Heft 1 (2011) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
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Organ der<br />
<strong>Interessengemeinschaft</strong><br />
<strong>deutschsprachiger</strong><br />
<strong>Autoren</strong> e. V.<br />
aktuell<br />
I G d A -<br />
ISSN 0930-7079<br />
35. Jahrgang <strong>2011</strong><br />
Ausgabe 1<br />
Einzelheft € 4.-<br />
Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik
inhalt<br />
impressum<br />
EDITORIAL<br />
Othmar Seidner S. 3<br />
LYRIK S. 4<br />
Eine Welt, in der ein Neuanfang<br />
möglich ist<br />
W. Klevinghaus: Vision<br />
C. Scheel: Wolkenlicht<br />
E. Erxleben: Anderswo<br />
H. Wolff: Nahe Ferne<br />
G. Weber-Wassertheurer:<br />
Jahrelang<br />
G.M. Lange: Palmsonntag<br />
Vom Aufbegehren, über die<br />
Dächer flanieren und neuen<br />
Frühlingen<br />
W. Riedel: Unbehagen<br />
J.K. Kuppe: Ohne Titel<br />
A. Genkin: Kuckucks Ei<br />
T. Rackwitz: Für S. (V)<br />
A. Hoffmann: Ohne Titel<br />
G. Jaeckel: Erdkröte und Große<br />
Landkrabbe<br />
G. Hühn-Keller: Das<br />
euophorische Endlosgedicht<br />
PROSA S. 8<br />
G. Franze: Dolce Vita;<br />
J. N. Al-Nemri: Lila<br />
D. E. Gries: Komm, Bruder, Tanz<br />
mit mir<br />
E.-M. Klein: Greta Garbo -<br />
Mensch und Mythos<br />
H. Knoll: Ni Tienda, Ni Cueva<br />
(Keine Zeit, keine Höhle)<br />
W. Klevinghaus: Spassiba<br />
A.M. Sauseng: Demenz<br />
T. A. Oldridge: Auf Nimmerwiedersehen<br />
ESSAY S. 18<br />
W. A. Faust: Melodie und Komposition<br />
J. K. Kuppe: Die Farbe Blau - Teil I;<br />
M. Andreotti: 10 Kriterien für ein<br />
zeitgemässes Gedicht<br />
Vorstandswahlen <strong>2011</strong> S. 23<br />
IGdA<br />
Aktivitäten der<br />
Mitglieder S. 25<br />
Nachrufe S.26<br />
Traute Bühler-Kistenberger<br />
Barbara Sucher<br />
Bücherschau S. 27<br />
Angelika Gausmann: Simonetta<br />
Krako, Helga Thomas<br />
Irmtraut Ter Veer: Ithaka wartet -<br />
Gedichte, Nachklang aus Griechenland<br />
Angelika Zöllner<br />
Andrea Martina Graf / Brigitte<br />
Meyer: Die Entsorgung von all<br />
dem Zeugs; Sprechoper für zwei<br />
Stimmen und Cello<br />
Christiane Mattes<br />
Service/Wettbewerbe S. 32<br />
Angelika Zöllner<br />
Neue Mitglieder S. 36<br />
Leserbriefe S. 36<br />
Renate Weidauer<br />
Mein Lieblingsbuch S. 37<br />
J.K.Kuppe über Hermann Hesse:<br />
Kindheit des Zauberers<br />
und Joel bin Izzy: Der Geschichtenerzähler<br />
oder das Geheimnis<br />
des Glücks<br />
W. Volka über Antoine de Saint-<br />
Exupery: Wind, Sand und Sterne<br />
Mit spitzer Feder<br />
betrachtet S. 39<br />
Georg Walz<br />
Redaktion der IGdA-aktuell:<br />
Angelika Zöllner (Lyrik, Service und<br />
Kleines Feuilleton)<br />
e-mail: angelika.zoellner@gmx.de<br />
Renate Weidauer (Lyrik und<br />
Leserbriefe)<br />
e-mail: r-r.weidauer@freenet.de<br />
Gaby G. Blattl (Prosa und Essay)<br />
e-mail: gabyblattl@chello.at<br />
Georg Walz (Mit spitzer Feder …)<br />
e-mail: georgwalz@web.de<br />
Anschrift der Redaktion :<br />
IGdA-aktuell<br />
Angelika Zöllner<br />
Imkerweg 11, 42279 Wuppertal<br />
Tel: 0049-(0)202/526512<br />
Layout: Georg Walz<br />
Cover: Georg Walz<br />
Grafiken / Bilder: George<br />
Druck: Druckerei Meyer, Scheinfeld<br />
IGdA-aktuell erscheint viermal pro Jahr:<br />
Einzelpreis € 4.-zzügl. Porto<br />
Doppelnummer € 8.- zzgl. Porto<br />
Abonnement: € 21.-/Jahr<br />
Alle Rechte an den Beiträgen liegen<br />
bei den <strong>Autoren</strong>. Nachdruck nur mit<br />
ausdrücklicher Genehmigung der Urheberrechthaber.<br />
Namentlich gezeichnete<br />
Beiträge geben die Meinung der <strong>Autoren</strong>,<br />
nicht unbedingt die der Redaktion wieder.<br />
ISSN 0930-7079<br />
1. Vorsitzender: Othmar Seidner<br />
A-1020 Wien<br />
Handelskai 224/5/9/59<br />
e-mail: othmar-seidner@chello.at<br />
Tel: 0043-(0)0431/9252565<br />
Geschäftsstelle: Gaby G. Blattl<br />
A-1230 Wien<br />
Anton-Baumgartnerstr. 44/C3/2503<br />
e-mail: gabyblattl@chello.at<br />
Tel: 0043-(0)0431/9671024<br />
Schatzmeister: Dr. Volker Wille<br />
D-30659 Hannover<br />
Platanenhof 23<br />
e-mail: adl.wille@t-online.de<br />
Tel: 0049-(0)511/652823<br />
Bankverbindung:<br />
Postbank Hannover, BLZ: 250 100 30<br />
Konto: 102088-302<br />
IBAN DE50 2501 0030 0102 0883 02<br />
BIC PBNKDEFF<br />
Kleines Feuilleton S. 24<br />
Angelika Zöllner<br />
IGdA-Aktuell wird auf chlorfrei gebleichtem<br />
Papier gedruckt.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 2
editorial<br />
Liebe Mitglieder der IGdA !<br />
Sie werden sich denken: schon wieder der 1.Vorsitzende, der das Editorial verfasst.<br />
Wenn Veränderungen anstehen, muss ich als der 1.Verantwortliche Ihnen dies mitteilen und gleichzeitig<br />
den Grund dafür angeben.<br />
Diese „igda-aktuell“, die Sie in Händen halten, ist eine „Zwischenlösung“. Unsere Geschäftsführerin<br />
Gaby Blattl hat die Fertigstellung der „igda-aktuell“ bei der JHV 2010 abgegeben. Da der Vorstand<br />
zunächst niemanden finden konnte, der die Zeitung machen wollte, hat sich unser Vorstandsmitglied<br />
(Beisitzer) Georg Walz bereiterklärt, diese eine Nummer fertig zustellen. Da Georg aus terminlichen<br />
Gründen die Folgeausgaben der „igda-aktuell“ nicht weiter layouten kann, übernimmt ab der<br />
kommenden Ausgabe - Nummer 2/<strong>2011</strong> - unsere 2.Vorsitzende, Frau Gabriela Franze diese<br />
ehrenamtliche Aufgabe.<br />
Ich hoffe sehr darauf, dass wieder Ruhe in die Redaktion einziehen wird und die Damen Angelika<br />
Zöllner (Lyrik, Service, Kleines Feuilleton), Frau Renate Weidauer (Lyrik und Leserbriefe) und Frau<br />
Gaby Blattl (Prosa und Essay), in unser aller Interesse, weiterarbeiten können.<br />
Weitere Anliegen des Vorstandes sind die anstehenden Vorstandwahlen in diesem Jahr. Meldungen<br />
zur Mitarbeit im Vorstand und Vorschlag geeigneter Kandidaten bitte an Frau Gaby Blattl,<br />
Geschäftsstelle (beachten Sie bitte hierzu auch die Seite 23 der vorliegenden Ausgabe der igdaaktuell)<br />
und vergessen Sie nicht das pünktliche Einzahlen des Mitgliedbeitrages (Kassenwart Herr<br />
Dr.Volker Wille).<br />
Erlauben Sie mir, Sie noch mal auf unser IGdA-Treffen im Fruühjahr in Berlin, vom 09.Juni bis<br />
zum 12.Juni <strong>2011</strong>, hinzuweisen. Hotels sind bei Herrn Hengsbach-Parcham oder Frau Karin Mancke<br />
anzufragen oder direkt im Internet (zB. HRS oder andere Hotelreservierungservices) vorzunehmen<br />
und selbstständig zu buchen.<br />
Ich hoffe, Ihnen alle wichtigen Neuerungen mitgeteilt zu haben. Weiterhin ersuche ich Sie alle, von<br />
Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und nicht zu vergessen, dass unsere Jahreshauptversammlung<br />
(JHV) in diesem Jahr, vom 22.September bis 25.September, in Volkenroda im Kloster statt findet.<br />
Der Vorstand würde sich sehr freuen, in diesem Jahr zahlreiche Mitglieder begrüßen zu dürfen.<br />
Anmeldungen und Reservierungen hierzu bitte bei Frau Petra Arndt (Tel.-Nr.: 03602-552739 für<br />
Deutschland oder 0049-3602-552739 für Österreich ) oder direkt im Kloster Volkenroda bei Frau<br />
Eva-Maria Michel ( Tel.-Nr.: 03602-55590) vornehmen.<br />
Ihr<br />
Othmar Seidner<br />
(1.Vorsitzender)<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 3
lyrik<br />
eine Welt, in er ein Neuanfang möglich ist<br />
Wilma Klevinghaus, Erkrath<br />
Vision<br />
Ich sah eine Welt<br />
ohne Angst und Gewalt –<br />
eine Welt<br />
in der das Lächeln der Verachteten<br />
die Spötter schweigen lässt –<br />
eine Welt<br />
in der das Verzeihen der Gequälten<br />
die Peitschen ihrer Peiniger<br />
zerbricht –<br />
eine Welt<br />
in der Neuanfang möglich ist<br />
weil das Wort Rache starb –<br />
Ich erwachte und sah:<br />
Es war nur ein Traum...<br />
Den Traum begrabend<br />
in meinem Herzen<br />
blickte ich um mich und sah<br />
einen Bettler<br />
sein kümmerliches Brot<br />
und den Rest<br />
seines billigen Fusels<br />
mit einem andern teilen –<br />
und mein Traum<br />
ward zur Hoffnung.<br />
Cordula Scheel, Hamburg<br />
Wolkenlicht<br />
Der Tag gefüttert<br />
zur Nacht feuerrot<br />
der Himmel<br />
ein gutes Omen<br />
da<br />
die Klauensignatur<br />
mein Nackenhaar<br />
sträubt sich<br />
hinterrücks dunkel<br />
Nachtmahre?<br />
Eilig erdenke ich<br />
ein Wolkenschaf<br />
viele helle<br />
wollige Wolkenschafe<br />
wunderbar warm<br />
um mich<br />
Sonnenuntergangslicht<br />
beruhigend<br />
irrational<br />
leichter Schafgeruch.<br />
Eckhard Erxleben, Osterburg<br />
anderswo<br />
dort in jenem<br />
land knarren die<br />
mühlen und treiben<br />
mit hölzernen flügeln<br />
den wind an dort<br />
dreht mühsam das<br />
wasserrad und schleppt<br />
den fluss durch<br />
die landschaft<br />
hier aber<br />
treibt mich der wind<br />
und auf den füßen<br />
gleiten blaue blüten<br />
irgendwohin<br />
dass etwas beginnt.<br />
(Aus ‚Traumlese’, Neues Literaturkontor, Münster).<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 4
lyrik<br />
Hannelore Wolff, Duisburg<br />
Nahe Ferne<br />
Unerlässlich fallen Augenblicke<br />
Aus den Stunden<br />
Entwirren die Rück-Sicht<br />
Färbt Nachhall dumpfes Gestein<br />
Nachtverzweigte Schritte<br />
Schnüren mir ein Traumpaket<br />
Wegverzaubern schlafenstrunken<br />
Die Entgegnung ferner Tritte<br />
Widerhall aus filigranen Wipfeln<br />
Fußunter sprüht ein Lied<br />
Schattenblicke schreiten<br />
Durch entrückte Nähe.<br />
Grete Weber-Wassertheurer,<br />
Bad Herrenalb<br />
Jahrelang<br />
liefen wir uns<br />
die Sohlen wund<br />
an der Mauer.<br />
Die Köpfe dröhnten<br />
vom Rückprall der Worte.<br />
Rau blieben die Steine.<br />
Plötzlich gab es Hände,<br />
Lachen und Tränen,<br />
die Welt wurde grenzenlos.<br />
Bruder rufen wir,<br />
hüllen den Mantel<br />
jedoch enger um uns<br />
uns sagen:<br />
Es fehlt uns das Schwert<br />
ihn zu teilen.<br />
Gabriele-Maria Lange, Pforzheim<br />
Palmsonntag<br />
Der alte Mond<br />
rundet und füllt seine Zeit<br />
in der Nacht der Ruf<br />
zwischen gestern und morgen<br />
es ist ein Kampf<br />
um einen neuen Weg<br />
Aufbruch einer neuen Frucht<br />
unter Schmerz<br />
noch schillern die Farben<br />
im Jubel der Menge<br />
doch schon morgen<br />
wird diese verhöhnen<br />
noch klingt ein Lied<br />
während der schrille Schrei<br />
des Verrats<br />
unbemerkt lauert<br />
noch ist Leben dort<br />
wo der Tod<br />
das Zeichen gesetzt<br />
DU<br />
BIST LEBEN<br />
auch auf dem Weg des Todes<br />
DU BIST<br />
LEBEN<br />
auch heute<br />
in uns.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 5
lyrik<br />
Vom Aufbegehren, über die Dächer flanieren und neuen Frühlingen<br />
Wilhelm Riedel, Groß Zimmern<br />
Unbehagen<br />
Mein Wunsch<br />
glücklich zu sein:<br />
Das ist die geheime<br />
Verschwörung<br />
gegen Gottes Werk.<br />
Meine Gier<br />
mich mit Freude zu füllen:<br />
Das ist das Aufbegehren<br />
gegen den Schöpfer<br />
der wirklichen Welt.<br />
Mein Kampf<br />
gegen das Leid:<br />
Das ist der Tod<br />
des Geistes,<br />
dem alles entsprang.<br />
Johanna Klara Kuppe,<br />
Waiblingen<br />
abhanden gekommen im<br />
wolfsmond sind die<br />
abgenommenen flügel<br />
wünschelrute<br />
nistet kälte im<br />
leintuch aus fahlem<br />
gelächter ameisen<br />
sägen am pappelblatt.<br />
Angelika Genkin, München<br />
kuckucks ei<br />
heiter<br />
haus‘ ich<br />
heut‘<br />
bei dir<br />
und<br />
sollt‘ ich<br />
jäh<br />
verloren<br />
geh‘n<br />
so<br />
trüg‘ mich<br />
deiner küsse<br />
wohnlichkeit<br />
gewiss<br />
ins nest<br />
zurück.<br />
Thomas Rackwitz, Berlin<br />
Für S. (V)<br />
wir haben uns im staub geliebt, im staub.<br />
das dunkel zwischen uns war aufgeweicht<br />
und was wir fühlten, machte uns ganz leicht.<br />
der meerwind rauschte an dem raum<br />
vorbei (der war), doch weder leis noch laut<br />
noch trocken oder feucht. nur unvertraut.<br />
wir ruhten fern der wellen. unerreicht.<br />
und weil wir fühlten, wurde uns ganz leicht.<br />
wir haben uns im staub geliebt, im staub,<br />
weil nichts ansonsten unsrer liebe gleicht:<br />
gestaltlos, haltlos, brüchiger als schaum.<br />
wir haben uns im staub geliebt, im staub.<br />
Astrid Hofmann, Alteiselfing<br />
ich möchte mit dir über dächer flanieren<br />
auf strommasten klettern und den himmel<br />
berühren<br />
auf hauchdünnen sonnenfäden balancieren<br />
und dich behutsam über glitzernde eisplatten<br />
führen<br />
es wird warm sein und frühlingsnah<br />
luftklar und hell<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 6
lyrik<br />
und die vögel werden ein lied davon singen<br />
und der bach wird sich berauschen<br />
und die wiesen sich erfrischen<br />
und die schwäne sich beflügeln<br />
und die liebe sich verlieben<br />
in den himmel und sich selbst<br />
Gerda Jaeckel, Bottrop<br />
a) Erdkröte<br />
Hervorgelockt vom ersten<br />
Grün entschlüpft dem braunen<br />
Tang umspült vom brackigen Sumpf<br />
bläht aus mit pfeifenden Tönen<br />
tanzende Wasserblasen füllt die<br />
Schilfufer auf tiefgrünblauen<br />
Grund.<br />
b) Große Landkrabbe<br />
Überwindet Ufer Wege<br />
Zieht quer ihre Scheren<br />
überwindet Felsen im Fall<br />
lässt sich Woge um Woge<br />
forttragen.<br />
(aus dem Zyklus: An die Zukünftigen, Bilder für einen<br />
Traum)<br />
Gaby Hühn-Keller, Friedberg<br />
Das euphorische Endlosgedicht<br />
Es hätte nicht<br />
Anfang noch Ende gehabt<br />
Am liebsten wären<br />
die nimmersatten Wörter<br />
übereinander gepurzelt<br />
die Hirngespinste<br />
mitten in die Träume gefallen<br />
Verwickelt in immer<br />
neuen Abenteuerspielen<br />
hätte alles geklappt<br />
Unaufhaltsam wär es<br />
erfolgreich weitergegangen<br />
siegreich und schön<br />
Der Glaube wäre gewachsen<br />
an eine immer bessere Welt<br />
nie die Hoffnung geschwunden<br />
Von schlechten Nachrichten<br />
hätten wir nie gesprochen<br />
das verdirbt nur den Tag<br />
ist größtenteils Zeitungsgeschwätz<br />
Wenns nur so weiter geht<br />
notfalls in einer Endlosschleife<br />
bis in alle Ewigkeit<br />
in jedermanns persönliche<br />
unendlich glückliche Ewigkeit...<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 7
Prosa<br />
Gabriela Franze, Köln<br />
Dolce Vita<br />
Ich bin im Grunde kein Süßschleck. Immer, wenn<br />
ich zwischen Bratwurst und Schokolade wählen<br />
soll, dann gewinnt die Wurst. Die Katastrophe<br />
nimmt nur dann ihren Lauf, wenn ich zwischen<br />
besagter Wurst und einer Riesenportion Speiseeis<br />
wählen soll. Sich hier für die Wurst zu entscheiden,<br />
wäre Wahlbetrug. Wahlbetrug deshalb, weil es<br />
keine echte Wahl ist. Das Eis gewinnt immer,<br />
ausschließlich.<br />
Die Frage ist nicht „Eis oder kein Eis“, sondern<br />
„Schoko oder Vanille?“ Am besten beides. Da<br />
gibt es auch noch Malaga. Jeder Gourmet wird<br />
sofort zustimmen, dass Schoko und Vanille ohne<br />
Malaga keinen Sinn ergeben. Am Ende fehlt nur<br />
noch das Tüpfelchen auf dem „I“, das gewisse<br />
Etwas, das der Komposition ihren Chic verleiht:<br />
Minze! Nicht als Blatt, sondern in Kugelform<br />
und möglichst kalt.<br />
Wo bekommt man das? Genau! Auf zum Italiener!<br />
In Sachsen heißen die Italiener überwiegend<br />
Thomas, Mike und Ronny. Oder so ähnlich.<br />
Sie packen die figurmordende Mixtur mit<br />
Pokerface in die größte verfügbare Eistüte,<br />
sagen „Vier-achtzig“, geben das Wechselgeld<br />
heraus und bedienen sauertöpfisch den nächsten<br />
Kunden. Das Eis ist gut. Den Rest nimmt<br />
man in Kauf. Dieselbe Atmosphäre herrscht<br />
beim Kauf eines Sackes Portlandzement.<br />
Unvermittelt packte mich das Leben im Genick<br />
und ich setzte mich in der nördlichsten Stadt<br />
Italiens ab, in Köln.<br />
Anbieter meiner favorisierten Komposition<br />
habe ich in Rekordzeit und trotz Nässe und<br />
winterlichen Temperaturen ausfindig gemacht.<br />
Sie hießen in Köln überwiegend Giovanni und<br />
waren nur unmerklich größer als ich, was mich<br />
sofort für sie einnahm. Jeder der Giovannis besaß<br />
fünfundachtzig Zähne. Alle oben. Schwarze<br />
Augen, noch schwärzere Haare und Charme,<br />
der ohne Carl von Linde und seinen elektrischen<br />
Kühlschrank das Eis sofort zum Schmelzen<br />
gebracht hätte.<br />
„Praego, bäääl-la Signora! Wasse kanne ische<br />
füre Sie tune?“<br />
Musik in meinen Ohren! Die Vorfreude auf den<br />
Eisgenuss wurde gekrönt durch das erhebende<br />
Gefühl, innerhalb eines Lidschlages zwanzig<br />
Jahre jünger geworden zu sein und keinerlei<br />
Sorgen mehr zu haben.<br />
Ich hole tief Luft und zähle auf: „Zwei Kugeln<br />
Schoko, zwei Vanille. Zwei Malaga und … oder<br />
doch nicht. Das reicht.“<br />
„Wegen der Kalorien…“, füge ich entschuldigend<br />
hinzu.<br />
„Abere ische biiit-te sie, Bäääl-la Signora,<br />
bei Ihrere Figure könnene Sie siche aaal-les<br />
erlauben!“<br />
Im Nu fühlte ich mich auch noch zwanzig Kilo<br />
leichter.<br />
Dieser Schlawiner! Natürlich durchschaue ich<br />
ihn. Jede Frau durchschaut das sofort!<br />
Es funktioniert dennoch.<br />
„Also gut, bitte noch zwei Minze obendrauf.“<br />
„Biiit-te sääähr, bäääl-la Signora“, überreicht<br />
er mir die Heldenportion mit unnatürlichem<br />
Schwung, der nicht einstudiert ist.<br />
„Machte achte Euro, praego.“<br />
Ich fühle mich schlagartig wieder genauso alt<br />
wie ich bin und die ewig bekämpfte Rolle an der<br />
Körperstelle, die ich um keinen Preis der Welt,<br />
auch nicht unter schärfster Folter, nennen würde,<br />
wächst bereits beim Betrachten der Bombe.<br />
Komisch: In Sachsen habe ich es häufiger<br />
geschafft, an Eisverkäufern vorbeizugehen …<br />
Jonas Navid Al-Nemri, Freiburg<br />
Lila<br />
Sie fragt, ob dieses Ende etwas Geschriebenes<br />
ist. Lila, die Hochgeborene, sieht sich von einem<br />
Schreiber an diesem Ort gefesselt. Er hat sie<br />
bedrängt, bezwungen. Seine Feder hat ihr Dasein<br />
gezeichnet. Ihr Leben: kurze Zeilen verwischter<br />
Tinte.<br />
Jetzt war sie Spitze eines toten Hauses und Auge<br />
einer toten Stadt. Hinter sich ein altes Leben, ein<br />
Scheitern. Wände und Glas rahmen es ein. Noch<br />
kann sie es wenden, ihren Blick von den fernen<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 8
Prosa<br />
Dächern lösen, sich losreißen von der Klamm,<br />
der Tiefe. Während ein Wind ein paar Strähnen<br />
löst, wagt sie noch einmal das Zimmer zu<br />
erkennen, das dort lauert, das dort lockt. Es will<br />
sie erweichen, mit schwarzer lederner Zunge, mit<br />
Seide und Erhabenheit. Dahinter die Bildnisse<br />
derer, die ihr noch immer Liebe heucheln, sie<br />
küssen, mit falschen Lippen und trösten, mit<br />
falschem Rat. Dort, unter Decken, glaubt sie ihren<br />
Schlaf zu wissen, der sich versteckt, seit so vielen<br />
Zeiten. Jetzt taucht er auf, der Schwerenöter, hebt<br />
die Daumen und lädt sie ein. Sie schwankt, dreht<br />
den Kopf und zieht noch einmal den letzten Atem<br />
ihres Gefährten, bevor er fällt. Seiner Glut folgt<br />
sie, bis die Dämmerung unter ihr, ihn vollends<br />
verschluckt.<br />
Allein. Gerne hätte sie ihren Schatten getröstet,<br />
doch sie kann ihn nicht greifen, in dieser<br />
mondlosen, duftlosen Nacht. Hässliche Lichter in<br />
der Ferne, nur irgendwo sieht sie ein Dunkel, in<br />
das sie sich flüchtet. Dort sieht sie sich wandeln.<br />
Und ihr gehen sieben Monde auf, sieben Sicheln<br />
über finsteren Fels. Alles Häuserne wird steinern,<br />
ihre Füße münden im Fallen. Kein Gewand auf<br />
goldener Haut. Hölzerne Locken befreien sich,<br />
stürmen auf. Ihre Worte enden hier.<br />
Ihr Hauch wird weicher. Lila, die Gefallene,<br />
sie zögert. Es schleichen sich Stimmen heran,<br />
flüsternd, dumpf. Mit ihnen der Fremde. Er<br />
nähert sich, wird nahe. Sie will ihn befragen, über<br />
sein Eindringen, über sein Unterwartet – und<br />
Erwünschtsein. Doch hat sie hier weder Stimme<br />
noch Laut. Hier, unter den Monden, ist sie still.<br />
Der Fremde umgibt sie nicht, nimmt sie nicht<br />
ein. Er steht gleichauf, betrachtet die Fallende –<br />
betrachtet sie, ohne Unterlass.<br />
Sie wird nicht weichen, sie wird standhalten. Kein<br />
Schreibender wird sie erhaschen, kein Fremdling<br />
sie fangen.<br />
Es ist ihr Sprung, ihr Emporsteigen, ihr<br />
Eintauchen: wenn ich nicht glaubte? Der Nahende<br />
lächelt, bewegt seine Lippen, schemenhaft,<br />
träumend. Seine Stimmen gleiten wie Nebel,<br />
berauschen und benetzen sie. Sie erahnt seine<br />
Worte, neigt ihr Gesicht. Er ist nicht gekommen,<br />
um sie zu stützen, nicht, um sie zurück zu reißen.<br />
Er nennt es nicht Schande, nennt es nicht Sünde.<br />
Seine Hand bemerkt sie spät, sieht, wie sie ihren<br />
Arm umfasst. Gelähmt, gehalten ehrt sie nicht<br />
ab. Über ihr, die Monde. Sie fließen zusammen,<br />
erreichen sich, gehen ineinander unter und<br />
gebären ein Licht. Sie muss nicht mehr denken<br />
in Haus und Berg, sie sieht keine Linien mehr.<br />
Nichts hält das Gesehene beisammen. Es zerfällt,<br />
was zerfallen will. Sie sucht ihre Stimme, findet<br />
ihren Schrei: nur noch den Tod. Der Umfassende<br />
stillt sie, Lila, die Geweihte: lass ihn uns finden.<br />
Die Stadt schließt die Augen.<br />
Die Träne fällt.<br />
Doris-Elisabeth Gries, Bad<br />
Kreuznach<br />
Komm, Bruder, tanz mit mir!<br />
„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
Sie wusste nicht, was ihr Gesicht mehr nässte,<br />
Tränen, die lautlos über ihre Wangen liefen oder<br />
Regentropfen, die sanft vom Himmel fielen. Oft<br />
wollte er weglaufen und sich verstecken. Das war<br />
schon damals so, als sie noch Kinder waren. Dann<br />
musste sie ihn suchen. Und zu jener Zeit konnte<br />
sie den Jüngeren noch locken, mit spaßigen<br />
Worten und Versprechungen. Aber dieses Mal<br />
war alles vergebens.<br />
„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
„Sag, Schwester, kann ich auf dem Regenbogen<br />
spazieren gehen?“<br />
„Ja, Bruder, aber nur wenn er zu dir kommt, gehst<br />
du zu ihm, wirst du mit seinen Farben abstürzen.“<br />
„Sag, Schwester, hat der Mond eine Mondin, und<br />
kann ich sie sehen?“<br />
„Ja, Bruder, und bei Vollmond kannst du sie<br />
sehen, sie ist seine andere Hälfte.“<br />
„Sag, Schwester, werden wir uns in einem<br />
anderen Leben wiedersehen?“<br />
„Ja, Bruder, werden wir, aber nur in unseren<br />
Träumen, nur dort, können wir so wie jetzt<br />
zusammen sein.“<br />
„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
Weich ins Leben gefallen, lebten wir auf einer<br />
mit Blumen bedeckten Wiese umgeben von<br />
samtweichen, glänzenden Hügeln. Bunt war<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 9
Prosa<br />
seinerzeit unser Dasein, bunter als mancher<br />
Regenbogen, und wir ertranken fast in einem<br />
Meer von Farben. Unbeschwert waren wir,<br />
doch dann begann der Ernst unseres Lebens.<br />
Und du konntest nicht mehr weglaufen und dich<br />
verstecken. Warst mit dem wirklichen Leben in<br />
Berührung gekommen. Spürtest plötzlich seine<br />
ganze Härte.<br />
„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
Dein Selbstbewusstsein geriet ins Wanken. Das<br />
Leben setzte dir Grenzen, kannte keine Gnade.<br />
Und als man dir deine große Liebe nahm, verlor<br />
dein Leben seine Unschuld. Du glaubtest Blut an<br />
deinen Händen zu haben. Blut von Verletzungen,<br />
die dir von Anderen und vom Leben zugefügt<br />
worden waren. Dein Himmel legte sich düster<br />
auf dich nieder und du entferntest dich von allem,<br />
was zu dir gehörte.<br />
„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
Mutig warst du! Wolltest dich dem Wandel<br />
unterziehen, hattest nichts zu verlieren. Glaubtest,<br />
dich in einen Vogel verwandeln zu können.<br />
Wolltest fliegen auf den blauen Schwingen deiner<br />
Sehnsucht. Und einen Wimpernschlag lang bist<br />
du geflogen, durch die Einsamkeit der Nacht,<br />
kamst du den Sternen zu nah.<br />
„Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
„Träume sanft deinen letzten Traum, einen<br />
Traum ohne Wiederkehr. Träume selig in einem<br />
Wolkenmeer ohne Raum und Zeit.“ Und einen<br />
Augenblick glaubte sie, ihren Bruder rufen zu<br />
hören: „Komm, Schwester, steig ein in meinen<br />
Traum!“ Aber es war nur ein Flüstern des<br />
Windes, der zärtlich ihre Tränen streichelte. Und<br />
sie wusste: Nie mehr würde sie zu ihm sagen<br />
können: „Komm, Bruder, tanz mit mir!“<br />
Eva-Maria Klein, Kutenholz<br />
Greta Garbo - Mensch und Mythos<br />
Wie so oft besuchte ich wieder einmal gute Freunde<br />
im schwedischen Smaland. An einem der Besuchstage<br />
verführte uns prächtiges Sonnenwetter<br />
zu einer Fahrt ins Blaue, bei der wir noch nicht<br />
wussten, wo sie uns hinführen würde. Als wir die<br />
Gemeinde Högsby erreicht hatten, kehrten wir<br />
in ein in der Storgatan gelegenes Restaurant zur<br />
Mittagsrast ein. Bei einem nachfolgenden Bummel<br />
durch die Straße sprang mir im Haus Nr. 26<br />
ein Hochglanzplakat in Schwarz - Weiß mit dem<br />
Konterfei eines unverwechselbaren Gesichtes<br />
in´s Auge. Es war das faszinierend ätherische<br />
Gesicht der jungen Greta Garbo. In dem Gebäude<br />
befand sich ein kleines, aber feines Museum.<br />
Ganz dem einstigen Filmstar gewidmet. Wie ich<br />
bald erfahren sollte, verdankte dieses seine Existenz<br />
einer Dame aus Helsingborg und ihrer in<br />
New York lebenden Tochter, welche von einem<br />
Sterbehaus etwa 1100 Fotos der Garbo erstanden<br />
hatte. Diese bildeten das Fundament zur Gründung<br />
dieses Kleinods.<br />
Greta Garbos Mutter und Großmutter stammten<br />
aus der Gegend um Högsby. Es waren arme,<br />
schwer arbeitende Bauersleute in Lillsjödal, was<br />
die junge Anna Lovisa Johannsdotter - Gretas<br />
Mutter - schon als junges Mädchen bewog, in die<br />
pulsierende Metropole Stockholm zu ziehen, um<br />
sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dort<br />
traf sie Gretas Vater Karl Gustafsson, der aus Finneryd<br />
in Smaland stammte. Nach seiner Hochzeit<br />
im Mai 1898 bekam das Paar drei Kinder. Sohn<br />
Sven und Tochter Alva - die schon mit zweiundzwanzig<br />
Jahren an TBC starb - und Greta, die am<br />
18. September 1905 in der Entbindungsklinik<br />
Södra in Stockholm das Licht der Welt erblickte.<br />
Man sagt, das Auffälligste an ihr seien ihre<br />
seidigen, langen Wimpern gewesen, die sie von<br />
ihrer Mutter geerbt hatte. Damals lebte die Familie<br />
in der Blekingegatan Nr. 31 in einer Einzimmerwohnung<br />
mit Küche. Gretas Vater arbeitete<br />
bei der Müllabfuhr und bewirtschaftete nebenbei<br />
noch einen kleinen Schrebergarten zur Selbstversorgung<br />
der Familie. Zum Glück war Greta ein<br />
pflegeleichtes Kind, das aus der Katarina Södra<br />
Volksschule gute Zeugnisse nach Hause brachte.<br />
Doch bereits vierzehnjährig musste auch Greta<br />
zum Familieneinkommen beitragen. Sie arbeitete<br />
in Rasiersalons, wo sie die Barthaare der männlichen<br />
Kunden vor der Rasur einzuseifen hatte. Im<br />
Jahre 1920 begann Greta eine Lehre im Stockhol-<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 10
Prosa<br />
mer Kaufhaus PUB und verdiente monatlich 125<br />
schwedische Kronen.<br />
Greta interessierte sich sehr für den Film und das<br />
Theater. Hartnäckig bemühte sie sich um Aufnahme<br />
an der Schule des Königlichen Dramatischen<br />
Theaters, was ihr letztlich auch gelang. Sie durfte<br />
in zwei Werbefilmen auftreten und im Sommer<br />
verkörperte sie ein Bademädchen in dem Streifen<br />
„ Peter, der Vagabund „. Der Filmemacher Mauritz<br />
Stiller wurde auf sie aufmerksam und gab<br />
ihr die Hauptrolle als Gräfin Elisabeth Dohna in<br />
seinem Stummfilm „ Gösta Berling „ von Selma<br />
Lagerlöf. Aus Greta Gustafsson wurde am vierten<br />
Dezember 1923 die Künstlerin Greta Garbo.<br />
In der deutschen Version von „ Gösta Berling „<br />
hatte dieser Film großen Erfolg und schon folgte<br />
die nächste Hauptrolle in „ Die freudlose Gasse“<br />
unter anderen mit Marlene Dietrich als Actrice.<br />
Louis B. Mayer , Chef der amerikanischen Produktionsfirma<br />
MGM in Hollywood nahm Greta<br />
unter Vertrag, und so reiste sie im Juni 1925 in<br />
Begleitung von Mauritz Stiller mit der Drottningholm<br />
über den großen Teich nach Amerika.<br />
Dort drehte sie den Film: „ Fluten der Leidenschaft<br />
„ . Es folgte: „ Totentanz der Liebe „, der<br />
ebenfalls ein kommerzieller Erfolg wurde. Die<br />
Tonfilmzeit brach an, aber auch der Übergang<br />
dazu fiel der Garbo nicht schwer. Waren es in<br />
der Stummfilmzeit noch ihre makellose Schönheit<br />
und ihre Strahlkraft, so kamen nun noch ihre<br />
stimmlichen Qualitäten in ihrem ersten Tonfilm „ „<br />
„ Anna Christie „ zur Geltung.<br />
Man zahlte ihr ungeheure Gagen, und Film auf<br />
Film folgte. Insgesamt achtundzwanzig an der<br />
Zahl. Inzwischen nannte man sie nur noch „ Die<br />
Göttliche „ Ihr letzter Film „ Die Frau mit den<br />
zwei Gesichtern „ feierte am 31. 12. 1941 Premiere.<br />
Greta Garbo war 36 Jahre alt, als sie nach<br />
16 Jahren der Traumfabrik radikal den Rücken<br />
kehrte.<br />
Sie begann zu reisen und umgab sich mit einflussreichen<br />
Personen wie Aristoteles 0nassis<br />
oder Prinzessin Margret von England, die sie vor<br />
unliebsamer Publicity schützen konnten. Denn<br />
ihre geheimnisvolle Aura, das Sphinxhafte ihres<br />
Wesens beflügelte auch weiterhin die Phantasie<br />
ihrer nicht enden wollenden Schar von Verehrern.<br />
Man dichtete ihre zahllosen Affären an, obwohl<br />
sie zwanzig Jahre lang mit dem Geschäftsmann<br />
George Schlee bis zu dessen Tod im Jahre 1964<br />
zusammenlebte. 1957 war sie amerikanische<br />
Staatsbürgerin geworden und lebte nun in ihrer<br />
New Yorker sieben Zimmerwohnung in der East<br />
52nd Street. Sie kochte selbst und tätigte auch<br />
ihre Einkäufe. Besuch empfing sie selten. Sie hatte<br />
ein stattliches Vermögen angehäuft, welches<br />
sich durch kluge Geldpolitik stetig vermehrte.<br />
Nach Schweden reiste sie immer seltener. Dafür<br />
entwickelte sie eine Vorliebe für die Schweiz, wo<br />
sie dreißig Jahre lang viele Sommerurlaube zubrachte,<br />
die sie immer sehr einsam und zurückgezogen<br />
verlebte.<br />
Für ihre Bewunderer blieb sie eine Ikone, überirdisch<br />
schön, überhöht in´s Göttliche und<br />
blieb doch selbst ein scheuer, weltabgewandter<br />
Mensch.<br />
Sie wurde 84 Jahre alt und starb am 15. April<br />
1990 in New York. Lange Zeit wurde ihre<br />
Urne bei einem New Yorker Beerdigungsinstitut<br />
aufbewahrt, bis ihre Asche am 16. Juni<br />
1999 auf dem Stockholmer „ Skogskyrkogarden<br />
„ feierlich bestattet wurde. Dieser Waldfriedhof<br />
gehört zum Weltkulturerbe der Unesco.<br />
Greta Garbo ist wieder heimgekehrt zur heimatlichen<br />
Erde, als Erbin einer Kultur, die sie verkörperte<br />
als ein Mythos, und als das kleine smaländische<br />
Bauernmädchen, das sie einmal war.<br />
Helmfried Knoll, Wien<br />
Ni tienda, ni cueva (Keine Zeit, keine<br />
Höhle)<br />
Regennacht in der Caldera de<br />
Taburiente (La Palma)<br />
Da bin ich nun endlich – beim dritten Anlauf<br />
– in die Caldera de Taburiente gelangt: den<br />
tiefsten Krater der Welt auf der ‚Grünen Insel‘<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 11
Prosa<br />
der Kanaren. Sein vulkanisches Feuer ist<br />
freilich längst erloschen; auf dem Kratergrund<br />
wiegen sich herrliche Pinienwälder, und von<br />
den mehr als 2000 m hohen Gipfeln schießen<br />
Wasserfälle, sammeln ihr Nass im Herzen des<br />
Kraters nahe dem heiligen Felsen Idafe der<br />
Guanchen-Urbevölkerung. Bringen es, in eine<br />
kühn gefasste Wasserleitung gezwängt, als<br />
Lebens und Überlebenselexier zu den Bananen.-<br />
und Paradeiskulturen an La Palmas Westküste.<br />
Über das kaum zwei Fuß breite Sims eben jener<br />
Wasserleitung bin ich schon vor sechs Jahren<br />
mit meiner lieben Luitgard dem Idafe entgegen<br />
balanciert; solange, bis uns Schwindelgefühle<br />
und Zeitmangel zur Umkehr gezwungen haben.<br />
Diesmal hat unsere Gruppe die ganze Strecke in<br />
Rekordzeit geschafft, gemäß der Losung: Nur<br />
nicht stehenbleiben, nur nicht hinunterschauen<br />
in die ‚Schlucht der Todesängste‘! Vier Spanier<br />
sind diesmal meine Begleiter. Vier junge,<br />
unternehmungslustige Burschen des ‚Grupo<br />
Montañero‘ aus der noch kleinen Inselhauptstadt<br />
Santa Cruz de La Palma. Ich habe sie erst am<br />
Vortag kennengelernt. Nun wollen wir ein paar<br />
Tage gemeinsam zelten und bergsteigen. Ob<br />
jedoch Wettergott Petrus das auch so will?<br />
„Seit dem Winter gab es in der Caldera keinen<br />
Tropfen Regen mehr!“, verkünden meine<br />
Begleiter stolz. Unser Aufbruch am Morgen<br />
unter wolkenlosem Himmel hätte auch gar nicht<br />
schöner sein können. Allen, schon auf dem<br />
Anmarsch streifen uns Schauer; und als dann –<br />
die sehr dünnen – Zelte stehen, regnet es bereits<br />
dem tüchtigen Koch ziemlich kräftig in den ersten<br />
Eintopf hinein … Noch bleiben wir Optimisten,<br />
unternehmen Erkundungsgänge, planen Großes<br />
und Hohes für die folgenden Tage. Doch als wir<br />
in der Dämmerung zu den Zelten zurückkehren,<br />
lassen wir jede Hoffnung fahren: was da aus<br />
himmlischen Schleusen auf uns hernieder<br />
prasselt, das hat tropische Ausmaße und lässt bald<br />
am ganzen Körper keinen Faden mehr trocken.<br />
Verzweifelt müht sich der Koch ab, mit den letzten<br />
Resten trockenen Holzes ein Abendessen zu<br />
bereiten. Zwei Spanier sind uns noch gefolgt. Zu<br />
siebend zwängen wir uns unter ein Zelt; erreichen<br />
damit bloß, dass auch noch die allerletzten<br />
trockenen Flecke der Zeltbahn wasserdurchlässig<br />
werden, und die festen Lebensmittel ein flüssiger<br />
Brei. Schon der Wäschewechsel in dieser Enge<br />
wird zum Problem. Ich aber soll überdies als<br />
‚dritter Mann‘ in irgendeinem der drei Zelte<br />
Unterschlupf finden. Nur: niemand sagt mir, in<br />
welchem, denn jedermann ist ja vollauf mit sich<br />
selbst beschäftigt!<br />
Da bekomme ich es mit der Platzangst zu tun<br />
und fasse einen wenig weisen Entschluss: „Me<br />
voy a la cueva!“ (Ich gehe in die Höhle!“), rufe<br />
ich den Kameraden zu, schultere den Rucksack<br />
und stürme einfach in die Regennacht hinaus.<br />
Bin wild entschlossen, keine Minute länger im<br />
nassen Lager zu bleiben. Es ist inzwischen 21 h<br />
geworden; stockfinstere Nacht.<br />
Der Gussregen wirkt wie ein endloser<br />
Wasservorhang. Ich knipse die Taschenlampe<br />
an und stapfe den Hang hinan, den wir mittags<br />
herabgekommen sind. Ja, frohlocke ich: dort<br />
stehen noch immer die beiden Ochsen unter den<br />
Bäumen; stumpfsinnig wiederkäuend, angekettet.<br />
Ziemlich deutlich hebt sich nun, da sich die Augen<br />
angepasst haben, das Zick-Zack des Steigleins im<br />
gelblichen Gras ab. Das wird nun wohl endlich<br />
eine frischere Farbe bekommen. Und da! Ja, da<br />
ist schon der breitere Weg, der linker Hand in die<br />
Caldera hineinführt, rechter Hand hingegen die<br />
Tafel streift, welche die Grenze des Nationalparks<br />
bekundet. Nach einigem Auf und Ab sollte es<br />
steil gegen die Idafe hinabgehen. Soweit, so<br />
gut. Nun muss ich mich also nur noch an einem<br />
Dickicht aus Feigenbüschen vorüber über die<br />
Wiese tasten. Dann bin ich besser geborgen als<br />
alle anderen und kann in trockenem Gewand aus<br />
dem Rucksack einem – hoffentlich – schöneren<br />
Morgen entgegen schlummern! …<br />
Glaubt der Laie; doch die Rechnung geht nicht<br />
auf: allzu schwarz ist wieder die Nacht, allzu<br />
intensiv der Regen – verflixt noch einmal: ich<br />
finde die Hecke nicht! Zur Rechten rumort tief,<br />
tief unten das Wasser in der Schlucht. Dorthin<br />
darf ich mich keinesfalls wenden – da ginge es<br />
kopfüber ins Bodenlose! Zur Linken hingegen<br />
steht wohl eine schüttere Baumreihe, dahinter<br />
jedoch droht das Gleiche in Schwarz … Wohl<br />
dreimal marschiere ich fortan im Kreis, taste hier,<br />
suche dort – ich finde weder die Feigenbüsche<br />
noch die Höhle. Nicht einmal die Felswand, die<br />
sie birgt, lässt sich in der absoluten Dunkelheit<br />
erahnen; selbst, wenn ich die Lampe abschalte<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 12
Prosa<br />
und mich krampfhaft bemühe, die Augen an<br />
die Dunkelheit zu gewöhnen. Nein, es hat doch<br />
keinen Sinn – da könnte ich ja wohl bis zum<br />
Morgen herumtappen und letztlich noch den<br />
Drehwurm bekommen!<br />
Mit letzter Anstrengung entdecke ich wenigstens<br />
wieder den Steig, auf dem ich gekommen bin;<br />
folge ihm nun in Rückzugsrichtung: Und wenn sie<br />
sich totlachen – lieber schlafe ich geschlagen und<br />
reuig wie ein Büchsenhering in einem Zelt, als<br />
irgendwo für ewig zerschmettert auf dem Grund<br />
einer Schlucht! Eine Erkältung lässt sich schon<br />
wieder auskurieren; ein Absturz schwerlich.<br />
Denkste: jetzt will die Caldera nicht mehr<br />
mitspielen. Im schwachen Lichtschein taste ich<br />
mich unter den Pinien dahin. Wo stehen die Zelte?<br />
Auch von den Ochsen sehe und höre ich nichts<br />
mehr! Geblieben sind lediglich das eintönige<br />
Geprassel des Platzregens und das drohende<br />
Grollen des wohl mächtig angeschwollenen<br />
Bachs auf dem Grund der Schlucht. Als einzigen<br />
Anhaltspunkt entdecke ich schließlich das<br />
‚santuario‘, eine besonders beleibte Pinie mit<br />
allerlei Heiligenbildchen und frommen Sprüchen.<br />
Da kann’s ja nicht mehr weit zu den Zelten sein!<br />
Fehlanzeige! Entweder wird man letztlich<br />
nachtblind oder verliert doch zumindest die<br />
Fähigkeit, am Tag Geschautes auf eine ‚geistige<br />
Nachtkarte‘ umzuzeichnen. Tatsche bleibt,<br />
dass ich auf den lächerlichen hundert Metern<br />
Entfernung zwischen dem Bildbaum und dem<br />
Lagerplatz einfach nicht mehr weiter kann und<br />
die Flinte ins Korn bzw. den Rucksack unter einen<br />
dürftigen Felsvorsprung werfe. Oder schäme ich<br />
mich jetzt meines überstürzten Auszugs?<br />
Sei’s, wie es sei – 20 Minuten in strömendem Regen<br />
haben mich in jeder Hinsicht ‚weich‘ gemacht.<br />
Mit einem Wurstigkeitsgefühl sondergleichen<br />
lasse ich alles Nasse von mir fallen, hülle mich in<br />
die trockenen Kleidungsstücke, die mir der brave<br />
Rucksack noch bewahrt hat, und krieche in den<br />
Schlafsack. Mit der Taschenlampe leuchte ich mein<br />
neues ‚Quartier‘ ab. Das ist freilich recht dürftig<br />
und beengt: ein schräg vorstehender Felsblock.<br />
Darunter, höchstens 1 m breit, trockener, steiniger<br />
Boden. Die gesamte geschützte Fläche so ‚groß<br />
#, dass ich entweder mit eingezogenen Beinen<br />
schlafen muss oder Gefahr laufe, dass auch<br />
der Schlafsack eingeweicht wird. Während der<br />
nächsten rund neun Stunden praktiziere ich beides<br />
abwechselnd; mit nicht gerade überwältigendem<br />
Erfolg. Ist doch für den Kopf eine derart<br />
enge Nische frei, dass ich beinahe Atemnot<br />
bekomme und mich wie in einem Schraubstock<br />
fühle … Einmal verschwindet die Lampe in<br />
den Tiefen des Rucksacks, dann kommen mir<br />
wieder so lebenswichtige Utensilien, wie Brille<br />
und Kugelschreiber abhanden – kurzum: für<br />
Spannung ist gesorgt! Trotz allem erzwingt der<br />
ausgepumpte Leib ein paar Stunden Schlafes!<br />
Das also ist – auf kanarisch – der Wechsel vom<br />
April in den Wonnemonat Mai … Wahrhaftig,<br />
den habe ich mir auf den ‚Inseln des ewigen<br />
Frühlings‘ etwas anders vorgestellt! Vor der<br />
Morgendämmerung schlägt auch noch der Wind<br />
um, peitscht mir nun die Regentropfen voll ins<br />
Gesicht. Soll denn nun alles in dieser Sintflut<br />
ersaufen? Nicht genug damit, kommen auch<br />
noch lästige Gelsen und tun sich an den wenigen<br />
ungeschützten Körperstelen gütlich. Mir reicht’s!<br />
Als der Morgen grau in grau heraufdämmert,<br />
raffe ich mich zu einer Standortbestimmung auf:<br />
keine 50 m sind’s, die mich von den Zelten der<br />
Gefährten trennen. Und was sich dort gerade<br />
herausschält, das ist immerhin noch ärger<br />
durchweicht als ich …<br />
(Aus einem längeren, unveröffentlichten Manuskript<br />
‚ENTRE EL TEIDE Y EL IDAFE‘ Zwischen dem Pico del<br />
Teide und dem Idafe), dessen spanische Eigenübersetzung<br />
auf den Kanarischen Inseln kursieren soll).<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 13
Prosa<br />
Wilma Klevinghaus, Erkrath<br />
Spassiba<br />
Im Zimmer des Großvaters saß der Junge bei den<br />
Hausaufgaben.<br />
„Opa Erwin, weißt du eigentlich, was „Danke“<br />
auf Englisch heißt“, fragte er plötzlich.<br />
„Klar“, lachte der Opa hinter seiner Zeitung.<br />
„Thank you“, natürlich. Das weiß doch jedes<br />
Kind heutzutage. Sag bloß, du nicht!“<br />
„Und Französisch?“<br />
„Du hälst mich wohl für dumm. Merci natürlich.<br />
Wie die Pralinen.“<br />
„Weißt du es in noch mehr Sprachen?“<br />
„Mal sehen.“ Latein und Griechisch fielen<br />
ihm ein, nach einer Weile auch Italienisch und<br />
Spanisch vom Urlaub her.<br />
„Das ist doch so ungefähr das Erste, was man<br />
sich in einer fremden Sprache merken sollte“,<br />
meinte er.<br />
„Weißt du es auch auf Russisch? Du warst doch<br />
im Krieg dort als Soldat, hat mir der Papa erzählt.<br />
Der alte Mann riss die Augen auf. Aber er sah<br />
nicht den Jungen und nicht das Zimmer, das ihn<br />
umgab. Was er sah, lag mehr als zweitausend<br />
Kilometer und mehr als sechzig Jahre entfernt.<br />
Wie durch eine überscharfe Brille sah er sie<br />
wieder vor sich, die erbärmliche Kate in einem<br />
Ort, dessen Name er vergessen, vielleicht auch<br />
nie gewusst hatte.<br />
Sie waren gerade erst an die Front gekommen,<br />
um den verloren zu gehenden Krieg noch<br />
einmal aufzuhalten. Junge Kerle allesamt, viele<br />
direkt von der Schulbank, wie er. Freiwillig<br />
und gerade erst siebzehn. Der letzte Aufruf,<br />
hatte sein Großvater hinter vorgehaltener Hand<br />
gesagt. Dementsprechend tränenreich war<br />
auch der Abschied ausgefallen. Und gleich<br />
in der zweiten Woche gerieten sie in eine der<br />
blutigsten Schlachten. Ganz schön ernüchternd:<br />
nur notdürftig ausgebildet mitten hinein in das<br />
Gemetzel, das so gründlich war, dass man aus den<br />
Resten zweier Züge gerade noch einen einzigen<br />
zusammengestellt hatte.<br />
Der neue Zugführer hatte ihnen denn auch ein<br />
paar Ruhetage versprochen, falls die Russen<br />
sie in Ruhe lassen würden, hatte für diesen<br />
Tag nur einen kleinen Einsatz vorgesehen, eine<br />
Episode, wie er sich ausdrückte, kaum der Rede<br />
wert. In Zweiergruppen sollten sie das Dorf,<br />
das sie am Vortag erobert hatten, nach einem<br />
einzelnen angeblich dort versteckten Partisanen<br />
durchsuchen.<br />
Denkste, schimpften einige in sich hinein, von<br />
wegen Episode, Partisanen … War auch nicht<br />
gerade ungefährlich und schön erst recht nicht.<br />
Aber Befehl ist Befehl: das hatte man ihnen schon<br />
am ersten Tag in der Kaserne beigebracht, falls es<br />
ihnen nicht noch aus der Hitlerjugend, der sie alle<br />
angehört hatten, selbstverständlich war. Daran<br />
gab es nichts zu rütteln. Die Worte „Fragen“ und<br />
„Zögern“ galt es zu vergessen als Soldat. Keiner<br />
konnte sich seinen Einsatzplan selbst aussuchen.<br />
Hans, einer der Neuen, die er überhaupt nicht<br />
kannte, war zusammen mit ihm eingeteilt worden.<br />
Drei, vier Häuser hatten sie schon durchsucht.<br />
Ohne Erfolg. Überall dasselbe Bild: Frauen und<br />
Kinder verstört sich aneinander klammernd,<br />
einmal auch ein zahnloser Greis, der sie vom<br />
Ofen aus anstarrte mit einem Gesicht, das eher<br />
in einen Sarg als in eine Stube gepasst hätte. Die<br />
Angst, gleichsam körperlich zu spüren, füllte<br />
die letzten Ritzen der Räume, deren Luft zum<br />
Schneiden dick war.<br />
„Scheußlich“, brummte Hans vor sich hin, bevor<br />
sie das nächste Haus betraten. Nur dies eine Wort.<br />
Schwer auszumachen, worauf e sich bezog. Sie<br />
stießen die Tür auf, eine uralte Tür, von der an<br />
allen Ecken der Lack abgesprungen war. Sie<br />
ächzte und knarrte, während sie in die kleine<br />
Kate polterten. Erwin sah Hans lauernd von der<br />
Seite an. Auch er hat Angst, dachte er, Angst vor<br />
dem Hinterhalt, Angst vor dem Getötet-Werden,<br />
vielleicht auch vor dem Töten-Müssen, vor …<br />
Und plötzlich begriff er, dass sie auch<br />
voreinander Angst hatten, einander misstrauten.<br />
Wohl nicht ohne Absicht hatte der Leutnant<br />
immer Wildfremde zusammen eingeteilt. Abe<br />
noch ehe Erwin diesen Gedanken zu Ende<br />
denken konnte, schrie eine Frauenstimme auf,<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 14
Prosa<br />
so hart und schneidend, dass sie unwillkürlich<br />
beide zusammenzuckten, als habe jemand ein<br />
blankes Schwert oder den Lauf eines Gewehrs<br />
auf sie gerichtet. Dass Kinder aufgeschrien oder<br />
davongelaufen waren oder Erwachsene bei ihrem<br />
Anblick vor Entsetzen verstummten, war auch<br />
nach den wenigen Tagen in Russland nichts<br />
Neues für sie. Doch noch nie hatte Erwin dies<br />
schreckliche „Njet!“ so vernommen. Er kannte<br />
das Wort zwar noch nicht; niemand hatte sich die<br />
Mühe gemacht, ihnen auch nur eine Handvoll<br />
der wichtigsten Ausdrücke in der Sprache der<br />
Feinde zu vermitteln. Aber niemand brauchte<br />
es ihm zu erklären. Alles an diesem Nein war<br />
Abwehr. Abwehr und Angst. Er spürte die hilflos<br />
erhobenen Hände, auch wenn er sie nicht sah.<br />
Er wandte sich in die Richtung, aus der der Schrei<br />
gekommen war. Aber er konnte nichts erkennen.<br />
Die früh hereinbrechende Dämmerung, die<br />
durch die verklebten Fensterscheiben ihre ersten<br />
Schatten warf, hüllte im Verein mit Rauch und<br />
Mief alles in undurchdringliches Grau. Es dauerte<br />
eine Weile, bis die Augen sich daran gewöhnen<br />
konnten. Das Erste4, das Erwin wahrnahm,<br />
war eine Ecke des Raumes, in der eine – wie es<br />
schien, ganz neue – Ikone angebracht war, vor<br />
der ein uraltes, verhutzeltes Weiblein auf den<br />
Knien kauerte. As der Raum für seine Augen<br />
allmählich Gestalt annahm, registrierte sein<br />
Verstand daneben eine jüngere, sehr bleiche<br />
Frau, die aussah, als versuche sie, in sich selbst<br />
hinein zu kriechen. Ein paar zerlumpte Kinder<br />
klammerten sich an sie mit vor Angst geweiteten<br />
Augen. Weitere undefinierbare Gestalten hockten<br />
oder standen irgendwo herum. Kaum vorstellbar,<br />
wie viele Menschen dieser kümmerliche Raum<br />
beherbergen konnte. Und alle erschienen Erwin<br />
wie gelähmt.<br />
Eines der Kinder begann zu wimmern und<br />
ein anderes schrie auf wie in Todesangst. Mit<br />
vorgehaltenem Gewehr, wie es Vorschrift war,<br />
setzten Hans und Erwin vorsichtig Schritt für<br />
Schritt, während die Blicke der Bewohner<br />
unablässig verstohlen zwischen den Deutschen<br />
und der Ecke des Raumes, in der das Dunkel<br />
am undurchdringlichsten erschien, hin und her<br />
huschten.<br />
Jetzt bemerkte auch Erwin, dass dort ein Mensch<br />
stand, ein noch junger Mann, wenn auch<br />
vermutlich um einiges älter als sie, vielleicht<br />
der Vater der Kinder, auch er sehr bleich, mit<br />
regungslosem, wie erstarrtem Gesicht, die Hände<br />
hinter dem Rücken verborgen.<br />
„Njet“, schrien jetzt auch ein paar andere Frauen<br />
wie aus einem Mund. Mit Sicherheit, dachte<br />
Erwin, war es nicht die erste Razzia auf wirkliche<br />
oder vermeintliche Partisanen, die sie erlebten.<br />
Niemand brauche ihnen zu erklären, was eine<br />
Entdeckung bedeuten würde.<br />
Was dann geschah, dauerte wenig länger als einen<br />
Atemzug. Erwins Augen trafen sich mit denen<br />
des Mannes. Ohne zu wissen, warum, ließ er die<br />
Waffe sinken. Einen Augenblick nur, kürzer als<br />
ein Gedanke. Dann blickte er erschrocken um.<br />
Da stand Hans hinter ihm mit schussbereitem<br />
Gewehr und verzerrtem Gesicht. Erwins Knie<br />
begannen zu zittern. Er starrte auf Hans, auf<br />
dessen und sein eigenes Gewehr; dann fiel sein<br />
Blick auf die Ikone. In diesem Augenblick hatte<br />
auch Hans sie offenbar entdeckt, hielt den Atem a,<br />
bekreuzigte sich wie ein ertapptes Kind, sicherte<br />
die eigene Waffe und verließ wortlos den Raum.<br />
Erwin stolperte hinter ihm her.<br />
„Spassiba“, sagte eine Frau mit bebender Stimme<br />
irgendwo. Und zwei oder drei Kinder flüsterten<br />
hinterher: „Spassiba!“<br />
„Weißt du, was das heißt“, fragte Erwin vor der<br />
Haustür.<br />
„Was soll das schon heißen“, knurrte Hans. „Frag<br />
nicht so blöd!“ Und plötzlich drückte Erwin ihm<br />
die Hand.<br />
„Danke“, sagte er und zwinkerte ihm zu.<br />
„Danke“, würgte auch Hans hervor. „Spassiba…“<br />
Es war der Beginn einer wunderschönen<br />
Freundschaft, der jedoch nur eine kurze Dauer<br />
beschieden war. Weihnachten erlebte Hans schon<br />
nicht mehr…<br />
„Spassiba“, flüsterte der alte Mann vor sich hin,<br />
so leise, dass der Junge erstaunt aufsah.<br />
„Is was“, fragte er erschrocken. „Bist du krank?<br />
Du hast ja auf einmal gar keine Farbe mehr im<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 15
Prosa<br />
Gesicht.“<br />
„Schon gut“, wehrte der Großvater ab und<br />
wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.<br />
„Es ist nur die Erinnerung.“<br />
Es hätte auch anders ausgehen können damals,<br />
dachte er. Und dann, mit einem Blick auf den<br />
Jungen: Möchtet du nie in deinem Leben vor die<br />
Wahl gestellt werden zwischen deinem Leben und<br />
dem eines andern …<br />
Anna Maria Sauseng<br />
Demenz<br />
Klick, klick, ein und aus. Auf der Mahagoni<br />
Tischplatte lässt er seinen Kugelschreiber tanzen.<br />
„Da kann man nichts machen, der Krankheitsverlauf<br />
ist wie beim Krebs, unaufhaltbar.“<br />
Klick, klick, ein und aus.<br />
Meine Augen glühen, werden voll mit Flüssigkeit.<br />
„Ihr Mann hat ein sehr hohes Alter erreicht.“<br />
Klick, klick. Der Herr im weißen Mantel erhebt<br />
sich:<br />
„Also, dann.“<br />
„Danke“. Schnell wische ich mit dem Taschentuch<br />
über mein Gesicht.<br />
Im Warteraum wartet mein Mann, wir verlassen<br />
gemeinsam die Ordination.<br />
„Welcher Tag ist heute?“ „Wie hat der Doktor<br />
geheißen, wohin fahren wir jetzt?“, fragt er.<br />
Nachts, ich wälze mich von einer Seite zur anderen,<br />
kaum schließe ich die Augen türmt sich<br />
eine graue Sorgenwolke vor mir auf. Es wird nie<br />
mehr so sein wie bisher.<br />
40 Jahre Ehe entfliehen in den Abgrund seiner<br />
Gedankenlücken. Und dann?<br />
Die graue Wolke verdichtet sich in Schwarz.<br />
Mein Körper bedeckt mit Schweißperlen, liegt<br />
schwer danieder, wird vom schmerzhaften Sog<br />
nach unten gezogen.<br />
Meine Hand tastet nach nebenan. Noch ist er bei<br />
mir, noch sind uns helle Tage geschenkt.<br />
Ich rolle mich zur Seite, aber was dann, was<br />
dann?<br />
Oh, dann wäre ich wieder frei, frei wie vor der<br />
Heirat –<br />
Seine Liebe zu mir, meine Liebe zu ihm, Liebe,<br />
wie kann ich diese Aussage definieren?<br />
, sage ich.<br />
Die schwarze Wolke hellt sich auf, zeigt mir<br />
neuen Sinn für mein Leben.<br />
Ich nehme meinen Kugelschreiber und drücke<br />
ihn auf die weiße Tischplatte in der Küche.<br />
Klick, klick.<br />
Mein Mann fragt nach der Anzahl unserer Kinder<br />
und deren Namen, er sucht seine Utensilien<br />
und legt seine Schuhe in den Wäschekasten,<br />
stellt die Zuckerdose in den Kühlschrank und<br />
die Butter zu den Kaffeetassen.<br />
Er soll es trotzdem gut haben neben mir.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 16
Prosa<br />
Truxton Agidius Oldridge,<br />
Hannover<br />
Auf Nimmerwidersehen<br />
Ich kenne nur ihren Namen. Sonst weiß ich nichts<br />
über sie. Ich kenne nur ihren Namen, und auch<br />
dieser ist eigentlich ohne Belang. Den meinen<br />
wird sie beinahe schon wieder vergessen haben.<br />
Wenn sie ihn sucht, sieht sie mich angestrengt<br />
wie abwesend an, erhebt erwartungsvoll den<br />
Zeigefinger und präsentiert mir des Rätsels<br />
Lösung dann freudig wie eine alte Erinnerung<br />
aus Kindertagen.<br />
Ich lächle schief. Das tue ich die ganze Zeit; als ich<br />
mich vorstelle, als ich ihr mit halbgeschlossenen<br />
Ohren zuhöre, als ich hohle Nichtigkeiten von<br />
mir gebe.<br />
Die anderen schmunzeln freundlich, tätscheln mir<br />
die Schultern, stoßen mich freundschaftlich mit<br />
ihren Fäusten. Ihre Krallen haben sie ausgefahren,<br />
mein schwarzes Hemd zu zerfetzen, sie geifern<br />
nach meinem Herzen, es in Stücke zu reißen wie<br />
Hyänen eine verrottende Antilope. Dabei ist es<br />
nicht boshaft, nein, mir sind sie freundschaftlich<br />
gewogen, es geht nicht einmal um mich, es geht<br />
nur um sie.<br />
Sie ist hübsch, hat lange dunkle Haare. Ihr Gesicht<br />
erinnert mich an jemanden, an eine unliebsame<br />
Bekanntschaft aus vergangenen Tagen vielleicht.<br />
Ihre Kleider, leger und schwarz, schwarz wie<br />
die meinen, verhüllen ihre Kurven, schweigen<br />
darüber, wie viel zartes Fleisch um ihre Knochen<br />
klebt, sie wispern nur: Sie ist hübsch.<br />
Ich spanne all meine Muskeln an, als sie ihre<br />
schmale Hand wie zur Begrüßung um meinen<br />
Hintern legt und ihre Nägel mit zärtlicher<br />
Bestimmtheit in mein willenloses Fleisch drückt.<br />
Ich beiße die Zähne zusammen und verdrehe mit<br />
geschlossenen Lidern die Augen nach oben. So<br />
könnte ich ewig verweilen.<br />
Ungefragt hat sie ihren Arm um meine knochigen<br />
Schultern gelegt, sich zu stützen, formt mit ihren<br />
Lippen süßes Nichts und pustet es in mein Ohr,<br />
wie sie langsam schweren, warmen Atem meinen<br />
Hals entlang haucht. Ich lasse mich einlullen,<br />
ertrinke in ihrer Trunkenheit. Während sie ihren<br />
Körper nach Vorne fallen lässt und ihren weichen<br />
Busen an meine Rippenbögen schmiegt, wandert<br />
ihre Hand kraftlos meine Brust entlang, streichelt<br />
meinen Bauch, als streichle sie selbstverliebt den<br />
ihren. Fast kann ich sie schnurren hören, wie<br />
sie ihre zarten Rundungen an mich legt, einer<br />
getigerten Katze gleich, die nach stinkendem<br />
Fisch giert. In den Gräten meiner Seite spüre ich<br />
ihren warmen Herzschlag wie den Biss des Egels<br />
in der Vene.<br />
Auf und ab fahren ihre Fingerspitzen, fährt ihre<br />
Handfläche über den dünnen schwarzen Stoff, der<br />
uns trennt, uns kaum zu trennen vermag, im Takt<br />
ihres süßlichen Atems, der meine Haut kitzelnd<br />
von Knochen zu Knochen abschreitet.<br />
Ich genieße es, ihre bewusstlosen Liebkosungen.<br />
Das Blut schießt mir aus dem Kopf hinab. Verzückt<br />
möchte ich das Gesicht verzerren, doch ich muss<br />
ja weiter schief lächeln, mit geschlossenem Mund<br />
und zusammengebissenen Zähnen.<br />
Ich bin ein anständiger Kerl. Meine Hände<br />
behalte ich bei mir, meinen Arm lege ich nicht<br />
um ihre Hüfte, erwidere ihre Berührungen nicht,<br />
mein Becken schiebe ich nicht gegen das ihre. Ich<br />
bleibe anständig, doch verharre ich und genieße<br />
alles, was sie mir antut, lehne nichts ab, halte ihre<br />
Handgelenke nicht fest, schiebe ihre Schulter<br />
nicht davon. Warum sollte ich? Sie ist hübsch.<br />
Sie ist hübsch und mein Gewissen so rein wie ich<br />
selbst frei. Niemandem muss ich Rechenschaft<br />
ablegen für den Genuss ihres Rausches. Ich tue ja<br />
nichts, ich genieße ja nur. Selbst wenn ich etwas<br />
täte – aber ich bin ein anständiger Kerl.<br />
Die anderen stehen um mich herum, sie machen<br />
fröhliche Gesichter, sie scherzen, sie reden mit<br />
mir, palavern, erinnern sich mit mir vergangener<br />
Zeiten. Neben leeren Silben entgegne ich nur<br />
ein herzliches schiefes Lächeln. Sie platzen fast<br />
vor Ungeduld. Ihre Augen können nichts als<br />
gieren, gieren nach ihr, ihre Gedanken nichts als<br />
begehren und brennen, brennen vor Ungeduld.<br />
Ungeduldig harren sie, dass sie endlich von mir<br />
ablässt, dass sie sich einem von ihnen zurück an<br />
den Hals wirft, harren, dass sie sich eine neue<br />
Stütze sucht unter ihnen.<br />
Noch immer wähne ich mich reglos, sorglos in<br />
ihrer überschäumenden Gegenwart, im schwer<br />
schwankenden Champagnerbad ihrer prickelnden<br />
Sinnestrübe. Ihre Worte werden immer wortloser,<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 17
prosa / essay<br />
ihre Stimme süßer als geraspeltes Süßholz.<br />
Ein Blick auf das Ziffernblatt meiner treuen Uhr<br />
und ich kann durch den dichten Schleier ihrer<br />
unzähligen massierenden Finger den Ruf meines<br />
Bettes hören, meines einsamen, schmalen Bettes,<br />
das gerade Platz genug für mich allein bietet.<br />
Rasch schüttle ich ein paar Hände, zuletzt die<br />
ihre, und charmant verabschiede ich mich auf<br />
Nimmerwiedersehen.<br />
Essay<br />
Wilfried A. Faust, Bajamar/<br />
Teneriffa<br />
Melodie und Komposition<br />
Zwischen diesen beiden musikalischen<br />
Ausdrucksformen gibt es einen wesentlichen<br />
Unterschied, den ich – zumindest innerhalb<br />
meiner eigenen kreativen Beschäftigung mit<br />
den Tönen – immer wieder elementar spüre.<br />
Deshalb versuche ich, meine Ansicht hierüber<br />
festzuhalten; es könnte ja sein, dass der eine<br />
oder andere musikalisch Schaffende die gleiche<br />
Erfahrung gemacht hat.<br />
Ist der Unterschied denn tatsächlich so gravierend<br />
oder wird eine Melodie nicht auch komponiert und<br />
ist somit eben doch genauso eine Komposition?<br />
Ich werde eine Antwort darauf geben, mit der<br />
sicherlich nicht jeder einverstanden sein wird.<br />
Vielleicht aber spielt uns unsere Sprache nur<br />
einen Streich!?<br />
Ich beginne damit, den Begriff Komposition zu<br />
durchleuchten, oder besser gesagt zu erklären,<br />
wie ich den Vorgang persönlich erlebe:<br />
Es entsteht wie ein Hausbau, dem eine Idee<br />
zugrunde liegt. Diese realisiert sich durch<br />
Zusammenfügen von bestimmten Elementen;<br />
es läuft wie ein tastendes Experiment ab,<br />
Erfahrungen werden verwertet, Ausformungen<br />
ausprobiert, man lässt sich auf Abenteuer ein,<br />
baut hier ein Nebengebäude an, lässt dort Licht<br />
herein oder sperrt es aus, ganz nach Belieben.<br />
Themen und Motive steuern, ordnen und<br />
verbinden, sind aber keine Eigenständigkeiten,<br />
sie sind der Mörtel. So kann eine harmonische<br />
Einheit in vielen Schattierungen und Spektren<br />
entstehen. Es macht Freude, dem Wachsen des<br />
Hauses zuzusehen, das da unter seinen eigenen<br />
Händen sich zu manifestieren beginnt.<br />
Es ist ein Produkt, das hauptsächlich unter der<br />
Dominanz der linken Hirnhälfte steht, diesem<br />
Werkzeugkasten aus Erfahrungen, Urteilen,<br />
Vorurteilen, Routine und Geschicklichkeiten.<br />
Darum kann man wohl berechtigterweise auch<br />
Werk dazu sagen.<br />
Wie steht es nun mit den Melodien?<br />
Ich bin überzeugt, dass sie etwas anderes ist,<br />
etwas Selbständiges, unabhängig und vollständig,<br />
irgendwo bereits vorhanden; sie wird gefunden<br />
und nicht komponiert.<br />
Sie ist hauptsächlich eine Manifestation unserer<br />
rechten Hirnhälfte, die mir wie eine Spielwiese<br />
vorkommt, auf der ich mich einfinden kann, um<br />
zu schauen, was sich auf ihr tummelt. Manchmal<br />
erscheint auf ihr eben eine Tonfolge, die sich<br />
mir als Melodie zu erkennen gibt. Sie kann mich<br />
spontan anspringen oder leise heranwehen, mich<br />
umspielen oder sich nur zögernd nähern, bis ich<br />
das Geschenk erfasst habe, denn um ein solches<br />
handelt es sich.<br />
Jetzt gilt es, die Melodie festzuhalten, denn<br />
sie ist ein flüchtiges Wesen – jawohl, ich sage<br />
ausdrücklich Wesen – das sich schnell verflüchtigt,<br />
wenn ich sie nicht am Zipfel packe und sie mittels<br />
Notenschrift oder mit der Aufnahmetechnik<br />
meines Keyboards in die Realität hole und<br />
festnagele. Und nun kann ich meine Freundin in<br />
ein schönes, zu ihr passendes Kleid stecken.<br />
Die Melodien, die ich so bisher erhalten habe,<br />
sind mir wie meine Kinder, die ich um mich spüre<br />
und die mit mir leben und ihre eigene Geschichte<br />
erzählen.<br />
Ich bin sicher, dass jeder Tonkünstler so seine<br />
eigenen Erlebnisse hat und Erfahrungen macht,<br />
die mit meinen nur skizzenhaft hingeworfenen<br />
Ausführungen durchaus nicht übereinstimmen<br />
müssen, aber sie würden mich außerordentlich<br />
interessieren.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 18
essay<br />
Johanna Klara Kuppe,<br />
Waiblingen<br />
DIE FARBE BLAU Teil I<br />
Welches Blau hat der Himmel? - Natürlich<br />
Himmelblau. Aber waren Sie schon mal in der<br />
Eisgrotte des Rhonegletschers? Welches Blau hat<br />
das Eis dort?<br />
Ich möchte Sie mitnehmen in ein „Meer von<br />
blauen Gedanken“ - einen Vers von Heinrich Heine<br />
aufgreifend und Sie als erstes fragen, wie viel Blau<br />
sie kennen – überlegen Sie in Ruhe – wenn Sie<br />
bei einhundertelf Blautönen angekommen sind,<br />
„liegen“ Sie richtig. Kaum eine andere Farbe hat<br />
bis heute so viele Künstler und Dichter inspiriert<br />
und ihre Phantasie so beflügelt wie die Farbe<br />
Blau und die Faszination scheint ungebrochen,<br />
denn gerade die Moderne hat eine erstaunliche<br />
Fülle von Kunstwerken hervorgebracht, die den<br />
Farb- und Stimmungswert Blau mit geradezu<br />
beschwörendem Gestus festzuhalten versuchen<br />
(z.B. Picassos „Blaue Periode“, „Der Blaue<br />
Reiter“ oder die Blau – Bilder von Yves Klein).<br />
Aber nicht nur bei den Künstlern „steht Blau<br />
hoch im Kurs“. Es ist die beliebteste Farbe<br />
überhaupt: 44% der Frauen und 46% der Männer<br />
bezeichnen Blau als Lieblingsfarbe. Und es gibt<br />
kaum jemanden, der Blau nicht mag (nur 2% der<br />
Frauen und 1% der Männer).<br />
Nur in einem Bereich schätzen wir Blau weniger<br />
– wir essen und trinken kaum Blaues.<br />
Die wichtigste Bedeutung hat Blau in der<br />
Farbsymbolik, in den Gefühlen, die wir mit<br />
Blau verbinden. Es ist die Farbe aller guten<br />
Eigenschaften, die sich in der Dauer bewähren,<br />
der Gefühle, die nicht von lauter Leidenschaft,<br />
sondern von gegenseitigem Verständnis<br />
beherrscht sind. Deshalb möchte ich nun im<br />
ersten Teil zunächst auf diese Punkte näher<br />
eingehen und im zweiten Teil auf die Herstellung<br />
der Farbe Blau und auf einzelne Farbtöne.<br />
1. Blau – die Farbe der Sympathie, der<br />
Harmonie, der Treue<br />
Blau ist die meistgenannte Farbe für Sympathie,<br />
Harmonie, Freundschaft und Vertrauen – alles<br />
Gefühle, die sich nur in der Dauer bewähren und<br />
auf Gegenseitigkeit beruhen. Woher kommt dies<br />
aber?<br />
Bei Farbgefühlen denken wir in viel größeren<br />
Zusammenhängen. Blau ist der Himmel, deshalb<br />
ist Blau auch die göttliche Farbe, die ewige Farbe.<br />
Blau wird so ganz allgemein zu der Farbe, die zu<br />
allem gehört, was wir uns als beständig wünschen<br />
und zu allem, was möglichst ewig dauern soll.<br />
Vielleicht darum gilt Blau auch als Farbe der Treue<br />
und als Farbe der Ferne. Denn Treue hat mit Ferne<br />
zu tun, sie erweist sich erst, wenn Gelegenheit<br />
zur Untreue gegeben ist. Unscheinbar, wie die<br />
Treue (sie stellt sich nicht demonstrativ zur<br />
Schau), sind auch die Blumen, die für Treue<br />
stehen: Vergissmeinnicht, Männertreu und<br />
Jelängerjelieber. Früher wurde z.B. erzählt, das<br />
Vergissmeinnicht hätte seinen Namen erhalten,<br />
als ein Mann am Flussufer für seine Geliebte<br />
diese Blumen pflückte, in den Fluss rutschte und,<br />
ehe er ertrank, noch rief:“ Vergiss mein nicht!“<br />
In der Minnedichtung erscheint als Verkörperung<br />
der Treue eine Frau Staete - „Staete“ heißt<br />
„Beständigkeit“ und Frau Staete trägt ein blaues<br />
Kleid. Im Englischen gehört das Blau besonders<br />
eng zur Treue: „True Blue“, das „Treue Blau“ ist<br />
eine so feste Verbindung von Farbe und Gefühl<br />
wie bei uns „Giftgrün“ - was es im Englischen<br />
nicht gibt. Der englische Hochzeitsbrauch z.B.<br />
fordert als Ausstattung jeder Braut:<br />
„Something old, something new,<br />
something borrowed, something blue.<br />
2. Die blauen Wunder der Phantasie<br />
Blau ist die Farbe jener Ideen, deren Verwirklichung<br />
in der Ferne liegt. Im Violett ist die irreale Seite<br />
der Phantasie symbolisiert – das Phantastische.<br />
Orange, als dritte Farbe der Phantasie,<br />
symbolisiert das Vergnügen an verrückten<br />
Ideen. Blau-Violett-Orange ist der Farbklang der<br />
Phantasie. Wie in der bildenden Kunst, so gibt es<br />
auch in der deutschsprachigen Lyrik (besonders<br />
des 20.Jhrds.), Dichter und Dichterinnen, die sich<br />
mit mehr oder weniger obsessiver Beharrlichkeit<br />
der Farbe Blau verschrieben haben und in immer<br />
neuen Versen die verschiedensten Blautöne und<br />
-Schattierungen klang- und bildmächtig besungen<br />
haben (Yvan Goll, Paul Celan, Niklas Stiller etc.)<br />
Als Farbe der Ferne und der Sehnsucht (denken<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 19
essay<br />
Sie an die Romantik und ihre „blaue Blume“) ist<br />
Blau aber auch eine Farbe des Unrealistischen,<br />
sogar der Täuschung: wenn einem jemand „da<br />
Blaue vom Himmel herunter lügt“ oder „blauen<br />
Dunst vormacht“, erlebt man in der Stunde<br />
der Wahrheit sein „blaues Wunder“. Früher<br />
sagte man zu Lügengeschichten auch „blaue<br />
Märchen“. „Parbleu!“ rufen Franzosen, wenn<br />
etwas nicht mit rechten Dingen zu erklären ist.<br />
In den Niederlanden sagt man “das sind nur<br />
blaue Blümchen“, nichts als Lügen. Es sind<br />
keine wirklichen Lügen, die mit Blau assoziiert<br />
werden, eher harmloser Schwindel – auch als<br />
„Bluff“ bezeichnet.<br />
3. Die Entspannung zur blauen Stunde<br />
die „blue hour“, die „Blaue Stunde“, ist die Stunde<br />
der Dämmerung, die Stunde nach Arbeitsschluss.<br />
Lokale werben mit Blue -Hour -Angeboten:<br />
Alkoholische Getränke sind am frühen Abend<br />
oder an bestimmten Tagen billiger, also umso<br />
verlockender mit der Entspannung anzufangen.<br />
Aber auch andere „entspannende“ Mittel<br />
werden von uns gebraucht: Denken Sie an<br />
„Klosterfrau Melissengeist“, der seit Jahrzehnten<br />
in der blau-weißen Packung verkauft wird,<br />
das lässt uns nur an Wohltuendes denken und<br />
den hochprozentigen Alkohol vergessen. Ein<br />
weiteres Produkt: Nivea Creme (auch blauweiß<br />
verpackt) und es beruhigt die Haut.<br />
Als passive und ruhigste aller Farben ist Blau<br />
eben auch die Hauptfarbe von Verpackungen für<br />
Schlafmittel und Beruhigungsmittel und – für<br />
Bett- und Nachtwäsche (wunderbar entspanntes<br />
Schlafen!!) Vielleicht oder bestimmt besteht der<br />
berühmte „train bleu“ (Calais – Paris – Nizza)<br />
deshalb nur aus Schlafwagen.<br />
4. Die blaue Blume der Sehnsucht<br />
Ja, auch auf die möchte ich nun etwas näher<br />
eingehen. Sie ist Inbegriff der Dichtung der<br />
Romantik. 1802 erschien Novalis‘ Roman<br />
„Heinrich von Ofterdingen“. Darin träumt<br />
Heinrich, ein junger Dichter, von einer blauen<br />
Blume, sie wächst zwischen blauen Felsen,<br />
an einer blauen Quelle. Er sieht, wie sich die<br />
Blume verwandelt – es erscheint das Gesicht<br />
eines Mädchens.... (Sie wissen sicher, wie<br />
es weiter geht). Novalis‘ Roman handelt<br />
von der Sehnsucht nach einem Lebenssinn,<br />
der aus mystischer Erkenntnis entsteht.<br />
Dieses Blau der Sehnsucht ist auch in der Musik: der<br />
Blues. Der Blues entstand unter amerikanischen<br />
Farbigen und hat seinen Namen natürlich vom<br />
Blau – doch auf Englisch bedeutet „blue“ auch<br />
„traurig“, „melancholisch“. Die Songs des Blues<br />
erzählen von Heimweh, Liebeskummer, von der<br />
Sehnsucht. Das berühmteste „blaue“ Musikstück<br />
ist die „Rhapsody in Blue“ von Gershwin. Und<br />
in einer melancholischen Stimmung ist sogar die<br />
Liebe blau, wie im Chanson „Bleu, bleu, l‘amour<br />
est bleu“.<br />
5. Blaustrümpfe, blaue Briefe, blaue Filme<br />
Fällt Ihnen dazu was ein? - ach, ja, „Blaustrumpf“<br />
werden immer noch jene Frauen genannt,<br />
denen der klassische weibliche Lebenszweck<br />
„Kinder, Küche, Kirche“ - oder in moderner<br />
Version „Kinder, Kosmetik, Karriere des<br />
Ehemanns“- nicht genügt. Der Begriff entstand<br />
ca. 1750 in London in den Salons der Damen<br />
der Gesellschaft: die salonüblichen schwarzen<br />
Stümpfe aus feinster Seide handgestrickt und<br />
überaus teuer ( um 1600 kostete in Holland<br />
ein Paar Seidenstrümpfe 10 Gulden – eine<br />
Kuh kostete 4 Gulden), wurden durch blaue<br />
Strümpfe aus Wolle ersetzt. Blaue Strümpfe –<br />
das bedeutete Arbeitskleidung. Die schlichten<br />
Wollstrümpfe wurden dann das Charakteristikum<br />
dieser Salons: sie signalisierten, dass nicht mit<br />
Reichtum und Kleidung geglänzt wurde, sondern<br />
mit Bildung. „Blue-stocking-clubs“ wurden zum<br />
Begriff für private Treffen kulturell engagierter<br />
Menschen. Meistens waren es Frauen, weil sie zu<br />
Universitäten keinen Zugang hatten und deshalb<br />
hatte die Bezeichnung „Blaustrumpf“ nach und<br />
nach eine diskriminierende Bedeutung. Eine<br />
Frau, der Bildung wichtiger ist als Kleidung, gilt<br />
manchem noch heute als unweiblich.<br />
In einem blauen Briefumschlag kam früher<br />
die Mitteilung der Schule, dass ein Kind nicht<br />
versetzt wird. Auch wenn heute die umweltgrauen<br />
Briefumschläge der Behörden verwandt werden,<br />
blieb der Begriff „Blauer Brief“, auch für<br />
Kündigungsschreiben oder andere unangenehme<br />
Mitteilungen der Behörden.<br />
In England ist ein „blue pencil“ nicht einfach ein<br />
blauer Stift, sondern Symbol der Zensur. Was dem<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 20
essay<br />
Blaustift zum Opfer fällt, darf nicht veröffentlicht<br />
werden. „Blue Movies“ sind Pornofilme, „blue<br />
jokes“ = obszöne Witze. Wer ordinär redet, hat<br />
eine „blue language“ - eine blaue Sprache.<br />
6. Warum Blue Jeans Weltmode wurden<br />
Die Mode der Haute-Couture-Häuser war<br />
nie alltagstaugliche Kleidung, so kam immer<br />
mehr Mode „von der Straße“, entstanden durch<br />
das Bedürfnis der Leute und wurde dann von<br />
Modemachern aufgegriffen. Das ist auch die<br />
Geschichte der Jeans.<br />
Um 1970 konnte jedes Material so dauerhaft<br />
gefärbt werden wie nie zuvor. Kleidung war<br />
preiswert wie nie zuvor, jeder konnte sich ständig<br />
etwas leisten. Es war die Ära des Konsums.<br />
Kulturkritiker sprachen von „Konsumterror“<br />
und „Wegwerf-Gesellschaft“. Es entstand eine<br />
Gegenbewegung, ihr Markenzeichen waren:<br />
abgetragene Jeans. Die Blue Jeans wurden das<br />
Symbol der Rückkehr zu den wahren, dauerhaften<br />
Werten. Die Nachfrage nach verwaschenen Jeans<br />
stieg so rapide, dass Indigo, damals nur noch von<br />
BASF produziert, knapp wurde. Die Modemacher<br />
mussten zunächst mit anderen Farbstoffen das<br />
verwaschene Blau imitieren. Inzwischen sind<br />
Jeans echte Weltmode. Männer und Frauen<br />
tragen sie; Alte und sogar Babys; Bettler und<br />
Millionäre; Putzfrauen und Prinzessinnen.<br />
Als Arbeitskleidung entworfen, wurden sie<br />
zum typischen Freizeitlook, dann wieder mit<br />
Bügelfalte bürofein gestylt.<br />
Unterschiede? - ja, es gab kapitalistische und<br />
sozialistische Jeans. In den Ostblockländern<br />
wurden Jeans mit den unverwüstlichen<br />
Indanthrenfarben gefärbt, die blieben immer<br />
dunkelblau. Die Touristen aus den kapitalistischen<br />
Ländern dagegen trugen Jeans in beneidetem,<br />
verwaschenem Blau. Aber egal, welches Blau<br />
– noch nie hat man gehört, dass Jeansblau<br />
jemandem nicht steht.<br />
7. Blaue Menschen international<br />
Richtig gelesen: Blaue Menschen – wie das?<br />
Bezieht sich die Farbsymbolik auf Menschen,<br />
ist die Bedeutung besonders kulturabhängig<br />
und da möchte ich einige Beispiele bringen:<br />
Deutschland: Ist ein Deutscher blau, dann<br />
hat er zu viel getrunken. Schnaps mit einem<br />
„Blaumacher“ ist ein Schnaps mit 40% Alkohol,<br />
Schnaps mit zwei Blaumachern ist entsprechend<br />
höherprozentig, Schnaps mit drei Blaumachern....<br />
Frankreich: Bei zu viel Alkoholgenuss ist der<br />
Franzose nicht blau, sondern „grau“ - „gris“ -<br />
nämlich benebelt.<br />
England: hat keine Farbe für Betrunkene (oder<br />
keine Betrunkenen...?) In England ist Blau eben<br />
die Farbe der Melancholie. Sagt ein Engländer<br />
„I‘m blue“, ist er trübsinnig.<br />
Russland: blaue Menschen sind hier sanftmütige<br />
Menschen, eine „golubica“, eine „himmelblaue<br />
Russin“ ist eine schüchterne Russin und ein<br />
„blauer Russe“, ein Homosexueller.<br />
China: Hier ist es wieder anders. Ein<br />
blaugeschminktes Gesicht in der Peking Oper<br />
ist die traditionelle Charakterisierung eines<br />
bösen, wilden Menschen. In China ist Blau keine<br />
hochgeschätzte Farbe.<br />
In Ihrer Untersuchung über die Entstehung<br />
von Farbbezeichnungen stellten die beiden<br />
Anthropologen Brent Berlin und Paul Key fest,<br />
dass es in vielen einfachen Sprachen kein Wort<br />
für Blau gibt, Blau gilt als Grünnuance. Auch<br />
die alten Griechen hatten kein Wort für Blau. Im<br />
19. Jhdt. glaubte man deshalb sogar, die alten<br />
Griechen seien farbenblind gewesen und hätten<br />
erst im Lauf der Jahrtausende die Fähigkeit<br />
entwickelt, Farben zu sehen. - Diese Theorie<br />
entstand, als man noch nicht wusste, dass die<br />
weißen Ruinen Griechenlands ursprünglich sehr<br />
farbig bemalt waren.<br />
Heute weiß man, dass alle Völker die Fähigkeit<br />
haben, Farben zu sehen, unabhängig vom Stand<br />
ihrer Zivilisation.<br />
Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen<br />
für den ersten Teil der Farbe Blau. Ich hoffe, Sie<br />
hatten beim Lesen Freude, vielleicht ging hier<br />
und da auch ein „Schmunzeln“ über Ihr Gesicht.<br />
Ich werde mir eine „blaue Stunde“ gönnen, nicht<br />
mit Klosterfrau Melissengeist, aber eventuell mit<br />
einem Cocktail, in dem „Blue Curacao“ ist.<br />
(Quellen: Reclam TB „Blaue Gedichte“ und E. Heller: Wie<br />
Farben auf Gefühl und Verstand wirken)<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 21
essay<br />
10 Kriterien für ein zeitgemässes, gutes Gedicht<br />
Grundsätzliches:<br />
Von allen drei Literaturgattungen reagiert die Lyrik auf geistige Umwälzungen und Krisen<br />
erfahrungsgemäss am stärksten. Deshalb gilt sie als die wandlungs- und entwicklungsfähigste<br />
Gattung, hat sie gerade in der Moderne den radikalsten Wandel durchgemacht. Das bleibt<br />
nicht ohne Folgen: Lässt sich beispielsweise ein Roman heute von der Erzähltechnik her noch<br />
durchaus in der Art Gottfried Kellers oder Theodor Fontanes, also in der Schlüsseltradition<br />
des realistischen Romans schreiben, so ist in der Lyrik etwas Ähnliches undenkbar. Ein<br />
zeitgenössisches Gedicht kann, will es nicht als völlig veraltet erscheinen, kaum mehr im Stile<br />
Mörikes, teilweise nicht einmal mehr in dem Rilkes oder Trakls verfasst werden.<br />
aus: Mario Andreotti: Die Struktur der modernen Literatur. Erzählprosa und Lyrik UTB Band 1127, 4.Aufl., Bern u.a (Haupt), S.297<br />
1. Die klassischen Merkmale des Gedichtes, nämlich Reim, Metrum und lyrisches Ich, fehlen in<br />
der zeitgenössischen Lyrik häufig. Vor allem der Reim, der seit seinen Anfängen nicht nur ein<br />
verskonstituierendes, sondern auch ein harmonisierendes Stilmittel bildet, erweist sich für die<br />
Darstellung einer modernen, disharmonischen Welt kaum mehr als tragfähig. Wo er dennoch<br />
verwendet wird, sollte man altbekannte, gleichsam stehende Reimverbindungen (z.B. Herz/<br />
Schmerz, Sonne/Wonne) möglichst vermeiden.<br />
2. Das lyrische Ich zurücktreten lassen, es im Idealfall in die dominierende Motivik einfügen:<br />
Entpersönlichung, Verfremdung des lyrischen Ich durch die Auflösung seiner Identität, durch<br />
Perspektivenwechsel (vgl. etwa Marie-Luise Kaschnitz’ Gedicht „Genazzano“) usw.<br />
3. Sparsames Einsetzen der Stilmittel: keine Überpoetisierung des Textes! .Eine sachlich-nüchterne<br />
Sprache wirkt meist literarischer als ‚seraphische Töne’ (vgl. etwa „Geeint zu wundervollem<br />
Rufen...zum Tor der Herrlichkeit“). Gottfried Benn: „Der grosse Dichter ist ein grosser Realist.“<br />
4.. Abkehr von einer veralteten Symbolik, die sich nach dem ‚einfachen’ Schema Bild-Sinn lesen<br />
lässt; dafür vermehrt paradigmatische (assoziative) Verknüpfung der einzelnen Bilder (vgl. etwa<br />
August Stramm: „Die Steine feinden/ Fenster grinst Verrat/ Äste würgen...“).<br />
5. Das gute Gedicht ist sprachlich verdichtet, spart aus. Es lebt von dem, was es nicht sagt!<br />
6. Keine Übermetaphorisierung des Gedichtes: nicht blosse Unverständlichkeit als Tiefsinn<br />
ausgeben (vgl. etwa „...fallen Brücken vom Berg des Erbarmens“). Vorsicht vor allem bei der<br />
Genitivmetapher (z.B. „Nacht der Gnade“), die schnell verbraucht, veraltet wirkt.<br />
7. Forderung nach formaler Offenheit des Gedichts: Text so konzipieren, dass verschiedene<br />
Deutungen möglich sind, dass die LeserInnen aber zur Deutung gezwungen werden.<br />
8. Forderung nach struktureller Offenheit des Gedichts: möglichst keine Vermittlung von<br />
Gegensätzen, keine harmonisierende Struktur. Wirklich zeitgemässe, moderne Gedichte<br />
vermitteln eher das Bild einer ‚Wirklichkeit’ der unaufgelösten Widersprüche, neigen also zu<br />
einer offenen Struktur.<br />
9. Intertextuelle Bezüge, also etwa Anspielungen auf andere literarische Texte, verleihen dem Gedicht<br />
eine zusätzliche ästhetische Qualität, indem durch sie die Spannung zwischen einem zur<br />
Folie entleerten ‚Gewohnten’ und etwas Neuem ins Blickfeld rückt (z.B. Reiner Kunze „Der<br />
mensch ist dem menschen ein ellenbogen“: Anspielung auf das Gedicht „Ich saz ûf eime steine“<br />
von Walther von der Vogelweide).<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 22
essay / igda<br />
10. Gedichte sind per se innovative Texte. Experimentieren Sie deshalb immer wieder mit der Sprache,<br />
indem Sie syntaktische und wortsemantische Bezüge auflösen, zu elliptischen Wendungen und<br />
dergleichen greifen. Sehen Sie sich diesbezüglich vor allem dadaistische Gedichte an.<br />
Mario Andreotti<br />
Vorstandswahlen <strong>2011</strong><br />
Satzungsgemäß fällt in diesem Jahr wieder eine Vorstandswahl an.<br />
Bitte machen Sie sich Gedanken über geeignete Kandidaten. Vorschläge und Eigenbewerbungen<br />
sind erwünscht.<br />
Die Amtszeit beträgt drei Jahre. Wieder findet die Wahl per Briefwahl statt, die Durchführung<br />
der Wahl obliegt dem Wahlausschuss. Erfreulicherweise steht als Vorsitzende dieses Ausschusses<br />
wieder Gabriella Hühn-Keller zur Verfügung.<br />
Bitte senden Sie Vorschläge bis zum 15. Juni <strong>2011</strong> an die Geschäftsstelle.<br />
Ich freue mich auf Ihre Vorschläge.<br />
Gaby G. Blattl<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 23
Kleines Feuilleton<br />
Ausstellung mit Zeichnungen von Else<br />
Lasker-Schüler<br />
Im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin<br />
ist z.Zt. eine Ausstellung mit Zeichnungen<br />
der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler zu<br />
sehen. Die 1869 geborene Schriftstellerin gilt<br />
als wichtige Vertreterin des Expressionismus.<br />
1933 musste sie emigrieren. Zwölf<br />
Jahre später starb sie in Jerusalem.<br />
Bis zum 1. Mai werden rund 150 Zeichungen,<br />
Collagen und bemalte Postkarten vorgestellt.<br />
Nach Angaben des Museums handelt es sich<br />
um die bisher umfassendste Kunstausstellung<br />
mit Lasker-Schülers Werken. Einige der<br />
Blätter würden erstmals veröffentlicht. Berlin<br />
hat die Ausstellung, die auf einem neuen<br />
Werkverzeichnis mit 235 Zeichnungen und 112<br />
Illustrationen basiert, vom Jüdischen Museum<br />
Frankfurt/M. übernommen. In Berlin hat Lasker-<br />
Schüler mehrere Jahrzehnte gelebt, auch 1899<br />
ihre ersten Gedichte veröffentlicht. Über 100<br />
Zeichnungen stifteten Freunde der Dichterin im<br />
Jahr 1920 der Nationalgalerie. Sie wurden 1937<br />
durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt.<br />
Die meisten Blätter sind bis heute verschollen -<br />
einige der erhaltenen sind in der Ausstellung zu<br />
sehen.<br />
Franz-Hessel-Preis an Kathrin Röggla<br />
Gemeinsam mit der Französin Maylis de<br />
Kerangal erhält Kathrin Röggla den ersten<br />
deutsch-französischen Literaturpreis. Die mit<br />
Preisen bereits überhäufte Österreicherin Röggla<br />
wurde zuletzt 2010 für das beste deutschsprachige<br />
Stück ‚worst case’ ausgezeichnet.<br />
Die in Berlin lebende Salzburger Schriftstellerin<br />
und ihre französische Kollegin Maylis de Kerangal<br />
sind die ersten Trägerinnen des neu geschaffenen<br />
Franz-Hessel-Preises. Der mit jeweils 10.000<br />
Euro dotierte deutsch-französische Literaturpreis<br />
soll ‚den literarischen Dialog zwischen beiden<br />
Ländern vertiefen und <strong>Autoren</strong> fördern, die im<br />
jeweiligen Nachbarland noch unbekannt sind’.<br />
Die Auszeichnung wird von der Stiftung<br />
Genshagen und der Villa Gillet in Lyon von<br />
nun an jährlich verliehen. Namensgeber ist der<br />
Schriftsteller und Übersetzer Franz Hessel (1880-<br />
1941), der mit seinem Leben und Werk („Pariser<br />
Romanze“, „Spazieren in Berlin“) ein Mittler<br />
zwischen den Ländern und Kulturen war.<br />
BGH-Urteil zur Übersetzervergütung<br />
Verlage sehen ihre Existenz gefährdet. Der<br />
Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom<br />
20.1.<strong>2011</strong> zur Übersetzervergütung (I ZR 19/09)<br />
ein früheres Urteil vom Oktober 2009 hinsichtlich<br />
der Nebenrechtsbeteiligung korrigiert. Random<br />
House-Geschäftsführer Joerg Pfuhl beschrieb<br />
auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Publikumsverlage in München die Eckpunkte.<br />
Übersetzer sollen fortan ein Fünftel des<br />
<strong>Autoren</strong>anteils an den Nebenrechts-Lizenzerlösen<br />
erhalten. Diese werden zwischen Autor und<br />
Verlag nach verschiedenen Schlüsseln aufgeteilt,<br />
gebräuchlich sind an Prozenten 60 (Autor) zu 40<br />
(Verlag) oder 70 zu 30. Nach dem früheren BGH-<br />
Urteil von 2009 sollte der Verlagsanteil zwischen<br />
Verlag und Übersetzer gleichwertig - 50 zu 50<br />
- geteilt werden. Derzeit erhalten Übersetzer in<br />
der Regel zwischen fünf und zehn Prozent vom<br />
Verlagsanteil. Bei einem Verlagsanteil von 40<br />
Prozent also 2 bis 4 Prozent vom Lizenzerlös.<br />
Das aktuelle Urteil bedeutet für die Verlage zwar<br />
eine Verbesserung gegenüber dem Urteil von<br />
2009, führt aber dazu, dass sie größere Teile ihrer<br />
Nebenrechtserlöse an die Übersetzer abgeben<br />
müssten, als dies derzeit gängige Praxis ist.<br />
Zahl der E-Book-Downloads hat sich<br />
fast verdreifacht<br />
Der E-Book-Händler Ciando ist mit der<br />
Umsatzentwicklung im Weihnachtsgeschäft<br />
sehr zufrieden: Die Zahl der eBook-Downloads<br />
habe sich im Dezember im Vergleich zum<br />
Vorjahr nahezu verdreifacht, teilte Ciando-Chef<br />
Werner-Christian Guggemos mit. Die besonders<br />
umsatzstarken Tage seien nach Weihnachten<br />
gewesen. Offensichtlich habe häufig ein<br />
neuer E-Reader unter dem Weihnachtsbaum<br />
gelegen, der an den nachfolgenden<br />
Feiertagen mit Inhalten gefüllt wurde.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 24
Unter den Top 15 der meistverkauften E-Books<br />
im Weihnachtsgeschäft waren Werke des<br />
Erfolgsautoren Ken Follett: „Die Tore der<br />
Welt“, „Die Säulen der Erde“ und „Sturz<br />
der Titanen“, die Biss-Reihe von Stephanie<br />
Meyer, Thea Dorn „Die Hirnkönigin“ und<br />
„Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin.<br />
Kleines Feuilleton<br />
Angelika Zöllner<br />
aktivitäten der Mitglieder<br />
Prof. Dr. Mario Andreotti<br />
hält zum Thema ‚Wie moderne Dichtungen<br />
lesen? Neue Wege in der Textinterpretation‘<br />
vom 30.9. – 2.10.<strong>2011</strong> im Schwäbischen<br />
Tagungs- und Bildungszentrum Kloster Irsee,<br />
Klosterring 4, D-87660 Irsee ein Seminar ab.<br />
Als Vorgeschmack ein kleiner Auszug aus dem<br />
Programm:<br />
Die Struktur traditioneller Texte: Erzähler,<br />
Figuren, Handlung<br />
Der geistesgeschichtliche Wandel seit der<br />
Mitte des 19. Jhdt und seine Auswirkungen<br />
auf die Literatur. Modernes Erzählen:<br />
die Auflösung von Erzähler, Figur und -<br />
Handlung<br />
Formen traditioneller und moderner<br />
Gedichte<br />
Die Postmoderne in Erzählprosa und Lyrik –<br />
der Rückgriff auf die Tradition<br />
Peter Dreyling<br />
gibt folgende Termine bekannt:<br />
am 5.5.<strong>2011</strong>: „Begegnungen“ der Fotodesignerin<br />
H. Schuhmann mit Lyrik von P. Dreyling und Musik<br />
von Kerstin Söder, unter ein Wort von Hilde Domin<br />
gestellt:“Damit es anders anfängt zwischen uns!“<br />
am 22.7.11 liest P. Dreyling alte und neue Lyrik<br />
am Wolframsbrunnen:“Eschenbach, du meine<br />
Stadt“ im Außenbereich des Cafe Parzival, nicht<br />
zu vergessen das Sommertheater mit „Odyssee“.<br />
Johanna Klara Kuppe<br />
hat<br />
am 20.1.0211 im Kulturhaus Schwanen in<br />
Waiblingen zum Thema Winterliebe – Liebeswinter<br />
mit großem Erfolg vorgetragen und wird<br />
am 23.2.<strong>2011</strong> in der Stadtbücherei Waiblingen<br />
zum gleichen Thema aus ihrem Werk vortragen.<br />
Details bzw. Folder bei der Geschäftsstelle<br />
bzw. der Studienleiterin Dr. Sylvia Heudecker<br />
email: Schwabenakademie@Kloster-Irsee.de<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 25
igda<br />
Traute Bühler-Kistenberger<br />
seit Jahrzehnten IGdA-Mitglied bis etwa ein<br />
Jahr vor ihrem Tod, starb am 6.11.2010 nach gut<br />
20-jährigem, schweren Leiden. 1926 geboren<br />
hat sie sich als Autorin ebenso wie als Malerin<br />
(Kohlezeichnungen, Ölbilder und Aquarelle)<br />
mit vielen Ausstellungen einen Namen gemacht.<br />
„Viele ihrer Exponate entsprechen dem<br />
humanistischen Anliegen, das sich sowohl<br />
in ihrem malerischen Werk als auch in ihrer<br />
Dichtung spiegelt,“ sagte H.J. v. Zieten anlässlich<br />
einer Laudatio 1998. Wer mehr wissen möchte,<br />
sei an Traute Bühler-Kistenbergers Homepage<br />
verwiesen: http://www.traute-buehler-kist.de.<br />
Gabriele von Hippel-Schäfer wird <strong>2011</strong> ein neues<br />
Büchlein von ihr herausgeben.<br />
Waltraud Weiß schreibt uns folgenden kleinen<br />
Nachruf dazu:<br />
Traute ist gestorben!<br />
Sie war seit 20 Jahren meine Else-Schwester,<br />
Freundin und Vertraute! Viele ihrer eigenartigen<br />
Briefe, bunte Umschläge, die meine Postbotin<br />
schon kannte, die wie ein Gemälde-Collage bei<br />
mir an der Wand hänten, zeugen von unserer<br />
Literaturfreundschaft. 2 oder 3 Mal habe ich sie<br />
in Herrsching am Ammersee besucht. Sie war die<br />
„Freundin“ von Kurt Rüdiger, so wie die Literatur<br />
seine Freundin war. Traute hat die wunderbarsten<br />
Gedichte gemacht und die herrlichsten<br />
Zeichnungen – und nicht nur für mich, die ich in<br />
ihr eine Else-Tochter sah. Wir haben uns auch<br />
in diesem Jahr noch viel geschrieben, aber sie<br />
lag ja seit langem nur noch im Bett. Auch dort<br />
schrieb und malte sie – sich die Seele aus dem<br />
Leibe und das Leben aus dem Körper. ... Sie hat<br />
mehrere Gedichtbände veröffentlicht, illustriert.<br />
Sie illustrierte auch bekannte <strong>Autoren</strong> wie z.B.<br />
E.T.A. Hoffmann und Achim von Arnim. Sie war<br />
Zeichnerin beim Simplizissimus, Wespennest,<br />
Windrad und Zwischenbereiche.<br />
Nun ist sie von ihrem Leiden erlöst, aber sie bleibt<br />
bei uns, so wie wir / ich sie nie vergessen werde.<br />
Traute, Du Freundin, Traute Du Vertraute – so<br />
wie es Dein Name sagt: Nomen est omen!<br />
Ich danke Dir mit vollem und traurigem Herzen<br />
für 20 Jahre Freundschaft und Anteilnahme.<br />
Waltraud (Weiß)<br />
Traute Bühler-Kistenberger<br />
Schreib das Wort Frühling ...!<br />
(allen Zaghaften und Wintermüden)<br />
Winter – alter Kahlbaum –<br />
behäng dich mit Maigrün.<br />
Von schwerer Nächte Frost<br />
starres, eisbewimpertes Aug’<br />
erwach’ am Überblick Bläue.<br />
Ich wirk’ schon emsig an meinem Knickflügel,<br />
dreh’ und wend’ ihn um brüchige Stellen<br />
noch eh’ Pollen aus dem Blüten stehn,<br />
Goldstaub auffährt ins offene Land.<br />
Wo ich wieder fliege mit den ungezählten<br />
leichten Libellen, Sternseglern und<br />
Brummfliegen,<br />
die schon mein Fenster besiedeln. Schnaub’<br />
deinen Scheeatem aus, alter Eisbär,<br />
deinen Fetzenbart zieh’ von den Bergen, der im<br />
Sonnlicht<br />
reißt wie dünnes Papier.<br />
Ich putz’ meine Sausefeder, wie die Wildtaube,<br />
schneid’ mir den Federkiel draus,<br />
versteck’ meinen frierenden Stelzfuß<br />
eingezogen, wie jene lauschenden Vögel<br />
unterm bauschigen Traumflies vorsichtig<br />
spähend ins Licht<br />
schon –<br />
spür ich den wärmenden Strahl,<br />
schwing’ mich befreiend hervor:<br />
Schreib’ das Wort<br />
FRÜHLING – in eis-freie Luft.<br />
Barbara Suchner<br />
Barbara Suchner, ebenfalls jahrzehntelanges<br />
Mitglied der IGdA, verstarb im Juli 2010. Zu<br />
ihrer Person finden sich Hinweise auf unserer<br />
IGdA-Mitgliederseite und unter Wikipedia.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 26
igda<br />
Waltraud Weiß schreibt uns dazu Folgendes:<br />
Barbara Suchner ...<br />
Was für eine Frau! Als ich sie kennen lernte<br />
war sie schon eine alte Dame. Sie war längst<br />
Meisterin und ich noch IA-Köttela, aber sie ging<br />
mit mir um wie mit einer großen ... Vielleicht<br />
hat sie meine Liebe zur Literatur gespürt. Sie<br />
wusste so viel, nicht nur in der Literatur, auch<br />
im Gesundheitswesen und - in der Liebe, ja auch<br />
da, denn ihre Liebe war ihr Mann, der Mensch,<br />
der ihr der Krieg lange entfernt hielt. Ihr Leben<br />
war eigentlich auch lange eine ständige Suche<br />
und Wanderung. Nie hat sie dabei die Größe und<br />
Würde eines edlen und werten Daseins vergessen.<br />
Ich benutze diese Worte bewusst, denn das Edle<br />
und Wahre, die Würde und der Geist waren ihr<br />
anerzogen oder angeboren. Ich bin glücklich, so<br />
eine Frau kennenlernen zu dürfen; dass sie mich<br />
in ihren Kreis aufnahm, ehrte mich und als sie<br />
einmal Texte von mir in ihre Serie mit aufnahm,<br />
war ich stolz wie Oskar. Das war ihre Größe! Ich<br />
glaube, so etwas gibt es heute (kaum noch) nicht<br />
mehr.<br />
Waltraut Weiß<br />
Barabara Sucher<br />
DIE SPÄTEN DINGE<br />
Ja, es sind die späten Dinge,<br />
die im Leben uns bewegen,<br />
die wie eine sanfte Schwinge<br />
doch auch sturmreich uns erregen,<br />
die uns hüllen, die uns schütteln,<br />
die wir kaum zu fassen glauben,<br />
die uns leiten, die uns rütteln,<br />
die uns Schlaf und Sinne rauben.<br />
Ja, es sind die späten Gaben,<br />
uns geschenkt, und die wir schenken,<br />
die uns Geist und Seele laben,<br />
uns zum inn‘ren Frieden lenken,<br />
die uns auch Vergang‘nes wahren,<br />
wissendes Verstehen bringen,<br />
die uns in den späten Jahren<br />
tief mit Dankbarkeit durchdringen.<br />
Angelika Zöllner<br />
Bücherschau<br />
Angelika Gausmann: Simonetta Krako,<br />
Helga Thomas<br />
Roman, Verlag: Möllmann, 2010, 144 Seiten<br />
Ich weiß nicht, wie ich das Buch, auf dessen<br />
Erscheinen ich so lange gewartet habe, besprechen<br />
kann, ohne dass es zu subjektiv erscheint und<br />
ohne dass ich zu viel verrate, sondern, dass ich<br />
den Leser erreiche und er das Buch selbst lesen<br />
möchte. Denn dieses Buch verdient es. Es ist ein<br />
kleines Kunstwerk!<br />
Vor einigen Jahren hatte mir bei einem<br />
Besuch Angelika Gausmann ihre gerade im<br />
Entstehen begriffene Erzählung vorgelesen,<br />
beziehungsweise von ihrem Erlebnis erzählt,<br />
das zu dieser Erzählung führte. Seitdem wartete<br />
ich, dass das Buch, das sich inzwischen zu<br />
einem kleinen Roman entwickelt hatte, endlich<br />
erscheint. Wenn ich nicht zu viel verraten will, so<br />
ist das Wesentlichste des Inhalts schnell erzählt,<br />
ich kann den Klappentext zitieren:“ Die Studentin<br />
Simonetta Krako lernt in Berlin Ende der<br />
Weimarer Republik den schon bekannten Maler<br />
Felix Nussbaum kennen und verliebt sich in ihn.<br />
Krieg und Shoah geben dieser Liebesgeschichte<br />
keine Chance, bis Simonetta eine Entdeckung<br />
macht. . .“ Die Liebesgeschichte und auch das<br />
Studium der jungen Studentin stehen unter dem<br />
Zeichen des beginnenden Nationalsozialismus.<br />
Im Januar 1934 ist die Vernissage von Simonettas<br />
erster Einzelausstellung. Sie spürt, dass sie<br />
instrumentalisiert wird, falsch interpretiert,<br />
vereinnahmt. „Sie galt als das Mädchen vom<br />
Lande, aus Westfalen, von der via regia Karls<br />
des Großen. Das kam der Kulturabteilung recht.“<br />
(Seite 39) doch plötzlich kippt Simonettas<br />
Stimmung auf der Vernissage. Sie hat den<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 27
igda<br />
Eindruck, dass ihre Bilder nicht mehr leben<br />
können, dass sie ersticken, sie versucht sie zu<br />
retten und innerhalb von Minuten wird aus<br />
einer jungen Kunststudenten, die zum Blut- und<br />
Bodenstil zu passen schien, eine ungeklärte<br />
Person, die entartete Kunst schuf. Simonetta zieht<br />
sich in die Heimat zurück, malt weiter, entwickelt<br />
ihre Kunst, erlebt den Nationalsozialismus und<br />
den Krieg und versucht in all der Zeit, den inneren<br />
Kontakt zu ihrem Geliebten aufrechtzuerhalten.<br />
Leben und auch Flucht des Malers bis zum Tod<br />
im KZ ist alles fast nur skizzenhaft gezeichnet.<br />
Angelika Gausmann ist eine sehr gute Zeichnerin<br />
und daher verwundert es eigentlich nicht,<br />
dass sie es auch mit Worten vermag. Manche<br />
ihrer Schilderungen sind dagegen wie ihre<br />
Aquarellbilder, doch hier – in der Sprache des<br />
Romans – habe ich (zumindest für mich) eine<br />
neue Seite der Künstlerin entdeckt: sie schafft<br />
mit ihrem Wort Holzschnitze, manchmal erinnern<br />
sie auch an Skulpturen. Die Autorin gestaltet mit<br />
dem Wort bildende Kunst keineswegs nur dann,<br />
wenn sie das Schaffen und die entstandenen<br />
Werke von Simonetta beschreibt.<br />
Das folgende Leben vordergründig ist das weitere<br />
Lernen einer Künstlerin, die allmählich Erfolg<br />
hat, die auch andere Beziehungen lebt, aber in<br />
ihrem Inneren immer wieder auf der Suche nach<br />
Felix Nussbaum ist, manchmal im Zwiespalt,<br />
ob sie lieber vergessen sollte oder eben, dass<br />
sie das auf keinen Fall darf. Was innerlich<br />
geschieht klingt – wenn ich es zu beschreiben<br />
versuche, fast wie eine illusionistische New-<br />
Age-Produktion, was sie aber keineswegs ist!<br />
Simonetta gelingt es im Nachbereich, in die<br />
geistige Welt durchzustoßen oder besser gesagt:<br />
in den Zwischenraum, wo die Verstorbenen<br />
versuchen, sich neu zu orientieren. Die Autorin<br />
nennt es den „Leerraum“. Zu den eindringlichsten<br />
und absolut glaubhaften Schilderungen gehören<br />
auch die Märchenfiguren, denen Simonetta<br />
dort begegnet, die sich im Gespräch mit ihr<br />
verwandeln und so vieles besser ausdrücken als<br />
es mit anderen Worten möglich ist (ich selbst<br />
bin Psychotherapeutin Jungscher Prägung und<br />
bin es daher gewohnt, mit Archetypen und ihren<br />
bildnerischen Erscheinungsformen umzugehen.<br />
Was hier geschildert wird, ist ein kreativ<br />
lebendiger Umgang mit diesen archetypischen<br />
Kräften und es wird verständlich, dass wir zum<br />
Beispiel über unsere Märchen vielleicht einen<br />
Verstorbenen leichter erreichen können als mit<br />
manchem konfessionellen Gebet).<br />
Wie ich den Roman verstanden habe, ist es<br />
unbedingt notwendig, dass Felix Nussbaum sich<br />
wieder im Leben inkarniert, nur so kann wohl<br />
bleibender Schaden überwunden werden und er<br />
kann sein einmal geplantes Leben vollenden.<br />
Wer nun meint, es käme ein mehr oder weniger<br />
gelungenes Happyend auf ihn zu, sieht sich<br />
getäuscht! Die Autorin schildert die Realität<br />
so wie sie sie erlebt, sowohl die innere wie die<br />
äußere Realität und da ist kein Platz für billige<br />
Klischees. Und genau jetzt bin ich an dem Punkt,<br />
da sich meine, ich darf nicht weiter von dem<br />
Buch erzählen (obwohl ich es furchtbar gerne<br />
möchte!) Der Leser muss es selbst erlesen. Denn<br />
bei diesem Buch geht es nicht um den Inhalt, und<br />
um das darstellen, was ich meine, das Angelika<br />
Gausmann ausdrücken wollte, sondern es geht<br />
um das Leseerlebnis. Das, was der Leser liest,<br />
kann in ihm etwas auslösen, wenn er dazu bereit<br />
ist. Vielleicht verändert es seine Auffassung, auf<br />
jeden Fall ist es ein Geschehen, das durch meine<br />
eigene subjektive Interpretation zu sehr gestört<br />
würde.<br />
Doch stattdessen möchte ich einige Textstellen<br />
anfügen, damit das Buch für sich selbst sprechen<br />
kann:<br />
Simonetta Krako beschloss im Jahre 1910, das<br />
Licht der Erde zu erblicken, zu reisen und zu<br />
lieben, an einem sonnigen Septembertag. Ihr<br />
erstes Sonnenlicht sah sie nachmittags in einem<br />
kleinen Dorf im Westfälischen.<br />
Sie sei von Anfang an ein besonderes Kind<br />
gewesen, wird sich ihre Mutter später noch<br />
jahrelang erinnern und allen Bekannten und<br />
Verwandten – derer hatte sie viele – erzählen.<br />
Jedes Kind sei besonders, erzählen die stolzen<br />
Eltern, manchmal erkennen sie aber die echten<br />
Besonderheiten ihrer Kinder nicht, auch später<br />
nicht, oft nie.<br />
Simonetta blieb von diesem Schicksal verschont.<br />
Trotz Krieg konnte sie sich stets dem Verständnis<br />
und der Liebe ihrer Mutter sicher sein. Sie<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 28
igda<br />
würde später kein geschlagenes pubertierendes<br />
Kind sein. Sie würde Dinge sehen, von denen<br />
die meisten ihrer Generation nicht zu träumen<br />
wagten.<br />
(S.8-9)<br />
Unser Leben zwischen Orten und Unorten,<br />
wo bin ich? Der Ort ist bestimmt, der Unort<br />
ist unbestimmt? An welchem Ort bin ich?<br />
Die Geschwindigkeit bestimmt, wo ich bin,<br />
wie schnell ich bin, bestimmt der Ort? Dieser<br />
Rhythmus der Geleise ist meine Uhr, mein Herz,<br />
denn er schlägt regelmäßig und so lange bin ich<br />
in der Zeit und lebe.<br />
Wir werden entführt in die Zeit- und Ortlosigkeit,<br />
denn wir sind die Unerwünschten, auf dem Weg<br />
zum Unort in der Unzeit. Nur noch das Rattern des<br />
Waggons zeigt mir, dass es noch ein Draußen gibt.<br />
Kein Lichtstrahl zeigt mir die Sonne, die Zeit und<br />
die Richtung. Aber wir wissen, im Osten nimmt<br />
die Sonne nicht mehr für uns ihren Lauf, denn<br />
hier sind die Plätze der Vernichtung. An diesen<br />
Orten ist der Tod nicht das Ende eines Lebens<br />
in Würde und Selbstverständlichkeit, nein, hier<br />
am zukünftigen Unort ist der Tod das Ende, das<br />
Nichts und niemand wird uns ein Kaddish sagen,<br />
denn dann käme ja nach dem Tod das, was nach<br />
allen würdigen Toden folgen würde, nur hier wird<br />
es nicht so sein. Der Ort ist schon fort, wenn der<br />
Waggon nicht mehr in seinem Rhythmus schlägt,<br />
wird auch diese meine Zeit nicht mehr sein.<br />
Wie kann ich überleben?<br />
Mein Leben ist in meinen Bildern. Sie sind in<br />
Sicherheit? Ich hoffe es so!<br />
(S.60)<br />
Und dann war sie im Ewigen Blau, das sie als<br />
Kind immer erträumt hatte, sie war in der Leere.<br />
Aber sie hatte nun für das, was sie wahrnahm,<br />
keine Worte mehr. Mensch zu Mensch. Zu Haus?<br />
Nein, unbehaust.<br />
Der Leerplan war die ewige Leere, ausgefüllt und<br />
gleichzeitig frei, er war das Blau, von dem sie als<br />
Kind immer geträumt hatte.<br />
Und sie betrat den Planeten, auf dem eine zarte<br />
Hand die Spinne rettete, die auf dem Holz des<br />
Scheiterhaufens herumklettert, bevor dann diese<br />
zarte Hand ein Opfer der Flammen wird. Sie war<br />
im Leerplan.<br />
Hier war jeder Mensch – wenn diese<br />
Bezeichnung angemessen ist, sie ist es aber<br />
nicht, aber ich benutze sie, weil sie ein<br />
Ausdruck ist, der geläufig ist und mit dem man<br />
eine gewisse Moralität und auch ‚Ansprüche,<br />
an sich selbst und an andere verbinden kann.<br />
(S.65-66)<br />
Die Ärzte und Krankenschwestern besticht<br />
sie in den nächsten Wochen durch ihr klares<br />
Denken, aber auch durch ihre unendliche<br />
Melancholie, die sich mit jedem Kliniktag<br />
steigert. Und sie erzeugt Verwunderung: Sie<br />
bittet um Papier und Bleistifte, denn sie will<br />
zeichnen. Schwester Eleonore tut ihr den<br />
Gefallen. Und Simonettas mit Schläuchen<br />
und Kanülen angekettete Hände schaffen in<br />
wenigen Stunden etwa 20 Zeichnungen vom<br />
Interieur des Intensivbehandlungsraumes.<br />
Das hat noch kein Arzt und keine Schwester in<br />
ihrer Dienstzeit erlebt. Als sie Simonetta um<br />
eine Erklärung bittet, erklärt sie:<br />
„Kunst kann immer am Leben erhalten. Ich bin<br />
fest davon überzeugt, dass Kunst oft besser als<br />
jedes Medikament wirkt. Außerdem habe ich<br />
hier ein sehr eigenwilliges Interieur. In seiner<br />
Eigenartigkeit hat es mich sehr fasziniert und<br />
ich habe hier unendlich viel Zeit zum Zeichnen.“<br />
Sie unterbricht sich und starrt auf die<br />
Deckenbeleuchtung: „Nein, ich habe nicht<br />
mehr unendlich Zeit.“<br />
Sie blickt dann den Arzt fest an. Er seufzt, schaut<br />
freundlich zurück und sagt: „Sie sind eine<br />
Künstlerin. Sie setzen ihre Lebenszeit richtig<br />
ein. Selbstverständlich werde ich mich um<br />
eine Möglichkeit kümmern, diese Zeichnungen<br />
auszustellen.“<br />
Später, nach Ende des Klinikdienstes, auf der<br />
Rückfahrt nach Haus, gehen ihm Gedanken<br />
durch den Kopf, die er noch nie hatte. Er hasste<br />
den Kunstunterricht, als er zum Gymnasium<br />
ging. Dort war nichts von Lebensfreude zu<br />
spüren und schon gar nichts von der Kraft, die<br />
Kunst in einem Menschen entwickeln kann.<br />
(S.140-141)<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 29
igda<br />
Irmentraud ter Veer:<br />
Ithaka wartet – Gedichte.<br />
Nachklang aus Griechenland.<br />
Verlag Ch. Möllmann, 15,50 Euro.<br />
Irmentraud ter Veer hat einen neuen Gedichtband<br />
vorgelegt. Die in Holland lebende Autorin –<br />
gebürtig aus Wien – hat ihn in ihrer Heimatsprache<br />
verfasst, wie bisher. Stimmungsvoll iIllustriert ist<br />
er von zartfarbigen Fotos der Autorin selbst und<br />
Christian ter Veer.<br />
Die vorliegende Gedichtsammlung erscheint<br />
schnell als etwas Besonderes, auch wenn die<br />
feinfühlige, poetische Bildsprache der Autorin<br />
lange bekannt ist. Man spürt als Lesende(r), hier<br />
geht etwas vor, das sich nicht mit oberflächlichem<br />
Blick in rasche Worte fassen lässt. Etwas, das<br />
mit dem uralten Tugendbegriff ‚warten’ zu<br />
tun hat. Wie uns bereits der Buchtitel verrät,<br />
Ithaka wartet, reihen sich die Gedichte in<br />
entsprechenden Bildern aneinander, erinnern<br />
in einem doppel- und mehrbödigen Sinn an<br />
Odysseus, aber auch an Penelope, Athene,<br />
Orpheus, Poseidon und manche anderen Götter<br />
sowie Helden des archaischen Griechenland. So<br />
lesen wir von der Übung des Wartens auch auf<br />
dem Buchrücken: ‚Noch nicht erreicht/ Patmos/<br />
Inselerde...aber den Duft/ schweigende Würze/<br />
weht das Wort/ das im Anfang war/ weithin.’ Die<br />
Autorin hat mit der Publikation dieser lyrischen<br />
Gedichte Jahre gewartet (gezögert?) Selbst jetzt<br />
spricht sie im Vorwort bescheiden von lediglich<br />
‚kurzen Anäherungen’ an Wahrheit.<br />
Odysseus‚ ‚der Leidgeprüfte und wie aus<br />
Meerschlünden Wiedergeborene...’ Wir können<br />
uns leicht mit seiner Sagengestalt identifizieren.<br />
Sind wir nicht alle in unserem Suchen und<br />
Herumirren bisweilen ein wenig Odysseus?<br />
Auch in Geduld sich übende Penelope? Wie<br />
mühselig schwer scheint es häufig, im Durchgang<br />
durch unsere Schicksalsstadien eine Wartezeit<br />
anzunehmen, aushalten zu lernen, wenn z.B. ‚die<br />
beschattete Unschöne aber / die Schlange ...sich<br />
entrollt/’, oder zwischen ‚erloschenen Sternen/<br />
die bleichen Arme geheftet ans Brett’ sind.<br />
Wenn wir das ‚opfernde Opfer’ lernen müssen.<br />
Denn so manches Mal können wir der Autorin<br />
zustimmen:‚Es lagern alle Klagen auf Hängen<br />
der Berge.’<br />
Bis wir eines Tages erkennen, wieviele Wege<br />
und Auswege es gibt: ‚Wege zu den Meeren<br />
der Nacht, aus der Zeit hinaus/aus dem Raum<br />
hinaus/aus den Wegen hinaus/ins Wort hinein/<br />
ins Schweigen hinein...’ Wenn wir bemerken, daß<br />
wir nicht immer vergebens suchen den ‚dunklen<br />
Eingang in mein Haus zwischen den weißen<br />
Säulen, begrüßt von Palmzweigen.’ Da wird<br />
etwa der Wind des Parnassos, ein ‚Adlerwind’,<br />
beflügeltes, tröstendes Symbol.<br />
In Delphi wird ‚Götteratem im Weihespiel Wort’;<br />
da sprechen, vielleicht bis heute, ‚Ewige zu<br />
unseren Gliedern, schütteln ‚die Schwere’ ab.<br />
Der ‚Saft der Oliven’, deren Baum von der Göttin<br />
Athene erstmals gepflanzt sein soll, ‚ erwärme<br />
euer Herz’.<br />
Wir Lesenden ahnen, daß an einem Ort wie<br />
diesem ‚Schlangen verschwinden’ können.<br />
Aber es gibt in Griechenland noch weitere Plätze,<br />
die eine begehbare Zukunft aufdämmern lassen.<br />
Am Meer schreibt die Autorin: ‚Eos Hand lässt<br />
nächtliches Lächeln aufdämmern.’<br />
In Rhodos spürt sie, man kann ‚Sonnenträume<br />
auf Mauern’ auflesen.’In Tiefen verschlossen das<br />
Wissen/ der Sonnenerwartung...’ Und sie erzählt,<br />
wie ihr Herz lebt, / in Gesängen/Worten überm<br />
Meer/und unterm Meeresspiegel...<br />
Und dann steht sie da, erreichen wir mit ihr den<br />
Ort des Lichts:<br />
An der Schwelle des Lichts/steh ich im Dunkel/<br />
es wirft seine Schatten/über die Schwelle...<br />
aber das helle /Licht schießt Pfeile/..Gefunkel/<br />
Blitzen...’. Und wir hören mit der weisen Athene<br />
die eindrucksstarken Worte:’/Steh aufrecht /<br />
Gottestochter/wie die Säulen ...und ‚streite weise<br />
für den höchsten Geist.’<br />
Angelika Zöllner<br />
Andrea Martina Graf/Brigitte Meyer:<br />
Die Entsorgung von all dem Zeugs.<br />
Sprechoper für zwei Stimmen und Cello.<br />
52 Seiten mit beigelegter CD. VGS Verlagsgenossenschaft<br />
St. Gallen 2010.<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 30
igda<br />
ISBN 978-3-7291-1126-4, CHF 32.00/EUR<br />
21.50.<br />
Zivilisationsmüllpoesie – bitte nicht<br />
entsorgen!<br />
Andrea Martina Graf (Texte und Lesestimme)<br />
und Brigitte Meyer (Cello und Stimme)<br />
haben in der Verlagsgenossenschaft St.Gallen<br />
die Partitur zu einer Sprechoper mit dem<br />
aussagekräftigen Titel „Die Entsorgung von all<br />
dem Zeugs“herausgegeben, die den hörenden<br />
Leser (oder umgekehrt) mit ihrer akuraten<br />
Inszenierung von „Wörter- und Silbenschutt“<br />
in Bann zieht. Hauptthema ist, wie der Titel<br />
bereits verrät, die Abfallentsorgung. Assoziativ<br />
lösen sich daraus Bilder, die Sätze oder<br />
Wortfetzen sprachlich variierend und planvoll<br />
in Klang umsetzen. So ist die Oper, die sich<br />
durch Sprache, rezitative Gesänge und Cellosoli<br />
manifestiert, in thematische Szenen unterteilt, die<br />
um Abfallcontainer, St. Galler Müllsäcke, WC-<br />
Enten, Verwesungsschwaden, Dosen, Handys u.a.<br />
kreisen. Grundlage einer Szene, die in der Regel<br />
auf eine Seite beschränkt ist, ist ein klanglich<br />
interessantes Wort oder ein prägnanter Satz, wie<br />
beispielsweise die aus einer Gebrauchsanleitung<br />
herausgelöste Aufforderung: „Ente am Bauch<br />
packen“. Nun segmentiert die Autorin einzelne<br />
Wörter und verbindet sie mit ähnlich klingenden,<br />
wobei sie sowohl dialektale wie Sprachgrenzen<br />
überschreitet: am Bauch – am Bach – Beach -<br />
beat – beast – Beach. Oder sie geht im „Lied der<br />
Einwurfslöcher“ vom konkreten Bild aus: O O O<br />
O, ergänzt die Löcher mit Buchstabenvariationen<br />
wie: Do - du da do - deux (sg-deutsch und frz.)<br />
bis sie am Ende der Szene beim Wort Dose/<br />
dosä angelangt ist, aus dem wiederum der<br />
Klang sssssssss für den nahtlosen Übergang<br />
zur nächsten Szene „suis-suisse“ extrahiert<br />
wird. Daneben werden Begriffe immer wieder<br />
zerstückelt, einzelne Silben entpuppen sich<br />
plötzlich als eigenständige Wörter (Protz-Ent;<br />
recy-kling). Leitmotivisch ziehen sich bestimmte<br />
Wörter (Ente, Dose u.a.) oder Satzfragmente wie<br />
ein roter Faden durch die Szenen und verhängen<br />
sie wie eine Fuge miteinander.<br />
Das Klangerlebnis, welches den rhythmischen<br />
und melodischen Charakter der Wortpartikel<br />
und Satzfragmente auslotet, ist in 35 Tracks<br />
auf CD gebannt (Laufzeit 76 Minuten) und<br />
findet in der Textpartitur seine Ergänzung.<br />
Grafisch sehr ansprechend gestaltet, teilen<br />
nebeneinandergesetzte (für Solostimmen) oder<br />
sich überlagernde Kästchen (Polyphonie) die<br />
Textfragmente auf. Ein roter, kleingedruckter<br />
Kommentar verteilt die Sprecherrollen (S 1<br />
und S 2) und gibt die Art der Aussprache vor<br />
(genüsslich zornig flüstern drohend) bzw. erläutert<br />
die Celloeinsätze, in welchen Brigitte Meyer<br />
ihrem Instrument durchaus auch unbekannte<br />
Klänge und Geräusche entlockt. Mit Hilfe der<br />
Gebrauchspartitur, wie Graf den Text nennt, kann<br />
der Leser analytisch die Sprachgewalt der Autorin<br />
nachvollziehen und es wird klar, dass mit der Oper<br />
keine simple Nonsensekunst geschaffen wurde,<br />
sondern bei Andrea Graf ein aussergewöhnliches<br />
Feingefühl und eine ungewöhnliche Hellhörigkeit<br />
für Sprache vorzufinden ist. Professor Mario<br />
Andreotti, der Verfasser des Vorwortes, stellt<br />
sie in eine Linie mit Ernst Jandl und Eugen<br />
Gomringer, den bekanntesten Vertretern der<br />
konkreten Poesie. Sehr erhellend sind neben<br />
dem Geleitwort auch die Nachworte der beiden<br />
Akteurinnen „Blick in die Baugrube“ (Graf)<br />
und „Ideen zur Musik“ (Meyer), in denen sie<br />
differenziert ihren kreativen Prozess erläutern<br />
und sich als exzellente Kennerinnen ihrer Materie<br />
erweisen.<br />
Christiane Matter<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 31
igda - Service<br />
Wettbewerbe<br />
Ernst Meister Preis für Lyrik <strong>2011</strong><br />
Der aktuelle Ernst Meister Preis für Lyrik <strong>2011</strong><br />
wird am 3. September <strong>2011</strong> im Rahmen einer<br />
feierlichen Preisverleihung und anlässlich des 100.<br />
Geburtstags von Ernst Meister vergeben. Er besteht<br />
aus einem Hauptpreis und zwei Förderpreisen.<br />
Mit dem Hauptpreis wird das Werk einer<br />
Autorin/eines Autors ausgezeichnet, ‚in dem auf<br />
besondere Weise die Verantwortung für Sprache<br />
und Poesie und das Bemühen um ihre lebendige<br />
und zeitgemäße Weiterentwicklung zum Ausdruck<br />
kommen’.<br />
Verlage, literarische Einrichtungen und<br />
Kulturvermittler sind berechtigt, <strong>Autoren</strong><br />
vorzuschlagen. Eigenbewerbungen sind nicht<br />
zulässig, lediglich für die Förderpreise. Die zwei<br />
Förderpreise erhalten NachwuchsautorInnen.<br />
Der Thalia-Förderpreis steht allen offen, der<br />
westfälische Förderpreis nur Bewerbern aus<br />
Westfalen.<br />
Einsendungen von max. 12 Gedichten in<br />
sechsfacher Ausfertigung – plus Bibliographie<br />
- an: Kulturbüro der Stadt Hagen,<br />
Museumsplatz 3, 58095 Hagen.<br />
Infos: www.ernst-meister-preis.hagen.de.<br />
Einsendeschluss: 5.4.<strong>2011</strong><br />
Literaturpreis der ‚keb’, Katholische<br />
Erwachsenenbildung.<br />
Zum zweiten Mal lädt die ‚keb’ zu einem<br />
Literaturwettbewerb ein. Das Thema für <strong>2011</strong><br />
heißt: begegnung:nähe:genießen. Keine<br />
pädagogischen Aufrufe sind erwünscht, ‚sondern<br />
Texte, die sich auf die Suche nach einer Sprache<br />
der Begegnung ... der Nähe und ... des Genießens<br />
machen. Vor Ort soll mit Menschen nachgedacht<br />
werden, ‚wie ein nachhaltiges und gelingendes<br />
Miteinander sich gestalten lässt.’. Gleichzeitig<br />
wird – ebenfalls vor Ort – ‚nach der Bedeutung<br />
von Bildung’ generell gefragt/diskutiert werden.<br />
1. Preis 1000 Euro, 2. Preis 500 Euro, 3.<br />
Preis: Ein dreitägiger Aufenthalt in einem<br />
der Bildungshäuser inclusive Anreise/volle<br />
Verpflegung.<br />
Gedichte (max. 5 Texte) oder Prosa (max. 5 DIN<br />
A4 Seiten á 4.000 Zeichen , d.h. 20.000 Zeichen<br />
incl. Leerzeichen) sind anonymisiert einzusenden<br />
an: keb, Katholische Erwachsenenbildung,<br />
Jahnstraße 30, D-70597 Stuttgart. Rückfragen:<br />
Michael Krämer, Tel. 07119791 208,<br />
e-mail: mkraemer@bo.drs.de.<br />
Die Manuskripte sind mit einer Chiffre zu<br />
kennzeichen, ebenso der beigelegte DIN A6-<br />
Umschlag, der ein Blatt mit Adresse, Email<br />
etc. enthalten soll. Die Teilnehmer erklären<br />
sich einverstanden, dass ihre Beiträge in<br />
einer Dokumentation der „Stuttgarter <strong>Heft</strong>e“<br />
veröffentlicht werden. Es ist geplant, die 15 besten<br />
Beiträge in einer Sondernummer zu publizieren.<br />
Infos: http://www.drs.de;<br />
Einsendeschluss 27. Mai <strong>2011</strong><br />
Jokers Lyrikwettbewerb<br />
Vom 1.3.<strong>2011</strong> bis 31.3.<strong>2011</strong> findet der Joker-<br />
Lyrikwettbewerb im Internet statt. Er gehört zu den<br />
großen deutschsprachigen Poesiewettbewerben.<br />
Es gibt keine Themenvorgabe. Jede/r<br />
TeilnehmerIn kann nur ein unveröffentlichtes (!)<br />
Gedicht einsenden.<br />
1. Preis: 1000 Euro, 2. Preis 500 Euro, 3. Preis<br />
250 Euro, Sonderpreis f. Humor - 100 Euro.<br />
Mit der Einsendung eines Gedichtes stimmt<br />
der/die Teilnehmer/In der Veröffentlichung<br />
in der kostenlosen Internet-Datenbank von<br />
Jokers, der Gedichte-Anthologie “Jokers-<br />
Lyrik-Preis <strong>2011</strong>″ und/oder dem Jokers<br />
Gedichte-Wochenkalender 2012 zu. Die<br />
Gewinner und Gewinnerinnen werden im<br />
Juni <strong>2011</strong> im Internet bekannt gegeben.<br />
Infos: http://www.jokers.de/1/poem.lyrik/derwettbewerb.html<br />
Literaturpreis des Iris Kater<br />
Verlages <strong>2011</strong><br />
Gesucht wird ein Kinder- und Jugendbuch<br />
oder ein Bilder-, auch Sachbuch. Es soll ‚in<br />
literarischer Form junge Menschen ermutigen,<br />
sich für Zivilcourage und Toleranz, für<br />
Menschenrechte und gewaltfreie ... Formen<br />
der Konfliktlösungen einzusetzen, (die)<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 32
igda - Service<br />
friedenspolitische Inhalte enthalten und den Wert/<br />
die Bedeutung demokratischen Engagements<br />
erfahrbar machen.... Das Buch‚ soll aufzeigen,<br />
wie Gewalt entsteht, was sie anrichtet und wie<br />
Konfliktlösungen aussehen.’<br />
Wie das Thema verarbeitet wird, obliegt dem<br />
Autor. Das Gleiche gilt für die Länge des Werkes.<br />
Der Gewinner ist damit einverstanden, sein Buch<br />
in der Iris Kater Verlag & Medien GmbH zu<br />
veröffentlichen. Es entstehen keine Druckkosten.<br />
Einsendungen mit einer <strong>Autoren</strong>biografie auf<br />
dem Deckblatt erbeten an: Iris Kater Verlag<br />
& Medien GmbH, Literaturpreis <strong>2011</strong>,<br />
Bahnhofstraße 36, 41747 Viersen.<br />
Info: info@kater-medien.de und<br />
www.kater-medien.de .<br />
Einsendeschluss 1. 7. <strong>2011</strong><br />
Schwäbischer Literaturpreis <strong>2011</strong><br />
Der Bezirk Schwaben verleiht seit 2005 den<br />
Schwäbischen Literaturpreis. <strong>2011</strong> wird er für<br />
einen unveröffentlichten Prosatext zum Thema<br />
„Fluss’ ausgeschrieben. Teilnahmeberechtigt<br />
sind AutorInnen, die im schwäbischalemannischen<br />
Kulturraum leben bzw. in<br />
diesem ihre biographischen Wurzeln haben.<br />
Anonymisierte und mit Kennwort versehene<br />
Manuskripte in 12-Punkte-Schrift (ca. 50<br />
Zeilen à 80 Anschläge) bis max. 20 Seiten<br />
werden erbeten. Die Anschrift einschließlich<br />
Telefonnummer, Mailadresse und Geburts datum<br />
ist im verschlossenen Begleitbrief einzu rei chen.<br />
Neben den Geldpreisen - 1. Preis: 2.000<br />
Euro, 2. Preis 1.500 Euro, 3. Preis 1.000<br />
Euro - ist eine Anthologie beabsichtigt.<br />
Zusätzlich wird ein Sonderpreis verliehen für<br />
eine(n) NachwuchsautorIn unter 25 Jahren.<br />
Die Preisverleihung findet voraussichtlich im<br />
November <strong>2011</strong> statt. Info: Bezirk Schwaben<br />
– Heimatpflege Prinzregentenstr. 8, 86150<br />
Augsburg, Tel. 0821/3101-309 oder<br />
e-mail:Heimatpflege@Bezirk-Schwaben.de<br />
Infos: http://www.bezirk-schwaben.de .<br />
Einsendeschluss: 30. 6. <strong>2011</strong><br />
Schreiben zwischen den kulturen <strong>2011</strong><br />
– Prosa, Lyrik, Drama, Schulprojekte.<br />
Ein Literaturwettbewerb zur Förderung der<br />
Literatur von AutorInnen, die aus einer anderen<br />
Muttersprache als der deutschen kommen, jedoch<br />
in deutscher Sprache schreiben. Es handelt<br />
sich um ein Projekt von ‚exil, Zentrum für<br />
interkulturelle Kunst und Antirassismusarbeit.<br />
1. Preis: Euro 3000 Euro, 2. Preis: Euro<br />
2000 Euro, 3. Preis: 1500 Euro. (Alle drei<br />
für Prosa). Lyrikpreis: 1500 Euro. Preis für<br />
AutorInnen mit deutsch als Erstsprache:<br />
1000 Euro. Preis für Texte von Teams und<br />
Schulklassen: 1000 Euro. Preis für Texte<br />
Jugendlicher (bis zum 20. Lebensjahr) 1000<br />
Euro. Preis für Theatertexte (Drama): 2.000<br />
Euro (gefördert von ‚wiener wortstaetten’)<br />
Teilnahmeberechtigt sind Personen, die seit<br />
mindestens einem halben Jahr in Österreich<br />
leben. Alle unveröffentlichten (!) Arbeiten<br />
müssen in 4-facher Ausfertigung eingereicht<br />
werden, sollen den Umfang von 10 Seiten nicht<br />
überschreiten und sich ‚im weitesten Sinn mit den<br />
themen fremdsein, anderssein, identität, flucht,<br />
vertreibung, ankommen, integration, leben<br />
zwischen kulturen usw. auseinandersetzen.’ Eine<br />
Kurzbiographie plus Foto und Adresse sollte<br />
gesondert beigefügt werden (bei Schulklassen,<br />
auch die der Lehrkraft). Einsendungen an: exil,<br />
Kennwort „exil-literaturpreise“, stiftgasse 8,<br />
A-1070 wien.<br />
Infos: verein.exil@inode.at oder Tel.: 0699<br />
-123 444 65 sowie www.zentrumexil.at .<br />
Einsendeschluss für Prosa, Lyrik und Drama:<br />
30. April <strong>2011</strong>,<br />
für die Schulprojekte und Jugendtexte:<br />
30. Juni <strong>2011</strong><br />
Magustage in Münster<br />
‚Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt’.<br />
Unter diesem Diktum J. G. Hamanns haben<br />
die ersten Magus Tage Münster 2010 nach<br />
dem Zusammenhang von Sprache, Denken und<br />
Wahrnehmung gefragt. Die 1. Magus-Preisfrage<br />
fokussiert dieses Thema auf die Poesie.<br />
‚Poesie ist die Muttersprache des menschlichen<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 33
igda - Service<br />
Geschlechts’, behauptet Johann Georg Hamann<br />
in seiner „Aesthetica in nuce.“ Gesucht werden<br />
Texte mit Antwort auf die Preisfrage. Sie<br />
müssen eine literarische oder wissenschaftliche<br />
Form aufweisen. Unveröffentlichte Gedichte,<br />
Gedichtzyklus, Erzählung, Prosa, Essay oder<br />
wissenschaftliche Abhandlung kommen in Frage<br />
mit max. 30.000 Zeichen. Eine Fachjury aus<br />
Wissenschaftlern und <strong>Autoren</strong> wählt die beste<br />
Antwort auf die Magus-Preisfrage aus. Dotierung:<br />
4.000 Euro. Der prämierte Text soll veröffentlicht<br />
werden. Der Preis wird beim „Magus Tag<br />
Münster <strong>2011</strong>“ (Herbst <strong>2011</strong>) überreicht.<br />
Bewerbungen sollen enthalten (in dieser<br />
Reihenfolge): Ein formloses Anschreiben<br />
mit Adresse, den Betreff ‚Magus-Preisfrage<br />
2010/11’ und dem Titel des Beitrags,Biografie<br />
und Bibliografie, den nicht (!) namentlich<br />
gekennzeichneten Text in 6 Kopien. Manuskripte<br />
an:<br />
GWK-Magus-Preisfrage,<br />
Fürstenbergstr. 14, D-48147 Münster<br />
Rückfragen: Frau Dr. Susanne Schulte,<br />
e-mail: gwk@lwl.org<br />
Tel.: 0251-591 32 14, Infos und ausführliche<br />
Beschreibungen, die für eine ‚aktuell’ zu lang<br />
sind, finden sich unter:<br />
www.gwk-online.de oder: www.magus-tage.de<br />
Einsendeschluss: 4. Juli <strong>2011</strong><br />
GWK – Förderpreis für Literatur<br />
Die GWK vergibt <strong>2011</strong> einen Förderpreis für<br />
Literatur. Er wird dotiert mit 4.000 Euro. Separat<br />
honorierte Lesungen folgen. BewerberInnen<br />
müssen in Westfalen-Lippe geboren sein, dort<br />
seit mindestens zwei Jahre leben oder aber ihren<br />
Hochschulabschluss in der Region erworben haben.<br />
<strong>Autoren</strong> bis 40 Jahre – mit bereits anerkannter<br />
Publikation in einer Literaturzeitschrift oder<br />
Anthologie (kein Internet) - bewerben sich mit<br />
einem formlosen Anschreiben. Beizufügen sind:<br />
Ein unveröffentlichtes Manuskript von max.<br />
20 Seiten DIN A 4, bis zu drei ausgewählte<br />
Publikationen der letzten zwei Jahre, Lebenslauf<br />
mit Bibliographie und ggf. ein Buch in zwei<br />
Exemplaren (falls bereits ein Buch vorliegt).<br />
Der Förderpreis wird am 25. November<br />
<strong>2011</strong> verliehen. Der Preisträger ist<br />
verpflichtet, an der Verleihung teilzunehmen.<br />
Einsendungen an die Geschäftsstelle:<br />
GWK, Fürstenbergstraße 14, D-48147<br />
Münster, Tel: 0251 - 591 30 41.<br />
Infos: http://www.gwk-online.de<br />
Einsendeschluss: 2. Mai <strong>2011</strong><br />
Koblenzer Literaturpreis<br />
Die Koblenz-Touristik schreibt mit dem<br />
Freundeskreis der Universität in Koblenz<br />
und dem Freundeskreis des Theaters Koblenz<br />
zum 5. Mal den Literaturpreis der Stadt Koblenz<br />
aus. Das Preisgeld beträgt 13.000 Euro. Der<br />
Preis verfolgt die Förderung der Literatur am<br />
Mittelrhein in zwei Richtungen:<br />
1. Förderung der Literaturschaffenden in der Region<br />
Mittelrhein und Förderung von AutorInnen, die in<br />
der Region Mittelrhein leben, deren literarische<br />
Werke nicht diese Region thematisieren müssen,<br />
2. Förderung der Literatur im Kontext der Region<br />
Mittelrhein.<br />
Es können einzelne publizierte Werke als auch<br />
das Gesamtwerk gewürdigt werden. Es sollen<br />
nicht mehr als drei Publikationen eingereicht<br />
werden, wobei alle literarischen Genres<br />
zugelassen sind. Bei nicht deutschsprachigen<br />
Arbeiten wird zusätzlich die Übersetzung<br />
erbeten. Bewerbungen an: Silke Raß, Koblenz-<br />
Touristik, Eigenbetrieb der Stadt Koblenz,<br />
Bahnhofplatz 7, D-56068 Koblenz.<br />
Infos: www.koblenzer-literaturpreis.de ;<br />
Einsendeschluss: 30.4.<strong>2011</strong><br />
Wolfgang A. Windeckerpreis<br />
Bewerber um diesen Preis sollten eine<br />
aussagekräftige, phantasiereiche Lyrik schreiben.<br />
Thematisch gib es keinerlei Vorgaben. ‚Die<br />
Einsendungen können sich auf Alltag, Freizeit<br />
usw. beziehen, Umweltprobleme ins Bild fassen<br />
oder auch die Schönheit der Natur preisen’ -<br />
ebenso ist Liebeslyrik erwünscht.<br />
Zu vermeiden sind Kitsch und Klischees.<br />
Texte extremistischer Tendenz haben keinen<br />
Zugang. Interessierte senden in Kopien<br />
mindestens fünf und max. sechs Gedichte<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 34
igda - Service<br />
ein. Außer dieser Beschreibung werden<br />
keine zusätzlichen Informationen verschickt.<br />
Nur die Preisträger werden vom Ausgang<br />
des Wettbewerbs informiert. 1. Preis: 250<br />
Euro, 2. Preis, 150 Euro, 3. Preis 100 Euro.<br />
Stichtag für die Auswahl der Preisträger:25.8.<br />
Einsendungen mit vollständiger Namens- und<br />
Absenderangabe an: Wolfgang A. Windecker,<br />
Starenweg 4, 31061 Alfeld (Leine).<br />
Einsendeschluss:25.6.<strong>2011</strong><br />
Stipendien<br />
Onlinestipendium Lyrik<br />
Das ‚Unternehmen Lyrik’ vergibt seit 2007 ein<br />
Jahresstipendium in Form frei zugänglicher<br />
Online-Kurse sowie individueller Betreuung im<br />
Wert von 2400 Euro. Die Förderung soll - über<br />
das Internet ortsunabhängig - LyrikerInnen ‚die<br />
Perfektionierung des poetischen Handwerks<br />
ermöglichen und zur Festigung eines eigenen<br />
poetischen Ausdrucks beitragen’.<br />
Zielgruppe sind deutschsprachige Poeten/<br />
Poetinnen, die bereits mehrere Jahre mit zeitgemäß<br />
literarischem Anspruch schreiben und zielstrebig<br />
in den Literaturbetrieb einsteigen wollen. Das<br />
Studienjahr dauert von 1. Mai bis 30. April des<br />
Folgejahrs. Während dieser Zeit stehen dem/der<br />
Stipendiat/in sieben Lektoratskurse und zwei<br />
Vier-Tage-Kurse mit lyrischen Themen offen.<br />
Die persönliche Betreuung umfasst zusätzlich<br />
drei bis vier Telefonate oder Arbeitstreffen.<br />
Bewerbungen an: Michaela Didyk,<br />
Schellingstraße 115, D-80798 München,<br />
(keine E-Mails). Dem formlosen Antrag sind<br />
eine Kurzvita sowie - in 3-facher Ausführung<br />
- eine Arbeitsprobe von max. fünf Gedichten<br />
beizufügen. Über die Stipendienvergabe<br />
entscheidet eine unabhängige Fachjury. Zu<br />
Rückfragen steht aus unseren Reihen sicher<br />
auch IGdA-Mitglied Johanna Klara Kuppe zur<br />
Verfügung, die 2007 Stipendiatin war. Infos:<br />
http://www.unternehmen-lyrik.de/projekte/<br />
onlinestipendium/ .<br />
Einsendeschluss: 20.4.<strong>2011</strong><br />
Peter Dreyling bittet um<br />
Zusendungen<br />
150 Jahre Wolframsbrunnen/<br />
Eschenbach<br />
Liebe Lyrikfreunde!<br />
Einige von Ihnen waren auf dem 40. Jahrestreffen<br />
der IGdA in Wolframs Eschenbach und haben<br />
die Atmosphäre am ‘Wolfram’, dem Café<br />
Parzival, dem Renaissanceschloss des Deutschen<br />
Ordens und dem Liebfrauenmünster kennen<br />
gelernt. Meine Gäste und ich (plus Presse und<br />
Abendschau) würden uns über Ihren modernen<br />
Beitrag zum Wolfram, Parzival (Mitleidsfrage,<br />
wie gehts?, Toleranz, Religiosität, Gral, Willehalm<br />
(Gyburgs Toleranzrede zu Andersgläubigen),<br />
Tagelieder oder (Wolfframs)-Eschenbach freuen.<br />
Jeder Einsendende erhält den neuen Kunstführer<br />
der Dichterstadt, Ordensstadt und Ort der<br />
Stadtbaukunst. Ich freue mich auf Einsendungen.<br />
Peter Dreyling<br />
Amtsblatt <strong>2011</strong>, 150 Jahre Wolframsbrunnen in<br />
memoriam.<br />
Am 1.5.1861 feierten die Eschenbacher die<br />
Enthüllung des Wolframsbrunnen, früher auch<br />
Schwanenbronnen genannt, gestiftet vom König<br />
Maximilian II. von Bayern. Der Entwurf stammte<br />
vom Hofbauinspektor Eduard von Riedel, der<br />
später die Pläne von Schloss Neuschwanstein für<br />
Sohn König Ludwig II. konzipierte. Das Standbild<br />
und die vier Schwäne modellierte Hans Knoll,<br />
der auch die Bavaria in München schuf. Sehr<br />
bedeutende Künstler für ein außergewöhnliches<br />
Anliegen. M. Dorr rezitierte zur Einweihung:<br />
„Wo Du geweilt in schönen, alten Tagen,<br />
da rage dankbar Dir ein Monument;<br />
es möge laut es jedem Fremdling sagen,<br />
dass diese Stadt sich deine Heimat nennt,<br />
und zeige stolz noch unsern Söhnen<br />
die hohe Seele seines Stifters an,<br />
des edlen Pflegers alles Großen, Schönen,<br />
des Bayernkönigs Maximilian.“<br />
150 Jahre später immer noch der Mittelpunkt der<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 35
igda - Service<br />
Stadt und gern beginnen wir unsere Führungen<br />
am „Wolfram“.<br />
1941 konnte der Abbruch des Denkmals als<br />
Metallspende nur knapp verhindert werden.<br />
Angelika Zöllner<br />
Neue Mitglieder<br />
Truxton Agidius Oldridge, Hannover siehe: Beitrag Seite 14<br />
Leserbriefe<br />
Zum Nachklang des Jahrestreffens der IGdA in<br />
Schlüsselfeld erhielten wir folgendes Gedicht<br />
von:<br />
Winfried Auer<br />
VEREINSAMT<br />
Ein Menschengrüpplein steht in Reih und Glied<br />
wobei es einen gibt, der vorne zieht,<br />
die andern schieben hinten mit.<br />
So läuft der Karren<br />
und bewegt sich<br />
wenn auch mit Knarren,<br />
doch er regt sich.<br />
Und es nimmt keiner auf das Rücklicht<br />
als Einzelschicksal eine Rücksicht.<br />
So ist das Leben, und mir deuchte:<br />
auch hinten braucht man eine Leuchte.<br />
Zu einem Gedicht von Helga Thomas<br />
„Wenn das Wort gefunden wird“ lautet der Titel<br />
eines Gedichtes, das zum internen Wettbewerb<br />
eingereicht wurde. Dieses Gedicht, in freier Form<br />
geschrieben, erzeugte sofort beim ersten Lesen<br />
einen Nachhall bei mir, der zum Weiterdenken<br />
anregt. Wenn man die Werke der Dichter<br />
vergangener und heutiger Zeit liest, stellt sich<br />
unweigerlich die Frage, welche Erkenntnisse<br />
die <strong>Autoren</strong> dem Leben abringen und durch<br />
Worte bändigen konnten. Erstaunlich ist dann<br />
meist, dass diese komprimierten Erfahrungen,<br />
verarbeitet in Lyrik oder Prosa, unseren eigenen<br />
ähneln und uns auch nach langer Zeit noch etwas<br />
zu geben imstande sind. Uns sind heute manche<br />
Klassiker genauso nahe wie ihren Zeitgenossen.<br />
Ein unsichtbares Spinnennetz, aus Poesie<br />
gewebt, liegt über uns und wartet darauf, von<br />
uns entdeckt zu werden. „Sternengleich einander<br />
zugefügt“ lautet eine Zeile des Gedichtes von<br />
Helga Thomas und sagt uns, dass Dichtung Raum<br />
und Zeit überwinden kann. Dieses Verbindende<br />
der Literatur ist unglaublich faszinierend. Selbst<br />
wenn uns hunderte von Jahren von den Urhebern<br />
vieler Texte trennen, fühlen wir uns ihnen nah,<br />
leben mit ihnen und sie mit uns. Das ist der Kern<br />
des Wunders Dichtung. Ich denke, dass wir beim<br />
Lesen von Lyrik und Prosa etwas aufnehmen,<br />
was dann in uns wirkt und zu strahlen beginnt.<br />
Wir lernen durch die Werke der Dichter uns selbst<br />
besser kennen und können dadurch auf unsere<br />
Umwelt einwirken. Diese Erkenntnis ist in dem<br />
Gedicht von Helga Thomas in so schön auf den<br />
Punkt gebracht. Schnörkellos einfach und doch<br />
mit großer Tiefe hat die Autorin das Wunder der<br />
Dichtung beschrieben. Dafür gebührt ihr großer<br />
Dank. Der erste Platz im internen Wettbewerb ist<br />
gerechtfertigt. Ich gratuliere herzlich dazu.<br />
Diese grundlegende Erfahrung drückte der<br />
Schriftsteller Bruno H. Bürgel vor fast 100 Jahren<br />
so aus: „...dass alle Dinge nur aufleuchten in dem<br />
Licht, das aus uns selber kommt.“ Helga Thomas<br />
findet dafür die Schlussworte in ihrem Gedicht:<br />
„Eine Sternenwelt\wird sichtbar\durch uns in uns“.<br />
Kann Lyrik etwas Schöneres bewirken?<br />
Matthias Stark: Leserbrief (gekürzt)<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 36
igda<br />
Angeregt durch die Rezensionen in 2 <strong>Heft</strong>en von<br />
2010 hier einige ‚holpernde‘ Reime (Worte des<br />
Verfassers) von Ernst Eliasch-Deuker (Salzburg)<br />
NEUE KUNST<br />
Über diese Welt von heute<br />
lässt sich, - (sagen kluge Leute !) -,<br />
nichts mehr so wie gestern sagen.<br />
Müssen dann, - so will man fragen -,<br />
wohlbestallte Professoren<br />
für die Avant-Garde-<strong>Autoren</strong><br />
und für deren neue Werke<br />
seitenlang Gebrauchsvermerke,<br />
Deutungen und Kommentare<br />
(wie bei einer schlechten Ware !)<br />
unters „tumbe“ Volk verstreu´n ?<br />
Gute Kunst benötigt kein<br />
„Operation manual“<br />
Echte Kunst braucht kein Gebell !<br />
Große Kunst dringt still (- und schnell !-)<br />
in die Brust und an die Nieren !<br />
Gar nichts aber nützt : dozieren.<br />
Glauben denn die klugen Herrn,<br />
Menschen lebten a-modern ?<br />
Tja, wieviele Werke bleichen<br />
längst als Germanisten-Leichen !<br />
Selbst Nobel-Preisträger trifft<br />
oft dies´ Los als Grab-Inschrift.<br />
Das, was wirklich übrig bleibt,<br />
das entscheidet nur : ... DIE ZEIT !!<br />
Renate Weidauer<br />
Mein Lieblingsbuch<br />
Kindheit des Zauberers<br />
und<br />
Der Geschichtenerzähler<br />
Eigentlich habe ich siebenundvierzig Lieblingsbücher<br />
und davon eines auszuwählen fällt mir<br />
schwer, denn immer wieder wird eines der<br />
siebenundvierzig Bücher zu meinem „Lieblings-<br />
Lieblingsbuch“. Alle haben viel mit mir und<br />
meinem Leben zu tun. So habe ich mich durch<br />
„blindes“ Herausgreifen auf zwei festgelegt:<br />
Hermann Hesse: Kindheit des Zauberers – ein<br />
autobiographisches Märchen und<br />
Joel ben Izzy: Der Geschichtenerzähler oder<br />
das Geheimnis des Glücks<br />
Zu Kindheit des Zauberers<br />
Das Buch von Hermann Hesse erinnert mich sehr<br />
an meine Kindheit, die „Kindheit des Zauberers“,<br />
die ich durch meine Großmutter erfahren durfte.<br />
Sie besaß viele, für mich kostbare, Dinge, schrieb<br />
mir eigene Geschichten in ein großes gebundenes<br />
Buch, die sie vorlas und die dann „stehgreif“<br />
gespielt wurden, ebenso die, von ihr erfundenen,<br />
kleinen Theaterstücke, die sie mit allen Kindern<br />
im Haus probte und die der Hausgemeinschaft<br />
vorgespielt wurden. Außerdem tanzten wir beiden<br />
„Ballett“ (der Wunsch, es zu lernen wurde mir<br />
von den Eltern nicht erfüllt). Immer war es „Pas<br />
de Deux“, bei Großmutter etwas schwerfällig,<br />
sie war nicht schlank. Aber für mich tanzte sie<br />
„elfengleich“. So erinnert mich das Buch Hesses<br />
an die „Poesie einer Kindheit“ und an eine große<br />
Liebe.<br />
Zu Der Geschichtenerzähler<br />
Dieses Buch bekam ich vor einigen Jahren<br />
geschenkt, als ich eine sechs Wochen andauernde<br />
Kehlkopfentzündung hatte und mich nur<br />
durch Schriftliches verständigen konnte. Für<br />
mich eine schlimme Zeit, da ich neben nicht<br />
möglichen Lesungen auch im Altersheim und<br />
in einer Behinderteneinrichtung nicht mehr als<br />
Geschichtenerzähler auftreten konnte. In diesem<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 37
igda<br />
Buch geht es um die wahre Geschichte eines<br />
Mannes, der durch die Welt reist, um Geschichten<br />
der Weisheit und des Glücks zu erzählen. Bis er<br />
plötzlich seine Stimme verliert. Das Buch ist<br />
ein zauberhaftes Lesevergnügen über den Sinn<br />
des Lebens und des „Aufgefangen-Seins“ in<br />
Krisenzeiten. Eine tiefe Freundschaft zwischen<br />
seinem Lehrer und ihm. Ich bin inzwischen<br />
befreundet mit der Frau, die mir das Buch<br />
schenkte und genieße meine Erzählnachmittage<br />
umso mehr.<br />
Johanna Klara Kuppe<br />
Fahrzeug, und heute überall der Computer und<br />
das Internet zur Befriedigung seines Tatendrangs.<br />
Alles auch zur Erfüllung von Sehnsüchten. Ich<br />
nehme die Zeilen zum Anlass, das Buch, Ausgabe<br />
1958, erneut zu lesen. Nachdenken über die<br />
„Terre des Hommes“, die „Erde der Menschen“,<br />
wie der Titel im Französischen lautet.<br />
Willi Volka<br />
Wind, Sand und Sterne<br />
Zurzeit als ich noch die Schulbank drückte,<br />
begeisterte sich mein Freund und ich am Fliegen.<br />
Mein Schulfreund machte eine Segelfliegergruppe<br />
aus, die uns aufnahm und an ihrem Traum vom<br />
Fliegen Anteil nehmen ließ. Einmal die Woche<br />
arbeiteten wir in der Werkstatt mit am Bau eines<br />
Segelflugzeuges.<br />
Wir lernten, dass Flugzeuge an für sich die<br />
eine Welt und Piloten eine andere war. Ein<br />
schreibender Pilot nahm uns für sich ein: Antoine<br />
de Saint-Exupéry mit seinen Büchern. Darunter<br />
war eines, das mich ganz besonders ansprach:<br />
Der Essayband „Wind, Sand und Sterne“.<br />
Exupérys Bücher sind voller Reflexionen und<br />
haben nichts mit den Kriegshelden der Jagdflieger<br />
oder Bomberpiloten in „Schundheften“ gemein,<br />
vielmehr zeugen sie von tiefen Erleben, von<br />
Gefühl und Empfindungen, vom Ergriffen<br />
sein, von wunderbaren Augenblicken und der<br />
Abhängigkeit von Naturgewalten und einer<br />
funktionierenden Technik, um Weltsicht, um<br />
Erkenntnis, um Horizonterweiterung bis hin zum<br />
Griff nach den Sternen – man denkt unwillkürlich<br />
auch an den kleinen Prinzen. Mit ihm träumten<br />
wir vom Fliegen …<br />
Schon der erste Satz des Buches, der<br />
da lautet:„Die Erde schenkt uns mehr<br />
Selbsterkenntnis als alle Bücher,<br />
weil sie uns Widerstand leistet“, zeigt das Flugzeug<br />
als ein Werkzeug, zeigt Aspekte des modernen<br />
Menschen, der sein Leben mit Instrumenten<br />
führt und erweitert – hier das Flugzeug, dort das<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 38
Feigenblatt<br />
Magazin für Erotisches<br />
Mit spitzer Feder betrachtet<br />
Eine professionell gemachte Zeitschrift, die<br />
sich mit der schönsten Nebensache der Welt<br />
beschäftigt. Sie spricht die Sinne an und geizt<br />
nicht mit erotisierenden Reizen. Optisch<br />
kunstvoll für das Auge des willigen Betrachters<br />
und literarisch anspruchsvoll für all die, die<br />
sich von unterschiedlichen <strong>Autoren</strong> in eine Welt<br />
voller Erotik mitnehmen lassen wollen. Auch<br />
ausgefallene erotische Themen werden ohne<br />
Tabus angesprochen und abgebildet. Dabei wird<br />
die Grenze zur Pornographie nicht überschritten.<br />
Was man vergeblich sucht, sind Berührungsängste<br />
und Scheuklappen in Bezug auf die Themen und<br />
die Bilder. Das hochwertig gemachte Magazin<br />
kommt ohne Sensationsgier, wie auch ohne völlig<br />
überkaschierte Hochglanzfotos aus. Dies spricht<br />
für die Redaktion. Erotik ist ein weites Spielfeld.<br />
Was für den einen nicht erotisch genug ist, hat für<br />
einen anderen längst seine Grenze überschritten.<br />
Es mag daher sein, dass für manches Auge, die<br />
Bilder allzu offen und für manches Empfinden,<br />
die Texte allzu deutlich sind. Dies kann jeder nur<br />
für sich selbst entscheiden. Ich bin sicher, dass<br />
diese das Magazin bereits nach einem flüchtigen<br />
Durchblättern zurück in das Regal stellen werden.<br />
Aus meiner Sicht sind die Abbildungen ästhetisch<br />
und in einer literarisch erotischen Zeitschrift<br />
vertretbar und in Ordnung. Dass dabei der<br />
Voyeur in uns angesprochen wird, wird billigend<br />
in Kauf genommen. Die erotischen Erzählungen<br />
vermitteln Sinnlichkeit auf hohem Niveau. Sie<br />
sind anregend und machen Lust, ohne die Grenzen<br />
des guten Geschmacks dabei zu überschreiten.<br />
Die Ausgaben sind monothematisch ausgerichtet.<br />
Sie beschäftigen sich dabei jeweils mit einem<br />
ganz speziellen Thema. Sehr viel Wert wird<br />
von den Verantwortlichen der Redaktion auf<br />
literarische Offenheit gelegt. Der Blick über<br />
den Tellerrand ist den <strong>Autoren</strong> nicht nur erlaubt,<br />
sondern erwünscht und immer gerne gesehen.<br />
„Zwischen den Ufern“ lautet das Thema der<br />
vorliegenden Ausgabe. Sind wir nicht alle ein wenig<br />
bisexuell, lautet die provokante Frage, die hier in<br />
den unterschiedlichsten Facetten erörtert wird.<br />
Sehr gut gefallen hat mir eine Lyrikperle, die<br />
Sappho: An eine Geliebte richtete. Sappho<br />
stammte aus Mytilene auf Lesbos und ihr Name<br />
stand Pate für homosexuelle Frauen (sapphisch).<br />
Sie hat die Insel weltweit bekannt gemacht.<br />
Inwieweit die Erzählungen, Reportagen, Hinweise<br />
der Experten und die Interviews neue Impulse<br />
geben und Inspiration für eine Partnerschaft sein<br />
können, muss auch jeder/jede LeserIn für sich<br />
selbst beurteilen. Schön zu lesen sind sie allemal.<br />
Tipps für lesenwerte Bücher und Veranstaltungshinweise<br />
runden den Inhalt ab und sind eine<br />
willkommene und nützliche Ergänzung.<br />
Ein literarisch fotografisches Erlebnis für Individualisten,<br />
die über einen ausgesprochenen Hang<br />
zur Sinnlichkeit verfügen und für neugierige<br />
Querdenker, die sich den kleinen erotischen<br />
Luxus leisten wollen. (gw)<br />
Kontaktadresse:<br />
Teplitzer Straße 28-30, D-14193 Berlin<br />
website: www.feigenblatt-magazin.de<br />
ISSN: 1861-6454<br />
Hrsg.: Anja Braun<br />
e-mail: redaktion@feigenblatt-magazin.de<br />
Preis: 5 Euro<br />
erscheint: 4 / anno<br />
Auflage: 15.000<br />
Format und Seitenzahl: DIN A4 / 84 Seiten<br />
veröffentlicht: Erzählung, Gedicht, Fotografie,<br />
Kunst und Reportage<br />
Hinweise für <strong>Autoren</strong>: Einsendungen<br />
erwünscht per Mail<br />
IGdA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2011</strong>) Seite 39
<strong>Interessengemeinschaft</strong><br />
<strong>deutschsprachiger</strong> <strong>Autoren</strong> e.V.<br />
Das Forum für Ihre Texte<br />
www.igda.net<br />
www.igda.net/blog/*<br />
Treffen<br />
mit <strong>Autoren</strong>lesungen<br />
Literaturpreise<br />
Rudolf-Descher-Feder<br />
und<br />
Nachwuchspreis der IGdA<br />
WErkstattgespräche<br />
Veröffentlichungen<br />
in IGdA-aktuell und IGdA-Almanach<br />
Präsentation<br />
unserer Mitglieder im Internet<br />
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