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Heft 1 (2011) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV

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Organ der<br />

<strong>Interessengemeinschaft</strong><br />

<strong>deutschsprachiger</strong><br />

<strong>Autoren</strong> e. V.<br />

aktuell<br />

I G d A -<br />

ISSN 0930-7079<br />

35. Jahrgang <strong>2011</strong><br />

Ausgabe 1<br />

Einzelheft € 4.-<br />

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik


inhalt<br />

impressum<br />

EDITORIAL<br />

Othmar Seidner S. 3<br />

LYRIK S. 4<br />

Eine Welt, in der ein Neuanfang<br />

möglich ist<br />

W. Klevinghaus: Vision<br />

C. Scheel: Wolkenlicht<br />

E. Erxleben: Anderswo<br />

H. Wolff: Nahe Ferne<br />

G. Weber-Wassertheurer:<br />

Jahrelang<br />

G.M. Lange: Palmsonntag<br />

Vom Aufbegehren, über die<br />

Dächer flanieren und neuen<br />

Frühlingen<br />

W. Riedel: Unbehagen<br />

J.K. Kuppe: Ohne Titel<br />

A. Genkin: Kuckucks Ei<br />

T. Rackwitz: Für S. (V)<br />

A. Hoffmann: Ohne Titel<br />

G. Jaeckel: Erdkröte und Große<br />

Landkrabbe<br />

G. Hühn-Keller: Das<br />

euophorische Endlosgedicht<br />

PROSA S. 8<br />

G. Franze: Dolce Vita;<br />

J. N. Al-Nemri: Lila<br />

D. E. Gries: Komm, Bruder, Tanz<br />

mit mir<br />

E.-M. Klein: Greta Garbo -<br />

Mensch und Mythos<br />

H. Knoll: Ni Tienda, Ni Cueva<br />

(Keine Zeit, keine Höhle)<br />

W. Klevinghaus: Spassiba<br />

A.M. Sauseng: Demenz<br />

T. A. Oldridge: Auf Nimmerwiedersehen<br />

ESSAY S. 18<br />

W. A. Faust: Melodie und Komposition<br />

J. K. Kuppe: Die Farbe Blau - Teil I;<br />

M. Andreotti: 10 Kriterien für ein<br />

zeitgemässes Gedicht<br />

Vorstandswahlen <strong>2011</strong> S. 23<br />

IGdA<br />

Aktivitäten der<br />

Mitglieder S. 25<br />

Nachrufe S.26<br />

Traute Bühler-Kistenberger<br />

Barbara Sucher<br />

Bücherschau S. 27<br />

Angelika Gausmann: Simonetta<br />

Krako, Helga Thomas<br />

Irmtraut Ter Veer: Ithaka wartet -<br />

Gedichte, Nachklang aus Griechenland<br />

Angelika Zöllner<br />

Andrea Martina Graf / Brigitte<br />

Meyer: Die Entsorgung von all<br />

dem Zeugs; Sprechoper für zwei<br />

Stimmen und Cello<br />

Christiane Mattes<br />

Service/Wettbewerbe S. 32<br />

Angelika Zöllner<br />

Neue Mitglieder S. 36<br />

Leserbriefe S. 36<br />

Renate Weidauer<br />

Mein Lieblingsbuch S. 37<br />

J.K.Kuppe über Hermann Hesse:<br />

Kindheit des Zauberers<br />

und Joel bin Izzy: Der Geschichtenerzähler<br />

oder das Geheimnis<br />

des Glücks<br />

W. Volka über Antoine de Saint-<br />

Exupery: Wind, Sand und Sterne<br />

Mit spitzer Feder<br />

betrachtet S. 39<br />

Georg Walz<br />

Redaktion der IGdA-aktuell:<br />

Angelika Zöllner (Lyrik, Service und<br />

Kleines Feuilleton)<br />

e-mail: angelika.zoellner@gmx.de<br />

Renate Weidauer (Lyrik und<br />

Leserbriefe)<br />

e-mail: r-r.weidauer@freenet.de<br />

Gaby G. Blattl (Prosa und Essay)<br />

e-mail: gabyblattl@chello.at<br />

Georg Walz (Mit spitzer Feder …)<br />

e-mail: georgwalz@web.de<br />

Anschrift der Redaktion :<br />

IGdA-aktuell<br />

Angelika Zöllner<br />

Imkerweg 11, 42279 Wuppertal<br />

Tel: 0049-(0)202/526512<br />

Layout: Georg Walz<br />

Cover: Georg Walz<br />

Grafiken / Bilder: George<br />

Druck: Druckerei Meyer, Scheinfeld<br />

IGdA-aktuell erscheint viermal pro Jahr:<br />

Einzelpreis € 4.-zzügl. Porto<br />

Doppelnummer € 8.- zzgl. Porto<br />

Abonnement: € 21.-/Jahr<br />

Alle Rechte an den Beiträgen liegen<br />

bei den <strong>Autoren</strong>. Nachdruck nur mit<br />

ausdrücklicher Genehmigung der Urheberrechthaber.<br />

Namentlich gezeichnete<br />

Beiträge geben die Meinung der <strong>Autoren</strong>,<br />

nicht unbedingt die der Redaktion wieder.<br />

ISSN 0930-7079<br />

1. Vorsitzender: Othmar Seidner<br />

A-1020 Wien<br />

Handelskai 224/5/9/59<br />

e-mail: othmar-seidner@chello.at<br />

Tel: 0043-(0)0431/9252565<br />

Geschäftsstelle: Gaby G. Blattl<br />

A-1230 Wien<br />

Anton-Baumgartnerstr. 44/C3/2503<br />

e-mail: gabyblattl@chello.at<br />

Tel: 0043-(0)0431/9671024<br />

Schatzmeister: Dr. Volker Wille<br />

D-30659 Hannover<br />

Platanenhof 23<br />

e-mail: adl.wille@t-online.de<br />

Tel: 0049-(0)511/652823<br />

Bankverbindung:<br />

Postbank Hannover, BLZ: 250 100 30<br />

Konto: 102088-302<br />

IBAN DE50 2501 0030 0102 0883 02<br />

BIC PBNKDEFF<br />

Kleines Feuilleton S. 24<br />

Angelika Zöllner<br />

IGdA-Aktuell wird auf chlorfrei gebleichtem<br />

Papier gedruckt.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 2


editorial<br />

Liebe Mitglieder der IGdA !<br />

Sie werden sich denken: schon wieder der 1.Vorsitzende, der das Editorial verfasst.<br />

Wenn Veränderungen anstehen, muss ich als der 1.Verantwortliche Ihnen dies mitteilen und gleichzeitig<br />

den Grund dafür angeben.<br />

Diese „igda-aktuell“, die Sie in Händen halten, ist eine „Zwischenlösung“. Unsere Geschäftsführerin<br />

Gaby Blattl hat die Fertigstellung der „igda-aktuell“ bei der JHV 2010 abgegeben. Da der Vorstand<br />

zunächst niemanden finden konnte, der die Zeitung machen wollte, hat sich unser Vorstandsmitglied<br />

(Beisitzer) Georg Walz bereiterklärt, diese eine Nummer fertig zustellen. Da Georg aus terminlichen<br />

Gründen die Folgeausgaben der „igda-aktuell“ nicht weiter layouten kann, übernimmt ab der<br />

kommenden Ausgabe - Nummer 2/<strong>2011</strong> - unsere 2.Vorsitzende, Frau Gabriela Franze diese<br />

ehrenamtliche Aufgabe.<br />

Ich hoffe sehr darauf, dass wieder Ruhe in die Redaktion einziehen wird und die Damen Angelika<br />

Zöllner (Lyrik, Service, Kleines Feuilleton), Frau Renate Weidauer (Lyrik und Leserbriefe) und Frau<br />

Gaby Blattl (Prosa und Essay), in unser aller Interesse, weiterarbeiten können.<br />

Weitere Anliegen des Vorstandes sind die anstehenden Vorstandwahlen in diesem Jahr. Meldungen<br />

zur Mitarbeit im Vorstand und Vorschlag geeigneter Kandidaten bitte an Frau Gaby Blattl,<br />

Geschäftsstelle (beachten Sie bitte hierzu auch die Seite 23 der vorliegenden Ausgabe der igdaaktuell)<br />

und vergessen Sie nicht das pünktliche Einzahlen des Mitgliedbeitrages (Kassenwart Herr<br />

Dr.Volker Wille).<br />

Erlauben Sie mir, Sie noch mal auf unser IGdA-Treffen im Fruühjahr in Berlin, vom 09.Juni bis<br />

zum 12.Juni <strong>2011</strong>, hinzuweisen. Hotels sind bei Herrn Hengsbach-Parcham oder Frau Karin Mancke<br />

anzufragen oder direkt im Internet (zB. HRS oder andere Hotelreservierungservices) vorzunehmen<br />

und selbstständig zu buchen.<br />

Ich hoffe, Ihnen alle wichtigen Neuerungen mitgeteilt zu haben. Weiterhin ersuche ich Sie alle, von<br />

Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und nicht zu vergessen, dass unsere Jahreshauptversammlung<br />

(JHV) in diesem Jahr, vom 22.September bis 25.September, in Volkenroda im Kloster statt findet.<br />

Der Vorstand würde sich sehr freuen, in diesem Jahr zahlreiche Mitglieder begrüßen zu dürfen.<br />

Anmeldungen und Reservierungen hierzu bitte bei Frau Petra Arndt (Tel.-Nr.: 03602-552739 für<br />

Deutschland oder 0049-3602-552739 für Österreich ) oder direkt im Kloster Volkenroda bei Frau<br />

Eva-Maria Michel ( Tel.-Nr.: 03602-55590) vornehmen.<br />

Ihr<br />

Othmar Seidner<br />

(1.Vorsitzender)<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 3


lyrik<br />

eine Welt, in er ein Neuanfang möglich ist<br />

Wilma Klevinghaus, Erkrath<br />

Vision<br />

Ich sah eine Welt<br />

ohne Angst und Gewalt –<br />

eine Welt<br />

in der das Lächeln der Verachteten<br />

die Spötter schweigen lässt –<br />

eine Welt<br />

in der das Verzeihen der Gequälten<br />

die Peitschen ihrer Peiniger<br />

zerbricht –<br />

eine Welt<br />

in der Neuanfang möglich ist<br />

weil das Wort Rache starb –<br />

Ich erwachte und sah:<br />

Es war nur ein Traum...<br />

Den Traum begrabend<br />

in meinem Herzen<br />

blickte ich um mich und sah<br />

einen Bettler<br />

sein kümmerliches Brot<br />

und den Rest<br />

seines billigen Fusels<br />

mit einem andern teilen –<br />

und mein Traum<br />

ward zur Hoffnung.<br />

Cordula Scheel, Hamburg<br />

Wolkenlicht<br />

Der Tag gefüttert<br />

zur Nacht feuerrot<br />

der Himmel<br />

ein gutes Omen<br />

da<br />

die Klauensignatur<br />

mein Nackenhaar<br />

sträubt sich<br />

hinterrücks dunkel<br />

Nachtmahre?<br />

Eilig erdenke ich<br />

ein Wolkenschaf<br />

viele helle<br />

wollige Wolkenschafe<br />

wunderbar warm<br />

um mich<br />

Sonnenuntergangslicht<br />

beruhigend<br />

irrational<br />

leichter Schafgeruch.<br />

Eckhard Erxleben, Osterburg<br />

anderswo<br />

dort in jenem<br />

land knarren die<br />

mühlen und treiben<br />

mit hölzernen flügeln<br />

den wind an dort<br />

dreht mühsam das<br />

wasserrad und schleppt<br />

den fluss durch<br />

die landschaft<br />

hier aber<br />

treibt mich der wind<br />

und auf den füßen<br />

gleiten blaue blüten<br />

irgendwohin<br />

dass etwas beginnt.<br />

(Aus ‚Traumlese’, Neues Literaturkontor, Münster).<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 4


lyrik<br />

Hannelore Wolff, Duisburg<br />

Nahe Ferne<br />

Unerlässlich fallen Augenblicke<br />

Aus den Stunden<br />

Entwirren die Rück-Sicht<br />

Färbt Nachhall dumpfes Gestein<br />

Nachtverzweigte Schritte<br />

Schnüren mir ein Traumpaket<br />

Wegverzaubern schlafenstrunken<br />

Die Entgegnung ferner Tritte<br />

Widerhall aus filigranen Wipfeln<br />

Fußunter sprüht ein Lied<br />

Schattenblicke schreiten<br />

Durch entrückte Nähe.<br />

Grete Weber-Wassertheurer,<br />

Bad Herrenalb<br />

Jahrelang<br />

liefen wir uns<br />

die Sohlen wund<br />

an der Mauer.<br />

Die Köpfe dröhnten<br />

vom Rückprall der Worte.<br />

Rau blieben die Steine.<br />

Plötzlich gab es Hände,<br />

Lachen und Tränen,<br />

die Welt wurde grenzenlos.<br />

Bruder rufen wir,<br />

hüllen den Mantel<br />

jedoch enger um uns<br />

uns sagen:<br />

Es fehlt uns das Schwert<br />

ihn zu teilen.<br />

Gabriele-Maria Lange, Pforzheim<br />

Palmsonntag<br />

Der alte Mond<br />

rundet und füllt seine Zeit<br />

in der Nacht der Ruf<br />

zwischen gestern und morgen<br />

es ist ein Kampf<br />

um einen neuen Weg<br />

Aufbruch einer neuen Frucht<br />

unter Schmerz<br />

noch schillern die Farben<br />

im Jubel der Menge<br />

doch schon morgen<br />

wird diese verhöhnen<br />

noch klingt ein Lied<br />

während der schrille Schrei<br />

des Verrats<br />

unbemerkt lauert<br />

noch ist Leben dort<br />

wo der Tod<br />

das Zeichen gesetzt<br />

DU<br />

BIST LEBEN<br />

auch auf dem Weg des Todes<br />

DU BIST<br />

LEBEN<br />

auch heute<br />

in uns.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 5


lyrik<br />

Vom Aufbegehren, über die Dächer flanieren und neuen Frühlingen<br />

Wilhelm Riedel, Groß Zimmern<br />

Unbehagen<br />

Mein Wunsch<br />

glücklich zu sein:<br />

Das ist die geheime<br />

Verschwörung<br />

gegen Gottes Werk.<br />

Meine Gier<br />

mich mit Freude zu füllen:<br />

Das ist das Aufbegehren<br />

gegen den Schöpfer<br />

der wirklichen Welt.<br />

Mein Kampf<br />

gegen das Leid:<br />

Das ist der Tod<br />

des Geistes,<br />

dem alles entsprang.<br />

Johanna Klara Kuppe,<br />

Waiblingen<br />

abhanden gekommen im<br />

wolfsmond sind die<br />

abgenommenen flügel<br />

wünschelrute<br />

nistet kälte im<br />

leintuch aus fahlem<br />

gelächter ameisen<br />

sägen am pappelblatt.<br />

Angelika Genkin, München<br />

kuckucks ei<br />

heiter<br />

haus‘ ich<br />

heut‘<br />

bei dir<br />

und<br />

sollt‘ ich<br />

jäh<br />

verloren<br />

geh‘n<br />

so<br />

trüg‘ mich<br />

deiner küsse<br />

wohnlichkeit<br />

gewiss<br />

ins nest<br />

zurück.<br />

Thomas Rackwitz, Berlin<br />

Für S. (V)<br />

wir haben uns im staub geliebt, im staub.<br />

das dunkel zwischen uns war aufgeweicht<br />

und was wir fühlten, machte uns ganz leicht.<br />

der meerwind rauschte an dem raum<br />

vorbei (der war), doch weder leis noch laut<br />

noch trocken oder feucht. nur unvertraut.<br />

wir ruhten fern der wellen. unerreicht.<br />

und weil wir fühlten, wurde uns ganz leicht.<br />

wir haben uns im staub geliebt, im staub,<br />

weil nichts ansonsten unsrer liebe gleicht:<br />

gestaltlos, haltlos, brüchiger als schaum.<br />

wir haben uns im staub geliebt, im staub.<br />

Astrid Hofmann, Alteiselfing<br />

ich möchte mit dir über dächer flanieren<br />

auf strommasten klettern und den himmel<br />

berühren<br />

auf hauchdünnen sonnenfäden balancieren<br />

und dich behutsam über glitzernde eisplatten<br />

führen<br />

es wird warm sein und frühlingsnah<br />

luftklar und hell<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 6


lyrik<br />

und die vögel werden ein lied davon singen<br />

und der bach wird sich berauschen<br />

und die wiesen sich erfrischen<br />

und die schwäne sich beflügeln<br />

und die liebe sich verlieben<br />

in den himmel und sich selbst<br />

Gerda Jaeckel, Bottrop<br />

a) Erdkröte<br />

Hervorgelockt vom ersten<br />

Grün entschlüpft dem braunen<br />

Tang umspült vom brackigen Sumpf<br />

bläht aus mit pfeifenden Tönen<br />

tanzende Wasserblasen füllt die<br />

Schilfufer auf tiefgrünblauen<br />

Grund.<br />

b) Große Landkrabbe<br />

Überwindet Ufer Wege<br />

Zieht quer ihre Scheren<br />

überwindet Felsen im Fall<br />

lässt sich Woge um Woge<br />

forttragen.<br />

(aus dem Zyklus: An die Zukünftigen, Bilder für einen<br />

Traum)<br />

Gaby Hühn-Keller, Friedberg<br />

Das euphorische Endlosgedicht<br />

Es hätte nicht<br />

Anfang noch Ende gehabt<br />

Am liebsten wären<br />

die nimmersatten Wörter<br />

übereinander gepurzelt<br />

die Hirngespinste<br />

mitten in die Träume gefallen<br />

Verwickelt in immer<br />

neuen Abenteuerspielen<br />

hätte alles geklappt<br />

Unaufhaltsam wär es<br />

erfolgreich weitergegangen<br />

siegreich und schön<br />

Der Glaube wäre gewachsen<br />

an eine immer bessere Welt<br />

nie die Hoffnung geschwunden<br />

Von schlechten Nachrichten<br />

hätten wir nie gesprochen<br />

das verdirbt nur den Tag<br />

ist größtenteils Zeitungsgeschwätz<br />

Wenns nur so weiter geht<br />

notfalls in einer Endlosschleife<br />

bis in alle Ewigkeit<br />

in jedermanns persönliche<br />

unendlich glückliche Ewigkeit...<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 7


Prosa<br />

Gabriela Franze, Köln<br />

Dolce Vita<br />

Ich bin im Grunde kein Süßschleck. Immer, wenn<br />

ich zwischen Bratwurst und Schokolade wählen<br />

soll, dann gewinnt die Wurst. Die Katastrophe<br />

nimmt nur dann ihren Lauf, wenn ich zwischen<br />

besagter Wurst und einer Riesenportion Speiseeis<br />

wählen soll. Sich hier für die Wurst zu entscheiden,<br />

wäre Wahlbetrug. Wahlbetrug deshalb, weil es<br />

keine echte Wahl ist. Das Eis gewinnt immer,<br />

ausschließlich.<br />

Die Frage ist nicht „Eis oder kein Eis“, sondern<br />

„Schoko oder Vanille?“ Am besten beides. Da<br />

gibt es auch noch Malaga. Jeder Gourmet wird<br />

sofort zustimmen, dass Schoko und Vanille ohne<br />

Malaga keinen Sinn ergeben. Am Ende fehlt nur<br />

noch das Tüpfelchen auf dem „I“, das gewisse<br />

Etwas, das der Komposition ihren Chic verleiht:<br />

Minze! Nicht als Blatt, sondern in Kugelform<br />

und möglichst kalt.<br />

Wo bekommt man das? Genau! Auf zum Italiener!<br />

In Sachsen heißen die Italiener überwiegend<br />

Thomas, Mike und Ronny. Oder so ähnlich.<br />

Sie packen die figurmordende Mixtur mit<br />

Pokerface in die größte verfügbare Eistüte,<br />

sagen „Vier-achtzig“, geben das Wechselgeld<br />

heraus und bedienen sauertöpfisch den nächsten<br />

Kunden. Das Eis ist gut. Den Rest nimmt<br />

man in Kauf. Dieselbe Atmosphäre herrscht<br />

beim Kauf eines Sackes Portlandzement.<br />

Unvermittelt packte mich das Leben im Genick<br />

und ich setzte mich in der nördlichsten Stadt<br />

Italiens ab, in Köln.<br />

Anbieter meiner favorisierten Komposition<br />

habe ich in Rekordzeit und trotz Nässe und<br />

winterlichen Temperaturen ausfindig gemacht.<br />

Sie hießen in Köln überwiegend Giovanni und<br />

waren nur unmerklich größer als ich, was mich<br />

sofort für sie einnahm. Jeder der Giovannis besaß<br />

fünfundachtzig Zähne. Alle oben. Schwarze<br />

Augen, noch schwärzere Haare und Charme,<br />

der ohne Carl von Linde und seinen elektrischen<br />

Kühlschrank das Eis sofort zum Schmelzen<br />

gebracht hätte.<br />

„Praego, bäääl-la Signora! Wasse kanne ische<br />

füre Sie tune?“<br />

Musik in meinen Ohren! Die Vorfreude auf den<br />

Eisgenuss wurde gekrönt durch das erhebende<br />

Gefühl, innerhalb eines Lidschlages zwanzig<br />

Jahre jünger geworden zu sein und keinerlei<br />

Sorgen mehr zu haben.<br />

Ich hole tief Luft und zähle auf: „Zwei Kugeln<br />

Schoko, zwei Vanille. Zwei Malaga und … oder<br />

doch nicht. Das reicht.“<br />

„Wegen der Kalorien…“, füge ich entschuldigend<br />

hinzu.<br />

„Abere ische biiit-te sie, Bäääl-la Signora,<br />

bei Ihrere Figure könnene Sie siche aaal-les<br />

erlauben!“<br />

Im Nu fühlte ich mich auch noch zwanzig Kilo<br />

leichter.<br />

Dieser Schlawiner! Natürlich durchschaue ich<br />

ihn. Jede Frau durchschaut das sofort!<br />

Es funktioniert dennoch.<br />

„Also gut, bitte noch zwei Minze obendrauf.“<br />

„Biiit-te sääähr, bäääl-la Signora“, überreicht<br />

er mir die Heldenportion mit unnatürlichem<br />

Schwung, der nicht einstudiert ist.<br />

„Machte achte Euro, praego.“<br />

Ich fühle mich schlagartig wieder genauso alt<br />

wie ich bin und die ewig bekämpfte Rolle an der<br />

Körperstelle, die ich um keinen Preis der Welt,<br />

auch nicht unter schärfster Folter, nennen würde,<br />

wächst bereits beim Betrachten der Bombe.<br />

Komisch: In Sachsen habe ich es häufiger<br />

geschafft, an Eisverkäufern vorbeizugehen …<br />

Jonas Navid Al-Nemri, Freiburg<br />

Lila<br />

Sie fragt, ob dieses Ende etwas Geschriebenes<br />

ist. Lila, die Hochgeborene, sieht sich von einem<br />

Schreiber an diesem Ort gefesselt. Er hat sie<br />

bedrängt, bezwungen. Seine Feder hat ihr Dasein<br />

gezeichnet. Ihr Leben: kurze Zeilen verwischter<br />

Tinte.<br />

Jetzt war sie Spitze eines toten Hauses und Auge<br />

einer toten Stadt. Hinter sich ein altes Leben, ein<br />

Scheitern. Wände und Glas rahmen es ein. Noch<br />

kann sie es wenden, ihren Blick von den fernen<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 8


Prosa<br />

Dächern lösen, sich losreißen von der Klamm,<br />

der Tiefe. Während ein Wind ein paar Strähnen<br />

löst, wagt sie noch einmal das Zimmer zu<br />

erkennen, das dort lauert, das dort lockt. Es will<br />

sie erweichen, mit schwarzer lederner Zunge, mit<br />

Seide und Erhabenheit. Dahinter die Bildnisse<br />

derer, die ihr noch immer Liebe heucheln, sie<br />

küssen, mit falschen Lippen und trösten, mit<br />

falschem Rat. Dort, unter Decken, glaubt sie ihren<br />

Schlaf zu wissen, der sich versteckt, seit so vielen<br />

Zeiten. Jetzt taucht er auf, der Schwerenöter, hebt<br />

die Daumen und lädt sie ein. Sie schwankt, dreht<br />

den Kopf und zieht noch einmal den letzten Atem<br />

ihres Gefährten, bevor er fällt. Seiner Glut folgt<br />

sie, bis die Dämmerung unter ihr, ihn vollends<br />

verschluckt.<br />

Allein. Gerne hätte sie ihren Schatten getröstet,<br />

doch sie kann ihn nicht greifen, in dieser<br />

mondlosen, duftlosen Nacht. Hässliche Lichter in<br />

der Ferne, nur irgendwo sieht sie ein Dunkel, in<br />

das sie sich flüchtet. Dort sieht sie sich wandeln.<br />

Und ihr gehen sieben Monde auf, sieben Sicheln<br />

über finsteren Fels. Alles Häuserne wird steinern,<br />

ihre Füße münden im Fallen. Kein Gewand auf<br />

goldener Haut. Hölzerne Locken befreien sich,<br />

stürmen auf. Ihre Worte enden hier.<br />

Ihr Hauch wird weicher. Lila, die Gefallene,<br />

sie zögert. Es schleichen sich Stimmen heran,<br />

flüsternd, dumpf. Mit ihnen der Fremde. Er<br />

nähert sich, wird nahe. Sie will ihn befragen, über<br />

sein Eindringen, über sein Unterwartet – und<br />

Erwünschtsein. Doch hat sie hier weder Stimme<br />

noch Laut. Hier, unter den Monden, ist sie still.<br />

Der Fremde umgibt sie nicht, nimmt sie nicht<br />

ein. Er steht gleichauf, betrachtet die Fallende –<br />

betrachtet sie, ohne Unterlass.<br />

Sie wird nicht weichen, sie wird standhalten. Kein<br />

Schreibender wird sie erhaschen, kein Fremdling<br />

sie fangen.<br />

Es ist ihr Sprung, ihr Emporsteigen, ihr<br />

Eintauchen: wenn ich nicht glaubte? Der Nahende<br />

lächelt, bewegt seine Lippen, schemenhaft,<br />

träumend. Seine Stimmen gleiten wie Nebel,<br />

berauschen und benetzen sie. Sie erahnt seine<br />

Worte, neigt ihr Gesicht. Er ist nicht gekommen,<br />

um sie zu stützen, nicht, um sie zurück zu reißen.<br />

Er nennt es nicht Schande, nennt es nicht Sünde.<br />

Seine Hand bemerkt sie spät, sieht, wie sie ihren<br />

Arm umfasst. Gelähmt, gehalten ehrt sie nicht<br />

ab. Über ihr, die Monde. Sie fließen zusammen,<br />

erreichen sich, gehen ineinander unter und<br />

gebären ein Licht. Sie muss nicht mehr denken<br />

in Haus und Berg, sie sieht keine Linien mehr.<br />

Nichts hält das Gesehene beisammen. Es zerfällt,<br />

was zerfallen will. Sie sucht ihre Stimme, findet<br />

ihren Schrei: nur noch den Tod. Der Umfassende<br />

stillt sie, Lila, die Geweihte: lass ihn uns finden.<br />

Die Stadt schließt die Augen.<br />

Die Träne fällt.<br />

Doris-Elisabeth Gries, Bad<br />

Kreuznach<br />

Komm, Bruder, tanz mit mir!<br />

„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

Sie wusste nicht, was ihr Gesicht mehr nässte,<br />

Tränen, die lautlos über ihre Wangen liefen oder<br />

Regentropfen, die sanft vom Himmel fielen. Oft<br />

wollte er weglaufen und sich verstecken. Das war<br />

schon damals so, als sie noch Kinder waren. Dann<br />

musste sie ihn suchen. Und zu jener Zeit konnte<br />

sie den Jüngeren noch locken, mit spaßigen<br />

Worten und Versprechungen. Aber dieses Mal<br />

war alles vergebens.<br />

„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

„Sag, Schwester, kann ich auf dem Regenbogen<br />

spazieren gehen?“<br />

„Ja, Bruder, aber nur wenn er zu dir kommt, gehst<br />

du zu ihm, wirst du mit seinen Farben abstürzen.“<br />

„Sag, Schwester, hat der Mond eine Mondin, und<br />

kann ich sie sehen?“<br />

„Ja, Bruder, und bei Vollmond kannst du sie<br />

sehen, sie ist seine andere Hälfte.“<br />

„Sag, Schwester, werden wir uns in einem<br />

anderen Leben wiedersehen?“<br />

„Ja, Bruder, werden wir, aber nur in unseren<br />

Träumen, nur dort, können wir so wie jetzt<br />

zusammen sein.“<br />

„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

Weich ins Leben gefallen, lebten wir auf einer<br />

mit Blumen bedeckten Wiese umgeben von<br />

samtweichen, glänzenden Hügeln. Bunt war<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 9


Prosa<br />

seinerzeit unser Dasein, bunter als mancher<br />

Regenbogen, und wir ertranken fast in einem<br />

Meer von Farben. Unbeschwert waren wir,<br />

doch dann begann der Ernst unseres Lebens.<br />

Und du konntest nicht mehr weglaufen und dich<br />

verstecken. Warst mit dem wirklichen Leben in<br />

Berührung gekommen. Spürtest plötzlich seine<br />

ganze Härte.<br />

„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

Dein Selbstbewusstsein geriet ins Wanken. Das<br />

Leben setzte dir Grenzen, kannte keine Gnade.<br />

Und als man dir deine große Liebe nahm, verlor<br />

dein Leben seine Unschuld. Du glaubtest Blut an<br />

deinen Händen zu haben. Blut von Verletzungen,<br />

die dir von Anderen und vom Leben zugefügt<br />

worden waren. Dein Himmel legte sich düster<br />

auf dich nieder und du entferntest dich von allem,<br />

was zu dir gehörte.<br />

„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

Mutig warst du! Wolltest dich dem Wandel<br />

unterziehen, hattest nichts zu verlieren. Glaubtest,<br />

dich in einen Vogel verwandeln zu können.<br />

Wolltest fliegen auf den blauen Schwingen deiner<br />

Sehnsucht. Und einen Wimpernschlag lang bist<br />

du geflogen, durch die Einsamkeit der Nacht,<br />

kamst du den Sternen zu nah.<br />

„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

„Träume sanft deinen letzten Traum, einen<br />

Traum ohne Wiederkehr. Träume selig in einem<br />

Wolkenmeer ohne Raum und Zeit.“ Und einen<br />

Augenblick glaubte sie, ihren Bruder rufen zu<br />

hören: „Komm, Schwester, steig ein in meinen<br />

Traum!“ Aber es war nur ein Flüstern des<br />

Windes, der zärtlich ihre Tränen streichelte. Und<br />

sie wusste: Nie mehr würde sie zu ihm sagen<br />

können: „Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />

Eva-Maria Klein, Kutenholz<br />

Greta Garbo - Mensch und Mythos<br />

Wie so oft besuchte ich wieder einmal gute Freunde<br />

im schwedischen Smaland. An einem der Besuchstage<br />

verführte uns prächtiges Sonnenwetter<br />

zu einer Fahrt ins Blaue, bei der wir noch nicht<br />

wussten, wo sie uns hinführen würde. Als wir die<br />

Gemeinde Högsby erreicht hatten, kehrten wir<br />

in ein in der Storgatan gelegenes Restaurant zur<br />

Mittagsrast ein. Bei einem nachfolgenden Bummel<br />

durch die Straße sprang mir im Haus Nr. 26<br />

ein Hochglanzplakat in Schwarz - Weiß mit dem<br />

Konterfei eines unverwechselbaren Gesichtes<br />

in´s Auge. Es war das faszinierend ätherische<br />

Gesicht der jungen Greta Garbo. In dem Gebäude<br />

befand sich ein kleines, aber feines Museum.<br />

Ganz dem einstigen Filmstar gewidmet. Wie ich<br />

bald erfahren sollte, verdankte dieses seine Existenz<br />

einer Dame aus Helsingborg und ihrer in<br />

New York lebenden Tochter, welche von einem<br />

Sterbehaus etwa 1100 Fotos der Garbo erstanden<br />

hatte. Diese bildeten das Fundament zur Gründung<br />

dieses Kleinods.<br />

Greta Garbos Mutter und Großmutter stammten<br />

aus der Gegend um Högsby. Es waren arme,<br />

schwer arbeitende Bauersleute in Lillsjödal, was<br />

die junge Anna Lovisa Johannsdotter - Gretas<br />

Mutter - schon als junges Mädchen bewog, in die<br />

pulsierende Metropole Stockholm zu ziehen, um<br />

sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dort<br />

traf sie Gretas Vater Karl Gustafsson, der aus Finneryd<br />

in Smaland stammte. Nach seiner Hochzeit<br />

im Mai 1898 bekam das Paar drei Kinder. Sohn<br />

Sven und Tochter Alva - die schon mit zweiundzwanzig<br />

Jahren an TBC starb - und Greta, die am<br />

18. September 1905 in der Entbindungsklinik<br />

Södra in Stockholm das Licht der Welt erblickte.<br />

Man sagt, das Auffälligste an ihr seien ihre<br />

seidigen, langen Wimpern gewesen, die sie von<br />

ihrer Mutter geerbt hatte. Damals lebte die Familie<br />

in der Blekingegatan Nr. 31 in einer Einzimmerwohnung<br />

mit Küche. Gretas Vater arbeitete<br />

bei der Müllabfuhr und bewirtschaftete nebenbei<br />

noch einen kleinen Schrebergarten zur Selbstversorgung<br />

der Familie. Zum Glück war Greta ein<br />

pflegeleichtes Kind, das aus der Katarina Södra<br />

Volksschule gute Zeugnisse nach Hause brachte.<br />

Doch bereits vierzehnjährig musste auch Greta<br />

zum Familieneinkommen beitragen. Sie arbeitete<br />

in Rasiersalons, wo sie die Barthaare der männlichen<br />

Kunden vor der Rasur einzuseifen hatte. Im<br />

Jahre 1920 begann Greta eine Lehre im Stockhol-<br />

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Prosa<br />

mer Kaufhaus PUB und verdiente monatlich 125<br />

schwedische Kronen.<br />

Greta interessierte sich sehr für den Film und das<br />

Theater. Hartnäckig bemühte sie sich um Aufnahme<br />

an der Schule des Königlichen Dramatischen<br />

Theaters, was ihr letztlich auch gelang. Sie durfte<br />

in zwei Werbefilmen auftreten und im Sommer<br />

verkörperte sie ein Bademädchen in dem Streifen<br />

„ Peter, der Vagabund „. Der Filmemacher Mauritz<br />

Stiller wurde auf sie aufmerksam und gab<br />

ihr die Hauptrolle als Gräfin Elisabeth Dohna in<br />

seinem Stummfilm „ Gösta Berling „ von Selma<br />

Lagerlöf. Aus Greta Gustafsson wurde am vierten<br />

Dezember 1923 die Künstlerin Greta Garbo.<br />

In der deutschen Version von „ Gösta Berling „<br />

hatte dieser Film großen Erfolg und schon folgte<br />

die nächste Hauptrolle in „ Die freudlose Gasse“<br />

unter anderen mit Marlene Dietrich als Actrice.<br />

Louis B. Mayer , Chef der amerikanischen Produktionsfirma<br />

MGM in Hollywood nahm Greta<br />

unter Vertrag, und so reiste sie im Juni 1925 in<br />

Begleitung von Mauritz Stiller mit der Drottningholm<br />

über den großen Teich nach Amerika.<br />

Dort drehte sie den Film: „ Fluten der Leidenschaft<br />

„ . Es folgte: „ Totentanz der Liebe „, der<br />

ebenfalls ein kommerzieller Erfolg wurde. Die<br />

Tonfilmzeit brach an, aber auch der Übergang<br />

dazu fiel der Garbo nicht schwer. Waren es in<br />

der Stummfilmzeit noch ihre makellose Schönheit<br />

und ihre Strahlkraft, so kamen nun noch ihre<br />

stimmlichen Qualitäten in ihrem ersten Tonfilm „ „<br />

„ Anna Christie „ zur Geltung.<br />

Man zahlte ihr ungeheure Gagen, und Film auf<br />

Film folgte. Insgesamt achtundzwanzig an der<br />

Zahl. Inzwischen nannte man sie nur noch „ Die<br />

Göttliche „ Ihr letzter Film „ Die Frau mit den<br />

zwei Gesichtern „ feierte am 31. 12. 1941 Premiere.<br />

Greta Garbo war 36 Jahre alt, als sie nach<br />

16 Jahren der Traumfabrik radikal den Rücken<br />

kehrte.<br />

Sie begann zu reisen und umgab sich mit einflussreichen<br />

Personen wie Aristoteles 0nassis<br />

oder Prinzessin Margret von England, die sie vor<br />

unliebsamer Publicity schützen konnten. Denn<br />

ihre geheimnisvolle Aura, das Sphinxhafte ihres<br />

Wesens beflügelte auch weiterhin die Phantasie<br />

ihrer nicht enden wollenden Schar von Verehrern.<br />

Man dichtete ihre zahllosen Affären an, obwohl<br />

sie zwanzig Jahre lang mit dem Geschäftsmann<br />

George Schlee bis zu dessen Tod im Jahre 1964<br />

zusammenlebte. 1957 war sie amerikanische<br />

Staatsbürgerin geworden und lebte nun in ihrer<br />

New Yorker sieben Zimmerwohnung in der East<br />

52nd Street. Sie kochte selbst und tätigte auch<br />

ihre Einkäufe. Besuch empfing sie selten. Sie hatte<br />

ein stattliches Vermögen angehäuft, welches<br />

sich durch kluge Geldpolitik stetig vermehrte.<br />

Nach Schweden reiste sie immer seltener. Dafür<br />

entwickelte sie eine Vorliebe für die Schweiz, wo<br />

sie dreißig Jahre lang viele Sommerurlaube zubrachte,<br />

die sie immer sehr einsam und zurückgezogen<br />

verlebte.<br />

Für ihre Bewunderer blieb sie eine Ikone, überirdisch<br />

schön, überhöht in´s Göttliche und<br />

blieb doch selbst ein scheuer, weltabgewandter<br />

Mensch.<br />

Sie wurde 84 Jahre alt und starb am 15. April<br />

1990 in New York. Lange Zeit wurde ihre<br />

Urne bei einem New Yorker Beerdigungsinstitut<br />

aufbewahrt, bis ihre Asche am 16. Juni<br />

1999 auf dem Stockholmer „ Skogskyrkogarden<br />

„ feierlich bestattet wurde. Dieser Waldfriedhof<br />

gehört zum Weltkulturerbe der Unesco.<br />

Greta Garbo ist wieder heimgekehrt zur heimatlichen<br />

Erde, als Erbin einer Kultur, die sie verkörperte<br />

als ein Mythos, und als das kleine smaländische<br />

Bauernmädchen, das sie einmal war.<br />

Helmfried Knoll, Wien<br />

Ni tienda, ni cueva (Keine Zeit, keine<br />

Höhle)<br />

Regennacht in der Caldera de<br />

Taburiente (La Palma)<br />

Da bin ich nun endlich – beim dritten Anlauf<br />

– in die Caldera de Taburiente gelangt: den<br />

tiefsten Krater der Welt auf der ‚Grünen Insel‘<br />

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Prosa<br />

der Kanaren. Sein vulkanisches Feuer ist<br />

freilich längst erloschen; auf dem Kratergrund<br />

wiegen sich herrliche Pinienwälder, und von<br />

den mehr als 2000 m hohen Gipfeln schießen<br />

Wasserfälle, sammeln ihr Nass im Herzen des<br />

Kraters nahe dem heiligen Felsen Idafe der<br />

Guanchen-Urbevölkerung. Bringen es, in eine<br />

kühn gefasste Wasserleitung gezwängt, als<br />

Lebens und Überlebenselexier zu den Bananen.-<br />

und Paradeiskulturen an La Palmas Westküste.<br />

Über das kaum zwei Fuß breite Sims eben jener<br />

Wasserleitung bin ich schon vor sechs Jahren<br />

mit meiner lieben Luitgard dem Idafe entgegen<br />

balanciert; solange, bis uns Schwindelgefühle<br />

und Zeitmangel zur Umkehr gezwungen haben.<br />

Diesmal hat unsere Gruppe die ganze Strecke in<br />

Rekordzeit geschafft, gemäß der Losung: Nur<br />

nicht stehenbleiben, nur nicht hinunterschauen<br />

in die ‚Schlucht der Todesängste‘! Vier Spanier<br />

sind diesmal meine Begleiter. Vier junge,<br />

unternehmungslustige Burschen des ‚Grupo<br />

Montañero‘ aus der noch kleinen Inselhauptstadt<br />

Santa Cruz de La Palma. Ich habe sie erst am<br />

Vortag kennengelernt. Nun wollen wir ein paar<br />

Tage gemeinsam zelten und bergsteigen. Ob<br />

jedoch Wettergott Petrus das auch so will?<br />

„Seit dem Winter gab es in der Caldera keinen<br />

Tropfen Regen mehr!“, verkünden meine<br />

Begleiter stolz. Unser Aufbruch am Morgen<br />

unter wolkenlosem Himmel hätte auch gar nicht<br />

schöner sein können. Allen, schon auf dem<br />

Anmarsch streifen uns Schauer; und als dann –<br />

die sehr dünnen – Zelte stehen, regnet es bereits<br />

dem tüchtigen Koch ziemlich kräftig in den ersten<br />

Eintopf hinein … Noch bleiben wir Optimisten,<br />

unternehmen Erkundungsgänge, planen Großes<br />

und Hohes für die folgenden Tage. Doch als wir<br />

in der Dämmerung zu den Zelten zurückkehren,<br />

lassen wir jede Hoffnung fahren: was da aus<br />

himmlischen Schleusen auf uns hernieder<br />

prasselt, das hat tropische Ausmaße und lässt bald<br />

am ganzen Körper keinen Faden mehr trocken.<br />

Verzweifelt müht sich der Koch ab, mit den letzten<br />

Resten trockenen Holzes ein Abendessen zu<br />

bereiten. Zwei Spanier sind uns noch gefolgt. Zu<br />

siebend zwängen wir uns unter ein Zelt; erreichen<br />

damit bloß, dass auch noch die allerletzten<br />

trockenen Flecke der Zeltbahn wasserdurchlässig<br />

werden, und die festen Lebensmittel ein flüssiger<br />

Brei. Schon der Wäschewechsel in dieser Enge<br />

wird zum Problem. Ich aber soll überdies als<br />

‚dritter Mann‘ in irgendeinem der drei Zelte<br />

Unterschlupf finden. Nur: niemand sagt mir, in<br />

welchem, denn jedermann ist ja vollauf mit sich<br />

selbst beschäftigt!<br />

Da bekomme ich es mit der Platzangst zu tun<br />

und fasse einen wenig weisen Entschluss: „Me<br />

voy a la cueva!“ (Ich gehe in die Höhle!“), rufe<br />

ich den Kameraden zu, schultere den Rucksack<br />

und stürme einfach in die Regennacht hinaus.<br />

Bin wild entschlossen, keine Minute länger im<br />

nassen Lager zu bleiben. Es ist inzwischen 21 h<br />

geworden; stockfinstere Nacht.<br />

Der Gussregen wirkt wie ein endloser<br />

Wasservorhang. Ich knipse die Taschenlampe<br />

an und stapfe den Hang hinan, den wir mittags<br />

herabgekommen sind. Ja, frohlocke ich: dort<br />

stehen noch immer die beiden Ochsen unter den<br />

Bäumen; stumpfsinnig wiederkäuend, angekettet.<br />

Ziemlich deutlich hebt sich nun, da sich die Augen<br />

angepasst haben, das Zick-Zack des Steigleins im<br />

gelblichen Gras ab. Das wird nun wohl endlich<br />

eine frischere Farbe bekommen. Und da! Ja, da<br />

ist schon der breitere Weg, der linker Hand in die<br />

Caldera hineinführt, rechter Hand hingegen die<br />

Tafel streift, welche die Grenze des Nationalparks<br />

bekundet. Nach einigem Auf und Ab sollte es<br />

steil gegen die Idafe hinabgehen. Soweit, so<br />

gut. Nun muss ich mich also nur noch an einem<br />

Dickicht aus Feigenbüschen vorüber über die<br />

Wiese tasten. Dann bin ich besser geborgen als<br />

alle anderen und kann in trockenem Gewand aus<br />

dem Rucksack einem – hoffentlich – schöneren<br />

Morgen entgegen schlummern! …<br />

Glaubt der Laie; doch die Rechnung geht nicht<br />

auf: allzu schwarz ist wieder die Nacht, allzu<br />

intensiv der Regen – verflixt noch einmal: ich<br />

finde die Hecke nicht! Zur Rechten rumort tief,<br />

tief unten das Wasser in der Schlucht. Dorthin<br />

darf ich mich keinesfalls wenden – da ginge es<br />

kopfüber ins Bodenlose! Zur Linken hingegen<br />

steht wohl eine schüttere Baumreihe, dahinter<br />

jedoch droht das Gleiche in Schwarz … Wohl<br />

dreimal marschiere ich fortan im Kreis, taste hier,<br />

suche dort – ich finde weder die Feigenbüsche<br />

noch die Höhle. Nicht einmal die Felswand, die<br />

sie birgt, lässt sich in der absoluten Dunkelheit<br />

erahnen; selbst, wenn ich die Lampe abschalte<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 12


Prosa<br />

und mich krampfhaft bemühe, die Augen an<br />

die Dunkelheit zu gewöhnen. Nein, es hat doch<br />

keinen Sinn – da könnte ich ja wohl bis zum<br />

Morgen herumtappen und letztlich noch den<br />

Drehwurm bekommen!<br />

Mit letzter Anstrengung entdecke ich wenigstens<br />

wieder den Steig, auf dem ich gekommen bin;<br />

folge ihm nun in Rückzugsrichtung: Und wenn sie<br />

sich totlachen – lieber schlafe ich geschlagen und<br />

reuig wie ein Büchsenhering in einem Zelt, als<br />

irgendwo für ewig zerschmettert auf dem Grund<br />

einer Schlucht! Eine Erkältung lässt sich schon<br />

wieder auskurieren; ein Absturz schwerlich.<br />

Denkste: jetzt will die Caldera nicht mehr<br />

mitspielen. Im schwachen Lichtschein taste ich<br />

mich unter den Pinien dahin. Wo stehen die Zelte?<br />

Auch von den Ochsen sehe und höre ich nichts<br />

mehr! Geblieben sind lediglich das eintönige<br />

Geprassel des Platzregens und das drohende<br />

Grollen des wohl mächtig angeschwollenen<br />

Bachs auf dem Grund der Schlucht. Als einzigen<br />

Anhaltspunkt entdecke ich schließlich das<br />

‚santuario‘, eine besonders beleibte Pinie mit<br />

allerlei Heiligenbildchen und frommen Sprüchen.<br />

Da kann’s ja nicht mehr weit zu den Zelten sein!<br />

Fehlanzeige! Entweder wird man letztlich<br />

nachtblind oder verliert doch zumindest die<br />

Fähigkeit, am Tag Geschautes auf eine ‚geistige<br />

Nachtkarte‘ umzuzeichnen. Tatsche bleibt,<br />

dass ich auf den lächerlichen hundert Metern<br />

Entfernung zwischen dem Bildbaum und dem<br />

Lagerplatz einfach nicht mehr weiter kann und<br />

die Flinte ins Korn bzw. den Rucksack unter einen<br />

dürftigen Felsvorsprung werfe. Oder schäme ich<br />

mich jetzt meines überstürzten Auszugs?<br />

Sei’s, wie es sei – 20 Minuten in strömendem Regen<br />

haben mich in jeder Hinsicht ‚weich‘ gemacht.<br />

Mit einem Wurstigkeitsgefühl sondergleichen<br />

lasse ich alles Nasse von mir fallen, hülle mich in<br />

die trockenen Kleidungsstücke, die mir der brave<br />

Rucksack noch bewahrt hat, und krieche in den<br />

Schlafsack. Mit der Taschenlampe leuchte ich mein<br />

neues ‚Quartier‘ ab. Das ist freilich recht dürftig<br />

und beengt: ein schräg vorstehender Felsblock.<br />

Darunter, höchstens 1 m breit, trockener, steiniger<br />

Boden. Die gesamte geschützte Fläche so ‚groß<br />

#, dass ich entweder mit eingezogenen Beinen<br />

schlafen muss oder Gefahr laufe, dass auch<br />

der Schlafsack eingeweicht wird. Während der<br />

nächsten rund neun Stunden praktiziere ich beides<br />

abwechselnd; mit nicht gerade überwältigendem<br />

Erfolg. Ist doch für den Kopf eine derart<br />

enge Nische frei, dass ich beinahe Atemnot<br />

bekomme und mich wie in einem Schraubstock<br />

fühle … Einmal verschwindet die Lampe in<br />

den Tiefen des Rucksacks, dann kommen mir<br />

wieder so lebenswichtige Utensilien, wie Brille<br />

und Kugelschreiber abhanden – kurzum: für<br />

Spannung ist gesorgt! Trotz allem erzwingt der<br />

ausgepumpte Leib ein paar Stunden Schlafes!<br />

Das also ist – auf kanarisch – der Wechsel vom<br />

April in den Wonnemonat Mai … Wahrhaftig,<br />

den habe ich mir auf den ‚Inseln des ewigen<br />

Frühlings‘ etwas anders vorgestellt! Vor der<br />

Morgendämmerung schlägt auch noch der Wind<br />

um, peitscht mir nun die Regentropfen voll ins<br />

Gesicht. Soll denn nun alles in dieser Sintflut<br />

ersaufen? Nicht genug damit, kommen auch<br />

noch lästige Gelsen und tun sich an den wenigen<br />

ungeschützten Körperstelen gütlich. Mir reicht’s!<br />

Als der Morgen grau in grau heraufdämmert,<br />

raffe ich mich zu einer Standortbestimmung auf:<br />

keine 50 m sind’s, die mich von den Zelten der<br />

Gefährten trennen. Und was sich dort gerade<br />

herausschält, das ist immerhin noch ärger<br />

durchweicht als ich …<br />

(Aus einem längeren, unveröffentlichten Manuskript<br />

‚ENTRE EL TEIDE Y EL IDAFE‘ Zwischen dem Pico del<br />

Teide und dem Idafe), dessen spanische Eigenübersetzung<br />

auf den Kanarischen Inseln kursieren soll).<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 13


Prosa<br />

Wilma Klevinghaus, Erkrath<br />

Spassiba<br />

Im Zimmer des Großvaters saß der Junge bei den<br />

Hausaufgaben.<br />

„Opa Erwin, weißt du eigentlich, was „Danke“<br />

auf Englisch heißt“, fragte er plötzlich.<br />

„Klar“, lachte der Opa hinter seiner Zeitung.<br />

„Thank you“, natürlich. Das weiß doch jedes<br />

Kind heutzutage. Sag bloß, du nicht!“<br />

„Und Französisch?“<br />

„Du hälst mich wohl für dumm. Merci natürlich.<br />

Wie die Pralinen.“<br />

„Weißt du es in noch mehr Sprachen?“<br />

„Mal sehen.“ Latein und Griechisch fielen<br />

ihm ein, nach einer Weile auch Italienisch und<br />

Spanisch vom Urlaub her.<br />

„Das ist doch so ungefähr das Erste, was man<br />

sich in einer fremden Sprache merken sollte“,<br />

meinte er.<br />

„Weißt du es auch auf Russisch? Du warst doch<br />

im Krieg dort als Soldat, hat mir der Papa erzählt.<br />

Der alte Mann riss die Augen auf. Aber er sah<br />

nicht den Jungen und nicht das Zimmer, das ihn<br />

umgab. Was er sah, lag mehr als zweitausend<br />

Kilometer und mehr als sechzig Jahre entfernt.<br />

Wie durch eine überscharfe Brille sah er sie<br />

wieder vor sich, die erbärmliche Kate in einem<br />

Ort, dessen Name er vergessen, vielleicht auch<br />

nie gewusst hatte.<br />

Sie waren gerade erst an die Front gekommen,<br />

um den verloren zu gehenden Krieg noch<br />

einmal aufzuhalten. Junge Kerle allesamt, viele<br />

direkt von der Schulbank, wie er. Freiwillig<br />

und gerade erst siebzehn. Der letzte Aufruf,<br />

hatte sein Großvater hinter vorgehaltener Hand<br />

gesagt. Dementsprechend tränenreich war<br />

auch der Abschied ausgefallen. Und gleich<br />

in der zweiten Woche gerieten sie in eine der<br />

blutigsten Schlachten. Ganz schön ernüchternd:<br />

nur notdürftig ausgebildet mitten hinein in das<br />

Gemetzel, das so gründlich war, dass man aus den<br />

Resten zweier Züge gerade noch einen einzigen<br />

zusammengestellt hatte.<br />

Der neue Zugführer hatte ihnen denn auch ein<br />

paar Ruhetage versprochen, falls die Russen<br />

sie in Ruhe lassen würden, hatte für diesen<br />

Tag nur einen kleinen Einsatz vorgesehen, eine<br />

Episode, wie er sich ausdrückte, kaum der Rede<br />

wert. In Zweiergruppen sollten sie das Dorf,<br />

das sie am Vortag erobert hatten, nach einem<br />

einzelnen angeblich dort versteckten Partisanen<br />

durchsuchen.<br />

Denkste, schimpften einige in sich hinein, von<br />

wegen Episode, Partisanen … War auch nicht<br />

gerade ungefährlich und schön erst recht nicht.<br />

Aber Befehl ist Befehl: das hatte man ihnen schon<br />

am ersten Tag in der Kaserne beigebracht, falls es<br />

ihnen nicht noch aus der Hitlerjugend, der sie alle<br />

angehört hatten, selbstverständlich war. Daran<br />

gab es nichts zu rütteln. Die Worte „Fragen“ und<br />

„Zögern“ galt es zu vergessen als Soldat. Keiner<br />

konnte sich seinen Einsatzplan selbst aussuchen.<br />

Hans, einer der Neuen, die er überhaupt nicht<br />

kannte, war zusammen mit ihm eingeteilt worden.<br />

Drei, vier Häuser hatten sie schon durchsucht.<br />

Ohne Erfolg. Überall dasselbe Bild: Frauen und<br />

Kinder verstört sich aneinander klammernd,<br />

einmal auch ein zahnloser Greis, der sie vom<br />

Ofen aus anstarrte mit einem Gesicht, das eher<br />

in einen Sarg als in eine Stube gepasst hätte. Die<br />

Angst, gleichsam körperlich zu spüren, füllte<br />

die letzten Ritzen der Räume, deren Luft zum<br />

Schneiden dick war.<br />

„Scheußlich“, brummte Hans vor sich hin, bevor<br />

sie das nächste Haus betraten. Nur dies eine Wort.<br />

Schwer auszumachen, worauf e sich bezog. Sie<br />

stießen die Tür auf, eine uralte Tür, von der an<br />

allen Ecken der Lack abgesprungen war. Sie<br />

ächzte und knarrte, während sie in die kleine<br />

Kate polterten. Erwin sah Hans lauernd von der<br />

Seite an. Auch er hat Angst, dachte er, Angst vor<br />

dem Hinterhalt, Angst vor dem Getötet-Werden,<br />

vielleicht auch vor dem Töten-Müssen, vor …<br />

Und plötzlich begriff er, dass sie auch<br />

voreinander Angst hatten, einander misstrauten.<br />

Wohl nicht ohne Absicht hatte der Leutnant<br />

immer Wildfremde zusammen eingeteilt. Abe<br />

noch ehe Erwin diesen Gedanken zu Ende<br />

denken konnte, schrie eine Frauenstimme auf,<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 14


Prosa<br />

so hart und schneidend, dass sie unwillkürlich<br />

beide zusammenzuckten, als habe jemand ein<br />

blankes Schwert oder den Lauf eines Gewehrs<br />

auf sie gerichtet. Dass Kinder aufgeschrien oder<br />

davongelaufen waren oder Erwachsene bei ihrem<br />

Anblick vor Entsetzen verstummten, war auch<br />

nach den wenigen Tagen in Russland nichts<br />

Neues für sie. Doch noch nie hatte Erwin dies<br />

schreckliche „Njet!“ so vernommen. Er kannte<br />

das Wort zwar noch nicht; niemand hatte sich die<br />

Mühe gemacht, ihnen auch nur eine Handvoll<br />

der wichtigsten Ausdrücke in der Sprache der<br />

Feinde zu vermitteln. Aber niemand brauchte<br />

es ihm zu erklären. Alles an diesem Nein war<br />

Abwehr. Abwehr und Angst. Er spürte die hilflos<br />

erhobenen Hände, auch wenn er sie nicht sah.<br />

Er wandte sich in die Richtung, aus der der Schrei<br />

gekommen war. Aber er konnte nichts erkennen.<br />

Die früh hereinbrechende Dämmerung, die<br />

durch die verklebten Fensterscheiben ihre ersten<br />

Schatten warf, hüllte im Verein mit Rauch und<br />

Mief alles in undurchdringliches Grau. Es dauerte<br />

eine Weile, bis die Augen sich daran gewöhnen<br />

konnten. Das Erste4, das Erwin wahrnahm,<br />

war eine Ecke des Raumes, in der eine – wie es<br />

schien, ganz neue – Ikone angebracht war, vor<br />

der ein uraltes, verhutzeltes Weiblein auf den<br />

Knien kauerte. As der Raum für seine Augen<br />

allmählich Gestalt annahm, registrierte sein<br />

Verstand daneben eine jüngere, sehr bleiche<br />

Frau, die aussah, als versuche sie, in sich selbst<br />

hinein zu kriechen. Ein paar zerlumpte Kinder<br />

klammerten sich an sie mit vor Angst geweiteten<br />

Augen. Weitere undefinierbare Gestalten hockten<br />

oder standen irgendwo herum. Kaum vorstellbar,<br />

wie viele Menschen dieser kümmerliche Raum<br />

beherbergen konnte. Und alle erschienen Erwin<br />

wie gelähmt.<br />

Eines der Kinder begann zu wimmern und<br />

ein anderes schrie auf wie in Todesangst. Mit<br />

vorgehaltenem Gewehr, wie es Vorschrift war,<br />

setzten Hans und Erwin vorsichtig Schritt für<br />

Schritt, während die Blicke der Bewohner<br />

unablässig verstohlen zwischen den Deutschen<br />

und der Ecke des Raumes, in der das Dunkel<br />

am undurchdringlichsten erschien, hin und her<br />

huschten.<br />

Jetzt bemerkte auch Erwin, dass dort ein Mensch<br />

stand, ein noch junger Mann, wenn auch<br />

vermutlich um einiges älter als sie, vielleicht<br />

der Vater der Kinder, auch er sehr bleich, mit<br />

regungslosem, wie erstarrtem Gesicht, die Hände<br />

hinter dem Rücken verborgen.<br />

„Njet“, schrien jetzt auch ein paar andere Frauen<br />

wie aus einem Mund. Mit Sicherheit, dachte<br />

Erwin, war es nicht die erste Razzia auf wirkliche<br />

oder vermeintliche Partisanen, die sie erlebten.<br />

Niemand brauche ihnen zu erklären, was eine<br />

Entdeckung bedeuten würde.<br />

Was dann geschah, dauerte wenig länger als einen<br />

Atemzug. Erwins Augen trafen sich mit denen<br />

des Mannes. Ohne zu wissen, warum, ließ er die<br />

Waffe sinken. Einen Augenblick nur, kürzer als<br />

ein Gedanke. Dann blickte er erschrocken um.<br />

Da stand Hans hinter ihm mit schussbereitem<br />

Gewehr und verzerrtem Gesicht. Erwins Knie<br />

begannen zu zittern. Er starrte auf Hans, auf<br />

dessen und sein eigenes Gewehr; dann fiel sein<br />

Blick auf die Ikone. In diesem Augenblick hatte<br />

auch Hans sie offenbar entdeckt, hielt den Atem a,<br />

bekreuzigte sich wie ein ertapptes Kind, sicherte<br />

die eigene Waffe und verließ wortlos den Raum.<br />

Erwin stolperte hinter ihm her.<br />

„Spassiba“, sagte eine Frau mit bebender Stimme<br />

irgendwo. Und zwei oder drei Kinder flüsterten<br />

hinterher: „Spassiba!“<br />

„Weißt du, was das heißt“, fragte Erwin vor der<br />

Haustür.<br />

„Was soll das schon heißen“, knurrte Hans. „Frag<br />

nicht so blöd!“ Und plötzlich drückte Erwin ihm<br />

die Hand.<br />

„Danke“, sagte er und zwinkerte ihm zu.<br />

„Danke“, würgte auch Hans hervor. „Spassiba…“<br />

Es war der Beginn einer wunderschönen<br />

Freundschaft, der jedoch nur eine kurze Dauer<br />

beschieden war. Weihnachten erlebte Hans schon<br />

nicht mehr…<br />

„Spassiba“, flüsterte der alte Mann vor sich hin,<br />

so leise, dass der Junge erstaunt aufsah.<br />

„Is was“, fragte er erschrocken. „Bist du krank?<br />

Du hast ja auf einmal gar keine Farbe mehr im<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 15


Prosa<br />

Gesicht.“<br />

„Schon gut“, wehrte der Großvater ab und<br />

wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.<br />

„Es ist nur die Erinnerung.“<br />

Es hätte auch anders ausgehen können damals,<br />

dachte er. Und dann, mit einem Blick auf den<br />

Jungen: Möchtet du nie in deinem Leben vor die<br />

Wahl gestellt werden zwischen deinem Leben und<br />

dem eines andern …<br />

Anna Maria Sauseng<br />

Demenz<br />

Klick, klick, ein und aus. Auf der Mahagoni<br />

Tischplatte lässt er seinen Kugelschreiber tanzen.<br />

„Da kann man nichts machen, der Krankheitsverlauf<br />

ist wie beim Krebs, unaufhaltbar.“<br />

Klick, klick, ein und aus.<br />

Meine Augen glühen, werden voll mit Flüssigkeit.<br />

„Ihr Mann hat ein sehr hohes Alter erreicht.“<br />

Klick, klick. Der Herr im weißen Mantel erhebt<br />

sich:<br />

„Also, dann.“<br />

„Danke“. Schnell wische ich mit dem Taschentuch<br />

über mein Gesicht.<br />

Im Warteraum wartet mein Mann, wir verlassen<br />

gemeinsam die Ordination.<br />

„Welcher Tag ist heute?“ „Wie hat der Doktor<br />

geheißen, wohin fahren wir jetzt?“, fragt er.<br />

Nachts, ich wälze mich von einer Seite zur anderen,<br />

kaum schließe ich die Augen türmt sich<br />

eine graue Sorgenwolke vor mir auf. Es wird nie<br />

mehr so sein wie bisher.<br />

40 Jahre Ehe entfliehen in den Abgrund seiner<br />

Gedankenlücken. Und dann?<br />

Die graue Wolke verdichtet sich in Schwarz.<br />

Mein Körper bedeckt mit Schweißperlen, liegt<br />

schwer danieder, wird vom schmerzhaften Sog<br />

nach unten gezogen.<br />

Meine Hand tastet nach nebenan. Noch ist er bei<br />

mir, noch sind uns helle Tage geschenkt.<br />

Ich rolle mich zur Seite, aber was dann, was<br />

dann?<br />

Oh, dann wäre ich wieder frei, frei wie vor der<br />

Heirat –<br />

Seine Liebe zu mir, meine Liebe zu ihm, Liebe,<br />

wie kann ich diese Aussage definieren?<br />

, sage ich.<br />

Die schwarze Wolke hellt sich auf, zeigt mir<br />

neuen Sinn für mein Leben.<br />

Ich nehme meinen Kugelschreiber und drücke<br />

ihn auf die weiße Tischplatte in der Küche.<br />

Klick, klick.<br />

Mein Mann fragt nach der Anzahl unserer Kinder<br />

und deren Namen, er sucht seine Utensilien<br />

und legt seine Schuhe in den Wäschekasten,<br />

stellt die Zuckerdose in den Kühlschrank und<br />

die Butter zu den Kaffeetassen.<br />

Er soll es trotzdem gut haben neben mir.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 16


Prosa<br />

Truxton Agidius Oldridge,<br />

Hannover<br />

Auf Nimmerwidersehen<br />

Ich kenne nur ihren Namen. Sonst weiß ich nichts<br />

über sie. Ich kenne nur ihren Namen, und auch<br />

dieser ist eigentlich ohne Belang. Den meinen<br />

wird sie beinahe schon wieder vergessen haben.<br />

Wenn sie ihn sucht, sieht sie mich angestrengt<br />

wie abwesend an, erhebt erwartungsvoll den<br />

Zeigefinger und präsentiert mir des Rätsels<br />

Lösung dann freudig wie eine alte Erinnerung<br />

aus Kindertagen.<br />

Ich lächle schief. Das tue ich die ganze Zeit; als ich<br />

mich vorstelle, als ich ihr mit halbgeschlossenen<br />

Ohren zuhöre, als ich hohle Nichtigkeiten von<br />

mir gebe.<br />

Die anderen schmunzeln freundlich, tätscheln mir<br />

die Schultern, stoßen mich freundschaftlich mit<br />

ihren Fäusten. Ihre Krallen haben sie ausgefahren,<br />

mein schwarzes Hemd zu zerfetzen, sie geifern<br />

nach meinem Herzen, es in Stücke zu reißen wie<br />

Hyänen eine verrottende Antilope. Dabei ist es<br />

nicht boshaft, nein, mir sind sie freundschaftlich<br />

gewogen, es geht nicht einmal um mich, es geht<br />

nur um sie.<br />

Sie ist hübsch, hat lange dunkle Haare. Ihr Gesicht<br />

erinnert mich an jemanden, an eine unliebsame<br />

Bekanntschaft aus vergangenen Tagen vielleicht.<br />

Ihre Kleider, leger und schwarz, schwarz wie<br />

die meinen, verhüllen ihre Kurven, schweigen<br />

darüber, wie viel zartes Fleisch um ihre Knochen<br />

klebt, sie wispern nur: Sie ist hübsch.<br />

Ich spanne all meine Muskeln an, als sie ihre<br />

schmale Hand wie zur Begrüßung um meinen<br />

Hintern legt und ihre Nägel mit zärtlicher<br />

Bestimmtheit in mein willenloses Fleisch drückt.<br />

Ich beiße die Zähne zusammen und verdrehe mit<br />

geschlossenen Lidern die Augen nach oben. So<br />

könnte ich ewig verweilen.<br />

Ungefragt hat sie ihren Arm um meine knochigen<br />

Schultern gelegt, sich zu stützen, formt mit ihren<br />

Lippen süßes Nichts und pustet es in mein Ohr,<br />

wie sie langsam schweren, warmen Atem meinen<br />

Hals entlang haucht. Ich lasse mich einlullen,<br />

ertrinke in ihrer Trunkenheit. Während sie ihren<br />

Körper nach Vorne fallen lässt und ihren weichen<br />

Busen an meine Rippenbögen schmiegt, wandert<br />

ihre Hand kraftlos meine Brust entlang, streichelt<br />

meinen Bauch, als streichle sie selbstverliebt den<br />

ihren. Fast kann ich sie schnurren hören, wie<br />

sie ihre zarten Rundungen an mich legt, einer<br />

getigerten Katze gleich, die nach stinkendem<br />

Fisch giert. In den Gräten meiner Seite spüre ich<br />

ihren warmen Herzschlag wie den Biss des Egels<br />

in der Vene.<br />

Auf und ab fahren ihre Fingerspitzen, fährt ihre<br />

Handfläche über den dünnen schwarzen Stoff, der<br />

uns trennt, uns kaum zu trennen vermag, im Takt<br />

ihres süßlichen Atems, der meine Haut kitzelnd<br />

von Knochen zu Knochen abschreitet.<br />

Ich genieße es, ihre bewusstlosen Liebkosungen.<br />

Das Blut schießt mir aus dem Kopf hinab. Verzückt<br />

möchte ich das Gesicht verzerren, doch ich muss<br />

ja weiter schief lächeln, mit geschlossenem Mund<br />

und zusammengebissenen Zähnen.<br />

Ich bin ein anständiger Kerl. Meine Hände<br />

behalte ich bei mir, meinen Arm lege ich nicht<br />

um ihre Hüfte, erwidere ihre Berührungen nicht,<br />

mein Becken schiebe ich nicht gegen das ihre. Ich<br />

bleibe anständig, doch verharre ich und genieße<br />

alles, was sie mir antut, lehne nichts ab, halte ihre<br />

Handgelenke nicht fest, schiebe ihre Schulter<br />

nicht davon. Warum sollte ich? Sie ist hübsch.<br />

Sie ist hübsch und mein Gewissen so rein wie ich<br />

selbst frei. Niemandem muss ich Rechenschaft<br />

ablegen für den Genuss ihres Rausches. Ich tue ja<br />

nichts, ich genieße ja nur. Selbst wenn ich etwas<br />

täte – aber ich bin ein anständiger Kerl.<br />

Die anderen stehen um mich herum, sie machen<br />

fröhliche Gesichter, sie scherzen, sie reden mit<br />

mir, palavern, erinnern sich mit mir vergangener<br />

Zeiten. Neben leeren Silben entgegne ich nur<br />

ein herzliches schiefes Lächeln. Sie platzen fast<br />

vor Ungeduld. Ihre Augen können nichts als<br />

gieren, gieren nach ihr, ihre Gedanken nichts als<br />

begehren und brennen, brennen vor Ungeduld.<br />

Ungeduldig harren sie, dass sie endlich von mir<br />

ablässt, dass sie sich einem von ihnen zurück an<br />

den Hals wirft, harren, dass sie sich eine neue<br />

Stütze sucht unter ihnen.<br />

Noch immer wähne ich mich reglos, sorglos in<br />

ihrer überschäumenden Gegenwart, im schwer<br />

schwankenden Champagnerbad ihrer prickelnden<br />

Sinnestrübe. Ihre Worte werden immer wortloser,<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 17


prosa / essay<br />

ihre Stimme süßer als geraspeltes Süßholz.<br />

Ein Blick auf das Ziffernblatt meiner treuen Uhr<br />

und ich kann durch den dichten Schleier ihrer<br />

unzähligen massierenden Finger den Ruf meines<br />

Bettes hören, meines einsamen, schmalen Bettes,<br />

das gerade Platz genug für mich allein bietet.<br />

Rasch schüttle ich ein paar Hände, zuletzt die<br />

ihre, und charmant verabschiede ich mich auf<br />

Nimmerwiedersehen.<br />

Essay<br />

Wilfried A. Faust, Bajamar/<br />

Teneriffa<br />

Melodie und Komposition<br />

Zwischen diesen beiden musikalischen<br />

Ausdrucksformen gibt es einen wesentlichen<br />

Unterschied, den ich – zumindest innerhalb<br />

meiner eigenen kreativen Beschäftigung mit<br />

den Tönen – immer wieder elementar spüre.<br />

Deshalb versuche ich, meine Ansicht hierüber<br />

festzuhalten; es könnte ja sein, dass der eine<br />

oder andere musikalisch Schaffende die gleiche<br />

Erfahrung gemacht hat.<br />

Ist der Unterschied denn tatsächlich so gravierend<br />

oder wird eine Melodie nicht auch komponiert und<br />

ist somit eben doch genauso eine Komposition?<br />

Ich werde eine Antwort darauf geben, mit der<br />

sicherlich nicht jeder einverstanden sein wird.<br />

Vielleicht aber spielt uns unsere Sprache nur<br />

einen Streich!?<br />

Ich beginne damit, den Begriff Komposition zu<br />

durchleuchten, oder besser gesagt zu erklären,<br />

wie ich den Vorgang persönlich erlebe:<br />

Es entsteht wie ein Hausbau, dem eine Idee<br />

zugrunde liegt. Diese realisiert sich durch<br />

Zusammenfügen von bestimmten Elementen;<br />

es läuft wie ein tastendes Experiment ab,<br />

Erfahrungen werden verwertet, Ausformungen<br />

ausprobiert, man lässt sich auf Abenteuer ein,<br />

baut hier ein Nebengebäude an, lässt dort Licht<br />

herein oder sperrt es aus, ganz nach Belieben.<br />

Themen und Motive steuern, ordnen und<br />

verbinden, sind aber keine Eigenständigkeiten,<br />

sie sind der Mörtel. So kann eine harmonische<br />

Einheit in vielen Schattierungen und Spektren<br />

entstehen. Es macht Freude, dem Wachsen des<br />

Hauses zuzusehen, das da unter seinen eigenen<br />

Händen sich zu manifestieren beginnt.<br />

Es ist ein Produkt, das hauptsächlich unter der<br />

Dominanz der linken Hirnhälfte steht, diesem<br />

Werkzeugkasten aus Erfahrungen, Urteilen,<br />

Vorurteilen, Routine und Geschicklichkeiten.<br />

Darum kann man wohl berechtigterweise auch<br />

Werk dazu sagen.<br />

Wie steht es nun mit den Melodien?<br />

Ich bin überzeugt, dass sie etwas anderes ist,<br />

etwas Selbständiges, unabhängig und vollständig,<br />

irgendwo bereits vorhanden; sie wird gefunden<br />

und nicht komponiert.<br />

Sie ist hauptsächlich eine Manifestation unserer<br />

rechten Hirnhälfte, die mir wie eine Spielwiese<br />

vorkommt, auf der ich mich einfinden kann, um<br />

zu schauen, was sich auf ihr tummelt. Manchmal<br />

erscheint auf ihr eben eine Tonfolge, die sich<br />

mir als Melodie zu erkennen gibt. Sie kann mich<br />

spontan anspringen oder leise heranwehen, mich<br />

umspielen oder sich nur zögernd nähern, bis ich<br />

das Geschenk erfasst habe, denn um ein solches<br />

handelt es sich.<br />

Jetzt gilt es, die Melodie festzuhalten, denn<br />

sie ist ein flüchtiges Wesen – jawohl, ich sage<br />

ausdrücklich Wesen – das sich schnell verflüchtigt,<br />

wenn ich sie nicht am Zipfel packe und sie mittels<br />

Notenschrift oder mit der Aufnahmetechnik<br />

meines Keyboards in die Realität hole und<br />

festnagele. Und nun kann ich meine Freundin in<br />

ein schönes, zu ihr passendes Kleid stecken.<br />

Die Melodien, die ich so bisher erhalten habe,<br />

sind mir wie meine Kinder, die ich um mich spüre<br />

und die mit mir leben und ihre eigene Geschichte<br />

erzählen.<br />

Ich bin sicher, dass jeder Tonkünstler so seine<br />

eigenen Erlebnisse hat und Erfahrungen macht,<br />

die mit meinen nur skizzenhaft hingeworfenen<br />

Ausführungen durchaus nicht übereinstimmen<br />

müssen, aber sie würden mich außerordentlich<br />

interessieren.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 18


essay<br />

Johanna Klara Kuppe,<br />

Waiblingen<br />

DIE FARBE BLAU Teil I<br />

Welches Blau hat der Himmel? - Natürlich<br />

Himmelblau. Aber waren Sie schon mal in der<br />

Eisgrotte des Rhonegletschers? Welches Blau hat<br />

das Eis dort?<br />

Ich möchte Sie mitnehmen in ein „Meer von<br />

blauen Gedanken“ - einen Vers von Heinrich Heine<br />

aufgreifend und Sie als erstes fragen, wie viel Blau<br />

sie kennen – überlegen Sie in Ruhe – wenn Sie<br />

bei einhundertelf Blautönen angekommen sind,<br />

„liegen“ Sie richtig. Kaum eine andere Farbe hat<br />

bis heute so viele Künstler und Dichter inspiriert<br />

und ihre Phantasie so beflügelt wie die Farbe<br />

Blau und die Faszination scheint ungebrochen,<br />

denn gerade die Moderne hat eine erstaunliche<br />

Fülle von Kunstwerken hervorgebracht, die den<br />

Farb- und Stimmungswert Blau mit geradezu<br />

beschwörendem Gestus festzuhalten versuchen<br />

(z.B. Picassos „Blaue Periode“, „Der Blaue<br />

Reiter“ oder die Blau – Bilder von Yves Klein).<br />

Aber nicht nur bei den Künstlern „steht Blau<br />

hoch im Kurs“. Es ist die beliebteste Farbe<br />

überhaupt: 44% der Frauen und 46% der Männer<br />

bezeichnen Blau als Lieblingsfarbe. Und es gibt<br />

kaum jemanden, der Blau nicht mag (nur 2% der<br />

Frauen und 1% der Männer).<br />

Nur in einem Bereich schätzen wir Blau weniger<br />

– wir essen und trinken kaum Blaues.<br />

Die wichtigste Bedeutung hat Blau in der<br />

Farbsymbolik, in den Gefühlen, die wir mit<br />

Blau verbinden. Es ist die Farbe aller guten<br />

Eigenschaften, die sich in der Dauer bewähren,<br />

der Gefühle, die nicht von lauter Leidenschaft,<br />

sondern von gegenseitigem Verständnis<br />

beherrscht sind. Deshalb möchte ich nun im<br />

ersten Teil zunächst auf diese Punkte näher<br />

eingehen und im zweiten Teil auf die Herstellung<br />

der Farbe Blau und auf einzelne Farbtöne.<br />

1. Blau – die Farbe der Sympathie, der<br />

Harmonie, der Treue<br />

Blau ist die meistgenannte Farbe für Sympathie,<br />

Harmonie, Freundschaft und Vertrauen – alles<br />

Gefühle, die sich nur in der Dauer bewähren und<br />

auf Gegenseitigkeit beruhen. Woher kommt dies<br />

aber?<br />

Bei Farbgefühlen denken wir in viel größeren<br />

Zusammenhängen. Blau ist der Himmel, deshalb<br />

ist Blau auch die göttliche Farbe, die ewige Farbe.<br />

Blau wird so ganz allgemein zu der Farbe, die zu<br />

allem gehört, was wir uns als beständig wünschen<br />

und zu allem, was möglichst ewig dauern soll.<br />

Vielleicht darum gilt Blau auch als Farbe der Treue<br />

und als Farbe der Ferne. Denn Treue hat mit Ferne<br />

zu tun, sie erweist sich erst, wenn Gelegenheit<br />

zur Untreue gegeben ist. Unscheinbar, wie die<br />

Treue (sie stellt sich nicht demonstrativ zur<br />

Schau), sind auch die Blumen, die für Treue<br />

stehen: Vergissmeinnicht, Männertreu und<br />

Jelängerjelieber. Früher wurde z.B. erzählt, das<br />

Vergissmeinnicht hätte seinen Namen erhalten,<br />

als ein Mann am Flussufer für seine Geliebte<br />

diese Blumen pflückte, in den Fluss rutschte und,<br />

ehe er ertrank, noch rief:“ Vergiss mein nicht!“<br />

In der Minnedichtung erscheint als Verkörperung<br />

der Treue eine Frau Staete - „Staete“ heißt<br />

„Beständigkeit“ und Frau Staete trägt ein blaues<br />

Kleid. Im Englischen gehört das Blau besonders<br />

eng zur Treue: „True Blue“, das „Treue Blau“ ist<br />

eine so feste Verbindung von Farbe und Gefühl<br />

wie bei uns „Giftgrün“ - was es im Englischen<br />

nicht gibt. Der englische Hochzeitsbrauch z.B.<br />

fordert als Ausstattung jeder Braut:<br />

„Something old, something new,<br />

something borrowed, something blue.<br />

2. Die blauen Wunder der Phantasie<br />

Blau ist die Farbe jener Ideen, deren Verwirklichung<br />

in der Ferne liegt. Im Violett ist die irreale Seite<br />

der Phantasie symbolisiert – das Phantastische.<br />

Orange, als dritte Farbe der Phantasie,<br />

symbolisiert das Vergnügen an verrückten<br />

Ideen. Blau-Violett-Orange ist der Farbklang der<br />

Phantasie. Wie in der bildenden Kunst, so gibt es<br />

auch in der deutschsprachigen Lyrik (besonders<br />

des 20.Jhrds.), Dichter und Dichterinnen, die sich<br />

mit mehr oder weniger obsessiver Beharrlichkeit<br />

der Farbe Blau verschrieben haben und in immer<br />

neuen Versen die verschiedensten Blautöne und<br />

-Schattierungen klang- und bildmächtig besungen<br />

haben (Yvan Goll, Paul Celan, Niklas Stiller etc.)<br />

Als Farbe der Ferne und der Sehnsucht (denken<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 19


essay<br />

Sie an die Romantik und ihre „blaue Blume“) ist<br />

Blau aber auch eine Farbe des Unrealistischen,<br />

sogar der Täuschung: wenn einem jemand „da<br />

Blaue vom Himmel herunter lügt“ oder „blauen<br />

Dunst vormacht“, erlebt man in der Stunde<br />

der Wahrheit sein „blaues Wunder“. Früher<br />

sagte man zu Lügengeschichten auch „blaue<br />

Märchen“. „Parbleu!“ rufen Franzosen, wenn<br />

etwas nicht mit rechten Dingen zu erklären ist.<br />

In den Niederlanden sagt man “das sind nur<br />

blaue Blümchen“, nichts als Lügen. Es sind<br />

keine wirklichen Lügen, die mit Blau assoziiert<br />

werden, eher harmloser Schwindel – auch als<br />

„Bluff“ bezeichnet.<br />

3. Die Entspannung zur blauen Stunde<br />

die „blue hour“, die „Blaue Stunde“, ist die Stunde<br />

der Dämmerung, die Stunde nach Arbeitsschluss.<br />

Lokale werben mit Blue -Hour -Angeboten:<br />

Alkoholische Getränke sind am frühen Abend<br />

oder an bestimmten Tagen billiger, also umso<br />

verlockender mit der Entspannung anzufangen.<br />

Aber auch andere „entspannende“ Mittel<br />

werden von uns gebraucht: Denken Sie an<br />

„Klosterfrau Melissengeist“, der seit Jahrzehnten<br />

in der blau-weißen Packung verkauft wird,<br />

das lässt uns nur an Wohltuendes denken und<br />

den hochprozentigen Alkohol vergessen. Ein<br />

weiteres Produkt: Nivea Creme (auch blauweiß<br />

verpackt) und es beruhigt die Haut.<br />

Als passive und ruhigste aller Farben ist Blau<br />

eben auch die Hauptfarbe von Verpackungen für<br />

Schlafmittel und Beruhigungsmittel und – für<br />

Bett- und Nachtwäsche (wunderbar entspanntes<br />

Schlafen!!) Vielleicht oder bestimmt besteht der<br />

berühmte „train bleu“ (Calais – Paris – Nizza)<br />

deshalb nur aus Schlafwagen.<br />

4. Die blaue Blume der Sehnsucht<br />

Ja, auch auf die möchte ich nun etwas näher<br />

eingehen. Sie ist Inbegriff der Dichtung der<br />

Romantik. 1802 erschien Novalis‘ Roman<br />

„Heinrich von Ofterdingen“. Darin träumt<br />

Heinrich, ein junger Dichter, von einer blauen<br />

Blume, sie wächst zwischen blauen Felsen,<br />

an einer blauen Quelle. Er sieht, wie sich die<br />

Blume verwandelt – es erscheint das Gesicht<br />

eines Mädchens.... (Sie wissen sicher, wie<br />

es weiter geht). Novalis‘ Roman handelt<br />

von der Sehnsucht nach einem Lebenssinn,<br />

der aus mystischer Erkenntnis entsteht.<br />

Dieses Blau der Sehnsucht ist auch in der Musik: der<br />

Blues. Der Blues entstand unter amerikanischen<br />

Farbigen und hat seinen Namen natürlich vom<br />

Blau – doch auf Englisch bedeutet „blue“ auch<br />

„traurig“, „melancholisch“. Die Songs des Blues<br />

erzählen von Heimweh, Liebeskummer, von der<br />

Sehnsucht. Das berühmteste „blaue“ Musikstück<br />

ist die „Rhapsody in Blue“ von Gershwin. Und<br />

in einer melancholischen Stimmung ist sogar die<br />

Liebe blau, wie im Chanson „Bleu, bleu, l‘amour<br />

est bleu“.<br />

5. Blaustrümpfe, blaue Briefe, blaue Filme<br />

Fällt Ihnen dazu was ein? - ach, ja, „Blaustrumpf“<br />

werden immer noch jene Frauen genannt,<br />

denen der klassische weibliche Lebenszweck<br />

„Kinder, Küche, Kirche“ - oder in moderner<br />

Version „Kinder, Kosmetik, Karriere des<br />

Ehemanns“- nicht genügt. Der Begriff entstand<br />

ca. 1750 in London in den Salons der Damen<br />

der Gesellschaft: die salonüblichen schwarzen<br />

Stümpfe aus feinster Seide handgestrickt und<br />

überaus teuer ( um 1600 kostete in Holland<br />

ein Paar Seidenstrümpfe 10 Gulden – eine<br />

Kuh kostete 4 Gulden), wurden durch blaue<br />

Strümpfe aus Wolle ersetzt. Blaue Strümpfe –<br />

das bedeutete Arbeitskleidung. Die schlichten<br />

Wollstrümpfe wurden dann das Charakteristikum<br />

dieser Salons: sie signalisierten, dass nicht mit<br />

Reichtum und Kleidung geglänzt wurde, sondern<br />

mit Bildung. „Blue-stocking-clubs“ wurden zum<br />

Begriff für private Treffen kulturell engagierter<br />

Menschen. Meistens waren es Frauen, weil sie zu<br />

Universitäten keinen Zugang hatten und deshalb<br />

hatte die Bezeichnung „Blaustrumpf“ nach und<br />

nach eine diskriminierende Bedeutung. Eine<br />

Frau, der Bildung wichtiger ist als Kleidung, gilt<br />

manchem noch heute als unweiblich.<br />

In einem blauen Briefumschlag kam früher<br />

die Mitteilung der Schule, dass ein Kind nicht<br />

versetzt wird. Auch wenn heute die umweltgrauen<br />

Briefumschläge der Behörden verwandt werden,<br />

blieb der Begriff „Blauer Brief“, auch für<br />

Kündigungsschreiben oder andere unangenehme<br />

Mitteilungen der Behörden.<br />

In England ist ein „blue pencil“ nicht einfach ein<br />

blauer Stift, sondern Symbol der Zensur. Was dem<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 20


essay<br />

Blaustift zum Opfer fällt, darf nicht veröffentlicht<br />

werden. „Blue Movies“ sind Pornofilme, „blue<br />

jokes“ = obszöne Witze. Wer ordinär redet, hat<br />

eine „blue language“ - eine blaue Sprache.<br />

6. Warum Blue Jeans Weltmode wurden<br />

Die Mode der Haute-Couture-Häuser war<br />

nie alltagstaugliche Kleidung, so kam immer<br />

mehr Mode „von der Straße“, entstanden durch<br />

das Bedürfnis der Leute und wurde dann von<br />

Modemachern aufgegriffen. Das ist auch die<br />

Geschichte der Jeans.<br />

Um 1970 konnte jedes Material so dauerhaft<br />

gefärbt werden wie nie zuvor. Kleidung war<br />

preiswert wie nie zuvor, jeder konnte sich ständig<br />

etwas leisten. Es war die Ära des Konsums.<br />

Kulturkritiker sprachen von „Konsumterror“<br />

und „Wegwerf-Gesellschaft“. Es entstand eine<br />

Gegenbewegung, ihr Markenzeichen waren:<br />

abgetragene Jeans. Die Blue Jeans wurden das<br />

Symbol der Rückkehr zu den wahren, dauerhaften<br />

Werten. Die Nachfrage nach verwaschenen Jeans<br />

stieg so rapide, dass Indigo, damals nur noch von<br />

BASF produziert, knapp wurde. Die Modemacher<br />

mussten zunächst mit anderen Farbstoffen das<br />

verwaschene Blau imitieren. Inzwischen sind<br />

Jeans echte Weltmode. Männer und Frauen<br />

tragen sie; Alte und sogar Babys; Bettler und<br />

Millionäre; Putzfrauen und Prinzessinnen.<br />

Als Arbeitskleidung entworfen, wurden sie<br />

zum typischen Freizeitlook, dann wieder mit<br />

Bügelfalte bürofein gestylt.<br />

Unterschiede? - ja, es gab kapitalistische und<br />

sozialistische Jeans. In den Ostblockländern<br />

wurden Jeans mit den unverwüstlichen<br />

Indanthrenfarben gefärbt, die blieben immer<br />

dunkelblau. Die Touristen aus den kapitalistischen<br />

Ländern dagegen trugen Jeans in beneidetem,<br />

verwaschenem Blau. Aber egal, welches Blau<br />

– noch nie hat man gehört, dass Jeansblau<br />

jemandem nicht steht.<br />

7. Blaue Menschen international<br />

Richtig gelesen: Blaue Menschen – wie das?<br />

Bezieht sich die Farbsymbolik auf Menschen,<br />

ist die Bedeutung besonders kulturabhängig<br />

und da möchte ich einige Beispiele bringen:<br />

Deutschland: Ist ein Deutscher blau, dann<br />

hat er zu viel getrunken. Schnaps mit einem<br />

„Blaumacher“ ist ein Schnaps mit 40% Alkohol,<br />

Schnaps mit zwei Blaumachern ist entsprechend<br />

höherprozentig, Schnaps mit drei Blaumachern....<br />

Frankreich: Bei zu viel Alkoholgenuss ist der<br />

Franzose nicht blau, sondern „grau“ - „gris“ -<br />

nämlich benebelt.<br />

England: hat keine Farbe für Betrunkene (oder<br />

keine Betrunkenen...?) In England ist Blau eben<br />

die Farbe der Melancholie. Sagt ein Engländer<br />

„I‘m blue“, ist er trübsinnig.<br />

Russland: blaue Menschen sind hier sanftmütige<br />

Menschen, eine „golubica“, eine „himmelblaue<br />

Russin“ ist eine schüchterne Russin und ein<br />

„blauer Russe“, ein Homosexueller.<br />

China: Hier ist es wieder anders. Ein<br />

blaugeschminktes Gesicht in der Peking Oper<br />

ist die traditionelle Charakterisierung eines<br />

bösen, wilden Menschen. In China ist Blau keine<br />

hochgeschätzte Farbe.<br />

In Ihrer Untersuchung über die Entstehung<br />

von Farbbezeichnungen stellten die beiden<br />

Anthropologen Brent Berlin und Paul Key fest,<br />

dass es in vielen einfachen Sprachen kein Wort<br />

für Blau gibt, Blau gilt als Grünnuance. Auch<br />

die alten Griechen hatten kein Wort für Blau. Im<br />

19. Jhdt. glaubte man deshalb sogar, die alten<br />

Griechen seien farbenblind gewesen und hätten<br />

erst im Lauf der Jahrtausende die Fähigkeit<br />

entwickelt, Farben zu sehen. - Diese Theorie<br />

entstand, als man noch nicht wusste, dass die<br />

weißen Ruinen Griechenlands ursprünglich sehr<br />

farbig bemalt waren.<br />

Heute weiß man, dass alle Völker die Fähigkeit<br />

haben, Farben zu sehen, unabhängig vom Stand<br />

ihrer Zivilisation.<br />

Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen<br />

für den ersten Teil der Farbe Blau. Ich hoffe, Sie<br />

hatten beim Lesen Freude, vielleicht ging hier<br />

und da auch ein „Schmunzeln“ über Ihr Gesicht.<br />

Ich werde mir eine „blaue Stunde“ gönnen, nicht<br />

mit Klosterfrau Melissengeist, aber eventuell mit<br />

einem Cocktail, in dem „Blue Curacao“ ist.<br />

(Quellen: Reclam TB „Blaue Gedichte“ und E. Heller: Wie<br />

Farben auf Gefühl und Verstand wirken)<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 21


essay<br />

10 Kriterien für ein zeitgemässes, gutes Gedicht<br />

Grundsätzliches:<br />

Von allen drei Literaturgattungen reagiert die Lyrik auf geistige Umwälzungen und Krisen<br />

erfahrungsgemäss am stärksten. Deshalb gilt sie als die wandlungs- und entwicklungsfähigste<br />

Gattung, hat sie gerade in der Moderne den radikalsten Wandel durchgemacht. Das bleibt<br />

nicht ohne Folgen: Lässt sich beispielsweise ein Roman heute von der Erzähltechnik her noch<br />

durchaus in der Art Gottfried Kellers oder Theodor Fontanes, also in der Schlüsseltradition<br />

des realistischen Romans schreiben, so ist in der Lyrik etwas Ähnliches undenkbar. Ein<br />

zeitgenössisches Gedicht kann, will es nicht als völlig veraltet erscheinen, kaum mehr im Stile<br />

Mörikes, teilweise nicht einmal mehr in dem Rilkes oder Trakls verfasst werden.<br />

aus: Mario Andreotti: Die Struktur der modernen Literatur. Erzählprosa und Lyrik UTB Band 1127, 4.Aufl., Bern u.a (Haupt), S.297<br />

1. Die klassischen Merkmale des Gedichtes, nämlich Reim, Metrum und lyrisches Ich, fehlen in<br />

der zeitgenössischen Lyrik häufig. Vor allem der Reim, der seit seinen Anfängen nicht nur ein<br />

verskonstituierendes, sondern auch ein harmonisierendes Stilmittel bildet, erweist sich für die<br />

Darstellung einer modernen, disharmonischen Welt kaum mehr als tragfähig. Wo er dennoch<br />

verwendet wird, sollte man altbekannte, gleichsam stehende Reimverbindungen (z.B. Herz/<br />

Schmerz, Sonne/Wonne) möglichst vermeiden.<br />

2. Das lyrische Ich zurücktreten lassen, es im Idealfall in die dominierende Motivik einfügen:<br />

Entpersönlichung, Verfremdung des lyrischen Ich durch die Auflösung seiner Identität, durch<br />

Perspektivenwechsel (vgl. etwa Marie-Luise Kaschnitz’ Gedicht „Genazzano“) usw.<br />

3. Sparsames Einsetzen der Stilmittel: keine Überpoetisierung des Textes! .Eine sachlich-nüchterne<br />

Sprache wirkt meist literarischer als ‚seraphische Töne’ (vgl. etwa „Geeint zu wundervollem<br />

Rufen...zum Tor der Herrlichkeit“). Gottfried Benn: „Der grosse Dichter ist ein grosser Realist.“<br />

4.. Abkehr von einer veralteten Symbolik, die sich nach dem ‚einfachen’ Schema Bild-Sinn lesen<br />

lässt; dafür vermehrt paradigmatische (assoziative) Verknüpfung der einzelnen Bilder (vgl. etwa<br />

August Stramm: „Die Steine feinden/ Fenster grinst Verrat/ Äste würgen...“).<br />

5. Das gute Gedicht ist sprachlich verdichtet, spart aus. Es lebt von dem, was es nicht sagt!<br />

6. Keine Übermetaphorisierung des Gedichtes: nicht blosse Unverständlichkeit als Tiefsinn<br />

ausgeben (vgl. etwa „...fallen Brücken vom Berg des Erbarmens“). Vorsicht vor allem bei der<br />

Genitivmetapher (z.B. „Nacht der Gnade“), die schnell verbraucht, veraltet wirkt.<br />

7. Forderung nach formaler Offenheit des Gedichts: Text so konzipieren, dass verschiedene<br />

Deutungen möglich sind, dass die LeserInnen aber zur Deutung gezwungen werden.<br />

8. Forderung nach struktureller Offenheit des Gedichts: möglichst keine Vermittlung von<br />

Gegensätzen, keine harmonisierende Struktur. Wirklich zeitgemässe, moderne Gedichte<br />

vermitteln eher das Bild einer ‚Wirklichkeit’ der unaufgelösten Widersprüche, neigen also zu<br />

einer offenen Struktur.<br />

9. Intertextuelle Bezüge, also etwa Anspielungen auf andere literarische Texte, verleihen dem Gedicht<br />

eine zusätzliche ästhetische Qualität, indem durch sie die Spannung zwischen einem zur<br />

Folie entleerten ‚Gewohnten’ und etwas Neuem ins Blickfeld rückt (z.B. Reiner Kunze „Der<br />

mensch ist dem menschen ein ellenbogen“: Anspielung auf das Gedicht „Ich saz ûf eime steine“<br />

von Walther von der Vogelweide).<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 22


essay / igda<br />

10. Gedichte sind per se innovative Texte. Experimentieren Sie deshalb immer wieder mit der Sprache,<br />

indem Sie syntaktische und wortsemantische Bezüge auflösen, zu elliptischen Wendungen und<br />

dergleichen greifen. Sehen Sie sich diesbezüglich vor allem dadaistische Gedichte an.<br />

Mario Andreotti<br />

Vorstandswahlen <strong>2011</strong><br />

Satzungsgemäß fällt in diesem Jahr wieder eine Vorstandswahl an.<br />

Bitte machen Sie sich Gedanken über geeignete Kandidaten. Vorschläge und Eigenbewerbungen<br />

sind erwünscht.<br />

Die Amtszeit beträgt drei Jahre. Wieder findet die Wahl per Briefwahl statt, die Durchführung<br />

der Wahl obliegt dem Wahlausschuss. Erfreulicherweise steht als Vorsitzende dieses Ausschusses<br />

wieder Gabriella Hühn-Keller zur Verfügung.<br />

Bitte senden Sie Vorschläge bis zum 15. Juni <strong>2011</strong> an die Geschäftsstelle.<br />

Ich freue mich auf Ihre Vorschläge.<br />

Gaby G. Blattl<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 23


Kleines Feuilleton<br />

Ausstellung mit Zeichnungen von Else<br />

Lasker-Schüler<br />

Im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin<br />

ist z.Zt. eine Ausstellung mit Zeichnungen<br />

der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler zu<br />

sehen. Die 1869 geborene Schriftstellerin gilt<br />

als wichtige Vertreterin des Expressionismus.<br />

1933 musste sie emigrieren. Zwölf<br />

Jahre später starb sie in Jerusalem.<br />

Bis zum 1. Mai werden rund 150 Zeichungen,<br />

Collagen und bemalte Postkarten vorgestellt.<br />

Nach Angaben des Museums handelt es sich<br />

um die bisher umfassendste Kunstausstellung<br />

mit Lasker-Schülers Werken. Einige der<br />

Blätter würden erstmals veröffentlicht. Berlin<br />

hat die Ausstellung, die auf einem neuen<br />

Werkverzeichnis mit 235 Zeichnungen und 112<br />

Illustrationen basiert, vom Jüdischen Museum<br />

Frankfurt/M. übernommen. In Berlin hat Lasker-<br />

Schüler mehrere Jahrzehnte gelebt, auch 1899<br />

ihre ersten Gedichte veröffentlicht. Über 100<br />

Zeichnungen stifteten Freunde der Dichterin im<br />

Jahr 1920 der Nationalgalerie. Sie wurden 1937<br />

durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt.<br />

Die meisten Blätter sind bis heute verschollen -<br />

einige der erhaltenen sind in der Ausstellung zu<br />

sehen.<br />

Franz-Hessel-Preis an Kathrin Röggla<br />

Gemeinsam mit der Französin Maylis de<br />

Kerangal erhält Kathrin Röggla den ersten<br />

deutsch-französischen Literaturpreis. Die mit<br />

Preisen bereits überhäufte Österreicherin Röggla<br />

wurde zuletzt 2010 für das beste deutschsprachige<br />

Stück ‚worst case’ ausgezeichnet.<br />

Die in Berlin lebende Salzburger Schriftstellerin<br />

und ihre französische Kollegin Maylis de Kerangal<br />

sind die ersten Trägerinnen des neu geschaffenen<br />

Franz-Hessel-Preises. Der mit jeweils 10.000<br />

Euro dotierte deutsch-französische Literaturpreis<br />

soll ‚den literarischen Dialog zwischen beiden<br />

Ländern vertiefen und <strong>Autoren</strong> fördern, die im<br />

jeweiligen Nachbarland noch unbekannt sind’.<br />

Die Auszeichnung wird von der Stiftung<br />

Genshagen und der Villa Gillet in Lyon von<br />

nun an jährlich verliehen. Namensgeber ist der<br />

Schriftsteller und Übersetzer Franz Hessel (1880-<br />

1941), der mit seinem Leben und Werk („Pariser<br />

Romanze“, „Spazieren in Berlin“) ein Mittler<br />

zwischen den Ländern und Kulturen war.<br />

BGH-Urteil zur Übersetzervergütung<br />

Verlage sehen ihre Existenz gefährdet. Der<br />

Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom<br />

20.1.<strong>2011</strong> zur Übersetzervergütung (I ZR 19/09)<br />

ein früheres Urteil vom Oktober 2009 hinsichtlich<br />

der Nebenrechtsbeteiligung korrigiert. Random<br />

House-Geschäftsführer Joerg Pfuhl beschrieb<br />

auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Publikumsverlage in München die Eckpunkte.<br />

Übersetzer sollen fortan ein Fünftel des<br />

<strong>Autoren</strong>anteils an den Nebenrechts-Lizenzerlösen<br />

erhalten. Diese werden zwischen Autor und<br />

Verlag nach verschiedenen Schlüsseln aufgeteilt,<br />

gebräuchlich sind an Prozenten 60 (Autor) zu 40<br />

(Verlag) oder 70 zu 30. Nach dem früheren BGH-<br />

Urteil von 2009 sollte der Verlagsanteil zwischen<br />

Verlag und Übersetzer gleichwertig - 50 zu 50<br />

- geteilt werden. Derzeit erhalten Übersetzer in<br />

der Regel zwischen fünf und zehn Prozent vom<br />

Verlagsanteil. Bei einem Verlagsanteil von 40<br />

Prozent also 2 bis 4 Prozent vom Lizenzerlös.<br />

Das aktuelle Urteil bedeutet für die Verlage zwar<br />

eine Verbesserung gegenüber dem Urteil von<br />

2009, führt aber dazu, dass sie größere Teile ihrer<br />

Nebenrechtserlöse an die Übersetzer abgeben<br />

müssten, als dies derzeit gängige Praxis ist.<br />

Zahl der E-Book-Downloads hat sich<br />

fast verdreifacht<br />

Der E-Book-Händler Ciando ist mit der<br />

Umsatzentwicklung im Weihnachtsgeschäft<br />

sehr zufrieden: Die Zahl der eBook-Downloads<br />

habe sich im Dezember im Vergleich zum<br />

Vorjahr nahezu verdreifacht, teilte Ciando-Chef<br />

Werner-Christian Guggemos mit. Die besonders<br />

umsatzstarken Tage seien nach Weihnachten<br />

gewesen. Offensichtlich habe häufig ein<br />

neuer E-Reader unter dem Weihnachtsbaum<br />

gelegen, der an den nachfolgenden<br />

Feiertagen mit Inhalten gefüllt wurde.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 24


Unter den Top 15 der meistverkauften E-Books<br />

im Weihnachtsgeschäft waren Werke des<br />

Erfolgsautoren Ken Follett: „Die Tore der<br />

Welt“, „Die Säulen der Erde“ und „Sturz<br />

der Titanen“, die Biss-Reihe von Stephanie<br />

Meyer, Thea Dorn „Die Hirnkönigin“ und<br />

„Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin.<br />

Kleines Feuilleton<br />

Angelika Zöllner<br />

aktivitäten der Mitglieder<br />

Prof. Dr. Mario Andreotti<br />

hält zum Thema ‚Wie moderne Dichtungen<br />

lesen? Neue Wege in der Textinterpretation‘<br />

vom 30.9. – 2.10.<strong>2011</strong> im Schwäbischen<br />

Tagungs- und Bildungszentrum Kloster Irsee,<br />

Klosterring 4, D-87660 Irsee ein Seminar ab.<br />

Als Vorgeschmack ein kleiner Auszug aus dem<br />

Programm:<br />

Die Struktur traditioneller Texte: Erzähler,<br />

Figuren, Handlung<br />

Der geistesgeschichtliche Wandel seit der<br />

Mitte des 19. Jhdt und seine Auswirkungen<br />

auf die Literatur. Modernes Erzählen:<br />

die Auflösung von Erzähler, Figur und -<br />

Handlung<br />

Formen traditioneller und moderner<br />

Gedichte<br />

Die Postmoderne in Erzählprosa und Lyrik –<br />

der Rückgriff auf die Tradition<br />

Peter Dreyling<br />

gibt folgende Termine bekannt:<br />

am 5.5.<strong>2011</strong>: „Begegnungen“ der Fotodesignerin<br />

H. Schuhmann mit Lyrik von P. Dreyling und Musik<br />

von Kerstin Söder, unter ein Wort von Hilde Domin<br />

gestellt:“Damit es anders anfängt zwischen uns!“<br />

am 22.7.11 liest P. Dreyling alte und neue Lyrik<br />

am Wolframsbrunnen:“Eschenbach, du meine<br />

Stadt“ im Außenbereich des Cafe Parzival, nicht<br />

zu vergessen das Sommertheater mit „Odyssee“.<br />

Johanna Klara Kuppe<br />

hat<br />

am 20.1.0211 im Kulturhaus Schwanen in<br />

Waiblingen zum Thema Winterliebe – Liebeswinter<br />

mit großem Erfolg vorgetragen und wird<br />

am 23.2.<strong>2011</strong> in der Stadtbücherei Waiblingen<br />

zum gleichen Thema aus ihrem Werk vortragen.<br />

Details bzw. Folder bei der Geschäftsstelle<br />

bzw. der Studienleiterin Dr. Sylvia Heudecker<br />

email: Schwabenakademie@Kloster-Irsee.de<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 25


igda<br />

Traute Bühler-Kistenberger<br />

seit Jahrzehnten IGdA-Mitglied bis etwa ein<br />

Jahr vor ihrem Tod, starb am 6.11.2010 nach gut<br />

20-jährigem, schweren Leiden. 1926 geboren<br />

hat sie sich als Autorin ebenso wie als Malerin<br />

(Kohlezeichnungen, Ölbilder und Aquarelle)<br />

mit vielen Ausstellungen einen Namen gemacht.<br />

„Viele ihrer Exponate entsprechen dem<br />

humanistischen Anliegen, das sich sowohl<br />

in ihrem malerischen Werk als auch in ihrer<br />

Dichtung spiegelt,“ sagte H.J. v. Zieten anlässlich<br />

einer Laudatio 1998. Wer mehr wissen möchte,<br />

sei an Traute Bühler-Kistenbergers Homepage<br />

verwiesen: http://www.traute-buehler-kist.de.<br />

Gabriele von Hippel-Schäfer wird <strong>2011</strong> ein neues<br />

Büchlein von ihr herausgeben.<br />

Waltraud Weiß schreibt uns folgenden kleinen<br />

Nachruf dazu:<br />

Traute ist gestorben!<br />

Sie war seit 20 Jahren meine Else-Schwester,<br />

Freundin und Vertraute! Viele ihrer eigenartigen<br />

Briefe, bunte Umschläge, die meine Postbotin<br />

schon kannte, die wie ein Gemälde-Collage bei<br />

mir an der Wand hänten, zeugen von unserer<br />

Literaturfreundschaft. 2 oder 3 Mal habe ich sie<br />

in Herrsching am Ammersee besucht. Sie war die<br />

„Freundin“ von Kurt Rüdiger, so wie die Literatur<br />

seine Freundin war. Traute hat die wunderbarsten<br />

Gedichte gemacht und die herrlichsten<br />

Zeichnungen – und nicht nur für mich, die ich in<br />

ihr eine Else-Tochter sah. Wir haben uns auch<br />

in diesem Jahr noch viel geschrieben, aber sie<br />

lag ja seit langem nur noch im Bett. Auch dort<br />

schrieb und malte sie – sich die Seele aus dem<br />

Leibe und das Leben aus dem Körper. ... Sie hat<br />

mehrere Gedichtbände veröffentlicht, illustriert.<br />

Sie illustrierte auch bekannte <strong>Autoren</strong> wie z.B.<br />

E.T.A. Hoffmann und Achim von Arnim. Sie war<br />

Zeichnerin beim Simplizissimus, Wespennest,<br />

Windrad und Zwischenbereiche.<br />

Nun ist sie von ihrem Leiden erlöst, aber sie bleibt<br />

bei uns, so wie wir / ich sie nie vergessen werde.<br />

Traute, Du Freundin, Traute Du Vertraute – so<br />

wie es Dein Name sagt: Nomen est omen!<br />

Ich danke Dir mit vollem und traurigem Herzen<br />

für 20 Jahre Freundschaft und Anteilnahme.<br />

Waltraud (Weiß)<br />

Traute Bühler-Kistenberger<br />

Schreib das Wort Frühling ...!<br />

(allen Zaghaften und Wintermüden)<br />

Winter – alter Kahlbaum –<br />

behäng dich mit Maigrün.<br />

Von schwerer Nächte Frost<br />

starres, eisbewimpertes Aug’<br />

erwach’ am Überblick Bläue.<br />

Ich wirk’ schon emsig an meinem Knickflügel,<br />

dreh’ und wend’ ihn um brüchige Stellen<br />

noch eh’ Pollen aus dem Blüten stehn,<br />

Goldstaub auffährt ins offene Land.<br />

Wo ich wieder fliege mit den ungezählten<br />

leichten Libellen, Sternseglern und<br />

Brummfliegen,<br />

die schon mein Fenster besiedeln. Schnaub’<br />

deinen Scheeatem aus, alter Eisbär,<br />

deinen Fetzenbart zieh’ von den Bergen, der im<br />

Sonnlicht<br />

reißt wie dünnes Papier.<br />

Ich putz’ meine Sausefeder, wie die Wildtaube,<br />

schneid’ mir den Federkiel draus,<br />

versteck’ meinen frierenden Stelzfuß<br />

eingezogen, wie jene lauschenden Vögel<br />

unterm bauschigen Traumflies vorsichtig<br />

spähend ins Licht<br />

schon –<br />

spür ich den wärmenden Strahl,<br />

schwing’ mich befreiend hervor:<br />

Schreib’ das Wort<br />

FRÜHLING – in eis-freie Luft.<br />

Barbara Suchner<br />

Barbara Suchner, ebenfalls jahrzehntelanges<br />

Mitglied der IGdA, verstarb im Juli 2010. Zu<br />

ihrer Person finden sich Hinweise auf unserer<br />

IGdA-Mitgliederseite und unter Wikipedia.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 26


igda<br />

Waltraud Weiß schreibt uns dazu Folgendes:<br />

Barbara Suchner ...<br />

Was für eine Frau! Als ich sie kennen lernte<br />

war sie schon eine alte Dame. Sie war längst<br />

Meisterin und ich noch IA-Köttela, aber sie ging<br />

mit mir um wie mit einer großen ... Vielleicht<br />

hat sie meine Liebe zur Literatur gespürt. Sie<br />

wusste so viel, nicht nur in der Literatur, auch<br />

im Gesundheitswesen und - in der Liebe, ja auch<br />

da, denn ihre Liebe war ihr Mann, der Mensch,<br />

der ihr der Krieg lange entfernt hielt. Ihr Leben<br />

war eigentlich auch lange eine ständige Suche<br />

und Wanderung. Nie hat sie dabei die Größe und<br />

Würde eines edlen und werten Daseins vergessen.<br />

Ich benutze diese Worte bewusst, denn das Edle<br />

und Wahre, die Würde und der Geist waren ihr<br />

anerzogen oder angeboren. Ich bin glücklich, so<br />

eine Frau kennenlernen zu dürfen; dass sie mich<br />

in ihren Kreis aufnahm, ehrte mich und als sie<br />

einmal Texte von mir in ihre Serie mit aufnahm,<br />

war ich stolz wie Oskar. Das war ihre Größe! Ich<br />

glaube, so etwas gibt es heute (kaum noch) nicht<br />

mehr.<br />

Waltraut Weiß<br />

Barabara Sucher<br />

DIE SPÄTEN DINGE<br />

Ja, es sind die späten Dinge,<br />

die im Leben uns bewegen,<br />

die wie eine sanfte Schwinge<br />

doch auch sturmreich uns erregen,<br />

die uns hüllen, die uns schütteln,<br />

die wir kaum zu fassen glauben,<br />

die uns leiten, die uns rütteln,<br />

die uns Schlaf und Sinne rauben.<br />

Ja, es sind die späten Gaben,<br />

uns geschenkt, und die wir schenken,<br />

die uns Geist und Seele laben,<br />

uns zum inn‘ren Frieden lenken,<br />

die uns auch Vergang‘nes wahren,<br />

wissendes Verstehen bringen,<br />

die uns in den späten Jahren<br />

tief mit Dankbarkeit durchdringen.<br />

Angelika Zöllner<br />

Bücherschau<br />

Angelika Gausmann: Simonetta Krako,<br />

Helga Thomas<br />

Roman, Verlag: Möllmann, 2010, 144 Seiten<br />

Ich weiß nicht, wie ich das Buch, auf dessen<br />

Erscheinen ich so lange gewartet habe, besprechen<br />

kann, ohne dass es zu subjektiv erscheint und<br />

ohne dass ich zu viel verrate, sondern, dass ich<br />

den Leser erreiche und er das Buch selbst lesen<br />

möchte. Denn dieses Buch verdient es. Es ist ein<br />

kleines Kunstwerk!<br />

Vor einigen Jahren hatte mir bei einem<br />

Besuch Angelika Gausmann ihre gerade im<br />

Entstehen begriffene Erzählung vorgelesen,<br />

beziehungsweise von ihrem Erlebnis erzählt,<br />

das zu dieser Erzählung führte. Seitdem wartete<br />

ich, dass das Buch, das sich inzwischen zu<br />

einem kleinen Roman entwickelt hatte, endlich<br />

erscheint. Wenn ich nicht zu viel verraten will, so<br />

ist das Wesentlichste des Inhalts schnell erzählt,<br />

ich kann den Klappentext zitieren:“ Die Studentin<br />

Simonetta Krako lernt in Berlin Ende der<br />

Weimarer Republik den schon bekannten Maler<br />

Felix Nussbaum kennen und verliebt sich in ihn.<br />

Krieg und Shoah geben dieser Liebesgeschichte<br />

keine Chance, bis Simonetta eine Entdeckung<br />

macht. . .“ Die Liebesgeschichte und auch das<br />

Studium der jungen Studentin stehen unter dem<br />

Zeichen des beginnenden Nationalsozialismus.<br />

Im Januar 1934 ist die Vernissage von Simonettas<br />

erster Einzelausstellung. Sie spürt, dass sie<br />

instrumentalisiert wird, falsch interpretiert,<br />

vereinnahmt. „Sie galt als das Mädchen vom<br />

Lande, aus Westfalen, von der via regia Karls<br />

des Großen. Das kam der Kulturabteilung recht.“<br />

(Seite 39) doch plötzlich kippt Simonettas<br />

Stimmung auf der Vernissage. Sie hat den<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 27


igda<br />

Eindruck, dass ihre Bilder nicht mehr leben<br />

können, dass sie ersticken, sie versucht sie zu<br />

retten und innerhalb von Minuten wird aus<br />

einer jungen Kunststudenten, die zum Blut- und<br />

Bodenstil zu passen schien, eine ungeklärte<br />

Person, die entartete Kunst schuf. Simonetta zieht<br />

sich in die Heimat zurück, malt weiter, entwickelt<br />

ihre Kunst, erlebt den Nationalsozialismus und<br />

den Krieg und versucht in all der Zeit, den inneren<br />

Kontakt zu ihrem Geliebten aufrechtzuerhalten.<br />

Leben und auch Flucht des Malers bis zum Tod<br />

im KZ ist alles fast nur skizzenhaft gezeichnet.<br />

Angelika Gausmann ist eine sehr gute Zeichnerin<br />

und daher verwundert es eigentlich nicht,<br />

dass sie es auch mit Worten vermag. Manche<br />

ihrer Schilderungen sind dagegen wie ihre<br />

Aquarellbilder, doch hier – in der Sprache des<br />

Romans – habe ich (zumindest für mich) eine<br />

neue Seite der Künstlerin entdeckt: sie schafft<br />

mit ihrem Wort Holzschnitze, manchmal erinnern<br />

sie auch an Skulpturen. Die Autorin gestaltet mit<br />

dem Wort bildende Kunst keineswegs nur dann,<br />

wenn sie das Schaffen und die entstandenen<br />

Werke von Simonetta beschreibt.<br />

Das folgende Leben vordergründig ist das weitere<br />

Lernen einer Künstlerin, die allmählich Erfolg<br />

hat, die auch andere Beziehungen lebt, aber in<br />

ihrem Inneren immer wieder auf der Suche nach<br />

Felix Nussbaum ist, manchmal im Zwiespalt,<br />

ob sie lieber vergessen sollte oder eben, dass<br />

sie das auf keinen Fall darf. Was innerlich<br />

geschieht klingt – wenn ich es zu beschreiben<br />

versuche, fast wie eine illusionistische New-<br />

Age-Produktion, was sie aber keineswegs ist!<br />

Simonetta gelingt es im Nachbereich, in die<br />

geistige Welt durchzustoßen oder besser gesagt:<br />

in den Zwischenraum, wo die Verstorbenen<br />

versuchen, sich neu zu orientieren. Die Autorin<br />

nennt es den „Leerraum“. Zu den eindringlichsten<br />

und absolut glaubhaften Schilderungen gehören<br />

auch die Märchenfiguren, denen Simonetta<br />

dort begegnet, die sich im Gespräch mit ihr<br />

verwandeln und so vieles besser ausdrücken als<br />

es mit anderen Worten möglich ist (ich selbst<br />

bin Psychotherapeutin Jungscher Prägung und<br />

bin es daher gewohnt, mit Archetypen und ihren<br />

bildnerischen Erscheinungsformen umzugehen.<br />

Was hier geschildert wird, ist ein kreativ<br />

lebendiger Umgang mit diesen archetypischen<br />

Kräften und es wird verständlich, dass wir zum<br />

Beispiel über unsere Märchen vielleicht einen<br />

Verstorbenen leichter erreichen können als mit<br />

manchem konfessionellen Gebet).<br />

Wie ich den Roman verstanden habe, ist es<br />

unbedingt notwendig, dass Felix Nussbaum sich<br />

wieder im Leben inkarniert, nur so kann wohl<br />

bleibender Schaden überwunden werden und er<br />

kann sein einmal geplantes Leben vollenden.<br />

Wer nun meint, es käme ein mehr oder weniger<br />

gelungenes Happyend auf ihn zu, sieht sich<br />

getäuscht! Die Autorin schildert die Realität<br />

so wie sie sie erlebt, sowohl die innere wie die<br />

äußere Realität und da ist kein Platz für billige<br />

Klischees. Und genau jetzt bin ich an dem Punkt,<br />

da sich meine, ich darf nicht weiter von dem<br />

Buch erzählen (obwohl ich es furchtbar gerne<br />

möchte!) Der Leser muss es selbst erlesen. Denn<br />

bei diesem Buch geht es nicht um den Inhalt, und<br />

um das darstellen, was ich meine, das Angelika<br />

Gausmann ausdrücken wollte, sondern es geht<br />

um das Leseerlebnis. Das, was der Leser liest,<br />

kann in ihm etwas auslösen, wenn er dazu bereit<br />

ist. Vielleicht verändert es seine Auffassung, auf<br />

jeden Fall ist es ein Geschehen, das durch meine<br />

eigene subjektive Interpretation zu sehr gestört<br />

würde.<br />

Doch stattdessen möchte ich einige Textstellen<br />

anfügen, damit das Buch für sich selbst sprechen<br />

kann:<br />

Simonetta Krako beschloss im Jahre 1910, das<br />

Licht der Erde zu erblicken, zu reisen und zu<br />

lieben, an einem sonnigen Septembertag. Ihr<br />

erstes Sonnenlicht sah sie nachmittags in einem<br />

kleinen Dorf im Westfälischen.<br />

Sie sei von Anfang an ein besonderes Kind<br />

gewesen, wird sich ihre Mutter später noch<br />

jahrelang erinnern und allen Bekannten und<br />

Verwandten – derer hatte sie viele – erzählen.<br />

Jedes Kind sei besonders, erzählen die stolzen<br />

Eltern, manchmal erkennen sie aber die echten<br />

Besonderheiten ihrer Kinder nicht, auch später<br />

nicht, oft nie.<br />

Simonetta blieb von diesem Schicksal verschont.<br />

Trotz Krieg konnte sie sich stets dem Verständnis<br />

und der Liebe ihrer Mutter sicher sein. Sie<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 28


igda<br />

würde später kein geschlagenes pubertierendes<br />

Kind sein. Sie würde Dinge sehen, von denen<br />

die meisten ihrer Generation nicht zu träumen<br />

wagten.<br />

(S.8-9)<br />

Unser Leben zwischen Orten und Unorten,<br />

wo bin ich? Der Ort ist bestimmt, der Unort<br />

ist unbestimmt? An welchem Ort bin ich?<br />

Die Geschwindigkeit bestimmt, wo ich bin,<br />

wie schnell ich bin, bestimmt der Ort? Dieser<br />

Rhythmus der Geleise ist meine Uhr, mein Herz,<br />

denn er schlägt regelmäßig und so lange bin ich<br />

in der Zeit und lebe.<br />

Wir werden entführt in die Zeit- und Ortlosigkeit,<br />

denn wir sind die Unerwünschten, auf dem Weg<br />

zum Unort in der Unzeit. Nur noch das Rattern des<br />

Waggons zeigt mir, dass es noch ein Draußen gibt.<br />

Kein Lichtstrahl zeigt mir die Sonne, die Zeit und<br />

die Richtung. Aber wir wissen, im Osten nimmt<br />

die Sonne nicht mehr für uns ihren Lauf, denn<br />

hier sind die Plätze der Vernichtung. An diesen<br />

Orten ist der Tod nicht das Ende eines Lebens<br />

in Würde und Selbstverständlichkeit, nein, hier<br />

am zukünftigen Unort ist der Tod das Ende, das<br />

Nichts und niemand wird uns ein Kaddish sagen,<br />

denn dann käme ja nach dem Tod das, was nach<br />

allen würdigen Toden folgen würde, nur hier wird<br />

es nicht so sein. Der Ort ist schon fort, wenn der<br />

Waggon nicht mehr in seinem Rhythmus schlägt,<br />

wird auch diese meine Zeit nicht mehr sein.<br />

Wie kann ich überleben?<br />

Mein Leben ist in meinen Bildern. Sie sind in<br />

Sicherheit? Ich hoffe es so!<br />

(S.60)<br />

Und dann war sie im Ewigen Blau, das sie als<br />

Kind immer erträumt hatte, sie war in der Leere.<br />

Aber sie hatte nun für das, was sie wahrnahm,<br />

keine Worte mehr. Mensch zu Mensch. Zu Haus?<br />

Nein, unbehaust.<br />

Der Leerplan war die ewige Leere, ausgefüllt und<br />

gleichzeitig frei, er war das Blau, von dem sie als<br />

Kind immer geträumt hatte.<br />

Und sie betrat den Planeten, auf dem eine zarte<br />

Hand die Spinne rettete, die auf dem Holz des<br />

Scheiterhaufens herumklettert, bevor dann diese<br />

zarte Hand ein Opfer der Flammen wird. Sie war<br />

im Leerplan.<br />

Hier war jeder Mensch – wenn diese<br />

Bezeichnung angemessen ist, sie ist es aber<br />

nicht, aber ich benutze sie, weil sie ein<br />

Ausdruck ist, der geläufig ist und mit dem man<br />

eine gewisse Moralität und auch ‚Ansprüche,<br />

an sich selbst und an andere verbinden kann.<br />

(S.65-66)<br />

Die Ärzte und Krankenschwestern besticht<br />

sie in den nächsten Wochen durch ihr klares<br />

Denken, aber auch durch ihre unendliche<br />

Melancholie, die sich mit jedem Kliniktag<br />

steigert. Und sie erzeugt Verwunderung: Sie<br />

bittet um Papier und Bleistifte, denn sie will<br />

zeichnen. Schwester Eleonore tut ihr den<br />

Gefallen. Und Simonettas mit Schläuchen<br />

und Kanülen angekettete Hände schaffen in<br />

wenigen Stunden etwa 20 Zeichnungen vom<br />

Interieur des Intensivbehandlungsraumes.<br />

Das hat noch kein Arzt und keine Schwester in<br />

ihrer Dienstzeit erlebt. Als sie Simonetta um<br />

eine Erklärung bittet, erklärt sie:<br />

„Kunst kann immer am Leben erhalten. Ich bin<br />

fest davon überzeugt, dass Kunst oft besser als<br />

jedes Medikament wirkt. Außerdem habe ich<br />

hier ein sehr eigenwilliges Interieur. In seiner<br />

Eigenartigkeit hat es mich sehr fasziniert und<br />

ich habe hier unendlich viel Zeit zum Zeichnen.“<br />

Sie unterbricht sich und starrt auf die<br />

Deckenbeleuchtung: „Nein, ich habe nicht<br />

mehr unendlich Zeit.“<br />

Sie blickt dann den Arzt fest an. Er seufzt, schaut<br />

freundlich zurück und sagt: „Sie sind eine<br />

Künstlerin. Sie setzen ihre Lebenszeit richtig<br />

ein. Selbstverständlich werde ich mich um<br />

eine Möglichkeit kümmern, diese Zeichnungen<br />

auszustellen.“<br />

Später, nach Ende des Klinikdienstes, auf der<br />

Rückfahrt nach Haus, gehen ihm Gedanken<br />

durch den Kopf, die er noch nie hatte. Er hasste<br />

den Kunstunterricht, als er zum Gymnasium<br />

ging. Dort war nichts von Lebensfreude zu<br />

spüren und schon gar nichts von der Kraft, die<br />

Kunst in einem Menschen entwickeln kann.<br />

(S.140-141)<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 29


igda<br />

Irmentraud ter Veer:<br />

Ithaka wartet – Gedichte.<br />

Nachklang aus Griechenland.<br />

Verlag Ch. Möllmann, 15,50 Euro.<br />

Irmentraud ter Veer hat einen neuen Gedichtband<br />

vorgelegt. Die in Holland lebende Autorin –<br />

gebürtig aus Wien – hat ihn in ihrer Heimatsprache<br />

verfasst, wie bisher. Stimmungsvoll iIllustriert ist<br />

er von zartfarbigen Fotos der Autorin selbst und<br />

Christian ter Veer.<br />

Die vorliegende Gedichtsammlung erscheint<br />

schnell als etwas Besonderes, auch wenn die<br />

feinfühlige, poetische Bildsprache der Autorin<br />

lange bekannt ist. Man spürt als Lesende(r), hier<br />

geht etwas vor, das sich nicht mit oberflächlichem<br />

Blick in rasche Worte fassen lässt. Etwas, das<br />

mit dem uralten Tugendbegriff ‚warten’ zu<br />

tun hat. Wie uns bereits der Buchtitel verrät,<br />

Ithaka wartet, reihen sich die Gedichte in<br />

entsprechenden Bildern aneinander, erinnern<br />

in einem doppel- und mehrbödigen Sinn an<br />

Odysseus, aber auch an Penelope, Athene,<br />

Orpheus, Poseidon und manche anderen Götter<br />

sowie Helden des archaischen Griechenland. So<br />

lesen wir von der Übung des Wartens auch auf<br />

dem Buchrücken: ‚Noch nicht erreicht/ Patmos/<br />

Inselerde...aber den Duft/ schweigende Würze/<br />

weht das Wort/ das im Anfang war/ weithin.’ Die<br />

Autorin hat mit der Publikation dieser lyrischen<br />

Gedichte Jahre gewartet (gezögert?) Selbst jetzt<br />

spricht sie im Vorwort bescheiden von lediglich<br />

‚kurzen Anäherungen’ an Wahrheit.<br />

Odysseus‚ ‚der Leidgeprüfte und wie aus<br />

Meerschlünden Wiedergeborene...’ Wir können<br />

uns leicht mit seiner Sagengestalt identifizieren.<br />

Sind wir nicht alle in unserem Suchen und<br />

Herumirren bisweilen ein wenig Odysseus?<br />

Auch in Geduld sich übende Penelope? Wie<br />

mühselig schwer scheint es häufig, im Durchgang<br />

durch unsere Schicksalsstadien eine Wartezeit<br />

anzunehmen, aushalten zu lernen, wenn z.B. ‚die<br />

beschattete Unschöne aber / die Schlange ...sich<br />

entrollt/’, oder zwischen ‚erloschenen Sternen/<br />

die bleichen Arme geheftet ans Brett’ sind.<br />

Wenn wir das ‚opfernde Opfer’ lernen müssen.<br />

Denn so manches Mal können wir der Autorin<br />

zustimmen:‚Es lagern alle Klagen auf Hängen<br />

der Berge.’<br />

Bis wir eines Tages erkennen, wieviele Wege<br />

und Auswege es gibt: ‚Wege zu den Meeren<br />

der Nacht, aus der Zeit hinaus/aus dem Raum<br />

hinaus/aus den Wegen hinaus/ins Wort hinein/<br />

ins Schweigen hinein...’ Wenn wir bemerken, daß<br />

wir nicht immer vergebens suchen den ‚dunklen<br />

Eingang in mein Haus zwischen den weißen<br />

Säulen, begrüßt von Palmzweigen.’ Da wird<br />

etwa der Wind des Parnassos, ein ‚Adlerwind’,<br />

beflügeltes, tröstendes Symbol.<br />

In Delphi wird ‚Götteratem im Weihespiel Wort’;<br />

da sprechen, vielleicht bis heute, ‚Ewige zu<br />

unseren Gliedern, schütteln ‚die Schwere’ ab.<br />

Der ‚Saft der Oliven’, deren Baum von der Göttin<br />

Athene erstmals gepflanzt sein soll, ‚ erwärme<br />

euer Herz’.<br />

Wir Lesenden ahnen, daß an einem Ort wie<br />

diesem ‚Schlangen verschwinden’ können.<br />

Aber es gibt in Griechenland noch weitere Plätze,<br />

die eine begehbare Zukunft aufdämmern lassen.<br />

Am Meer schreibt die Autorin: ‚Eos Hand lässt<br />

nächtliches Lächeln aufdämmern.’<br />

In Rhodos spürt sie, man kann ‚Sonnenträume<br />

auf Mauern’ auflesen.’In Tiefen verschlossen das<br />

Wissen/ der Sonnenerwartung...’ Und sie erzählt,<br />

wie ihr Herz lebt, / in Gesängen/Worten überm<br />

Meer/und unterm Meeresspiegel...<br />

Und dann steht sie da, erreichen wir mit ihr den<br />

Ort des Lichts:<br />

An der Schwelle des Lichts/steh ich im Dunkel/<br />

es wirft seine Schatten/über die Schwelle...<br />

aber das helle /Licht schießt Pfeile/..Gefunkel/<br />

Blitzen...’. Und wir hören mit der weisen Athene<br />

die eindrucksstarken Worte:’/Steh aufrecht /<br />

Gottestochter/wie die Säulen ...und ‚streite weise<br />

für den höchsten Geist.’<br />

Angelika Zöllner<br />

Andrea Martina Graf/Brigitte Meyer:<br />

Die Entsorgung von all dem Zeugs.<br />

Sprechoper für zwei Stimmen und Cello.<br />

52 Seiten mit beigelegter CD. VGS Verlagsgenossenschaft<br />

St. Gallen 2010.<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 30


igda<br />

ISBN 978-3-7291-1126-4, CHF 32.00/EUR<br />

21.50.<br />

Zivilisationsmüllpoesie – bitte nicht<br />

entsorgen!<br />

Andrea Martina Graf (Texte und Lesestimme)<br />

und Brigitte Meyer (Cello und Stimme)<br />

haben in der Verlagsgenossenschaft St.Gallen<br />

die Partitur zu einer Sprechoper mit dem<br />

aussagekräftigen Titel „Die Entsorgung von all<br />

dem Zeugs“herausgegeben, die den hörenden<br />

Leser (oder umgekehrt) mit ihrer akuraten<br />

Inszenierung von „Wörter- und Silbenschutt“<br />

in Bann zieht. Hauptthema ist, wie der Titel<br />

bereits verrät, die Abfallentsorgung. Assoziativ<br />

lösen sich daraus Bilder, die Sätze oder<br />

Wortfetzen sprachlich variierend und planvoll<br />

in Klang umsetzen. So ist die Oper, die sich<br />

durch Sprache, rezitative Gesänge und Cellosoli<br />

manifestiert, in thematische Szenen unterteilt, die<br />

um Abfallcontainer, St. Galler Müllsäcke, WC-<br />

Enten, Verwesungsschwaden, Dosen, Handys u.a.<br />

kreisen. Grundlage einer Szene, die in der Regel<br />

auf eine Seite beschränkt ist, ist ein klanglich<br />

interessantes Wort oder ein prägnanter Satz, wie<br />

beispielsweise die aus einer Gebrauchsanleitung<br />

herausgelöste Aufforderung: „Ente am Bauch<br />

packen“. Nun segmentiert die Autorin einzelne<br />

Wörter und verbindet sie mit ähnlich klingenden,<br />

wobei sie sowohl dialektale wie Sprachgrenzen<br />

überschreitet: am Bauch – am Bach – Beach -<br />

beat – beast – Beach. Oder sie geht im „Lied der<br />

Einwurfslöcher“ vom konkreten Bild aus: O O O<br />

O, ergänzt die Löcher mit Buchstabenvariationen<br />

wie: Do - du da do - deux (sg-deutsch und frz.)<br />

bis sie am Ende der Szene beim Wort Dose/<br />

dosä angelangt ist, aus dem wiederum der<br />

Klang sssssssss für den nahtlosen Übergang<br />

zur nächsten Szene „suis-suisse“ extrahiert<br />

wird. Daneben werden Begriffe immer wieder<br />

zerstückelt, einzelne Silben entpuppen sich<br />

plötzlich als eigenständige Wörter (Protz-Ent;<br />

recy-kling). Leitmotivisch ziehen sich bestimmte<br />

Wörter (Ente, Dose u.a.) oder Satzfragmente wie<br />

ein roter Faden durch die Szenen und verhängen<br />

sie wie eine Fuge miteinander.<br />

Das Klangerlebnis, welches den rhythmischen<br />

und melodischen Charakter der Wortpartikel<br />

und Satzfragmente auslotet, ist in 35 Tracks<br />

auf CD gebannt (Laufzeit 76 Minuten) und<br />

findet in der Textpartitur seine Ergänzung.<br />

Grafisch sehr ansprechend gestaltet, teilen<br />

nebeneinandergesetzte (für Solostimmen) oder<br />

sich überlagernde Kästchen (Polyphonie) die<br />

Textfragmente auf. Ein roter, kleingedruckter<br />

Kommentar verteilt die Sprecherrollen (S 1<br />

und S 2) und gibt die Art der Aussprache vor<br />

(genüsslich zornig flüstern drohend) bzw. erläutert<br />

die Celloeinsätze, in welchen Brigitte Meyer<br />

ihrem Instrument durchaus auch unbekannte<br />

Klänge und Geräusche entlockt. Mit Hilfe der<br />

Gebrauchspartitur, wie Graf den Text nennt, kann<br />

der Leser analytisch die Sprachgewalt der Autorin<br />

nachvollziehen und es wird klar, dass mit der Oper<br />

keine simple Nonsensekunst geschaffen wurde,<br />

sondern bei Andrea Graf ein aussergewöhnliches<br />

Feingefühl und eine ungewöhnliche Hellhörigkeit<br />

für Sprache vorzufinden ist. Professor Mario<br />

Andreotti, der Verfasser des Vorwortes, stellt<br />

sie in eine Linie mit Ernst Jandl und Eugen<br />

Gomringer, den bekanntesten Vertretern der<br />

konkreten Poesie. Sehr erhellend sind neben<br />

dem Geleitwort auch die Nachworte der beiden<br />

Akteurinnen „Blick in die Baugrube“ (Graf)<br />

und „Ideen zur Musik“ (Meyer), in denen sie<br />

differenziert ihren kreativen Prozess erläutern<br />

und sich als exzellente Kennerinnen ihrer Materie<br />

erweisen.<br />

Christiane Matter<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 31


igda - Service<br />

Wettbewerbe<br />

Ernst Meister Preis für Lyrik <strong>2011</strong><br />

Der aktuelle Ernst Meister Preis für Lyrik <strong>2011</strong><br />

wird am 3. September <strong>2011</strong> im Rahmen einer<br />

feierlichen Preisverleihung und anlässlich des 100.<br />

Geburtstags von Ernst Meister vergeben. Er besteht<br />

aus einem Hauptpreis und zwei Förderpreisen.<br />

Mit dem Hauptpreis wird das Werk einer<br />

Autorin/eines Autors ausgezeichnet, ‚in dem auf<br />

besondere Weise die Verantwortung für Sprache<br />

und Poesie und das Bemühen um ihre lebendige<br />

und zeitgemäße Weiterentwicklung zum Ausdruck<br />

kommen’.<br />

Verlage, literarische Einrichtungen und<br />

Kulturvermittler sind berechtigt, <strong>Autoren</strong><br />

vorzuschlagen. Eigenbewerbungen sind nicht<br />

zulässig, lediglich für die Förderpreise. Die zwei<br />

Förderpreise erhalten NachwuchsautorInnen.<br />

Der Thalia-Förderpreis steht allen offen, der<br />

westfälische Förderpreis nur Bewerbern aus<br />

Westfalen.<br />

Einsendungen von max. 12 Gedichten in<br />

sechsfacher Ausfertigung – plus Bibliographie<br />

- an: Kulturbüro der Stadt Hagen,<br />

Museumsplatz 3, 58095 Hagen.<br />

Infos: www.ernst-meister-preis.hagen.de.<br />

Einsendeschluss: 5.4.<strong>2011</strong><br />

Literaturpreis der ‚keb’, Katholische<br />

Erwachsenenbildung.<br />

Zum zweiten Mal lädt die ‚keb’ zu einem<br />

Literaturwettbewerb ein. Das Thema für <strong>2011</strong><br />

heißt: begegnung:nähe:genießen. Keine<br />

pädagogischen Aufrufe sind erwünscht, ‚sondern<br />

Texte, die sich auf die Suche nach einer Sprache<br />

der Begegnung ... der Nähe und ... des Genießens<br />

machen. Vor Ort soll mit Menschen nachgedacht<br />

werden, ‚wie ein nachhaltiges und gelingendes<br />

Miteinander sich gestalten lässt.’. Gleichzeitig<br />

wird – ebenfalls vor Ort – ‚nach der Bedeutung<br />

von Bildung’ generell gefragt/diskutiert werden.<br />

1. Preis 1000 Euro, 2. Preis 500 Euro, 3.<br />

Preis: Ein dreitägiger Aufenthalt in einem<br />

der Bildungshäuser inclusive Anreise/volle<br />

Verpflegung.<br />

Gedichte (max. 5 Texte) oder Prosa (max. 5 DIN<br />

A4 Seiten á 4.000 Zeichen , d.h. 20.000 Zeichen<br />

incl. Leerzeichen) sind anonymisiert einzusenden<br />

an: keb, Katholische Erwachsenenbildung,<br />

Jahnstraße 30, D-70597 Stuttgart. Rückfragen:<br />

Michael Krämer, Tel. 07119791 208,<br />

e-mail: mkraemer@bo.drs.de.<br />

Die Manuskripte sind mit einer Chiffre zu<br />

kennzeichen, ebenso der beigelegte DIN A6-<br />

Umschlag, der ein Blatt mit Adresse, Email<br />

etc. enthalten soll. Die Teilnehmer erklären<br />

sich einverstanden, dass ihre Beiträge in<br />

einer Dokumentation der „Stuttgarter <strong>Heft</strong>e“<br />

veröffentlicht werden. Es ist geplant, die 15 besten<br />

Beiträge in einer Sondernummer zu publizieren.<br />

Infos: http://www.drs.de;<br />

Einsendeschluss 27. Mai <strong>2011</strong><br />

Jokers Lyrikwettbewerb<br />

Vom 1.3.<strong>2011</strong> bis 31.3.<strong>2011</strong> findet der Joker-<br />

Lyrikwettbewerb im Internet statt. Er gehört zu den<br />

großen deutschsprachigen Poesiewettbewerben.<br />

Es gibt keine Themenvorgabe. Jede/r<br />

TeilnehmerIn kann nur ein unveröffentlichtes (!)<br />

Gedicht einsenden.<br />

1. Preis: 1000 Euro, 2. Preis 500 Euro, 3. Preis<br />

250 Euro, Sonderpreis f. Humor - 100 Euro.<br />

Mit der Einsendung eines Gedichtes stimmt<br />

der/die Teilnehmer/In der Veröffentlichung<br />

in der kostenlosen Internet-Datenbank von<br />

Jokers, der Gedichte-Anthologie “Jokers-<br />

Lyrik-Preis <strong>2011</strong>″ und/oder dem Jokers<br />

Gedichte-Wochenkalender 2012 zu. Die<br />

Gewinner und Gewinnerinnen werden im<br />

Juni <strong>2011</strong> im Internet bekannt gegeben.<br />

Infos: http://www.jokers.de/1/poem.lyrik/derwettbewerb.html<br />

Literaturpreis des Iris Kater<br />

Verlages <strong>2011</strong><br />

Gesucht wird ein Kinder- und Jugendbuch<br />

oder ein Bilder-, auch Sachbuch. Es soll ‚in<br />

literarischer Form junge Menschen ermutigen,<br />

sich für Zivilcourage und Toleranz, für<br />

Menschenrechte und gewaltfreie ... Formen<br />

der Konfliktlösungen einzusetzen, (die)<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 32


igda - Service<br />

friedenspolitische Inhalte enthalten und den Wert/<br />

die Bedeutung demokratischen Engagements<br />

erfahrbar machen.... Das Buch‚ soll aufzeigen,<br />

wie Gewalt entsteht, was sie anrichtet und wie<br />

Konfliktlösungen aussehen.’<br />

Wie das Thema verarbeitet wird, obliegt dem<br />

Autor. Das Gleiche gilt für die Länge des Werkes.<br />

Der Gewinner ist damit einverstanden, sein Buch<br />

in der Iris Kater Verlag & Medien GmbH zu<br />

veröffentlichen. Es entstehen keine Druckkosten.<br />

Einsendungen mit einer <strong>Autoren</strong>biografie auf<br />

dem Deckblatt erbeten an: Iris Kater Verlag<br />

& Medien GmbH, Literaturpreis <strong>2011</strong>,<br />

Bahnhofstraße 36, 41747 Viersen.<br />

Info: info@kater-medien.de und<br />

www.kater-medien.de .<br />

Einsendeschluss 1. 7. <strong>2011</strong><br />

Schwäbischer Literaturpreis <strong>2011</strong><br />

Der Bezirk Schwaben verleiht seit 2005 den<br />

Schwäbischen Literaturpreis. <strong>2011</strong> wird er für<br />

einen unveröffentlichten Prosatext zum Thema<br />

„Fluss’ ausgeschrieben. Teilnahmeberechtigt<br />

sind AutorInnen, die im schwäbischalemannischen<br />

Kulturraum leben bzw. in<br />

diesem ihre biographischen Wurzeln haben.<br />

Anonymisierte und mit Kennwort versehene<br />

Manuskripte in 12-Punkte-Schrift (ca. 50<br />

Zeilen à 80 Anschläge) bis max. 20 Seiten<br />

werden erbeten. Die Anschrift einschließlich<br />

Telefonnummer, Mailadresse und Geburts datum<br />

ist im verschlossenen Begleitbrief einzu rei chen.<br />

Neben den Geldpreisen - 1. Preis: 2.000<br />

Euro, 2. Preis 1.500 Euro, 3. Preis 1.000<br />

Euro - ist eine Anthologie beabsichtigt.<br />

Zusätzlich wird ein Sonderpreis verliehen für<br />

eine(n) NachwuchsautorIn unter 25 Jahren.<br />

Die Preisverleihung findet voraussichtlich im<br />

November <strong>2011</strong> statt. Info: Bezirk Schwaben<br />

– Heimatpflege Prinzregentenstr. 8, 86150<br />

Augsburg, Tel. 0821/3101-309 oder<br />

e-mail:Heimatpflege@Bezirk-Schwaben.de<br />

Infos: http://www.bezirk-schwaben.de .<br />

Einsendeschluss: 30. 6. <strong>2011</strong><br />

Schreiben zwischen den kulturen <strong>2011</strong><br />

– Prosa, Lyrik, Drama, Schulprojekte.<br />

Ein Literaturwettbewerb zur Förderung der<br />

Literatur von AutorInnen, die aus einer anderen<br />

Muttersprache als der deutschen kommen, jedoch<br />

in deutscher Sprache schreiben. Es handelt<br />

sich um ein Projekt von ‚exil, Zentrum für<br />

interkulturelle Kunst und Antirassismusarbeit.<br />

1. Preis: Euro 3000 Euro, 2. Preis: Euro<br />

2000 Euro, 3. Preis: 1500 Euro. (Alle drei<br />

für Prosa). Lyrikpreis: 1500 Euro. Preis für<br />

AutorInnen mit deutsch als Erstsprache:<br />

1000 Euro. Preis für Texte von Teams und<br />

Schulklassen: 1000 Euro. Preis für Texte<br />

Jugendlicher (bis zum 20. Lebensjahr) 1000<br />

Euro. Preis für Theatertexte (Drama): 2.000<br />

Euro (gefördert von ‚wiener wortstaetten’)<br />

Teilnahmeberechtigt sind Personen, die seit<br />

mindestens einem halben Jahr in Österreich<br />

leben. Alle unveröffentlichten (!) Arbeiten<br />

müssen in 4-facher Ausfertigung eingereicht<br />

werden, sollen den Umfang von 10 Seiten nicht<br />

überschreiten und sich ‚im weitesten Sinn mit den<br />

themen fremdsein, anderssein, identität, flucht,<br />

vertreibung, ankommen, integration, leben<br />

zwischen kulturen usw. auseinandersetzen.’ Eine<br />

Kurzbiographie plus Foto und Adresse sollte<br />

gesondert beigefügt werden (bei Schulklassen,<br />

auch die der Lehrkraft). Einsendungen an: exil,<br />

Kennwort „exil-literaturpreise“, stiftgasse 8,<br />

A-1070 wien.<br />

Infos: verein.exil@inode.at oder Tel.: 0699<br />

-123 444 65 sowie www.zentrumexil.at .<br />

Einsendeschluss für Prosa, Lyrik und Drama:<br />

30. April <strong>2011</strong>,<br />

für die Schulprojekte und Jugendtexte:<br />

30. Juni <strong>2011</strong><br />

Magustage in Münster<br />

‚Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt’.<br />

Unter diesem Diktum J. G. Hamanns haben<br />

die ersten Magus Tage Münster 2010 nach<br />

dem Zusammenhang von Sprache, Denken und<br />

Wahrnehmung gefragt. Die 1. Magus-Preisfrage<br />

fokussiert dieses Thema auf die Poesie.<br />

‚Poesie ist die Muttersprache des menschlichen<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 33


igda - Service<br />

Geschlechts’, behauptet Johann Georg Hamann<br />

in seiner „Aesthetica in nuce.“ Gesucht werden<br />

Texte mit Antwort auf die Preisfrage. Sie<br />

müssen eine literarische oder wissenschaftliche<br />

Form aufweisen. Unveröffentlichte Gedichte,<br />

Gedichtzyklus, Erzählung, Prosa, Essay oder<br />

wissenschaftliche Abhandlung kommen in Frage<br />

mit max. 30.000 Zeichen. Eine Fachjury aus<br />

Wissenschaftlern und <strong>Autoren</strong> wählt die beste<br />

Antwort auf die Magus-Preisfrage aus. Dotierung:<br />

4.000 Euro. Der prämierte Text soll veröffentlicht<br />

werden. Der Preis wird beim „Magus Tag<br />

Münster <strong>2011</strong>“ (Herbst <strong>2011</strong>) überreicht.<br />

Bewerbungen sollen enthalten (in dieser<br />

Reihenfolge): Ein formloses Anschreiben<br />

mit Adresse, den Betreff ‚Magus-Preisfrage<br />

2010/11’ und dem Titel des Beitrags,Biografie<br />

und Bibliografie, den nicht (!) namentlich<br />

gekennzeichneten Text in 6 Kopien. Manuskripte<br />

an:<br />

GWK-Magus-Preisfrage,<br />

Fürstenbergstr. 14, D-48147 Münster<br />

Rückfragen: Frau Dr. Susanne Schulte,<br />

e-mail: gwk@lwl.org<br />

Tel.: 0251-591 32 14, Infos und ausführliche<br />

Beschreibungen, die für eine ‚aktuell’ zu lang<br />

sind, finden sich unter:<br />

www.gwk-online.de oder: www.magus-tage.de<br />

Einsendeschluss: 4. Juli <strong>2011</strong><br />

GWK – Förderpreis für Literatur<br />

Die GWK vergibt <strong>2011</strong> einen Förderpreis für<br />

Literatur. Er wird dotiert mit 4.000 Euro. Separat<br />

honorierte Lesungen folgen. BewerberInnen<br />

müssen in Westfalen-Lippe geboren sein, dort<br />

seit mindestens zwei Jahre leben oder aber ihren<br />

Hochschulabschluss in der Region erworben haben.<br />

<strong>Autoren</strong> bis 40 Jahre – mit bereits anerkannter<br />

Publikation in einer Literaturzeitschrift oder<br />

Anthologie (kein Internet) - bewerben sich mit<br />

einem formlosen Anschreiben. Beizufügen sind:<br />

Ein unveröffentlichtes Manuskript von max.<br />

20 Seiten DIN A 4, bis zu drei ausgewählte<br />

Publikationen der letzten zwei Jahre, Lebenslauf<br />

mit Bibliographie und ggf. ein Buch in zwei<br />

Exemplaren (falls bereits ein Buch vorliegt).<br />

Der Förderpreis wird am 25. November<br />

<strong>2011</strong> verliehen. Der Preisträger ist<br />

verpflichtet, an der Verleihung teilzunehmen.<br />

Einsendungen an die Geschäftsstelle:<br />

GWK, Fürstenbergstraße 14, D-48147<br />

Münster, Tel: 0251 - 591 30 41.<br />

Infos: http://www.gwk-online.de<br />

Einsendeschluss: 2. Mai <strong>2011</strong><br />

Koblenzer Literaturpreis<br />

Die Koblenz-Touristik schreibt mit dem<br />

Freundeskreis der Universität in Koblenz<br />

und dem Freundeskreis des Theaters Koblenz<br />

zum 5. Mal den Literaturpreis der Stadt Koblenz<br />

aus. Das Preisgeld beträgt 13.000 Euro. Der<br />

Preis verfolgt die Förderung der Literatur am<br />

Mittelrhein in zwei Richtungen:<br />

1. Förderung der Literaturschaffenden in der Region<br />

Mittelrhein und Förderung von AutorInnen, die in<br />

der Region Mittelrhein leben, deren literarische<br />

Werke nicht diese Region thematisieren müssen,<br />

2. Förderung der Literatur im Kontext der Region<br />

Mittelrhein.<br />

Es können einzelne publizierte Werke als auch<br />

das Gesamtwerk gewürdigt werden. Es sollen<br />

nicht mehr als drei Publikationen eingereicht<br />

werden, wobei alle literarischen Genres<br />

zugelassen sind. Bei nicht deutschsprachigen<br />

Arbeiten wird zusätzlich die Übersetzung<br />

erbeten. Bewerbungen an: Silke Raß, Koblenz-<br />

Touristik, Eigenbetrieb der Stadt Koblenz,<br />

Bahnhofplatz 7, D-56068 Koblenz.<br />

Infos: www.koblenzer-literaturpreis.de ;<br />

Einsendeschluss: 30.4.<strong>2011</strong><br />

Wolfgang A. Windeckerpreis<br />

Bewerber um diesen Preis sollten eine<br />

aussagekräftige, phantasiereiche Lyrik schreiben.<br />

Thematisch gib es keinerlei Vorgaben. ‚Die<br />

Einsendungen können sich auf Alltag, Freizeit<br />

usw. beziehen, Umweltprobleme ins Bild fassen<br />

oder auch die Schönheit der Natur preisen’ -<br />

ebenso ist Liebeslyrik erwünscht.<br />

Zu vermeiden sind Kitsch und Klischees.<br />

Texte extremistischer Tendenz haben keinen<br />

Zugang. Interessierte senden in Kopien<br />

mindestens fünf und max. sechs Gedichte<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 34


igda - Service<br />

ein. Außer dieser Beschreibung werden<br />

keine zusätzlichen Informationen verschickt.<br />

Nur die Preisträger werden vom Ausgang<br />

des Wettbewerbs informiert. 1. Preis: 250<br />

Euro, 2. Preis, 150 Euro, 3. Preis 100 Euro.<br />

Stichtag für die Auswahl der Preisträger:25.8.<br />

Einsendungen mit vollständiger Namens- und<br />

Absenderangabe an: Wolfgang A. Windecker,<br />

Starenweg 4, 31061 Alfeld (Leine).<br />

Einsendeschluss:25.6.<strong>2011</strong><br />

Stipendien<br />

Onlinestipendium Lyrik<br />

Das ‚Unternehmen Lyrik’ vergibt seit 2007 ein<br />

Jahresstipendium in Form frei zugänglicher<br />

Online-Kurse sowie individueller Betreuung im<br />

Wert von 2400 Euro. Die Förderung soll - über<br />

das Internet ortsunabhängig - LyrikerInnen ‚die<br />

Perfektionierung des poetischen Handwerks<br />

ermöglichen und zur Festigung eines eigenen<br />

poetischen Ausdrucks beitragen’.<br />

Zielgruppe sind deutschsprachige Poeten/<br />

Poetinnen, die bereits mehrere Jahre mit zeitgemäß<br />

literarischem Anspruch schreiben und zielstrebig<br />

in den Literaturbetrieb einsteigen wollen. Das<br />

Studienjahr dauert von 1. Mai bis 30. April des<br />

Folgejahrs. Während dieser Zeit stehen dem/der<br />

Stipendiat/in sieben Lektoratskurse und zwei<br />

Vier-Tage-Kurse mit lyrischen Themen offen.<br />

Die persönliche Betreuung umfasst zusätzlich<br />

drei bis vier Telefonate oder Arbeitstreffen.<br />

Bewerbungen an: Michaela Didyk,<br />

Schellingstraße 115, D-80798 München,<br />

(keine E-Mails). Dem formlosen Antrag sind<br />

eine Kurzvita sowie - in 3-facher Ausführung<br />

- eine Arbeitsprobe von max. fünf Gedichten<br />

beizufügen. Über die Stipendienvergabe<br />

entscheidet eine unabhängige Fachjury. Zu<br />

Rückfragen steht aus unseren Reihen sicher<br />

auch IGdA-Mitglied Johanna Klara Kuppe zur<br />

Verfügung, die 2007 Stipendiatin war. Infos:<br />

http://www.unternehmen-lyrik.de/projekte/<br />

onlinestipendium/ .<br />

Einsendeschluss: 20.4.<strong>2011</strong><br />

Peter Dreyling bittet um<br />

Zusendungen<br />

150 Jahre Wolframsbrunnen/<br />

Eschenbach<br />

Liebe Lyrikfreunde!<br />

Einige von Ihnen waren auf dem 40. Jahrestreffen<br />

der IGdA in Wolframs Eschenbach und haben<br />

die Atmosphäre am ‘Wolfram’, dem Café<br />

Parzival, dem Renaissanceschloss des Deutschen<br />

Ordens und dem Liebfrauenmünster kennen<br />

gelernt. Meine Gäste und ich (plus Presse und<br />

Abendschau) würden uns über Ihren modernen<br />

Beitrag zum Wolfram, Parzival (Mitleidsfrage,<br />

wie gehts?, Toleranz, Religiosität, Gral, Willehalm<br />

(Gyburgs Toleranzrede zu Andersgläubigen),<br />

Tagelieder oder (Wolfframs)-Eschenbach freuen.<br />

Jeder Einsendende erhält den neuen Kunstführer<br />

der Dichterstadt, Ordensstadt und Ort der<br />

Stadtbaukunst. Ich freue mich auf Einsendungen.<br />

Peter Dreyling<br />

Amtsblatt <strong>2011</strong>, 150 Jahre Wolframsbrunnen in<br />

memoriam.<br />

Am 1.5.1861 feierten die Eschenbacher die<br />

Enthüllung des Wolframsbrunnen, früher auch<br />

Schwanenbronnen genannt, gestiftet vom König<br />

Maximilian II. von Bayern. Der Entwurf stammte<br />

vom Hofbauinspektor Eduard von Riedel, der<br />

später die Pläne von Schloss Neuschwanstein für<br />

Sohn König Ludwig II. konzipierte. Das Standbild<br />

und die vier Schwäne modellierte Hans Knoll,<br />

der auch die Bavaria in München schuf. Sehr<br />

bedeutende Künstler für ein außergewöhnliches<br />

Anliegen. M. Dorr rezitierte zur Einweihung:<br />

„Wo Du geweilt in schönen, alten Tagen,<br />

da rage dankbar Dir ein Monument;<br />

es möge laut es jedem Fremdling sagen,<br />

dass diese Stadt sich deine Heimat nennt,<br />

und zeige stolz noch unsern Söhnen<br />

die hohe Seele seines Stifters an,<br />

des edlen Pflegers alles Großen, Schönen,<br />

des Bayernkönigs Maximilian.“<br />

150 Jahre später immer noch der Mittelpunkt der<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 35


igda - Service<br />

Stadt und gern beginnen wir unsere Führungen<br />

am „Wolfram“.<br />

1941 konnte der Abbruch des Denkmals als<br />

Metallspende nur knapp verhindert werden.<br />

Angelika Zöllner<br />

Neue Mitglieder<br />

Truxton Agidius Oldridge, Hannover siehe: Beitrag Seite 14<br />

Leserbriefe<br />

Zum Nachklang des Jahrestreffens der IGdA in<br />

Schlüsselfeld erhielten wir folgendes Gedicht<br />

von:<br />

Winfried Auer<br />

VEREINSAMT<br />

Ein Menschengrüpplein steht in Reih und Glied<br />

wobei es einen gibt, der vorne zieht,<br />

die andern schieben hinten mit.<br />

So läuft der Karren<br />

und bewegt sich<br />

wenn auch mit Knarren,<br />

doch er regt sich.<br />

Und es nimmt keiner auf das Rücklicht<br />

als Einzelschicksal eine Rücksicht.<br />

So ist das Leben, und mir deuchte:<br />

auch hinten braucht man eine Leuchte.<br />

Zu einem Gedicht von Helga Thomas<br />

„Wenn das Wort gefunden wird“ lautet der Titel<br />

eines Gedichtes, das zum internen Wettbewerb<br />

eingereicht wurde. Dieses Gedicht, in freier Form<br />

geschrieben, erzeugte sofort beim ersten Lesen<br />

einen Nachhall bei mir, der zum Weiterdenken<br />

anregt. Wenn man die Werke der Dichter<br />

vergangener und heutiger Zeit liest, stellt sich<br />

unweigerlich die Frage, welche Erkenntnisse<br />

die <strong>Autoren</strong> dem Leben abringen und durch<br />

Worte bändigen konnten. Erstaunlich ist dann<br />

meist, dass diese komprimierten Erfahrungen,<br />

verarbeitet in Lyrik oder Prosa, unseren eigenen<br />

ähneln und uns auch nach langer Zeit noch etwas<br />

zu geben imstande sind. Uns sind heute manche<br />

Klassiker genauso nahe wie ihren Zeitgenossen.<br />

Ein unsichtbares Spinnennetz, aus Poesie<br />

gewebt, liegt über uns und wartet darauf, von<br />

uns entdeckt zu werden. „Sternengleich einander<br />

zugefügt“ lautet eine Zeile des Gedichtes von<br />

Helga Thomas und sagt uns, dass Dichtung Raum<br />

und Zeit überwinden kann. Dieses Verbindende<br />

der Literatur ist unglaublich faszinierend. Selbst<br />

wenn uns hunderte von Jahren von den Urhebern<br />

vieler Texte trennen, fühlen wir uns ihnen nah,<br />

leben mit ihnen und sie mit uns. Das ist der Kern<br />

des Wunders Dichtung. Ich denke, dass wir beim<br />

Lesen von Lyrik und Prosa etwas aufnehmen,<br />

was dann in uns wirkt und zu strahlen beginnt.<br />

Wir lernen durch die Werke der Dichter uns selbst<br />

besser kennen und können dadurch auf unsere<br />

Umwelt einwirken. Diese Erkenntnis ist in dem<br />

Gedicht von Helga Thomas in so schön auf den<br />

Punkt gebracht. Schnörkellos einfach und doch<br />

mit großer Tiefe hat die Autorin das Wunder der<br />

Dichtung beschrieben. Dafür gebührt ihr großer<br />

Dank. Der erste Platz im internen Wettbewerb ist<br />

gerechtfertigt. Ich gratuliere herzlich dazu.<br />

Diese grundlegende Erfahrung drückte der<br />

Schriftsteller Bruno H. Bürgel vor fast 100 Jahren<br />

so aus: „...dass alle Dinge nur aufleuchten in dem<br />

Licht, das aus uns selber kommt.“ Helga Thomas<br />

findet dafür die Schlussworte in ihrem Gedicht:<br />

„Eine Sternenwelt\wird sichtbar\durch uns in uns“.<br />

Kann Lyrik etwas Schöneres bewirken?<br />

Matthias Stark: Leserbrief (gekürzt)<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 36


igda<br />

Angeregt durch die Rezensionen in 2 <strong>Heft</strong>en von<br />

2010 hier einige ‚holpernde‘ Reime (Worte des<br />

Verfassers) von Ernst Eliasch-Deuker (Salzburg)<br />

NEUE KUNST<br />

Über diese Welt von heute<br />

lässt sich, - (sagen kluge Leute !) -,<br />

nichts mehr so wie gestern sagen.<br />

Müssen dann, - so will man fragen -,<br />

wohlbestallte Professoren<br />

für die Avant-Garde-<strong>Autoren</strong><br />

und für deren neue Werke<br />

seitenlang Gebrauchsvermerke,<br />

Deutungen und Kommentare<br />

(wie bei einer schlechten Ware !)<br />

unters „tumbe“ Volk verstreu´n ?<br />

Gute Kunst benötigt kein<br />

„Operation manual“<br />

Echte Kunst braucht kein Gebell !<br />

Große Kunst dringt still (- und schnell !-)<br />

in die Brust und an die Nieren !<br />

Gar nichts aber nützt : dozieren.<br />

Glauben denn die klugen Herrn,<br />

Menschen lebten a-modern ?<br />

Tja, wieviele Werke bleichen<br />

längst als Germanisten-Leichen !<br />

Selbst Nobel-Preisträger trifft<br />

oft dies´ Los als Grab-Inschrift.<br />

Das, was wirklich übrig bleibt,<br />

das entscheidet nur : ... DIE ZEIT !!<br />

Renate Weidauer<br />

Mein Lieblingsbuch<br />

Kindheit des Zauberers<br />

und<br />

Der Geschichtenerzähler<br />

Eigentlich habe ich siebenundvierzig Lieblingsbücher<br />

und davon eines auszuwählen fällt mir<br />

schwer, denn immer wieder wird eines der<br />

siebenundvierzig Bücher zu meinem „Lieblings-<br />

Lieblingsbuch“. Alle haben viel mit mir und<br />

meinem Leben zu tun. So habe ich mich durch<br />

„blindes“ Herausgreifen auf zwei festgelegt:<br />

Hermann Hesse: Kindheit des Zauberers – ein<br />

autobiographisches Märchen und<br />

Joel ben Izzy: Der Geschichtenerzähler oder<br />

das Geheimnis des Glücks<br />

Zu Kindheit des Zauberers<br />

Das Buch von Hermann Hesse erinnert mich sehr<br />

an meine Kindheit, die „Kindheit des Zauberers“,<br />

die ich durch meine Großmutter erfahren durfte.<br />

Sie besaß viele, für mich kostbare, Dinge, schrieb<br />

mir eigene Geschichten in ein großes gebundenes<br />

Buch, die sie vorlas und die dann „stehgreif“<br />

gespielt wurden, ebenso die, von ihr erfundenen,<br />

kleinen Theaterstücke, die sie mit allen Kindern<br />

im Haus probte und die der Hausgemeinschaft<br />

vorgespielt wurden. Außerdem tanzten wir beiden<br />

„Ballett“ (der Wunsch, es zu lernen wurde mir<br />

von den Eltern nicht erfüllt). Immer war es „Pas<br />

de Deux“, bei Großmutter etwas schwerfällig,<br />

sie war nicht schlank. Aber für mich tanzte sie<br />

„elfengleich“. So erinnert mich das Buch Hesses<br />

an die „Poesie einer Kindheit“ und an eine große<br />

Liebe.<br />

Zu Der Geschichtenerzähler<br />

Dieses Buch bekam ich vor einigen Jahren<br />

geschenkt, als ich eine sechs Wochen andauernde<br />

Kehlkopfentzündung hatte und mich nur<br />

durch Schriftliches verständigen konnte. Für<br />

mich eine schlimme Zeit, da ich neben nicht<br />

möglichen Lesungen auch im Altersheim und<br />

in einer Behinderteneinrichtung nicht mehr als<br />

Geschichtenerzähler auftreten konnte. In diesem<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 37


igda<br />

Buch geht es um die wahre Geschichte eines<br />

Mannes, der durch die Welt reist, um Geschichten<br />

der Weisheit und des Glücks zu erzählen. Bis er<br />

plötzlich seine Stimme verliert. Das Buch ist<br />

ein zauberhaftes Lesevergnügen über den Sinn<br />

des Lebens und des „Aufgefangen-Seins“ in<br />

Krisenzeiten. Eine tiefe Freundschaft zwischen<br />

seinem Lehrer und ihm. Ich bin inzwischen<br />

befreundet mit der Frau, die mir das Buch<br />

schenkte und genieße meine Erzählnachmittage<br />

umso mehr.<br />

Johanna Klara Kuppe<br />

Fahrzeug, und heute überall der Computer und<br />

das Internet zur Befriedigung seines Tatendrangs.<br />

Alles auch zur Erfüllung von Sehnsüchten. Ich<br />

nehme die Zeilen zum Anlass, das Buch, Ausgabe<br />

1958, erneut zu lesen. Nachdenken über die<br />

„Terre des Hommes“, die „Erde der Menschen“,<br />

wie der Titel im Französischen lautet.<br />

Willi Volka<br />

Wind, Sand und Sterne<br />

Zurzeit als ich noch die Schulbank drückte,<br />

begeisterte sich mein Freund und ich am Fliegen.<br />

Mein Schulfreund machte eine Segelfliegergruppe<br />

aus, die uns aufnahm und an ihrem Traum vom<br />

Fliegen Anteil nehmen ließ. Einmal die Woche<br />

arbeiteten wir in der Werkstatt mit am Bau eines<br />

Segelflugzeuges.<br />

Wir lernten, dass Flugzeuge an für sich die<br />

eine Welt und Piloten eine andere war. Ein<br />

schreibender Pilot nahm uns für sich ein: Antoine<br />

de Saint-Exupéry mit seinen Büchern. Darunter<br />

war eines, das mich ganz besonders ansprach:<br />

Der Essayband „Wind, Sand und Sterne“.<br />

Exupérys Bücher sind voller Reflexionen und<br />

haben nichts mit den Kriegshelden der Jagdflieger<br />

oder Bomberpiloten in „Schundheften“ gemein,<br />

vielmehr zeugen sie von tiefen Erleben, von<br />

Gefühl und Empfindungen, vom Ergriffen<br />

sein, von wunderbaren Augenblicken und der<br />

Abhängigkeit von Naturgewalten und einer<br />

funktionierenden Technik, um Weltsicht, um<br />

Erkenntnis, um Horizonterweiterung bis hin zum<br />

Griff nach den Sternen – man denkt unwillkürlich<br />

auch an den kleinen Prinzen. Mit ihm träumten<br />

wir vom Fliegen …<br />

Schon der erste Satz des Buches, der<br />

da lautet:„Die Erde schenkt uns mehr<br />

Selbsterkenntnis als alle Bücher,<br />

weil sie uns Widerstand leistet“, zeigt das Flugzeug<br />

als ein Werkzeug, zeigt Aspekte des modernen<br />

Menschen, der sein Leben mit Instrumenten<br />

führt und erweitert – hier das Flugzeug, dort das<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 38


Feigenblatt<br />

Magazin für Erotisches<br />

Mit spitzer Feder betrachtet<br />

Eine professionell gemachte Zeitschrift, die<br />

sich mit der schönsten Nebensache der Welt<br />

beschäftigt. Sie spricht die Sinne an und geizt<br />

nicht mit erotisierenden Reizen. Optisch<br />

kunstvoll für das Auge des willigen Betrachters<br />

und literarisch anspruchsvoll für all die, die<br />

sich von unterschiedlichen <strong>Autoren</strong> in eine Welt<br />

voller Erotik mitnehmen lassen wollen. Auch<br />

ausgefallene erotische Themen werden ohne<br />

Tabus angesprochen und abgebildet. Dabei wird<br />

die Grenze zur Pornographie nicht überschritten.<br />

Was man vergeblich sucht, sind Berührungsängste<br />

und Scheuklappen in Bezug auf die Themen und<br />

die Bilder. Das hochwertig gemachte Magazin<br />

kommt ohne Sensationsgier, wie auch ohne völlig<br />

überkaschierte Hochglanzfotos aus. Dies spricht<br />

für die Redaktion. Erotik ist ein weites Spielfeld.<br />

Was für den einen nicht erotisch genug ist, hat für<br />

einen anderen längst seine Grenze überschritten.<br />

Es mag daher sein, dass für manches Auge, die<br />

Bilder allzu offen und für manches Empfinden,<br />

die Texte allzu deutlich sind. Dies kann jeder nur<br />

für sich selbst entscheiden. Ich bin sicher, dass<br />

diese das Magazin bereits nach einem flüchtigen<br />

Durchblättern zurück in das Regal stellen werden.<br />

Aus meiner Sicht sind die Abbildungen ästhetisch<br />

und in einer literarisch erotischen Zeitschrift<br />

vertretbar und in Ordnung. Dass dabei der<br />

Voyeur in uns angesprochen wird, wird billigend<br />

in Kauf genommen. Die erotischen Erzählungen<br />

vermitteln Sinnlichkeit auf hohem Niveau. Sie<br />

sind anregend und machen Lust, ohne die Grenzen<br />

des guten Geschmacks dabei zu überschreiten.<br />

Die Ausgaben sind monothematisch ausgerichtet.<br />

Sie beschäftigen sich dabei jeweils mit einem<br />

ganz speziellen Thema. Sehr viel Wert wird<br />

von den Verantwortlichen der Redaktion auf<br />

literarische Offenheit gelegt. Der Blick über<br />

den Tellerrand ist den <strong>Autoren</strong> nicht nur erlaubt,<br />

sondern erwünscht und immer gerne gesehen.<br />

„Zwischen den Ufern“ lautet das Thema der<br />

vorliegenden Ausgabe. Sind wir nicht alle ein wenig<br />

bisexuell, lautet die provokante Frage, die hier in<br />

den unterschiedlichsten Facetten erörtert wird.<br />

Sehr gut gefallen hat mir eine Lyrikperle, die<br />

Sappho: An eine Geliebte richtete. Sappho<br />

stammte aus Mytilene auf Lesbos und ihr Name<br />

stand Pate für homosexuelle Frauen (sapphisch).<br />

Sie hat die Insel weltweit bekannt gemacht.<br />

Inwieweit die Erzählungen, Reportagen, Hinweise<br />

der Experten und die Interviews neue Impulse<br />

geben und Inspiration für eine Partnerschaft sein<br />

können, muss auch jeder/jede LeserIn für sich<br />

selbst beurteilen. Schön zu lesen sind sie allemal.<br />

Tipps für lesenwerte Bücher und Veranstaltungshinweise<br />

runden den Inhalt ab und sind eine<br />

willkommene und nützliche Ergänzung.<br />

Ein literarisch fotografisches Erlebnis für Individualisten,<br />

die über einen ausgesprochenen Hang<br />

zur Sinnlichkeit verfügen und für neugierige<br />

Querdenker, die sich den kleinen erotischen<br />

Luxus leisten wollen. (gw)<br />

Kontaktadresse:<br />

Teplitzer Straße 28-30, D-14193 Berlin<br />

website: www.feigenblatt-magazin.de<br />

ISSN: 1861-6454<br />

Hrsg.: Anja Braun<br />

e-mail: redaktion@feigenblatt-magazin.de<br />

Preis: 5 Euro<br />

erscheint: 4 / anno<br />

Auflage: 15.000<br />

Format und Seitenzahl: DIN A4 / 84 Seiten<br />

veröffentlicht: Erzählung, Gedicht, Fotografie,<br />

Kunst und Reportage<br />

Hinweise für <strong>Autoren</strong>: Einsendungen<br />

erwünscht per Mail<br />

IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 39


<strong>Interessengemeinschaft</strong><br />

<strong>deutschsprachiger</strong> <strong>Autoren</strong> e.V.<br />

Das Forum für Ihre Texte<br />

www.igda.net<br />

www.igda.net/blog/*<br />

Treffen<br />

mit <strong>Autoren</strong>lesungen<br />

Literaturpreise<br />

Rudolf-Descher-Feder<br />

und<br />

Nachwuchspreis der IGdA<br />

WErkstattgespräche<br />

Veröffentlichungen<br />

in IGdA-aktuell und IGdA-Almanach<br />

Präsentation<br />

unserer Mitglieder im Internet<br />

1967 gegründet<br />

Informationsmaterial erhalten Sie bei der Geschäftsstelle<br />

der <strong>Interessengemeinschaft</strong> <strong>deutschsprachiger</strong> <strong>Autoren</strong> (IGdA) e.V.<br />

Gaby G. Blattl<br />

Anton Baumgartner Str. 44/C3/2503 A-1230 Wien<br />

Tel.: +43 (1) 967 10 24<br />

info@igda.net oder gabyblattl@chello.at

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