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Mediendienst 4 - CARITAS - Schweiz

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Mediendienst 12

5. September 2013

Nachlese zur Diskussion um die Hilfswerk-Löhne

Worauf es bei einer gemeinnützigen Organisation ankommt

Odilo Noti

Die Folgen von illegaler Migration und von Schwarzarbeit

Sozialwaisen in Osteuropa

Peter Staudacher

Friedensverhandlungen in Kolumbien

Entschädigung der Opfer ist zentral

Nadja R. Buser

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.

Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

Download als PDF unter www.caritas.ch/mediendienst (nicht öffentlich zugänglich)


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Nachlese zur Diskussion um die Hilfswerk-Löhne

Worauf es bei einer gemeinnützigen Organisation ankommt

Die Saure-Gurken-Zeit während des Sommers hat der Schweiz mehrwöchige Enthüllungen über

die Rettungsflugwacht (Rega) beschert. Angeschoben wurde die Debatte von der „Weltwoche“.

In ihrem Mittelpunkt stand schliesslich das Salär von Rega-Chef Ernst Kohler. Darüber hinaus

ging es auch um die Löhne der Leiterinnen und Leiter von Hilfswerken. Kritik und Selbstkritik

im Nachgang zu einer öffentlichen Diskussion.

Für sein Salär gab Rega-Chef Ernst Kohler in der TV-Sendung „zehn vor zehn“ eine so genannte

Lohnbandbreite von 250 000 bis 450 000 Franken an. Berücksichtigt man die Boni, so errechneten die

Medien, dürfte sein Einkommen eine halbe Million Franken pro Jahr betragen. Die Rega hat diese

Zahl nie dementiert.

Aus der Sicht der gemeinnützigen Organisationen, die in dieser Angelegenheit befragt wurden, ist ein

derartiger Lohn diskussionslos überrissen. Unschön waren auch die Argumente der Rega-Exponenten,

um das Salär von Kohler zu rechtfertigen. Für die Rega sei eine hohe Professionalität vonnöten. Mit

freiwilligen Helfern, Ehrenamtlichen und mit blossem guten Willen sei da nichts zu machen. Vizepräsident

Franz Steinegger im Originalton: „Man kann doch nicht verlangen, dass die Rega-Mitarbeiter

einen caritativen Lohnabschlag akzeptieren sollten“.

Hohe Qualifikationen verlangt

Stossend sind diese Rechtfertigungsversuche deswegen, weil sie auf Kosten einer ganzen Branche

gehen. Es wird unterstellt, was bei der Rega als topseriöser Organisation nicht in Frage kommt, sei bei

den gemeinnützigen Institutionen gang und gäbe: Da werkeln Freiwillige, Ehrenamtliche und andere

Unprofessionelle vor sich hin. Sie sammeln bloss Spenden und – so Kohler – „geben diese für Projekte

weiter“. Das heisst: Die Gutmenschen der Hilfswerke dilettieren, die Arbeit tun ohnehin die anderen.

Auf diese Weise aber trägt die Rega willentlich zu einem Hilfswerk-Image bei, das insbesondere

im Blick auf die grossen Hilfswerke fern ab von jeder Realität ist.

Die Stiftung ZEWO führte 2011 gemeinsam mit dem Institut für Verbandsmanagement der Universität

Freiburg (VMI) eine Studie zur Vergütung bei Hilfswerken durch, an der sich 320 Hilfswerke mit

Zewo-Gütesiegel beteiligt hatten. In ihrem Fazit hält die Zewo fest: „Die Saläre widerspiegeln auch

die Grösse des Betriebs und die damit verbundene Verantwortung wider. Typischerweise werden bei

grösseren Hilfswerken auch etwas höhere Saläre bezahlt als bei kleinen Organisationen. Nur so lässt

sich das benötigte, qualifizierte Personal finden.“ Die Anforderungen für das Führen einer gemeinnützigen

Organisation, so die Zewo weiter, sei durchaus vergleichbar mit den Anforderungen an eine

Unternehmensführung: „Es werden ähnlich hohe Qualifikationen verlangt.“

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Angemessene Löhne an der Spitze der Hilfswerke

Das Salär des Rega-Chefs lieferte mehreren Zeitungen den Anlass, Umfragen über die Löhne der

Chefs von Hilfswerken zu erheben und zu veröffentlichen. Nach den Zahlen der „Aargauer Zeitung“

reicht die Lohnbreite von 40 667 (Heilsarmee; Wohnung, Dienstwagen und Sozialleistungen nicht

eingerechnet) bis zu 249 000 Franken (Paraplegiker-Stiftung). Das Fazit der Zeitung: Die Leiter beziehen

keine überrissenen Löhne. Sie rangieren im Vergleich zu den Chefs von mittleren und kleineren

Unternehmen am unteren Rand. Das geht nach dem Selbstverständnis gemeinnütziger Organisationen

auch in Ordnung.

Wie es scheint, hält die öffentliche Meinung die Löhne der Hilfswerk-Leiter für angemessen. Jedenfalls

blieb der Sturm der Entrüstung aus, den sich der eine oder andere Journalist vermutlich erhofft

hatte. Es verhält sich damit wie bei den Salären der KMU-Chefs. Sie sind in der Schweiz kein Gegenstand

von Polemiken.

Kritik und Selbstkritik

Dennoch hinterlässt die Sommerloch-Debatte in den Zeitungsspalten gemischte Gefühle. Zum einen

gibt es auf der Agenda der öffentlichen Diskussion entscheidendere Themen als die Hilfswerk-Löhne.

Da wäre durchaus auch eine selbstkritische Haltung der Medien gefragt: Nicht-Themen zu einem Medienhype

hochzuschreiben, dies zeugt von wenig Sachverstand. Wer gesellschaftliche Diskurse mitgestalten

will, sollte sich wesentlicheren Dingen widmen.

Zum anderen sind die Löhne der Geschäftsführer bei weitem nicht das einzige Kriterium, um die Seriosität

und Effizienz eines Hilfswerkes zu bewerten. Beispielsweise wären in der Beurteilung die Grösse

einer Organisation, also etwa die Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder der Umfang der

Projekte und Dienstleistungen, zu berücksichtigen. Wichtig ist auch das Verhältnis von eigentlichem

Projektaufwand einerseits und den Kosten für Administration und Werbung andererseits. Mit anderen

Worten: Es geht darum, wie kostenbewusst und wirkungsorientiert eine Organisation insgesamt arbeitet.

Anlass zur Selbstkritik ist aber die Tatsache, dass Spenderinnen und Spender die Herausforderungen,

mit denen sich ein Hilfswerk konfrontiert sieht, systematisch unterschätzen. Nach den Untersuchungen

der Zewo gehen sie davon aus, dass Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeitende in einer

gemeinnützigen Organisation deutlich geringer sind als in Unternehmen. Das ist jedoch keineswegs

der Fall. Die Arbeit in einer Hilfsorganisation ist heute kein Schokoladenjob, der von Gutmenschen

und Dilettanten wahrgenommen werden kann. Dieser Widerspruch zwischen Branchen-Image und

Branchen-Realität muss den Hilfswerken zu denken geben. Er hängt mit ihrem Auftritt in der Öffentlichkeit

zusammen.

Odilo Noti ist Leiter Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung von Caritas Schweiz; E-Mail:

onoti@caritas.ch; Tel. 041 419 22 70.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Die Folgen von illegaler Migration und von Schwarzarbeit

Sozialwaisen in Osteuropa

Tausende Kinder aus sozial schwachen Familien in Osteuropa leben zwischen Vernachlässigung

und Kinderheim. Die einen wurden von ihren Eltern, die im Ausland arbeiten, zurückgelassen,

die anderen leiden unter Armut und Gewalt in der Familie. Die Sozialsysteme in den osteuropäischen

Ländern ausserhalb der Europäischen Union sind mit der Situation überfordert. Hilfswerke

bemühen sich um moderne Lösungen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen und

unterstützen diese beim Einstieg in ein selbstbestimmtes Leben.

«Land ohne Mütter» nennt der österreichische Filmemacher Ed Moschitz seinen Dokumentarfilm

Mama Illegal (2011), der das Leben moldauischer Frauen in der illegalen Migration in Österreich und

das ihrer zu Hause gebliebenen Kinder beschreibt. Über weite Passagen des Films fühlen sich die Zuschauer

versucht, vor allem wegen der berührenden Szenen, Erklärungen und auch Schuldzuweisungen

zu formulieren, um das Unglaubliche zu verstehen. Da lassen Frauen ihre Familien zurück und

gehen nach Wien, um zu putzen, kommen wieder zurück und nehmen Anstoss an der mangelnden

Sauberkeit ihrer einstigen Behausungen, wie schlecht und geschmacklos diese eingerichtet sind und so

weiter.

Irritiert muss man mit ansehen, wie sich hier Familien über Jahre hin fremd geworden sind; wie Kinder

gelernt haben, mit dem Foto der Mutter und ihrer Telefonstimme zu leben; wie zurückbleibende

Ehemänner depressiv werden, in einer konservativen, an alten Wertbildern ausgerichteten Gesellschaft,

jeglicher Identität als Familienernährer beraubt. Kinder feiern alleine Muttertag, Mama ist dabei

via Skype oder Telefon. Mama Illegal ist kein rührender Film, viel eher eine nüchterne Bilanz, die

zeigt, wohin eine Gesellschaft (die moldauische) geht, wenn sie als Personalpool einer anderen (der

westeuropäischen) funktioniert.

Westeuropa braucht Putzfrauen und Alterspflegerinnen

Eine Million Moldauer lebt und arbeitet im Ausland: in Italien, Spanien, Portugal, Rumänien, im Vereinigten

Königreich, in Deutschland, Österreich, in der Schweiz und in vielen anderen Gastländern.

Diesen Ländern ist gemeinsam dass sie einen hohen Bedarf an Putzfrauen, Kindermädchen sowie an

Alten- und Krankenpflegerinnen haben. Die staatlichen Regelsysteme und die innenpolitische Grosswetterlage

machen aber den geregelten Zuzug von ausländischen Arbeitskräften von ausserhalb der

EU fast unmöglich. Der unvermeidliche Umweg läuft über die illegale Migration, Schlepperei und

organisierte Kriminalität.

Die Vielzahl der Auswandernden, die ihre Familien zurücklassen, sind Frauen. Frauen sind auf dem

westeuropäischen Arbeitsmarkt willkommener, vor allem in den Pflegeberufen gibt es in den überalterten

Gesellschaften Westeuropas einen stetig steigenden Bedarf. Eine Krankenschwester aus Chisinau

verdient zu Hause umgerechnet 200 Franken, im Ausland dagegen 1‘000 Franken, wenn sie «inoffiziell»

eine pflegebedürftige Person in Österreich, Italien oder Deutschland betreut. Solche Engagements

sind Dauerstellen, denn gute Pflegerinnen sind in Westeuropa gesucht und werden gerne weiterempfohlen.

Selten dagegen gibt es ein Happy End und eine «Mama Illegal» kann Mann und Kinder

nachziehen.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Republik Moldau und Ukraine als Brennpunkte

Meist leben sich Familien auseinander, ergeben sich jeweils neue Partnerschaften, diesseits und jenseits

der Grenzen. Viele enden aber auch im Alkoholismus, in Kinderheimen, im sozialen Abseits.

Nicht alle Pflegeeltern sowie freiwilligen und bezahlten Aufsichtspersonen kommen mit der Situation

und den zurückgelassenen Kindern zurecht. Überforderte, alleinerziehende Väter greifen vermehrt zur

Flasche und vergehen sich häufig an den Kindern. Immer wieder kommt es zu schweren Misshandlungen.

Was für die Republik Moldau Gültigkeit hat, ist ebenso in der Ukraine zu beobachten, wo rund drei

Millionen Bürgerinnen und Bürger im Ausland leben und arbeiten. Die Kinder bleiben meist daheim,

das bedingt die illegale Migration. Caritas Ukraine ist das Problem der Ziel- und Antriebslosigkeit der

Kinder von Eltern, die im Ausland arbeiten, längst bekannt. Sie betreibt in fünf Kleinstädten in der

Westukraine Drop-In-Centers für diese Kinder, weil diese häufiger Lernprobleme haben, öfter auffällig

werden und schwerer in Ausbildung und Beruf finden als ihre Altersgenossen, die in regulären

Familienstrukturen mit positiven Rollenbildern aufwachsen.

Sozialsysteme am Bedarf ausrichten

Das Problem der Sozialwaisen in Osteuropa lässt sich nicht allein im Westen lösen, etwa durch breiteren

Familiennachzug, geregelte Austauschdienste für Pflegepersonal aus osteuropäischen Ländern

oder noch restriktiveren Zugang zum Arbeitsmarkt der EU- oder der EFTA-Länder. Es braucht auch

einen Umbau der osteuropäischen Wirtschafts- und Sozialsysteme. An erster Stellen sind reelle Arbeitsmöglichkeiten

in den betroffenen Ländern gefragt, die den Menschen ein Einkommen verschaffen,

das zur Existenzsicherung ausreicht. Insgesamt braucht es Reformen, weniger Korruption und

mehr Effizienz, damit auch ausländische Unternehmen in Osteuropa investieren und Jobs schaffen.

Gleichzeitig müssen das Sozialsystem (in der Republik Moldau gibt es Ansätze) am Bedarf ausgerichtet

werden, moderne Sozialarbeit gefördert und ineffektive staatliche Unterstützungszahlungen nach

dem Giesskannenprinzip aufgegeben werden. So leistet sich die Ukraine noch immer Kinderheime, in

denen ein Kind dem Staat pro Monat rund 500 Franken kostet, sie schafft es aber nicht, eine moderne

Sozialarbeit und Modelle für zeitlich befristete Aussenplatzierungen umzusetzen und so die Situation

sozial schwacher Familien durch gezielte Massnahmen zu verbessern.

In einem Projekt von Caritas Schweiz in der Republik Moldau werden für solche Kinder Gastfamilien

gesucht, aufgebaut und die Qualität der Leistungen kontrolliert. So bleibt hunderten Kindern das staatliche

Kinderheim erspart. Es ginge relativ einfach. Es mangelt vielfach aber am politischen Willen, die

alten Systeme zu demontieren. Gerade in Bildung und Sozialem besteht in der Ukraine, in der Republik

Moldau aber auch in Weissrussland und in der Russischen Föderation der bürokratische Sozialismus

weiter. Die Kader sind zwar jünger, das Denken aber vielfach wie ehedem.

Gemeinsam mit den Behörden die Sozialarbeit reformieren

Caritas Schweiz setzt mit ihre Programmen für die Republik Moldau und für die Ukraine auf die Reform

der sozialen Arbeit und auf praktikable, effektive Projektarbeit, die bereits mittelfristig Resultate

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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zeigt. Dabei arbeitet Caritas nicht gegen die Behörden, sondern versucht, die staatlichen Stellen von

der Sinnhaftigkeit dieser Reform-Arbeit im Sozialbereich zu überzeugen. Die positiven Erfahrungen

dieses Engagements sehen auch die staatlichen Stellen und respektieren die Ergebnisse. Dass eine gute

Gastfamilie besser ist als ein Heim, leuchtet fast jedem ein. Eine zeitlich begrenzte Aussenplazierung

nach pädagogischen und sozialen Qualitätsgrundsätzen, eine Entziehungskur drogen- oder alkoholabhängiger

Erziehungsberechtigter sowie eine enge Begleitung und intensive Beratung der Familien

bringen den betroffenen Kindern mehr als ein Dauer-Heimplatz.

Vielfach mangelt es aber auch am methodischen Rüstzeug, damit der Staat diese Art der sozialen Arbeit

angehen kann. Bei der Vermittlung von Analyse-Fähigkeiten und der Anwendung der passenden

Interventionsmodelle können ausländische Akteure in Osteuropa eine wichtige Rolle spielen. Gerade

Hilfswerke wie Caritas, die über langjährige Erfahrung in der sozialen Arbeit in der Schweiz verfügen,

sind bei der Reform sozialer Arbeit in Osteuropa gefragt.

Peter Staudacher, Programmverantwortlicher Moldau, Ukraine und Russland, Caritas Schweiz; E-

Mail: pstaudacher@caritas.ch, Tel. 041419 22 13.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Friedensverhandlungen in Kolumbien

Entschädigung der Opfer ist zentral

Seit einem Jahr verhandelt die kolumbianische Regierung mit der grössten Guerilla-Gruppe des

Landes, den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc), um den fünfzig Jahre andauernden

internen Konflikt zu beenden. Die Verhandlungsparteien haben bereits wichtige Teilerfolge

erzielt. Die Nachrichten über den Friedensprozess in Kolumbien sind verheissungsvoll. Doch

nur unter Einbezug zusätzlicher Fragen wie der verbesserten Entschädigung der Konfliktopfer

wird ein nachhaltiges Friedensabkommen erfolgreich sein.

Zurzeit verhandelt die kolumbianische Regierung mit den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia

(Farc; Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) über eine Beendigung des seit fünfzig Jahren

andauernden bewaffneten Konflikts. Erste Vorgespräche über mögliche Friedensverhandlungen mit

der zweiten Guerilla-Gruppe, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN, Ejército de Liberación Nacional),

fanden bereits statt.

Zur Verhandlung stehen Fragen der Agrarreform, der politischen Partizipation, Modalitäten zur Beendigung

des Konflikts und zur Entschädigung der Opfer. In der Frage der Agrarreform haben die Verhandlungsparteien

eine wichtige Übereinkunft erzielt. Der Abschluss des zweiten Verhandlungspunktes,

das Problem der politischen Partizipation, wird für September oder Oktober dieses Jahres erwartet.

Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen in Havanna statt, und die Öffentlichkeit wird

über die Einzelheiten des Abkommens erst informiert, wenn das Gesamtpaket zu Ende debattiert ist.

Viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer wünschen sich einen Abschluss des brutalen und langjährigen

Konflikts. Trotzdem herrscht grosse Skepsis darüber, ob der Abschluss eines Friedensabkommens

wirklich ein Leben in Frieden bedeuten wird. Um dies zu erreichen, müssten die Regierung und

die Farc zusätzliche Aspekte in die Friedensverhandlungen mit einbeziehen.

Stimme der Zivilgesellschaft hören

Die Forderung der Farc nach einer Teilnahme der Zivilgesellschaft wurde von der Regierung nicht

akzeptiert. Sie beharrte auf dem Prinzip vertraulicher Verhandlungen. Stattdessen hat die Regierung

die Universidad Nacional und die Vereinten Nationen im Rahmen ihres Entwicklungsprogrammes

(UNDP) damit beauftragt, 18 regionale Foren zu den einzelnen Themen zu veranstalten, die im Rahmen

der Friedensverhandlungen diskutiert werden. Bis anhin haben rund 3000 zivilgesellschaftliche

Organisationen mehr als 1000 Vorschläge zur Agrarreform und zur politischen Partizipation erarbeitet.

Unklar bleibt indessen, wie und in welchem Masse diese Vorschläge ins Gesamtpaket der Friedensverhandlungen

integriert werden. Es sollte den verhandelnden Parteien ein wichtiges Anliegen sein,

die Stimme und Bedürfnisse der Zivilgesellschaft zu hören und zu berücksichtigen. Nur so können sie

sicherstellen, dass der verhandelte Frieden von der breiten Bevölkerung getragen wird.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Die Entschädigung der Konfliktopfer muss verbessert werden

Ein zentraler Teil in jedem Friedensprozess bilden die Modalitäten der Entschädigung. Die Regierung

Santos hat mit dem seit Januar 2012 in Kraft getretenen Opfer- und Landrückgabegesetz bereits einen

wichtigen Schritt in Richtung Wiedergutmachung getan. Das Gesetzespaket regelt die finanzielle Entschädigung

für die Opfer des Konflikts und sieht Massnahmen für die Landrückgabe an diese vor.

Ein innovativer Ansatz ist in diesem Zusammenhang die Pflicht des aktuellen Landbesitzers, den

rechtmässigen Erwerb des Grundstückes gegenüber einem Kläger nachzuweisen. Liegt dieser Nachweis

nicht vor, werden vom Staat Schritte unternommen, um das Grundstück dem Kläger zurückzugegeben.

Dieses Gesetz ist ein entscheidender Schritt zugunsten von Konfliktopfern, die von ihren

Grundstücken vertrieben wurden. Die Regierung Santos sollte aber darauf bedacht sein, die von Menschenrechtsorganisationen

kritisierten unvollständigen Regelungen der Anspruchsberechtigung anzupassen

und genügend finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stellen, damit das Gesetz

tatsächlich umgesetzt werden kann.

Kriegsverbrechen dürfen nicht straflos bleiben

Beiden Verhandlungsparteien ist klar, dass während des seit Generationen andauernden Konflikts von

allen Seiten Gewaltverbrechen an der Zivilbevölkerung verübt wurden. Das Thema der Übergangsjustiz

spielt dabei eine zentrale Rolle. Für die von der Farc begangenen Verbrechen darf keine Straflosigkeit

bestehen, selbst wenn die Guerilla-Gruppe eine offizielle politische Partizipation anstrebt. Auch

die kolumbianische Armee hat während des Konflikts Gräueltaten an der Zivilbevölkerung begangen,

die zwingend strafrechtlich verfolgt werden müssen.

Eines der Beispiele ist die vom ehemaligen Präsidenten Uribe geduldeten Strategie der „falschen Positiven“:

Unschuldige Zivilisten wurden gezielt von der Armee getötet, um sie dann der Presse als getötete

Farc-Rebellen zu präsentieren. In diesem Zusammenhang hat die Regierung einen umstrittenen

Gesetzesrahmen verabschiedet, wodurch der Militärjustiz eine grössere Rolle bei der Strafverfolgung

eingeräumt wird. Die nationale und internationale Zivilgesellschaft hat das Vorgehen der Regierung

unmissverständlich kritisiert, und das kolumbianische Verfassungsgericht prüft das Gesetz auf seine

Verfassungskonformität hin.

Menschenrechtsexperten sind überzeugt: Die beiden Verhandlungsparteien sollten die Wichtigkeit des

Rechts auf Wahrheit der Zivilbevölkerung anerkennen und ein geeignetes Gleichgewicht zwischen

Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung für die Opfer des Konflikts finden. Dabei müssen sie

internationale Standards einhalten.

Die sozialen Unterschiede in Kolumbien verringern

Der Weg zu einem nachhaltigen Frieden, der auch von der Zivilbevölkerung getragen wird, ist alles

andere als einfach. Die grossen sozialen Unterschiede, vor allem der Graben zwischen Stadt und Land,

werden auch nach einem erfolgreichen Friedensabkommen weiterhin bestehen. Diese Unterschiede

bilden jedoch armutsbedingte Konfliktpotenziale und kurbeln illegale Aktivitäten wie den Drogenhandel

an. Sie dienen auch der Finanzierung der Guerilla und krimineller Banden.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013


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Die Konfliktparteien sehen vor, dass gezielte politische Strategien für die Armutsreduktion und die

Verringerung der sozialen Ungleichheit entwickelt werden sollen. Erhebliche Investitionen in den

Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur sind nötig – ebenso Arbeitsbeschaffungsmassnahmen

und alternative Arbeitsmärkte zum Drogenhandel. Nur so erlangt Kolumbien einen nachhaltigen Frieden.

Es ist dies auch der einzige Weg, um die Wiederkehr der Spirale der Gewalt zu verhindern.

Caritas-Engagement in der Friedensförderung

Auch Caritas Schweiz engagiert sich in verschiedenen Bereichen. So unterstützt sie ein Friedensförderungsprojekt,

das die Zivilgesellschaft in den Dörfern und Regionen in den Stand versetzt, Vorschläge

für einen nachhaltigen Frieden und für ein friedliches Zusammenleben zu erarbeiten. Weiter trägt sie

ein Programm mit, das bedrohte Menschenrechtsverteidiger im Inland und im Ausland schützt.

Schliesslich werden intern Vertriebene durch gezielte Beratungen unterstützt, damit sie ihre Rechte

einfordern können.

Nadja R. Buser ist Programmverantwortliche Kolumbien, Caritas Schweiz; E-Mail:

nbuser@caritas.ch, Tel. 041 419 23 17.

Caritas Schweiz, Mediendienst 12, 5. September 2013

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