Vortrag Regine Aeppli - CARITAS - Schweiz
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Bildung gegen Armut. Forum 2013. Die sozialpolitische Tagung der
Caritas, 25. Januar 2013, Bern
Referat „Bildung und Chancengleichheit: Aktuelle Entwicklungen
im Bildungswesen“ von Regine Aeppli, Regierungsrätin Kanton
Zürich
Sehr geehrte Damen und Herren
Ganz herzlichen Dank für die Einladung. Ich bin ihr sehr gerne gefolgt.
Denn wir diskutieren heute über ein Thema, das mich in meiner Arbeit
ständig begleitet: Die Frage nämlich, was wir in der modernen
Wissensgesellschaft mit Bildung erreichen wollen? Der Idealfall lässt
sich so beschreiben: In der modernen Wissensgesellschaft werden die
besten Köpfe gefördert und alle haben eine solide und gute
Schulbildung. Für den einzelnen heisst das, dass der Mensch nicht
länger durch seine Herkunft bestimmt wird, sondern das erreichen kann,
was er zu leisten vermag und möchte.
Wir stellen fest, meine Damen und Herren, dass dieser Fall auch in der
modernen Wissensgesellschaft ein Ideal ist und nicht dem Alltag
entspricht. Wir wissen, dass auch in der Schweiz das Elternhaus, die
Bildung der Eltern und das Familieneinkommen massgeblich darüber
entscheiden, wie die Bildungs- und später dann Berufslaufbahn eines
Kindes verläuft. Wir wissen zudem, dass es in der Schweiz viele Kinder
gibt, die in sozial unsicheren Verhältnissen oder gar in Armut
aufwachsen. Es fehlt diesen Familien - wie es der Bildungssoziologe
Pierre Bourdieu formuliert hat - nicht nur an ökonomischem Kapital,
sondern auch an kulturellem und sozialem Kapital. Es fehlen also nicht
nur Bildungsgüter wie zum Beispiel Bücher; die Familien haben oft auch
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weniger soziale Beziehungen und sind gesellschaftlich weniger gut
vernetzt.
Das Ziel unserer Bildungspolitik ist und bleibt, dass alle Kinder, egal, ob
sie im Kreis 4 in Zürich aufwachsen oder am Zürichberg, in Kleinbasel
oder in Bern-Bümpliz, die gleichen Chancen erhalten. Ausschlaggebend
sollen die Anlagen, die Eignung und das Interesse, nicht aber die
Herkunft sein. So steht es auch im Bildungsgesetz des Kantons Zürich.
Ich zitiere Paragraf 2: „Das Bildungswesen vermittelt dem Menschen
eine Bildung nach Massgabe seiner Anlagen, Eignungen und
Interessen.“
Meine Damen und Herren, ich kann es vorwegnehmen: Es gelingt den
Schulen nicht, Chancengleichheit zu gewährleisten. Chancengleichheit
Schule und Gesellschaft wird ohnehin kaum je ein Zustand sein, um den
man sich nicht mehr speziell bemühen muss. Aber Chancengleichheit ist
ein Horizont, an dem wir unsere Politik auszurichten haben. Es ist ein
tägliches Ringen um mehr Gerechtigkeit.
Chancengleichheit zu erreichen ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, nicht nur eine Aufgabe unserer Schulen: Es bedeutet zum
Beispiel, dass jedes Kind zuhause einen Platz hat, wo es ruhig arbeiten
kann oder nicht dass eine fünfköpfige Familie nicht an einer
Ausfahrtsstrasse in drei Zimmern hausen muss. Es bedeutet auch, dass
eine alleinerziehende Mutter ihre Kinder Zeit aufbringen kann, sie zu
unterstützen, weil sie für ihre Arbeit einen ausreichenden Lohn erhält.
Ich möchte Ihnen im Folgenden anhand von drei Punkten zeigen, wie wir
im Kanton Zürich im Bereich Bildung mehr Chancengleichheit erreichen
wollen.
1. Wer Chancengleichheit will, muss früh anfangen.
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2. Wer Chancengleichheit will, muss gezielt belastete
Schulen und lernschwächere Kinder und Jugendliche
unterstützen.
3. Wer Chancengleichheit will, muss allen den gleichen
Zugang ermöglichen.
1. Wer Chancengleichheit will, muss früh anfangen
Wenn die Kinder heute in die Schule kommen, sind die Unterschiede
bereits gross: einige Kindergartenkinder können bereits ihren Namen
schreiben, andere hatten noch nie Farbstifte oder eine Schere in der
Hand. Die ersten Lebensjahre haben eine besondere Bedeutung.
Bildung beginnt lange vor dem Schuleintritt, ja, sie beginnt eigentlich mit
dem 1. Lebenstag. Der hohe Stellenwert frühkindlicher Bildung für die
gesamte Bildungsbiographie ist wissenschaftlich gut belegt. Wenn wir
die Frage nach Bildung und Chancengleichheit stellen, geht das also
nicht ohne die Berücksichtigung der ersten Jahre.
Auf nationaler Ebene wurde letztes Jahr der „Orientierungsrahmen für
die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz“
lanciert. Im Kanton Zürich haben wir die „Strategie Frühe Förderung“
erarbeitet. Jedes Kind soll einen möglichst guten Start ins Leben
erhalten. Das ist unser Ziel. Wie wollen wir dieses erreichen?
Wichtig bei der Frühen Förderung ist der Grundsatz, dass die Familie der
wichtigste Ort der Förderung ist. Deshalb sollen die Angebote auf die
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Bedürfnisse der Familien ausgerichtet, attraktiv und gut zugänglich sein.
Speziell bildungsferne und fremdsprachige Familien sollen besseren
Zugang zu den Angeboten finden.
Wie sieht die frühe Förderung konkret aus?
Ein Beispiel für ein Angebot für Kinder aus fremdsprachigen und
bildungsfernen Familien ist das Projekt Zeppelin (Zürcher Equity
Präventionsprojekt Elternbeteiligung und Integration). Das Projekt
verfolgt zwei Ziele:
Erstens: die Früherkennung von Kindern, die in psychosozial
belasteten Familien aufwachsen.
Zweitens: die intensive frühe Förderung dieser Kinder, um ihre
Bildungschancen langfristig zu erhöhen.
Das Projekt läuft von 2011 bis 2014 und wird mit 252 Familien
durchgeführt. Es handelt sich dabei um junge Familien, die in
mehrfacher Hinsicht belastet sind: mangelnde Integration, psychische
Krankheiten oder Arbeitslosigkeit gehören zu den familiären
Belastungen. Kinder, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, haben
nicht die gleichen Chancen wie andere Kinder, ihr Potential
auszuschöpfen. Wir wissen, dass diese Kinder oft in ihrer Entwicklung
gehemmt oder gestört werden. Um dem vorzubeugen, setzt das Projekt
bereits früh an. Ab der Geburt des Kindes bis zu seinem dritten
Lebensjahr erhalten die Eltern zu Hause Unterstützung und Beratung
von sogenannten Elterntrainerinnen. Diese vermitteln den Eltern Wissen
über die Entwicklung ihres Kindes und sensibilisieren sie für seine
Bedürfnisse. Sie geben ihnen praktische Tipps, wie sie ihr Kind
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aufmerksam begleiten und zum Lernen anregen können. Und sie gehen
auf die spezifische Situation der Familie, ihre Fragen und Unsicherheiten
im Umgang mit dem Kind ein.
Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir die Eltern bewusst
miteinbeziehen und ihre Erziehungs- und Bildungsbemühungen stärken
wollen. Bei Familien aus benachteiligten Verhältnissen braucht es dafür
oft zusätzliche Ressourcen, die über das Grundangebot hinausgehen.
Die fallbezogene Förderung im Projekt Zeppelin ist sehr personalintensiv
und damit teuer. Sie kostet pro Familie und Jahr circa 6400 Franken. Die
Familien tragen keine Kosten. Mit der Chancengleichheit als Ziel vor
Augen, erachten wir dies als eine nötige und lohnende Investition und
erhoffen uns davon zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Als zweites Beispiel möchte ich Ihnen das Projekt Lerngelegenheiten
vorstellen, das sich an alle Kinder richtet. Die Bildungsdirektion möchte
Eltern und Betreuungspersonen in Kindertagesstätten, Tagesfamilien
und Spielgruppen aufmerksam machen, wo überall im Alltag wertvolle
Lerngelegenheiten anzutreffen sind und wie wichtig es ist, dass Kinder
diese Lerngelegenheiten weitreichend nutzen können.
Das Projekt Lerngelegenheiten wird sich nicht über Broschüren an Eltern
und Betreuungspersonen wenden, sondern über 40 Filme von etwa je
zwei Minuten Länge. Die Filme zeigen, welche Lernerfahrungen für
kleine Kinder bedeutsam sind. Die Filme wollen den
„Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und
Erziehung in der Schweiz“ der UNESCO-Kommission für das Kind und
des Netzwerks Kinderbetreuung Schweiz in aussagekräftige Bilder
übersetzen.
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Über die Bildsprache hoffen wir auch bildungsferne Elternhäuser zu
erreichen. Die mündlichen Kommentare zu den Filmsequenzen und die
konkreten Botschaften (Take-Home-Messages) werden in elf Sprachen
übersetzt – von Albanisch bis Tigrinisch.
Damit Familien auf die Filme aufmerksam werden, nutzen wir
niederschwellige Angebote, wie etwa die Mütter- und Väterberatung.
Ein drittes Beispiel ist die Stärkung der frühen Sprachförderung. Für den
Bildungserfolg ist das Beherrschen der Schulsprache entscheidend.
Der Kanton Zürich verfügt mit den Spielgruppen plus über ein Angebot
zur frühen sprachlichen Förderung sozial benachteiligter, meist
fremdsprachiger Kinder. Das Angebot wurde vor sechs Jahren von der
Bildungsdirektion lanciert und hat grossen Zuspruch gefunden.
Unterdessen gibt es rund 40 Spielgruppen in 30 Zürcher Gemeinden.
Die Schulsprache unterscheidet sich von der Alltagssprache dadurch,
dass sie anspruchsvoller und vielfach von Schriftlichkeit geprägt ist. Die
Herausbildung der Bildungssprache beginnt jedoch nicht erst mit dem
Schuleintritt, wenn Kinder Lesen und Schreiben lernen. Schon vorher
erwerben die Kinder die grundlegende Kompetenzen. Insbesondere
fremdsprachige und sozial benachteiligte Kinder starten häufig mit
ungünstigen Voraussetzungen: Ihnen fehlen bei Schuleintritt oftmals die
wichtigen Erfahrungen mit Geschichten und Büchern. Oder sie haben
nicht ausreichend Kontakt mit einer deutschsprechenden Umgebung. In
der Spielgruppe Plus haben die Kinder viele Möglichkeiten, spielerisch
ihre sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern.
Eine nachhaltige Sprachförderung braucht aber noch mehr:
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Sie soll in kleinen Gruppen erfolgen
sie soll früh ansetzen
und so lange weitergeführt werden, wie das Kind Bedarf hat – über
alle Bildungsstufen hinweg
und sie soll an den verschiedenen Lebens- und Lernorten des
Kindes stattfinden: in Spielgruppen, in Kindertagesstätten und
Tagesfamilien.
Aus diesem Grund erarbeiten wir in Zürich eine Strategie zur
Sprachförderung, die alle Bereiche von der Vorschule bis zur
Sekundarstufe II umfasst.
Im Rahmen dieser Strategie sollen die bestehenden
Sprachförderangebote auf ihre Wirksamkeit überprüft und wo nötig
ausgebaut werden. Ein umfassendes Sprachförderkonzept soll auch
eine verstärkte Koordination der Angebote und bessere Abstimmung auf
die individuellen Bedürfnisse der Lernenden ermöglichen. Das gilt für die
gesamte Bildungslaufbahn. Ganz besonderen Wert legen wir aber wie
gesagt auf eine intensive Sprachförderung in der frühen Kindheit, das
heisst auf eine Sprachförderung vor dem Schuleintritt.
Meine Damen und Herren: Das Potenzial der frühen Förderung ist in
unserem Land noch längst nicht ausgeschöpft. Wir müssen uns auf allen
Ebenen, auf jeder Schulstufe und in jedem Schulhaus, um
Chancengleichheit bemühen. Damit komme ich zum zweiten Punkt:
2. Wer Chancengleichheit will, muss gezielt belastete Schulen
und lernschwächere Kinder und Jugendliche unterstützen
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Die PISA-Studie 2009 und unsere Lernstandserhebungen zeigen, dass
die Unterschiede bei den Leistungen während der Schulzeit immer
grösser werden. Die Schere zwischen den starken und den schwächeren
Schülerinnen und Schülern öffnet sich. Dieser Befund stammt zwar aus
Zürich, gilt bestimmt aber auch in anderen Kantonen mit städtischen
Strukturen und einer hohen Heterogenität der Schülerschaft.
Wir haben im Kanton Zürich, wie in anderen Kantonen auch, Quartiere,
in denen vornehmlich Familien in schwierigen sozialen und finanziellen
Verhältnissen wohnen. Die Schulen in diesen Quartieren stehen vor
einer besonderen Herausforderung, wenn es um Chancengleichheit geht
– mehr noch: diese Schulen haben die Aufgabe, die sozial bedingten
Ungleichheiten auszugleichen. Dies ist eine Herkules-, um nicht zu
sagen eine Sisyphusaufgabe. Trotzdem nehmen sich viele Lehrpersonen
täglich mit grossem Engagement und grosser Geduld ihrer an.
Diese „Heldinnen und Helden des Alltags“ verdienen es, in ihrer Arbeit
unterstützt zu werden. In belasteten Quartieren braucht es mehr
personelle Ressourcen. Wie viele Lehrerinnen und Lehrer eine Schule
oder ein Schulkreis zugesprochen erhält, wird im Kanton Zürich nicht
nur nach Anzahl der Kinder errechnet, sondern auch aufgrund eines
Sozialindexes. Konkret heisst das, dass sozial belastete Gemeinden
mehr Stellenprozente für Lehrpersonen erhalten als weniger belastete.
Ausserdem: Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus
fremdsprachigen und sozial weniger privilegierten Familien sind am
Programm „Qualität in multikulturellen Schulen (QUIMS)“ beteiligt. Diese
Schulen – es sind im Moment über 100 im Kanton – führen ergänzende
Massnahmen durch, wie zum Beispiele Leseförderung. Die Schulen
erhalten dafür vom Kanton einen zusätzlichen finanziellen Beitrag sowie
fachliche Unterstützung.
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Trotz dieser Bemühungen bleibt der Weg zur Chancengleichheit
weiterhin steinig und lang. Das haben uns die Ergebnisse von PISA
2009 deutlich gezeigt. Im Kanton Zürich erreichen rund 20 Prozent der
Schülerinnen und Schüler am Ender der obligatorischen Schulzeit die
grundlegenden Ziele im Lesen und in der Mathematik nicht oder nur
knapp. Die OECD bezeichnet sie als Risiko-Gruppe. Wir wollen und
müssen diese Schülerinnen und Schüler noch besser unterstützen und
setzen unter anderem auf folgende Massnahmen:
Wir wollen lernschwächeren Schülerinnen und Schülern mehr Lernzeit in
Deutsch und Mathematik zur Verfügung stellen, damit auch diese
Jugendlichen nach der Schule den Schritt in eine Berufslehre schaffen.
Wir wollen prüfen, wie wir diese Schülerinnen und Schüler ausserhalb
der obligatorischen Schulzeit zusätzlich unterstützen können, zum
Beispiel mit organisierter Aufgabenhilfe, und wir wollen Test- und
Lernsysteme zur Verfügung stellen, mit deren Hilfe die Lehrpersonen
und die Schulleitungen besser und objektiver feststellen können, wo ihre
Schülerinnen und Schüler stehen, um sie dann auch gezielt fördern zu
können. Wer den Übertritt in eine Lehre trotzdem nicht schafft, meistert
diesen Schritt zum Glück oft ein Jahr später dank einem
Berufsvorbereitungsjahr oder vielleicht noch später dank intensivem
„Case Management“. Die Vielfalt von Möglichkeiten führt immerhin dazu,
dass trotz einer Risikogruppe von 20 Prozent, 96 Prozent der
Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine Anschlusslösung finden.
3. Wer Chancengleichheit will, muss für alle die gleichen Ziele
setzen und die gleichen Zugänge ermöglichen.
Wer von gleichen Chancen spricht, braucht auch eine klare
Verständigung darüber, welche Ziele erreicht werden sollen. Wir müssen
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uns darüber verständigen, was die Kinder und Jugendlichen lernen
sollen. Welche Fähigkeiten müssen sie beherrschen, wenn sie die
Schule verlassen?
Zurzeit sind 21 Kantone daran, ihre Lehrpläne abzugleichen. Das Projekt
Lehrplan 21, an dem sich die 21 deutschsprachigen Kantone oder
Kantonsteile beteiligen, soll eine Harmonisierung bringen. Jede
Schülerin und jeder Schüler muss unabhängig vom Wohn- und Schulort
vergleichbare Bildungsmöglichkeiten haben. In einem so kleinen und
dicht besiedelten Land und einem Arbeitsmarkt, der die ganze
Deutschschweiz umfasst, können wir uns allzu grosse Unterschiede
zwischen den Kantonen und Regionen nicht leisten.
In den letzten Jahren haben wir bezüglich Chancengleichheit einiges
gewonnen, indem der Unterricht verstärkt individualisiert wurde und die
Ausbildungsgänge viel durchlässiger geworden sind. Gerade auch in der
dualen Berufsbildung, auf die meine Nachredner ja noch eingehen
werden, haben wir Verbesserungen erzielt.
Aber es gibt auch in anderen Bereichen noch Defizite, die es
auszuräumen gilt. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, das vielleicht
nicht das Gros der Kinder aus sozial-ökonomisch belasteten
Verhältnissen betrifft, das aber die Chancenungleichheit sehr deutlich
macht: Heute ist es so, dass sehr viele sogenannt bildungsnahe Familien
ihre Kinder in Vorbereitungskurse von privaten Bildungsinstitutionen für
die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium schicken, wenn sie es sich
finanziell leisten können. Wer sich das nicht leisten kann, gerät ins
Hintertreffen.
Grundsätzlich sollte diese Vorbereitung im obligatorischen
Schulunterricht stattfindet, aber wer mehr trainiert, hat eben noch
bessere Chancen. Diese sollen künftig von ihrer Schule angeboten und
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durchgeführt werden. Deshalb haben wir dem Parlament den Vorschlag
unterbreitet, dass alle Schülerinnen und Schüler, welche die
Aufnahmeprüfung ans Gymnasium machen wollen, Zutritt zu
Vorbereitungsübungen erhalten. Alle Kinder sollen die Möglichkeit
erhalten, sich auf die Prüfung vorzubereiten, nicht nur jene, deren Eltern
es sich finanziell leisten können. Die Bildungsdirektion hat den Schulen
bereits eine entsprechende Empfehlung abgegeben. Wir möchten diese
Kurse aber an allen Schulen einführen. Der Kantonsrat wird diesen
Frühling in dieser Sache befinden.
Wer Chancengleichheit will, muss sich täglich dafür einsetzen und es
braucht einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass man dieses Ziel
anstreben will. Unsere Bundesverfassung und auch die Verfassungen
der Kantone sind diesem Ziel verpflichtet. Der öffentliche Diskurs geht
manchmal in eine etwas andere Richtung und die Budgets der Kantone
stehen unter Dauerdruck.
Chancengleichheit in der Bildung ist aber nicht gratis zu haben.
Chancengleichheit darf jedoch nicht der ökonomischen Logik
unterworfen werden. Chancengleichheit ist eine Voraussetzung dafür,
dass eine Gesellschaft ihren Zusammenhalt bewahren und Demokratie
gelebt werden kann. Chancengleichheit bedeutet auch Freiheit!
Deshalb müssen wir schon in der Schule die Grundlagen dafür schaffen,
Chancengleichheit zu erreichen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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