11.02.2014 Aufrufe

Heim-Skandal: Neue Vorwürfe - Potsdamer Neueste Nachrichten

Heim-Skandal: Neue Vorwürfe - Potsdamer Neueste Nachrichten

Heim-Skandal: Neue Vorwürfe - Potsdamer Neueste Nachrichten

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

POTSDAM AM SONNTAG, 7. Juli 2013 POTSDAM<br />

SEITE 3<br />

Von Katharina Wiechers<br />

Der <strong>Potsdamer</strong> Campingplatz<br />

„Sanssouci“ hat alles, was sich<br />

der ordentliche deutsche Zelt-<br />

Innenstadt - Es dauert keine<br />

fünfMinuten,daistdieersteRadlerin<br />

da: Die junge Frau im roten<br />

T-Shirt und mit dicken Kopfhörern<br />

über den Ohren schwenkt<br />

mit Schwung an den rot-weißen<br />

Absperrbaken vorbei aufs Tramgleis.<br />

Ob sie ein Warnsignal von<br />

Tram oder Bus hören würde, ist<br />

unklar. Zwei Fußgänger schlendern<br />

derweil auf dem schmalen<br />

Die Dauercamper an der Erich-Allee<br />

Auf dem <strong>Potsdamer</strong> Campingplatz scheiden sich die Geister an merkwürdigen DDR-Reminiszenzen<br />

„Sieht doch lustig aus“, sagt Campingplatz-Chef von Ohlen über das Straßenschild „Erich-Allee“ auf seinem Zeltplatz. „Unmöglich“<br />

finden es Camper, die dort schon zu DDR-Zeiten Urlaub machten. Fotografieren lassen wollten sie sich nicht. Urlaub am<br />

Trabbiweg. Die Touristen aus Friesland (r.o.) bemerkten ihren Trabbiweg erst nicht. Auch Frank Henkel (r. M.) stört sich nicht an<br />

seiner ungewöhnlichen Adresse auf Zeit. Die jeweiligen Illustrationen (r.u.) soll Kindern bei der Orientierung helfen. Fotos: A. Klaer<br />

StreifenzwischenGleisundBreiter<br />

Straße in Richtung Bahnhof,<br />

eine weitere Radfahrerin überholt<br />

sie. Von der Langen Brücke<br />

nimmt der nächste Radler Kurs<br />

aufs Gleisbett – nur wenige Meter<br />

vor eine Tram, die deshalb<br />

bremsen muss. Binnen 15 Minuten<br />

nutzen am Landtagsneubau<br />

zehn Radler und elf Fußgänger<br />

die Abkürzung über die Gleise,<br />

platzbesucher wünscht: gepflegte<br />

Wege unter Schatten<br />

spendenden Bäumen, saubere<br />

Toiletten, eine familiäre Atmosphäre<br />

und klar geregelte Ruhezeiten.<br />

Der ADAC, quasi oberste<br />

Instanz beim Urteil über Campingplätze,<br />

zeichnete den einzigen<strong>Potsdamer</strong><br />

Zeltplatz vor drei<br />

JahrenmitdemCampingCaravaning<br />

Award für sein „exzellentes<br />

Service-Konzept“ aus.<br />

Zu dieser perfekten kleinbürgerlichen<br />

Idylle am Templiner See<br />

passen auch die meisten Namen,<br />

die sich die Betreiber für die<br />

Wege durch die Reihen von ZeltundDauercamperplätzenausgedachthaben:Fasanenweg,Fuchsweg<br />

oder Schneckenweg steht<br />

auf den grünen Schildern, daneben<br />

jeweils ein nettes kleines<br />

Bild der Tiere. Doch einige wenigeSchilderbrechenausderLogik<br />

der harmlosen Tierwelt<br />

aus: Der Hauptweg entlang des<br />

Seeufers heißt DDR-Promenade.<br />

Sie ist eine Verlängerung<br />

der Erich-Allee, wird gekreuzt<br />

vomTrabbi-Weg.Erinnerungan<br />

vergangene Zeiten? Witz? Gar<br />

politisches Statement?<br />

Auf dem Platz gehen gehen die<br />

Meinungen darüber auseinander.<br />

Und auch wenn es nur um<br />

eine Handvoll kleiner grüner<br />

Schilder geht, wirft die alle paar<br />

Jahre wieder hochkochende Debatte<br />

um die Straßennamen ein<br />

bezeichnendes Bild auf das Verhältnis<br />

zwischen Ost und West<br />

in Potsdam – fast 24 Jahre nach<br />

der Wende.<br />

Auf der einen Seite stehen die,<br />

die sozusagen schon immer da<br />

waren. Wie jenes Rentnerehepaar,dasseit1970Dauercamper<br />

auf dem Platz am Templiner See<br />

sei,wiedieFrauMitte60stolzerzählt.<br />

„Aber das sollen wir ja<br />

nicht mehr sagen, Langzeitbesucher<br />

heißt das jetzt.“ Sie trägt<br />

ihre weißen Haare sportlich<br />

kurz, hat ein freundliches GesichtundwacheAugen.IhrKaravan<br />

liegt direkt am Seeufer und<br />

damit an der DDR-Promenade.<br />

Darauf angesprochen, sprudelt<br />

es aus beiden heraus. Ihren Namen<br />

wollen sie aber nicht nennen.<br />

„Sonst müssen wir hier<br />

weg.“DieBetreiberseienWessis<br />

und hätten kein Recht, solche<br />

Straßennamen zu vergeben,<br />

schimpft die Frau. „Die haben<br />

gar keine Ahnung, wie das hier<br />

war.Wirfindendasunmöglich“.<br />

Und sie haben noch mehr auszusetzen<br />

an den Campingplatzchefs.<br />

Ja, man müsse ihnen zugestehen,dassderPlatzsauberund<br />

ordentlich ist. „Aber jetzt tun die<br />

soalshättensiehieralleserschaffen.Aberdasseshiersoschönist<br />

ist ja nicht deren Verdienst.“ Sogar<br />

im Gegenteil, wettert der<br />

Mann: Der Weg vor ihrem Camper<br />

sei noch zu DDR-Zeiten gebaut<br />

worden und bis zuletzt im<br />

besten Zustand gewesen. Doch<br />

dann hätten die Betreiber ihn kaputt<br />

gemacht, indem sie mit<br />

schwerem Baugerät darüberfuhren.<br />

Wie auf Bestellung biegt in<br />

diesem Moment ein Traktor auf<br />

die DDR-Promenade. „Sehen<br />

Sie“, sagt der Rentner.<br />

Auf der anderen Seite steht Walter<br />

von Ohlen, einer der beiden<br />

Pächter des Platzes. Schon vor<br />

der Wende hatte er einen Campingplatz<br />

im Westen der Republik.<br />

Als dann die Grenzen geöffnet<br />

wurden, reiste er ein Jahr<br />

lang durch die ehemalige DDR<br />

und suchte nach einem geeigneten<br />

Ort für seinen Neustart.<br />

SchließlichentdecktederOldenburger<br />

den seit 1955 bestehenden<br />

Zeltplatz „Gaisberg“ am<br />

Templiner See. Er verkaufte all<br />

seinen Besitz und übernahm mit<br />

statt den vorgesehenen Weg<br />

über den Alten Markt zu nehmen.<br />

Und das ist noch vergleichsweise<br />

harmlos. Der Sanierungsträger,<br />

der für die Gestaltung des<br />

Landtagsumfeldes zuständig ist,<br />

schlugunlängstAlarm:Sogar Senioren<br />

mit Rollatoren und Eltern<br />

mit Kinderwagen seien auf den<br />

Gleisen gesehen worden. Radler<br />

seinemSchwagerDieterLübberding<br />

den Platz.<br />

Erstmal musste er „aufräumen“,<br />

wie von Ohlen es ausdrückt. Die<br />

Camperhättenteilsselbstgezimmerte<br />

HolzzäuneumihreWagen<br />

gebaut, „furchtbar hässlich“. Als<br />

er verlangte, dass sie abgebaut<br />

werden, gab es Reibereien. Von<br />

Ohlen sagt nicht „Reibereien“,<br />

sondern schlägt die Knöchel seiner<br />

Fäuste aneinander. Doch mit<br />

einem Ost-West-Konflikt hätten<br />

die Straßennamen nichts zu tun,<br />

sagt von Ohlen und lacht.<br />

Die Bezeichnungen seien damals<br />

eingeführt worden, weil<br />

der ADAC dies empfohlen habe,<br />

zur besseren Orientierung. Damit<br />

sich auch die Kinder merken<br />

können, an welchem Weg das<br />

Mit Rad oder Rollator im Gleisbett<br />

Warnung vor gefährlicher Abkürzung auf Schienen am Landtag, doch Schilder und Sperrbaken werden oft ignoriert<br />

und Passanten würden davor gewarnt,ihrLebenaufsSpielzusetzen.<br />

Seit April ist der Weg gesperrt.<br />

Mehrere Verbots- und<br />

Umleitungshinweise sind mittlerweile<br />

aufgestellt worden.<br />

Gebessert hat sich die Situation<br />

dadurch nicht, sagte Sebastian<br />

Scholze, Sprecher des Sanierungsträgers:<br />

„Das rabiate Verhalten<br />

nimmt eher noch zu.“ Regelmäßig<br />

würden Schilder und<br />

Sperrbaken verschoben. Immerhin:<br />

Unfälle seien noch nicht bekannt.<br />

Das bestätigte auch die<br />

Polizei. Die Umleitung wird indes<br />

länger gelten als zunächst<br />

geplant: Statt im September<br />

wird der Weg an der Südseite<br />

des Landtags erst Ende Oktober<br />

für Radler und Fußgänger geöffnet,<br />

so Scholze. jaha/mar<br />

Zelt ihrer Familie steht, wurden<br />

Bilder danebengesetzt. Bei<br />

der DDR-Promenade ist es der<br />

goldenen Ährenkranz mit Hammer<br />

und Zirkel, beim Trabbi-<br />

Weg ein gezeichneter Trabant.<br />

Und an der Erich-Allee wurde es<br />

eben eine Karikatur Honeckers.<br />

„Der sieht doch lustig aus“, findet<br />

von Ohlen.<br />

Und warum nicht einfach nur<br />

Tiernamen? „GästeausdemAuslandhabenunsimmerwiedergefragt,<br />

obwir hierim Westen oder<br />

Osten sind“, erklärt er. Mit den<br />

Straßennamen sollte dies ein für<br />

alle Mal geklärt werden. Angeblich<br />

habe sich auch noch nie einer<br />

darüber beschwert, meint<br />

von Ohlen, räumt aber ein: „Für<br />

jemanden, der von der Stasi verfolgt<br />

wurde, mag das nicht so<br />

schön sein.“ Aber das sei eben<br />

Geschichte, „die kann man nicht<br />

einfach ausradieren.“<br />

Von Ohlen ist stolz darauf, was<br />

er, seine mittlerweile verstorbene<br />

Frau und Mit-Betreiber<br />

Lübberding geschaffen haben.<br />

Rund 40 Leute beschäftigt der<br />

„Königliche Campingpark Sanssouci“.240PlätzefürDauercamper<br />

und Touristen gibt es auf<br />

dem sechs Hektar großen Platz,<br />

zudem können Caravans gemietet<br />

werden. Es gibt eine Badestelle,<br />

außerdem werden Surfkurse<br />

angeboten, ein Schild lädt<br />

zu einer Katamaranfahrt an,<br />

Fahrräder können ausgeliehen<br />

werden. Neben dem ADAC hat<br />

auch das Land den Campingplatzausgezeichnet:mitdemSiegel<br />

„Servicequalität Brandenburg“,<br />

erklärte das Unternehmen<br />

zum Umweltpartner.<br />

Und was sagen die, die nur ein<br />

paar Tage lang auf dem Camping-Platz<br />

„Sanssouci“ sind, zur<br />

DDR-Promenade oder zur<br />

Erich-Allee? Frank Henkel aus<br />

Fulda ist mit seiner Frau gekommen<br />

und studiert gerade eine<br />

Broschüre. Er zuckt die Schultern.„Wasgibtesdaranauszusetzen?“,<br />

fragt er. „Gegen einen<br />

Willy-Brandt-Platz hat ja auch<br />

keiner was.“ Auch dass sich ehemalige<br />

DDR-Bürger angegriffen<br />

fühlen,verstehternicht.„Diesollen<br />

doch stolz sein“, meint er.<br />

„Stellen Sie sich mal vor, das wären<br />

West-Namen. Dann gäb’s<br />

doch erst Recht Ärger!“<br />

Direkt hinter dem Schild, das auf<br />

den Trabbi-Weg hinweist, sitzt<br />

ein älteres Paar aus Friesland auf<br />

Klappstühlen vor einem Camper.<br />

An dem eigenwilligen Namen<br />

ihrer vorübergehenden<br />

Adresse stören auch sie sich<br />

nicht. „Wir haben das erst gar<br />

nichtregistriert“,sagtderMann.<br />

„Das ist eben Geschichte“, findetdiese.„Mankannjanichtverschweigen,<br />

dass das hier mal<br />

DDR war. Und hier machen ja<br />

auch viele Ossis Urlaub.“<br />

Wessis. Ossis. Bei vielen dauert<br />

es nicht lange, bis diese Begriffe<br />

fallen. Auch knapp ein Viertel<br />

Jahrhundertspäteristdievielbeschworene<br />

Einheit noch nicht in<br />

allen Köpfen angekommen. Zumindest<br />

auf dem Campingplatz<br />

am Templiner See.<br />

Radler nutzen am Landtag die Tramtrasse<br />

als Abkürzung. Foto: A. Klaer

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!