Die nationale Ehre - welcker-online.de
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1929 wur<strong>de</strong>n steuerzahlen<strong>de</strong> und auch sonst nützliche Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r bürgerlichen<br />
Gesellschaft aus <strong>de</strong>r Schönlaterngasse, Kumpfgasse usw. planmäßig<br />
verjagt und <strong>de</strong>m Annoncenteil <strong>de</strong>s Neuen Wiener Journals zugetrieben, das<br />
um <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Ernennung Schobers zum Großkanzler von ihm nicht nur als<br />
das achtbarste Wiener Blatt angesprochen wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch die Lizenz<br />
bekam, am Sonntag sämtliche Arten und Abarten <strong>de</strong>s Geschlechtsverkehrs,<br />
mit beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>r Gegenpole, zu kultivieren. Das ging so<br />
lange, bis es selbst <strong>de</strong>r Concordia zu bunt wur<strong>de</strong> und sie es ablehnte, die<br />
gleichzeitigen mäzenatischen Bestrebungen Lippowitzens zu unterstützen, in<strong>de</strong>m<br />
sie sich <strong>de</strong>r Fürsorge für <strong>de</strong>n Burgtheaterring entledigte, <strong>de</strong>n eben Gerhart<br />
Hauptmann auf die Hand bekommen sollte, die »Hannele« geschrieben<br />
hatte. Nun trat Lippowitz als <strong>de</strong>r anerkannte Erneuerer Österreichs an das<br />
Unterrichtsministerium mit <strong>de</strong>m Ersuchen heran, <strong>de</strong>n Ring in Obhut zu nehmen.<br />
Das Unterrichtsministerium — einge<strong>de</strong>nk <strong>de</strong>r Zeiten, wo es gefürchtet<br />
hatte, durch die Aufstellung <strong>de</strong>s Standbilds <strong>de</strong>s Mark Anton <strong>de</strong>r Schwelgerei<br />
ein Denkmal zu setzen — fand, daß die Verbindung mit einem Lupanar <strong>de</strong>n<br />
Bestrebungen eines geregelten Kultus wi<strong>de</strong>rspreche, und stellte Lippowitz die<br />
Bedingung, daß er die Masseusen opfere und die Sonntagsrubrik auf die geschlechtliche<br />
Norm beschränke, tunlichst unter Ausschaltung aller gegenpolarischen<br />
Kräfte, ja selbst unter Verzicht auf die Paarung gleichgeschlechtlicher<br />
Provinzler, die sich bis dahin mit <strong>de</strong>n Heimwehrten<strong>de</strong>nzen zu vertragen schien.<br />
Lippowitz, in einen tragischen Konflikt gezwungen, wählte die <strong>Ehre</strong>. Und<br />
was mußte er erleben? Daß seine 75 Masseusen zu einem marxistischen Blatt<br />
übergingen, um daselbst die Schönheit und später <strong>de</strong>n Körper schlechtweg zu<br />
pflegen. <strong>Die</strong>ser Umstand wie die gleichzeitige Abkehr Schobers von <strong>de</strong>n<br />
Heimwehrten<strong>de</strong>nzen brachte es mit sich, daß das Neue Wiener Journal sich<br />
fortan darauf beschränkte, <strong>de</strong>n Annoncenteil <strong>de</strong>n Regierungswünschen angepaßt<br />
zu halten. <strong>Die</strong>s wie<strong>de</strong>r hatte zur Folge, daß Schober aus <strong>de</strong>m Kuratorium<br />
<strong>de</strong>r Ringstiftung austrat, Frau Bleibtreu, die letzte Empfängerin, einen Weinkrampf<br />
bekam und jener <strong>de</strong>r Felonie beschuldigt wur<strong>de</strong>. Der Annoncenteil<br />
blieb rein. Redaktionell aber machte sich täglich lauter <strong>de</strong>r Schrei <strong>de</strong>s Augustus<br />
nach <strong>de</strong>r Teutoburger Nie<strong>de</strong>rlage geltend: »Schober, gib mir meine Legionen<br />
wie<strong>de</strong>r!« Zum Scha<strong>de</strong>n jedoch gesellte sich <strong>de</strong>r Spott, als die Arbeiter—<br />
Zeitung, ohne Rücksicht auf eine Genossin <strong>de</strong>r Schmach, vom blitzblanken<br />
Neuen Wiener Journal als <strong>de</strong>m »Masseusenblatt« sprach. Der Gipfel <strong>de</strong>r Verwegenheit<br />
wur<strong>de</strong> dann erklommen, als Sandor Weiß <strong>de</strong>n Nachweis, daß es<br />
nunmehr ein »rotes Bor<strong>de</strong>ll« gebe, durch Ausspitzelung <strong>de</strong>r armen Insassinnen<br />
zu führen unternahm und die Arbeiter—Zeitung, um abzulenken, solche<br />
Unsauberkeit nachahmte. Das arme Schwesterblatt mußte zittern und die Metierbezeichnung<br />
än<strong>de</strong>rn, um <strong>de</strong>n Redaktionsetat auch fernerhin mit Einkünften<br />
<strong>de</strong>cken zu können, <strong>de</strong>ren Ursprung doch sauberer ist als <strong>de</strong>r aus sensationellen<br />
Titeln. Zur Rettung <strong>de</strong>r unschuldigsten Opfer politischer Heuchelei<br />
dachte ich schon daran, die Annoncen kostenlos zu übernehmen, aber gera<strong>de</strong><br />
mir wäre das Preßgesetz zum Fallstrick gedreht wor<strong>de</strong>n. Ob nun pures Pharisäertum<br />
o<strong>de</strong>r Bosheit gegen <strong>de</strong>n Genossen Renner im Spiel sei, die Arbeiter—<br />
Zeitung ging letzthin so weit, einem Justizministerium, das noch verständnisloser<br />
<strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Prostitution gegenübersteht als das Unterrichtsministerium,<br />
mit <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Antwort das Schwesterblatt ans Messer zu liefern:<br />
Es ist natürlich auch alles unrichtig, was über die Beschlagnahme<br />
unzüchtiger Annoncen gesagt wird — das interessiert uns aber<br />
nicht einmal juristisch. Denn wir wissen, daß gera<strong>de</strong> da <strong>de</strong>r Preßstaatsanwalt<br />
sehr zurückhaltend ist, und genau so, wie er <strong>de</strong>n § 26<br />
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