Mai 2010 als pdf herunterladen - Israelitische Kultusgemeinde Wien
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JÜDISCHE WELT • GEDENKEN<br />
Am Anfang war das Pferd<br />
Muss Gedenken heute inszeniert werden,<br />
um überhaupt wahrgenommen zu werden?<br />
Wann wird die Inszenierung kon -<br />
traproduktiv? Und wie sieht die Zukunft<br />
des Gedenkens aus? „Wozu erinnern?<br />
Holocaustgedenken versus Gedenk-Events<br />
und Erinnerungs-Hype“ nannte sich eine<br />
Veranstaltung im Jüdischen Museum<br />
<strong>Wien</strong> Mitte März. Schlaglichter einer<br />
Diskussion.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Claudia Kuretsidis-Haider, Historike rin<br />
an der Zentralen österreichischen<br />
Forschungsstelle für nachkriegsjustiz,<br />
organisiert seit zehn Jahren eine Ge -<br />
denk fahrt nach engerau, heute Petr -<br />
zalka genannt und ein Stadtteil von<br />
Bratislava. in der nS-Zeit wurden auf<br />
diesem Gebiet große Rüstungs be trie -<br />
be er-, ende 1944 ein Lager für jüdische<br />
Zwangsarbeiter eingerichtet. Von den<br />
dort 2.000 inhaftierten starben mehrere<br />
hundert an erschöpfung oder Hun -<br />
ger oder wurden von den nazis getötet.<br />
ende märz 1945 wurde das Lager<br />
evakuiert, die insassen wurden zu Fuß<br />
nach Bad deutsch-Altenburg (nÖ)<br />
getrieben. dabei starben mehr <strong>als</strong> 100<br />
ungarische Juden. die Überlebenden<br />
wurden schließlich auf Schiffen do nau -<br />
aufwärts in das Konzentrations la ger<br />
mauthausen (OÖ) gebracht.<br />
Zwischen 1945 und 1954 wurden in<br />
ins gesamt sechs „engerau-Prozes sen“<br />
neun österreichische SA-männer be -<br />
ziehungsweise für das Lager zuständige<br />
politische Leiter von einem ös ter -<br />
reichischen Volksgericht zum Tod ver -<br />
ur teilt und schließlich hingerichtet.<br />
Bei der jährlichen Gedenkfahrt lässt<br />
Kuretsidis-Haider Opfer und Täter von<br />
dam<strong>als</strong> selbst zu Wort kommen, in dem<br />
Teilnehmer der Veranstaltung aus den<br />
Gerichtsprotokollen vorlesen. eine<br />
inszenierung, aber nicht spektakulär,<br />
meint Kuretsidis-Haider und beklagt<br />
ein wenig, dass diese Veranstaltung<br />
zwar immer viele Teilnehmer habe,<br />
aber kaum mediales echo hervorrufe.<br />
„Muss man Gedenken inszenieren?“,<br />
fragte sie daher Podium und Publi -<br />
kum. „Muss man Luftballons steigen lassen?<br />
Oder reicht eine Gedenktafel auch?“<br />
die Luftballons zogen sich wie ein ro ter<br />
Faden durch den Abend. die Ak ti on<br />
im Rahmen von „Letter to the Stars“<br />
wurde von den anwesenden ex per -<br />
ten durch die Bank kritisiert. Eva Blim -<br />
linger, Historikerin und For schungs -<br />
ko ordinatorin der Histori ker kom mission<br />
der Republik, etwa meinte, die<br />
inszenierung, um mit inhalten durchzudringen,<br />
sei ein allgemeines Phä -<br />
no men und nicht nur auf den Be reich<br />
des Gedenkens beschränkt. „Und dagegen<br />
wäre ja noch nichts einzuwenden.“<br />
Bedenklich werde es allerdings, wenn<br />
das marketing das Übergewicht be -<br />
komme und die inhalte in den Hin -<br />
tergrund treten. Und genau das sei<br />
bei dem Luftballon-Projekt passiert.<br />
Heidemarie Uhl, Historikerin an der<br />
Ös terreichischen Akademie der Wis -<br />
sen schaften, sprach sogar von einer<br />
„grundsätzlichen Krise des Gedenkens“.<br />
Allerdings: diese sei „das Ergebnis des<br />
Erfolgs“. die erinnerung an die Opfer<br />
der Shoah sei aus der Geschichts debatte<br />
in den achtziger Jahren hervorgegangen,<br />
ausgelöst durch die dis -<br />
kussion um die Kriegsvergangenheit<br />
des ehemaligen Bundespräsidenten<br />
Kurt Waldheim.<br />
ein weiteres ergebnis: der Holocaust<br />
stehe heute im Zentrum der Ge -<br />
schichte des 20. Jahrhunderts. Brau che<br />
die erinnerung aber nun neue For -<br />
men? Und welche Formen sprechen<br />
junge menschen an? Sie berichtete von<br />
einem Projekt, bei dem im Herbst<br />
Kro kus-Zwiebeln eingesetzt werden,<br />
im Frühjahr gehe dann die Saat auf,<br />
die Blumen blühen.<br />
„Wenn ich von diesem Krokus-Projekt<br />
hö re, kriege ich Magenweh“, warf Blimlinger<br />
ein. Gute Projekte seien solche,<br />
die auf Wissen basieren. „Und es gibt<br />
auch Gegenprojekte zu Krokussen“, so<br />
die Historikerin. in der Schule Kandl -<br />
gasse in <strong>Wien</strong>-neubau haben die<br />
Schüler recherchiert, was aus den 1938<br />
vertriebenen Schülern wurde. die<br />
„Ökonomie der Aufmerksamkeit“ werde<br />
mit einer Gedenktafel, einer Veran -<br />
stal tung im Bezirksmuseum und der<br />
Präsentation des daraus entstandenen<br />
Buches bedient.<br />
im Grunde habe ja die inszenierung<br />
1986 begonnen, fügte sie dann hinzu,<br />
denn die Waldheim-diskussion war<br />
zwar voll mit inhalten, „aber ohne das<br />
Pferd vom Hrdlicka wäre das nur die hal be<br />
Sache gewesen“. Auch heute werde das<br />
Pferd noch <strong>als</strong> Zeichen für die Wald -<br />
heim-Jahre zitiert. das weiße Ro sen-<br />
Projekt von „Letter to the Stars“, bei<br />
dem Blumen vor Häuser gelegt wurden,<br />
aus denen in der nS-Zeit men -<br />
schen deportiert wurden, lobte Blim -<br />
linger übrigens. „Das war ein viel differenzierteres<br />
Projekt“, hier sei die Um -<br />
set zung von inhalten „weitestgehend<br />
ge lungen“. Aber: je mehr sich die ini -<br />
tiative weiter gedreht hab, das nächste<br />
event immer das vorangegangene top -<br />
pen sollte, desto mehr sei es ab zu leh -<br />
nen gewesen. das sei eben auch die<br />
Falle der eventkultur.<br />
„Bei Krokussen und Luftballons kriege ich<br />
auch die Krise“, sagte Kuretsidis-Hai -<br />
der. Und meinte: „Nicht alles, was alt<br />
ist, ist schlecht“. Zu „Letter to he Stars“<br />
merkte sie an, dam<strong>als</strong> seien die el tern<br />
von Kindern im dokumen ta ti ons ar -<br />
chiv des Österreichischen Wi der stands<br />
(dÖW) „eingefallen, und ha ben begonnen<br />
wie wild zu recherchieren. Die Kin der<br />
waren total überfordert.“ Und dann sei<br />
das dÖW nicht einmal <strong>als</strong> Quelle an -<br />
ge geben worden.<br />
Sie habe aber auch ein Problem mit<br />
den „Stolpersteinen“. moderator Pe ter<br />
Huemer fügte hier hinzu: es gebe ein<br />
Für und Wider, mit den Steinen und<br />
den darauf geschriebenen namen wür -<br />
den diese Verstorbenen „wieder Teil un -<br />
seres Lebens“. Und wenn man den Text<br />
lesen wolle, müsse man sich nach vor -<br />
ne neigen, das sei auch „eine Form der<br />
Verneigung“. Kritiker würden be män -<br />
geln, dass man hier die Toten einmal<br />
mehr mit Füßen trete, Hunde da rauf<br />
ihr Geschäft verrichten, so Blimlinger.<br />
elisabeth Ben David-Hindler, initiato -<br />
rin der „Steine der erinnerung“ er -<br />
griff aus dem Publikum das Wort. „Es<br />
kann nicht um eine Konkurrenz der Erin -<br />
ne rungsprojekte gehen“, meinte sie,<br />
„alles ist eine Leistung zur Erinnerung“.<br />
die Steine würden oftm<strong>als</strong> auf Wunsch<br />
der Angehörigen gesetzt, und das Pro -<br />
jekt habe „eine irrsinnige Wirkung im<br />
zweiten Bezirk“, wo es bereits 105 Sta -<br />
ti onen gibt. „Wir haben hier innerhalb<br />
von fünf Jahren auf lokaler Ebene ein Be -<br />
wusstsein geschaffen.“<br />
nein, hielt Blimlinger entgegen, nicht<br />
alles, was es an Gedenken gebe, sei<br />
auch gelungen, wobei sie sich hier<br />
nicht auf die „Steine der erinnerung“<br />
bezog, sondern auf die Forderung,<br />
alles, was an Gedenken passiere,<br />
grund sätzlich gutzuheißen. Und: „Kri-<br />
tik an Gedenkprojekten muss zulässig sein<br />
so wie bei allen anderen Projekten auch“.<br />
34 mai <strong>2010</strong> - ijar/Siwan 5770