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Birgitta Weimer - Zeit Kunstverlag

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<strong>Birgitta</strong><br />

<strong>Weimer</strong><br />

keitsbeziehung wesentlicher Formmerkmale zugänglich zu machen.<br />

Daß dabei ein Moment von Empirie Voraussetzung ist,<br />

versteht sich von selbst.<br />

»Parallel zur Natur« hingegen beruht als Methode stets auf einer<br />

Setzung, entbehrt folglich, zumindest weithin, jedweden empirisch<br />

gegründeten Fundaments. Mithin verläuft für Mondrian die<br />

anschauliche Erkenntnis der Grundstrukturen von Natur und<br />

Wirklichkeit denn auch über den Akt der Gestaltung, der Konstruktion.<br />

»In der Natur sind alle Verhältnisse verschleiert durch<br />

die Materie. – Solange die Gestaltung sich irgendwelcher ›Form‹<br />

bedient, ist es ausgeschlossen, reine Verhältnisse zu gestalten.<br />

Der Weg der neuen Gestaltung ist eine Konstruktion, welche die<br />

Bildung begrenzender Formen vermeidet, dadurch kann sie ein<br />

objektiver Ausdruck der Realität sein.«8 Für ihn gilt es, die der<br />

unfaßbaren Vielfalt der Natur zugrunde liegende, sie prägende<br />

Struktur in eindeutigen Formen der Konstanz zu fassen, in<br />

Grundformen also wie etwa dem Quadrat.<br />

Beider Naturauffassung allerdings basiert auf einem Weltbild,<br />

das zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt gemeinhin noch ein deutlich anthropozentrisches<br />

gewesen ist, kurz: der Mensch als Schöpfer einer<br />

kulturalisierten Natur. Folglich war und ist Natur nicht mehr eine<br />

ursprüngliche – wie noch für die Romantiker –, sondern nur<br />

noch eine durch Landschaft vermittelte. Doch wurde diese vom<br />

Menschen produzierte ›zweite‹ Natur schließlich zunehmend von<br />

Künstlern als eine problematische verstanden und nicht selten<br />

innerhalb des Gegensatzpaares Kultur – Natur thematisiert. Man<br />

denke in diesem Zusammenhang nur an die Land-Art. <strong>Zeit</strong>genössische<br />

Künstler nun beziehen ihr Formenrepertoire immer<br />

häufiger aus Forschungslaboratorien, aus der Welt der Wissenschaften,<br />

jener Welt, in der hartnäckig an der Verschiebung der<br />

seit Menschengedenken gültigen, unantastbaren Grenzen zwischen<br />

natürlichem und künstlichem Leben gearbeitet wird – der<br />

sogenannten Dritten Natur. Daher ist dann im ausgehenden 20.<br />

bzw. beginnenden 21. Jahrhundert, wie Söke Dinkla in ihrem<br />

Aufsatz ›Von der Ersten zur Dritten Natur‹ überzeugend darlegt,<br />

»der ›neue Mensch‹ [...] nicht der für seine Selbstüberschätzung<br />

bestrafte ›Übermensch‹, es ist auch nicht der ›secundus deus‹ –<br />

der Mensch als zweiter Gott –, der von der Renaissance bis in<br />

die Moderne überlebt hat, sondern es ist der Mensch als Mediator,<br />

als Vermittler zwischen den Überlappungen der ersten,<br />

zweiten und dritten Natur.«9<br />

So provozieren die Arbeiten von <strong>Birgitta</strong> <strong>Weimer</strong> Fragen, deren<br />

Beantwortung uns nicht allein zu den Natur-Wissenschaften<br />

führt. Und natürlich implizieren sie die Antworten nicht eindeutig,<br />

weisen eher die Richtung, wo diese vielleicht zu finden sind – in<br />

Bereiche, in denen wiederum nach Antworten gesucht wird.<br />

Denn auch wenn die Grenze des Erklärbaren noch immer weiter<br />

verschoben wird, auf die viel zitierte Frage nach dem, »was die<br />

Welt im Innersten zusammenhält«, gibt es nach wie vor keine<br />

endgültige Antwort. Die Arbeiten von <strong>Birgitta</strong> <strong>Weimer</strong> sind denn<br />

auch notwendigerweise Teil dieses Findungsprozesses, dieser<br />

Suche, sind als Setzungen der Offenheit, Fortsetzbarkeit, der<br />

Symmetrie und der Kontraste Teil der jeder fragenden Suche inhärenten<br />

Dynamik. Auf diesen ›stato nascendi‹ bezogen hat<br />

Werner Heisenberg für Natur-Wissenschaft und Kunst gleichermaßen<br />

gefolgert: »Obwohl es sich am Ende um neue Gestaltung<br />

und das Bilden neuer Formen handelt, können die neuen Formen<br />

nur aus dem neuen Inhalt entstehen; es kann nie umgekehrt<br />

gehen. Neue Kunst machen, heißt also, so würde ich vermuten,<br />

neue Inhalte sichtbar oder hörbar zu machen – nicht nur<br />

neue Formen erfinden.«10 <strong>Birgitta</strong> <strong>Weimer</strong> unternimmt immer<br />

wieder Ausgriffe auf jene Forschungsgebiete, deren Erkenntnisse<br />

eng mit der revolutionären Veränderung des Menschenbildes<br />

unserer <strong>Zeit</strong> zusammenhängen, wenn nicht sogar diese bedingen.<br />

Denn Kunst ist für sie anschauliches Denken, ist Erkenntnisprozeß<br />

– der sie auf jenen Weg zwischen Kunst und Wissenschaft<br />

führt, der weder analog noch parallel verläuft und<br />

Arbeiten entstehen läßt, die die Strukturen von Wirklichkeit imaginieren,<br />

nicht aber deren Gesetze. »Dieser Wieso-Effekt, das<br />

Erstaunen, das tou mazein im Griechischen, steht« für den Soziologen<br />

Niklas Luhmann, »ja überhaupt am Anfang der Kunst.<br />

Das ist (für den Betrachter) die schockartige Konfrontation mit<br />

einer anderen Realität, die auch Ordnung zu sein verspricht.«11<br />

Quelle Natur, Ressource Kunst<br />

Auf den Werkkomplex der ›Tropen‹ (Abb. 8) bezogen, spricht<br />

<strong>Birgitta</strong> <strong>Weimer</strong> von der »Überführung der Source Natur in die<br />

Ressource Kunst«. Dies gilt auch in Hinblick auf die Serie ›Ressourcen‹<br />

von 1995 (Abb. 7). Die Unterscheidung zwischen Ressource<br />

und Source erklärt sich hierbei aus der französischen<br />

Bedeutung beider: Ressource bezieht sich auf das Materielle,<br />

auf Bodenschätze. »In seiner ökonomischen Sinngebung aber<br />

wird es zum Mittel, mit dem etwas – Handel, Tausch – möglich<br />

wird. Das Wort zerfällt somit in zwei Teile. Einerseits klingt in<br />

ihm der materielle Ursprung, eine Quelle (source) an, andererseits<br />

stellt es den Mechanismus dar, der die source zu einer ressource,<br />

zu einem Mittel innerhalb eines Mechanismus macht.<br />

Darin aber verliert der materielle Ursprung an Substanz, da er<br />

ohne die Mittel zu seiner Nutzbarmachung nutzlos bliebe.«12<br />

Parallelen zur ›Ressource‹ Kunst ergeben sich da von selbst.<br />

In dieser Serie hat <strong>Birgitta</strong> <strong>Weimer</strong> Körner und Samen in Paraffin<br />

eingegegossen, sie somit konserviert, doch zugleich auch ihrer<br />

Nutzbarmachung entzogen. Abhängig von der Farbigkeit der<br />

verwendeten Körner und ihrer jeweiligen Form entstehen leicht<br />

in sich strukturierte, beinahe monochrome Farbtafeln – Quadrate,<br />

geformt aus dem künstlichen Material Paraffin, eine ›künstliche‹<br />

Grundform, die die chaotisch anmutende Sammlung natür-<br />

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