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Palliativ-Pflege-Tagung 2013

Angehörige sind wir alle!

Nahestehende, Zugehörige und Angehörige als Partner sehen

Donnerstag 5. September 2013, 9.30 bis 16.30 Uhr

GERSAG – Seminar, Kongress, Kultur, Emmen (Luzern)

Dr. Lucrezia Meier-Schatz, Nationalrätin

Geschäftsführerin Pro Familia Schweiz

Begrüssung

Geschätzte Anwesende – ich möchte einleitend den Organisatoren dieser Fachtagung Caritas

Schweiz, Curaviva, Curahumanis und der SBK für die Einladung vor allem aber für die Wahl

des Themas herzlich danken.

Sie werden sich heute mit einer der grossen gesellschaftlichen Herausforderung der

nächsten Jahren auseinandersetzen und einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung nicht

nur der breiten Öffentlichkeit sondern vor allem, so hoffe ich, der Politik, der nationalen und

kantonalen Politik, leisten. Die Care Diskussion ist zwar in der Öffentlichkeit angekommen –

ich erwähne nur als Beispiel die verschiedenen Publikationen, wie „yes we care“ oder die

Publikationen des Nationalen Forschungsprogramms sowie die jüngsten Diskussionen, die

einerseits der DOK-Film des Schweizerfernsehens „Hilfe aus dem Osten –

Pflegemigrantinnen in der Schweiz“ vom 20. Juni oder und andererseits die Club-Diskussion

vom 14. August zu den Pflegemigrantinnen ausgelöst haben. Diese Diskussionen zeigten den

sog. Pflegenotstand, mit welchem wir in unserer langlebigen Gesellschaft bereits heute

konfrontiert sind.

Ich möchte in meiner Begrüssung kurz auf die Folgen der Ausdehnung der gemeinsamen

Lebenszeit von Generationen eingehen und zuerst die enormen sozio-ökonomischen wie

aber auch spannende sozio-kulturelle Auswirkungen ansprechen. Dann werde ich die

Dimension der Herausforderungen ansprechen, bevor ich auf die Rolle der Angehörigen

eingehe. Selbstverständlich gehe ich abschliessend auf die Rolle der Politik ein und zeige den

Stand der politischen Diskussionen auf.

Lassen Sie mich aber zuerst auf die Folgen der Ausdehnung der gemeinsamen Lebenszeit von

Generationen eingehen und die sozio-kulturellen Auswirkungen ansprechen.

Sozio-kulturellen Auswirkungen

Die sozio-kulturellen Auswirkungen nehmen wir bereits heute wahr, wir leben in einer

dynamischen multi-generationellen Gesellschaft. Viele Menschen im mittleren Alter sind

Eltern von heranwachsenden Jugendlichen oder bereits Grosseltern von Kleinkindern und

sogleich selber die Kinder der eigenen noch lebenden Eltern. Jede dieser Generationen hat

andere Sozialisationsbedingungen erfahren, und diese unterschiedlichen Lebensgeschichten


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gekoppelt mit der sehr starken Transformation unserer Gesellschaft, verändern

grundsätzlich die Generationenbeziehungen. Sie erfordern nicht nur eine Solidarität der

jüngeren Generationen zugunsten der älteren Generationen sondern zunehmend auch eine

stärkere Verankerung von Prinzipien der Generativität innerhalb der älter werdenden

Generationen. Damit verbunden ist selbstverständlich die gewünschte Übernahme von

Verantwortlichkeiten.

Diese neu entstandenen Generationenbeziehungen sind geprägt von einer wechselseitigen

Verbundenheit. Gleichzeitig aber sind angesichts der sehr unterschiedlichen

Sozialisationsformen der verschiedenen Generationen, der Werten, die jede einzelne

Generation geprägt hat, angesichts aber auch der gesellschaftlichen Herausforderungen und

den heutigen Lebensbedingungen eine Vielzahl von Divergenzen und Spannungen in den

Generationenbeziehungen spürbar. Denn wir alle wissen Generationenbeziehungen können

spannenden, bereichernd, fördernd sein und doch sind viele auch durchaus ambivalent und

äusserst komplex.

Die Generationenbeziehungen sind ferner geprägt von den gewählten Lebensentwürfen der

verschiedenen Generationen. Heute kennen wir unterschiedliche Lebensentwürfe und

unterschiedliche Lebenseinstellungen, diese Vielfalt beinhaltet Chancen und Risiken für eine

Gesellschaft. Chancen, weil dadurch jeder und jede einzelne mehr Freiheiten in der

Gestaltung des Alltages geniesst und das Entfaltungs- und Gestaltungspotential auch älterer

Menschen grösser ist. Risiken, weil die Bereitschaft auf einen partiellen Verzicht der eigenen

Freiheit kleiner geworden ist, und dies aus sehr unterschiedlichen Gründen. Wir haben

bewusst in den letzten Jahrzehnten dem Staat Aufgaben übertragen, die noch vor einem

Jahrhundert in der Verantwortung der Familien lagen. Die logische Konsequenz dieser

Kompetenzverschiebung ist ein Gewinn an Freiheit und gleichzeitig der Verlust von gewissen

Sicherheiten.

Der Gewinn an Freiheiten äussert sich in der erhöhten Erwerbsarbeit aller, in der

wachsenden Mobilität unserer Gesellschaft, in der Freizeitgestaltung. Doch diese Freiheit hat

auch ihre Schattenseiten, denn die damit verbundene Individualisierung hat zur Folge, dass

sich unsere Gesellschaft vorwiegend über die Ökonomisierung der Leistungen definiert.

Wer partiell oder vorübergehend voll auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet, um sich seinen

Angehörigen anzunehmen, wird auch in späteren Jahren die wirtschaftlichen Folgen dieses

Verzichtes spüren. Gleichzeitig aber wissen wir alle, dass wir als Gesellschaft auf diese

unabdingbare, unschätzbare unbezahlbare Care-Arbeit in vielfacher Hinsicht angewiesen

sind. Deshalb müssen wir den Mut haben den Wert der Generationenbeziehungen

anzusprechen und gleichzeitig den real existierenden Generationenvertrag in seiner Wirkung

für jene Menschen, die auf Erwerbsarbeit verzichten, um sich ihren Nächsten anzunehmen,

zu hinterfragen. Denn wer die Generationenbeziehungen in den Mittelpunkt rückt, weiss

auch, dass es diese Beziehungen sind, die Garant für die Zukunft sind und den inneren

Zusammenhalt unserer Gesellschaft gewährleisten. In diese Beziehungen spielen die

Familien eine bedeutende Rolle.


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Sozio-ökonomische Auswirkungen

Nebst aber diesen sozio-kulturellen Auswirkungen der Ausdehnung der Lebenszeit gilt es

den Blick auf die sozio-ökonomische Auswirkungen – als Folge der demographischen

Entwicklung zu lenken.

Wir müssen nicht einmal, wie das Bundesamt für Statistik, den Blick auf das mittlere

Demographie-Szenario legen, um festzustellen, dass der Anteil der über 65-jährigen an der

gesamten Wohnbevölkerung in den nächsten Jahren steigen wird. Die damaligen

Babyboomer kommen alle nun ins Rentenalter. Sie sind unsere rüstigen, kauffreudigen und

kaufkräftigen Senioren, sie gehören zur Silber-Generation. Ihr Anteil wird bis ins Jahr 2060

auf 28.3% steigen – heute sind es lediglich 17.1% (2010) der Gesamtbevölkerung. Auch wenn

gegenwärtig die alternde Bevölkerung im Schnitt relativ wohlhabend, kaufkräftig und lange

bei guter Gesundheit ist, werden wir uns in näherer Zukunft mit der nachhaltigen

Finanzierung unserer Sozialwerke beschäftigen müssen. Die NZZ titelte am 17. August 2013

in ihrem Leadartikel auf der Frontseite „danke der Nachfrage, noch geht es uns gut“ und mit

Blick auf die Sicherung unserer Sozialwerke hielt sie fest „die Zeit zerrinnt“.

Gesellschaftliche Herausforderungen

In der Tat stehen wir vor grossen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen

Herausforderungen. Die Zahl der Personen über 80 steigt in den nächsten Jahrzehnten von

heute 382‘000 auf über 1 Mio. Daraus ergibt sich eine stark veränderte

Bevölkerungszusammensetzung. Diese wiederum stellt unsere Gesellschaft als Ganzes vor

neue Herausforderungen. Einerseits gilt es die Alterssicherung im Rahmen der AHV und der

2. Säule weiterhin zu garantieren. Andererseits werden die Gesundheits- und die

Pflegekosten weiter ansteigen. Alleine in den nächsten Jahren steigen die Kosten für die

Betreuung und Pflege von älteren Menschen auf über 17 Mrd. Franken.

Wir werden in den kommenden Jahren politisch über den sog. Generationenvertrag – über

die Sicherung der Altersvorsorge – nachdenken, streiten aber hoffentlich auch Lösungen

erarbeiten, die die unterschiedlichen Lebensbiographien vermehrt berücksichtigen. Wir

stellen heute fest, dass Menschen, die sich für Zeit für ihre Nächsten nehmen, sie betreuen,

zunehmend ein Risiko eingehen, da unsere Gesellschaft sich primär über die Erwerbsarbeit

definiert. Das darf nicht sein. Kommt dazu, dass wir – im Laufe unseres Lebens – irgendwann

auf die Unterstützung sowohl der Familienangehörigen wie auch auf jene ausserhalb der

Familie angewiesen sind. Diese erbrachten Leistungen, seien sie in Form von Betreuung,

Unterstützung, Pflege, sind von immenser Bedeutung für die pflegebedürftige Person. Da

jedoch nicht jeder Mensch in Zukunft auf ein Netz von Familienangehörigen zurückgreifen

kann, stellen sich auch in diesem Kontext neue Fragen. Wir leben bereits heute in einer

Gesellschaft, in welcher ein wachsender Teil der Bevölkerung keine Nachkommen mehr hat

und somit im hohen Alter auch auf die Solidarität und die Unterstützung der jüngeren


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Generationen, vor allem aber auf die professionellen Begleitung durch Pflegefachpersonen

angewiesen ist.

Pflegende Angehörige

Wir alle wissen: die Angehörigenpflege erwächst in der Regel aus einer verwandtschaftlichen

oder ehelichen Beziehung und sie setzt meistens nicht erst dann ein, wenn notwendiger

Handlungsbedarf besteht. Glücklicherweise werden Menschen heute oft erst spät im

eigentlichen Sinne pflegebedürftig. Das gesundheitliche Befinden bei 85jährigen und älteren

zuhause lebenden Menschen wird von diesen - subjektiv - als gut eingeschätzt. Die relativ

hohe subjektive Gesundheitseinschätzung bei zuhause lebenden älteren Menschen muss

dennoch, wie dies verschiedene Studien aufzeigen, relativiert werden, denn diese

Einschätzung korreliert nur mittelmässig mit der objektiven Gesundheit. Der Hilfe- und

Pflegebedarf zuhause lebender Frauen und Männer steigt mit dem Alter. Besonders häufig

betrifft dies tägliche kräfteraubende instrumentelle Aktivitäten (Einkaufen, schwere

Hausarbeit, Pflege). Der Bedarf an diesen hauswirtschaftlichen Leistungen wird sich

demographisch bedingt weiter erhöhen, denn es ist der Wunsch der ganz grossen Mehrheit

der älteren Bevölkerung möglichst lange zuhause zu bleiben. Dies entspricht unserem

menschlichen Autonomiebestreben und dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung, Nähe und

Geborgenheit.

Mit zunehmendem Alter erfordern aber auch die gesundheitlich bedingten Einschränkungen

des Alltagslebens (Seh-, Hör- und Mobilitätseinbussen) informelle Hilfe und ambulante

Pflege. Diese werden einerseits vom Partner oder der Partnerin, und / oder von den eigenen

Kindern oder gar Nachbarn und andererseits von der Spitex sowie von anderen privaten

oder staatlichen Institutionen erbracht. Diese professionelle ambulante Betreuung kann

dazu beitragen, dass Beschwerden nicht zu Behinderungen auswachsen. Auch verzögert eine

professionelle ambulante Betreuung eine Heimeinweisung. Daher ist ein enges

Zusammenspiel zwischen pflegenden Angehörigen und professioneller Betreuung für den

Verbleib zuhause und für das Wohlbefinden der pflegebedürftigen Person wie aber auch des

Umfeldes von zentraler Bedeutung. Es braucht ein positives Wechselspiel zwischen

informeller Hilfe und ambulanter Pflege.

These von Klaus Dörner

Sie haben zwar auf Ihrer Einladung die provokative These von Klaus Dörner aufgenommen,

der feststellt, dass die Angehörigen die geborenen Feinde aller professionellen Helfer sind.

Ob dies in der Tat der Fall ist, lasse ich offen.

Persönlich stelle ich fest, dass pflegende Angehörige oft an ihre Grenzen gelangen,

gesundheitlich wie auch ökonomisch gefährdet sein können und dankbar die ergänzende

Hilfe der professionellen Pflege entgegen nehmen. Selbstverständlich ist das Verhältnis

zwischen Angehörigenpflege und professioneller Pflege nicht immer ein Einfaches, denn

anders als die pflegenden Angehörigen, sind die professionellen Pflegekräfte nicht

unmittelbar von der Pflegesituation betroffen. Für sie basiert die berufliche Pflege auf ein


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fundiertes Wissen, mit dem sie die Probleme analysieren und die erforderlichen

Interventionen einleiten. Das Wissen des pflegenden Angehörigen hingegen ist auf den

Einzelfall bezogen und häufig mit einer moralischen oder emotionalen Verpflichtung zur

Pflegetätigkeit verbunden. Daher treffen unweigerlich unterschiedlich geprägte

Einstellungen aufeinander. Dennoch ist m.E. das Zusammenspiel in ganz vielen Situationen

ein gelungenes, vorausgesetzt die pflegenden Angehörigen und die professionellen

Pflegekräften gehen auf einander zu, um die gemeinsamen Handlungspielräume auszuloten.

Dabei müssen selbstverständlich auch die verschiedenen Deutungsschemen, die einem

jahrelang gewachsenen Prozess zwischen pflegenden Angehörigen und pflegebedürftigem

Menschen zugrunde liegen, berücksichtigt werden. Es ist eine Frage des gegenseitigen

Respekts und der Anerkennung der unterschiedlichen Rollen. Denn nur so kann das

Wechselspiel zwischen informeller Hilfe und ambulanter Pflege sich in konstruktiver Weise

ergänzen.

Politischer Handlungsbedarf

Lassen Sie mich nun aber noch einen Einblick in die politische Debatte geben: Ich hatte 2005

vom Bundesrat eine Situationsanalyse über die Anerkennung der Pflegeleistungen von

Familienangehörigen verlangt, leider sah der Bundesrat damals noch keinen

Handlungsbedarf. Daher war ich sehr dankbar, als der Spitex-Verband eine sehr

breitangelegte Studie – die Swiss-Care-Age-Studie von 2010 – veröffentlichte, denn sie zeigte

eindrücklich auf, wo die Herausforderungen im Zusammenspiel zwischen den

professionellen Fachpersonen und den Angehörigen, liegen. Diese Studie wurde als

Ausgangspunkt verschiedener politischer Vorstösse genutzt. Zwei Schwerpunkte standen

politisch im Vordergrund: einerseits die zeitliche und finanzielle Entlastung der pflegenden

Angehörigen und andererseits die Förderung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und

Angehörigenpflege.

Die Politik hat den Ball aufgenommen, mittlerweile gibt es eine interdepartementale

Arbeitsgruppe zum Thema „Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege von Angehörigen“

also zur Work-Care Thematik, diese Arbeitsgruppe sollte ihren Bericht voraussichtlich noch

dieses Jahr vorlegen. Parallel zu diesem Vorgehen hat sich das Parlament mit dem Thema

der pflegenden Angehörigen auseinandergesetzt und meinen zwei parlamentarischen

Initiativen (11.411 und 11.412 –LMS) zugestimmt. Diese verlangen die Einführung einer

Betreuungszulage und das Recht auf eine Auszeit für pflegende Angehörige. Danach wurde

die zuständige Kommission des Nationalrates, die SGK-N, mit deren Umsetzungen

beauftragt. Nach Analyse der Ausgangslage und der gesetzlichen Rahmenbedingungen hat

die SGK-N weitere Fragen aufgeworfen und der interdepartementalen Arbeitsgruppe zu

Beantwortung im Auftrag des Nationalrates weitergeleitet. Das Thema pflegende

Angehörige gewinnt nun endlich an Bedeutung.

Die Politik hat erkannt, dass Lösungen zur Entlastung und zur Unterstützung der pflegenden

Angehörigen nicht nur für das Wohlergehen der pflegebedürftigen Person von hoher

Bedeutung ist, sondern, dass ohne die unentgeltlich erbrachten familialen Leistungen die

Kosten ins unermesslichen steigen würden. Das heisst nichts anderes als die Politik endlich


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die Notwendigkeit gesellschaftlicher Unterstützungsleistungen für Familien anerkennt und

sich bewusst wird, dass Familien in der Erfüllung ihrer Aufgaben und Funktionen zugunsten

der pflegebedürftigen Personen gestärkt und unterstützt werden müssen.

Diese Unterstützung darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, es braucht mehr. Denn selbst

wenn die Motive für die Hilfestellung der pflegenden Angehörigen vielfältig sind, ist allen

gemeinsam ist, dass die Befindlichkeit, die Lebensqualität der pflegenden Angehöriger sich

mit der Zeit verschlechtert. Die Einbeziehung in die Pflege eines Familienmitgliedes hat zur

Folge, dass die eigenen persönlichen und sozialen Ressourcen eingeschränkt werden. Das

Engagement für den Partner, für die Partnerin, für die Eltern oder Schwiegereltern kann die

eigene Gesundheit beeinträchtigen. Aus den neusten Studien wissen, wir dass vor allem

pflegende Partner und Partnerinnen rund sechs Jahre im Dauereinsatz sind und selber an die

Grenzen ihrer körperlichen Möglichkeiten stossen. Wir wissen nicht nur, dass 1/3 aller

Partner ihre Partnerin pflegen sondern auch, dass Söhne und Töchter beachtliche Leistungen

erbringen. Pflegende Töchter und Söhne sind im Schnitt 55 Jahre alt und somit in der Regel

noch im Erwerbsleben. So sind z.B. 2/3 aller pflegenden Töchter berufstätig. Viele Töchter

reduzieren aber beim Eintreffen des Pflegefalles ihre Erwerbsarbeit um die Begleitung der

Eltern oder Schwiegereltern sicher zu stellen. Fast ein Fünftel (16%) gibt gar die

Erwerbstätigkeit auf - mit Folgen für die eigene Altersvorsorge. Diese Fakten müssen die

Politik interpellieren. Denn vermehrt stellt sich für hunderttausende Angehörige die

herausfordernde Frage:

„Pflegen oder Pflegen lassen?“

Personen – eigentlich müsste ich sagen - Frauen, die freiwillig auf ihre Erwerbsarbeit

verzichten, denn es sind überwiegend Frauen, die ihre hilfebedürftigen Angehörigen pflegen,

also Personen, die sich den älteren von Pflege abhängigen Menschen annehmen, leisten eine

sehr wichtige gesellschaftlich notwendige Tätigkeit. Würde diese nicht von ihnen erbracht,

käme dies der Allgemeinheit sehr teuer zu stehen. Die pflegenden Angehörigen sind oft rund

um die Uhr gefordert, denn sie orientieren sich primär an den Bedürfnissen des

Pflegebedürftigen orientieren.

Daher gilt es die Aufmerksamkeit auf die Schaffung neuer Entlastungsmöglichkeiten zu

lenken. Es muss uns gelingen den Bedürfnissen der pflegenden Angehörigen und ihrem

Wunsch nach Entlastung gerecht zu werden. Wir wissen - aus verschiedenen

Untersuchungen - was pflegende Angehörige aus ihrer Sicht brauchen, damit sie die Pflege

nicht nur als belastend, sondern auch als erfüllend und gelingend erleben können. Sie

wünschen sich a) mehr wissen, b) das Gefühl, ihre Aufgabe kompetent und effektiv erfüllen

zu können, sowie c) Entlastung und Ruhe- resp. Erholungszeiten.

Wir sind aber auch in einem anderen Bereich noch gefordert, denn Menschen, die aufgrund

der fehlenden Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenpflege auf einen Teil ihres


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Einkommens verzichten, laufen die Gefahr, dass sie sich selber in eine wirtschaftlich prekäre

Situation hineinbegeben. Dies zu verhindern liegt in der Verantwortung der Gesellschaft und

der Politik.

Zum Schluss

Meine Damen und Herren, wir alle sind früher oder später mit der Pflegebedürftigkeit

konfrontiert, denn es ist ein absehbares Lebensereignis. Ob diese Lebenssituation nicht nur

als belastend, sondern auch als sinnerfüllt erlebt werden kann, entscheidet darüber ob

„Pflegejahre“ zu „verlorenen Jahren“ werden.

Wir alle sind herausgefordert, denn es braucht das Zusammenspiel aller, der Gesellschaft,

der Wirtschaft, der Fachpersonen, der Politik, um Menschen in ihrem Lebensabend in Würde

begleiten zu können und gleichzeitig um den Belastungen, welchen pflegende Angehörigen

ausgesetzt sind, zu begegnen. Wenn wir das Zusammenspiel von professioneller Begleitung

und informeller Hilfe fördern wollen, brauchen auch die Fachpersonen, die diese sehr

anspruchsvolle Unterstützung- und Begleitarbeit leisten, bessere Rahmenbedingungen um

ihre Arbeit erfüllen zu können. Selbstverständlich erwarten alle im Umfeld der

pflegebedürftigen Person, dass die Fachpersonen intra- und interpersonelle Fähigkeiten,

Kommunkations- und Selbstreflexionsfähigkeiten, Fähigkeiten zur Beziehungsgestaltung,

Ausgeglichenheit und Teamfähigkeit besitzen, um nur einige Bereiche zu erwähnen. Sie

müssen sehr hohen Anforderungen gerecht werden. Ich erlebe heute, dass diese sehr

wertvolle und anspruchsvolle Arbeit von Teilzeiterwerbstätigen mit einem Pensum bis zu

80% erbracht werden, in gewissen Institutionen ist eine Vollzeitanstellung nicht möglich, aus

Rücksicht auf die enorme psychische aber auch physische Arbeit die von den

Pflegefachperson geleistet wird. Wenn ein höheres Erwerbspensum nicht möglich ist,

müsste doch die Frage gestellt werden, ob nicht auch in diesem Bereich Handlungsbedarf

besteht, denn eine Teilzeiterwerbstätigkeit ist immer mit ökonomischen Nachteilen

verbunden. Das wäre ein weiteres Thema, welches mindestens von den Berufsverbänden

aufgenommen werden sollte, bevor es in die Politik hineingetragen wird.

Ja meine Damen und Herren

Angesichts dieser Herausforderungen sind wir alle gefordert – Sie heute – indem Sie

zukunftsweisende Wege aufzeigen werden.

Angesichts dieser ausserordentlich grossen Herausforderung ist auch die Politik in ihrer

Funktionsfähigkeit gefordert. Es müssen tragbare Lösungen erarbeitet werden, um einerseits

den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden und andererseits das Handeln

innerhalb der Familiengemeinschaft zu fördern.


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Wir alle spüren in unserem politischen und/oder beruflichen Alltag, dass die Komplexität der

demographischen Herausforderung die Spannung zwischen ethischen Anforderungen und

politischer Realität erhöht. Sowohl Sie als Fachpersonen, als auch wir – als Politiker und

Politikerinnen – sind immer wieder erneut aufgerufen, die Überwindung dieser Spannung zu

suchen, denn nur so – und das wissen wir – entsteht eine zutiefst humane,

menschengerechte und würdige Politik, welche sich zwar nicht in ein Links-Rechts-Schema

einordnen lässt, sondern von der steten Suche nach einvernehmlichen Lösungen mit den

ethischen Anforderungen geprägt ist.

Ich wünsche Ihnen nun einen spannenden, erkenntnis- und zukunftsweisenden Tag und

danke Ihnen für Ihr Engagement, Ihre Präsenz bei den pflegebedürftigen Menschen und für

Ihre Aufmerksamkeit.

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