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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

1. <strong>Modul</strong><br />

(Tötungsdelikte, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Versuch und Rücktritt)<br />

§ 1 Tötungsdelikte, Pflichtwissen I<br />

1) Welche Zeitpunkte zum<br />

Beginn des menschlichen<br />

Lebens sind straf- und<br />

zivilrechtlich relevant?<br />

Der strafrechtliche Schutz durch die Tötungsdelikte beginnt<br />

nach ganz hM mit dem Geburtsakt (BGHSt 32, 194), d. h. mit<br />

Einsetzen der Eröffnungswehen (MM1: Beginn der<br />

Presswehen, NK-Neumann Vor § 211 Rn. 9; MM2: Vollendung<br />

der Geburt, Herzberg/Herzberg JZ <strong>01</strong>, 1106 ff.); bei<br />

Kaiserschnitt mit Beginn des ärztlichen Eingriffs.<br />

Entscheidend für die Strafbarkeit nach Tötungsdelikten ist, dass<br />

der Zeitpunkt, indem sich die Verhaltensweise des Täters<br />

schädigend auszuwirken beginnt, nach Geburtsbeginn im o.g.<br />

Sinne liegt: Beginn der schädigenden Auswirkung vor Einsetzen<br />

der Eröffnungswehen (hM, s.o.) führt zur Strafbarkeit gemäß<br />

§ 218 StGB (auch bei Auslösen einer Fehlgeburt eines<br />

lebensunfähigen, wenn auch noch kurzzeitig lebenden Kindes;<br />

nicht allerdings, wenn das nicht auf Dauer lebensfähige Kind<br />

vom Täter noch nach der Geburt durch zusätzliche Handlungen<br />

zu Tode gebracht wird; zu den einzelnen Konstellationen<br />

lesenswert BGHSt 10, 291). Wenn durch den Versuch, die<br />

Leibesfrucht abzutöten, versehentlich ein lebensfähiges Kind zur<br />

Welt kommt, so bedeutet dies einen Versuch gemäß §§ 218 I, IV,<br />

22 StGB. Wird dieses Kind dann nach der Geburt getötet, so<br />

dürfte das Tötungsdelikt gemäß §§ 211 ff. StGB in<br />

Realkonkurrenz dazu treten.<br />

(Es ist nur schwer begründbar, hier etwa von einer in natürlicher<br />

Handlungseinheit begangenen Abtreibung auszugehen, so aber<br />

i.E. LPK-Kindhäuser Vor § 211 Rn. 7. Die Einleitung der Geburt<br />

setzt eine Zäsur, von der an der Gesetzgeber den<br />

Tötungsentschluss offensichtlich grundlegend anders – d. h.<br />

nach §§ 211 ff. – beurteilt. Verhaltensweisen vor und nach der<br />

Zäsur stehen daher in Realkonkurrenz zueinander).<br />

Zivilrechtlich ist für den Zeitpunkt der Rechtsfähigkeit einer<br />

Person die Vollendung der Geburt ausschlaggebend (§ 1 BGB),<br />

d. h. der vollständige Austritt aus dem Mutterleib.<br />

1


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

2) Welcher Zeitpunkt am<br />

Ende des menschlichen<br />

Lebens ist strafrechtlich für<br />

§§ 211 ff. relevant?<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

Die Tötungsdelikte sind nur auf Verhaltensweisen vor Eintritt<br />

des Hirntods anwendbar, d. h. vor dem irreversiblen totalen<br />

Funktionsausfall des Gehirns (Großhirn, Kleinhirn und<br />

Hirnstamm). Dieser Zeitpunkt ist heute gesetzlich festgehalten in<br />

dem für Organentnahmen einschlägigen Transplantationsgesetz<br />

(§ 3 II Nr. 2 TPG).<br />

Die Feststellung des Hirntods erfolgt in Deutschland in einem<br />

genau von der Bundesärztekammer festgelegten Verfahren.<br />

(Bei Interesse: Richtlinien zur Feststellung des Hirntods unter<br />

http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Hirntodpdf.pdf )<br />

Merken:<br />

§ 218 StGB §§ 211 ff. StGB § 1 BGB*<br />

t<br />

Natürlich (hM): Einsetzen der<br />

Eröffnungswehen<br />

Kaiserschnitt: Beginn des ärztlichen<br />

Eingriffs<br />

irreversibler totaler Funktionsausfall<br />

des Gehirns (§ 3 II Nr. 2 TPG)<br />

vollständiger Austritt<br />

aus dem Mutterleib<br />

*Beachte aber die Ausnahmen der §§ 1923 II und 844 II<br />

2 BGB!<br />

II. Systematisches Verhältnis von § 211 und § 212 StGB (und § 216 StGB)<br />

1) Verhältnis von §§ 211 und<br />

212 StGB nach absolut h.L.?<br />

§ 212 StGB: Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte;<br />

§ 211 Qualifikationstatbestand<br />

2


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

2) Verhältnis von §§ 211 und<br />

212 nach der Rspr.?<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

§ 211 und § 212 StGB sind zwei selbständige Tatbestände mit<br />

jeweils unterschiedlichem und abschließend umschriebenem<br />

Unrechtsgehalt (BGHSt 1, 368; 22, 375; 30, 105). Mord ist als<br />

delictum sui generis, das die Strafbarkeit selbständig<br />

begründet, keine Qualifikation zu § 212 StGB.<br />

Beachte aber: Der BGH hat in NJW 2006, 1008 [1<strong>01</strong>2 f] –<br />

jedoch nur in einem obiter dictum – seine bisherige Rspr.<br />

ausdrücklich in Frage gestellt. Auch tauchen immer wieder<br />

Formulierungen wie „Qualifikationsmerkmale des § 211“ in<br />

Entscheidungen auf. Die weitere Entwicklung der Rspr. sollte<br />

also aufmerksam beobachtet werden!<br />

3) Welche Folgen hat die<br />

Entscheidung für die<br />

deliktssystematische<br />

Einordnung von §§ 211, 212<br />

für Täterschaft und<br />

Teilnahme bei den<br />

Tötungsdelikten?<br />

Das klassische Problem der Anwendung des § 28:<br />

Nach § 28 I StGB ist die Strafe des Teilnehmers zu mildern,<br />

wenn bei ihm besondere persönliche Merkmale fehlen, die die<br />

Strafbarkeit des Täters begründen. Gem. § 28 II StGB soll eine<br />

Strafschärfung, -milderung oder ein Strafbarkeitsausschluss,<br />

die das Gesetz bei besonderen persönlichen Merkmalen<br />

vorsieht, für jeden Beteiligten selbständig Anwendung finden.<br />

Für die Strafbarkeit des Teilnehmers gilt für §§ 211, 212 StGB<br />

nach der Rechtsprechung also § 28 Abs. 1 StGB, nach der hL<br />

§ 28 Abs. 2 StGB.<br />

4) In welchen Fällen der<br />

Beteiligung am Mord/<br />

Totschlag ist die Rspr.<br />

allerdings inkonsequent und<br />

kommt zu Ergebnissen, die<br />

sich nur nach § 28 II StGB<br />

sauber begründen lassen?<br />

Besonders prominent ist der Fall der sog. „gekreuzten<br />

Mordmerkmale“, bei denen der Täter andere täterbezogene<br />

Mordmerkmale verwirklicht als der Teilnehmer. Für die hL<br />

ergeben sich bei der Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB keine<br />

Probleme (jeder Beteiligte wird nach seinem MM bestraft).<br />

Um nicht zu einer als ungerecht empfundenen Strafmilderung<br />

des Teilnehmers zu kommen, setzt sich der BGH hier über § 28<br />

I StGB hinweg und beurteilt jeden Beteiligten nach seinen<br />

Mordmerkmalen (i.E. also wie die hL).<br />

Auch hält es die Rspr. für möglich, dass von zwei Mittätern<br />

(wechselseitige Zurechnung!), der eine einen Mord, der andere<br />

einen Totschlag begeht (BGHSt 36, 231) – das ist eigentlich<br />

nur unter § 28 Abs. 2 StGB begründbar.<br />

3


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

5) Wo ist das Problem der<br />

Anwendung von § 28 StGB<br />

bei §§ 211 f. StGB im<br />

Prüfungsaufbau<br />

unterzubringen?<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

Hierzu werden einige vertretbare Aufbauvarianten<br />

vorgeschlagen:<br />

Folgt man der hL (was man sollte), kann die Behandlung des<br />

Problems<br />

a) im subjektiven Tatbestand (beim in Rede stehenden MM…<br />

wo es eigentlich auch hingehört),<br />

b) als Annex zum Tatbestand oder<br />

c) nach der Schuld in einem gesonderten Prüfungspunkt<br />

verortet werden.<br />

(Folgte man der Rspr., wäre die Diskussion nach der Schuld in<br />

der „Strafzumessung“ konsequent.)<br />

Relevante Teilnahmekonstellationen<br />

Täter<br />

Teilnehmer<br />

Strafbarkeit des Teilnehmers<br />

Rspr.<br />

hL<br />

kein MM MM 1./3. Gruppe §§ 212, 26/27<br />

§§ 212, 211, 26/27, 28<br />

II<br />

kein MM MM 2. Gruppe §§ 212, 26/27 §§ 212, 26/27<br />

MM 1./3. Gruppe kein MM §§ 211, 26/27, 28 I §§ 212, 26/27, 28 II<br />

MM 1./3. Gruppe<br />

anderes MM 1./3.<br />

Gruppe<br />

§§ 211, 26/27<br />

(gekreuzte<br />

Mordmerkmale; kein<br />

§ 28 I)<br />

§§ 212, 211, 26/27, 28<br />

II<br />

MM 2. Gruppe<br />

Kenntnis von MM des<br />

Täters<br />

§§ 211, 26/27<br />

(akzessorisch?)<br />

§§§ 212, 211, 26/27<br />

(akzessorisch)<br />

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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

6) Denkfrage: Kann der<br />

BGH der letzten<br />

Konstellation der Tabelle, in<br />

der der Teilnehmer lediglich<br />

Kenntnis von der<br />

Verwirklichung eines<br />

Mordmerkmals der 2.<br />

Gruppe hat, konsequent die<br />

Strafbarkeit des Teilnehmers<br />

wegen Anstiftung zum Mord<br />

nach Akzessorietätsregeln<br />

begründen?<br />

7) Systematisches Verhältnis<br />

von § 211 und § 216 StGB?<br />

8) Konkurrenz von § 211 und<br />

§ 216 StGB?<br />

Der BGH hält § 211 für ein delictum sui generis und folglich<br />

die Mordmerkmale für strafbegründend (auch die der 2.<br />

Gruppe, wenngleich es sich nicht um besondere persönliche<br />

Merkmale iSd § 28 StGB handelt). Dadurch gibt er zu<br />

erkennen, dass ohne die Verwirklichung der Mordmerkmale<br />

etwas für das Unrecht des Mordes Entscheidendes fehle. Eine<br />

Strafbarkeit des Teilnehmers wegen Mordes ließe sich in einem<br />

solchen Fall dann begründen, wenn der Strafgrund der<br />

Teilnahme entweder darin gesehen wird, dass der Teilnehmer<br />

fremdes Unrecht als Erfolg seines Verhaltens verwirklicht (so<br />

die Unrechtsteilnahmetheorie) oder weil er den Täter in<br />

Schuld- bzw. Unrecht verstrickt (Verstrickungstheorien). Wird<br />

hingegen vertreten, dass der Teilnehmer auch selbst das<br />

Rechtsgut der Haupttat angreift und insofern das Unrecht der<br />

Haupttat zumindest in abgeschwächtem Maße verwirklichen<br />

muss (so die Verursachungstheorien), kann eine Person nicht<br />

wegen Teilnahme strafbar sein, wenn ihr Merkmale fehlen, die<br />

für die Person eines Täters als strafbarkeitsbegründend<br />

vorliegen müssen.<br />

Nach der Rechtsprechung ist § 216 StGB ein selbständiger<br />

Tatbestand (BGHSt 13, 165), nach h.L. eine Privilegierung<br />

gegenüber § 212 StGB.<br />

Gesetzeskonkurrenz: §§ 212, 211 werden nach ganz hM von<br />

§§ 212, 216 StGB verdrängt (Sperrwirkung der Privilegierung;<br />

vgl. BGHSt 2, 258 f.; Sch/Sch-Eser § 216 Rn. 2; Lackner/Kühl<br />

§ 216 Rn. 1).<br />

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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

III. Mord (§ 211 StGB)<br />

1) Rechtshistorisches Grundwissen<br />

a) Moderner Grundgedanke<br />

der Mordmerkmale?<br />

Mord als sozialethisch besonders verwerflicher Totschlag.<br />

Dieser Grundgedanke lässt sich geschichtlich auf die deutschrechtliche<br />

Entwicklungslinie zurückführen (dort u. a. Unehrlichkeit<br />

und Heimlichkeit der Tatbegehung als strafschärfendes<br />

Kriterium).<br />

b) Vor Neufassung (1941)? Römisch-rechtliches Kriterium der Tatausführung mit Überlegung<br />

(Art. 137 CCC = Art. 137 der Constitutio Criminalis<br />

Carolina von 1532).<br />

2) Systematik<br />

Wo werden die<br />

Mordmerkmale<br />

deliktssystematisch<br />

eingeordnet?<br />

Die Mordmerkmale sind in 3 Gruppen gefasst:<br />

1. Gruppe = Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs,<br />

Habgier sonstige niedrige Beweggründe<br />

2. Gruppe = Heimtücke, Grausamkeit, mit gemeingefährlichen<br />

Mitteln<br />

3. Gruppe = Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht<br />

Nach ganz hM (vgl. BGHSt 1, 368 [371]; 22, 375 [377];<br />

Paeffgen GA 1982, 255) sind die<br />

- Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe = subjektive<br />

Tatbestandsmerkmale (MM: Schuldmerkmale)<br />

- Mordmerkmale der 2. Gruppe = objektive Tatbestandsmerkmale,<br />

die vom Vorsatz umfasst sein müssen<br />

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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

3) Definitionen (mit Erläuterungen)<br />

a) Aufgrund der<br />

ausnahmslosen lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe hat das<br />

BVerfG Probleme mit § 211,<br />

da es Konflikte mit dem<br />

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />

sieht. Welche<br />

Lösungen dieses<br />

verfassungsrechtlichen<br />

Problems werden<br />

angeboten?<br />

Die Rechtsprechung vertritt vornehmlich die sog.<br />

„Rechtsfolgenlösung“ (BGHSt 30, 105; vgl. auch BGH JZ<br />

1983, 967 mit Anm. Hassemer): Wenn außergewöhnliche<br />

Umstände die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe als<br />

unverhältnismäßig erscheinen lassen, dann soll in Analogie zu<br />

§§ 13 II, 17 S. 2, 21 StGB der Strafrahmen des § 49 I Nr. 1<br />

StGB zugrundegelegt werden (3 bis 15 Jahre).<br />

In NStZ 2003, 425 vertritt der BGH zur Heimtücke allerdings<br />

eine Tatbestandseinschränkung: Der Begriff der Arglosigkeit<br />

wird hier normativ eingeschränkt. Ein Erpresser ist<br />

gegenüber dem Erpressungsopfer, das er durch sein Verhalten in<br />

eine zugespitzte Notwehrlage gebracht hat, nicht arglos, selbst<br />

dann, wenn er faktisch von dem Gegenangriff des<br />

Erpressungsopfers überrascht ist. Entscheidend ist, dass er nach<br />

seinem Vorverhalten nicht überrascht sein durfte (normativer<br />

Maßstab).<br />

Dagegen wendet die hL ein, dass die Rechtsfolgenlösung keine<br />

Grundlage im Gesetz findet. Sie vertritt vielmehr den Weg über<br />

eine möglichst restriktive Auslegung der einzelnen MMe.<br />

Die Lehre von der Typenkorrektur will im Zuge einer<br />

Gesamtwürdigung des Falles die Verwerflichkeit ggf. verneinen.<br />

Dies kann nach einem Teil dieser Lehre durch eine „positive<br />

Typenkorrektur“ nach der die Verwerflichkeit der Tat<br />

nachgewiesen werden muss, oder nach einem anderen Teil<br />

dieser Lehre „negativ“, also bei grundsätzlicher Annahme der<br />

Verwerflichkeit, erfolgen. Danach sind die MMe im Tatbestand<br />

des § 211 nicht mehr als ein Indiz, so dass diese Ansicht mit<br />

Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz einigen schweren<br />

Bedenken ausgesetzt ist.<br />

b) Wo wird die Frage, ob<br />

„Rechtsfolgenlösung“,<br />

„restriktive Auslegung“<br />

oder „Typenkorrektur“ in<br />

Prüfungen relevant?<br />

Im Rahmen der Falllösung besteht selten Anlass, die Ansichten<br />

gegeneinander ausspielen zu müssen. In der Klausur sollte<br />

grundsätzlich nach Maßgabe der hL versucht werden, die<br />

Mordmerkmale restriktiv auszulegen (freilich sind die anderen<br />

Wege vertretbar). Das Wissen um die weiteren<br />

Lösungsvorschläge hilft aber ganz besonders bei der<br />

Einordnung und Bewertung von Argumenten im Streitfalle.<br />

In der mündlichen Prüfung allerdings wird gern einmal über<br />

die unterschiedlichen Einschränkungsversuche gesprochen!<br />

c) Mordlust Aus Mordlust tötet, wem es darauf ankommt, einen Menschen<br />

sterben zu sehen (BGHSt 34, 59, 61; NJW 2002, 382, 384).<br />

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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

d) zur Befriedigung des<br />

Geschlechtstriebes<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs tötet, wer sich durch<br />

den Tötungsakt als solchen oder an der Leiche sexuelle<br />

Befriedigung verschaffen will oder mit dem Tod des Opfers bei<br />

einer Vergewaltigung rechnet (z.B. BGH NJW 1982, 2565;<br />

BGHSt 7, 353, 19, 1<strong>01</strong>, 105; Kühl JA 2009, 566).<br />

Die Rspr. hat es auch ausreichen lassen, wenn der Täter erst<br />

später Befriedigung durch Betrachtung von Aufnahmen des<br />

Tötungsaktes findet (BGHSt 50, 80 dagegen ein großer TdL,<br />

wegen des gänzlich fehlenden Näheverhältnisses zwischen<br />

Tötung und sexueller Befriedigung; der Wortlaut immerhin steht<br />

der Rspr. nicht entgegen).<br />

Nach ganz hM muss zwischen Tötungsopfer und dem sexuell<br />

begehrten Subjekt Identität bestehen (s. nur Kindhäuser BT/1,<br />

2/12; aA aber Maurach/Schroeder/Maiwald BT/I, 2/32).<br />

e) Habgier Habgier ist ein rücksichtsloses Streben nach materiellen Gütern,<br />

also ein Gewinnstreben „um jeden Preis“. (BGHSt 10, 399; 29,<br />

317).<br />

aa) Streitigkeiten um die<br />

Einordnung eines Verhaltens<br />

als „habgierig“ gründen sich<br />

zumeist auf unterschiedliche<br />

Ansichten zum Grund für<br />

den besonderen<br />

Unwertcharakter der<br />

Habgiertötung. Welche drei<br />

Positionen lassen sich hier<br />

grob unterscheiden?<br />

Während eine Ansicht zur Begründung des qualifizierten<br />

Unrechts ausschließlich und ohne weitere Restriktion auf die<br />

Vernichtung von Menschenleben für wirtschaftliche Zwecke<br />

abstellt (z.B. NK-Neumann § 211 Rn. 21), stellt die wohl hM<br />

auf das Verwerflichkeitskriterium des sittlich anstößigen<br />

Gewinnstrebens „um jeden Preis“ ab (BGH NStZ -RR 1999,<br />

235; Lackner/Kühl § 211 Rn. 4). Eine weitere starke Ansicht in<br />

der Literatur betont hingegen den Aspekt der gesteigerten<br />

Gefährlichkeit des hemmungs- und rücksichtslos nach Gewinn<br />

strebenden Täters (Sch/Sch-Eser § 211 Rn. 17; LK-Jähnke<br />

§ 211 Rn. 8).<br />

8


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

bb) Handelt der Täter<br />

habgierig, wenn er –<br />

beispielsweise – seine Frau<br />

umbringt, um keinen<br />

Unterhalt mehr zahlen zu<br />

müssen?<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

Es ist streitig, ob neben Zugewinn auch ein bloßes Ersparen<br />

von Aufwendungen vom diesem Merkmal umfasst ist.<br />

Die Rspr. und ein TdL (BGHSt 10, 399; BGH NStZ 1993, 386;<br />

NK-Neumann § 211 Rn. 22; MüKo-Schneider § 211 Rn. 66).<br />

hält die Art der erstrebten Bereicherung für unerheblich. MüKo-<br />

Schneider § 211 Rn. 66: „[Es] kann kein Zweifel daran<br />

bestehen, dass Tötungen in Vermögenserhaltungsabsicht die<br />

wirtschaftliche Gesamtsituation des Täters verbessern[…].<br />

Hinzu kommen systematische Aspekte. Sie sprechen dafür,<br />

derartige Taten dem Mordmerkmal der Habgier zu subsumieren.<br />

In Fällen des Betruges und der Erpressung handelt in<br />

Bereicherungsabsicht, wer Vermögensnachteile in Form der<br />

Geltendmachung von Ansprüchen durch Täuschung oder<br />

Nötigung abwendet. Es ist nicht einsehbar, weshalb ein<br />

vergleichbares Vorgehen im Mordkontext anders beurteilt<br />

werden sollte.“<br />

Ein großer Teil der Lehre fasst unter das Habgiermerkmal<br />

Konstellationen, in denen es dem Täter um einen Zugewinn geht<br />

(Schönke/Schröder/Eser, § 211 Rdnr. 17; SK-Sinn § 211 Rn.<br />

19). Begründung: Bei „defensiver Struktur“ des Motivs bzw.<br />

„Selbstbegünstigungsmotivation“ sei die Verwerflichkeit des<br />

Motivs nicht mit gleicher Zwangsläufigkeit indiziert wie bei<br />

echter Erwerbsaussicht.<br />

cc) Habgier, wenn der Täter<br />

tötet, um einen ihm<br />

zustehenden rechtmäßigen<br />

Vorteil zu erlangen?<br />

Umstritten:<br />

Nach einer starken Ansicht in der Literatur ist in derartigen<br />

Fällen Habgier abzulehnen, da der Täter keinen echten<br />

Zugewinn erstrebt und auch im Rahmen der §§ 249, 253, 255<br />

eine solches Gewinnstreben die Rechtswidrigkeit entfallen lasse<br />

(so z.B. Rengier BT II 4/13a; vgl. diff. auch Mitsch, JuS 1996,<br />

124.) Will man – also normativ, nicht rein wirtschaftlich<br />

orientiert – das besondere Unrecht des Habgiermordes ohnehin<br />

nur bei der Herstellung eines nicht rechtskonformen Zustandes<br />

der Güterordnung annehmen, ergibt sich dieses Ergebnis<br />

ebenfalls ohne Weiteres (so z.B. MüKo-Schneider § 211 Rn.<br />

65).<br />

Dagegen bringen zahlreiche Autoren vor, dass der für das<br />

Mordmerkmal der Habgier konstitutive Gesichtspunkt der<br />

Vernichtung eines Menschenlebens für wirtschaftliche Zwecke<br />

des Täters eine Differenzierung nach dem Kriterium der<br />

„Rechtmäßigkeit“ des angestrebten wirtschaftlichen Vorteils<br />

nicht zulasse (so ausdr. NK-Neumann § 211 Rn. 23; auch LK-<br />

Jähnke § 211 Rn. 8; Sch/Sch-Eser § 211 Rn. 17).<br />

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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

f) Sonstige niedrige<br />

Beweggründe<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

Nach (im Wesentlichen kaum angegriffener) Formulierung des<br />

BGH sind dies solche Motive, die nach allgemeiner sittlicher<br />

Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose,<br />

triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders<br />

verwerflich, ja verächtlich sind (BGHSt 3, 132; Beispiele:<br />

Tötung des einem Liebesverhältnis entgegenstehenden Ehegatten;<br />

Tötung aus Ausländer- oder Rassenhass).<br />

Die Einordnung als niedrige Beweggründe erfordert stets eine<br />

Gesamtwürdigung der Situation.<br />

aa) Lassen sich niedrige<br />

Beweggründe grob in<br />

Gruppen einteilen? Falls ja,<br />

welche?<br />

Grob können zwei Gruppen ausgemacht werden:<br />

1. Die Tat ist keine verständliche Reaktion auf die Situation<br />

(dies betrifft v.a. Tötungen aus Neid, Rache, Wut, Hass oder<br />

Eifersucht; natürlich kann im Einzelfall – ein Blick auf §<br />

213 verdeutlich dies – in diesen Fällen auch anders<br />

entschieden werden)<br />

2. Die Tat ist Ausdruck krasser Eigensucht des Täters (Fälle,<br />

in denen der Täter das Leben anderer rücksichtslos zur<br />

Erreichung eigener Ziele instrumentalisiert).<br />

bb) Kann der Täter sich<br />

gegen den Vorwurf eines<br />

Mordes aus niedrigen<br />

Beweggründen darauf<br />

berufen, dass in seinem<br />

Kulturkreis die Tat<br />

keinesfalls als verwerflich,<br />

sondern ggf. sogar als<br />

höchstverständlich<br />

angesehen werde?<br />

Früher hat die Rechtsprechung auch Wertvorstellungen, die<br />

durch andere Kulturen geprägt sind, entlastend bei der<br />

Feststellung nBe beachtet (BGH JZ 1980, 238; NJW 1995, 602;<br />

StV 1997, 565 [566]: Tötung wegen gekränkter Familienehre).<br />

Seit BGH NStZ 2002, 369 sollen aber nicht Anschauungen<br />

einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte der<br />

Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht<br />

anerkennt, Berücksichtigung finden (s. auch BGH NJW 2006,<br />

1008).<br />

g) Heimtücke Heimtückisch tötet, wer in feindseliger Willensrichtung die Argund<br />

Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt (hM<br />

BGHSt 9, 385; LPK-Kindhäuser § 211 Rn. 17).<br />

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Examensrepetitorium Strafrecht<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

aa) Welches<br />

Prüfungsprogramm ist für<br />

die Heimtücke zu befolgen?<br />

Aufbau:<br />

1) objektiv:<br />

a) Das Opfer ist arglos, wenn es keinen Angriff auf Leib und<br />

Leben befürchtet (BGH NStZ 1991, 233). Bei Kleinkindern<br />

kommt Heimtücke bei arglistiger Ausschaltung von<br />

Hilfspersonen in Betracht. Der BGH nimmt auch bei<br />

Verabreichen von Gift in süßem Brei Arglosigkeit von<br />

Kleinkindern an (BGHSt 8, 216, Ausschaltung von natürlichen<br />

Abwehrinstinkten; a. A. Rengier, MDR 1980, 1 [5] m. w. N.).<br />

Bei Geisteskranken ist die Fähigkeit zur Anteilnahme an der<br />

Umgebung und damit zur Arglosigkeit i. d. R. nicht aufgehoben.<br />

Es kann aber der Vorsatz fehlen, wenn der Täter den<br />

Geisteskranken nicht zutraut, dass sie etwas mitbekommen<br />

könnten, BGH JZ 1974, 512.<br />

b) Das Opfer ist wehrlos, wenn es aufgrund seiner Arglosigkeit<br />

in seiner Verteidigungsfähigkeit zumindest erheblich eingeschränkt<br />

ist (BGH GA 1971, 113).<br />

c) Kausalzusammenhang zwischen Arg- und Wehrlosigkeit<br />

d) Maßgeblicher Zeitpunkt für Arg- und Wehrlosigkeit: Beginn<br />

des Tötungsversuchs (Ausnahmen nach der Rspr.: Ausnutzen der<br />

Arglosigkeit des Opfers im Vorbereitungsstadium, um es wehrlos zu<br />

machen, reicht nach der Rechtsprechung (BGHSt 22, 77) aus, auch wenn<br />

das Opfer zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns nicht mehr arglos ist<br />

(Locken in eine Falle nach wohlüberlegtem Plan mit Tötungsvorsatz)<br />

oder wenn bei mehraktigem Tatgeschehen der Täter bereits den (sonst ja<br />

Arglosigkeit ausschließenden) Zustand der Bewusstlosigkeit unter<br />

Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers herbeiführt (BGH JR<br />

2008, 391)<br />

e) Nach einem TdL (z.B. Sch/Sch-Eser § 211 Rn. 26; Miehe<br />

JuS 1996, 1000, 1004), die sich der restriktiven Auslegung<br />

des § 211 verpflichtet sieht, verlangt das besondere<br />

Verwerflichkeitsurteil der Heimtücke zudem einen<br />

Vertrauensbruch. Die Arglosigkeit des Opfers muss damit<br />

gerade auf dem Vertrauen zum Täter beruhen. Als<br />

Argumente werden angeführt, dass so auch entlastende<br />

Motive berücksichtigt werden könnten und typischerschweise<br />

körperlich schwache Täter nicht stets wegen Mordes haften<br />

müssten. Dagegen wird aber eingewendet, dass der Begriff<br />

des Vertrauens zu vage sei und gerade der typische<br />

Meuchelmord dann nicht unter das Tatbestandsmerkmal falle,<br />

da bei diesem es typischerweise an einer<br />

Vertrauensbeziehung fehle (vgl. nur LPK–Kindhäuser § 211<br />

Rn. 23).<br />

11


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

2) subjektiv:<br />

a) Vorsatz<br />

b) Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (BGH<br />

NStZ 1987, 173; 1987, 554). Fehlt insbesondere bei Spontantaten,<br />

Taten im Erregungszustand, Verzweiflungstaten.<br />

c) feindselige Willensrichtung (BGHSt 37, 376 mit Anm.<br />

Roxin NStZ 1992, 35). Fehlt, wenn der Täter zum vermeintlich<br />

Besten des Opfers handelt, z. B. um einem Todkranken schwere<br />

Schmerzen zu ersparen.<br />

bb) Ist ein Schlafender<br />

arglos?<br />

Wird immer wieder bestritten.<br />

Vertreter der hM merken sich: Schlafende nehmen ihre<br />

Arglosigkeit mit in den Schlaf, nicht aber Bewusstlose und<br />

Kleinkinder bis ca. zum Alter von drei Jahren (s. nur BGHSt 8,<br />

216, 218; 23, 119, 120; BGH NStZ 2003, 482).<br />

Dagegen werden aber von einer MM Bedenken erhoben: So sei<br />

es nicht einsehbar, warum der Schlafende unterschiedlich zum<br />

Bewusstlosen behandelt werden sollte. Beide sind<br />

gleichermaßen in der Tatsituation (!) nicht zum Argwohn fähig<br />

(lesenswert Kretschmer, Jura 2009, 740 ff.).<br />

f) Grausamkeit Grausam tötet, wer dem Opfer besondere Schmerzen<br />

körperlicher oder seelischer Art, die nach Stärke oder Dauer<br />

über das für die Tötung unvermeidliche Maß hinausgehen, aus<br />

gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung zufügt.<br />

aa) Aufbau Grausamkeit<br />

1) objektiv<br />

a) erhebliche Schmerzen körperlicher oder seelischer Art, die<br />

nach Stärke und Dauer über das für die Tötung<br />

unvermeidliche Maß hinausgehen.<br />

b)Maßgeblicher Zeitpunkt: Versuchsbeginn der Tötung (BGH<br />

NJW 1986, 265 [266]; 1988, 2682). Die Tötungshandlung<br />

selbst muss grausam sein, es genügt nicht Quälen nach Setzen<br />

der Todesursache, wenn sich dieses Quälen nicht auf den zum<br />

Tode führenden Kausalverlauf auswirkt (BGHSt 37, 40 [41]),<br />

oder Quälen mit Körperverletzungsvorsatz mit anschließender<br />

Tötung ohne besondere Schmerzen.<br />

2) subjektiv<br />

a) Vorsatz<br />

b)gefühllose, unbarmherzige Gesinnung<br />

12


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

g) mit gemeingefährlichen<br />

Mitteln<br />

aa) Reicht es für die<br />

Gemeingefährlichkeit des<br />

Mittels aus, wenn lediglich<br />

ein Todesrisiko für das<br />

eigentlich anvisierte Opfer<br />

besteht, Dritte allerdings<br />

nur in Gefahr körperlicher<br />

Verletzungen schweben<br />

(Exemplarisch: Der Täter<br />

schüttet dem Opfer ein Glas<br />

ätzender Säure ins Gesicht,<br />

wobei offensichtlich ist, dass<br />

zahlreiche Umstehende<br />

Verätzungen erleiden<br />

dürften.)<br />

f) Grund der Straferhöhung<br />

bei Ermöglichungs- und<br />

Verdeckungsabsicht?<br />

aa) Straftat?<br />

Gemeingefährlich ist nach hM ein Tötungsmittel, das in der<br />

konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib<br />

und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der<br />

Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (BGHSt 38, 353 [354]; vgl.<br />

auch BGH NJW 1985, 1477). Kennzeichnend für die<br />

Gemeingefährlichkeit ist also die mangelnde Kontrollierbarkeit<br />

der Wirkungsweise des Mittels durch den Täter. Exemplarisch:<br />

Brandstiftung, Gefährdung beliebig vieler Personen durch die<br />

Verwendung von Gift oder Sprengstoff, Steinwürfe von einer<br />

Autobahnbrücke, Maschinenpistole; nach BGHSt 38, 353 nicht<br />

der einzelne Schuss mit einer gewöhnlichen Schusswaffe, auch<br />

nicht, wenn in eine Menschenmenge geschossen wird. Vielmehr<br />

fehle es hier an der erforderlichen Unberechenbarkeit der<br />

Gefahr für unbestimmte viele Menschen, die die besondere<br />

Rücksichtslosigkeit des Täters beim Einsatz gemeingefährlicher<br />

Mittel kennzeichne (das kann man freilich auch anders sehen).<br />

1. Nach ganz hM ja.<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

2. Restriktivere Lehren verlangen zum Teil aber auch<br />

Lebensgefahr für Dritte (NK-Neumann § 211 Rn. 86 f.); zum<br />

Teil sogar Lebensgefahr für mindestens 10 Personen (Zieschang<br />

Puppe-FS, 1316 ff.). Grund: Allein die bloße Gefährdung der<br />

körp. Integrität Dritter vermag den „Sprung“ zur lebenslangen<br />

Strafe wegen Mordes nicht zu tragen.<br />

Finale Verknüpfung der Tötungshandlung mit einer weiteren<br />

Straftat.<br />

Die „Straftat“ im Sinne der Regelung muss nach der<br />

Sachverhaltsvorstellung des Täters eine strafbare (iSv<br />

„tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft“) sein.<br />

Die andere Tat braucht objektiv nicht begangen worden zu sein<br />

(„Absicht“; vgl. BGHSt 28, 93).<br />

Die Tat kann die des Täters oder eines Dritten sein (BGHSt 9,<br />

180; BGH NJW 1996, 939).<br />

13


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

bb) Was setzt „um zu<br />

ermöglichen oder zu<br />

verdecken“ subjektiv<br />

voraus?<br />

cc) Reicht es aus, wenn der<br />

Täter die Tat nicht vor den<br />

Strafverfolgungsbehörden,<br />

sondern nur sonstigen<br />

Dritten verdecken will?<br />

Absicht = zielgerichtetes Wollen: Finalzusammenhang zwischen<br />

Tötung und anderer Tat (BGH NStZ 1996, 81).<br />

Die Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat muss<br />

nicht das alleinige Motiv für die Tötung sein (BGH NStZ<br />

2003, 261), jedoch schon entscheidender Grund (LPK-<br />

Kindhäuser § 211 Rn. 32).<br />

Streitig (und beliebtes Klausurproblem!):<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

Nach hM ja. Es genügt, wenn der Täter nur unerwünschte<br />

Reaktionen auf die Tat, die von beliebigen Dritten drohen,<br />

vermeiden will.<br />

Begründung: Grund für die Aufnahme der Verdeckungsabsicht<br />

als Mordmerkmal ist die Verknüpfung von Unrecht mit<br />

Unrecht (s. nur LPK-Kindhäuser § 211 Rn. 36; BGHSt 41, 8, 9;<br />

S/S-Eser § 211 Rn. 34). Dafür mag in der Tat sprechen, dass<br />

ansonsten der Mord „durch die Hintertür“ zu einem Delikt<br />

gegen die Rechtspflege gemacht würde.<br />

Nach der Gegenansicht ist die Anwendung des Mordmerkmals<br />

auf „strafvereitelungsmotivierte“ Verdeckungstötungen zu<br />

beschränken. Der Aspekt der Unrechtskumulation sei zu wenig<br />

aussagekräftig, um die massive Straferhöhung des Mordes zu<br />

begründen. Die Beschränkung des Wortlautes auf<br />

„Straftaten“, auf die naturgemäß Strafverfolgung folgt, spreche<br />

für die engere Auslegung. Damit einher gehe ein hohes Maß an<br />

Bewertungssicherheit, da strafvereitelungsmotivierte<br />

Verdeckungstötungen ohne weitere Tatanalyse als rechtswidrig<br />

und höchststrafwürdig bewertet werden könnten (vgl. nur<br />

MüKo-Schneider § 211 Rn. 225 mwN).<br />

14


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

dd) Ist ein Verdeckungsmord<br />

auch bei Tötungen durch<br />

Unterlassen (bei<br />

Garantenstellung) möglich?<br />

Exemplarisch:<br />

Verkehrsteilnehmer lässt das<br />

erheblich verletzte Opfer<br />

seiner Fahrlässigkeitstat mit<br />

Tötungsvorsatz am Unfallort<br />

hilflos liegen (Ingerenz) und<br />

entfernt sich, weil er nicht als<br />

Täter zur Verantwortung<br />

gezogen werden will (kurz<br />

nach BGHSt 7, 287 f.).<br />

ee) Wie ist zu entscheiden,<br />

wenn Verdeckungsabsicht<br />

und (nur) bedingter<br />

Tötungsvorsatz<br />

zusammenfallen?<br />

Exemplarisch: Der Täter will<br />

seinen früheren Raub-<br />

Komplizen durch massive<br />

Schläge und Tritte daran<br />

hindern, sich der Polizei zu<br />

stellen. Dass diese<br />

Malträtierung auch tödlich<br />

enden könnte, nimmt er dabei<br />

durchaus in Kauf.<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

1. Heutige hM (LPK-Kindhäuser § 211 Rn. 38; NK-Neumann<br />

§ 211 Rn. 102 BGH NStZ 1992, 125 mit Hinweis auf bereits<br />

BGH bei Dallinger MDR 1966, 24 = Unterlassene Hilfe nach<br />

Vergewaltigung; ebenso BGH NStZ 2003, 312 f.; 2004, 294;<br />

BGHSt 41, 358 [362]): Verdeckung durch Unterlassen möglich.<br />

Die Entsprechungsklausel des § 13 StGB gelte nicht für<br />

täterbezogene Merkmale wie die Verdeckungsabsicht, sondern<br />

nur für verhaltensgebundene Delikte. Auch werde dem<br />

Unterlassungstäter nur die garantenpflichtwidrig unterbliebene<br />

Erfolgsabwendung und nicht eine sonst irgendwie geartete<br />

Risikosteigerung vorgeworfen (s. zum Ganzen MüKo-Schneider<br />

§ 211 Rn. 241 ff.)<br />

2. Früher nahm der BGH an (BGHSt 7, 287, 290 f.), dass ein<br />

Verdecken durch Unterlassen nicht möglich sei, weil Verdecken<br />

= „Zudecken“, d. h. mehr als „Nichtaufdecken“ sei. Wenn der<br />

Täter lediglich davon absehe, seine Täterschaft aufzudecken,<br />

fehle es an der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens.<br />

In der Literatur wird teilweise weiterhin ein Ergebnis wie die<br />

frühere Rspr. vertreten (Freund/Schaumann, JuS 1995, 805 f.;<br />

Mitsch, JuS 1996, 218 f.). Begründung: Der Unrechtsgehalt<br />

einer passiven Entdeckungsvereitelung sei nicht mit einer<br />

aktiven Verdeckungstötung vergleichbar, § 13 I StGB a. E.<br />

(Gleichstellungsklausel). Unterlassen ist danach kein<br />

verdeckungstaugliches Verhalten, das bloße Sich-Entfernen sei<br />

daher keine Tötung zur Verdeckung.<br />

War früher recht umstritten. Mittlerweile vertritt die hM, dass es<br />

keiner strikten „Mittel-Folge“-Verknüpfung bedarf, sondern es<br />

ausreichen kann, wenn die Tathandlung in Verdeckungsabsicht<br />

erfolgt und der Tod des Opfers damit in Kauf genommen wird<br />

(BGH NJW 1999, 1039, 1040; LPK-Kindhäuser § 211 Rn. 33;<br />

MüKo-Schneider § 211 Rn. 190 ff.; v.a auch zur Rspr.-<br />

Entwicklung lesenswert MüKo-Schneider).<br />

15


Examensrepetitorium Strafrecht<br />

ff) Der Täter schlägt mit<br />

bedingtem Tötungsvorsatz<br />

auf sein Opfer ein. Noch<br />

während dieses Vorganges<br />

entschließt sich der Täter bis<br />

zum bitteren Ende auf das<br />

Opfer einzuschlagen, da er<br />

fürchtet, wegen der schweren<br />

Misshandlungen straf- und<br />

zivilrechtlich belangt zu<br />

werden.<br />

Verdeckungsabsicht?<br />

g) Müssen die niedrigen<br />

Beweggründe der 1. und 3.<br />

Gruppe die einzigen Motive<br />

sein, oder können diese<br />

Mordmerkmale auch schon<br />

im Falle eines Motivbündels<br />

bejaht werden?<br />

Nein. Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden:<br />

Dr. Kay H. Schumann<br />

(für das WS 2<strong>01</strong>3/14 aktualisierte und umfassend überarbeitete Version<br />

der Ur-Skripten von Kindhäuser/Toepel/Schumann)<br />

1. Dass der Täter nur seine Täterschaft, jedoch nicht die Tat als<br />

solche verdecken will, ist unerheblich: Gegenstand der<br />

Verdeckung kann die Tat oder die Beteiligung daran sein<br />

(BGH bei Dallinger MDR 1966, 24; NJW 1992, 584).<br />

2. Nach hM ist zwischen Vortat und Tötung keine zeitliche<br />

Zäsur erforderlich; die Taten können ineinander übergehen,<br />

jedoch müssen sie unterscheidbar bleiben. Das bloße Übergehen<br />

von Schlägen mit bedingtem Tötungsvorsatz zu Schlägen mit<br />

Tötungsabsicht reicht daher nicht aus (LPK-Kindhäuser § 211<br />

Rn. 37 mit weiteren Beispielen; BGH NStZ 120.<br />

Nach der Rspr. können die niedrigen Beweggründe mit anderen<br />

Motiven konkurrieren, sie müssen jedoch nach einer<br />

Gesamtwürdigung die bewusstseinsdominanten Beweggründe<br />

gewesen sein (BGH NJW 1995, 2365, 2366).<br />

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