei zweien der Veranstaltungen wird, trotz<br />

des Ortes, nicht die Bildende Kunst im<br />

Zentrum stehen.<br />

Am 24. April ist der Ausgangspunkt<br />

für das Treffen der Künste ein literarischer<br />

Anlaß: der 250. Geburtstag von Jean Paul.<br />

Jean Paul 1763 – 1825<br />

Um die „Selberlebensbeschreibung“ des<br />

Schriftstellers, gelesen einmal mehr von<br />

Bernt Hahn, werden sich der Vortrag<br />

zu Klassizismus und Biedermeier in der<br />

Sammlung des Museums wie auch die<br />

Musik von Robert Schumann thematisch<br />

gruppieren. Ähnliches gilt für einen weiteren<br />

gewichtigen Geburtstag dieses Jahres:<br />

Zu 200 Jahren Richard Wagner gibt es am<br />

5. Juni in erster Linie Musik des Komponisten<br />

zu hören, mit Stefanie Krahnenfeld<br />

(Sopran) und Jan Ehnes (Klavier), dazu<br />

eine Einführung zu Wagner in der Bildenden<br />

Kunst und Thomas Manns „Reden zu<br />

Richard Wagner“.<br />

Die drei weiteren Termine von „kunsthochdrei“<br />

gehen indes wie bisher vom<br />

Museum und damit von Schätzen der<br />

bildenden Kunst aus. Den Anfang macht<br />

am 6. März „Das Herz des Museums“:<br />

die Einführung zur Sammlung des Hauses<br />

durch Direktor Dr. Gerhard Finckh selbst,<br />

während die gefeierte Schauspielerin<br />

Barbara Nüsse, gerade 70 geworden, Thomas<br />

Bernhard über „Alte Meister“ ätzen<br />

läßt und Beethoven, vermutlich weniger<br />

kon trovers, den musikalischen Teil des<br />

Abends bestreitet. Und die neue Ausstellung<br />

der Sammlung Jean Gigoux gibt<br />

den vorerst letzten zwei „kunsthochdrei“-<br />

Ausgaben ihr Gepräge: Am 4. September<br />

geht es um den selbst malenden Sammler<br />

und seine „Goldmedaille im Salon 1835“;<br />

musikalisch wird dazu Felix Mendelssohn<br />

Bartholdy zu hören sein, literarisch<br />

Gustave Flaubert. Diese hochkarätige<br />

Sammlung selbst wird schließlich am 16.<br />

Oktober näher vorgestellt; Florence Millet<br />

wird mit Debussy wieder am Klavier<br />

das Treffen der Künste mitgestalten und<br />

Bernd Kuschmann aus Viktor von Scheffel<br />

lesen.<br />

Es moderieren jeweils die Journalistin<br />

Anne Linsel, Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse<br />

oder Hausherr Dr. Gerhard Finckh.<br />

Erfolgversprechend also auch im<br />

fünften Jahr die Reihe „kunsthochdrei“,<br />

die dem Museumsdirektor ganz offensichtlich<br />

eine Herzensangelegenheit ist:<br />

Finckh ist es wichtig, daß man auch ins<br />

Museum gehe, „um etwas zu lernen“, und<br />

der Zuspruch der so gesehen lernwilligen<br />

Besucher der Reihe zeigt ihm: „Diese<br />

Synthese spricht die Menschen an.“<br />

Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse ist<br />

hauptamtlicher Dozent, heute Professor,<br />

der Hochschule für Musik und Tanz Köln<br />

am Standort Wuppertal für die Fächer<br />

Musikwissenschaft, Musiktheorie/Tonsatz<br />

und Gehörbildung. Seit 2009 ist er Geschäftsführender<br />

Direktor des Standorts<br />

Wuppertal<br />

Martin Hagemeyer<br />

Müllers Maronetten-Theater<br />

Des Kaisers neue Kleider<br />

Theatermärchen von Günther Weißenborn<br />

Manche Kleider sehen eben nur die<br />

klugen Leute, behaupten deren Hersteller.<br />

Na, wer will schon dumm sein? Also sind<br />

alle von den neuen Kleidern des Kaisers<br />

begeistert. Nur der kleine Mario, der lässt<br />

sich nicht täuschen. Und wird deshalb<br />

am Ende der Freund und Ratgeber des<br />

Kaisers.<br />

Aufführungstermine:<br />

20., 21., 28. 4., 1., 4., 9. 5. jeweils 16.00<br />

Uhr und am 24. 4. um 11.00 Uhr<br />

Der Räuber Hotzenplotz<br />

von Otfried Preußler<br />

Hotzenplotz ist ein gemeiner Räuber.<br />

Nicht einmal der Oberwachtmeister<br />

Dimpfelmoser konnte ihn bislang fassen<br />

und so klaut der Räuber, was er nur kann.<br />

Als er eines Tages sogar der Oma die Kaffeemühle<br />

raubt, beschließen Kaspar und<br />

Seppel, den Dieb zu fangen. Dabei lassen<br />

sie sich auf ein grosses Abenteuer ein!<br />

Aufführungstermine:<br />

9., 11, 20., 26., 30. 5., jeweils 16.00 Uhr<br />

und am 15. 5. um 11.00 Uhr<br />

26. 4. Wiederaufnahme: Der Vogelhändler<br />

– Operette von Carl Zeller<br />

24. 5. 30 Jahre Müllers Marionetten-Theater<br />

– 20 Jahre Theater am<br />

Neuenteich – Jubiläums-Varieté<br />

www.muellersmarionettentheater.de<br />

83


Kulturnotizen<br />

Sa13. 4. 2013, 19:30Uhr //// Opernhaus<br />

Don Quichotte<br />

//// Heroische Komödie in fünf Akten<br />

Jules Massenet, Dichtung von Henri Cain<br />

nach dem Schauspiel Le chevalier de la<br />

longue figure von Jacques Le Lorrain nach<br />

Miguel de Cervantes Saavedra in französischer<br />

Sprache mit deutschen Übertiteln.<br />

1910 feierte Massenet den triumphalen<br />

Erfolg der Uraufführung seiner letzten<br />

Oper, die besonders die tragische Note<br />

von Cervantes Roman betont. Zwischen<br />

überschäumender Lebenslust und tiefer<br />

Furcht vor Vergänglichkeit zeichnet der<br />

Komponist feinfühlig-psychologisch seine<br />

Protagonisten und führt in überwältigender<br />

Klangpracht und feinster Instrumentationskunst<br />

Grand Opéra und Opéra<br />

comique zusammen.<br />

24. 5. 2013, 19:30Uhr //// Premiere<br />

Theater und Konzerthaus Solingen<br />

Evita<br />

//// Musical von Andrew Lloyd Webber<br />

Libretto von Tim Rice<br />

Schon zu Lebzeiten eine schillernde Legende,<br />

erlangte Eva Perón nach ihrem tragisch<br />

frühen Tod Kultstatus: aus ärmlichsten<br />

Verhältnissen arbeitete sie sich durch ihre<br />

Hochzeit mit General Perón in märchenhafter,<br />

aber ebenso rücksichtsloser Art und<br />

Weise zur First Lady Argentiniens empor.<br />

Als Kämpferin für die Rechte des einfachen<br />

Volkes wurde sie verehrt wie eine Heilige.<br />

27. 4. 2013, 17:30Uhr<br />

//// Premiere – JVA Wuppertal Ronsdorf<br />

Macbeth – Schlaflos in Ronsdorf<br />

//// Schauspiel nach William Shakespeare<br />

Projekt mit der JVA Ronsdorf<br />

Macbeth hält seinem König die Treue,<br />

eigentlich. Aber er ist ein ehrgeiziger<br />

Mann, will etwas machen aus seinem<br />

Leben, das fordert auch seine Lady. Er soll<br />

seinen Mann stehen. Angestachelt von<br />

der Lady hilft Macbeth nach, beseitig den<br />

König, und besteigt den Thron. Aber der<br />

Tote gibt keine Ruhe. Überall wird geflüstert<br />

und sogar der beste Freund wird zum<br />

Problem. Er stellt Fragen, ist misstrauisch,<br />

droht mit Verrat. Er mus weg, und auch<br />

alle Anderen die einem irgendwann einmal<br />

gefährlich werden könnten.<br />

Mit jugendlichen Insassen der JVA<br />

Wuppertal Ronsdorf wird Shakespeares<br />

Tragödie als Kooperationsprojekt zwischen<br />

der JVA Ronsdorf, der evangelischen Gefängnisseelsoge<br />

des Kirchenkreises Wuppertalin<br />

und den Wuppertaler Bühnen in den<br />

Räumen der JVA auf die Bühne gebracht.<br />

29. 5. 2013 20:00Uhr<br />

//// Kleines Schauspielhaus<br />

Viel Lärm um Nichts<br />

//// Integratives Theaterprojekt nach<br />

William Shakespeare<br />

»Ich erlebe es noch, dich einmal ganz<br />

blass vor Liebe zu sehen«, so Don Pedro zu<br />

Beatrice. Vor Hunger vielleicht, entgegnet<br />

diese und ganz bestimmt auch vor Zorn,<br />

aber niemals vor Liebe. Von der hält die<br />

spöttische Beatrice nämlich gar nichts und<br />

Männer sind ihrer Meinung nach völlig<br />

entbehrlich. In Zusammenarbeit mit:<br />

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch<br />

Neueinstudierung<br />

25., 26., 27., 29., 30. April und 1. Mai<br />

2013 ////<br />

Vollmond<br />

7., 8., 10., 11., 12. Mai 2013 ////<br />

Sinfonieorchester Wuppertal<br />

Konzerte April/Mai 2013<br />

Fr 5. 4. 2013 | 20:00 Uhr, Stadthalle,<br />

Großer Saal<br />

Procol Harum<br />

trifft das Sinfonieorchester Wuppertal<br />

& die Kantorei Barmen-Gemarke<br />

Jo Ann Endicot, Bénédicte Billiet,<br />

Alexandros Sarakasidis & Safet Mistele,<br />

Special Guest, David Firman, Dirigent,<br />

Procol Harum, Musik<br />

Manche Songs begleiten Dich ein<br />

Leben lang... und einer dieser Songs ist<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit »A whiter<br />

shade of pale« der Engländer Procol Harum.<br />

Die meisten hatten es geahnt und<br />

seit 2008 ist es sozusagen amtlich, einer<br />

Rangliste der BBC zufolge ist »A whiter<br />

shade of pale« der meistgespielte Radiotitel<br />

weltweit.<br />

Deutschlandweit einmalig ist es nun<br />

gelungen, Procol Harum zusammen mit<br />

dem Sinfonieorchester Wuppertal und der<br />

Kantorei Barmen-Gemarke an zwei Tagen<br />

auf die Bühne zu bringen. Tänzerisch begleitet<br />

wird das ca. 140-köpfige Ensemble<br />

dabei von Jo Ann Endicott, Bénédicte<br />

Billiet, Alexandros Sarakasidis und Safet<br />

Mistele mit einem Ausschnitt aus „Kontakthof<br />

für Jugendliche".<br />

8. 4. 2013 | 20:00 Uhr | Stadthalle,<br />

Mendelssohn Saal<br />

5. Kammerkonzert<br />

14. 4. 2013 | 18:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

Orgel-Akzente (4)<br />

28. 4. 2013 | 11:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

8. Sinfoniekonzert<br />

29. 4. 2013 | 20:00 Uhr<br />

7. 5. 2013 | 10:00 Uhr<br />

Stadthalle, Großer Saal<br />

3. Schulkonzert<br />

Mit Mozart zum Jupiter<br />

7. 5. 2013 | 12:00 Uhr<br />

13. 5. 2013 | 20:00 Uhr<br />

14. 5. 2013 | 12:00 Uhr<br />

20. 5. 2013 | 18:00 Uhr<br />

Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />

6. Kammerkonzert<br />

14. 5. 2013 | 10:00 Uhr<br />

Stadthalle, Mendelssohn Saal<br />

4. Chorkonzert<br />

im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal<br />

Freitag, 12. April, 19 Uhr, Pavillon<br />

Anja Lechner & François Couturier<br />

Impressions intimes<br />

Anja Lechner, Cello | François Couturier,<br />

Klavier<br />

Die musikalische Affinität zwischen Anja<br />

Lechner und François Couturier ist durch<br />

ihr Zusammenspiel im Tarkovsky Quartet<br />

längst deutlich geworden. Im Duo spannen<br />

die deutsche Cellistin und der französische<br />

84


Pianist einen weiteren musikalischen Bogen,<br />

indem sie Stücke von G.I. Gurdiieff,<br />

Frederic Mompou und Anouar Brahem<br />

interpretieren, aber auch Kompositionen<br />

von Couturier spielen.<br />

Anja Lechner, François Couturier Foto:<br />

Nadia Romanini<br />

Freitag, 31. Mai, 19 Uhr, Pavillon<br />

Aki Takase & Louis Sclavis<br />

Yokohama<br />

Aki Takase, Klavier | Louis Sclavis, Klarinette,<br />

Bassklarinette, Sopransaxofon<br />

Louis Sclavis ist einer der innovativsten<br />

Musiker des europäischen Jazz. Im Duo<br />

mit der herausragenden Improvisationskünstlerin<br />

Aki Takase entwickelt sich ein<br />

aufregender Dialog. Die beiden finden sich<br />

in einem Balanceakt freier Improvisation,<br />

der ihre Kompositionen und musikalischen<br />

Welten verbindet.<br />

Louis Sclavis, Aki Takase<br />

Vorverkauf über westticket.de, an allen<br />

Vorverkaufsstellen und im Skulpturenpark.<br />

Am Dinner in der Villa Waldfrieden kann<br />

man nur nach Voranmeldung teilnehmen.<br />

Info und Reservierung über T 2501630<br />

bzw. event@skulpturenpark-waldfrieden.de.<br />

Friedrich-Spee-Akademie<br />

Remscheid<br />

• Die Akademie möchte in Kooperation mit<br />

anderen Institutionen durch Kultur- und<br />

Bildungsangebote den Menschen in der<br />

zweiten Lebenshälfte Anregungen geben,<br />

ihr Leben aktiv und lebendig zu gestalten<br />

• Sie möchte dazu beitragen, dass sich die<br />

wachsende Gruppe der älteren Bürger (innen)<br />

am gesellschaftlichen Dialog beteiligt<br />

• Das Angebot soll Anregungen geben für<br />

diejenigen Mitbürger, die durch Engagement<br />

und Aktivität als Teilnehmer,<br />

Mitarbeiter und Referenten ihr Leben<br />

nach ihrer Arbeitszeit als glücklichen<br />

„Unruhestand“ gestalten wollen<br />

• Miteinander den gesellschaftlichen<br />

Dialog suchen.<br />

Weitere Informationen und Programm:<br />

http://www.fsa-online.eu/<br />

Ausstellungen in Wuppertal<br />

Renate Horn – Farbimpressionen<br />

Acrylbilder der Wuppertaler Künstlerin<br />

Renate Horn, Färberei, Stennert 8. Noch<br />

bis zum 27. April<br />

Die eine Kunst begleitet sie seit ihrer<br />

Ausbildung, die andere entdeckte sie eher<br />

zufällig für sich: Die Wuppertalerin Renate<br />

Horn (53) hat sich sowohl der Musik als<br />

auch der Malerei verschrieben. War die Musik<br />

mehr als 20 Jahre lang auch beruflich der<br />

Lebensinhalt der gelernten Lehrerin für Musik<br />

und katholische Religion, so hat sie sich<br />

der bildenden Kunst erst nach einem harten<br />

Einschnitt in ihren Lebenslauf verschrieben.<br />

Heute unterrichtet die Mutter von<br />

Renate Horn<br />

zwei Kindern nicht mehr, sondern lebt und<br />

arbeitet als freischaffende Künstlerin. Musik<br />

und Malerei sind für Renate Horn Wege,<br />

ihren positiven Emotionen Ausdruck zu<br />

verleihen: „In beiden Bereichen gehe ich<br />

zum Inneren und zeige meine Seele“, sagt<br />

die Künstlerin. Malerisch nutzt Horn dabei<br />

verschiedene Stile und Techniken, vor allem<br />

Acrylmalerei und Mischtechnik.<br />

Gisela Kettner – Einfach nur Farbe<br />

„Einfach nur Farbe“ – das Motto der<br />

derzeitigen Ausstellung von Gisela Kettner<br />

spiegelt sich schon auf den ersten Blick in<br />

den Räumen des K1-Artcafés. Dort können<br />

bunte Malereien begutachtet werden, von<br />

denen manche sogar von der Decke hängen.<br />

Sofort fällt die bunte Mischung der<br />

(oft geometrischen) Formen und Farben<br />

auf, die diese Ausstellung kennzeichnet –<br />

die hellen, kräftigen Töne geben Hoffnung<br />

auf einen baldigen Frühling.<br />

„Einfach nur Farbe“ ist bis zum 23.<br />

April im K1-Artcafé, Oststraße 12, zu<br />

sehen – dienstags bis samstags von 17<br />

bis 22 Uhr. Montag und Sonntag sind<br />

Ruhetage.<br />

Die sieben Schönheiten<br />

der Wichlinghauser Straße<br />

Die Ausstellung im Heine-Kunst-Kiosk,<br />

Wichlinghauser Str. 29a, Wuppertal-<br />

Oberbarmen ist noch bis zum 27. April<br />

zu besichtigen – und/oder nach tel. Verabredung:<br />

0202/475098 und 02191/73162<br />

In Zusammenarbeit mit dem Bürgerforum<br />

Oberbarmen e.V. und der Stadt<br />

Wuppertal, vertreten durch Jutta Schultes,<br />

Projektkoordination Soziale Stadt, wurde<br />

dieses Fotoprojekt mit acht Jugendlichen<br />

durchgeführt.<br />

Sichtbar werden in der Vielfalt der<br />

eingereichten 56 Fotos: Verwahrlosung,<br />

Ordnung, Verletzung, Verfall, Schönheit<br />

Weitere Ausstellungen der Fotografien<br />

in Wuppertal sind in Vorbereitung. Kontakt:<br />

Barbaraheld@netic.de und Boris.meissner@<br />

freenet.de<br />

Franziska, 13<br />

Heine-Kunst-Kiosk: www.b-held-kunst.de<br />

und www.bbk-bergischland.de<br />

85


Kulturnotizen<br />

Museum Ludwig Köln<br />

Saul Steinberg: The Americans<br />

noch bis zum 23. Juni 2013<br />

Das Museum Ludwig zeigt erstmals<br />

seit ihrer Entstehung zur Weltausstellung<br />

in Brüssel im Jahre 1958 die vollständige<br />

Wandarbeit The Americans von Saul Steinberg<br />

– eine 70 Meter lange Collage.<br />

Ergänzt wird die Präsentation durch<br />

thematisch verwandte Zeichnungen und<br />

Collagen aus den fünfziger Jahren sowie<br />

zahlreiche Zeitschriftenillustrationen des<br />

Künstlers, der die Grenzen zwischen freier<br />

und angewandter Kunst immer wieder in<br />

Frage stellte.<br />

Der in Rumänien geborene Zeichner<br />

und Karikaturist Steinberg (1914-1999)<br />

emigrierte nach einem Architekturstudium<br />

in Mailand in den frühen vierziger Jahren<br />

nach New York, wo er vor allem mit seinen<br />

Covergestaltungen für die Zeitschrift New<br />

Yorker schon früh bekannt wurde.<br />

www.museum-ludwig.de<br />

The Americans. Main Street - Small Town<br />

(Detail), 1958, Collage aus Packpapier, Tapete,<br />

ausgeschnittenen und -gerissenen illustrierten<br />

Zeitungsseiten, Klebeband, Wachskreide,<br />

Pastell, Öl auf bedrucktem Fotopapier,<br />

geklebt auf Karton und auf doppelt-dicker<br />

Triplex-Platte befestigt, 24 Tafeln je 300 x 90<br />

cm, 1 Tafel 300 x 44 cm Musées royaux des<br />

Beaux-Arts de Belgique, Bruxelles, The Saul<br />

Steinberg Foundation / VG Bild-Kunst 2013<br />

Variante der Titelfotografie der Vogue US,<br />

15. März 1945 „Do your part for the red cross,<br />

Digitaler C-Print, The Estate of Erwin Blumenfeld<br />

(Henry und Yorick Blumenfeld)<br />

Museum Folkwang Essen<br />

Blumenfeld Studio<br />

Farbe, New York, 1941 – 1960<br />

bis zum 5. Mai 2013<br />

Der in Berlin geborene Fotograf Erwin<br />

Blumenfeld (1897–1969) zählt in den<br />

1940er und 1950er Jahren zu einem der<br />

international gefragtesten Porträt- und Modefotografen.<br />

Aufgrund seiner ideenreichen<br />

und eigenwilligen Bildschöpfungen wird er<br />

von den führenden amerikanischen Magazinen,<br />

wie Vogue, Harper’s Bazaar, Life und<br />

Look engagiert. Die Werkschau veranschaulicht<br />

die bislang kaum bekannte Geschichte<br />

seines Fotoateliers am 222 Central Park<br />

South in New York. Rund einhundert Farbaufnahmen,<br />

Vintage-Abzüge in Schwarzweiß<br />

sowie Orginalausgaben von Erwin<br />

Blumenfelds Arbeiten in Modezeitschriften<br />

geben Einblicke in diese für sein Werk bedeutende<br />

künstlerische Phase. Zugleich stellt<br />

die Ausstellung die methodische Frage nach<br />

einer digitalen Rekonstruierbarkeit wichtiger<br />

Formen analoger Fotografie wie es Blumenfelds<br />

großformatige Ekta-Aufnahmen<br />

darstellen.<br />

Konrad Klapheck, Foto: Wolfgang Günzel<br />

Museum Kunstpalast Düsseldorf<br />

Konrad Klapheck<br />

26. April – 4. August 2013<br />

Das Museum Kunstpalast beleuchtet<br />

mit einer Retrospektive das Werk eines<br />

international bekannten Protagonisten der<br />

Düsseldorfer Kunstszene: Konrad Klapheck<br />

(*1935). Die gegenständliche Malerei<br />

des seit den 1960er Jahren international<br />

etablierten Künstlers lässt sich mit keiner<br />

anderen vergleichen. Sein Werk bleibt eine<br />

Ausnahmeerscheinung, seine Arbeiten -<br />

mal dem Surrealismus, mal der Pop Art<br />

zugeordnet - wurden bereits zu Lebzeiten<br />

Klassiker. Bekannt geworden sind vor allem<br />

seine Maschinenbilder, die er monumental<br />

und überpräzise nachbildet, so dass<br />

sie bedrohlich auf den Betrachter wirken<br />

können. Seit 1997 erscheint die menschliche<br />

Figur im Werk von Klapheck, meist<br />

in erotischen Interieurs und in Porträts<br />

berühmter Jazzmusiker.<br />

Museum Kunstpalast, Kulturzentrum<br />

Ehrenhof, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf<br />

www.smkp.de<br />

The Americans. Downtown - Big City, 1958<br />

Collage, 6 Tafeln je 300 x 90 cm, © The Saul<br />

Steinberg Foundation / VG Bild-Kunst 2013<br />

Erwin Blumenfeld – Rage for Colors<br />

publiziert in Look, 15. Oktober 1958,<br />

© The Estate of Erwin Blumenfeld<br />

Die gekränkte Braut, 1957, Öl / Leinwand,<br />

50 x 61 cm, im Besitz des Künstlers © Konrad<br />

Klapheck, VG Bild-Kunst, Bonn 2013<br />

86


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