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<strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>.<br />

Erster Band.


<strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>.<br />

Von<br />

Gustav Roskoff.<br />

Erster Band.<br />

Leipzig<br />

F. A. Brockha u s.<br />

1869.


Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten.


X,y<br />

Vorwort.<br />

Alle Dinge, die in ihrer Gesammthe<strong>it</strong> das All ausmachen,<br />

bedingen sich gegense<strong>it</strong>ig, wirken in ihrem Nebeneinandersein<br />

aufeinander und bringen eine Vielhe<strong>it</strong> und Manniclifaltigke<strong>it</strong> <strong>des</strong><br />

Inhalts und der Form hervor. Der denkenden Betrachtung, die<br />

nach dem Zusammenhange der Erscheinungen forscht,<br />

„was die<br />

Welt im Innersten zusammenhält", ist die in der Vielhe<strong>it</strong> sich<br />

äussernde Einhe<strong>it</strong> nicht entgangen. Sie fasst die zerstreuten<br />

Naturdinge und Naturkräfte zu einem einhe<strong>it</strong>lichen Ganzen zusammen<br />

und sieht in ihm einen lebensvollen Organismus, innerhalb<br />

<strong>des</strong>sen eine Menge besonderer Systeme sich thätig erweisen,<br />

die, obschon selbständig, in steter Wechselwirkung aufeinander<br />

bezogen und durch allgemeine Gesetze im Zusammenhang erhalten,<br />

in Ein Grundgesetz, das der Harmonie, zusammenlaufen.<br />

In dieser Erkenntniss feiert die Naturwissenschaft ihren Sieg,<br />

nachdem sie den eroberten Schatz von Wahrnehmungen der<br />

Herrschaft <strong>des</strong> Denkens unterworfen hat. Es ist ein auf<br />

Erfahrung gegründeter Satz , den ein Gewährsmann ausspricht:<br />

„Je tiefer man eindringt in das Wesen der Naturkräfte,<br />

<strong>des</strong>to mehr erkennt man den Zusammenhang der<br />

Phänomene, die, lange vereinzelt und oberflächlich betrachtet,<br />

jeglicher Anreihung zu widerstreben scheinen." 1 Die Betrachtung<br />

der eigenen Beschränkthe<strong>it</strong> erfüllt zwar das Einzelwesen<br />

m<strong>it</strong> Wehmuth; diese verliert aber an Herbhe<strong>it</strong> im<br />

Hinblick auf die unendliche Reihe der unablässig forschenden<br />

und stets mehr erforschenden Menschhe<strong>it</strong>. Denn „Wissen<br />

und Erkennen sind die Freude und Berechtigung der<br />

Menschhe<strong>it</strong>".<br />

In dieser berechtigten Freude am Erkennen mag das Auge<br />

<strong>des</strong> Beobachters geschichtlicher Erscheinungen wol auch, auf<br />

Culturzustände hingelenkt, deren Zusammenhang m<strong>it</strong> jenen aufzufinden<br />

versuchen. Denn nicht nur in der physischen Welt<br />

gibt es nichts Unnatürliches, sondern alles ist Ordnung, Gesetz<br />

1<br />

A. v. Humboldt, Kosmos, I, 30.


VI<br />

Vorwort.<br />

auch die geschichtlichen Erscheinungen und ebenso die Gebilde<br />

<strong>des</strong> geistigen Lebens sind durch gewisse Factoren bedingt.<br />

Wenn im Verlaute der <strong>Geschichte</strong> bestimmte Vorstellungen so<br />

mächtig heranwachsen, dass sie die Oberherrschaft in den Gemüthern<br />

erlangen, muss sieh wol jedem, der nach dem Grunde<br />

der Erscheinungen zu suchen gewohnt ist, die Frage aufdrängen:<br />

warum diese Vorstellungen gerade um diese Ze<strong>it</strong> eine so gewaltige<br />

Macht gewinnen, die sie ein andermal wieder verlieren?<br />

Warum sie in dieser bestimmten Form zur Herrschaft kommen,<br />

zu einer andern Ze<strong>it</strong> eine andere Gestalt annehmen V Die Lösung<br />

solcher Fragen vom culturgeschichtlichen Gesichtspunkte darf<br />

wol versucht werden, und die Neigung, herrschende Vorstellungen<br />

nach ihrem Zusammenhange zu begreifen, wird sich nicht abschwächen,<br />

wenn diese auch als Wahngebilde bezeichnet werden.<br />

Denn auch eine <strong>Geschichte</strong> der Wahngebilde eines Volks oder<br />

der Völker kann nicht ohne Bedeutung sein, da jene, wenngleich<br />

als Kehrse<strong>it</strong>e der Bildung oder als Vorbildungen betrachtet,<br />

m<strong>it</strong> der Individual<strong>it</strong>ät eines Volks aufs innigste verwachsen<br />

sind und aus <strong>des</strong>sen Bildungsprocesse hervorgehen. Mögen<br />

derlei Erscheinungen immerhin m<strong>it</strong> einem kr<strong>it</strong>ischen Ausschlage<br />

verglichen werden: sie erregen m<strong>it</strong> dem pathologischen Interesse<br />

zugleich das eulturhistorische, weil sie, wie die Bildung selbst, durch<br />

eine Menge Factoren bedingt sind,<br />

weil auch an ihnen das Gesetz<br />

menschlicher Entwickelung zu Tage tr<strong>it</strong>t, weil sie m<strong>it</strong> dieser<br />

Hand in Hand gehen, die Eigenthümlichke<strong>it</strong> eines Volks abspiegeln,<br />

die Wandlungen <strong>des</strong> menschlichen Bewusstseins m<strong>it</strong>machen.<br />

Einer aufmerksamen Beobachtung wird es nicht entgehen,<br />

dass gewisse Factoren die Anregung zur Erzeugung und Gestaltung<br />

bestimmter Vorstellungen geben, und dass im allgemeinen<br />

zwei Hauptfactoren in die Entwickelung der Menschhe<strong>it</strong><br />

eingreifen: Natur und <strong>Geschichte</strong>. Diese bedingen den Bildungsprocess<br />

überhaupt und bieten die massgebende Anregung<br />

zur Gestaltung bestimmter Anschauungsweisen. Bei Naturvölkern,<br />

die der allgemeinen geschichtlichen Bewegung abse<strong>it</strong>s,<br />

gleichsam ausserhalb der Strömung am festen Ufer stehen, ist<br />

das vornehmliche Anregungsm<strong>it</strong>tel die sie umgebende Natur;<br />

bei den Culturvölkern <strong>des</strong> Alterthums, die laut ihrer culturhistorischen<br />

Mission ihren Arbe<strong>it</strong>santheil an die Weltgeschichte<br />

abgegeben haben, hat ausser der Natur auch die <strong>Geschichte</strong><br />

ihren Einfluss geltend gemacht; die später auftretenden Völker


Vorwort.<br />

VII<br />

haben die Anregung vornehmlich aus den geschichtlichen Verhältnissen<br />

empfangen, obschon das Naturmoment auch bei diesen<br />

nicht ausser Kraft ist. „Der Mensch ist ein geschichtliches<br />

Wesen", bemerkt Lazarus, „alles in uns, an uns ist Erfolg der<br />

<strong>Geschichte</strong>, wir sprechen kein Wort, wir denken keine Idee,<br />

ja uns belebt kein Gefühl und keine Empfindung, ohne dass sie<br />

von unendlich mannichfaltig abgele<strong>it</strong>eten historischen Bedingungen<br />

abhängig ist." 1 Gleiches gilt wol auch von ganzen Völkern.<br />

Kein Volk schafft eine Cultur ganz aus sich selbst, jede ist<br />

die Summe der se<strong>it</strong>herigen Ergebnisse der Weltentwickelung,<br />

die es aufnimmt und, m<strong>it</strong> dem eigenen Geiste verarbe<strong>it</strong>et, der<br />

Nachwelt als Erbe hinterlässt. Das ist die Trad<strong>it</strong>ion der Cultur.<br />

Bei einer Studie über die Vorstellung vom christlichen<br />

Teufel, der im M<strong>it</strong>telalter den kirchlichen Glaubenskreis ausfüllt,<br />

wird der unbefangene Forscher zunächst in die ersten<br />

christlichen Jahrhunderte zurückblicken müssen und, indem er<br />

dem Ursprünge dieser Vorstellung nachspürt, führt ihn der Weg<br />

durch das Neue Testament zu den Hebräern und denjenigen<br />

Völkern, m<strong>it</strong> welchen jene in Berührung gekommen sind. Der<br />

Dualismus von guten. und bösen Wesen, der bei den Parsen,<br />

deren Verwandten, bei den Aegyptern in die Augen fällt, die<br />

dualistische Anschauung, die in den Mythologien aller Culturvölker<br />

mehr oder weniger entschieden auftr<strong>it</strong>t, muss die Aufmerksamke<strong>it</strong><br />

auf sich ziehen und zum we<strong>it</strong>ern Rückschre<strong>it</strong>en<br />

auf der Stufenle<strong>it</strong>er der verschiedenen Religionen nöthigen. Bei<br />

den Naturvölkern angelangt, wird sich die Thatsache herausstellen,<br />

dass auch in allen Naturreligionen der Dualismus zum<br />

Ausdruck kommt, und an diese Wahrnehmung knüpft sich die<br />

Aufforderung, den Grund dieser Erscheinung auf dem Gebiete<br />

der Anthropologie zu suchen, das menschliche Bewusstsein, das<br />

zur Bildung einer solchen Vorstellung angeregt wird, zu betrachten.<br />

„In allen Ze<strong>it</strong>en", sagt der Naturforscher, „hat der denkende<br />

Mensch versucht, sich Rechenschaft zu geben über den<br />

Ursprung der Dinge, um sich Aufschluss zu verschaffen über<br />

den Grund ihrer Eigentümlichke<strong>it</strong>en." 2 Sollte denn dieses<br />

Streben nur auf die Dinge ausserhalb<br />

bleiben,<br />

<strong>des</strong> Menschen beschränkt<br />

hat nicht der zum Denken erwachte Mensch seine eigene<br />

1<br />

Ze<strong>it</strong>schrift für Völkerpsychologie, II, 437.<br />

2<br />

Liebig, Chemische Briefe, S. 79.


VIII<br />

Vorwort.<br />

geistige Thätigke<strong>it</strong> und deren Producte zum Gegenstände seiner<br />

Denkoperation gemacht? Ein Versuch, die Vorstellung von<br />

einem bösen Wesen, vom Teufel, im Zusammenhang m<strong>it</strong> der<br />

Natur, den geschichtlichen Erscheinungen und deren Conjuncturen<br />

darzustellen, ist vorliegende Schrift, Sie will versuchen,<br />

die <strong>Geschichte</strong> dv> <strong>Teufels</strong> nach seinem Ursprünge und seiner<br />

we<strong>it</strong>ern Entwicklung unter culturgeschichtlichem Gesichtspunkte<br />

darzustellen, will auf die Momente hinweisen, die überhaupt<br />

zur Vorstellung von einem bösen Wesen anregen, will den religiösen<br />

Dualismus bei den Naturvölkern und den Culturvölkcrn<br />

<strong>des</strong> Alterthums nachweisen, sie will zeigen, wie innerhalb der<br />

christlichen Welt die Vorstellung vom Teufel Raum gewonnen<br />

und im Verlaufe der <strong>Geschichte</strong> eine alle Gemüther beherrschende<br />

Macht erlangt hat. Die <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong> will<br />

gewisse Hauptfragen zu lösen versuchen, als: wie gelangt der<br />

Mensch überhaupt zur Vorstellung von der Existenz eines übermenschlichen<br />

bösen Wesens, oder wie bildet sich der religiöse<br />

Dualismus? wobei der Ausgangspunkt vom menschlichen Bewusstsein<br />

angegeben ist. Bei der christlich-kirchlichen Vorstellung<br />

vom Teufel handelt es sich um Factoren, welche die<br />

allgemeine Verbre<strong>it</strong>ung dieser Vorstellung gefördert haben.<br />

Daran knüpft sich die Frage: warum diese Vorstellung gerade<br />

zu einer bestimmten Ze<strong>it</strong> so mächtig geworden, welche Wandlungen<br />

sie erlebt, warum sie wieder abnimmt, welches die Ursachen<br />

der Abnahme sein mögen? u. dgl. m. Manche, und<br />

vielleicht wichtige Momente, die in die <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong><br />

eingreifen, mögen dem Verfasser entgangen sein, daher seine<br />

Schrift auch nur auf die Bedeutung eines Versuchs Anspruch<br />

machen darf. Denn es ist gewiss: „im geschichtlichen Zusammenhange<br />

der Dinge schlägt ein Tr<strong>it</strong>t tausend Fäden, und<br />

wir können nur einen gleichze<strong>it</strong>ig verfolgen. Ja mv können<br />

selbst dies nicht immer, weil der gröbere sichtbare Faden sich<br />

in zahllose Fädchen verzweigt, die sich stellenweise unserm<br />

Blicke<br />

entziehen." x<br />

Wien, im März 1869.<br />

Dr. Gr. Roskoff,<br />

ordentl. Professor au der k. k. ovangel. theolog. Facultät in Wien.<br />

Fr. All». Lange, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Materialismus (186G), S. 282.


zw:<br />

Inhalt <strong>des</strong> ersten Ban<strong>des</strong>.<br />

Erster<br />

Abschn<strong>it</strong>t.<br />

Der religiöse<br />

Dualismus.<br />

Se<strong>it</strong>e<br />

1. Mensch und Religion gegenüber der Natur 1<br />

2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung der Naturvölker<br />

15<br />

3. Dualismus in den Religionen der Culturvölker 24<br />

. G2<br />

4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums<br />

Aegypten 65<br />

Die Araber 82<br />

Babylonier. Chaldäer ..... 90<br />

Syrische Stämme. Phönizier 97<br />

Kleinasien 101<br />

Assyrien 103<br />

Arier : Inder-Perser 105<br />

Die Arier am Indus und Ganges 108<br />

Der Buddhismus 114<br />

Die Arier in Iran. Baktrer. Perser 116<br />

Griechen 124<br />

Römer 141<br />

Germanen 148<br />

Slawen 166<br />

Hebräer 175<br />

5. Der Satan im Alten Testament 186<br />

6. Der Teufel im Neuen Testament 199<br />

7. Der Teufel bei den Kirchenlehrern der drei ersten christlichen<br />

Jahrhunderte 212<br />

S. Der Teufel im Talmud und in der Kabbala 244<br />

9. Der Teufel vom 4. bis 6. Jahrhundert 257


X<br />

Inhalt.<br />

in. Vom 7. bis zum 13. Jahrhundert. Völlige Ausbildung lies<br />

Se<strong>it</strong>e<br />

<strong>Teufels</strong> 289<br />

11. Vom 13. Jahrhundert bis zur Bulle „Summis <strong>des</strong>iderantes" von<br />

Innocenz VIII 317<br />

Eigentliche <strong>Teufels</strong>periode 317<br />

Der Satansprocess 349<br />

12. Der Teufel auf der Bühne 359<br />

Der dumme Teufel 394<br />

Der Teufel als Lustigmacher 399<br />

,


Erster<br />

Abschn<strong>it</strong>t.<br />

Der religiöse Dualismus.<br />

1. Mensch und Religion gegenüber der Natur.<br />

Theil<br />

l'er Merfsch wird in die Natur hineingeboren, bildet einen<br />

<strong>des</strong> Weltganzen, ist verm<strong>it</strong>tels der Sinne den Eindrücken<br />

der ilm umgebenden Aussenwelt unterzogen. Er selbst als ein<br />

organisches Ganzes, das als Leben auf einer immerwährenden<br />

Selbsttätigke<strong>it</strong> beruht, ist der Natur gegenübergestellt, die<br />

ihm einen zu überwindenden Gegensatz Rietet. M<strong>it</strong> der Geburt,<br />

für das Kind m<strong>it</strong> Leiden verbunden, beginnt der Kampf<br />

m<strong>it</strong> der Aussenwelt, und hat man in diesem Sinne auch die<br />

Worte Shakspeare's deuten wollen, die er den König Lear<br />

sagen lässt: „Wenn wir geboren werden, weinen wir."<br />

Den nächsten Gegensatz unm<strong>it</strong>telbar nach der Geburt<br />

stellt die atmosphärische Luft. Dem Embryo im Mutterleibe<br />

genügte zu seiner pflanzenartigen Existenz das durch das<br />

Athmen der Mutter roth gewordene Blut; das Neugeborene<br />

hingegen muss nun die Luft schon unm<strong>it</strong>telbar einathmen, es<br />

ist m<strong>it</strong> dem Luftkreise in unm<strong>it</strong>telbaren Verkehr gesetzt und<br />

vollzieht m<strong>it</strong> dem Athmen den ersten Act der Selbsttätigke<strong>it</strong>.<br />

Durch das unm<strong>it</strong>telbare Einathmen der Luft verschafft es dem<br />

Blute eine seinem selbständigen Leben angemessene Entwickelung<br />

und wird zugleich angeregt, seine Empfindung frei zu<br />

äussern. Auf das Niesen, das sich infolge <strong>des</strong> Luftreizes in<br />

der Nasenhöhle gewöhnlich einstellt, möchten wir dem kleinen<br />

Erdenbcwohner ein ermuthigen<strong>des</strong> „Pros<strong>it</strong>" zurufen, zur glücklichen<br />

Ueberwindung all der Gegensätze, durch die er zur<br />

freien Selbständigke<strong>it</strong> gelangen soll, die ja seine Bestimmung<br />

ist.<br />

Roskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I.<br />

X


2 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Den nächsten Gegensatz, den das Kind zu überwinden<br />

hat, findet es in der Nahrung. Solange es diese an der<br />

Muttermilch hat, übernimmt die Mutterliebe das Geschäft der<br />

Verm<strong>it</strong>telung, deren der Säugling bedarf; m<strong>it</strong> dem Hervorbrechen<br />

der Zähne gibt aber die Natur den Wink, dass der<br />

kleine, werdende Mensch zur Selbständigke<strong>it</strong> sich zu entwickeln<br />

bestimmt ist. Nach der Entwöhnung gewöhnt sich das<br />

Kind, selbstthätig seine Nahrung unm<strong>it</strong>telbar zu sich zu nehmen<br />

und in sein Fleisch und Blut zu verwandeln, d. b. den<br />

Gegensatz zu überwinden, um das Leben selbstthätig zu<br />

erhalten.<br />

Wie das Kind im Kauen den Stoff überwindet, so<br />

kommt es dahin, im Gehen den Raum zu beherrschen und<br />

später im Sprechen die Vorstellung aus sich herauszubringen,<br />

wodurch es seine Innerlichke<strong>it</strong> freimacht, wie es im Kauen<br />

und Gehen von der Aussenwe<strong>it</strong> sich befre<strong>it</strong>, indem es dieselbe<br />

beherrscht. „Alles Leben kämpft gegen die Schranken von<br />

Raum und Ze<strong>it</strong>." 1 So greift der Mensch in die Natur ein,<br />

indem er sich seine Nahrung daraus holt; indem er sie<br />

vernichtend seiner .Leiblichke<strong>it</strong> assimilirt, übt aber auch die<br />

Natur eine Wh'kung auf ihn aus. Im we<strong>it</strong>ern Verlaufe greift<br />

er in die Natur ein durch die Arbe<strong>it</strong>, indem er den Boden<br />

cultivirt, das in der Natur Vorgefundene umbildet, wodurch<br />

er selbst wieder gebildet wird.<br />

Es ist eine ununterbrochene Reihe von Wechselwirkungen<br />

im grossen und kleinen und beider aufeinander.<br />

Desgleichen findet auch im leiblichen Organismus <strong>des</strong><br />

Menschen statt. Das Blut, welches man „die Mutter <strong>des</strong><br />

ganzen Lebens" genannt hat, ist Ursache, dass der Magensaft<br />

sich bildet, und dieser ist die Ursache der Blutbildung,<br />

und wie je<strong>des</strong> Organ Blut enthält, so ist dieses die Substanz<br />

aller Organe. Das Blut dient zur Erhaltung und Belebung<br />

der Organe, und diese erfüllen ihren Zweck in der Erhaltung<br />

<strong>des</strong> Bluts in seiner lebendigen Form. Ohne die Thätigke<strong>it</strong><br />

der Lunge kann das Gehirn nicht thätig sein und ohne <strong>des</strong>sen<br />

Einfluss wäre die Bewegung der Lunge unmöglich.<br />

Indem der Mensch lebt, überwindet er den Gegensatz,<br />

1<br />

Burdach, Der Mensch nach den verschiedeneu Se<strong>it</strong>en seiner Natur,<br />

neue Aufl. von 1854, S. 631.


1. Mensch und Religion gegenüber der Natur. 3<br />

den er an sich trägt, denn wo Leben ist, da ist Gegensätzlichke<strong>it</strong>,<br />

die ausgeglichen werden muss. Das Leben bethätigt<br />

sich in der Ausgleichung <strong>des</strong> Gegensatzes. Der Lebensprocess<br />

kann daher füglich m<strong>it</strong> dem Ausgleichungsprocesse zweier<br />

chemisch gegeneinander gespannter Substanzen verglichen<br />

werden *, denn vom ersten Augenblick <strong>des</strong> Lebens sucht das<br />

Individuum die Zweihe<strong>it</strong> seines Wesens , die Innerlichke<strong>it</strong> , die<br />

Psyche, m<strong>it</strong> der Aeusserlichke<strong>it</strong> oder Leiblichke<strong>it</strong> auszugleichen.<br />

In der Ausgleichung dieses Unterschieds von Leib und Seele<br />

bethätigt sich das individuelle Leben. Es ist Naturgesetz , dass<br />

alles, was den Leib afficirt, in die Seele hineinversetzt wird und<br />

umgekehrt, dass die innerlichen Zustände verleiblicht, d. h.<br />

äusserlich zur Erscheinung gebracht werden. Das menschliche<br />

Individuum lebt sonach im steten wechselwirkenden Verkehr<br />

zwischen Innerm und Aeusserm und umgekehrt, und sein<br />

Leben ist nur so lange ein gesun<strong>des</strong>, als sich diese Gegensätzlichke<strong>it</strong><br />

zur Einhe<strong>it</strong> zusammenfasst.<br />

Durch die Sinne, verm<strong>it</strong>telt durch die organische Thätigke<strong>it</strong><br />

<strong>des</strong> Nervensystems, tr<strong>it</strong>t der Mensch in Verkehr m<strong>it</strong> der<br />

Aussenwelt. Von den verschiedenen Sinnesorganen, in welchen<br />

die Nerven ihre peripherischen Enden haben , le<strong>it</strong>en diese die<br />

Eindrücke, die sie an jenen empfangen haben, im Centralorgan<br />

zusammen und gelangen zu gegense<strong>it</strong>iger Durchdrino'unff.<br />

Die Mannigfaltigke<strong>it</strong> der Lebensthätio-ke<strong>it</strong>en zur Gemeinsamke<strong>it</strong><br />

zusammensummirt regt sich als Innerlichke<strong>it</strong> und<br />

Einhe<strong>it</strong>, als Gemeingefühl, worin das Leben sich selbst<br />

inne wird, sich selbst findet. Dieses dunkle Gefühl <strong>des</strong> Daseins<br />

wird zur Empfindung, wo der eigentliche Leibeszustand<br />

pereipirt wird. Die Entwickelung zur Klarhe<strong>it</strong> wird<br />

angeregt durch den Gegensatz, wodurch das Leben sich irgendwie<br />

gehemmt oder gefördert fühlt, sodass der besondere<br />

Lebenszustand durch äussere Verhältnisse bestimmt empfunden<br />

wird. Ist der Gegensatz derart, dass die organische Thätigke<strong>it</strong><br />

<strong>des</strong> Lebens zur Kraftäusserung aufgefordert und jener<br />

dadurch überwunden wird, so ist die Empfindung eine angenehme,<br />

welche bei wachsender Regung zur Lust sich<br />

steigert; oder das Gemeingefühl bleibt wegen Mangels an<br />

Reiz oder durch übermässige Reizung, welche die Thätigke<strong>it</strong><br />

Erdmann, Psychologische Briefe, S. 198.


4 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

der Organe zu stören droht, unbefriedigt, und die Empfindung-<br />

ist unangenehm, die bei grösserer Stärke zum<br />

Schmerz wird.<br />

Nach dem Naturgesetze bringt jede Einwirkuno: eine<br />

Gegenwirkung hervor, weil jede angeregte Kraft sich zu äussern<br />

strebt. Die Empfindung, durch einen äussern Reiz angeregt,<br />

erweckt den Trieb, der sich der willkürlichen Muskeln<br />

bedient, um das Leben zu äussern. Die innere Thätigke<strong>it</strong><br />

im Gehirnleben tr<strong>it</strong>t durch den Trieb m<strong>it</strong> den Muskeln in<br />

Berührung, die innere Bewegung wird zur äussern, die Gegensätzlichke<strong>it</strong><br />

<strong>des</strong> Aeussern und Innern wird ausgeglichen. Die<br />

willkürlichen<br />

Muskelbewegungen entsprechen den Sinnesempfindungen<br />

, indem ein Gehirnreiz , auf die peripherischen<br />

Theile <strong>des</strong> Nervensystems fortgele<strong>it</strong>et, durch die Muskelthätigke<strong>it</strong><br />

eine Veränderung am Leibe hervorbringt. In den unwillkürlichen<br />

Bewegungen kommen Modifikationen <strong>des</strong> Gemeingefühls<br />

zum Ausdruck.<br />

Das Innewerden der Aussenwelt durch die Sinne ist bedingt<br />

durch das Innewerden der eigenen Leiblichke<strong>it</strong>, denn<br />

ohne Gemeingefühl <strong>des</strong> eigenen Daseins ist die Empfindung<br />

<strong>des</strong> fremden Daseins nicht denkbar. Die äussern Gegenstände<br />

wirken auf die Sinnesorgane und durch die Nerven auf das<br />

Gehirn, welches dadurch in entsprechender Weise bestimmt<br />

wird.<br />

In der anorganischen Natur zeigt sich die Wechselbeziehung<br />

zu einem fremden Körper zunächst in der Ausgleichung<br />

der Wärmeverhältnisse; im Pflanzenleben bethätigt sich der<br />

Ausgleichungsprocess in Modifikationen der Zellenernährung;<br />

im animalischen Leben wird der Gegensatz zur Aussenwelt<br />

durch das Nervensystem verm<strong>it</strong>telt und das Leben durch die<br />

willkürliche Bewei> - un


1. Mensch und Religion gegenüber der Natur. 5<br />

zeichnende Unterschied zwischen Mensch und Thier ist also<br />

das Bewusstsein und Selbstbe wusstsein, wom<strong>it</strong> die<br />

Grenz- und Scheidelinie gezogen ist, von der aus die speeifisch<br />

unterschiedene Bedeutung beginnt.<br />

Auch das Thier wird zwar<br />

die Eindrücke der Aussenwelt durch die Sinnesorgane inne,<br />

es hat Empfindung und äussert sein Empfundenes durch die<br />

Muskelbewegung, es nährt sich vom Stoffe, den ihm die<br />

Natur bietet, und assimilirt denselben seiner Leiblichke<strong>it</strong>; aber<br />

während das Thier im Frasse und überhaupt in der Aeusserlichke<strong>it</strong><br />

aufgeht, kommt der Mensch dahin, sich bewusst zu<br />

werden: dass die Aussenwelt, von der er seine Nahrung und<br />

Sinneseindrücke erhält, ein von ihm Verschiedenes ist; er<br />

kommt zum Bewusstsein: dass sein eigenes Dasein und<br />

seine Umgebung als eine ihm fremde Aussenwelt im Gegensatz<br />

stehen. Ja er Avird seiner eigenen physischen Thätigke<strong>it</strong>en<br />

inne, unterscheidet sie vom leiblichen Dasein <strong>des</strong><br />

Organismus und stellt im Bewusstsein seine eigene Empfindung<br />

sich selbst gegenüber, d. h. er kommt zum Selbstbewusstsein.<br />

Dadurch wird er erst eigentlich Mensch, dass<br />

er zum selbstbewussten Ich gelangt, hierm<strong>it</strong> beginnt er ein<br />

vom materiellen Leben unterschiedenes geistiges Leben;<br />

insofern aber das Material, das der menschliche Geist umbildet,<br />

Leiblichke<strong>it</strong> ist und das geistige Leben wol selbstthätio-,<br />

aber nicht eigenmächtig ist: so muss die Einhe<strong>it</strong> von<br />

Sinnlichem und Geistigem die eigentliche Sphäre <strong>des</strong><br />

Menschen ausmachen.<br />

In der Periode, die dem Selbstbewusstsein vorhergeht,<br />

spricht das Kind von sich in der dr<strong>it</strong>ten Person , es lebt noch<br />

im Dämmerlichte, bis ihm die Sonne <strong>des</strong> Bewusst- und Selbstbewusstseins<br />

aufgeht, von wo an es sich m<strong>it</strong> Ich bezeichnet.<br />

Wenn Fichte den Tag, wo er sein Kind das erste Ich sagen<br />

hörte, feierlich begangen haben soll, so beweist dies eben<br />

die Bedeutsamke<strong>it</strong> <strong>des</strong> Moments, den der grosse Philosoph<br />

zu würdigen wusste.<br />

Das Thier, welehes keine höhere Aufgabe hat als zu leben,<br />

sein inneres Empfindungsleben durch Bewegung zu äussern,<br />

seine Gattung durch Fortpflanzung zu erhalten, erfüllt seine<br />

Bestimmung m<strong>it</strong> dem natürlichen Ende, dem Tode. Der<br />

Mensch fängt sein speeifisch -menschliches Leben erst an, wo<br />

er sich seiner selbst bewusst wird. Aber schon als Säugling,


(3<br />

Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

<strong>des</strong>sen nächste Aufgabe zwar auch im Lebendigsein gelost<br />

wird, steht er m<strong>it</strong> dem Thiere doch nicht auf gleicher Linie,<br />

weil er die Anlage zur We<strong>it</strong>erentwickelung in sich trägt, die<br />

dem Thiere versagt ist. Den schlagenden Beweis hiervon<br />

liefert das Kind, wenn es zu sprechen anfängt, wom<strong>it</strong> der<br />

selbstbewusst werdende Geist sich zum Ausdruck bringt und<br />

der Gegensatz von Innerlichke<strong>it</strong> und Aeusserlichke<strong>it</strong> die ausgleichende<br />

M<strong>it</strong>te findet.<br />

Das Höchste, wozu es das animalische Leben zu bringen<br />

vermag, ist der Gattungsprocess ; der Mensch hingegen bringt<br />

es zum Bewusst- und Selbstbewusstsein und infolge dieses<br />

zur Sprache, Arbe<strong>it</strong>, <strong>Geschichte</strong>, Religion, zum begrifflichen<br />

Denken, zur Wissenschaft.<br />

Es ist eine unzulängliche Defin<strong>it</strong>ion , welche den Menschen<br />

nur als entwickeltes Thier hinstellt, da er vom Thiere specifisch<br />

verschieden, daher auch eine andere Bestimmung hat.<br />

Der Keim, aus dem der Mensch hervorgeht, ist wesentlich<br />

verschieden von dem eines Naturproducts. Vergleichungspunkte<br />

sind nur dadurch gegeben, dass im Systeme <strong>des</strong> organischen<br />

Menschenlebens alle andern Systeme enthalten und<br />

ineinandenjesetzt zur Erreichung der menschlichen Bestimmung<br />

dienen und der Physiolog daher ein vegetabiles und animales<br />

Leben im Menschen vertreten findet, wie im menschlichen<br />

Organismus auch Substanzen der anorganischen Natur nothwendig<br />

vorhanden sein müssen.<br />

Durch die Aufmerksamke<strong>it</strong>, in welcher die Seelenthätigke<strong>it</strong><br />

nach den durch die Aussenwelt hervorgebrachten<br />

Eindrücken sich richtet, macht der Mensch Wahrnehmungen,<br />

deren Einzelhe<strong>it</strong>en er zu einem Ganzen vereinend zur<br />

Vorstellung bildet, indem er verm<strong>it</strong>tels <strong>des</strong> Sinnen- und<br />

Hirnlebens das von aussen gewonnene Material in eine geistige<br />

Thatsache umsetzt, das Aeussere im Innern abdrückt.<br />

Alles, was er inne geworden, wird durch das Gedächtniss<br />

innerlich fortwirkend aufbewahrt, und so fasst er eine Reihe<br />

von Wahrnehmungen, die er an verschiedenen Orten und zu<br />

verschiedenen Ze<strong>it</strong>en gewonnen hat, einhe<strong>it</strong>lich zusammen in<br />

der Erfahrung.<br />

Dasselbe Gesetz, wonach das animalische, unbewusste<br />

Leben, die Empfindung in der Muskelbewegung zum Ausdruck<br />

kommt, drängt den bewussten Geist, sich zu äussern durch


1. Mensch und Religion gegenüber der Natur. 7<br />

die Sprache. Nach den Beobachtungen der Physiologen<br />

wird infolge innerer Bewegungen der Kehlkopf leicht afficirt,<br />

wom<strong>it</strong> eine specielle Beziehung zwischen beiden, gleich der<br />

zwischen dem Vagus und den Herzbewegungen, der Sphäre<br />

<strong>des</strong> kleinen Gehirns und den Bewegungsmuskeln der obern<br />

Extrem<strong>it</strong>äten, angedeutet wäre. Dies kann aber erst die lautliche<br />

Aeusserung der aufgenommenen Eindrücke erklären, allerdings<br />

als Vorbere<strong>it</strong>ung zum ausgesprochenen Wort. Das<br />

Thier hat eine Stimme, durch die es sein empfinden<strong>des</strong> Leben<br />

offenbart; es bleibt -aber nur beim Laute, wodurch es das unbewusste<br />

Leben äussert, und bringt es nimmermehr zum<br />

Worte, dem Ausdruck selbstbewussten Geistes, weil ihm<br />

eben das Selbstbewusstsein nicht aufgeht. Es ist daher treffend,<br />

wenn Lotze irgendwo den Gesang der Vögel ein „willenloses<br />

und absichtsloses Springen m<strong>it</strong> den Stimmbändern"<br />

nennt, denn es ist eben nur eine Muskelbewegung, durch die<br />

der Laut hervorgebracht wird. Die Sprache ist Ausdruck<br />

<strong>des</strong> selbstbewussten Geistes, der Mensch spricht im Worte<br />

nicht nur seine Empfindung, sein Gefühl aus, sondern auch<br />

seine Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gedanken. Eben<br />

weil er Wahrnehmungen macht, Vorstellungen bildet und Gedanken<br />

erzeugt, spricht der Mensch. Er erfindet die Sprache<br />

nicht, so wenig als er sein Dasein erfunden hat, sie ist ein<br />

Erzeugniss seines Geistes, <strong>des</strong>sen Wesen in der Sprache laut<br />

wird, wobei die Sprach Werkzeuge entgegenkommend in Bewegung<br />

gesetzt werden. Ohne Zunge, Zähne, Gaumen,<br />

Stimmr<strong>it</strong>ze könnte der Mensch allerdings keine Vorstellung<br />

und keinen Gedanken sprachlich darstellen; er spricht aber<br />

nicht, weil er diese hat, sonst würde der Hund und das<br />

Schwein auch eine Sprache haben. Das Grunzen, Bellen,<br />

Miauen u. dgl. ist nur der elementare , unartikulirte Ausdruck<br />

von Empfindungen, aber von keinem Gedanken, zu welchem<br />

nur der Mensch die Empfindung zu verarbe<strong>it</strong>en vermag. „Die<br />

Sprache befre<strong>it</strong> den Menschen von der Unbestimmthe<strong>it</strong> <strong>des</strong><br />

Eühlens und Anschauens und macht ihm den Inhalt seiner<br />

Intelligenz zum Eigenthum." x In der Sprache zeigt sich der<br />

bildende Trieb und eine Art Herrschaft über den Gegenstand,<br />

der, von aussen nach innen angeregt, zur Vorstellung<br />

1<br />

Rosenkranz, Psychologie, 2. Aufl., S. 389.


:i<br />

Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismu<br />

6"<br />

verarbe<strong>it</strong>et, als Wort wieder ausgesprochen wird. „Durch<br />

Benennung wird das Aeussere wie eine Insel erobert und<br />

vorher dazu gemacht, wie durch Namengeben Thiere bezähmt<br />

werden" l ,<br />

und man erinnert sich hierbei der trefflichen Darstellung<br />

in der Genesis, wonach die Herrschaft <strong>des</strong> Menschen<br />

über die Thiere, ausser deren Genüsse, dam<strong>it</strong> bezeichnet<br />

wird, dass er sie benennen soll. Beim Kinde zeigt sich die<br />

Herrschaft <strong>des</strong> Geistes in den „kühnen" und „doch richtigen"<br />

Wortbildungen , deren Jean Paul 2 mehrere anführt , die er von<br />

drei- und vierjährigen Kindern gehört hat, als:<br />

„der Bierfässer,<br />

Sa<strong>it</strong>er, Fläscher" (der Verfertiger von Fässern, Sa<strong>it</strong>en, Flaschen),<br />

„die Luftmaus" für Fledermaus, „die Musik geigt, das<br />

Lieht ausscheren (von der Lichtsehere) , dreschflegeln, drescheln;<br />

ich bin der Durchsehmann (hinter dem Fernrohr<br />

stehend), ich wollte, ich wäre als Pfeffernüsschenesser angestellt,<br />

oder als Pfeffernüssler; am Ende werde ich gar zu<br />

klüger; er hat mich vom Stuhle heruntergespasst; sieh<br />

wie Eins (auf der Uhr) es schon ist " u. s. f. Aehnlich nennen<br />

die uordamerikanischen Indianer ihnen fremde Gegenstände<br />

m<strong>it</strong> selbstgebildeten Namen, wie „Lochmacher" statt Bohrer<br />

u. dgl. 3<br />

Wie das Bewusst- und Selbstbewusstsein von minderer<br />

Klarhe<strong>it</strong> zur festern Bestimmthe<strong>it</strong> fortschre<strong>it</strong>et, so lässt sich<br />

bei Kindern auch die allmähliche Entwickelung der Sprache<br />

beobachten. Aus den unbestimmten Vocallauten entstehen erst<br />

reine Vocale, zu denen wieder zunächst stumpfe Consonanten<br />

hinzutreten und undeutliche Silben bilden, bis endlich die<br />

Vocale zur Klarhe<strong>it</strong> kommen, die M<strong>it</strong>lauter ihre Schärfe erhalten<br />

und die Silben das deutliche Gepräge bekommen. Ein<br />

ähnliches Fortschre<strong>it</strong>en zeigt sich auch im Gebrauche der<br />

Wortformen, indem das Kind aus dem Infin<strong>it</strong>iv und der dr<strong>it</strong>ten<br />

Person allmählich zur ersten Person, zur Conjugation und<br />

Declination übergeht und endlich die Syntax in die Sprache<br />

aufnimmt.<br />

Von rdeichorossem Interesse ist in dieser Beziehung die<br />

Verfährungs weise der Naturvölker, die in der Kindhe<strong>it</strong> der<br />

1<br />

Jean Paul, Levana, Ausgabe von 1814, S. 420.<br />

- a. a. 0., S. 423.<br />

Bastian, Der Mensch in der <strong>Geschichte</strong>, I, 431.


1. Mensch und Religion gegenüber der Natur. 9<br />

menschlichen Entwickelungsgeschichte stehen geblieben sind.<br />

Wie die Kinder sprechen die brasilianischen Indianer immer<br />

im Infin<strong>it</strong>iv, meist ohne Fürwort oder Substantiv. Der Unzulänglichke<strong>it</strong><br />

solcher Sprache müssen dann gewisse Zeichen<br />

m<strong>it</strong> der Hand, dem Munde oder andere Geberden zum verständlichen<br />

Ausdruck verhelfen. „Will der Indianer z. B.<br />

sagen: ich will in den Wald gehen, so spricht er «Waldgehen<br />

» und zeigt dabei m<strong>it</strong> rüsselartig vorgeschobenem Munde<br />

auf die Gegend, die er vermeint." x „Die Grönländer, besonders<br />

die Weiber," begle<strong>it</strong>en manche Worte nicht nur m<strong>it</strong><br />

einem besondern Accent, sondern auch m<strong>it</strong> Mienen und Augenwinken,<br />

sodass, wer dieselben nicht gut wahrnimmt, <strong>des</strong> Sinnes<br />

leicht verfehlt. Wenn sie z. B. etwas m<strong>it</strong> Wohlgefallen bejahen,<br />

schlürfen sie die Luft durch die Kehle hinunter m<strong>it</strong> einem gewissen<br />

Laut. Wenn sie etwas m<strong>it</strong> Verachtung und Abscheu verneinen,<br />

rümpfen sie die Nase und geben einen feinen Laut<br />

durch dieselbe von sich, wie sie es auch durch Geberden errathen<br />

lassen, wenn sie nicht aufgeräumt sind." 2<br />

Wie die selbstbewusste Thätigke<strong>it</strong>, das Denken im we<strong>it</strong>ern<br />

Sinne, den ersten Ausgangspunkt von sinnlichen Eindrücken<br />

erhält, so wählt auch die Sprache zunächst solche<br />

Laute, die auf das Ohr einen entsprechenden Eindruck hervorbringen.<br />

3 Es sind dies die sogenannten Onomatopoetica,<br />

wie sie jede Sprache hat, so etwa in unserm „starr" der Eindruck<br />

<strong>des</strong> Widerstandskräftigen, in „Wind" das Bewegende,<br />

in „Wirr" das Durcheinandergehende kaum unbemerkt bleiben<br />

kann, u. dgl. m.<br />

Solange das Denken nur in sinnlichen Vorstellungen geschieht<br />

und die Ideen Gestalten annehmen, kann auch nur<br />

das Sinnlichwahrnehmbare seinen Ausdruck finden, wogegen<br />

das Begriffliche durch Umschreibung aufgenommen und ausgedrückt<br />

wird. Dadurch erhalten diese Sprechweisen einen<br />

überfliess*enden Pomp und malerischen Glanz , wovon Bastian 4<br />

aus der Sprache der Indianer treffende Beispiele anführt.<br />

In dem aller abstracten Begriffe entbehrenden Materia-<br />

1<br />

Spix und Martius bei Bastian, I, 427.<br />

4<br />

Ebcndas., S. 430.<br />

3<br />

Vgl. W. v. Humboldt, Ueber die Kawisp räche, S. 94 fg.<br />

4<br />

1 , 42G.


1() Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

lismus der amerikanischen Indianer wird „Glück" bezeichnet<br />

durch „Sonnenglanz", „Friede" durch „Waldbaumpflege"<br />

oder „eine Stre<strong>it</strong>axt begraben", „Leidtragende trösten"<br />

durch „das Grab der Verstorbenen bedecken". Selbst fremde<br />

A\ örter kann er nur durch Umschreibungen aufnehmen : Kerze<br />

wird übersetzt als Wassa kon-a-cm jegun von wassan (heller<br />

Gegenstand), kon-a (Brand), jegun (Werkzeug); Lichtputze<br />

durch Kisehke-kud-jegun von kischk (abschneiden), ked oder<br />

sknt (Feuer) und jegun (Werkzeug).<br />

Wie in der Sprache die höhere Lebenspotenz <strong>des</strong> Selbstbewusstseins<br />

offenbar wird, jene aber wieder auf die Entwicklung<br />

<strong>des</strong> Menschen zurückwirkt, so zeigt sich die Herrschaft<br />

<strong>des</strong> selbstbewussten Wesens besonders merklich in der<br />

Arbe<strong>it</strong>. Die Bedeutsamke<strong>it</strong> der Arbe<strong>it</strong> liegt in der umbildenden<br />

Einwirkung auf den Gegenstund, zunächst auf die<br />

Natur, ferner in der bildenden Rückwirkung auf den Arbe<strong>it</strong>enden.<br />

Der Mensch arbe<strong>it</strong>et, indem er wirkt und selbst dadurch<br />

eine Rückwirkung empfängt, indem er geistig umbildet<br />

und dadurch selbst geistig gebildet wird. Arbe<strong>it</strong>en kann daher<br />

nur der Mensch als geistiges, selbstbewusstes Wesen. Wenn<br />

er den Gegensatz, in welchem er der Natur gegenüber sich<br />

befindet, dadurch überwunden und ausgeglichen hat. dass er<br />

ihre Producte vernichtend verzehrt und seiner Leiblichke<strong>it</strong><br />

assimilirt, bietet er hierm<strong>it</strong> ein Analogon zum Thiere, welches<br />

auch sein Futter in Fleisch und Blut verwandelt; indem aber<br />

der Mensch das Feld bearbe<strong>it</strong>et, die Thierhaut zur Kleidung<br />

verarbe<strong>it</strong>et, bildet er die Natur um, und die Folge ist eine<br />

rückwirkende, sodass m<strong>it</strong> der Bearbe<strong>it</strong>ung der Natur die Bildung<br />

<strong>des</strong> Menschen Hand in Hand geht. Das Thier arbe<strong>it</strong>et<br />

in diesem Sinne nie, weil es nie zum Selbstbewusstsein kommt,<br />

und wenn der Vogel sein Nest baut, die Biene Honig und<br />

Wachs sammelt, so ist dies eine emsige Geschäftigke<strong>it</strong>, in<br />

welcher das rückwirkende Moment der Bildung,<br />

das die Arbe<strong>it</strong><br />

kennzeichnet, mangelt. 1 Ist es doch zum Axiom erhoben,<br />

1<br />

„Die Thiere bauen sich bisweilen recht künstliche Wohnungen",<br />

sagt treffend Lange (<strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Materialismus, S. 416), „aber wir<br />

haben noch nicht gesehen, dass sie sich zur Herstellung derselben künstlicher<br />

Werkzeuge bedienen" — „eben die Ausdauer, welche auf die Fertigung<br />

eines Instruments verwandt wird, das sich nur massig über die


1. Mensch und Religion gegenüber der Natur. 11<br />

dass m<strong>it</strong> dem Ackerbau, also m<strong>it</strong> der Bearbe<strong>it</strong>ung der Natur,<br />

die Cultur der Menschhe<strong>it</strong> ihren Anfang nimmt. „Nicht das<br />

mythische Paradies oder goldene Ze<strong>it</strong>alter, sondern die Arbe<strong>it</strong><br />

ist der Anfang der Culturgeschichte." * In der Arbe<strong>it</strong><br />

selbst liegt daher ein Fortschre<strong>it</strong>en, denn wenn der rohe Mensch<br />

arbe<strong>it</strong>et, weil ihn die Noth zwingt, weil er muss, so arbe<strong>it</strong>et<br />

der Gebildete aus eigener freier Bestimmung, weil er will.<br />

Durch die Arbe<strong>it</strong> drückt der Mensch dem Gegenstande, den er<br />

bearbe<strong>it</strong>et, das Gepräge seines eigenen geistigen Wesens auf, er<br />

stempelt ihn m<strong>it</strong> seinem Willen und erklärt ihn hierm<strong>it</strong> für<br />

sein Eigenthum. Jäger- und Nomadenstämme bilden sich<br />

nicht, weil sie nicht zur Umbildung der Natur, zur Arbe<strong>it</strong><br />

kommen, und obschon sie nicht gänzlich im reinen Naturzustande<br />

leben gleich dem Thiere, da es überhaupt gar keinen<br />

Menschenstamm gibt, bei dem nicht z. B. der Gebrauch <strong>des</strong><br />

Feuers sich vorfände 2 , oder der Brauch sich zu schmücken,<br />

wenn auch in roher Weise, angetroffen würde, so bringen sie<br />

es doch nicht zur ständigen Arbe<strong>it</strong>, zu keinen festen S<strong>it</strong>zen<br />

und daher auch nicht zur Total<strong>it</strong>ät eines Volks und Staats.<br />

Da m<strong>it</strong> der Arbe<strong>it</strong> die Ges<strong>it</strong>tung und Bildung ihren Anfang<br />

nimmt, ist jene die Bedingung der <strong>Geschichte</strong>. Sprache<br />

und Arbe<strong>it</strong> als Aeusserungen <strong>des</strong> selbstbewussten Geistes<br />

sind nothwendige Voraussetzungen der <strong>Geschichte</strong>. Es gibt<br />

keinen wilden Stamm, der keine Sprache hätte, der seine innern<br />

Zustände blos durch unartikulirte Laute oder durch blosse<br />

Muskelbewegung als Geberden zu erkennen gäbe ; aber ebenso<br />

hat kein Volksstamm eine <strong>Geschichte</strong>, in <strong>des</strong>sen Leben die<br />

Arbe<strong>it</strong> m<strong>it</strong> der erforderlichen Sesshaftigke<strong>it</strong> fehlte. Der Beduinenaraber<br />

steht <strong>des</strong>halb auf derselben Stufe, die er zu<br />

Abraham's Ze<strong>it</strong> eingenommen, er hat keine <strong>Geschichte</strong>, weil<br />

sein Leben der bildenden Arbe<strong>it</strong> ermangelt, Man kann sagen:<br />

die Arbe<strong>it</strong> ist das Bildungsm<strong>it</strong>tel <strong>des</strong> Menschen und die Sprache<br />

Leistungen eines natürlichen Steins oder Steinspl<strong>it</strong>ters erhebt, zeigt eine<br />

Fähigke<strong>it</strong>, von den unm<strong>it</strong>telbaren Bedürfnissen und Genüssen <strong>des</strong> Lebens<br />

zu abstrahiren und die Aufmerksamke<strong>it</strong> um <strong>des</strong> Zweckes willen ganz auf<br />

das M<strong>it</strong>tel zu wenden, welche wir bei Thieren nicht leicht finden werden."<br />

1<br />

Wachsmuth, Allgemeine Culturgeschichte, I, 7.<br />

2<br />

Wie Linck, Urwelt, I, 311, die widersprechenden Angaben vollständig<br />

widerlegt hat.


] 2 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der<br />

religiöse Dualismus.<br />

das Fortpflanzungsm<strong>it</strong>tel der Bildung. Beide, Factoren sind<br />

unentbehrlich in der <strong>Geschichte</strong> der Menschhe<strong>it</strong>, und diese ist<br />

undenkbar ohne jene. Was die mündliche Trad<strong>it</strong>ion in der<br />

Vorhalle der <strong>Geschichte</strong> durch die Fortpflanzung der Mythenund<br />

Sagenkreise bewerkstelligt, das vollzieht m<strong>it</strong> dem Beginn<br />

der wirklichen <strong>Geschichte</strong> die durch die Schrift oder andere<br />

Denkmäler fixirte Sprache. Der einzelne bringt durch das<br />

Wort sein inneres Leben zum Ausdruck und zur M<strong>it</strong>theilung<br />

für den andern, und die Schätze der Bildung eines Volks<br />

kommen dem andern m<strong>it</strong>tels der Sprache zugute ; die Cultur<br />

längstvergangener Reiche, durch die Sprache aufgespeichert,<br />

wird von der Gegenwart aufgenommen und die Sprache dient<br />

der Zukunft als Hebel, der sie auf die Schultern der Vergangenhe<strong>it</strong><br />

und Gegenwart heben wird. Die Sprache ist<br />

das Gebinde, worin die m<strong>it</strong>tels Arbe<strong>it</strong> erzielten Früchte der<br />

Cultur von einem Geschlechte dem andern, von einem Volke<br />

dem andern, von einer geschichtlichen Periode der andern<br />

überreicht werden. Sprache und Arbe<strong>it</strong> haben aber ihren<br />

Grund im Menschen als bewusstem und selbstbewusstem<br />

Wesen, d. h. im menschlichen Geiste, und hierin ist also auch<br />

der Grund, dass das Menschengeschlecht eine <strong>Geschichte</strong><br />

hat. Die Natur und ihre Producte haben diese nicht in dem<br />

Sinne, dass ein und dasselbe Geschöpf, wie der Mensch,<br />

durch Entwicklung seiner Anlage sich ändert. Der Flieder-<br />

Strauch treibt dieselben Blüten und bringt dieselben schwarzen<br />

Beeren wie vor 3000 Jahren, und die Ameise ist heute noch<br />

ebenso geschäftig wie ehedem, der Orang-Utang sieht dein<br />

Menschen zwar ähnlich, ist ihm aber noch immer nicht gleich<br />

geworden, weil er seiner ursprünglichen Anlage nach verschieden<br />

ist; aber der sprechende und arbe<strong>it</strong>ende Mensch von<br />

heute fühlt und weiss sich anders, hat andere Bedürfnisse<br />

und andere Anschauungen als der vor 3000 Jahren, und obschon<br />

das Gesetz, nach dem er sich entwickelt, ein unwandelbares<br />

ist, so sind ihm die Culturen längstvergangener Ze<strong>it</strong>en<br />

zugefallen, die er kraft dieses unwandelbaren Gesetzes sich<br />

eigen gemacht und in sich verarbe<strong>it</strong>et hat.<br />

Im Selbstbewusstsein <strong>des</strong> Menschen liegt<br />

aber der Grund<br />

nicht nur, dass der Mensch eine Sprache hat, dass er durch<br />

Arbe<strong>it</strong> seiner Bestimmung sich nähert, was schon in der<br />

biblischen Schöpfungsgeschichte tiefsinnig angedeutet wird,


1. Mensch und Religion gegenüber der Natur. 13<br />

dass er ferner eine <strong>Geschichte</strong> hat, in der er sein Wesen<br />

als ein sich entwickeln<strong>des</strong> darlegt; im selbstbewnssten Geiste<br />

liegt auch der Grund, dass der Mensch Religion hat. Der<br />

Consensus populorum hat zwar als Beweis für das Dasein<br />

Gottes nicht m<strong>it</strong> Unrecht seine Kraft verloren und ist bei den<br />

meisten Theologen und Philosophen ausser Geltung gesetzt;<br />

er birgt aber dennoch in gewisser Beziehung ein Körnchen<br />

Wahrhe<strong>it</strong> in sich: dass es keinen noch so rohen Völkerstamm<br />

gibt, bei dem nicht. Spuren von religiösen Vorstellungen anzutreffen<br />

wären. „An Götter im Sinne civilisirter Völker, an<br />

höhere Wesen, die, m<strong>it</strong> übermenschlicher Macht und Einsicht<br />

begabt, die Dinge dieser Welt nach ihrem Willen lenken,<br />

glauben allerdings durchaus nicht alle Völker; versteht man<br />

aber unter religiösem Glauben nur die Ueberzeugung von<br />

dem Dasein meist unsichtbarer geheimnissvoller Mächte, deren<br />

Wille überall und auf die mannichfachste Weise in den Lauf<br />

der Natur einzugreifen vermag, sodass der Mensch und sein<br />

Schicksal von ihrer Gunst äusserst abhängig ist, so dürfen<br />

wir behaupten, dass je<strong>des</strong> Volk eine gewisse Religion bes<strong>it</strong>ze.<br />

Es ist nicht zu leugnen, dass bei den Völkern der niedrigsten<br />

Bildungsstufe diese Religion im Grunde nichts ist als ein<br />

meist sehr ausgedehnter Gespensterglaube, aber man wird sich<br />

hüten müssen, das religiöse Element, welches unzweifelhaft<br />

darin enthalten ist, zu verkennen." 1 „Der Mensch sieht in<br />

den natürlichen sinnlichen Dingen durchgängig mehr und etwas<br />

anderes als blos sinnliche Eigenschaften und materielle Kräfte<br />

er sieht in ihnen übernatürliche Mächte und einen übernatürlichen<br />

Zusammenhang, er vergeistert die Natur."' 2 Diese Erscheinung<br />

findet ihre Erklärung darin, dass der Mensch selbst<br />

auf der niedersten Culturstufe zum Bewusst- und Selbstbewusstsein<br />

gelangt, dass er es zu Vorstellungen bringt, dass<br />

er Schlüsse zieht, dass er überhaupt als geistiges Wesen eine<br />

ideale Se<strong>it</strong>e, religiösen Sinn und Trieb hat, die im religiösen<br />

Glauben zum Ausdruck kommen. Man mag Religion<br />

als schlechthiniges Abhängigke<strong>it</strong>sgefühl von einem höchsten<br />

Wesen bezeichnen, als Beziehung <strong>des</strong> Endlichen zum<br />

Unendlichen, als Glaube <strong>des</strong> Menschen an Gott ansprechen,<br />

1<br />

Wa<strong>it</strong>z, Anthropologie, I, 324.<br />

2<br />

Ders., a. a. 0., S. 328.


|4 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

oder nach der anthropologischen Anschauung den Satz der<br />

Theologen: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde",<br />

umkehren und sagen: „Der Mensch schuf Gott nach seinem<br />

Bilde"; das Wesentliche an der Sache bleibt, dass Religion<br />

auf einem Zim-e im Menschen nach einem höhern vollkommnern<br />

Wesen und in<br />

der Anerkennung einer höhern Macht, als<br />

die <strong>des</strong> Menschen ist, beruht.<br />

Der Anthropologe hat hierin recht, dass jede Vorstellung<br />

von Gott Spuren <strong>des</strong> menschlichen Bewusstseins an sich trägt,<br />

wie schon Luther bemerkt, wenn er sagt: „Wie das Herz, so<br />

der Gott", was wol so viel sagen will als: nach der mehr<br />

oder minder entwickelten Bildungsstufe wird auch die menschliche<br />

Vorstellung vom höchsten Wesen eine mehr oder weniger<br />

sinnliche oder geläuterte sein. Die schlagendsten Beweise<br />

bieten die religiösen Vorstellungen der Naturvölker, welche<br />

eigentlich in der Personificirung derjenigen Dinge in der Natur<br />

bestehen, von denen der Mensch seine Existenz und sein<br />

Schicksal abhängig glaubt, und <strong>des</strong>sen günstige oder ungünstige<br />

Wendung der Wirkung selbständiger Geister zugeschrieben<br />

wird. Auf diesem Standpunkte fällt die Naturansicht m<strong>it</strong> der<br />

religiösen Ansicht der Dinge zusammen, und diese Geister<br />

sind ganz nach der Analogie der menschlichen Individual<strong>it</strong>ät<br />

gedacht.<br />

Aber auch die Vertreter <strong>des</strong> absoluten Abhängigke<strong>it</strong>sgefühls<br />

von Gott haben die Wahrhe<strong>it</strong> für sich, dass das Gefühl<br />

ein Wesensbestandtheil <strong>des</strong> religiösen Glaubens ist, ohne welches<br />

Religion weder unter dem Gesichtspunkte <strong>des</strong> Glaubens<br />

noch <strong>des</strong> Handelns lebendig oder wirksam sein kann. Ausserhalb<br />

<strong>des</strong> Zusammenhangs der geschichtlichen sowol als der<br />

begrifflichen Entwickelung steht<br />

eine<br />

nur diejenige Ansieht, welche<br />

Religion ungeahnt und historisch unvorbere<strong>it</strong>et urplötzlich<br />

einem Meteorsteine gleich über die Menschen herabfallen lässt.<br />

Dem Denker ist die Entstehung dieser Ansicht wol erklärlich,<br />

obschon diejenigen selbst, die sie hegen, dieselbe für unbegreiflich<br />

halten.<br />

Bei erwe<strong>it</strong>erter Fassuno: <strong>des</strong> Beoriffs Religion wird deren<br />

Element überall erkannt werden, wo ein Streben nach Idealem<br />

sich kundgibt, ob dieses in einer Naturkraft besteht oder im<br />

Schönhe<strong>it</strong>sideal, ob im Patriotismus oder in der Wissenschaft,<br />

es bleibt immer eine Beziehung zu etwas, das über dem End-


2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung der Naturvölker. 15<br />

liehen und Alltäglichen liegt und <strong>des</strong>halb stets in irgendeiner<br />

Hinsieht etwas Erheben<strong>des</strong> in sich trägt. Weil jeder Religionsform<br />

der Zug nach Idealem zu Grunde liegt, hat auch<br />

jede ein bilden<strong>des</strong> Moment in sich, und weil es keinen Menschenstamm<br />

gibt, bei dem nicht Spuren von Religion vorhanden<br />

wären, lebt auch keiner ein reines Thierleben, sowie<br />

kein Stamm der Sprache entbehrt,<br />

weil jeder zum vorstellenden<br />

Bewusstsein sich<br />

erhebt.<br />

2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung<br />

der<br />

Naturvölker.<br />

Das alte Sprichwort: „Noth lehrt beten" enthalt zwar,<br />

wie alle Sprichwörter, nicht die ganze Wahrhe<strong>it</strong>, ist<br />

aber auch<br />

nicht aller Wahrhe<strong>it</strong> bar. Ob der Satz dahin erklärt wird:<br />

die Noth sei als Mutter der Religios<strong>it</strong>ät zu betrachten 1 oder<br />

ob man dabei an die Worte <strong>des</strong> Goethe'schen Harfners<br />

erinnert: „Wer nie sein Brot in Thränen ass, der kennt euch<br />

nicht, ihr himmlischen Mächte"; soviel ist gewiss, das religiös-gläubige<br />

Gemüth fühlt in Augenblicken der Bedrängniss<br />

am meisten das Bedürfniss, seinem Gott sich zu nahen und<br />

ihm sich zuzuwenden. In der Noth überkommt den Menschen<br />

das Gefühl seiner Schwäche, hervorgerufen durch einen<br />

Gegensatz, der unüberwindlich zu sein droht und daher m<strong>it</strong><br />

Furcht erfüllt.<br />

Allerdings wird die Religios<strong>it</strong>ät, durch Noth und Bedrängniss<br />

veranlasst, eine unfreie sein und die daraus entspringenden<br />

Handlungen auch das Merkmal der Unfreihe<strong>it</strong> an<br />

sich tragen, indem sie als Opfer zur Sülmung oder zur freundlichen<br />

Stimmung <strong>des</strong> göttlich verehrten Wesens dargebracht<br />

werden; ungeachtet <strong>des</strong>sen muss doch das religiöse Moment<br />

dabei anerkannt werden und die unfreie Religionsform wird<br />

dem geistig entwicke<strong>it</strong>ern Religionsbegrifie gegenüber eben als<br />

niedrigere Stufe erscheinen.<br />

1<br />

Kraft, Die Religionsgeschichte in philosophischer Darstellung, S. 19.


{(] Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Im dunkeln Gefühle, ein einhe<strong>it</strong>liches Ganze zu sein, betrachtet<br />

der Mensch zunächst alles, was er in der Aussenwelt<br />

wahrnimmt, in Beziehung auf sich, inwiefern es seinem Wohle<br />

zuträglich ist oder entgegensteht, und unterscheidet das Angenehme,<br />

als m<strong>it</strong> seinem Gemeingefühl übereinstimmende, von<br />

dem Widersprechenden, dem Unangenehmen. Weil Harmonie<br />

das Grundgesetz sowol <strong>des</strong> grossen Ganzen, <strong>des</strong> Makrokosmos,<br />

als auch der menschlichen Natur, <strong>des</strong> Mikrokosmos, ist,<br />

sucht der Mensch unbewusst nach angenehmen Empfindungen<br />

und alles m<strong>it</strong> sich in Uebereinstimmung zu bringen. Der<br />

Naturmensch nimmt seine mikrokosmische Auffassungsweise<br />

auch zum Masstabe seiner Handlungsweise und erhebt das<br />

eigene Wohl, das ihm Angenehme zum Hauptgrundsatz der<br />

Moral und erachtet nur das für recht und gut, was seiner<br />

Selbsterhaltung dienlich, seinem Zustande angenehm ist. Ein<br />

treffen<strong>des</strong> Beispiel gibt jener Buschmann, der, über den Unterschied<br />

von gut und böse befragt, für böse erklärt, wenn<br />

ihm ein anderer seine Frauen raube, für gut hingegen, wenn<br />

er die Frauen eines andern raube. * Der Naturmensch wird<br />

alles, was in sein einhe<strong>it</strong>liches Sein störend eingreift, für böse<br />

und übelthätig ansehen, während er das m<strong>it</strong> ihm Uebereingestimmte<br />

wohlthätig und gut nennt. M<strong>it</strong> dem Naturleben im<br />

innigsten Zusammenhange, in die Sinnlichke<strong>it</strong> versenkt, ist auch<br />

seine geistige Thätigke<strong>it</strong> von dieser abhängig. Der Sinneseindruck<br />

bringt eine gewisse Stimmung hervor, und diese vertr<strong>it</strong>t<br />

beim Naturmenschen die Stelle <strong>des</strong> Urtheils. Solange dem<br />

Menschen der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung,<br />

Grund und Folge ein unaufgelöstes Räthsel ist, erfüllt ihn die<br />

staunende Furcht vor jeder Erscheinung, die ihm fremd entgegenkommt.<br />

Der Naturmensch und das Kind sind daher am<br />

meisten von der Furcht heimgesucht, daher auch für „grosse"<br />

Furcht das Ep<strong>it</strong>heton „kindisch" als synonym gebraucht zu<br />

werden pflegt. Das- Kin<strong>des</strong>alter weist auf den Urzustand <strong>des</strong><br />

Menschen hin und „noch immer ist die Menschhe<strong>it</strong> im<br />

kleinen das fortlebende Bild der Menschhe<strong>it</strong> im grossen" —<br />

„ein jeder von uns war also einmal auch Naturmensch, hat<br />

da angefangen, wo der erste Mensch seine Entstehung anfing" 2<br />

1<br />

Bastian, Der Mensch in der <strong>Geschichte</strong>, II, 83.<br />

2<br />

Fr. Aug. Carus, Ideen zur <strong>Geschichte</strong> der Menschhe<strong>it</strong>, S. 195.


2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung der Naturvölker. 17<br />

Der Satz :<br />

„ Die Kindhe<strong>it</strong> der Natur bleibt immer das Symbol<br />

aller ersten Entwickelung", dürfte freilich nur auf die erste<br />

Ze<strong>it</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>alters zu beschränken sein, denn ein Kind,<br />

das in einem civilisirten Lande, in einem gebildeten Familienkreise<br />

sechs Jahre alt geworden, wird m<strong>it</strong> einem sechsjährigen<br />

Indianerkinde im Urwalde kaum mehr auf gleicher Linie<br />

stehen. Die Eindrücke, die auf das Kind civilisirter Aeltern<br />

von Geburt an eingewirkt haben, sind ganz verschieden von<br />

denen, welche der kleine Urwaldbewohner in sich aufgenommen<br />

hat, demnach wird auch das Geistesleben beider verschieden<br />

sein, ja schon die Dämmerung <strong>des</strong> werdenden Bewusstseins<br />

in dem einen wird nicht ganz gleich sein dem<br />

Traumleben <strong>des</strong> andern. Vor dem Erwachen <strong>des</strong> Bewusstseins<br />

verschwimmen beide Kinder m<strong>it</strong> der Aussenwelt, die sie<br />

umgibt; aber eben diese ist bei beiden eine verschiedene und<br />

bringt eine verschiedene Wirkung hervor. Beide Kinder entwickeln<br />

sich allerdings nach demselben Gesetze <strong>des</strong> menschlichen<br />

Geistes, und in dieser Beziehung ist die Beobachtung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>lebens sowie <strong>des</strong> Lebens <strong>des</strong> Naturmenschen von<br />

wesentlichem Werthe für den Psychologen; betrachtet man<br />

aber die Summe , d. h. das zum Bewusstsein entwickelte Kind,<br />

so wird niemand in Abrede stellen können, dass es im Bewusstsein<br />

<strong>des</strong> kleinen Europäers anders aussieht als in dem<br />

<strong>des</strong> kleinen Waldindianers. Da in der Natur nichts sprungweise<br />

vor sich geht, jede Erscheinung viel mehr das Resultat von unabsehbaren<br />

nothwendigen Vorbere<strong>it</strong>ungsstufen ist, da dasselbe<br />

Gesetz auch bezüglich der menschlichen Natur in Kraft steht,<br />

wonach jede Form <strong>des</strong> geistigen Lebens eine ganze Reihenfolge<br />

von Factoren voraussetzt, deren Product sie ist: so<br />

muss die Verschiedenhe<strong>it</strong> der Factoren auch ein verschiedenes<br />

Fac<strong>it</strong> hervorbringen.<br />

Dem Menschen, der in<br />

den Jahren der Kindhe<strong>it</strong> oder im<br />

Kin<strong>des</strong>alter der <strong>Geschichte</strong> steht, erscheint die Natur zunächst<br />

furchtbar. Denn das Fremde an sich erregt Schrecken,<br />

und alles Unbekannte, Unerklärte jagt Furcht ein. Man erzählt<br />

von Thomas Platter, der, bei Beginn seiner Laufbahn<br />

als fahrender Schüler am Berge Grimsel zuerst ihn aneifernde<br />

Gänse erblickend, dieselben für den Teufel haltend die Flucht<br />

ergriff. Weil jede unbekannte Erscheinung feindlich zu wirken<br />

droht, betrachten die Wilden jeden Fremden als Feind.<br />

Eoskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I.<br />

2


1g Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Bevor der Mensch zum allgemeinen Denken emporwächst,<br />

fasst er nur die Einzelhe<strong>it</strong>en, und sein Verständniss reicht so<br />

we<strong>it</strong>, als eben seine Sinne reichen. Der Algonkiner in Amerika,<br />

der auf dieser Stufe steht, hat keinen Ausdruck für den<br />

allgemeinen Begriff Eiche, weil er nicht verallgemeinern kann,<br />

und benennt daher jede der verschiedenen Eichen, die in<br />

seinen Wäldern wachsen, m<strong>it</strong> besondern Namen *. Es ist<br />

ein Gesetz der menschlichen Natur, das Empfundene gegenständlich<br />

zu machen, das Innerliche nach aussen zu werfen.<br />

Da nun dem Naturmenschen so vieles unbekannt, fremd,<br />

unerklärlich ist, demnach so vieles furchtbar erscheint, bildet<br />

seine Phantasie, durch mächtige Erscheinungen oder gewaltige<br />

Ereignisse angeregt, furchtbare Gestalten, die er<br />

hinter jenen als Urheber erblickt. Die sinnliche Anschauung<br />

hat keinen Blick für den Zusammenhang zwischen Ursache und<br />

Wirkung, der sich dem denkenden Geiste erschliesst; jene<br />

ahnt nur eine besondere Ursache und kleidet sie, ihrer Eigenartio-ke<strong>it</strong><br />

gemäss, in eine besondere sinnliche Form. Eigentlich<br />

spiegelt sich die ganze Summe der Empfindungen, die Total<strong>it</strong>ät<br />

<strong>des</strong> Lebens in den Vorstellungen <strong>des</strong> Menschen. Ein<br />

treffen<strong>des</strong> Beispiel liefert die Ansicht <strong>des</strong> Grönländers von<br />

dem seligen Zustande nach dem Tode. „Weil die Grönländer<br />

ihre meiste Nahrung aus der Tiefe <strong>des</strong> Meeres bekommen,<br />

so suchen sie den glückseligen Ort unter dem Meere<br />

oder unter dem Erdboden und denken, dass die tiefen Löcher<br />

in den Felsen die Eingänge dafür seien. Daselbst wohnen<br />

Torngansuk und seine Mutter, da ist beständiger Sommer,<br />

schöner Sonnenschein und keine Nacht, da ist gutes Wasser<br />

und ein Ueberfiuss an Fischen, Vögeln, Seehunden und Rennthieren,<br />

die man ohne Mühe fangen kann oder gar in einem<br />

grossen Kessel lebendig kochend findet" 2 . Klemm macht<br />

hierzu die Bemerkung , dass der Grönländer ebenso wenig über<br />

seinen Horizont hinausgehe wie jene beiden Schweinehirten, die<br />

einander frugen, was sie thun würden, wenn sie Napoleon<br />

geworden wären? Der eine meinte: er würde von da an braune<br />

Butter aus Bierkrügen trinken; der andere versicherte, er<br />

möchte dann seine Schweine zu Pferde hüten. Wir sehen, dass<br />

« Bastian, II, 35.<br />

5<br />

Klemm, Allgemeine Culturgeschichte, II, 310.


2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung der Naturvölker. 19<br />

beide, im Schweinehirtenthum befangen, auch als Napoleone<br />

dasselbe nicht losgeworden wären.<br />

Das Gefühl der Furcht wird gegenständlich, indem es m<strong>it</strong>tels<br />

der Phantasie die Gestalt <strong>des</strong> Furchtbaren erhält. Der Indianer<br />

schreibt darum jede ihm unerklärliche Naturerscheinung einem<br />

Man<strong>it</strong>ou zu und versetzt in die Prärien den grossen Geist <strong>des</strong><br />

Feuers, der m<strong>it</strong> glühenden Bogen dahinrast; der Australier<br />

findet den schwarzen Wandvag in den Gummiwäldern hausen;<br />

der Kamtschadale sieht überall die tollen Streiche Kuka's; auf<br />

Tonga treiben die Holuah Pou's ihren Schabernack ; im brasilianischen<br />

Walde übt Gurupira seine Neckereien; bei Wassergefahr<br />

sieht der Dajak den Nesi-panjang m<strong>it</strong> seinen Beinen, über dem<br />

Flusse stehen; am Ufer <strong>des</strong> Maranon steht der Unhold Ypupiara<br />

und erdrosselt den Wanderer; in Senegambien brüllt<br />

Horey nach Opfern im Walde; auf Ceylon erfüllen die bösen<br />

Fafardets die Luft, und die Kalmücken hören den Drachen<br />

Dun Chan durch dieselbe fahren; in den canadischen Wäldern<br />

haust der Gigri; auf den Philippinen leben die Tibalangas auf<br />

den Baumgipfeln. „In Patna s<strong>it</strong>zt die Cholera m<strong>it</strong> Schädelknochen<br />

behangen an den Ufern der Sone" *). An der Sklavenküste<br />

unterlässt es der Dahomeer, <strong>des</strong> Nachts zu reisen, aus<br />

Furcht vor dem bösen Leiba , der in Schlangengestalt die Luft<br />

durchfliegt 2 ).<br />

Furcht ist wesentlich das Gefühl , wom<strong>it</strong> der Naturmensch<br />

erfüllt wird. Der indianische Führer <strong>des</strong> Reisenden Marthas<br />

glaubte sich dem Gurupira verfallen, als im Walde zufällig<br />

eine Eidechse herabgefallen, und nachdem er sich hierauf in<br />

einem Sumpfe verirrte, verzweifelte er vollends, je wieder aus<br />

<strong>des</strong>sen Macht zu kommen. „Noch scheuer war ein Indianer<br />

vom Stamme Catanaxis. Jeder krumme Ast oder abgestorbene<br />

Baumstumpf, jede seltsame Verschlingung von Sipos erschreckte<br />

ihn. Die Wanika fürchten sich vor ihrem eigenen<br />

Schatten" 3 ).<br />

In der Furcht liegt das Gefühl der eigenen Machtlosigke<strong>it</strong><br />

gegenüber einer Macht, die über den Menschen waltet,<br />

1<br />

Bastian, II, 38.<br />

2<br />

Ebendas., II, 145.<br />

3<br />

Bastian, II, 45.<br />

2*


20 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

und m<strong>it</strong> der Abhängigke<strong>it</strong> geht Hand in Hand die anerkennende<br />

Verehrung <strong>des</strong> mächtigen furchtbaren Wesens.<br />

Furcht ist nicht nur die Mutter der Weishe<strong>it</strong>, sondern<br />

auch der Religion, insofern sie den grossen Anstoss gibt zur<br />

Elementarregung <strong>des</strong> religiösen Sinnes und verm<strong>it</strong>tels der<br />

Phantasie religiöse Vorstellungen erzeugt. Es gibt dieser Anfang<br />

allerdings nur erst ein religiöses Dämmerlicht, das im<br />

Bewusstsein aufsteigt, daher auch die Gestalten dunkel gefärbt<br />

sind und das Gemüth in Bangigke<strong>it</strong> gefesselt liegt. Es<br />

fehlt dieser Religionsform das Moment der Freihe<strong>it</strong>, ist aber<br />

doch schon eine religiöse Ahnung von dem Walten übermenschlicher<br />

Mächte, vor denen der Naturmensch als vor<br />

einer Gotthe<strong>it</strong> sich beugt. Wir müssen daher auch dieser<br />

niedern Form den T<strong>it</strong>el „Religion" zuerkennen, wie der Botaniker<br />

nicht nur in der Palme, sondern auch in den Algen<br />

vegetabilische Gebilde erkennt.<br />

Es ist erklärlich, dass Erscheinungen, welche Unheil und<br />

Verderben drohen und das Dasein <strong>des</strong> Naturmenschen zu gefährden<br />

scheinen, zu allernächst <strong>des</strong>sen Aufmerksamke<strong>it</strong> auf<br />

sich ziehen, weil sie durch den merklichen Gegensatz auch<br />

merklich reizen, während die wohlthätigen Wirkungen der<br />

Natur, durch die der Mensch sein Dasein fristet, als selbstverständlich<br />

hingenommen werden. Man mag diesen Umstand<br />

„Undankbarke<strong>it</strong>" nennen *, es genügt uns, darin den Grund<br />

zu sehen, warum wir bei den Bojesmanen (Buschmännern) in<br />

Südafrika, den Indios da matto in den südamerikanischen<br />

Wäldern, bei den Pescheräh, den Bewohnern <strong>des</strong> Feuerlan<strong>des</strong><br />

und den Ureinwohnern Australiens, Californiens, sowe<strong>it</strong> sie von<br />

europäischen Einflüssen unberührt geblieben, mehr das Böse als<br />

das Gute als Gegenstand der Verehrung antreffen. Schon<br />

Herodot 2 erwähnt ein rohes Volk in der Wüste Sahara, die<br />

Ataranten, die sogar in der Sonne eine böse Macht sehen und<br />

dieselbe beim Aufgange unter heftigen Lästerungen verwünschen,<br />

weil sie dieselbe zu Grunde richte. Es wird von manchen<br />

Stämmen, wie z. B. von den Indianern von Caracas,<br />

behauptet, dass sie nur an ein böses Urwesen glauben 3 oder<br />

1<br />

Wa<strong>it</strong>z, Anthropologie, I, 362.<br />

* IV, 181.<br />

3<br />

Depons, im Magazin für merkwürdige Reisebeschreibungen, XXIX, 143.


2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung der Naturvölker. 21<br />

dass die bösen Wesen ein so grosses Uebergewicht haben,<br />

dass die guten fast ganz unbemerkt bleiben und keine we<strong>it</strong>ere<br />

Berücksichtigung finden, da sie, als dem Menschen freundlich<br />

gesinnt, ihm keinen Anlass bieten, ihnen zu dienen. Wie<br />

diese Stämme erst in den Windeln <strong>des</strong> menschlichen Daseins<br />

lieo-en,<br />

in den Anfängen der menschlichen Gesellschaft begriffen<br />

sind, so besteht auch ihre Religion auf der untersten Stufe<br />

<strong>des</strong> Schamanenthums in einem dumpfen Gefühle der Furcht<br />

vor ungewöhnlichen Ereignissen, die das menschliche Dasein<br />

bedrohen, deren Ursachen aber nicht gesehen werden können.<br />

Diese Ursachen, die der sinnlichen Wahrnehmung <strong>des</strong> Naturmenschen<br />

entzogen sind, die aber sein Schlussvermögen voraussetzen<br />

muss, commentirt seine Phantasie, indem sie ihnen eine<br />

sinnliche Form verleiht, d. h. sie personificirt. Allenthalben,<br />

wo der Naturmensch Bewegung und Thätigke<strong>it</strong> bemerkt, vermuthet<br />

er als Ursache ein Wesen seiner Art, die ihm unerklärlichen<br />

Veränderungen in der Natur, die ihm verderblich<br />

erscheinen, erhalten daher persönliche Wesen zu Urhebern,<br />

die er fürchtet, von denen er sich abhängig fühlt, die er <strong>des</strong>halb<br />

für sich zu gewinnen sucht durch Opfer u. dgl. Da es<br />

zumeist nur unangenehme, störende, also feindliche Einwirkungen<br />

sind, die den Menschen im Naturzustande auf seine<br />

Ö *<br />

Umo-ebuns: aufmerksam machen, so wird seine Phantasie die<br />

Ursachen auch in schreckliche Formen fassen. Solche sind die<br />

Fetische der Neger, die Ana der Brasilianer, die Balichu der<br />

Chacostämine, die Dämonen bei allen Völkern.<br />

Nach diesem „ der Phantasie eigenen Pragmatismus ",<br />

wie<br />

Gervinus sich irgendwo ausdrückt, wonach der Mensch die<br />

Ursachen der Erscheinungen zu erklären meint, wenn er sie<br />

personificirt, kann es nicht befremden, wenn in Cassange der<br />

Mann nach der Entbindung seines Weibes sich in das Bett<br />

dam<strong>it</strong> der Krankhe<strong>it</strong>sdämon getäuscht werde; oder wenn<br />

legt,<br />

der Bowakke nach der Geburt seines Kin<strong>des</strong> alles vermeidet,<br />

z. B. Thiere zu tödten, Bäume zu fällen u. dgl., wodurch er<br />

vielleicht unbewussterweise irgendein dämonisches Wesen beleidigen<br />

könnte, das sich dann an dem Säugling rächen<br />

würde. Darum zündet auf den Philippinen der Hausherr,<br />

sobald die Hausfrau Geburtswehen bekommt , vor seiner Hütte<br />

ein grosses Feuer an, hinter welchem er, m<strong>it</strong> einer Waffe<br />

in der Luft fechtend, sich aufstellt, um den Pontianac,


1<br />

22 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

das böse Wesen, das dem Gebären hinderlicb ist, zu verscheuchen.<br />

*<br />

So dumpf der Zustand <strong>des</strong> Naturmenschen auch sein mag,<br />

und so blind seine Furcht, wenn der Donner kracht, der<br />

Vulkan seine feurigen Rauchwolken emportreibt oder die Erde<br />

erbebt, so unterscheidet sich diese Furcht doch immer von<br />

dem Schrecken, von welchem das Thier bei ähnlichen Gelegenhe<strong>it</strong>en<br />

ergriffen wird. 2 Denn wenn der Naturmensch<br />

kraft seiner Phantasie an die Stelle der wirklichen Ursache<br />

auch blos ein Surrogat setzt, nämlich ein personificirtes Wesen,<br />

so beweist er dam<strong>it</strong> doch, dass er eine Ursache ahnt, und in<br />

dieser dunkeln Ahnung liegt ein unm<strong>it</strong>telbar gegebenes Urtheil,<br />

obschon noch unentwickelt, gleichsam im Schlafe begriffen.<br />

In religiöser Beziehung ahnt die Seele <strong>des</strong> Naturmenschen<br />

ein Unbeschränktes, Unendliches, in welchem ihr<br />

eigenes Sein wurzelt.<br />

Nach der Wirkung der umgebenden Natur, welche der<br />

Naturmensch als angenehm oder unangenehm unterscheidet,<br />

indem er sich dadurch wohl oder unwohl befindet, bewegt<br />

sich auch sein religiöses Gefühl im Kreise der Gegensätzlichke<strong>it</strong><br />

von Furcht und Scheu und dankbarer Anerkennung.<br />

Nach demselben Gesetze, wonach die sinnliche Anschauung<br />

hinter den Erscheinungen, welche dem Naturmenschen Furcht<br />

einflössen, persönliche Wesen vermuthet, werden auch wohlthätige<br />

Naturmächte personificirt, sodass das religiöse Bewusstsein<br />

inm<strong>it</strong>ten <strong>des</strong> Gegensatzes guter, wohlthätiger und<br />

böser oder übelthätiger göttlicher Wesen sich bewegt. Obgleich,<br />

wie schon bemerkt, bei den auf der untersten Culturstufe<br />

stehenden Jäger- und Fischerstämmen die Verehrung<br />

indem das Widerwärtige<br />

übelthätiger Wesen mehr betont ist,<br />

und Feindliche mehr gefürchtet, als der Dank für das Wohlthuende<br />

gefühlt wird, weil Dankgefühl, wo es vorherrscht,<br />

schon einen höhern Grad der Civilisation voraussetzt, daher<br />

meist erst bei ackerbautreibenden Stämmen zu finden ist, so<br />

lässt sich doch behaupten: Der Dualismus ist in allen<br />

Religionen der Naturvölker vorhanden.<br />

Bastian, I, 128.<br />

2<br />

Dagegen vgl. Renaud, (Jurisüanisinc et paganisine, Ö. 12.


2. Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> in der religiösen Anschauung der Naturvölker. 23<br />

Diese Ansieht findet schon an Plutarch ihren Vertreter 1 :<br />

„Deswegen ist auch von Theologen und Gesetzgebern auf<br />

Dichter und Philosophen diese uralte Ansicht übergegangen,<br />

deren Urheber sich zwar nicht angeben lässt, die aber doch<br />

durchaus zuverlässig und wahr ist, da sie nicht blos in Erzählungen<br />

und Sagen, sondern auch in den Mysterien und<br />

bei den Opfern allerwärts bei Griechen und Barbaren sich<br />

findet, ich meine die Ansicht, dass das Weltall keineswegs<br />

Vernunft- und verstandlos ohne Le<strong>it</strong>ung dem Ungefähr überlassen<br />

herumschwebe, noch von einem einzigen vernünftigen<br />

Wesen beherrscht und gelenkt werde, gleichsam wie m<strong>it</strong><br />

einem Steuer oder Zügel, sondern von vielen Wesen, und<br />

zwar von solchen, die aus Bösem und Gutem gemischt sind;<br />

oder, um es gerade herauszusagen, dass die Natur nichts Lauteres<br />

enthält, daher auch nicht ein einzelner Verwalter wie<br />

ein Schenkwirth aus zwei Fässern die Elemente gleich Getränken<br />

uns mischen und austheilen kann, sondern dass aus<br />

zwei entgegengesetzten Principien und zwei einander feindseligen<br />

Kräften, von welchen die eine rechts in gerader<br />

Richtung führt, die andere nach der entgegengesetzten Se<strong>it</strong>e<br />

sich wendet und umbeugt, das Leben und die Welt, wenn<br />

auch nicht die ganze, so doch diese irdische und lunarische,<br />

gemischt und dadurch ungleich, mannichfaltig und allen Veränderungen<br />

unterworfen ist. Denn da nichts ohne Ursache<br />

entstehen kann, so muss das Böse wie das Gute einen besondern<br />

Ursprung und eine<br />

besondere Entstehung haben.<br />

Dies ist die Ansicht der meisten und besten Philosophen.<br />

Einige von ihnen nehmen zwei einander gleichsam entgegenwirkende<br />

göttliche Wesen an, wovon das eine das Gute, das<br />

andere das Böse schaffe, andere nennen das Gute Gott, das<br />

andere Dämon."<br />

Obschon Plutarch in demselben Buche ven einer „Harmonie<br />

dieser Welt" spricht, sche<strong>it</strong>ert er doch an der Schwierigke<strong>it</strong>,<br />

das Gute und das Ueble in der Natur zu erklären.<br />

Diese Frage, die se<strong>it</strong> jeher den Menschengeist beschäftigt hat,<br />

bleibt auch ungelöst, solange der Mensch Licht und Finsterniss,<br />

Frost und H<strong>it</strong>ze und ähnliche Erscheinungen nicht auf<br />

1<br />

De Iside et Osiride, c. 45.


24 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

den letzten Grund zurückführt, aus dem Gesetze herzule<strong>it</strong>en<br />

nicht vermag, so lange er bei der Erklärung der Erscheinungen<br />

ihre Beziehung auf sein eigenes Dasein hincinmengt<br />

und die Relativ<strong>it</strong>ät <strong>des</strong> Uebels nicht zu klarem Bewusstsein<br />

erhebt.<br />

3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker.<br />

Zur Erhärtung der früher angeführten, auch von Plutarch<br />

vertretenen Behauptung eines durchgängigen Dualismus im<br />

religiösen Bewusstsein der Naturvölker dienen die Beobachtungen<br />

reisender Forscher und deren Berichte über die religiösen<br />

Anschauungen der Menschenstämme unter allen Himmelsstrichen<br />

der Erde.<br />

In den Urwäldern von Südamerika, von Borneo, von<br />

Timor, deren Boden nie von der Sonne berührt wird, wo<br />

sich an den riesenhaften Baumstämmen kolossale Schlingpflanzen,<br />

die selbst von der Dicke eines Baumes werden,<br />

hinaufranken und die Farrnkräuter, Nesseln baumartig sich<br />

erheben, Gebüsche und Gräser m<strong>it</strong> riesenhaften Dimensionen<br />

ineinanderwachsen,<br />

sodass das vegetabile Leben hier gleichsam<br />

seinen Triumph feiert, m<strong>it</strong> welchem die Farbenpracht der<br />

Thierwelt einen Wettstre<strong>it</strong> eingegangen zu sein scheint, in<br />

diesen Urwäldern streift der Naturmensch herum und findet<br />

bei dem milden feuchtwarmen Klima alles, was er zu seinem<br />

Lebensunterhalt braucht. Bei dem Jägerleben, das er führt, das<br />

Schweigen und Geduld erheischt, zeigt er anderwärts eine Un~<br />

behülflichke<strong>it</strong> und Unempfindlichke<strong>it</strong>, aus der er bei der Abgeschiedenhe<strong>it</strong><br />

der einzelnen Familien nicht herausgerückt werden<br />

kann. Sein ganzes Dasein erfüllt sich durch Sättigung und<br />

Ruhe und ist, abgesehen von dem, was auf das Jägerleben<br />

Bezug hat, in dem sich seine ganze Thätigke<strong>it</strong> concentrirt,<br />

im übrigen ein unerzogenes Kind. In seinem Gemüth wechseln<br />

stumpfe Gleichgültigke<strong>it</strong> m<strong>it</strong> den rohesten Ausbrüchen<br />

ungezügelten Affects. Er lebt nur für den Augenblick, für<br />

ihn gibt es kein Nacheinander der Ze<strong>it</strong>, sowie auch die ihn<br />

umgebende Natur in ihrem Klima immer gleichbleibt, Tag<br />

und Nacht fast immer von derselben Länge und auch


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 25<br />

die atmosphärischen Ersehein ungen regelmässig sind. So<br />

dunkel wie der Urwald, in dem er haust, ist auch der religiöse<br />

Gemüthszustand <strong>des</strong> Waldbewohners; er ist erfüllt von<br />

grauenhafter Furcht, die man m<strong>it</strong> der unserer Kinder an einsamen,<br />

düstern Orten verglichen hat. 1 Die Furcht wird<br />

hervorgerufen durch gewaltige Erscheinungen, die er nicht<br />

wie die feindlichen Thiere erjagen kann, als: heftige Stürme,<br />

Gew<strong>it</strong>ter, vulkanische Erscheinungen, deren Entstehen zu erklären<br />

er nicht vermag und daher auf ein höheres Wesen<br />

zurückle<strong>it</strong>et. Dieses Wesen ist Tupan (Tapan), dem besonders<br />

der Donner zugeschrieben wird. Ausser diesem hausen<br />

im Innern der Urwälder noch andere zu fürchtende Wesen,<br />

m<strong>it</strong> welchen die Paje verkehren, eine Art Zauberer, die<br />

in ausserordentlichen, wichtigen Fällen zu liathe gezogen werden.<br />

2 In den Wäldern von Peru fand Pöppig 3 bei den Indianern<br />

den Glauben, dass im dichten Dunkel <strong>des</strong> Wal<strong>des</strong> das übelthätige<br />

Wesen Uchuclluchacpii sich aufhalte, das den Jäger in die<br />

Wai<strong>des</strong>einöde immer tiefer hineinlocke, um ihn zu verderben.<br />

Auch im alten Peru findet sich der Dämonencultus und Fetischismus,<br />

der neben dem Sonnendienst, der Staatsreligion<br />

<strong>des</strong> Inkareichs, einherging, und so hatte sich aus der vorinkaschen<br />

Periode die Vorstellung von einem bösen Dämon<br />

auch in späterer Ze<strong>it</strong> erhalten, den die Peruaner Cupay (Supay)<br />

nannten, als Herrn <strong>des</strong> blassen To<strong>des</strong> fürchteten und<br />

ihm überhaupt viel Einfluss auf die menschlichen Angelegenhe<strong>it</strong>en<br />

zuschrieben. 4 Wie es um den angeblichen Monotheismus<br />

der Inkas stand, den Garcilasso, ihr Lobredner, ihnen<br />

und den Inkaperuanern zueignen möchte, hat Wa<strong>it</strong>z 5 genügend<br />

gezeigt, indem er den Polytheismus auch in der altern Ze<strong>it</strong><br />

nachweist. Derselbe bestätigt auch, dass sich der Glaube an<br />

den bösen Supay oder Sopay bis in die neuere Ze<strong>it</strong> erhalten<br />

habe und diesem in manchen Gegenden kleine Kinder geopfert<br />

worden seien.<br />

1<br />

Klemm, I, 278.<br />

2<br />

Spix und Martius, Reise nach Brasilien, I, 379.<br />

3<br />

Reise in Chile, Peru etc., II, 358.<br />

4<br />

Prescott, <strong>Geschichte</strong> der Eroberung von Peru, I, G6; Garcilaaso,<br />

<strong>Geschichte</strong> der Inkas, II, 2.<br />

5<br />

Anthropologie der Naturvölker, IV, 447 fg.


2G Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Es ist bestätigt, class die Spanier in Peru und Mexico<br />

den Glauben an gute und böse Wesen vorfanden. l In<br />

der untergegangenen Cultur von Anahuac, dem alten<br />

Mexico,<br />

zeigt sich in den religiösen Vorstellungen der Azteken ein<br />

seltsames Gemisch von der Wildhe<strong>it</strong> ihres Charakters und<br />

toltekischer Milde. Es findet sich die Vergötterung <strong>des</strong> Culturheros<br />

Quetzalkoatl neben der Verehrung blutdürstiger<br />

Dämonen. Man hat in der Verehrung <strong>des</strong> aztekischen Sonnengottes<br />

Teotl einen ausgesprochenen Monotheismus erkennen<br />

wollen 2 ;<br />

näher betrachtet, zeigt sich die Religion <strong>des</strong> alten<br />

Mexico als Gestirndienst, als Verehrung elementarer Mächte<br />

und Dämonencult , obschon auch uralter Thierdienst bemerklich<br />

ist, <strong>des</strong>sen Hauptgegenstand in früherer Ze<strong>it</strong> die Schlange<br />

war, und da alles seine Gotthe<strong>it</strong> erhielt, so kann es nicht<br />

befremden, dass die Azteken über 300 Gotthe<strong>it</strong>en zählten.<br />

Da aber in jedem Naturdienst die Naturmächte personificirt<br />

werden, so glaubten auch die Azteken an gute und böse<br />

Wesen. Zu den ältesten Gotthe<strong>it</strong>en, die schon von den Urbe<br />

wohnern verehrt wurden, gehörte der schon erwähnte<br />

Teotl, „durch den wir leben, welcher alles in sich selbst ist".<br />

Ihm gegenüber steht der böse Geist, der Feind der Menschen,<br />

Tlakatekolotl, der ihnen oft erscheint und sie erschreckt,<br />

in dem Klemm 3 ein Ueberbleibsel aus dem Wald- und Gebirasleben<br />

der alten Jäo-erstämme erkennen will. Es wird<br />

zwar bestr<strong>it</strong>ten, dass Tlakatekolotl als Widerpart <strong>des</strong> Teotl,<br />

also als Teufel der mexicanischen Religion zu betrachten<br />

sei, da die s<strong>it</strong>tliche Bedeutung fehle 4 ;<br />

allein gesetzt auch, dass<br />

dem so wäre, so ist der Dualismus doch vorhanden, und zwar<br />

nicht nur auf Grund dieser beiden Gotthe<strong>it</strong>en, sondern aul<br />

Grund der mexicanischen Religion überhaupt, in welcher die<br />

aztekische Schicksalsidee scharf ausgeprägt auftr<strong>it</strong>t,<br />

daher auch<br />

Sterndeuterei und Traumzeichen eine grosse Rolle spielen.<br />

Wenn Wa<strong>it</strong>z meint, der Gegensatz zwischen dem guten und<br />

bösen Princip scheine in der mexicanischen Religion keine<br />

hervorragende Stelle eingenommen zu haben, so wollen wir<br />

1<br />

Home, Versuch über die <strong>Geschichte</strong> der Menschen, II, 232 fg.<br />

2<br />

Prescott, <strong>Geschichte</strong> der Eroberung ven Mexico, I, 46.<br />

3<br />

V, 114.<br />

4<br />

Müller, <strong>Geschichte</strong> der amerikanischen Urrcligionen, 573.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 27<br />

dies auf sich beruhen lassen, da es sieh nur um das Vorhandensein<br />

eines bösen Wesen handelt, von dem Wa<strong>it</strong>z den besondern<br />

Namen anführt und überdies die naive Bemerkung<br />

von B. Diaz, einem der Conquistadoren: „die Mexicaner,<br />

welche die Spanier als Teuces (Götter) bezeichneten, hätten<br />

unter diesen vorzugsweise böse Geister verstanden". x<br />

Die dualistische Anschauung der Mexicaner tr<strong>it</strong>t auch in<br />

der Verehrung der zwei Gotthe<strong>it</strong>en Tetzkatlipoka und seines<br />

Bruders Hu<strong>it</strong>zilopotchli hervor. Der erstere (auch<br />

Tetzkatlpopoka oder Tetzkalipulla genannt) heisst der „glänzende<br />

Spiegel", „Seele der Welt", ist Schöpfer <strong>des</strong> Himmels<br />

und der Erde, überhaupt Urheber und Erhalter der<br />

Welt. Der andere, im europäischen Volksmunde zu V<strong>it</strong>zliputzli<br />

corrumpirt,<br />

ist die negative Se<strong>it</strong>e <strong>des</strong> aztekischen Gottesbegrifis<br />

und steht ersterm gegenüber, wie dem indischen Varuna<br />

oder dem Vislmu, dem Beieber und Erhalter der Welt,<br />

der Agni oder Siva als Zerstörer entgegengesetzt wird, der<br />

aber ungeachtet seiner schrecklichen Eigenschaften in der Vorstelluno;<br />

der Sivadiener ein seinen Gläubip-en wohlthuender<br />

Gott ist.<br />

So war auch Hu<strong>it</strong>zilopotchli von den Azteken we<strong>it</strong><br />

über seinen Bruder gestellt und verehrt. Als der „Schreckliche"<br />

war er der Kriegsgott, furchtbar im Bilde und in der<br />

Bedeutung; aber als Schutzgott sein Volk segnend, war sein<br />

Tempel im M<strong>it</strong>telpunkt der Stadt zugleich der M<strong>it</strong>telpunkt<br />

<strong>des</strong> mexicanisehen Reichs und die Stätte grauenhafter Menschenopfer.<br />

Sein Cult war sehr alt, denn die einwandernden<br />

Stämme brachten ihn schon m<strong>it</strong>. Als verneinen<strong>des</strong> Princip<br />

repräsentirt er die Gottesmacht, die sich dem andern Dasein<br />

gegenüber als Macht erweist, indem sie es verneint, sonach<br />

m<strong>it</strong> dem Baal (dem Verzehrenden) der Sem<strong>it</strong>en zu vergleichen<br />

2 ,<br />

insofern er auch das Moment der Besonderhe<strong>it</strong> und<br />

Ausschliesslichke<strong>it</strong> darstellt. Als Kriegse-ott eines erobernden<br />

Volks und <strong>des</strong>sen Schutzo-ott wurde er zum eigentlichen Nationalgott<br />

der Azteken, er war ihr göttlicher Führer auf der<br />

langen Wanderung nach Mexico.<br />

Die Mexicaner hatten noch<br />

eine Menge geringerer Gotthe<strong>it</strong>en: <strong>des</strong> Wassers, Feuers, der<br />

1<br />

Wa<strong>it</strong>z, Anthropologie, IV, 147.<br />

a<br />

Wuttke, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Ileidenthums, I, 256.


28 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Berge, der Freude u. a. in., ausser diesen aber auch eine<br />

Menge böser Dämonen. l<br />

Die brasilianischen Indianer nennen den bösen Geist<br />

Agurjan. Der brasilianische Bauer, namentlich in den nördlichen<br />

und m<strong>it</strong>tlem Provinzen <strong>des</strong> Reichs, der, stolz und faul,<br />

keinen Wohlstand kennt, ist ganz beherrscht vom Glauben<br />

an gute und böse Waldgeister und andere Gespenster und<br />

hegt religiöse Vorstellungen, die ebenso abgeschmackt als die<br />

der Botokuden befunden worden sind. 2<br />

Die Einwohner von Terrafirma betrachten die Sonne<br />

als die wohlthätige Gotthe<strong>it</strong>, fürchten aber auch ein böses<br />

Wesen als Urheber aller Uebel, dem sie, um es günstig zu<br />

stimmen, Blumen, Flüchte u. dgl. zum Opfer darbringen.<br />

Die Guarani, die zwar Opfer und Cultus, aber keine<br />

Idole besessen haben sollen 3 ,<br />

pflegten zur Versöhnung der<br />

bösen Geister, an die sie glaubten, Gaben darzubringen. Zum<br />

Schutze vor dem bösen Agnan (Agnian, Aenjang) oder Kaasherre<br />

unterhielten sie <strong>des</strong> Nachts einen Feuerbrand.<br />

Die Araucaner opfern ihren bösen Geistern bisweilen<br />

einen Kriegsgefangenen, dem sie das Herz herausreissen. Sie<br />

rauchen den bösen Wesen zu, nennen deren Oberhaupt Pillan 4 ,<br />

auch Guenupiglian, wom<strong>it</strong> sie auch Vulkane bezeichnen. Die<br />

Berichte über den Namen ihres<br />

guten und bösen Wesens treffen<br />

nicht ganz zusammen; das Wesentlichste ist jedoch, dass<br />

die<br />

Vorstellung von einem guten und bösen Wesen herrscht. s<br />

Die Pehuenche nennen ihren höchsten Gott Pillam<br />

und den Urheber alles Uebels Gueculbu. 6<br />

Die A ntis aner, deren ursprünglicher religiöser Glaube<br />

Monddienst sein soll , fürchten besonders den bösen Geist<br />

Choquigua, der als Hauptgegenstand ihrer Verehrung gilt. 7<br />

Die Bewohner von Louisiana anerkennen ein Wesen<br />

4<br />

Clavigero, <strong>Geschichte</strong> von Mexico, VI, c. 5, 33, 34, 35, 39.<br />

2<br />

Prinz Max, Reise nach Brasilien 1820, II, 39.<br />

3<br />

Wa<strong>it</strong>z, III, 418.<br />

* Ovaglie, Hist. de relat. del regno di Cile, 2G3.<br />

5<br />

Bardel, 775.<br />

6<br />

De la Cruz, Viage etc., S. 30.<br />

7<br />

Casio, Kurze Beschreibung der Provinz Mojos, in Lüdde's Ze<strong>it</strong>schrift<br />

für Erdkunde, III, 50.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 29<br />

als Urheber <strong>des</strong> Guten und eins als Stifter <strong>des</strong> Uebels, welches<br />

letztere seine Herrschaft über die ganze Welt ausübt.<br />

Die von Florida verehren Sonne, Mond und Sterne, haben<br />

aber auch ein böses Wesen, Namens Toia, <strong>des</strong>sen Gunst sie<br />

durch Feste, ihm zu Ehren veranstaltet, zu gewinnen suchen.<br />

Die Canadier und die in der Nähe der Hudsonsbai wohnenden<br />

Indianer, welche Sonne, Mond und Bl<strong>it</strong>z verehren,<br />

fürchten besonders ein böses Wesen, das im Hervorbringen<br />

<strong>des</strong> Bösen allmächtig vorgestellt wird. Die Indianer an der<br />

Davisstrasse nehmen ebenfalls gewisse wohlthätige und übelthätio-e<br />

Wesen an. Die Warrau-Indianer in Guiana verehren<br />

ein erhabenes Wesen als Schöpfer der Welt, das sich<br />

aber um deren Regierung wenig kümmern soll; wogegen böse<br />

Wesen die Uebel in der Welt geschaffen haben. l<br />

Bei den Karaiben finden sich zwei Arten von Wesen,<br />

wohlthätige, die ihren S<strong>it</strong>z im Himmel haben, wovon jeder<br />

Mensch das seinige als Führer auf Erden hat; boshafte, die<br />

durch die Luft ziehen und ihre Lust daran finden, den Menschen<br />

Schaden zuzufügen. Wie die Indianer Nordamerikas<br />

glaubten sie an einen höchsten guten Gott und Schöpfer, den<br />

sie ihren „grossen Vater" nannten 2 ; neben diesem aber an eine<br />

Menge guter Icheiri und böser Mapoya. 3 Bei den jetzigen Karaiben<br />

gilt (wie bei den Macusi, Akawai und Aarawak) „der, welcher<br />

in der Nacht arbe<strong>it</strong>et", als der Schöpfer der Welt, auf den<br />

sie alles Gute zurückführen. Er setzte sich auf einen Baum,<br />

hieb Zweige ab und verwandelte sie in Thiere, zuletzt schuf<br />

er den Mann, der in einen tiefen Schlaf verfiel und beim<br />

Erwachen ein Weib an seiner Se<strong>it</strong>e fand. Als später Epel,<br />

das böse Wesen, die Oberhand auf der Erde erhielt, schickte<br />

jener grosse Fluten, denen nur ein Mann in einem Kahne<br />

entrann. Die Ratte brachte ihm m<strong>it</strong> einem Maiskolben die<br />

Botschaft, dass sich die Wasser verlaufen hätten, und er<br />

selbst bevölkerte die Erde aufs neue, indem er Steine hinter<br />

sich warf. 4<br />

1<br />

Froriep, Fortschr<strong>it</strong>te in den Naturwissenschaften, 1847, Nr. 35.<br />

2<br />

Gumilla, Hist. nat. civ. et geograph. de l'Orcnoque, 2(J.<br />

3<br />

Du Tertre, Hist. gener. <strong>des</strong> Antilles, II, 365.<br />

4<br />

Schomhurgk in dem Monatsbericht der Gesellschaft für Erdkunde,<br />

Neue Folge, II, 122 fg., 319.


30 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Auch bei den Laparos, Yaos-Chaymas, herrscht der<br />

dualistische<br />

Glaube an gute und böse Wesen, die durch die<br />

Macht der Zauberer dem Menschen dienstbar gemacht werden.<br />

Die Mandans oder Mönn<strong>it</strong>aris haben den Ohmahauk-Chika, den<br />

Bösen der Erde, dem sie viel Gewalt über die Menschen zuschreiben,<br />

gegenüber dem Rokanka-Tauihanka, der die Menschen<br />

auf der Erde beschützt.<br />

Die wesentliche Grundlage <strong>des</strong> nordamerikanischen Cultus<br />

wie der Naturreligion der Indianer ist der Feuercultus, der<br />

sich bis zum Rauchen <strong>des</strong> Tabacks als Cultushandlung und<br />

dem Herumgeben der Pfeife in feierlichen Versammlungen<br />

nachweisen lässt. - Der bekannteste Zug in der Religion der<br />

Indianer ist allerdings der Glaube an den „grossen Geist",<br />

den „Herrn <strong>des</strong> Lebens" oder „Geber <strong>des</strong> Lebens"; es ist<br />

aber zu we<strong>it</strong> getrieben, diesen überall in den M<strong>it</strong>telpunkt<br />

zu stellen, wie es von manchen geschehen ist. Der grosse<br />

Geist, der an der Sp<strong>it</strong>ze der Religion <strong>des</strong> Indianers steht, wird<br />

dargestellt als Riesenvogel, der, m<strong>it</strong> seinen Flügeln das Meer<br />

berührend, die Erde hervorbrachte, seine Augen waren Feuer,<br />

seine Blicke Bl<strong>it</strong>ze, sein Flügelschlag Donner. Diese Auffassung<br />

findet sich bei den Chippeway, am Mackenzie, den<br />

Sioux 3 , den Irokesen, den Pari u. a. Die Sage weiss<br />

von einem Kampfe dieses Vogels m<strong>it</strong> der Schlange, dem<br />

bösen Princip, welche die Eier <strong>des</strong> Vogels fressen will. Der<br />

grosse Geist ist dem Indianer vor allem der Donnerer, daher<br />

jener beim Gew<strong>it</strong>ter von To<strong>des</strong>furcht ergriffen wird. 4 Zuweilen<br />

wird dem grossen Geiste auch Menschengestalt beigelegt.<br />

Da nach der Vorstellung <strong>des</strong> Indianers das Böse<br />

nicht vom Guten, noch dieses von jenem kommen kann,<br />

so herrscht neben dem gütigen Himmelsgott, dem belebenden<br />

Princip der Natur, der wohlthätigen Macht der Sonne und<br />

<strong>des</strong> Feuers, in der Welt noch der böse Geist, der im Gegensatz<br />

zum überirdischen Gott als unterirdisches Wesen, als<br />

Wassergott, im Gegensatz zum fliegenden Vogel als kriechende<br />

1<br />

Bancroft, Naturgeschichte von Guiana, 191 fg.<br />

* Vgl. Erman's Archiv, VIII, 213.<br />

3<br />

Prescott bei Schoolcraft, 111, 233.<br />

4<br />

Loskiel, <strong>Geschichte</strong> der Mission der evangelischen Brüder unter<br />

den Nordamerik , 49.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 31<br />

Schlange dargestellt wird. x Dies ist die gewöhnliche Form,<br />

unter welcher Hobbamock, auch Abamocho, Chepian 2 erscheint,<br />

obschon er auch andere Thiergestalten annimmt und<br />

an unheimlichen Orten gegenwärtig gedacht wird. Weil der<br />

Mensch von Uebel und Unglück in mannichfaltiger Weise und<br />

empfindlicher getroffen wird, die m<strong>it</strong> seinem Wesen harmonische<br />

Erscheinung hingegen viel gleichgültiger hinnimmt, so<br />

erklärt es sich, dass man sich dem Dienste <strong>des</strong> bösen Wesens<br />

eifriger als dem <strong>des</strong> grossen Geistes hingibt, da von diesem<br />

nichts zu fürchten ist, jenes aber die Existenz bedroht, daher<br />

versöhnt und günstig gestimmt werden muss. Der allgemeinste<br />

und bestimmt ausgeprägte Zug in den religiösen Vorstellungen<br />

der Indianer ist jener Dualismus, die Annahme guter und böser<br />

Wesen, der allerdings m<strong>it</strong> Modificationen der Schärfe auftr<strong>it</strong>t,<br />

aber gewiss nicht erst durch die christlichen Missionäre eingeführt<br />

worden ist. Der gute und böse Geist, Hawneyn<br />

und Hanegoasegeh 3 , treten bei den Irokesen als Zwillingsbrüder<br />

auf und zwar m<strong>it</strong> gleichem Antheile an der Schöpfung.<br />

Wenn von den nördlichen Algonkineru berichtet wird, dass<br />

sie das gute und böse Princip Sonne und Mond nennen 4 , so<br />

sind nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise der Indianer dam<strong>it</strong><br />

zwei Erscheinungen bezeichnet, die einander begle<strong>it</strong>en oder<br />

folgen. Wem daher die böse Gotthe<strong>it</strong> im Traume erscheint,<br />

erzählt ein Sauk, der ziehe Weiberkleider an und diene als<br />

Weib. 5 Nach der Ueberlieferung der Huronen hatte der<br />

Weltschöpfer Yoscaha eine Grossmutter, Ataensig, welche das<br />

böse Princip vertr<strong>it</strong>t, jeuer aber das gute. 6 Am verbre<strong>it</strong>etsten<br />

ist bei ihnen der Glaube an die Oki, wom<strong>it</strong> auch die Algonkiner<br />

die höhern Wesen bezeichnen. 7 In früherer Ze<strong>it</strong> wurde<br />

auch in Virginien der böse Geist Okee oder ükeus genannt.<br />

Auch die Potowatomi glauben an böse Wesen als Urheber<br />

innerer Krankhe<strong>it</strong>en, die als Besessenhe<strong>it</strong> gelten. Die<br />

1<br />

Copway, The trad<strong>it</strong>. last, of the Ojibway nation, 184.<br />

2<br />

Hutchinson, Hist. of Massachusetts, 421.<br />

8<br />

Schoolcraft V, 155.<br />

4<br />

De la Potherie, Hist. de l'Amerique septent., I, 121.<br />

5<br />

Keating, Karr, of an exped. to the source of St. Peter's River,<br />

I, 216.<br />

6<br />

Sagard, Grand voy. du pays <strong>des</strong> Hurons, 288.<br />

7<br />

Champlain, Voy. de la nouvelle France occid., I, 296.


39 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Geisterbeschwörer führen in ihrem Zauberbeutel die M<strong>it</strong>tel,<br />

welche den Einfluss der bösen Geister abwehren. Sie verfahren<br />

bei der Heilung aber auch auf andere Weise, sie<br />

saugen an der kranken Stelle, um dann den bösen Dämon<br />

auszuspeien, oder machen ein kleines Thierbild, das sie erschiessen<br />

oder erstechen, wenn das böse Wesen sich in<br />

Thiergestalt in den Kranken eingeschlichen hat, u. dgl. m. x<br />

Die Dahkotahs, die in vieler Beziehung als typisch angenommen<br />

werden können, haben, neben dem grossen Geiste,<br />

den Glauben an Havkah, ein riesenhaftes Wesen von übermenschlichen<br />

Kräften, das so mächtig ist, um den Donner<br />

in seine Hand zu nehmen und auf die Erde werfen zu können,<br />

ist zweifarbig an Gesicht und Augen, führt stets Bogen<br />

und Pfeile m<strong>it</strong> sich, obwol es ihrer nicht bedarf, da es m<strong>it</strong><br />

dem Blicke Thiere tödten kann. Es heisst der widernatürliche<br />

Gott, weil es im Sommer friert und im Winter von der<br />

Kälte leidet, heisses Wasser kalt findet und umgekehrt<br />

u. dgl. m. Sie ziehen bei ungewöhnlichen Himmelserseheinungen<br />

aus, um durch Schreien, Pfeifen und Lärmen die<br />

bösen Wesen, in deren Gewalt sich der Himmel befindet, zu<br />

verscheuchen. Sie glauben an einen Gott <strong>des</strong> Winters, den<br />

Mann <strong>des</strong> Nordens , <strong>des</strong>sen Sohn von dem Manne <strong>des</strong> Südens,<br />

dem Gotte <strong>des</strong> Sommers, getödtet wurde. 2 Die Bewohner der<br />

Insel Nutka an der nordwestlichen Küste Amerikas glauben an<br />

das Dasein eines guten und eines bösen Wesens, Quautz und<br />

Matlox, die einander bekämpfen. 3 Die Chinook, an derselben<br />

Küste, stellen den grossen Geist meist als grossen Vogel<br />

vor, der in der Sonne wohnt. Eine andere Gotthe<strong>it</strong>, die nur<br />

Böses hervorbringt, lebt im Feuer. 4 Die Selisch im Innern<br />

<strong>des</strong> Oregongebietes reden zwar vom grossen Geiste, sollen<br />

ihm aber keine Verehrung erweisen; dagegen ist aber auch<br />

hier der Dualismus von guten und bösen Wesen verbre<strong>it</strong>et. 5<br />

Die religiösen Vorstellungen der Ureinwohner Californiens,<br />

1<br />

Wa<strong>it</strong>z, III, 213.<br />

2<br />

Wa<strong>it</strong>z, Die Indianer Nordamerikas. Eine Studie, S. 133.<br />

3<br />

Humboldt, Neu-Spanien II, 257.<br />

4<br />

W. Irving, Astoria, 259 fg.<br />

5<br />

Cox, The Columbia river, I, 230; Parker, Journal of an explor. tour<br />

beyond the Rocky mountains, 240.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 33<br />

in deren Sprache, nach dem Berichte Bägert's *, die Worte<br />

„Gott" und „Seele" gar nicht vorkommen, werden allerdings<br />

dumpf gewesen sein; indem aber derselbe Berichterstatter<br />

Schamanenthum findet, obschon in sehr roher Form, und von<br />

Männern und Weibern spricht 2 , die m<strong>it</strong> den Geistern verkehren<br />

als den Urhebern von Hungersnoth, Krankhe<strong>it</strong>en und andern<br />

Uebeln: so wird hierm<strong>it</strong> eine dualistische Anschauung von<br />

guten und bösen Wesen vorausgesetzt. Denn das Schamanenthum<br />

beruht in der Anerkennung einer Macht, die der Mensch<br />

unm<strong>it</strong>telbar zu bewältigen nicht im Stande ist,<br />

daher zu verschiedenen<br />

Beschwichtigungsm<strong>it</strong>teln seine Zuflucht nimmt.<br />

Wenn Reiseberichte über Mangel an Zusammenhang; in den<br />

religiösen Vorstellungen der Jäger- und Fischerstämme klagen,<br />

so ist zu bemerken, dass auf dieser Stufe der Cultur überhaupt<br />

kein Zusammenhang erwartet werden sollte. „Der<br />

Mensch verhält sich der Natur gegenüber als Raubthier, er<br />

offenbart seine Herrschaft über sie durch ihre Verneinung:,<br />

er bezwingt ihr Leben, indem er es tödtet." 3 Er treibt<br />

noch keine Arbe<strong>it</strong> , durch die er die Natur umbildete<br />

und dadurch sich selbst bildete, er lebt in kleinen Familien<br />

zerspl<strong>it</strong>tert, bringt es kaum zu einem Volksstamm, geschweige<br />

dass er sich zu einem Volke erwe<strong>it</strong>erte, hat keinen<br />

festen S<strong>it</strong>z, daher auch kein Bes<strong>it</strong>zthum, darum auch keine<br />

<strong>Geschichte</strong>. Bei den Re<strong>it</strong>er- und Jägerstämmen, welche die<br />

grossen Ebenen von Süd- und Nordamerika bewohnen, findet<br />

sich schon der Anfang von Feldbau, Viehzucht und, dam<strong>it</strong><br />

Hand in Hand gehend, manche Fertigke<strong>it</strong> in Bere<strong>it</strong>ung der<br />

Nahrung, Kleidung, <strong>des</strong> Schmucks; die Wohnungen sind<br />

fester, die Familien schliessen sich zu ganzen Stämmen aneinander.<br />

Demgemäss sind auch die religiösen Vorstellungen<br />

mehr zusammenhängend und gipfeln in einem höchsten Wesen<br />

als Urheber alles Lebens. So ist der nordamerikanische Rothhäuter<br />

dem Indianer Südamerikas an entwicke<strong>it</strong>ern Lebensformen<br />

we<strong>it</strong> alberlegen. Der merkliche Wechsel der Jahresze<strong>it</strong>en<br />

bringt ihm das Nacheinander der Ze<strong>it</strong> mehr zum Be-<br />

1<br />

Nachrichten von der amerikanischen Halbinsel Californien. Von<br />

einem Priester der Gesellschaft Jesu, 1772.<br />

2<br />

S. 165.<br />

3<br />

Wuttke, I, 47.<br />

Roskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. 1. o


34 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

wusstsein, der Winter heisst ihn im Sommer Vorräthe sammeln,<br />

sich m<strong>it</strong> Bekleidung zu versehen, die scharfen Winde,<br />

Schnee, Nebel in den Prairien Nordamerikas erheischen festere<br />

Wohnungen, die aneinandergereiht zu Dörfern werden, in<br />

denen die Familien zu Stämmen sich zusammenfassen. Im<br />

südlichen Amerika, wo der Wechsel der Jahresze<strong>it</strong> keine<br />

wesentliche oder langdauernde Veränderung zeigt, bedarf es<br />

nur eines leichten Schirmdachs, und dieselbe Bekleidung genügt<br />

das ganze Jahr hindurch. Die Dauer <strong>des</strong> Aufenthalts<br />

ist von der Menge <strong>des</strong> Wil<strong>des</strong> abhängig, die der Wald bietet,<br />

oder von der Reife der Frucht eines flüchtig bebauten Bodenstücks,<br />

wonach die elende, von Baumzweigen zusammengebundene<br />

Hütte verlassen wird und der Zug we<strong>it</strong>er geht.<br />

Während der amerikanische Südländer von wenig Abwechselung<br />

"umgeben, auch wenig angeregt wird, führt der<br />

Nordländer ein stets wechseln<strong>des</strong> Leben zwischen träger Beschaulichke<strong>it</strong><br />

und angestrengter Thätigke<strong>it</strong>. Unter allen Stämmen<br />

der nordamerikanischen Rothhäute findet sich die Verehrung<br />

<strong>des</strong> grossen Geistes 1 von verschiedenen Stämmen<br />

,<br />

verschieden genannt 2 ; aber schon der Umstand, dass der<br />

grosse Geist doch fast bei jedem Stamme einen andern Namen<br />

hat, dadurch von andern Geistern ausdrücklich unterschieden<br />

wird, weist darauf hin, dass von einem Monotheismus<br />

keine Rede sein könne, und Wuttke 3 dürfte im<br />

Rechte sein, wenn er in jenem nur „den mächtigern<br />

Dämon", den „Häuptlingsgeist" eines je einzelnen Stammes<br />

erkennt. Die Bewohner <strong>des</strong> Feuerlan<strong>des</strong> an der<br />

Südsp<strong>it</strong>ze von Amerika, denen das rauhe, felsige, an Producten<br />

arme Land wenig bietet, entnehmen ihre Nahrung<br />

meistens der See und führen als Fischer kein sesshaftes Leben,<br />

sondern streifen umher und schlagen ihre Hütten da auf, wo<br />

sie für die nächste Zukunft Unterhalt finden, ziehen wieder<br />

we<strong>it</strong>er, wenn dieser erschöpft ist. Von den spärlichen Nachrichten<br />

über ihre religiösen Vorstellungen ist hervorzuheben<br />

der<br />

Glaube an übelthätige Wesen, welche sie dadurch zu verscheuchen<br />

suchen, dass sie gen Himmel blickend in die<br />

1<br />

Müller, <strong>Geschichte</strong> der amerikanischen Urreligion, 99 fg.<br />

2<br />

Vgl. Scherr, <strong>Geschichte</strong> der Religion, I, 21.<br />

3<br />

I, 92.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 35<br />

Luft blasen. 1 Um die Aehnlichke<strong>it</strong> der religiösen Vorstellungen<br />

der Eingeborenen von Südamerika m<strong>it</strong> denen der nordamerikanischen<br />

Stämme im allgemeinen zu zeigen, führt Wa<strong>it</strong>z®<br />

die Hauptzüge der Schilderung Falkner's von den Patagoniern<br />

an: sie glauben an eine Vielhe<strong>it</strong> von Göttern,<br />

deren einige gut, andere böse sind. An der Sp<strong>it</strong>ze der erstem<br />

steht Guayarakunny oder der Herr der Todten; der oberste<br />

böse Geist heisst Attskannakanath oder Valichu, welcher Name<br />

allen bösen Geistern zukommt , auf die sich die Verehrung zu<br />

beschränken pflegt.<br />

Die dunkle Ahnung von Wesen, die höher und mächtiger<br />

sind als der Mensch, findet sich auch bei den Australiern.<br />

Wie sie sprachliche Ausdrücke für gut und böse haben, so<br />

auch die Vorstellung von einem guten Wesen Koyan Gujot,<br />

gegenüber dem bösen Koppa, der in dunkler Nacht in düsterer<br />

Höhle haust, im Win<strong>des</strong>rauschen sich vernehmen lässt. Der<br />

böse Warwi, der die Kinder raubt, lebt im Wasser; anderwärts<br />

herrscht die Furcht vor Man, Kupir, Bucki, Manjus.<br />

Ebenso sind die ungeheuerlichen Gestalten, unter welchen das<br />

böse Wesen vorgestellt wird, verschieden. Nach der Vorstellung<br />

der Neuholländer hausen ihre bösen Wesen in der<br />

Finsterniss und erscheinen in der Gestalt von wilden Thieren<br />

oder von Menschen als Gespenster, um den Tod zu bringen<br />

3 . Alle Krankhe<strong>it</strong>en werden in Australien durch die<br />

übelthätigen Bayl-yas verursacht, die sich unsichtbar durch<br />

die Luft transportiren und ihre Opfer befallen, aus deren<br />

x Körper sie die Priesterärzte in der Form von Quarzstückchen<br />

auszuziehen verstehen. 4 Auch die Bewohner der Insel<br />

Rook in Neuguinea glauben, dass Krankhe<strong>it</strong>en von bösen<br />

Geistern, Marcabes, herrühren, die in Wäldern wohnen,<br />

wilde Schweine essen, <strong>des</strong> Nachts in die Wohnungen schleichen,<br />

aus denen sie die Seele <strong>des</strong> Lebendigen entführen. Es<br />

wird auf derselben Insel vornehmlich ein böses Wesen, Marsaba,<br />

anerkannt, das aber keine Opfer, sondern Schläge erhalten<br />

soll. Nach irgendeinem Unglücksfalle laufen die Leute,<br />

1<br />

Meriais bei Bastian, II, 113.<br />

2<br />

Die Indianer Nordamerikas, S. 136.<br />

3<br />

Wuttke, I, 90.<br />

* Bastian, II, 125.<br />

3*


36 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der<br />

religiöse Dualismus.<br />

schreien, sehimpfen, heulen, schlagen die Luft m<strong>it</strong> Stöcken,<br />

um Marsaba zu vertreiben. Von der Stelle ausgehend, wo<br />

Marsaba den Schaden angerichtet hat, jagen sie ihn in das<br />

Meer, am Strande angelangt, verdoppeln sie den Lärm, um<br />

den Bösen von der Insel zu verscheuchen, der sich dann gewöhnlich<br />

ins Meer oder nach der Insel Lottin zurückziehen<br />

soll. > Unter den Buschmännern, die das innere Afrika nördlich<br />

vom Cap durchstreifen, wo die Unfruchtbarke<strong>it</strong> <strong>des</strong> Bodens<br />

keine Anhaltspunkte zu einem sesshaften Leben bietet, findet<br />

sich nur eine unklare Vorstellung vom Einflüsse übermenschlicher<br />

Wesen. Nach den M<strong>it</strong>theilungen Campbeils 2 sollen sie eine<br />

männliche Gotthe<strong>it</strong> über, und eine weibliche unter der Erde annehmen.<br />

Nach Abousset et D. (S. 501) 3 glauben sie an einen unsichtbaren<br />

Mann im Himmel. Die im Damaralande bieten dem<br />

,<br />

Wassergotte Trosip, einem grossen rothen Mann m<strong>it</strong> weissem<br />

Kopfe, einen Pfeil, Stücke Haut oder Fleisch dar, wenn sie<br />

nach Wasser graben wollen, auch b<strong>it</strong>ten sie ihn um Nahrung<br />

und glückliche Jagd. Die rohen Anfänge der Religion, die<br />

als unzusammenhängender Aberglaube erscheinen, gestalten<br />

sich nothwendig als dualistisch, indem Donner, Sturm, Erdbeben,<br />

Krankhe<strong>it</strong>en und ähnliche das Dasein <strong>des</strong> Menschen<br />

bedrohende. Vorfälle<br />

werden.<br />

bösen Wesen als Urhebern zugeschrieben<br />

In den Polarl ändern, wo der an sich sterile Boden die<br />

grössere Hälfte <strong>des</strong> Jahres m<strong>it</strong> Schnee und Eis bedeckt ist,<br />

muss der Mensch durch mühevolle Arbe<strong>it</strong> sein Leben fristen,<br />

wodurch aber sein Geist auch frisch erhalten wird, wie die<br />

Luft, welche seine Zone bedeckt, die er einathmet und<br />

ihn nicht jenem dumpfen Hinbrüten verfallen lässt, in welchem<br />

der Südländer sein höchstes Glück findet. Der reiche<br />

Schatz von Sagen unter den Polarmenschen deutet auch auf<br />

ein geweckteres geistiges Leben, welches in der Jagd und den<br />

dam<strong>it</strong> verbundenen gefahrvollen Fahrten auf leichten Kähnen<br />

zwischen kolossalen Eismassen unterhalten wird. Die Spärlichke<strong>it</strong><br />

der Natur nöthigt den Polarbewohner zu sinnreicher<br />

1<br />

Bastian, II, 93.<br />

2<br />

Zwe<strong>it</strong>e Reise, Ö. 1G9.<br />

3<br />

Bei Wa<strong>it</strong>z, II, 346.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 37<br />

Benutzung der wenigen dargebotenen M<strong>it</strong>tel und schärft seinen<br />

W<strong>it</strong>z, den er vor dem Tropenbewohner voraus hat. Der<br />

amerikanische Waldindianer, vom Hunger zur Jagd getrieben,<br />

hat, wenn er gesättigt ist, kein höheres Verlangen als nach<br />

träger Ruhe; der Kamtschadale strengt zwar seine Kraft auch<br />

nur so we<strong>it</strong> an, als seine und der Seinigen Ernährung erheischt,<br />

sein Streben geht aber bei genügendem Vorrath<br />

danach, durch Gastereien, Besuche, Tänze, Gesang, Erzählungen<br />

in Gesellschaft sich zu belustigen. 1 Im allgemeinen<br />

finden die Reisenden bei den Polarbewohnern Lebhaftigke<strong>it</strong>,<br />

Munterke<strong>it</strong>, Gastfreundschaft, daneben aber betrügerisches<br />

Wesen, Hinterlist, Furchtsamke<strong>it</strong> neben Kühnhe<strong>it</strong>,<br />

Gutmüthigke<strong>it</strong> neben rücksichtsloser Grausamke<strong>it</strong>, grosse<br />

Vorsicht neben kindischer Leichtgläubigke<strong>it</strong>, Verständigke<strong>it</strong><br />

neben dickem Aberglauben." 2 Diese gegensätzlichen Elemente,<br />

die mehr oder weniger im Polarmenschen liegen, erklären<br />

sich avoI auf Grund der klimatischen Verhältnisse aus der<br />

grössern Reizbarke<strong>it</strong> der Nerven, die selbstredend bei dein<br />

weiblichen Geschlechte einen noch höhern Grad erreicht. 3<br />

Aus der Abgeschlossenhe<strong>it</strong> der Familiengruppen oder<br />

kleinen Stämme erklärt sich auch die grosse Mannichfaltigke<strong>it</strong><br />

im religiösen Glaubenswesen der Polarbewohner. Im Allge-<br />

...<br />

meinen herrscht aber durchaus der Dualismus von mächtigen<br />

wohlthätigen und übelthätigen Wesen, hervorgerufen durch<br />

die Unregelmässigke<strong>it</strong>en im Verlaufe der Jahresze<strong>it</strong>en, der<br />

W<strong>it</strong>terung, wovon der Fischer und Jäger sich und auch die<br />

Erwerbung seiner Nahrung und Kleidung abhängig sieht. Die<br />

dualistische Anschauung beruht auf der precären Existenz <strong>des</strong><br />

Menschen, seine Abgeschiedenhe<strong>it</strong> und die lange Winternacht<br />

geben seinem Geiste Muse, den Dualismus zu fixiren.<br />

Bei den Grönländern besorgen zwei oberste Gotthe<strong>it</strong>en,<br />

eine gute und eine böse, die Erschaffung der Welt, deren<br />

Erhaltung und die Le<strong>it</strong>ung der Menschen. Das gütige Wesen,<br />

Torngarsuk, ist männlich, das misgünstige weibliche ist ohne<br />

Namen. Von ersterm heisst es bald, dass es ohne Gestalt<br />

sei, während andere es als grossen Bären oder grossen Mann<br />

1<br />

Steller, 286.<br />

2<br />

Ellis, 132; Steller, 285.<br />

3<br />

Georgi, Beschreibung der Nationen <strong>des</strong> russischen Reichs, S. 278.


38 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der religiöse Dualismus.<br />

m<strong>it</strong> einem Arm, bald als Däumling vorgestellt wissen wollen.<br />

Obwol unsterblich, könne: es doch getödtet werden, wenn<br />

jemand in einem Hause, wo gezaubert wird, einen Wind<br />

liesse. ' Wa<strong>it</strong>z hält 2 zwar Torngarsuk für das höchste Wesen<br />

der Grönländer und den Vater der Angekok oder Zauberer,<br />

in<strong>des</strong>sen zweifelt er, ob jener als gute Gotthe<strong>it</strong> zu bezeichnen<br />

sei, und stellt entschieden in Abrede, dass er finden<br />

Weltschöpfer gehalten werde. Den Gegensatz zu Torngarsuk's<br />

Grossmutter, dem bösen Weibe, das im Innern der<br />

Erde wohnt, hält in<strong>des</strong>sen auch Wa<strong>it</strong>z fest, und daran ist<br />

uns im gegenwärtigen Falle nur gelegen.<br />

Die Grönländer sowie andere Polarländer fürchten noch<br />

manche andere verderbliche Wesen. So sagen die Grönländer:<br />

in der Luft wohne ein Innua, d. h. Bes<strong>it</strong>zer, den sie Innerterrirsok,<br />

d. h. Verbieter, nennen, weil er durch die Angekoks<br />

(die Zauberer) den Leuten sagen läset, was sie nicht thun<br />

sollen. Der Elversortok wohnt auch in der Luft und passt<br />

den aufwärtsfahrenden Seelen auf, um ihnen das Eingeweide<br />

herauszunehmen und zu verzehren. Er ist mager, finster und<br />

grausam. Kongeusetok<strong>it</strong> sind Meergeister , welche die Füchse<br />

wegschnappen und fressen, wenn sie am Seestrande fischen<br />

wollen. Die Feuergeister Ingnerso<strong>it</strong> hausen in Klippen an<br />

der Meeresküste und raffen den Menschen hinweg. Auch die<br />

hundsköpfigen Erkigl<strong>it</strong> sind als Kriegsgeister grausame Menschenfeinde,<br />

die aber nur auf der Ostse<strong>it</strong>e <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Avohnen.<br />

Die Vermuthung, dass in diesem Zuge die Erinnerung an die<br />

alten Norweger aufbewahrt sei, hat viele Wahrscheinlichke<strong>it</strong>. 3<br />

Die Kodjaken, obschon dem Namen nach Christen,<br />

halten doch ihren alten dualistischen Glauben an gute und<br />

böse Wesen fest, und letztern soll vorzüglich Verehrung erwiesen<br />

werden. 4<br />

Die Kamtschadalen sagen bei der Frage nach dem<br />

Weltschöpfer: Kutka habe Himmel und Erde gemacht, aber<br />

eben kein Meisterstück geliefert, da er, wenn er klug gewesen,<br />

die Welt viel besser, nicht m<strong>it</strong> so vielen Bergen und<br />

1<br />

Klemm,<br />

2<br />

II, 316.<br />

III, 810.<br />

3<br />

Crantz, I, 2GG fg.<br />

4<br />

Langend orff, II, 5G; Lisiansky, 196.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 39<br />

Klippen ausgestattet hätte, nicht reissende oder seichte Gewässer,<br />

keine Stürme noch Regen eingesetzt haben würde.<br />

Jede Beschwerde wird auf Kutka zurückgeführt und dieser<br />

darob getadelt. Alles Unverständige wird ihm zugeschrieben,<br />

und nur seiner klügern Frau sei es zu danken, wenn er nicht<br />

mehr Thorhe<strong>it</strong>en begehe. Er zeugte m<strong>it</strong> ihr Kinder, von<br />

denen auch die Kamtschadalen abstammen. Neben Kutka<br />

glauben sie an viele übelthätige Wesen, vor denen sie sich<br />

fürchten. Uschachtschu , der wie ein Mensch aussehen soll,<br />

und sein Weib, m<strong>it</strong> einem auf dem Rücken angewachsenen,<br />

beständig weinenden Kinde, machen die Leute toll und verführen<br />

sie. Billukai oder Billutschet, der m<strong>it</strong> seinen Kamuli<br />

in den Wolken wohnt, bl<strong>it</strong>zt und donnert und lässt bei Sturmwinden<br />

durch seine Kamuli die Kinder der Menschen rauben,<br />

um sie zu Lampenhältern in seiner Jurte zu verwenden. 1 Die<br />

Kamtschadalen sollen einen förmlichen Teufel annehmen, Namens<br />

Kanna, der als sehr schlau und betrügerisch gedacht<br />

wird und in einem sehr alten und grossen Erlenbaum bei<br />

Nischna wohnen soll, daher jährlich viele Pfeile, von denen<br />

dieser ganz gespickt sein soll, abgeschossen werden. Der<br />

Urheber <strong>des</strong> Erdbebens ist Tuil, der m<strong>it</strong> seinem Hunde auf<br />

dem Schl<strong>it</strong>ten unter der Erde fährt, und wenn dieser die<br />

Flöhe oder den Schnee abschüttelt, die Erde dadurch in Bewegung<br />

setzt.<br />

Die Hirtenvölker. Obgleich die Anfänge <strong>des</strong> Hirtenlebens<br />

dürftiger erscheinen als die höhern Stufen <strong>des</strong> Jägerund<br />

Fischerlebens, ist das Nomadenleben doch entwicklungsfähiger,<br />

daher es Nomaden gibt, die einen we<strong>it</strong> höhern Culturgrad<br />

erreichen, als Jäger- und Fischerstämme je im Stande<br />

sind. Ein wesentliches Moment beim Nomaden ist „die<br />

Freude am Bes<strong>it</strong>z". l Während der Jäger und Fischer<br />

nur den unm<strong>it</strong>telbaren Genuss am Thiere sucht, wirkt auf<br />

den Nomaden civilisatorisch der Umstand, dass er nicht<br />

bloss vernichtend in die Natur eingreift, um zu gemessen,<br />

dieselbe vielmehr schont und zu erhalten sucht, sie pflegt,<br />

um sie bes<strong>it</strong>zen zu können. Daran knüpft sich, dass das<br />

Hirtenleben auf den Frieden gegründet ist, und der Krieg<br />

1<br />

Steller, Kamtschatka, 265.<br />

2<br />

Klemm, 111, 5.


40 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

nur als Ausnahme, als Nothwehr gilt. Der Ilirte führt ein<br />

regelmässigeres Leben, seine Arbe<strong>it</strong>en,<br />

die sieh täglich wiederholen,<br />

erheischen keinen übermässigen Kraftaufwand, <strong>des</strong>sen<br />

der Jäger oft bedarf, um satt zu werden. Das Hirtenleben<br />

steht in der M<strong>it</strong>te zwischen dem ungeordneten, wilden Jägerleben<br />

und dem regelmässigen Culturleben <strong>des</strong> Ackerbauers.<br />

Wir finden daher in der Wirklichke<strong>it</strong>, dass das Jägerthum<br />

in das Nomadenthum hineinragt, und zwar ist dies vornehmlich<br />

der Fall bei den Polarnomaden, welche ausser der<br />

Milch der Hausthiere und deren Fleisch auch von Jägerei und<br />

in der Nähe <strong>des</strong> Wassers von Fischerei sich nähren. Ein<br />

Zeichen der höhern Cultur ist darin zu bemerken, dass fast<br />

bei allen nur durch Feuer zubere<strong>it</strong>etes Fleisch genossen wird.<br />

Die Lappländer leben in geringer Gemeinschaft, woher<br />

in Bezug auf ihren religiösen Glauben eine grosse Mannichfaltigke<strong>it</strong><br />

herrscht. Die Nachrichten über ihre religiösen Vorstellungen,<br />

obschon we<strong>it</strong> dürftiger als die über Kamtschadalen<br />

und Grönländer, stimmen darin überein, dass oberste Gotthe<strong>it</strong>en<br />

im Himmel, unter dem Himmel, also in der Luft und<br />

unterirdische anerkannt werden. Da es unter den Grönländern<br />

Zauberer gibt, so setzt dies ein vorhandenes Zauberwesen in<br />

ihrer religiösen Anschauung voraus, wofür auch die Zaubertrommeln<br />

sprechen , durch w r elche der Wille der Götter erforscht<br />

und erkannt wird, welchem derselben ein Opfer darzubringen<br />

ist. Man hat die Religion der schwedischen Lappen<br />

und der norwegischen im wesentlichen übereinstimmend gefunden,<br />

bis auf die Namen der Gotthe<strong>it</strong>en, die verschieden<br />

sind. 1 Die norwegischen Lappen nennen den obersten aller<br />

Götter Radien 7 Atzie, <strong>des</strong>sen einziger Sohn Radien- Kidde<br />

ist. Bei den schwedischen Lappen heisst der erste der drei<br />

grossen Götter Tjermes der Donnergott, auch Aijeke, Grossvater,<br />

von dem der Menschen Leben, Gesundhe<strong>it</strong>, Krankhe<strong>it</strong>,<br />

Tod abhängt; er führt auch die Herrschaft über die schädlichen<br />

Geister, die in Höhlen, Gebäuden, Seen hausen, und<br />

die er zuweilen straft und m<strong>it</strong> seinen Bl<strong>it</strong>zen tödtet. Dazu<br />

dient ihm ein Bogen, wom<strong>it</strong> er die Geister schiesst, und der<br />

wird im Regenbogen erkannt. Er hat ferner, wie der ger-<br />

Seheffer. Lappland, S. 10G iy.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 41<br />

manische Thor, einen Hammer, m<strong>it</strong> dem er die Geister zermalmt.<br />

Storjunkare gilt als Statthalter <strong>des</strong> Aijeke, gewährt<br />

den Menschen viel Gutes und gestattet <strong>des</strong>halb auch, dass die<br />

Thiere, über die er die Herrschaft führt, von jenen gefangen<br />

werden. Baiwe oder Sonne wird als Urheberin aller Erzeuo--<br />

nisse und Geburten betrachtet. Die Lappen glauben aber<br />

noch an mehrere kleinere Geister, namentlich der Verstorbenen,<br />

und das Juulheer schweift, gleich dem deutschen<br />

wilden Jäger, in Wäldern und Bergen einher. Nach der<br />

dualistischen Anschauung, die auch in der religiösen Anschauung<br />

der Lappen vertreten ist, haust inm<strong>it</strong>ten der Erde<br />

Peskal als oberster der bösen Geister, und Rota waltet über<br />

Sünder und Gottlose. Unter der Erde wohnt die Mutter <strong>des</strong><br />

To<strong>des</strong>, Jabme Akko, die Grabesgöttin, bei der die Seelen<br />

der Abgeschiedenen bleiben, bis ihr Schicksal entschieden ist.<br />

Bei Klemm 2 findet sich eine Abbildung einer der vollständigsten<br />

Zaubertrommeln der Lappländer, die er aus der Abhandlung<br />

<strong>des</strong> Erich Joh. Jessens 3 im verkleinerten Massstabe<br />

m<strong>it</strong>theilt. Da sind, ausser verschiedenen Gotthe<strong>it</strong>en, auch der<br />

böse Geist „Rutu" und „Rumpi", der Wolf oder Hund<br />

<strong>des</strong>selben , dann die zum Schaden stets bere<strong>it</strong>en Geister<br />

„Mubben-Ohnak". Bei allen finnischen Völkern ist die Welt<br />

voll Geister in verschiedenen Gestalten. Durch das gebirgige<br />

Land getrennt und vereinzelt haben sie weder ein gemeinsames<br />

Oberhaupt noch einen Volksgottesdienst oder Priesterschaft.<br />

Die vielen Seen, Flüsse und Wasserfälle, die als<br />

„heilig" bezeichnet werden, geben sich als Stätten einstiger<br />

religiöser Culte zu erkennen. 4 Bekanntlich bedeutete im<br />

M<strong>it</strong>telalter „Finne" so viel als „Zauberei", was von der allgemein<br />

bekannten Zauberei der Finnen herrührt,<br />

deren Vorhandensein<br />

wieder auf die Anerkennung böser Wesen, also <strong>des</strong><br />

Dualismus zurückle<strong>it</strong>et. Ein besonders gefürchteter böser<br />

Gott war Hüsi oder Hyse, stark und wild, als Bezähmer der<br />

wilden Thiere und Bären verehrt, an einem furchtbaren Orte<br />

1<br />

Mone, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Heidenthums, I, 57.<br />

2<br />

III, 93.<br />

3<br />

„De Finnorum Lapporumque norwegiorum religione pagana" in<br />

Kund Leem's Comment. de Lapponibus Finnmarchiae (Kopenhagen 1767).<br />

4<br />

Rühs, Finnland und seine Bewohner, S. 22.


42 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

hausend, woher der Ausdruck: „Mene Hüten", geh zu Hüsi,<br />

als grösste Verwünschung gilt. Für m<strong>it</strong> diesem verwandt<br />

wird gehalten x der Höllengott Perkel, Peiko, den Georgi für<br />

den finnischen Teufel hält. Die Geisterlehre war sehr ausgebildet,<br />

und Mone 2 unterscheidet Erd-, Wasser- und Luftgeister,<br />

welche, gleich den Hauptgeistern, sich in wohlthätige<br />

und übelthätige theilten. Die Luftgeister, allgemein Capeel<br />

(Kobolde) genannt, neckten die Menschen, griffen den Mond<br />

an, wodurch er verfinstert wurde, u. dgl. Sie konnten durch<br />

Zauberei bezwungen werden. Der Alp Peinajainen (der<br />

Drücker) drückt die Schlafenden, verursacht das Schielen<br />

und schädigt die Kinder. Nach der Behauptung <strong>des</strong> Schweden<br />

Rühs sollen die meisten höhern Wesen böser Natur, daher<br />

Gegenstand der Furcht und nicht der Verehrung sein.<br />

Die Eskimo haben einen gütigen Gott Ukuma, daneben<br />

einen übelthätigen Uikan, der als Urheber aller Uebel auch<br />

die Stürme erregt, die Fahrzeuge umwirft, die Arbe<strong>it</strong> vergeblich<br />

macht. Hinter allem, was dem Menschen widerfährt,<br />

ahnen sie ein gutes oder böses Wesen.<br />

Die Religion der Tungusen hat im wesentlichen dieselben<br />

Grundzüge wie die der Lappen. 3 Dem grossen unsichtbaren<br />

Gott Boa unterstehen alle übrigen Gotthe<strong>it</strong>en. Die Untergotthe<strong>it</strong>en<br />

sind theils guter, theils schlimmer Art. Die vornehmste<br />

Untergotthe<strong>it</strong> ist Delatsche oder Tirgani, die Sonne;<br />

Bega, der Mond, hat zur Begle<strong>it</strong>erin Doloin, die Nacht, Os<strong>it</strong>ka,<br />

die Sterne, deren jeder Mensch einen als Schutzgeist hat.<br />

Ungja, die W r olken, Niolka, Regen, Bonaran, Hagel, Tamnascha,<br />

Nebel, Okschaden, Sturm und Wind, sind neben dem Gew<strong>it</strong>ter<br />

und Regenbogen Gotthe<strong>it</strong>en, deren Wirkungen sowol dankbar<br />

anerkannt als auch gefürchtet Averden. Ebenso wird das<br />

Wasser der Fische wegen verehrt, übrigens aber als schrecklich<br />

gefürchtet, denn in ihm, wie im Bauche der Erde wohnen<br />

die bösen Geister, deren Zahl ungeheuer gross ist. Die bösen<br />

Geister Buni, welche den Auftrag haben, das Böse zu bestrafen,<br />

empfinden Wollust am Strafen und gehen daher gerne<br />

in diesem zu we<strong>it</strong>, daher man sie besänftigen oder sich an<br />

1<br />

Mone, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Heidenthums, I, 56 fg.<br />

2<br />

A. a. 0.<br />

3<br />

Georgi, Bemerkungen auf einer Reise im rassischen Reiche, I, 275 fg.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 43<br />

gute Geister wenden muss. Der vornehmste Wasser-Buni,<br />

der dasselbe aufregt, Kähne umstösst, die Fische vertreibt, ist<br />

Garan; der erste Buni der Erde ist Kongdarokdi, Darokdi;<br />

Menschen und Thieren wird Atschint<strong>it</strong>ei durch die Mücken<br />

und sonstiges Ungeziefer beschwerlich.<br />

Die Buräten, deren alte heidnische Religion m<strong>it</strong> jener<br />

der Tungusen und Lappen zusammenfällt, haben manches von<br />

ihren Lamaischen Nachbarn angenommen, wie jene ihre ursprüngliche<br />

religiöse Anschauung durch christliche Vorstellungen<br />

vermehrt haben. Neben ihrem obersten Gott Oktorgon-<br />

Burchan oder Tigiri-Burchan werden Sonne, Mond und Erde<br />

als nächste Gotthe<strong>it</strong>en verehrt. An der Sp<strong>it</strong>ze der übelthätigen<br />

Gotthe<strong>it</strong>en, die sehr gefürchtet und bei allen Ceremonien<br />

feierlich verflucht werden, steht Okodil, <strong>des</strong>sen Macht sowie<br />

die seiner untergebenen Wesen in Beziehung auf die Menschenseelen<br />

durch Oktorgon-Burchan beschränkt wird.<br />

Auch bei den Ostiaken, die das höchste Wesen Tornim<br />

nennen, überdies aber noch viele andere Gotthe<strong>it</strong>en haben,<br />

finden wir den Dualismus, sowie bei den Wogulen und allen<br />

übrigen Polarnomaden. Sie nennen die übelthätige Gotthe<strong>it</strong><br />

Kul, die Samojeden ihr böses Wesen Sjoudibe; die Motonen:<br />

Huala; die Karpassen: Sedkir u. a. in. Die Tschuwaschen<br />

von Katschinzi, die ihre Gebete an eine wohlthätige<br />

Gotthe<strong>it</strong> richten, wobei sie sich gegen Osten wenden, fürchten<br />

noch mehr ihre bösartige Gotthe<strong>it</strong> Tous, zu der sie beten,<br />

um Schaden abzuwenden.<br />

Die dualistischen religiösen Vorstellungen der Polarnomaden<br />

fassen sich darin zusammen: dass ein grosser, guter<br />

Schöpfer aller Dinge angenommen wird, der bei der Le<strong>it</strong>ung<br />

der irdischen Dinge sich eines Statthalters bedient. Die<br />

Sonne wird fast durchaus als göttliches Wesen betrachtet<br />

nebst einer Anzahl guter Geister. Diesen gegenüber stehen<br />

ihre Widersacher m<strong>it</strong> einer Menge untergeordneter übelthätiger<br />

Geister, die im Innern der Erde, in Gewässern, Bergen, Klüften,<br />

Wäldern, Insekten hausen und die Urheber <strong>des</strong> menschlichen<br />

Elends sind.<br />

Der Dualismus herrscht auch bei den Nomaden der gemässigtcn<br />

Zone, welche das m<strong>it</strong>tlere Asien vom Schwarzen<br />

und Kaspischen Meere bis zur östlichen Seeküste zwischen<br />

den sibirischen Grenzen <strong>des</strong> russischen Reichs und Chinas be-


44 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

wohnen. Gegenwärtig ist die Religion der mongolischen<br />

Stämme der ans Asien stammende Buddhismus; die älteste,<br />

ans dem Volke hervorgegangene war jedoch Schamanenthinn,<br />

wobei zahllosen guten und bösen Geistern gedient wurde verm<strong>it</strong>tels<br />

der Zauberer. Die bösen Geister, die sich in dem<br />

Kreise der Gotthe<strong>it</strong>en sämmtlicher mongolischen und finnischen<br />

Geisterverehrer befinden, hausen in heissen Quellen,<br />

feuerspeienden Bergen, Höhlen, Wüsten u. dgl. Sie haben<br />

scheussliche Gestalten und erscheinen als Schlangen, alte Weiber,<br />

Spinnen, und machen überhaupt dem Menschen das Leben<br />

sauer. 1 Die Dämonenverehrung, die im ganzen m<strong>it</strong>tlem und<br />

nördlichen Asien herrscht, hat man nicht unrichtig die eigentliche<br />

Steppen religio n genannt. 2 In den Stürmen von<br />

Gobi hausen nach der Sage die bösen Geister, die den Reisenden<br />

durch Nachahmung von Menschenstimmen, Waffengeklirre<br />

und seltsames Blendwerk irrele<strong>it</strong>en und ins Verderben<br />

stürzen. 3 Wie anderwärts wurden auch bei den Mongolen<br />

die bösen Geister durch Opfer besänftigt oder durch<br />

Zauberer abgewehrt. "* Bei den Jakuten werden alle Mis-<br />

'Ö v<br />

geburten als von Natur böse Geister betrachtet und daher so-<br />

&<br />

fort aufgehängt. 5<br />

Die Beduinen, welche die Wüsten Syriens, Arabiens<br />

und Nordafrikas bewohnen und, obschon in zahllose kleine<br />

Stämme zerspl<strong>it</strong>tert, doch in S<strong>it</strong>te, Lebensart, Sprache und<br />

Körperbildung auf die einhe<strong>it</strong>liche Abstammung zurückweisen,<br />

bekennen sich zwar gegenwärtig zum Islam, <strong>des</strong>sen Vorschriften<br />

aber nicht strenge eingehalten werden. Die ursprünglichen<br />

Formen <strong>des</strong> religiösen Glaubens der Beduinen sind<br />

zwar durch Sabäismus, Judentimm, Christcnthum und Islam<br />

verdrängt oder alterirt worden, es wird aber angenommen,<br />

dass schon früh Gestirncultus geherrscht habe, wo die Gestirne<br />

nicht blos als Ze<strong>it</strong>messer, sondern als die S<strong>it</strong>ze höherer<br />

1<br />

Georgi, Reise, S. 275. 396; <strong>des</strong>sen Beschreibung, 380 fg.; Pallas,<br />

Reisen, I, 340; derselbe, Mongolische Völkerschaften , I, 165; Steiler,<br />

Kamtschatka, S. 47; Crantz, Grönland, 250.<br />

2<br />

Schmidt, Ssan. Ssetzen, 352; Stuhr, Religionssysteme, 244.<br />

3<br />

Marco Polo, I, 35; R<strong>it</strong>ter, III, 379.<br />

4<br />

D'Osson, I, 17.<br />

8<br />

J. G. Gmelin, Reise durch Sibirien, II, 456.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 45<br />

Wesen betrachtet worden seien, daher die Personification der<br />

Gestirne. l Bei dem Naturdienst wurden Quellen und Brunnen,<br />

besondersgestaltete Felsen gefeiert, und die Verehrung<br />

ausgezeichneter Helden erzeugte den Cultus der Vorfahren.<br />

"Wie aber der Religion erster Anfang vom Gefühle der Abhängigke<strong>it</strong><br />

<strong>des</strong> Menschen von der Natur ausgeht, so wurden<br />

sicher auch die alten Beduinen zur Verehrung wohl- und<br />

übelthätiger Naturmächte geführt, welche als überirdische gefürchtet,<br />

daher abzuwehren oder zu versöhnen waren. Dafür<br />

spricht die noch heute gehandhabte abwehrende Zauberei,<br />

durch Anwendung von Anmieten, allerlei Anhängseln und<br />

verschiedenen Praktiken, die schon in frühesten Ze<strong>it</strong>en üblich<br />

war, und es lässt<br />

sich denken, wie jeder Stamm seinen eigenen<br />

Stammesgott, so auch seinen eigenen Stammesfetisch gehabt<br />

habe.<br />

Nomaden der heissen Zone. Der Glaube an einen<br />

Gott als Schöpfer und Regierer der Welt wird den Kaffern<br />

von einigen ursprünglich abgesprochen' 2 ,<br />

von andern zuerkannt. 3<br />

Es kann also darüber gestr<strong>it</strong>ten werden, ob sie m<strong>it</strong> dem höchsten<br />

Wesen den Begriff <strong>des</strong> Schöpfers verbinden; dass sie aber<br />

eine höhere Macht anerkennen, ebenso dass sie die dualistische<br />

Anschauung aller übrigen Stämme theilen, geht schon daraus<br />

hervor, dass nach den übereinstimmenden Berichten der Reisenden<br />

die Zauberei eine hervorragende Rolle spielt. Im Begriffe<br />

der Zauberei liegt immer das Wirken, und zwar zunächst<br />

das abwehrende, auf eine Macht verm<strong>it</strong>tels einer andern,<br />

es liegt also stets die Annahme einer doppelten, sich entgegengesetzten<br />

Macht zu Grunde. Bei den Kaffern sind die Zauberer,<br />

Inyanga, von grosser Wichtigke<strong>it</strong> und werden dieselben<br />

nach mehrern Graden abgestuft. Sie verstehen mancherlei<br />

Uebel durch ihre Kunst abzuwehren, machen z. B. die Krieger<br />

durch ein<br />

schwarzes Kreuz auf der Stirn und schwarze Striche<br />

auf den Backen im Kampfe unverwundbar oder gar unsichtbar<br />

für den Feind, diesen aber blind oder von Furcht und<br />

Schrecken ergriffen u. dgl. 4 Im Vordergründe <strong>des</strong> religiösen<br />

1<br />

Hartmann, Aufklärung über Asien, II, 274.<br />

2<br />

Alberti, 93; Le Vaillant, Reise, 305.<br />

3<br />

Dähne, Kaffernland, 55; Collenso, 57.<br />

4<br />

Dähne, 303.


40 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Bewusstseins steht bei dem Kaffer die bange Scheu vor der<br />

Macht, welcher gewisse unglückliche Zufälle zugeschrieben<br />

werden, und die man daher zu besänftigen trachten muss.<br />

So wird bisweilen eine Krankhe<strong>it</strong> für die Folge der einem<br />

Flusse zugefügten Beleidigung gehalten, aus dem die Horde<br />

das Wasser holt, und man glaubt den Fluss dadurch zu versöhnen,<br />

dass man die Eingeweide von einem geschlachteten<br />

Vieh oder eine Menge Hirse in denselben wirft. Einst starb<br />

ein Kaffer kurz darauf, nachdem derselbe von dem Anker<br />

eines gestrandeten Schiffes ein Stück abgeschlagen hatte. Dies<br />

ward für eine Beleidigung gehalten, und se<strong>it</strong> der Ze<strong>it</strong> ging<br />

kein Kaffer an dem beleidigten Anker vorbei, ohne denselben<br />

zu grüssen, um dadurch den Zorn abzuwenden. Ist ein Elefant<br />

m<strong>it</strong> vieler Mühe erlegt, so entschuldigt man sich bei<br />

demselben und versichert ihm, dass die Tödtung nicht m<strong>it</strong><br />

Absicht, sondern nur zufällig geschehen sei. Der Rüssel <strong>des</strong><br />

getödteten Elefanten wird sorgfältig begraben, denn der Elefant<br />

ist ein grosser Herr und der Rüssel seine Hand, wom<strong>it</strong><br />

er schaden kann. So erblickt der Kaffer in dem Flusse, dem<br />

Anker und dem Elefanten ein Wesen, das gleich ihm einen<br />

Willen und eine Macht hat, das auch gleich ihm gereizt und<br />

versöhnt werden kann. 1<br />

In unendlich vielen Variationen tr<strong>it</strong>t die Vorstellung von<br />

einem höchsten Wesen bei der schwarzen Menschenrasse<br />

hervor 2 ,<br />

welches aber von der bangen Furcht vor einem<br />

höchsten bösen Wesen beinahe gänzlich in den Hintergrund<br />

gedrängt wird. Denn Furcht ist das vorwiegende Moment im<br />

religiösen Bewusstsein <strong>des</strong> afrikanischen Negers, der gleich<br />

dem Kinde das Schlimme mehr fürchtet als für das Gute<br />

dankbar ist. Inm<strong>it</strong>ten einer Natur, welche ihm die äussersten<br />

Gegensätze von Schönem, Wohlthätigem und Schrecklichem,<br />

Gefährlichem in der ausschre<strong>it</strong>endsten Weise aufdrängt, wo<br />

kein Uebergang stattfindet von der Regenze<strong>it</strong>, welche einen<br />

riesenhaften Pfianzenwuchs hervortreibt, zur öden Dürre und<br />

schrecklichen Wüste m<strong>it</strong> dem Glutwind und tobenden Orkanen,<br />

wo paradiesische Gegenden an den Strömen zur Ze<strong>it</strong><br />

der Dürre plötzlich verschwinden, wo die überfliessende Natur-<br />

1<br />

Klemm, III, 354.<br />

2<br />

Vgl. Wilson, Western Africa, 269 fg.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 47<br />

kraft<br />

der Erschlaffung in der Thier- und Menschenwelt schroff<br />

o-eo-enübersteht: da wird auch das Gemüth <strong>des</strong> Negers zwischen<br />

diesen schrillen Contrasten ohne Verm<strong>it</strong>telung hin- und hergeworfen,<br />

und es wechseln in ihm ebenso schnell, wie die Gew<strong>it</strong>ter<br />

seines Himmels, kindische Lust m<strong>it</strong> dumpfer Verzweiflung,<br />

unbändige Wuth und Grausamke<strong>it</strong> m<strong>it</strong> schlaffer Passiv<strong>it</strong>ät,<br />

sich selbst verzehrende Lebensglut m<strong>it</strong> Lebensüberdruss.<br />

Ebenso schroff verhalten sich die unbeschränkteste Despotie<br />

gegenüber der entseibsteten Sklaverei in der socialen Welt<br />

<strong>des</strong> Negers, und die Berührung m<strong>it</strong> der weissen Rasse hat<br />

infolge <strong>des</strong> Sklavenhandels das vorwiegende Moment seines<br />

religiösen Gefühls, die bange Furcht, nicht gemildert, sondern<br />

seinem Bewusstsein von dem Verhältniss der schwarzen Rasse<br />

der Gotthe<strong>it</strong> gegenüber nur eine eigenthümliche Anschauung<br />

verliehen. Der schwarze Mensch klagt nämlich in seinen<br />

Mythen über stiefväterliche Behandlung von Se<strong>it</strong>en der Gotthe<strong>it</strong>.<br />

Diese habe zwar die Welt erschaffen, da sie aber um<br />

ihre Schöpfung sich nicht we<strong>it</strong>er bekümmere, erkläre sich,<br />

dass die Welt ein Tummelplatz böser Wesen geworden, denen<br />

die guten zwar gegenüberstehen, aber m<strong>it</strong> ihrer Macht nicht<br />

ausreichen.<br />

Die bösen Wesen stehen allenthalben unter einem<br />

obersten Bösen, der in verschiedenen Gegenden unter verschiedenem<br />

Namen auftr<strong>it</strong>t.<br />

In Loango heisst er Zambianchi,<br />

das oberste gute Wesen Zambi. Auf Madagaskar * nennt<br />

man den guten Gott Zamhor und seinen Gegner Niang. Wie<br />

letzterer auf Madagaskar ausdrücklich im religiösen Cultus hervorgehoben<br />

wird, zeigt sich in den religiösen Liedern, wie im<br />

folgenden<br />

Zamhor und Niang erschufen die Welt;<br />

Zamhor, wir richten an dich kein Gebet!<br />

Der gütige Gott, der braucht kein Gebet.<br />

Aber zu Niang müssen wir beten,<br />

Müssen Niang besänftigen.<br />

Niang, böser und mächtiger Geist,<br />

Lass nicht die Donner ferner uns dröhn,<br />

Sage dem Meer in der Tiefe zu bleiben,<br />

Schone, Niang, die werdenden Früchte,<br />

Trockne nicht aus den Reis in der Blüte,<br />

Lass nicht die Frauen gebären an Tagen,<br />

Die Verderben und Unglück bere<strong>it</strong>en.<br />

1<br />

Baseler Missionsmagazin von 1816, S. 365.


48 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Zwinge die Mutter nicht mehr, die Hoffnung<br />

Ihres Alters im Flusse zu tödten. 1<br />

0, verschone die Gaben <strong>des</strong> Zamhor,<br />

Lass nicht alle, alle vernichten.<br />

Siehe, du herrschest schon über die Bösen,<br />

Gross ist, Niang, die Anzahl der Bösen,<br />

Darum quäle nicht mehr die Guten. 2<br />

Manche Reisende wollen bei mehrern Stämmen, wie z. B.<br />

bei den Negern von Wassulo, gar keine Religion gefunden<br />

haben, berichten aber über das Vorhandensein von Zauberei,<br />

Anmieten u. dgl. 3 , als ob nicht daran die religiöse Vorstellung,<br />

wenn auch als niedere Form, deutlich zu erkennen wäre! Die<br />

Versicherung: es sei kein Dorf, kein Geschlecht anzutreffen,<br />

das nicht in einem Stücke der religiösen Anschauuno; unterschieden<br />

wäre 4 , sowie dass se<strong>it</strong> Jahrhunderten der Islam und<br />

das Christenthum auf verschiedene Art wesentlichen Einfluss<br />

auf die religiösen Vorstellungen der Neger geübt haben, berührt<br />

wol zunächst die Thatsache der Unzahl und Vermengung<br />

religiöser Anschauungen, die durch eine Reihe von<br />

Beobachtern bestätigt wird. 5 Dieser Thatsache der grossen<br />

Menge und Ineinandersetzung religiöser Vorstellungen liegt<br />

aber eine andere als Bedingung zu Grunde: dass ursprünglich<br />

irgendeine religiöse Vorstellung vorhanden gewesen sein muss,<br />

die im Verlaufe der Ze<strong>it</strong> verschiedenartig gestaltet und m<strong>it</strong><br />

fremden Elementen versetzt werden konnte. Dass die Vorstellung<br />

Eines grossen Gottes von den Besuchern der Küste<br />

den Guineanegern zugeführt worden sei, wie versichert wird 6 ,<br />

kann immerhin gelten, thatsächlich ist aber der bei denselben<br />

schon früher vorhandene Glaube: dass die Welt von guten<br />

und bösen "Wesen voll sei.<br />

In Aquapirn, wo m<strong>it</strong> dem Namen Jankkupong der höchste<br />

Gott und die W<strong>it</strong>terung bezeichnet wird, steht im Gegensatz<br />

zu ersterm das böse Princip Abunsom. 7<br />

1<br />

Nämlich als Kinderopfer für Kiang.<br />

2<br />

Talvj, Versuch einer geschichtl. Charakteristik der Volkslieder, 78.<br />

3<br />

Caillie, II, 82.<br />

4<br />

Bosmann, S. 176.<br />

3<br />

Des Marchais, Voy. en Guinee, I, 336 ; Isert Guin., 323 ; Douville, I,<br />

283; Römer, S. 40, u. a.<br />

6<br />

Bosmann, 177; Isert, 223.<br />

7<br />

Halleur, Monatsber. der Gesellschaft für Erdkunde, neue Folge, IV, 87.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 49<br />

Die Odscliis (Aschanti) anerkennen zwar ein höchstes<br />

Wesen, halten aber dafür, dass nur die untergeordneten Geister<br />

die Welt regieren, von denen wieder nur die übelthätigen<br />

Verehrung erhalten sollen. 2<br />

Ebenso findet sich der Glaube an ein böses Wesen neben<br />

dem guten bei den Banjuns an der Casamanza, in Benin am<br />

Zaire und bei andern Ne^erstämmen. 2<br />

Der Neger, der die Beseelung der Aussenwelt auf's<br />

äusserstc treibt, dabei aber nicht im Stande ist, das Allgemeine<br />

wahrzunehmen und zu fassen, verliert sich, von seiner<br />

Phantasie gele<strong>it</strong>et, ins einzelne und vermuthet daher hinter<br />

jeder besondern Erscheinung einen Geist, den er wol zuweilen<br />

von dem sinnlichen Dinge trennt, nicht selten beide einander<br />

gegenüberstellt, gewöhnlich aber als Eins zusammenfasst, wo<br />

wir es dann Fetisch nennen. Daher erklärt sich, dass er die<br />

ganze ihn umgebende Welt von Geistern bewohnt weiss,<br />

dass<br />

jeder Neger seinen Pomull oder Grissi hat, von dem er sich<br />

beschützt glaubt, dass hohe Berggipfel, Felsen, Bäume, Haine<br />

der S<strong>it</strong>z mächtiger Geister sind, dass die Thiere eine eigenthümliche<br />

Stellung in der Verehrung der Neger einnehmen,<br />

wovon Wa<strong>it</strong>z 3 eine Reihe von Beispielen aufführt, dass die<br />

Neger das Feuergewehr, bevor sie dam<strong>it</strong> vertraut sind, beim<br />

Abschiessen wegwerfen aus Furcht vor dem bösen Geiste,<br />

darin steckt. Die Negerphantasie gibt den bösen Geistern<br />

verschiedene Gestalten, sie erscheinen ihr als schwarze Hunde,<br />

als geschwänzte, m<strong>it</strong> Hörnern versehene, weisse Gestalten m<strong>it</strong><br />

europäischen Nasen. 4 Die Neger von Ante stellen sich den<br />

Bösen als einen Riesen vor, <strong>des</strong>sen eine Se<strong>it</strong>e frisch und<br />

kräftig ist , die andere aber verfaultes Fleisch enthält. 5 Die<br />

Neger der Goldküste lassen den guten Geist schwarz, den<br />

bösen hingegen weiss sein, <strong>des</strong>sen Gunst sie vornehmlich zu<br />

erwerben suchen. Wie in der Sage der Abiponischen, so<br />

spricht sich auch in der bei den Guinea-Negern das Verhält-<br />

der<br />

1<br />

Rüs, Baseler Missionsmagazin 1847, IV, 244. 248.<br />

2<br />

Hecquard, 78; Palisot-Beauvais bei Labarthe, 137; Landolphe,<br />

II, 70; Tuckey, 214.<br />

3<br />

II, 177 fg.<br />

4<br />

Römer, Guinea, 43; Bosmann, 193; I>es Marcbais, I, 300.<br />

6<br />

Bosmann, S. 194.<br />

Eoskoff ,<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I. 1


;"")( Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der religiöse Dualismus.<br />

niss der schwarzen Rasse zur weissen darin aus, dass der böse<br />

Sissa, der m<strong>it</strong> seinen Geistern das Böse hervorbringt, weiss<br />

ist, welche Färbung wol erst von der Bekanntschaft m<strong>it</strong> den<br />

Europäern herrührt, sowie die früher erwähnten europäischen<br />

Nasen. Hierher gehört auch was Horst * von Burck«<br />

hardt, während seiner Reise in Nubien, am Nil und we<strong>it</strong>er<br />

hinauf (in den Jahren 1813 u. 1814) erzählen lässt, dass dieser<br />

um seiner weissen Farbe willen überall als Auswurf der Natur<br />

betrachtet wurde. An Markttagen setzte er die Leute<br />

oft in Schrecken, wenn er plötzlich zu ihnen trat, avo ihr<br />

Ausruf gewöhnlich war: Ach, der Teufel!<br />

Gott bewahre uns<br />

vor dem Teufel! u. s. w.<br />

Der Dualismus der religiösen Anschauuno; o-eht alle Negerstamme<br />

hindurch. So haben auch die Mandingo- Neger gute<br />

und böse Wesen. 2 So sollen die Neger am Casamanza zwar<br />

an einen Gott glauben, doch aber für nöthig halten in allen<br />

wichtigen Fällen den Bösen an den Xianas , den heiligen<br />

Plätzen, zu beschwören.<br />

Zu den Nomaden der heissen Zone gehören auch die<br />

Hottentotten, von denen häufig behauptet wurde, dass sie<br />

aller religiösen Vorstellung bar seien, was aber bere<strong>it</strong>s als<br />

unrichtig anerkannt ist. Auch hier begegnen wir dem Dualismus,<br />

und von einem der ältesten herrnhuter Missionäre,<br />

G. Schmidt (1737), erfahren wir schon die Namen Tuiqua<br />

und Ganna, wom<strong>it</strong> sie „den Oberherrn über alles" und den<br />

Bösen bezeichnen. 3 Sie sollen erstem auch den „Kap<strong>it</strong>än<br />

von oben" und letztern den „Kap<strong>it</strong>än von unten" oder<br />

Tukoa, der klein, verkrümmt, von böser Gemüthsart und den<br />

Hottentotten feindlich gedacht wird, nennen, von dem Krankhe<strong>it</strong>,<br />

Tod, Unglück abgele<strong>it</strong>et werden, denen man durch Anmiete,<br />

Austreibung, Beschwörung zu begegnen hat.<br />

Auch bei andern afrikanischen Stämmen herrscht Dualismus;<br />

wie allenthalben der Glaube an Zauberei vorkommt.<br />

Die Wakamba theilen m<strong>it</strong> den Kaffern den Glauben an die<br />

Zauberei und halten besonders die Weissen für Regenmacher.<br />

Die Wauika bringen aus Furcht vor Zauberei die<br />

1<br />

Zauber-Bibliothek, IV, 371.<br />

2<br />

Home, Versuch über die <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Menschen, II, 233.<br />

3<br />

De Jong, I, 278.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 51<br />

umgestalteten Kinder um, als der Zauberkünste verdächtig. 1<br />

Bei den Va-Ngindo im Süden <strong>des</strong> Luvuma ist Mulungu der<br />

Schöpfer aller Dinge, der in allem lebt, was auf Erden gut<br />

und schön ist, im Himmel unter den guten Geistern wohnt;<br />

wogegen Mahoka das Schädliche und Böse schafft. 2<br />

Die Eingeborenen von Madagaskar haben neben dem<br />

guten Wesen, das sie Jadhar oder den grossen Gott, oder,<br />

wie alles Gute, Wunderbare und Unbegreifliche überhaupt,<br />

Zannaar, Zannahar nennen, auch ein böses Princip: Angath,<br />

Angatch, dem sie die Attribute der Schlange geben, m<strong>it</strong> jenem<br />

gleich mächtig halten, dem aber allein m<strong>it</strong> Opfern gedient<br />

werden soll. 3<br />

Die religiöse Anschauung der Abyssinier zeigt im Vergleiche<br />

m<strong>it</strong> einigen negerartigen Stämmen manches Uebereingestimmte,<br />

als: dass sie, wie jene, das böse Wesen weiss<br />

darstellen, bei ungewöhnlichen Ereignissen, wie z. B. bei einer<br />

Mondfinsterniss, von grossem Schrecken ergriffen werden, Krankhe<strong>it</strong><br />

für Bezauberung oder Besessenhe<strong>it</strong> halten, die sie m<strong>it</strong><br />

Opfern oder durch Anmiete abzuwenden oder durch Lärm<br />

auszutreiben suchen. Namentlich wird den Eisenarbe<strong>it</strong>ern zugemuthet,<br />

dass sie sich <strong>des</strong> Nachts in reissende Thiere verwandeln<br />

können. 4<br />

Auch bei den Stämmen von Goa sowie den Galla herrschen<br />

gute und böse Geister, und die Schlange spielt ihre<br />

bekannte Rolle.<br />

Bei den Bewohnern der Südseeinseln, wo der Gegensatz<br />

schon in den Eries und den Papuas sich darstellt, wahrscheinlich<br />

eine Spur urältester Einwanderung von Menschen<br />

weisser Rasse, findet sich die Gegensätzlichke<strong>it</strong> auch in den<br />

religiösen Anschauungen, die gemäss der Zerstreuthe<strong>it</strong> der<br />

Inseln auch zerrissen und zusammenhanglos auftreten. In<br />

der dualistischen religiösen Vorstellung aber treffen sie zusammen,<br />

indem sie neben den wohlwollenden Wesen, die sie<br />

verehren, böswillige fürchten. In der Vorstellung der Sandwichs-Insulaner<br />

ist der schrecklichste dieser Dämonen das<br />

1<br />

Wa<strong>it</strong>z, II, 424.<br />

2<br />

Wa<strong>it</strong>z, a. a. 0.<br />

3<br />

Leguevel, I, 96 ; Rochen, 19.<br />

4<br />

Salt, 426; Harris, II, 295; Pearce, I, 287.


52 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

weibliche Sehreekensgespenst Pele, das jenen, obwol sie zum<br />

Christenthum bekehrt sind, doch viel bange macht und im<br />

Lavastrom <strong>des</strong> Kilau-Ea auf Hawaji wohnend gedacht wird. 1<br />

Auch die religiösen Vorstellungen der Tonga-Insulaner<br />

bestehen in Dämonenverehrung und dam<strong>it</strong> unzertrennlich verbundener<br />

Zauberei. Ausser den guten Göttern gibt es eine<br />

Menge böser Geister, Hothua-Pow, deren sich mehrere häufiger<br />

auf Tonga als dem Götters<strong>it</strong>z Belotuh aufhalten, um die<br />

Menschen recht zu peinigen. Alles Ungemach und alle kleinen<br />

Plagen sind boshafte Streiche der Hothua-Pows, aus<br />

Schadenfreude begangen. ' 2<br />

Turbane zu tragen soll den gemeinen<br />

Leuten auf Tonga, ausser bei der Arbe<strong>it</strong>, verboten<br />

gewesen sein, auch wenn kein Häuptling (Matabul) gegenwärtig<br />

war, weil doch irgendein göttliches Wesen in der<br />

Nähe sein könnte. 3<br />

Die religiöse Anschauung der Bewohner von Nukahiwa<br />

nennt Klemm 4 „die roheste Art von Religion". Es ist hier<br />

zwar von keinem personificirten Wesen die Rede, wol aber<br />

wird eine übelthätige Macht anerkannt, welche gesühnt werden<br />

soll. Die Seele eines Priesters, Königs und deren Verwandten<br />

wird für ein höheres Wesen gehalten (Etua), das<br />

übrige Volk erfreut sich keiner göttlichen Abkunft. Der<br />

Glaube an Zauberei ist allgemein, und die Priester sind im<br />

Bes<strong>it</strong>z der Zauberm<strong>it</strong>tel. „Die Zauberei (Kaha) besteht darin,<br />

dass man jemand, auf den man einen Groll hat, auf langsame<br />

Art tödten kann. Man sucht den Speichel, Urin oder<br />

Exkremente seines Fein<strong>des</strong> auf irgendeine Art zu erlangen,<br />

legt diese vermischt m<strong>it</strong> einem Pulver in einen besonders geflochtenen<br />

Beutel und vergräbt diesen; worauf der Feind erkrankt<br />

und in 20 Tagen sicher todt ist. Sucht er die Rache<br />

seines Fein<strong>des</strong> m<strong>it</strong> irgendeinem wichtigen Geschenke abzukaufen,<br />

so kann er noch am 19. Tage gerettet werden." 5<br />

Bei den Neuseeländern ist die oberste Gotthe<strong>it</strong> Mow-<br />

1<br />

Ileen Bille, Bericht über die Reise der Corvette Galathea um die<br />

Welt, in den Jahren 1845—47, II, 313.<br />

2<br />

Klemm, IV, 358.<br />

8<br />

Bastian, II, 113.<br />

4<br />

IV, 351.<br />

5<br />

Klemm, IV, 352, nach Krusenstern, Reise, I, 190.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 53<br />

heerangaranga, sie fürchten aber besonders einen Gott <strong>des</strong><br />

Zorns nebst vielen andern bösen Wesen, welche die Menschen<br />

im Leben quälen, Krankhe<strong>it</strong>en verursachen, als Eidechsen<br />

erscheinen und so den Schlafenden in den Mund schlüpfen<br />

u. dgl. Dem Gott <strong>des</strong> Zorns, Teepockho, der auch das Leben<br />

nimmt, wird angelegentlichst gedient. 1 Die Todten kommen<br />

nach Rcinga, einem Ort der Marter, <strong>des</strong>sen Eingang eine<br />

steile Klippe und we<strong>it</strong>e Höhle am Nordcap ist. Hier wohnt<br />

der böse Geist und Zerstörer der Menschen. Bei Krankhe<strong>it</strong>en<br />

werden Beschwörungen angewendet, den Göttern wird m<strong>it</strong><br />

Todtschlagen und Auffressen gedroht. 2<br />

Von den Gesellschaftsinseln hat jede ihr besonderes höchstes<br />

Wesen nebst andern Gotthe<strong>it</strong>en, unter denen auch Unheilstifter,<br />

welche gerne ' die Menschen im Schlafe tödten. 3<br />

Es herrscht die Meinung, dass die menschenleere Insel Mannua<br />

von Geistern bewohnt werde, welche, von grosser, starker<br />

Mannesgestalt m<strong>it</strong> schrecklich funkelnden Augen, jeden verschlingen,<br />

der sich ihrer Küste naht. 4<br />

Die dualistische Anschauuno; findet sich auch anderwärts<br />

überall, wo die Spuren der ursprünglichen Religion im Volke<br />

noch bemerklich sind. Die Cingalesen auf Ceylon sind zwar<br />

Bekenner <strong>des</strong> Buddhismus, unter welchem sie aber immer<br />

noch Ueberreste ihres frühern Geisterdienstes forthegen. Man<br />

kann vermuthen, dass die Vorstellung von einem höchsten<br />

Wesen, dem Schöpfer <strong>des</strong> Himmels und der Erde, Ossa polla<br />

maupt Dio, aus einer Vorze<strong>it</strong>, wo weder Buddhismus noch<br />

Brahmaismus auf Ceylon eingedrungen war, herrühre 5 und<br />

es ist wahrscheinlich, dass die Verehrung der Sonne und <strong>des</strong><br />

Mon<strong>des</strong>, der vier Pattinies,<br />

der furchtbaren Schutzgeister der<br />

Welt, schon frühe stattgefunden habe. Von besonderm Interesse<br />

für uns ist der Dienst der Geister der Todten, Dayautas<br />

genannt, welcher als Rest vorbuddhistischer Ze<strong>it</strong> von den Gebildetem<br />

misbilligt und innerhalb <strong>des</strong> Buddhadienstes sogar<br />

verboten, vom Volke aber noch auf eigene Faust gepflegt<br />

1<br />

Nicholas, Voyage, I, 55 fg.<br />

2<br />

Yate, Account of Ncw-Zealand, S. 141 fg.<br />

3 Forster, Reise, II, 119 fg.<br />

1<br />

Forster, a. a. 0., S. 121.<br />

5<br />

Stuhr, Religionssysteme, I, "275.


54 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

wird. Dieser Cultus gründet sich auf die Furcht vor der<br />

schädlichen Macht, welche diesen Geistern zuerkannt, aus der<br />

Krankhe<strong>it</strong>en abgele<strong>it</strong>et und die daher abgewendet werden soll.<br />

Der Synkretismus, der im Fortgange der geschichtlichen Entwickelung<br />

<strong>des</strong> geistigen Lebens der ostasiatischen Völker platzgegriffen,<br />

hat sich auch auf Ceylon geltend gemacht. Sonach<br />

ist dieser Dienst, auf Heilung von Krankhe<strong>it</strong>en, die von bösen<br />

Geistern herrühren, bezogen, m<strong>it</strong> dem brahmanischen Heilgotte<br />

Kumaras in Verbindung gesetzt worden. Dem alten<br />

Berggotte, der auf dem Gipfel <strong>des</strong> Felsen Mahameru Parkwete<br />

thront, ist der Name Kumaras beigelegt und zu Kattragam<br />

ein berühmter Tempel erbaut worden. Dieser Gott von Kattragam,<br />

unter vielerlei Namen, besonders aber als Kumaras<br />

verehrt, unter mancherlei furchtbaren Gestalten dargestellt,<br />

ist der am allgemeinsten gefürchtete, obschon es noch viele<br />

in schrecklichen Gestalten vorgestellte, gefürchtete Geister<br />

gibt, deren jeder einem Uebel vorsteht. 1<br />

Im Birmanischen Reiche waren die Stämme, bevor sie<br />

dem Buddhismus unterworfen wurden, dem Geisterdienste ergeben,<br />

und noch heutigen Tags findet sich bei den unbekehrten,<br />

in Wäldern lebenden Stämmen die Verehrung von Waldund<br />

Berggeistern, deren manche als übelthätige in Furcht<br />

durch Opfer verehrt werden , wom<strong>it</strong> dann selbstverständlich<br />

Zauberei verbunden ist. 2<br />

Bei den Siamesen herrscht auch, nebst der Anerkennung<br />

wohlthätiger Gotthe<strong>it</strong>en, der Glaube an die Wirksamke<strong>it</strong> böser<br />

Wesen, als Urheber von Uebeln, die sie von jenen nicht herle<strong>it</strong>en<br />

wollen. Sie opfern diesen, um das Böse abzuwehren,<br />

und wenden sich besonders zur Ze<strong>it</strong> der Trübsal zu ihnen.<br />

Wie überall, wo der Buddhismus eingedrungen ist, wird daneben<br />

auch brahmanischen Gotthe<strong>it</strong>en gedient.<br />

Auch die Küstenstämme von Pegu zeigen noch Spuren<br />

<strong>des</strong> religiösen Volksglaubens, bevor sie durch den Buddhis-<br />

1<br />

Bei Stuhr, a.a.O.; Knox, Hist. relat. of the island of Ceylon, S. 123 fg.<br />

Upham, Hist. of Buddhism, S. 41. 50. 120; Derselbe, The sacred and<br />

hist. Looks of Ceylon, 1,84; Davy, An aecount of the interior<br />

S. 127.<br />

of Ceylon,<br />

- De la Bissachere, Gegenwärtiger Zustand von Tunkin und Cochinehina<br />

;<br />

aus dem Französischen, S. 258 fg.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 55<br />

muß in die Cultur hineingezogen worden, und neben dem<br />

Urheber <strong>des</strong> Guten suchen sie vornehmlich den Stifter <strong>des</strong><br />

Uebels zu besänftigen. Letztern erklärten die Christen natürlich<br />

für den Teufel. l<br />

Die ursprüngliche Bevölkerung auf den Inseln <strong>des</strong><br />

Ostmeeres (Inseln der indisch-chinesischen Meere) war eine<br />

schwarze, deren Ueberreste in Wäldern und Gebirgen der<br />

Inseln leben und als Verwandte der Stämme von Neuguinea<br />

und Neuholland erkannt werden. Wie jene Inseln zerstreut<br />

sind, ist auch das Geistesleben der Bewohner gesondert und<br />

kommen sie im allgemeinen in der Verehrung der Naturmächte<br />

und in der Furcht vor den Gräbern der Todten und Erscheinungen<br />

übelthätiger<br />

Battas<br />

Geister überein.<br />

Gleich den Cingalesen auf Ceylon glauben auch die<br />

auf Sumatra an die Macht der vier gefürchteten Geister,<br />

die auf den Gipfeln vier verschiedener Berge hausen und von<br />

da aus alle Art von Unglück über die Menschen schicken. 2<br />

Nach andern Berichten sollen die Battas den Gott der Gerechtigke<strong>it</strong><br />

Batara Guru, den der Gnade Sori Pada nennen,<br />

denen gegenüber Mangalan Bulan als der Stifter aller Uebel<br />

bezeichnet und in menschlichen Angelegenhe<strong>it</strong>en als besonders<br />

wichtig gehalten wird, weil er die guten Absichten seiner<br />

Brüder zu durchkreuzen die Macht haben soll, darum<br />

den Battas an seiner Gunst am meisten gelegen sein muss. 3<br />

Daher der Anschein, als hätten die Battas auf Sumatra nur<br />

böswillige Wesen, denen sie dienen, indem ihnen Krankhe<strong>it</strong>en<br />

und Verbrechen zugeschrieben und sie unter schrecklichen<br />

Gestalten vorgestellt werden. 4 Denn nach dem Glauben der<br />

Battas ist jede Krankhe<strong>it</strong> durch einen Begu (böses Wesen)<br />

veranlasst: der Krampf durch den Begu Lumpun, die Bräune<br />

durch den Begu Antis, das Fieber durch den Begu Namarung,<br />

die Kolik durch den Begu Barang Munji, u. s. w. Einer der<br />

furchtbarsten ist der Begu Nalalain, der Geist der Zwietracht,<br />

<strong>des</strong> Mor<strong>des</strong>, der das Land entvölkert und die Dörfer verwüstet.<br />

Während die andern Begus ohne festen S<strong>it</strong>z, unstet<br />

1<br />

Bei Bekker, Bezauberte Welt, I, 22.<br />

2<br />

Marsden, Hist. of Sumatra, S. 385.<br />

3<br />

Transact. of the roy. Asiatic Society vol., I, 499.<br />

4<br />

Junghuhn, Battaländer, II, 24.8.


5(i Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

in der Luft umherschweifen, nur ze<strong>it</strong>weise in die Menschen<br />

sich einsenken, um zu schaden, schleicht der Begu Nalalain<br />

m<strong>it</strong> feurigen Augen, langer rother Zunge und scharfen Krallen<br />

an den Händen im Dämmerlichte zwischen den Dörfern<br />

lauschend umher. Epidemische Krankhe<strong>it</strong>en werden dem Erscheinen<br />

neuer Begus zugeschrieben. 1<br />

Wie die Maldivier, so bringen auch die Biajas auf Borneo<br />

dem Gotte <strong>des</strong> Uebels ihr Opfer jährlich dar, wobei sie eine<br />

kleine Barke m<strong>it</strong> den Sünden und Unglücksfällen der Bewohner<br />

vom Stapel lassen, welche dann auf das Schiffsvolk,<br />

das dieser Opferbarke begegnet, fallen sollen. In einer Beziehung<br />

erinnert diese Ceremonie an den Vorgang m<strong>it</strong> dem<br />

hebräischen Azazel.<br />

Auch auf Java, wie auf Bali und andern östlichen Inseln,<br />

war vor dem Eindringen indischer Cultur Natur- und Geisterdienst<br />

herrschend, und Luft, Wälder, Gewässer hielten die<br />

alten Javaner m<strong>it</strong> Geistern erfüllt, welche als wohlthätige geliebt<br />

oder als übelthätige gefürchtet, erstere in Menschengestalt,<br />

diese in Büffelgestalt, als Riesenweiber u. dgl. vorgestellt<br />

wurden. Jäger, Fischer hatten ihre Schutzgeister; es<br />

fand aber auch, wie auf Celebes und in andern östlichen<br />

Gegenden, der Cultus der Geister der Vorfahren statt. 2 Als<br />

Localgotthe<strong>it</strong>en von Java werden genannt die Banaspatie oder<br />

die bösen Geister der Bäume, die Daminsil, die guten Genien<br />

in menschlicher Form, die Bankashan, die bösen Geister der<br />

Luft, die Brayagan, die weiblichen Genien der Flüsse, die<br />

Kabo Hamale, die bösen Geister der Buffaloes, welche Frauen<br />

in Gestalt ihrer Männer täuschen, die Wewe, boshafte Geister<br />

in Form weiblicher Riesen, Dadonjavru, die Beschützer der<br />

Jäger, u. dgl. m. 3<br />

An der Küste von Koromandel herrschen auch gute und<br />

böse Geister, jene Dewata, diese Raatsjasja genannt, welche<br />

letztere theils böse Menschen gewesen, die dazu verdammt<br />

sind, in der Welt herumzuschwärmen, theils von Natur boshafte<br />

Wesen sind, die den Menschen Uebles zufügen, abscheu-<br />

1<br />

Bastian, II, 125.<br />

2<br />

Crawfurt, Ilist. of the Indian Archipelago, II, 230 fg.<br />

3<br />

Bastian, II, 109.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 57<br />

liehe grosse Leiber haben, Gestank verbre<strong>it</strong>en und Kinder<br />

erzeugen. l<br />

Die Vorstellung der Niko baren von dem, was nicht<br />

unm<strong>it</strong>telbar<br />

im Bereiche derselben liegt, soll sieh nach der M<strong>it</strong>theilung<br />

eines Missionars 2 nur auf die Furcht vor Wesen<br />

beschränken, deren Einflüssen sie solche unglückliche Ereignisse<br />

zuschreiben, die aus gewöhnlichen Ursachen nicht<br />

zu erklären sind, als: gewisse Krankhe<strong>it</strong>en, Mislingen der<br />

Früchte u. s. w. Diese Wesen, „Ivi", die beschworen, vertrieben<br />

werden können, halten sich im Dickicht der Wälder<br />

auf.<br />

Die Bewohner der Molukken und die Wilden auf den<br />

Philippinen anerkennen auch den Dualismus, richten ihre Opfer<br />

aber vornehmlich an das böse Wesen, dam<strong>it</strong> es ihnen kein<br />

Uebel zufüge. Die Heiden auf den Philippinen haben gewisse<br />

Wahrsagerinnen, Holawi genannt, welche täglich m<strong>it</strong><br />

den Dämonen verkehren. 3<br />

Auf der Insel Formosa heisst der gute Gott Isby, das<br />

böse Wesen, dem mehr als jenem geopfert wird, führt den<br />

Namen Shuy.<br />

Die Eingebornen auf Teneriffa verehrten einen höchsten<br />

Erhalter der Dinge, Achguaya-xerax (Achuhuanax), dem<br />

sie bei Dürre oder andern Unglücksfällen Opfer darbrachten;<br />

dem gegenüber aber auch einen übelthätigen Geist, den<br />

sie<br />

Guayotta nannten.<br />

Diese,<br />

aus allen Himmelsstrichen und von allen Menschenrassen<br />

angeführten Thatsachen, die leicht noch bedeutend<br />

vermehrt werden könnten, sollen nur bestätigen: dass in<br />

den religiösen Anschauungen der Naturvölker der<br />

Dualismus waltet, wonach den guten übermenschlichen<br />

Wesen übelthätige gegenübergestellt werden und der Grundton<br />

in der religiösen Beziehung zu diesen die religiöse Furcht<br />

ist. Den Anknüpfungspunkt zu dieser dualistischen An-<br />

;<br />

Bei Bekker, I, 56.<br />

2<br />

Bei Bastian, II, 113.<br />

3<br />

Bei Bekker, I, 66.


58 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

schaumig bietet zunächst der Gegensatz in der Natur, m<strong>it</strong><br />

welcher der Mensch auf jener Bildungsstufe mehr im Zusammenhange<br />

lebt. H<strong>it</strong>ze und Kälte, Licht und Finsterniss,<br />

Nässe und Dürre berühren seine Existenz, indem ihm dadurch<br />

oder Mangel, überhaupt Wohl oder Weh erwächst.<br />

Ueberfluss<br />

Er betrachtet eben alles, was ihn umgibt, in Beziehung auf sich,<br />

inwiefern es zu seinem Wohle be<strong>it</strong>rägt oder demselben entgegensteht.<br />

Jeder Reiz auf den Organismus ruft nicht nur<br />

eine natürliche Reaction hervor, bei leiblichen Empfindungen<br />

die Bewegung der entsprechenden Muskeln , sondern regt<br />

auch die geistige Thätigke<strong>it</strong> an. Denn der Mensch ist nicht<br />

blos empfinden<strong>des</strong>, sondern auch denken<strong>des</strong>, seiner selbst<br />

bewusstes Wesen, und seine geistige Natur wird nicht befriedigt<br />

durch die Erfüllung rein äusserlicher Bedürfnisse. So<br />

wahr es ist, dass Naturerscheinungen, überhaupt die Aussenwelt<br />

die geistige Entwickelung anfachen, ebenso wahr ist es,<br />

dass<br />

ohne Selbstthätigke<strong>it</strong> <strong>des</strong> Geistes keine Entwickelung<br />

möglich wäre. „Ueberall reagirt die geistige Anlage gegen<br />

die blos natürliche Befriedigung." * Jede Erfahrung <strong>des</strong><br />

Menschen ist nicht blos eine äussere, sondern zugleich eine<br />

innere seiner<br />

eigenen Lust oder Unlust, von der er sich durchdrungen<br />

fühlt. Das Gefühl, obschon dem Gemeingefühle verwandt<br />

und gleich diesem im Kreise <strong>des</strong> Angenehmen und<br />

Unangenehmen sich bewegend, wird nicht nur durch blose<br />

organische Zustände, sondern auch durch Vorstellungen von<br />

Verhältnissen bestimmt. An sich dunkel, erhält das Gefühl<br />

Klarhe<strong>it</strong> durch den Zutr<strong>it</strong>t <strong>des</strong> Verstan<strong>des</strong>, der sicn nie abwehren<br />

lässt oder abse<strong>it</strong>s unthätig bleibt, sondern alsobald<br />

heranrückt m<strong>it</strong> der Frage: woher rührt das Angenehme oder<br />

Unangenehme? Das Gemüth, als Complex von Gefühl und<br />

Verstand, wird zunächst durch dunkle Vorstellungen erfüllt,<br />

in welchen aber ein unm<strong>it</strong>telbar gegebenes, unentwickeltes<br />

Urtheil liegt. Dieses Urtheil, noch vom Gefühle durchdrungen<br />

und m<strong>it</strong> ihm verwachsen, regt sich als Ahnung. Der<br />

Mensch ahnt zunächst die Macht, durch die ihm verm<strong>it</strong>tels<br />

seiner Umgebung Wohl oder Weh zutheil wird und findet<br />

sich befriedigt in der Vorstellung dieser Macht. Diese<br />

1<br />

Schaller, Leib und Seele, S. llt>.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. 59<br />

Vorstellung ist aber nur die Projection seines eigenen Gemüths.<br />

„Was sich im geistigen Gefühle als der Seele selbst<br />

angehörig darstellt, das offenbart sich im Glauben als Gegenstand."<br />

l Der Naturmensch ahnt in den Erscheinungen der<br />

ihn umgebenden Aussenwelt eine übermenschliche Macht und<br />

stellt sich diese vor, angethan m<strong>it</strong> den Attributen seiner eigenen<br />

Persönlichke<strong>it</strong>. Die Anthropomorphismen und Anthropopathismen<br />

in den religiösen Vorstellungen der Völker und Menschen<br />

sind daher der Spiegel ihrer Culturstufen, und es läuft<br />

darauf hinaus, was schon der Reformator sagt: Die Heiden<br />

glaubten an solche Götter, wie sie selbst waren. — Wie der<br />

Mensch, so sein Gott.<br />

Die religiöse Anschauung ist aber <strong>des</strong>halb ebenso wenig<br />

Product der Natur wie der menschliche Geist, so wenig als<br />

s<strong>it</strong>tliche Ideen aus der Beobachtung der Natur entnommen<br />

werden; die Natur bietet jedoch die Anregung, dass sich der<br />

Geist „so oder anders gestaltet" 2 und unterstützt som<strong>it</strong> die<br />

Entwickelung religiöser und s<strong>it</strong>tlicher Vorstellungen.<br />

Je näher ein Volk dem Naturzustande steht, um so<br />

grösser ist der Einfluss, den die Natur auf seine Entwickelung<br />

nimmt, und dieser schwächt sich ab, im Verhältniss als die<br />

Bewältigung der Natur durch menschliche Kunst und Wissenschaft<br />

zunimmt, und der Verkehr m<strong>it</strong> Schnelligke<strong>it</strong> über we<strong>it</strong>e<br />

Räume sich ausbre<strong>it</strong>et. Im heissen Klima, wo leibliche und<br />

geistige Bewegung erschwert ist, wird Faulhe<strong>it</strong> zum Genuss,<br />

die reichlichen Gaben , welche die Natur spendet, machen die<br />

Arbe<strong>it</strong> überflüssig, und. der Geist verharrt in Stumpfhe<strong>it</strong>.<br />

Diese erfolgt aber auch im kalten Klima, wo die Gewinnung<br />

der leiblichen Bedürfnisse den ganzen Verbrauch aller Kräfte<br />

erheischt. „Oft hört man in den spanischen Colonien die<br />

Behauptung, dass sich die Bewohner der Tierra-Caliente so<br />

lange nicht aus dem Zustande der Apathie, in welchem sie<br />

se<strong>it</strong> Jahrhunderten versunken sind, erheben können, als kein<br />

königlicher Befehl die Zerstörung der Bananenpflanzungen<br />

verordnete." 3<br />

Die anhaltende Einwirkung der H<strong>it</strong>ze schwächt<br />

1<br />

Burdach, S. 334.<br />

2<br />

Ze<strong>it</strong>schrift für Völkerpsychologie, I, 39.<br />

3<br />

Humboldt und Bonpland, II, 12; Humboldt, Neuspanien, III, 12.<br />

23. 142.


(30 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

die gegense<strong>it</strong>ige Bindung der Stoffe und Kräfte, das animalische<br />

Leben und die Selbsttätigke<strong>it</strong>, wogegen die Sinnlichke<strong>it</strong>,<br />

Träghe<strong>it</strong> das Uebergewicht erlangt. Die fortdauernde<br />

strenge Kälte macht das peripherische Leben sinken, stumpft<br />

die Sinne und beschränkt die bildende Thätigke<strong>it</strong>. Selbstverständlich<br />

übt auch die Atmosphäre und deren Beschaffenhe<strong>it</strong><br />

ihren Einfluss auf den Menschen, sowie das Sonnenlicht,<br />

das Wasser u. s. w. Die Einwirkung der umgebenden Natur<br />

ist allerdings am auffallendsten bei den Pflanzen, die, nachdem<br />

sie in eine ursprünglich fremdartige Naturumgebung versetzt<br />

sind, von dieser mehr oder weniger umgeändert werden,<br />

wie z.B. behaarte Gewächse, die, auf sonnigem, trockenem Boden<br />

gewachsen, an schattigen, feuchten Standorten glatt werden,<br />

oder durch die Beschaffenhe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Bodens und <strong>des</strong> Wassers<br />

die Zahl der Blumenblätter, die Farbe der Blüten, der Geschmack<br />

der Früchte verändert werden kann. Weniger ist<br />

die Alterirung beim Thiere durchschlagend, obgleich auch<br />

hier merkwürdige Beispiele erwähnt werden. So sollen die<br />

grossen Z<strong>it</strong>zen der europäischen Kühe und Ziegen m<strong>it</strong> jeder<br />

Generation in Amerika abnehmen, die dicken Schwänze der<br />

kirgisischen Schafe durch die trockenen und b<strong>it</strong>tern Kräuter<br />

der sibirischen Steppen verschwinden. x Allerdings bringen<br />

die materiellen Einwirkungen , die Verschiedenhe<strong>it</strong> der Nahrungsm<strong>it</strong>tel<br />

und <strong>des</strong> Klimas noch weniger Veränderung beim<br />

Menschen hervor als beim Thiere, er ist danach angethan,<br />

über die Verhältnisse und Umstände zu siegen, aber ganz<br />

unempfindlich ist er doch in dieser Beziehung nicht. Noch<br />

mehr wirkt die Aussenwelt auf die Stimmung seines Gemüths,<br />

auf die Belebung seiner Phantasie und die Erregung von<br />

Vorstellungen, sodass der psychische Charakter inm<strong>it</strong>ten einer<br />

grossartigen Natur sich anders gestaltet als in einer einfachen,<br />

kleinlichen Umgebung. Die Civilisation aber, die das Denken<br />

<strong>des</strong> Menschen erzeugt und erhält, ist die Summe von ineinandergreifenden<br />

Thätigke<strong>it</strong>en von einer Menge zusammenlebender<br />

Individuen, sich gegense<strong>it</strong>ig tragend und hebend, gefördert<br />

durch die Umgebung und fortgezogen durch die geschichtlichen<br />

Ereignisse, in welche sie ihrerse<strong>it</strong>s wieder eingreifen.<br />

1<br />

Prichard bei Bastian, I, 328.


3. Dualismus in den Religionen der Naturvölker. ßl<br />

Wo die Bedingungen der Civilisation fehlen, wo nicht<br />

durch Ackerbau und geregelte Arbe<strong>it</strong> der Bildungsprocess<br />

begonnen, durch Verkehr m<strong>it</strong> andern fortgesetzt, wo der<br />

Mensch auf die plumpsten Bedürfnisse beschränkt ist, da bleibt<br />

die Intelligenz<br />

auch unentwickelt und ihr gemäss werden seine<br />

religiösen Vorstellungen eine rohe Form an sich tragen. In<br />

der naturwüchsigen Gestalt <strong>des</strong> Polytheismus sieht sich der<br />

Mensch von Gefahren umgeben, die Natur wird ihm zur Gespensterwelt,<br />

Himmelserscheinungen, Elemente, Thiere und<br />

Pflanzen, selbst ihm unbegreifliche Kunstproducte wie Uhren,<br />

Feuergewelire u. dgl. sind ihm von Geistern' besessen. Infolge<br />

einer unwillkürlichen Uebertragung sinnlicher Vorstellungen<br />

auf das geistige Gebiet, versetzt er seine Götter vornehmlich<br />

in die Höhe oder Ferne, lässt sie auf hohen Bergen, im<br />

Luftkreis, in den Wolken, der Sonne u. s. w. wohnen, wo<br />

das Unerreichbare das<br />

über ihn Erhabene vertr<strong>it</strong>t.<br />

Je weniger der Mensch die ihn umgebende Natur erkennt,<br />

<strong>des</strong>to mehr lebt er im Gefühle der Abhängigke<strong>it</strong> von<br />

derselben, und seine an der Sinnlichke<strong>it</strong> haftende Anschauung,<br />

innerhalb der Gegensätzlichke<strong>it</strong> von Angenehmem und Unangenehmem<br />

sich'bewegend, wird sich auch im Dualismus der<br />

religiösen Vorstellungen zu erkennen geben. Der sinnliche<br />

Eindruck bringt beim Naturmenschen wie beim Kinde eine<br />

gewisse Stimmung hervor, bedingt durch das Gefühl <strong>des</strong> Angenehmen<br />

oder Unangenehmen, und in der Abhängigke<strong>it</strong> davon<br />

vertr<strong>it</strong>t sie die Stelle <strong>des</strong> Urtheils. Hiernach wird die unerkannte<br />

Ursache eines angenehmen Eindrucks verm<strong>it</strong>tels der<br />

Phantasie zum guten Wesen gestaltet und umgekehrt zum<br />

Gegentheil. Diese Wesen, die er liebt oder fürchtet, tragen<br />

natürlich die Merkmale seiner eigenen Zuständlichke<strong>it</strong> an sich,<br />

nur dass er sie an Macht sich überlegen vorstellt und <strong>des</strong>halb<br />

als höhere Wesen staunend oder fürchtend verehrt. Hinter<br />

jeder Thätigke<strong>it</strong>, die er ausser sich wahrnimmt, vermuthet<br />

er ein Wesen seiner Art und schaut in der Natur das Product<br />

seines eigenen Geistes an, und so umgibt er sich äusserlich<br />

m<strong>it</strong> seiner eigenen Geisterwelt.


(32 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der religiöse Dualismus.<br />

4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong><br />

Alterthums.<br />

In der Vorhalle zur eigentlichen <strong>Geschichte</strong> bewegt sich<br />

das Leben der Culturvölker innerhalb der Mythen- und Sagenkreise.<br />

Es ist eine immer wiederkehrende Erscheinung, dass<br />

das Alterthum m<strong>it</strong> Göttern anhebt und m<strong>it</strong> historischen Personen<br />

schliesst, wobei von erstem durch die Brücke der Genealogie<br />

ein Uebergang zu letztern o-eschlagen wird. Wie Wodan<br />

in allen altgefmanischen Königshäusern das Stammglied in<br />

der genealogischen Kette bildet, so Bei bei den Sem<strong>it</strong>en, den<br />

Assyrern, Babyloniern, Phöniziern, Karthagern, Lydiern. An<br />

irgendeinem Punkte der Reihe aufwärts werden Wesen der<br />

<strong>Geschichte</strong> m<strong>it</strong> Wesen der Religion verwechselt, es ist aber<br />

kaum zu bestimmen, wo diese Verwechslung eingetreten ist.<br />

Alles, was in das Leben eines Volks eingreift und auf<br />

<strong>des</strong>sen Schicksale Einfluss hat, fällt bei seinem vorgeschichtlichen<br />

Dasein innerhalb der Mythen und Sagenkreise, die keinen<br />

Inhalt ausschliessen, obschon Religion der vorzüglichste<br />

ist. Die durchlebte Ze<strong>it</strong>, in welcher das Volk" um seine Selbstständigke<strong>it</strong><br />

kämpfte, wird in den Mythen und Sagen verherrlicht,<br />

sie schildern <strong>des</strong>sen Anfang und die Ursprünge seiner<br />

Einrichtungen, erzählen die Erlebnisse der Urahnen und<br />

deren Verdienste um die folgenden Geschlechter, berichten<br />

die Verwandtschaft der Stammväter und som<strong>it</strong> der von ihnen<br />

abstammenden Völker; kurz, alles <strong>des</strong>sen, was übeihaupt die<br />

Thätigke<strong>it</strong> eines Volks anregen kann, bemächtigt sich der<br />

Mythus und die Sage, welche als Geburt <strong>des</strong> Volksgeistes<br />

<strong>des</strong>sen Eigenartigke<strong>it</strong> an sich tragen und von den Bestrebungen<br />

und Neigungen <strong>des</strong> Volks ein. Zeugniss ablegen. Denn<br />

was ein Volk denkt und fühlt, worin es sein Heil oder Vnheil<br />

erblickt, das lagert sich in seinen Mythen und Sagen ab<br />

und bildet deren Inhalt. Insofern enthalten die Mythologien<br />

der Völker Wahrhe<strong>it</strong>, aber poetische, sie enthalten historische<br />

Facta, aber im Kleide der Poesie, m<strong>it</strong> dem sie infolge der<br />

mündlichen Trad<strong>it</strong>ion, durch die sie sich von Geschlecht zu<br />

Geschlecht fortpflanzen, angethan werden. Je<strong>des</strong> historische<br />

Volk, <strong>des</strong>sen Ursprung ins Alterthum zurückgreift, hat seinen<br />

Sagen- und Mythenkreis, wie der <strong>Geschichte</strong> die Vorgeschichte


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 03<br />

vorangeht, obschon strenggenommen ancli die vorgeschichtlichen<br />

Zustände und Schicksale eines Volks in dem Sinne<br />

historisch zu nennen sind, als sie auf Dasein und Bildung<br />

<strong>des</strong> Volks eingewirkt haben. Der Ausdruck „vorhistorisch"<br />

hat daher eine relative Bedeutung, inwiefern wir den Mythen<br />

und Sagen zu Grunde liegende Thatsachen in poetischer Hülle<br />

vor uns haben, die historische Wahrhe<strong>it</strong> aber von der Dichtung<br />

zu sondern nicht immer im Stande sind.<br />

Die natürliche Umgebung, die äussere Natur und deren<br />

Beschaffenhe<strong>it</strong> ist von wesentlichem Einfluss auf ein Volk,<br />

aber kein Geist, also auch nicht der Volksgeist, ist ein<br />

Erzengniss der Natur, obschon die geographische Lage <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong> die Veranlassung geben kann, dass sich nicht nur gewisse<br />

Fertigke<strong>it</strong>en <strong>des</strong> Volkes, sondern auch gewisse Vorstellungen<br />

und Anschauungen ausbilden. Es ist irrig, die<br />

ganze Volksentwickelung von der Naturbestimmthe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

able<strong>it</strong>en zu w ollen, die Natur gibt aber die allernächste<br />

Handhabe durch die in ihr auftretenden Gegensätze von Tag<br />

und Nacht, H<strong>it</strong>ze und Kälte, Nässe und Trockenhe<strong>it</strong>, überhaupt<br />

durch Erscheinungen, welche, auf das menschliche Dasein<br />

bezogen, wohlthätig oder verderblich erscheinen, und verm<strong>it</strong>tels<br />

<strong>des</strong> religiösen Sinnes und Triebes die religiöse Anschauung<br />

eines Volks dualistisch gestalten. Noch wichtiger<br />

aber für die Bildung der religiösen Vorstellungen sind die<br />

vorgeschichtlichen Schicksale eines Volks, die in den meisten<br />

Fällen auf der Berührung m<strong>it</strong> andern Völkern beruhen und<br />

gegensätzlich erscheinen. Nicht nur die Erscheinungen der<br />

Natur,<br />

welche Staunen oder Furcht einflössen, auch Ereignisse,<br />

die das Leben <strong>des</strong> Volks betreffen und meistens durch den<br />

Conflict m<strong>it</strong> andern Völkern hervorgebracht werden, indem<br />

sie das ursprüngliche Dasein <strong>des</strong> Volks zu gefährden drohen,<br />

werden durch Mythen und Sagen personificirt, zu persönlichen<br />

bösen Wesen erhoben, die übermenschlich erscheinen, weil sie<br />

eben übermächtig eingreifen. So nehmen die Ursprünge der<br />

Völker gewöhnlich ihren Ausgangspunkt von göttlichen Wesen,<br />

indem sich Mythen und Sagen an die freundlichen oder<br />

feindlichen Gegensätze hängen und durch die Phantasie zu<br />

persönlichen Wesen gestalten. Der gefährliche Feind wird<br />

entweder selbst zum mythischen bösen Wesen und als solches<br />

im Mythus durch die mündliche Ueberlieferung von Genera-


64 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

tion zu Generation fortgepflanzt und in der Erinnerung aufbewahrt,<br />

oder die Gotthe<strong>it</strong>, die dem feindlichen Volke als<br />

Schutzgotthe<strong>it</strong> gilt und von ihm verehrt wird, erscheint dem<br />

bedrohten Volke als feindliche, übelthätige, gegenüber der<br />

eigenen Stammgotthe<strong>it</strong>, unter deren Schirm es sein bisheriges<br />

Dasein gefristet hat. Die Schutzgotthe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> wird<br />

als übelthätige der eigenen Stammgotthe<strong>it</strong> antagonistisch ento-eo-engestellt.<br />

So bildet sich ein Dualismus der religiösen Anschauung<br />

auf Grund der theils von der Natur, theils durch die <strong>Geschichte</strong><br />

gebotenen Gegensätze, und wie die Natur die Anregung<br />

gibt zu religiösen Vorstellungen der Völker, so sind<br />

auch deren Schicksale in jene verwoben und, da die <strong>Geschichte</strong><br />

eines Volks auch m<strong>it</strong> der Naturbeschaffenhe<strong>it</strong> seines<br />

Lan<strong>des</strong> vornehmlich in den Anfängen in Beziehung steht, so<br />

findet ein Ineinandergreifen und eine Gegense<strong>it</strong>igke<strong>it</strong> statt,<br />

wie in jedem Organismus. Natur und <strong>Geschichte</strong> üben ihren<br />

Einfluss auf die Gestaltung <strong>des</strong> religiösen Bewusstseins eines<br />

Volks, und das religiöse Bewusstsein, von dem das Volk durchdrungen<br />

ist, wirkt auf jene zurück. Denn in der religiösen<br />

Anschauung haften die Springfedern der Handlungen und<br />

Thaten, m<strong>it</strong> denen das Volk seine <strong>Geschichte</strong> erfüllt, und die<br />

Gemeinsamke<strong>it</strong> der religiösen Anschauung bildet im Alterthum<br />

ein Moment der Zusammengehörigke<strong>it</strong>, wie die Gleichhe<strong>it</strong><br />

der Abstammung, der Sprache, der Beschäftigung, der<br />

Freuden, die es geniesst, der Gefahren, die es durch Kampf<br />

abwehrt oder aus Unmacht ertragen muss.<br />

Die Schöpfungen <strong>des</strong> Volksgeistes, durch Natur und <strong>Geschichte</strong><br />

angeregt und durch Selbsttätigke<strong>it</strong> <strong>des</strong> Volks in<br />

seiner Ursprache und Urreligion niedergelegt,<br />

sind von solcher<br />

Zähigke<strong>it</strong>, dass sie durch eine lange Reihe von Geschlechtern<br />

fortgepflanzt und lebendig erhalten werden. Sie begle<strong>it</strong>en<br />

das Volk auf seiner Auswanderung aus dem Urs<strong>it</strong>z, und wenn<br />

sie im Verlaufe der Ze<strong>it</strong> auch Wandlungen erleiden, so schillern<br />

sie doch aus den neuen Formen hervor, wie auf einem<br />

Palimpsest die ursprünglichen Züge zum Vorschein zu kom-<br />

verschlungen m<strong>it</strong> den Jüngern Zügen.<br />

men pflegen,<br />

Die Behauptung Plutarch's, dass der Dualismus der religiösen<br />

Anschauung allgemein verbre<strong>it</strong>et sei, bestätigt sich auch


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 05<br />

in der Ausdehnung über alle historischen Culturvölker <strong>des</strong><br />

Alterthums.<br />

Es wird sich zeigen, dass die Annahme von guten und<br />

bösen göttlichen Wesen als Urheber wohlthätiger oder schädlicher<br />

Erscheinungen bei allen Völkern <strong>des</strong> Alterthums Raum<br />

gefunden, obschon die dualistische Ansicht nicht bei jedem<br />

Volke in gleicher Schroffhe<strong>it</strong> auftr<strong>it</strong>t, nicht gerade zu einem<br />

sich bekämpfenden Gegensatz gespannt ist.<br />

Es wird sich zeigen, dass der Dualismus die Hauptbasis<br />

der religiösen Anschauung der Aegypter und Perser ist,<br />

zweier Völker, denen ein grosser Einfluss auf die religiösen<br />

Vorstellungen anderer Völker, besonders der Hebräer, zuerkannt<br />

werden muss. Der Dualismus wird bei den Babyloniern,<br />

Phönikern, Assyrern und Syrern entgegentreten, er findet sich<br />

in gewissem Masse bei den arischen Stämmen, bei den Germanen<br />

und Skandinavern, den alten Slaven mehr oder weniger<br />

durchgeführt; er ist bei Griechen und Römern nachzuweisen<br />

und hat selbst im Christenthum, besonders im M<strong>it</strong>telalter, ein<br />

sehr scharfes Gepräge erhalten.<br />

Aegypten.<br />

In das untere Nilthal setzt man die Wiege der ersten<br />

Cultur der Erde und lässt hier auch die älteste Speculation<br />

ihren Ursprung nehmen. In den religiösen Vorstellungen der<br />

Aegypter hat der Dualismus ein sehr scharfes Gepräge erhalten.<br />

In Creuzer's „Symbolik", Schelling's „Einle<strong>it</strong>ung in die<br />

Philosophie", Grimm's „Deutsche Mythologie", den neuern Arbe<strong>it</strong>en<br />

von Welcker, Max Müller, Bunsen, E. Renan wird zwar<br />

für die Hauptzweige <strong>des</strong> Heidenthums die Gotteseinhe<strong>it</strong>slehre<br />

in Anspruch genommen; dagegen hat aber Diestel 1 ganz richtig<br />

bemerkt: „Monotheismus ist nicht überall da, wo man ein<br />

höchstes Wesen annimmt oder sich vorstellt"; „die Einhe<strong>it</strong><br />

kann die Einzigke<strong>it</strong> einschliessen , aber auch als das zusammenhaltende<br />

Band für eine Vielhe<strong>it</strong> gesetzt werden — eine<br />

Vielhe<strong>it</strong> untergeordneter, aber dem Menschen gegenüber mäch-<br />

1<br />

Der Monotheismus <strong>des</strong> ältesten Heidenthums, in den Jahrbüchern<br />

für deutsche Theologie, 1860, V, 743.<br />

Eoskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I.<br />

5


ßß Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

fciger Wesen." Auch die Behauptung Uhlemann's 1 ,<br />

dass die<br />

Religion der Aegypter ursprünglich Monotheismus gewesen<br />

sei, beruht auf der Ansicht: der ursprüngliche Monotheismus<br />

habe sich erst im Verlaufe der Ze<strong>it</strong> in Polytheismus zerspl<strong>it</strong>tert,<br />

wobei jedoch die Verwechslung der Speculation m<strong>it</strong> Religion<br />

nicht, zu verkennen ist, da alle altern Speculationen<br />

m<strong>it</strong> der Lehre von der Entstehung <strong>des</strong> Weltganzen beginnen<br />

und gewöhnlich auf Ein Grundwesen zurückkommen. Die<br />

Speculation ist Resultat <strong>des</strong> Lebens und der <strong>Geschichte</strong>, und<br />

obschon sie während <strong>des</strong> Verlaufs der letztern nicht ruht,<br />

also nicht nach dem Ableben eines Volks ihre Thätigke<strong>it</strong> erst<br />

beginnt; so lässt sich ebenso wenig behaupten, dass die speculativen<br />

Begriffe ihrer abstracten Form nach im Bewusstsein<br />

<strong>des</strong> Volks vorhanden seien, da sie vielmehr Producte der<br />

Denkoperation <strong>des</strong> Philosophen sind. Allerdings ruht jede<br />

Religion auf der Ahnung einer einhe<strong>it</strong>lichen (monotheistischen)<br />

Grundlage, woraus sich das Streben, alles irdische Dasein m<strong>it</strong><br />

einer höhern Macht in Verbindung zu setzen, erklärt; allein<br />

die Zerstreuthe<strong>it</strong> der sinnlichen Anschauung lässt den monotheistischen<br />

Gedanken nicht in jedem Volke zur Einzigke<strong>it</strong><br />

sich zusp<strong>it</strong>zen, sondern stellt ihn gleich einem gothischen<br />

Bauwerke in einer Menge von Giebeln, Zacken und Sp<strong>it</strong>zen<br />

dar, ohne es aber zu einem Hauptthurme zu bringen. Der<br />

Götterglaube und die Götterverehrung waren früher vorhanden<br />

als die religiöse Speculation, wie die begriffliche Einhe<strong>it</strong><br />

in der Vielhe<strong>it</strong> und Mannichfaltigke<strong>it</strong> erst durch Abstraction<br />

gewonnen wird.<br />

Wie jede Religion aller Völker <strong>des</strong> Alterthums ursprünglich<br />

Naturreligion ist, so geht auch die religiöse Anschauung<br />

der Aegypter von dem Gegensatze der wohlthätigen und<br />

verderblichen Naturkräfte aus, die sie in ihren Göttern verehrt.<br />

Wir kennen zwar nicht die ägyptische Religion in<br />

ihrer ursprünglichen Form, allein aus dem Charakter der einzelnen<br />

Momente, die sich m<strong>it</strong> den Göttervorstellungen verschmolzen<br />

haben, lässt sich m<strong>it</strong> Gewisshe<strong>it</strong> schliessen, dass<br />

die älteste Form der ägyptischen Religion dem ältesten Naturcultus<br />

der Sem<strong>it</strong>en oder der vedischen Arier entsprechend ge-<br />

1<br />

Thot, S. 17—31). Dessen Handbuch der ägyptischen Alterthumskunde,<br />

II, 154.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 07<br />

wesen sei.<br />

Das wohlthätige Licht und Feuer der Sonne, den<br />

hellen, blauen Himmel personificirten die Aegypter zu heilbringenden<br />

Gotthe<strong>it</strong>en und verehrten sie als Leben schaffende<br />

und erhaltende Wesen. Da die Natur dem Menschen nicht<br />

immer wohlthätige Kräfte und Erscheinungen zeigt, wenngleich<br />

diese immer wieder das Uebergewicht erlangen, wie<br />

auf die Nacht stets der Tag folgt und aus dem Winter immer<br />

neues Leben aufersteht; so personificirte die ägyptische Phantasie<br />

diesen Wechsel der wohlthätigen und schädlichen Erscheinungen<br />

als Kampf heilbringender und übelthätiger Gotthe<strong>it</strong>en<br />

m<strong>it</strong>einander um neues Leben und die alte Ordnung.<br />

Die regelmässige Wiederkehr im Thierleben blieb der ägyptischen<br />

Beobachtung nicht fremd, und diese feste, gleichbleibende<br />

Ständigke<strong>it</strong> rang dem ägyptischen Geiste, der selbst<br />

durch die Eindrücke der steten Regelmässigke<strong>it</strong> und gleichbleibenden<br />

Wiederkehr der Naturerscheinungen seines Lan<strong>des</strong><br />

zu einem stetigen Charakter herangebildet ward, Ehrfurcht ab.<br />

Hierin findet der merkwürdige ägyptische Thierdienst seine<br />

Erklärung, <strong>des</strong>sen Ursprung schon die Alten beschäftigte und<br />

bis auf die Gegenwart verschieden gedeutet wurde. x<br />

Obschon die Aegypter ihren Gotthe<strong>it</strong>en menschliche Gestalt<br />

verleihen, stellen sie dieselben doch häufig m<strong>it</strong> Thierköpfen<br />

oder in der Form geheiligter Thiere dar, in denen sie<br />

ein jenen entsprechen<strong>des</strong> Wesen zu erkennen glaubten.<br />

Im untern Flussthale zu Memphis verehrte man als höchsten<br />

Gott den Ptah, <strong>des</strong>sen Symbol das Feuer. Die Griechen<br />

erkannten in ihm den Hephästos. Er ist der Sonnengott <strong>des</strong><br />

Lichts und der Helle, und die Verehrung bezog sich mehr<br />

auf das Sonnenlicht, den Glanz, als auf das Gestirn. 2 Er<br />

ist wol als der älteste Gott zu betrachten, wird von den<br />

Griechen als „Vater <strong>des</strong> Sonnengottes" bezeichnet, heisst auf<br />

den Inschriften „der Vater der Väter der Götter", „Herrscher<br />

1<br />

Vgl. Diodor, I, 21; Herodot, II, 46. 63. 65; Plut. Is., 43. 72;<br />

Lukian , °Ueber Astrologie, 6—7; Jean Paul, Levana, II, 297; Creuzer,<br />

Symbolik, I, 30; Hegel, Philosophie der Religion, I, 235 fg.; 0. Müller,<br />

Arch. der Kunst, 2. Ausg., S. 17; Roth, <strong>Geschichte</strong> der abendländischen<br />

Philosophie, I, Kap. 3; Duncker, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> Alterthums, 3. Aufl., I,<br />

53; Scherz, <strong>Geschichte</strong> der Religion, II, 36 fg.<br />

2<br />

Diestel, Set-Typhon u. s. w., Ze<strong>it</strong>schrift für historische Theologie,<br />

1860, S. 160.<br />

5*


08 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

<strong>des</strong> Himmels", „König der beiden Welten, der die Sonne gebar".<br />

Er ist auch „Herr der Wahrhe<strong>it</strong>", „Gott <strong>des</strong> Anfangs",<br />

und als Schöpfer der Welt heisst er „der Bildner".<br />

In dem benachbarten Anu (On, griech. Heliopolis) findet<br />

sich Ra als Gott der Sonnenscheibe, daher sein Symbol die<br />

rothe Sonnenscheibe m<strong>it</strong> zwei Flügeln. Er ist der „Vater<br />

der Götter", Vater der Welt und <strong>des</strong> Lebens, Vater, Ur- und<br />

Vorbild der Könige, die über Aegypten herrschen, wie Ra<br />

über die Welt herrscht. Man 1 wird hierbei an die mythologischen<br />

Anklänge bei manchen Naturvölkern erinnert, die<br />

ihren Ursprung auf ein höheres Wesen zurückführen.<br />

Nach der Vorstellung der Aegypter ist der Sonnengott,<br />

der zugleich der Gott <strong>des</strong> Lebens und der Reinhe<strong>it</strong> ist, im<br />

Kampfe m<strong>it</strong> der Dunkelhe<strong>it</strong>, der Nacht, der Unreinhe<strong>it</strong>,<br />

welche durch die böse Schlange Apep repräsentirt wird, indem<br />

diese die Sonne verschlingen will. 2<br />

Dem Ptah wie dem Ra ist der Stier geheiligt als Sinnbild<br />

<strong>des</strong> Lebens, da Licht und Sonne Leben und Frucht<br />

schafft. Neben beiden werden auch weibliche Gotthe<strong>it</strong>en als<br />

Personificationen<br />

<strong>des</strong> empfangenden, gebärenden, mütterlichen<br />

Princips verehrt. Zu Sais die Göttin Ne<strong>it</strong>h, zu Bubastis<br />

die Geburtsgöttin Pacht m<strong>it</strong> dem Katzenkopf, dem Thiere<br />

der starken Fortpflanzung, das gehenkelte Kreuz als Zeichen<br />

<strong>des</strong> Lebens in der Hand.<br />

In Oberägypten war Arnim der Gott von Theben, den<br />

die Inschriften als „Herrn <strong>des</strong> Himmels" bezeichnen. Nachdem<br />

Theben die Hauptstadt <strong>des</strong> neuen Reichs geworden war<br />

und die siegreichen Pharaonen <strong>des</strong> 15. und 14. Jahrhunderts<br />

in dem Gott von Theben ihren besondern Schutzgott erkannt<br />

hatten, verschmolz Arnim m<strong>it</strong> dem Sonnengott Ra und erscheint<br />

auf den Denkmälern als Amun-Ra. In Oberägypten<br />

wurde auch der widderköpfige Kneph (Chnubis) verehrt, dem<br />

der Widder als Symbol kräftiger Zeugung geheiligt war.<br />

Die Inschriften bezeichnen ihn als „Herr der Wasserspenden",<br />

„der Ueberschwemmungen" 3 , wodurch er zum Land befruchtenden<br />

Gott wird. Auch Kneph wird m<strong>it</strong> Arnim verbunden,<br />

1<br />

Lepsius, Ueber den ersten Götterkreis, S. 34 fg.<br />

2<br />

Champollion, Lettres, S. 230 fg.<br />

3<br />

Bunsen, Aegyptens Stelle u. s. \\\, I, 4.42.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 69<br />

daher dieser ebenfalls widderköpfig oder m<strong>it</strong> Widderhörnern<br />

auftreten kann. Die Sonnengotthe<strong>it</strong> theilt sich in Oberägypten<br />

in Mentu, die aufgehende, und Atrau, die untergehende<br />

Sonne, die Sonne <strong>des</strong> Tags und die der Nacht, die oberweltliche<br />

und unterweltliche. Ueber ihnen steht Arnim, der herrschende<br />

Gott in der Höhe, als „der Verborgene", als „non<br />

apertus, xsxpu|jt.{j.svo


70 Erster Abschn<strong>it</strong>t-: Der religiöse Dualismus.<br />

Hesiri (Osiris), die Hesi (Isis), den Set (Typhon) und<br />

die Nebti (Nephtys). Hesiri, dem sein Vater die Herrschaft<br />

über das Nilthal übergeben hatte, waltete m<strong>it</strong> seiner Schwester<br />

und Gemahlin Hesi segensreich, lehrte die Aegypter Aekerund<br />

Weinbau, gab ihnen Gesetze und Gottesdienst. Er durchzog<br />

die übrigen Länder, überall Segen verbre<strong>it</strong>end, wurde aber<br />

nach seiner Rückkehr von Set, <strong>des</strong>sen 72 Genossen (und der<br />

äthiopischen Königin) in einen Sargkasten geschlossen und<br />

durch die tan<strong>it</strong>ische Mündung ins Meer entsandt. Dies geschah<br />

am 17.<br />

<strong>des</strong> Monats Athyr, wo die Sonne den Skorpion<br />

durchläuft, von welchem Tage die Aegypter den Beginn der<br />

grossen H<strong>it</strong>ze rechneten. Hesi, in der Stadt Koptos davon<br />

benachrichtigt, hüllt sich in ein Trauergewand und irrt wehklagend,<br />

den Hesiri suchend, umher. Nach langem Suchen<br />

findet sie ihn zu Byblus an der phönikischen Küste, wo die<br />

Wellen den Leichenkasten ans Land gespült hatten und eine<br />

schöne Tamariske über ihm entsprosste. Hesi brachte den<br />

Leichnam nach Aegypten zurück, wo sie ihn bestattete. Inzwischen<br />

war Har (Horos), der Sohn <strong>des</strong> Hesiri und der<br />

Hesi, herangewachsen, und um seinen Vater zu rächen, kämpfte<br />

er viele Tage m<strong>it</strong> Set, bis er ihn ganz besiegte; Hesiri aber,<br />

der nicht gestorben war, lebte in der Unterwelt als deren<br />

Beherrscher. x<br />

In diesem Mythus ist nebst der untersten allgemeinen<br />

Grundlage <strong>des</strong> ägyptischen Glaubens, der ursprünglich Licht<br />

und Sonnendienst ist, auch der Entwickelungsgang sammt den<br />

verschiedenen Momenten darin angedeutet. M<strong>it</strong> der solarischen<br />

Bedeutung <strong>des</strong> Hesiri verschmolz die physische, welche<br />

die landschaftliche Eigenartigke<strong>it</strong> Aegyptens darbot, wozu<br />

überdies das pol<strong>it</strong>ische Moment und das ethische hinzukam.<br />

Bevor in Aegypten der Nil das Thal überschwemmt, nachdem<br />

die fruchtbare Ze<strong>it</strong> vorbei ist, herrscht Dürre und Unfruchtbarke<strong>it</strong>,<br />

die von den Aegyptern auf 72 Tage angeschlagen<br />

wurde. Diese Periode wird im Mythus durch den<br />

Sies; <strong>des</strong> Set und seiner 72 Genossen über Hesiri, den sie<br />

erschlagen, angedeutet. Während der Ze<strong>it</strong>, wo die Naturkraft<br />

in Aegypten unthätig zu sein scheint, ist Hesiri in dem<br />

1<br />

Diodor, I, 10. 13 fg.; Flut, Is., e. 12—20.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 71<br />

Leichenkastcn eingesargt. Hesi, welche die Erde bedeutet,<br />

sucht trauernd den Hesiri, in dieser Beziehung den Nil repräsentirend<br />

?, der die Fruchtbarke<strong>it</strong> Aegyptens bedingt 2 , der<br />

im Mythus ins Meer getrieben wird. Die ägyptische Erde<br />

ist während dieser Periode ihrer Fruchtbarke<strong>it</strong> beraubt und<br />

ihre Kraft nach Norden gezogen, daher findet Hesi den Leichnam<br />

an der Meeresküste. Die Erwähnung der phönikischen<br />

Küste im Mythus kann m<strong>it</strong> Recht als nichtägyptischer Zug,<br />

als griechische Combrnation betrachtet werden 3 , da in Phönikien<br />

Astarte verehrt und gleich der Isis m<strong>it</strong> Rinderhörnern<br />

dargestellt wurde, Byblus wegen seiner Adonisklage bekannt<br />

war. Nach den 72 Tagen drückender Dürre, nachdem m<strong>it</strong><br />

der Sonnenwende die Nilschwellung das Land unter Wasser<br />

gesetzt hat, beginnt nach der Ueberschwemmung der neue<br />

Segen <strong>des</strong> Jahrs. Dieser Vorgang wird im Mythus durch<br />

Ilar, das Kind der Hesi und <strong>des</strong> Hesiri, angedeutet, das<br />

herangewachsen zum rächenden Sohn <strong>des</strong> Vaters wird. Hesiri,<br />

der aber nur scheintodt gewesen, lebt m<strong>it</strong> seinem Sohne<br />

in der Unterwelt fort. In den Hieroglyphen wird Har „Rächer<br />

seines Vaters Hesiri" genannt 4 und häufig die Schlange Apep,<br />

Apophis 5 m<strong>it</strong> einem Speere durchbohrend dargestellt. Aegyptische<br />

Denkmäler bezeichnen ihn durch den ihm geheiligten<br />

Sperber m<strong>it</strong> der Geisel. 6<br />

In Hesiri, ursprünglich die Sonne m<strong>it</strong> ihren heilsamen<br />

Wirkungen 7 , dachten die Aegypter alle wohlthätigen Eigenschaften<br />

der Natur vereinigt, er wurde zum Gott <strong>des</strong> Lebens,<br />

das unzerstörbar aus dem Tode wieder aufersteht. Er heisst<br />

„König <strong>des</strong> Lebens", „Herr von unzähligen Tagen", „König<br />

der Götter". Die immergrüne Tamariske, der Reiher sind<br />

ihm geheiligt. Auf den Denkmälern erscheint er m<strong>it</strong> dem<br />

Scepter, der Krone Oberägyptens und dem Nilmesser, dem<br />

Zeichen <strong>des</strong> Lebens. Er führt die Herrschaft in der Unter-<br />

1<br />

Herodot, II, 59; Plut. Is., e. 38.<br />

2<br />

Daher "Ooipi? aya^OTioios (Plut. Is., c. 42).<br />

3<br />

Duncker, I, 46.<br />

1<br />

Vgl. Plutarch, Is., e. 12.<br />

5<br />

So viel als Set, vgl. Plutarch, e. 36.<br />

e<br />

Wilkinson, Manners and cusloms, VI, 37.<br />

7<br />

Diodor, I, e. 10; Macrobius, Saturn., I, o. 21 ;<br />

Porpliyrius und Manetho<br />

bei Euseb. praepar. evangel., I, e. 10; III, c. 2.


1<br />

'-'<br />

72 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

we<strong>it</strong>, lebt aber auch in seinem Sohne Har fort, der über<br />

Aegypten waltet.<br />

Den Gegensatz zu Hesiri bildet Set, von den Griechen<br />

Typhon genannt, der, ursprünglich das zerstörende Sonnenfeuer<br />

bedeutend, zum Repräsentanten aller schädlichen Wirkungen<br />

der Natur überhaupt wird. Im Gegensatz zum Licht<br />

ist er die Dunkelhe<strong>it</strong>, dargestellt als Schlange Apep, welche<br />

die Sonne zu verschlingen droht. Er ist die versengende<br />

Sonnenh<strong>it</strong>ze, die Dürre, und da diese durch die Glutwinde<br />

vermehrt wird, der Glutwind und Sandsturm. Gegenüber<br />

dem befruchtenden Nil ist Set das salzige, öde Meer \ in<br />

welchem der Nil bei seinem Ausflusse verschwindet. Ihm<br />

eignen das gefrässige Krokodil, das wüste Nilpferd, der stützige<br />

Esel. Set selbst wird auf Denkmälern m<strong>it</strong> Eselsohren abgebildet<br />

2 , wie ihm überhaupt aUe Thiere, Pflanzen schädlicher<br />

Art und die schlimmen Ereignisse zugeschrieben werden. 3<br />

Sein Geburtstag galt für einen Unglückstag, an dem man<br />

keine Geschäfte unternahm. 4 Alles Unregelmässige, Ordnungslose,<br />

Unbeständige le<strong>it</strong>eten die Aegypter von ihm ab, und er<br />

gilt in ethischer Hinsicht als Urheber <strong>des</strong> Bösen, der Lüge<br />

und Verleumdung. 5 Ein Papyrus bezeichnet ihn als „den<br />

allmächtigen Zerstörer und Veröder" 6 ;<br />

er zerstört die heilige<br />

Lehre der Hesi und wirkt der Cultur Aegyptens feindlich<br />

entgegen. 7 Seiner Farbe nach ist er 7CU(5po£ vfi xpo?? was<br />

Plutarch durch zapox.?°*5 a ^ so farblos, gelblich, erläutert.<br />

Diestel 9 bemerkt, man habe dies „sehr falsch m<strong>it</strong> roth oder<br />

gar rothbraun übersetzt", und es wäre „sonderbar", gerade<br />

die rothe Farbe dem Typhon beizulegen, da, wie die Denkmäler<br />

ausweisen, roth und rothbraun recht eigentlich die<br />

Hautfarbe der Aegypter ist. „Vielmehr sind m<strong>it</strong> den farblosen,<br />

gelblichen Menschen auf den Monumenten immer die<br />

1<br />

Plutarch, Is., c. 33.<br />

-<br />

Salvolini, Campagne de Ramses le Grand, pl. I, 3*.<br />

s Plut., Is., c. 50.<br />

Plut., ibid., c. 12.<br />

5<br />

Plut,, Is., c. 19. 54.<br />

l<br />

Lepsiu*, Götterkreis, '<br />

S. 53.<br />

7<br />

Plut., Is., c. 2.<br />

8<br />

C. 33.<br />

Sct-Typhon, in der Ze<strong>it</strong>schrift für histor. Theologie, 1860, S. 170.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Altertkums. 7o<br />

nördlichen Ausländer gemeint, die sich durch Tracht, Haltung<br />

und Physiognomie als solche zu erkennen geben." Diese<br />

doch das pol<strong>it</strong>ische<br />

gewiss schätzenswerthe Bemerkung scheint<br />

Moment zu einse<strong>it</strong>ig zu betonen, da kaum erweislich sein<br />

dürfte, dass bei der Farbe <strong>des</strong> Set nicht auch die physische<br />

Bedeutung m<strong>it</strong>spiele. Immerhin mögen unter den typhonischen<br />

(setischen) Menschen zwar kv§§q( \ obschon nicht rothhaarige,<br />

sondern „gelbhäutige", also Nichtägypter, Ausländer<br />

zu verstehen sein, so schliesst dies nicht aus, dass bei der<br />

Farbe <strong>des</strong> Set auch der Gegensatz <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Aegypten zur<br />

Wüste m<strong>it</strong> inbegriffen werde, da die Aegypter selbst ihr Land<br />

als „khemi", schwarz, dunkel bezeichnen gegenüber dem unfruchtbaren<br />

gelblichen Sande der Wüste, die unter der brennenden<br />

Sonne im röthlichen Lichte erscheint. Da Ilesiri als<br />

Schutzgott Aegyptens <strong>des</strong>sen dunkle Farbe trägt, da Set<br />

als Ttu^po'c bezeichnet in derselben Färbung erscheint wie<br />

die unter dem Sonnenbrande liegende Wüste m<strong>it</strong> ihren vom<br />

Sturme aufgewirbelten Sandwolken, so ist die Annahme berechtigt,<br />

auch von dieser Se<strong>it</strong>e die physische Bedeutung <strong>des</strong><br />

Set festzuhalten, ohne sie in<strong>des</strong>s einse<strong>it</strong>ig allein betonen zu<br />

wollen, und denselben als das in der Wüste hausende Wesen<br />

zu betrachten,<br />

gegenüber dem im fruchtbaren Aegypten waltenden<br />

Hesiri.<br />

In Set, dem schlechthinnigen Gegensatz zu Hesiri, vereinigen<br />

sich physische und pol<strong>it</strong>ische Beziehungen, und in<br />

letzter weist er auf das Nichtägyptische, Ausländische hin.<br />

Bemerkenswerth ist <strong>des</strong>halb, dass die dem Set geheiligten<br />

Städte und Gebiete an den Grenzen <strong>des</strong> eigentlichen Nillan<strong>des</strong><br />

gelegen waren, wie Nubt (Ombos), wovon Set den<br />

Beinamen Nubi führt 2 ; so auch der sirbonische See, in welchem<br />

laut der gräcisirten Sage Set gefesselt liegt 3 ; Ha-uar,<br />

das in der <strong>Geschichte</strong> der Hyksos bekannte Aüapi? 4 , in der<br />

heiligen Sprache auch Sethroe genannt, der setro<strong>it</strong>ische Nomos,<br />

Thor <strong>des</strong> Set 5 ,<br />

nach Brugsch 6 die Stadt Set <strong>des</strong> Wächters.<br />

1<br />

Diodor, I, 8«.<br />

2 Lepsius, Denkmäler, III, 34. 35.<br />

3<br />

Herodot, III, 5.<br />

4<br />

Vgl. Joseph, c. Ap., I, 14.<br />

5<br />

Lepsius, Chronologie, I, 344.<br />

6<br />

Ze<strong>it</strong>schrift der Deutschen lnorgcnläudischen Gesellschaft, IX, 209.


1<br />

Wilkinson,<br />

74 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Set galt auch als Gott der Nachbarvölker, <strong>des</strong> südlichen und<br />

nördlichen Auslan<strong>des</strong>. Daher gibt es einen Set-nehes, einen<br />

Set der Neger, der durch einen schwarzen Raben m<strong>it</strong> abgestutzten<br />

Setohren dargestellt wird, darum ist die äthiopische<br />

Königin im Hesiri-Mythus dem Set verbündet.<br />

Alles Nichtägyptische, Fremdartige ist eine Offenbarung<br />

<strong>des</strong> Set, ebenso alles Schädliche, Rohe, alles verwüstende<br />

Wesen. In der Bedeutung <strong>des</strong> Set vereinigt sich m<strong>it</strong> der<br />

Beziehung auf das Ausländische die tobende Gewaltthätigke<strong>it</strong>,<br />

das Vernichtende, Rohe im Kriege, das die Griechen dem<br />

Ares zueignen. Er ist Kriegsgott und als solcher begünstigt<br />

er das Kriegsglück, repräsentirt aber vornehmlich die wilde<br />

Se<strong>it</strong>e, das Ungestüme, Vernichtende <strong>des</strong> Krieges. Als Kriegsgott<br />

findet sich Set auch in Hieroglyphenbildern und stand<br />

in dieser Bedeutung dem Kriegerstamme der Aegypter vor.<br />

Auf einer Tempelwand zu Karnak unterrichtet er neben Hör<br />

den König Thutmosis im Bogenschiessen. * Als Kriegsgott<br />

hatte Omble-Set seinen Tempel. 2<br />

M<strong>it</strong> der Bedeutung <strong>des</strong> Set als Kriegsgott und Repräsentant<br />

<strong>des</strong> Auslan<strong>des</strong>, über welches er die Macht führt und<br />

insofern von ihm abhängt, ob Aegypten vom Auslande unterjocht<br />

wird oder über dieses die Oberhand gewinnt, steht in<br />

Verbindung: dass Set vornehmlich in jenen Gebieten cultivirt<br />

wird, wo vielfache Berührungen m<strong>it</strong> dem Auslande stattfinden,<br />

dass sich die feindliche Se<strong>it</strong>e <strong>des</strong> Set besonders gesteigert<br />

in jenen Ze<strong>it</strong>en herauskehrt, wo Aegypten von den<br />

Ausländern bedrückt wird. Dies zeigt die Ze<strong>it</strong> der Hyksos<br />

in Aegypten.<br />

Manetho erzählt 3 :<br />

„ Es regierte ein König Amyntimäos 4<br />

über Aegypten, unter welchem die Gotthe<strong>it</strong> ungünstig war.<br />

Unerwartet zogen aus den östlichen Gegenden von Geschlecht<br />

unangesehene Menschen voll Selbstvertrauen gegen das Land<br />

und nahmen es m<strong>it</strong> Gewalt ohne grosse Mühe ein, und nachdem<br />

sie die Herrschenden im Lande sich unterworfen, verbrannten<br />

sie grausam die Städte und zerstörten die Tempel<br />

VI, pl. 39.<br />

- Ilerod., II, 83.<br />

3<br />

Jos. c. Ap., I, 14.<br />

4<br />

Ameuemhat; Lepsin?, König&buch, S. 24.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 75<br />

der Götter: segeii die Einheimischen aber handelten sie auf<br />

das feindseligste, indem sie die einen niedermachten und die<br />

Weiber und Kinder der andern in Knechtschaft brachte».<br />

Am Ende machten sie auch einen ans ihrer M<strong>it</strong>te zum König,<br />

<strong>des</strong>sen Name Salatis war. Dieser residirte in Memphis, erhob<br />

Tribut aus dem obern und untern Lande und hielt Besatzungen<br />

in den gelegensten Orten, besonders den östlichen<br />

Gegenden. Im sethro<strong>it</strong>ischen Bezirke fand er eine sehr geeignete,<br />

am Nilarme von Bubastis gelegene Stadt, welche in<br />

alter Ze<strong>it</strong> den Namen Abaris erhalten hatte; diese bevölkerte<br />

er, umgab sie m<strong>it</strong> festen Mauern und legte 240000 Mann<br />

seiner Bewaffneten als Besatzung hinein. Diesem folgten andere<br />

Könige, die stets Krieg führten und die Wurzel Aegyptens<br />

immer mehr auszurotten suchten. Ihr Geschlecht wurde<br />

Hyksos genannt. Denn «Hyk» bedeutet in der heiligen Sprache<br />

einen König, «Sos» aber Hirte im gemeinen Dialekte, und so<br />

zusammengesetzt entsteht Hyksos."<br />

Manetho bezeichnet die Fremden an verschiedenen Stellen<br />

seines Werks als Phöniker oder als deren Verwandte \ und<br />

wenn sie nach <strong>des</strong>sen Angabe von einigen Araber genannt<br />

werden, so ist bekannt, dass der Lan<strong>des</strong>theil, der an die nordöstliche<br />

Grenze Aegyptens stiess, woher die Eindringlinge<br />

gekommen waren, von den Alten bald zu Phönikien, bald<br />

zum peträischen Arabien gerechnet wird. Afrikanos nennt<br />

sie Phöniker. 2<br />

Dass m<strong>it</strong> dem Einbrüche der Phöniker nicht ganz Aegypten<br />

unterjocht worden sei, sondern die einheimische Königsdynastie<br />

sich nur nach Oberägypten zurückgezogen habe, geht<br />

aus der Bemerkung hervor, die Josephus der Manethonischen<br />

Stelle hinzufügt, wonach, nach 511 jähriger Herrschaft der<br />

Könige der Hirten, in dem Gebiete von Theben und dem<br />

übrigen Aegypten Könige aufgestanden seien, woraus sich<br />

ein langer Kampf entwickelt habe, infolge <strong>des</strong>sen die Hirten<br />

geschlafen und auf Avaris zurückgedrängt wurden. 3<br />

1<br />

Georg. Syncell., S. 61; Eusebiu*, Cliron., S. 99.<br />

2<br />

Afric. ap. Syncell., S. Gl.<br />

3<br />

Fragmenta Manethon., üb. II, in Idleri Hermap. Appeud., Ö. 37;<br />

Jos. c. Apion., I, 14. 15, in Idleri Hermap. Append., S. 53.


76 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Nach dem Berichte Manetho's versuchte Tuthmosis Abaris<br />

m<strong>it</strong> Gewalt einzunehmen, da ihm dies aber nicht gelungen,<br />

habe er sich m<strong>it</strong> den Hirten abgefunden, dass sie Aegypten<br />

verlassen konnten, worauf sie in die Wüste gezogen seien.<br />

So viel lässt sich dem Berichte entnehmen, dass die Herrschaft<br />

der Fremden in Niederägypten neben den einheimischen<br />

Königen in Oberägypten eine geraume Ze<strong>it</strong> hindurch<br />

bestanden habe, dass diesen nur nach langem Kampfe gelungen<br />

sei, das Uebergewicht zu erlangen und die Phöniker<br />

auf das Nildelta hinabzudrängen und endlich aus Aegypten<br />

zu vertreiben.<br />

Von der Ze<strong>it</strong> wo König Raskenen in Theben regierte,<br />

nachdem se<strong>it</strong> der ersten Erhebuno; der einheimischen Fürsten<br />

gegen die Fremden über hundert Jahre vergangen waren,<br />

berichtet ein Papyrus <strong>des</strong> Br<strong>it</strong>ischen Museum: „Es ereignete<br />

sich, dass das Land Aegypten Eigenthum war der Bösen<br />

und nicht war damals ein Herr m<strong>it</strong> Leben, Heil und Kraft<br />

König. Und siehe, es war Raskenen m<strong>it</strong> Leben, Heil und<br />

Kraft nur Vorsteher <strong>des</strong> südlichen Lan<strong>des</strong>. Die Bösen waren<br />

in der Burg der Sonne (Heliopolis) , und ihr Haupt Apepi<br />

(Apophis) war in Hauar (Avaris), und das ganze Land leistete<br />

Dienste die Fülle und Tribut, alles Gute was Unterägypten<br />

hervorbringt. Und Apepi wählte den Gott Sutech (Set) 1 zum<br />

Herrn und baute ihm einen Altar in guter,<br />

langdauernder Arbe<strong>it</strong><br />

und diente keinem andern Gotte, welcher in Aegypten<br />

war." 2<br />

Die Verdrängung der ägyptischen Götter durch Set in jener<br />

Ze<strong>it</strong> findet sich auch in Priestersagen bei griechischen<br />

Schriftstellern aufbewahrt und bestätigt, wonach es heisst:<br />

dass die ägyptischen Götter ihre Kronen abgelegt, als sie die<br />

Herrschaft <strong>des</strong> Typhon (Set) sahen 3 ;<br />

oder: dass die Götter<br />

(die ägyptischen), als Typhon, der Feind der Götter, nach<br />

Aegypten gekommen, aus Furcht vor ihm sich in Thiere verwandelt<br />

hätten 4 , und zwar, wie Diodorus erklärt, um sich<br />

1<br />

Lepsius, Lieber den ersten Götterkrieg, S. 18 fg.<br />

2<br />

Brugscb , Aegyptische Studien , in der Ze<strong>it</strong>schrift der Deutschen<br />

niorgenländischen Gesellschaft, IX, 200 fg.<br />

3<br />

Hellanic. ap. Athen., XV, G80.<br />

1<br />

llygin., II, 28.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 77<br />

der Gottlosigke<strong>it</strong> und Grausamke<strong>it</strong> der erdgeborenen Menschen<br />

(nämlich der Hyksos) zu entziehen.<br />

Es darf immerhin angenommen werden, dass das Verhalten<br />

der Fremden, die Manetho bei ihrem Einbrüche als<br />

wilde Eroberer auftreten lässt, im Verlaufe der Ze<strong>it</strong> milder<br />

geworden sei 1 ;<br />

allein ebenso ergibt sich aus dem Papyrusberichte:<br />

dass der Setcult in Niederägypten vornehmlich gepflegt<br />

worden, dass Set im Volksglauben zum Träger <strong>des</strong><br />

Bösen und Uebeln sich herausgebildet habe.<br />

Als die phönikischen Eindringlinge im Lande der Aegypter<br />

sich festgesetzt hatten, erkannten sie im ägyptischen Set,<br />

Sutech, dem Gott <strong>des</strong> zerstörenden Kriegs, dem Localgott<br />

von Ombos, Ombte-Set, Nub, Nubi-Set, ihren eigenen Feuergott,<br />

der zugleich ihr Kriegs- und National- oder Stammgott<br />

war, daher sie dem Set ihre Verehrung zollten, ihn zur Hauptgotthe<strong>it</strong><br />

erhoben und demselben ihr festes Lager heiligten.<br />

Der ägyptische Hass gegen die phönikischen Eindringlinge<br />

und Unterdrücker Hess dieselben in den Augen der Aegypter<br />

als Repräsentanten schwerer Vergewaltigung erscheinen, und<br />

dieser Hass wurde in der Erinnerung aufbewahrt. Auf Set,<br />

den die verhassten Fremdlinge als ihre Hauptgotthe<strong>it</strong> verehrt<br />

hatten, übertrug sich das Gewaltthätige; alles dem Lande<br />

Aegypten und seinen wohlthätigen Göttern Feindselige und<br />

alles, was dem Aegypter schädlich erschien, wie der Druck<br />

der Phöniker, häufte er auf Set, den diese verehrt hatten.<br />

Obschon das Princip aller Rohhe<strong>it</strong>, „das die Harmonie im<br />

Weltall wie im Menschen stört,<br />

der stark griechisch gefärbten<br />

Religionsphilosophie" angehören mag 2 , ist doch nicht zu verkennen,<br />

dass durch das Auftreten der Hyksos in Aegypten<br />

die Vorstellung von Set als einer furchtbaren übelthätigen<br />

Gotthe<strong>it</strong> im ägyptischen Volksglauben ihre we<strong>it</strong>ere Ausbildung<br />

erlangte. Diese Annahme wird kaum abgeschwächt durch<br />

die Hinweisung auf „die<br />

grosse Verschiedenhe<strong>it</strong> der religiösen<br />

Observanz in den zahlreichen Localculten ", noch dadurch,<br />

dass Set als eine der Besänftigung fähige Gottesmacht noch<br />

in späten Ze<strong>it</strong>en nachzuweisen ist. Es liegt in der Natur der<br />

1<br />

Duncker, I, 97.<br />

2 Diestel, Set-Typhon u. s. w., Ze<strong>it</strong>schrift für historische Theologie, 1860,<br />

187.


78 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Sache, dass der Setcult nicht in allen Gebieten auf gleicher<br />

Linie im Vordergrund gestanden, dass man nach Umständen<br />

entweder, um den wohlthätigen Göttern Aegyptens zu gefallen,<br />

die als von Set angefeindet galten, diesem in seinen<br />

ihm geeigneten Thieren den Abscheu an den Tag legte, wie<br />

die Einwohner von Koptos einen Esel vom Felsen herabstürzten<br />

1 ; oder den Set, der als gefährlich zu fürchten war, wenn<br />

er eine Landplage, z. B. den Glutwind, angerichtet hatte,<br />

di#ch Opfer zu besänftigen<br />

suchte.<br />

Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> von guten und bösen Wesen innerhalb<br />

<strong>des</strong> ägyptischen Götterglaubens steht fest, und das<br />

Vorhandensein eines übelthätigen höhern Wesens ist ausser<br />

Zweifel.<br />

Der gegensätzliche Dualismus in der ägyptischen Religionsanschauung<br />

findet einen fernem Beleg in der religiösen<br />

Speculation der Aegypter. Es bleibt wahr, „der Götterglaube<br />

und die Götterverehrung waren früher vorhanden als die religiöse<br />

Speculation 2 -, aber ebenso richtig ist, dass speculative<br />

Constructionen, Kosmogonien und Theogonien, dogmatische<br />

Systeme auf die Art und den Charakter eines Volks und seines<br />

religiösen Seins hindeuten, weil sie der untersten Grundlage<br />

nach doch im Volke wurzeln , obschon sie in der Form<br />

der Speculation nicht im Volksbewusstsein vorhanden und<br />

der Masse nicht zugänglich sind. Es soll daher die ägyptisch<br />

religiöse Speculation eben nur als Unterstützung für unsere<br />

Annahme beigebracht werden, insofern auch in ihr jene Zweihe<strong>it</strong><br />

zum Ausdruck kommt.<br />

Nach den Erörterungen Röth's 3 stand an der Sp<strong>it</strong>ze der<br />

ägyptischen Speculation eine Urgotthe<strong>it</strong>, das ,,ungetheilte<br />

Eine" 4 ,<br />

zusammengesetzt aus Stoff, woraus alle Theile in<br />

der Welt gebildet sind, Geist, der das Ganze durchweht und<br />

belebt in seiner unendlichen Ausdehnung, und Ze<strong>it</strong>, das regelmässige<br />

Nacheinander von Tagen und Nächten, Jahresze<strong>it</strong>en<br />

und Jahren. Diese vier Grundbestandteile der Welt waren<br />

von Ewigke<strong>it</strong> zu einer Einhe<strong>it</strong> verbunden gedacht in der Ur-<br />

1<br />

Plutarch, Is., c. 30.<br />

* Roth, I, 50.<br />

3<br />

I, 132 fg.<br />

4<br />

Jambl., de myster. Aegyptior., VIII, 2.


4. Dualismus in den Religionen der Culfcurvölker <strong>des</strong> A<strong>it</strong>ertliums. 70<br />

gotthe<strong>it</strong>, die man an die Sp<strong>it</strong>ze alles Vorhandenen stellte, in<br />

der in Einhe<strong>it</strong> verbunden war, was in der Welt getrennt und<br />

in die einzelnen Gotthe<strong>it</strong>en gesondert auseinandertreten sollte.<br />

Diese Urgotthe<strong>it</strong> nennen die Aegypter Arnim, „unentstanden,<br />

verborgen", d. h. durch die Sinne nicht unm<strong>it</strong>telbar wahrnehmbar,<br />

von den Aegyptern so heilig gehalten, dass sie den<br />

Namen auszusprechen sich scheuten. l<br />

Da die vier Urwesen, aus welchen die Gotthe<strong>it</strong> bestand,<br />

verschiedenen Geschlechts gedacht wurden, so entstanden zwei<br />

Paare: der männliche Kneph als Urgeist m<strong>it</strong> der weiblichen<br />

Ne<strong>it</strong>h als Urstoff bildet das eine Paar; der männliche Sevech<br />

als Urze<strong>it</strong> m<strong>it</strong> der weiblichen Pascht, Urraum, das andere.<br />

Kneph, d. h. Geist, der in der Hieroglyphenschrift auch<br />

Neb, Noub, Noum heisst, nach der griechischen Schreibart<br />

xvs'9, xvoucpi^, xvoüßic, xvoü<br />

(u(.


gQ Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

sondern auch alles zerstört, m<strong>it</strong>hin Urgrund der Zerstörung<br />

und Vernichtung ist. Sonach ist Sevech der Urheber alles<br />

Uebcls und alles Bösen.<br />

Das vierte Urwesen, Pascht, die Herrin <strong>des</strong> Raumes, „die<br />

ausgegossene, ausgebre<strong>it</strong>ete", vereint in sich die Vorstellung<br />

der Finsterniss, wurde aber trotz ihrer Verbindung m<strong>it</strong><br />

Sevech als gute Gotthe<strong>it</strong> gedacht, und weil sie die Urmaterie<br />

Ne<strong>it</strong>h in sich aufnahm, heisst sie auch die „Geburtshelferin".<br />

Aus der Urgotthe<strong>it</strong>, in der sich Materie, Geist oder Kraft,<br />

Raum und Ze<strong>it</strong> vereinigt befand, ging die Welt durch innere<br />

Entwickelung hervor, indem die Materie unter Einwirkung<br />

<strong>des</strong> bewegenden Hauches sich kugelartig gestaltete, daher<br />

Kncph, auch Schöpfer und König <strong>des</strong> Weltalls genannt, auf<br />

Hieroglyphenbildern als eine die Weltkugel umfassende Schlange<br />

dargestellt wird. Als Himmelslenker und Weltbeherrscher ist<br />

Kneph der gute Geist.<br />

Aus der im Schose der Urgotthe<strong>it</strong> entstandenen Weltkugel<br />

gingen auch die acht grossen Götter hervor, die person<strong>it</strong>icirten<br />

kosmischen Götterbegriffe, da sie als Theile der<br />

Urgotthe<strong>it</strong> in die Welt übergingen und diese unter ihrem<br />

Einflüsse die jetzige Gestalt erhielt.<br />

Nachdem der „innenweltliche Schöpfergeist" auf die Erde<br />

niedergestiegen war', schmückte er sie m<strong>it</strong> ihrer jetzigen Gestalt,<br />

d. h. er bildete Aegypten, denn, wie für je<strong>des</strong> ältere<br />

Volk, war dem Aegypter sein Land der Haupttheil der Erde,<br />

und die vier Urgotthe<strong>it</strong>en wurden zu irdischen Gotthe<strong>it</strong>en.<br />

Da vom Nil die Existenz und Cultur Aegyptens abhängt,<br />

nach seiner Ueberschwemmung die drei Hauptze<strong>it</strong>en: die Ze<strong>it</strong><br />

der Ueberschwemmung, die darauffolgende Saatze<strong>it</strong> und die<br />

Ze<strong>it</strong> der Dürre, sowie die ganze Lebensordnung, die häuslichen<br />

und bürgerlichen Einrichtungen geregelt werden; so<br />

knüpft sich auch die ägyptische Kosmogonie und Theogonie<br />

an diesen Fluss. Kneph, der gute Urgeist, wird zum Nil-<br />

Okeamos (Okeamos soll der ägyptische Name <strong>des</strong> Nil sein),<br />

und heisst daher der gute Gott m<strong>it</strong> all den wohlthätigen<br />

Eigenschaften <strong>des</strong> Flusses; die Gemahlin <strong>des</strong> Kneph, das<br />

himmlische Urgewässer Ne<strong>it</strong>h, die Netpe <strong>des</strong> Himmels, kommt<br />

auf die Erde und wird zur Flussgöttin Okeame, die als Ernährerin<br />

der Welt, d. h. Aegyptens, gilt; Sevech findet<br />

im Wechsel der von den Nilüberschwemmungen abhängigen


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthuras. 31<br />

Jahresze<strong>it</strong>en seine Verkörperung und wird als Seb zur irdischen<br />

Ze<strong>it</strong>: Pascht findet auf Erden ihr Amt als Hüterin<br />

der bestehenden Weltordnung und wird zur Reto.<br />

Nachdem die vier Urgotthe<strong>it</strong>en verkörpert waren, trat<br />

Erzeugung und Geburt auf Erden ein, auch die göttlichen<br />

Wesen pflanzten sich fort, und es entstand ein Göttergeschlecht<br />

ungeheuer an Kraft und Grösse, die Giganten Apophi.<br />

Reich an Nachkommenschaft waren die vier grossen irdisch<br />

gewordenen Götter, und besonders war Netpe als Gebärerin<br />

thätig, sie hatte Kinder von verschiedenen Vätern:<br />

Hesiri und Arueris von Re, dem Sonnengott; Hesi von Thoot;<br />

Set und Nephthys von Seb. Die Erde ward m<strong>it</strong> zahllosen<br />

Gotthe<strong>it</strong>en und Dämonen gefüllt, die vier Gotthe<strong>it</strong>en herrschten<br />

auf der Erde, auf welcher es aber noch keine Menschen<br />

gab.<br />

Die Ze<strong>it</strong> der unm<strong>it</strong>telbaren Herrschaft <strong>des</strong><br />

Okeamos, <strong>des</strong><br />

guten Geistes über Aegypten, bildet das goldene Ze<strong>it</strong>alter,<br />

wo es kein Uebel und nichts Böses gab. Aber Seb, der irdisch<br />

gewordene Sevek, entfaltete seine zerstörerische Eigenschaft<br />

und machte der goldenen Ze<strong>it</strong> ein Ende. M<strong>it</strong> dem zunehmenden<br />

Alter der Welt machte sich die übelthätige Natur<br />

der Ze<strong>it</strong> geltend, sie riss die Herrschaft an sich, und die Zerstörung<br />

trat ein. Seb empört sich, unterstützt von den Giganten<br />

Apophi gegen Okeamos, den guten Geist, den Nilgott,<br />

dem die guten Götter und Geister treu blieben. Dieser Krieg<br />

endete dam<strong>it</strong> , dass die Seb-Partei in den Nil gestürzt und in<br />

die Unterwelt verbannt, und dadurch der Einfluss <strong>des</strong> Bösen<br />

wenigstens beschränkt wurde. Um die Erde von der<br />

Verunreiniormo; der Herrschaft <strong>des</strong> Seb zu sühnen, ward die<br />

grosse Flut herbeigeführt, durch welche die Erde in ihre<br />

jetzige Gestalt gebracht, den Menschen zum Aufenthalt dienen<br />

sollte. Die durch Seb zum Abfall verle<strong>it</strong>eten Geister<br />

sollten, zur Sühne in irdische Leiber eingeschlossen, durch<br />

ihren Aufenthalt auf der Erde sich reinigen. So entstand<br />

das Menschengeschlecht, welches den zwölf Göttern und ihren<br />

Nachkommen zur Obhut und Erziehung übergeben wurde.<br />

Die Gegensätzlichke<strong>it</strong>, die in dem Götterkampfe zwischen<br />

Okeamos und Seb stattfindet und im Stre<strong>it</strong>e Set's m<strong>it</strong> Hesiri<br />

unter Modificationen sich wieder abspiegelt, liefert den schlagenden<br />

Beweis für die dualistische Anschauung der ägyptischen<br />

Eoskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I. G


s-_> Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Religion. Die Vermuthung, tlass die Mythen auch geschichtliche<br />

Elemente enthalten, hierm<strong>it</strong> also ein Stück wirklicher <strong>Geschichte</strong><br />

Aegypteus geliefert werde *, hat ihre Berechtigung;<br />

obschon dies nicht ausschliefst, dass „die umbildenden Einflüsse"<br />

wieder von der Naturbeschaffenhe<strong>it</strong> Aegyptens, namentlich<br />

dem massgebenden Nil, herzule<strong>it</strong>en seien, um den<br />

das Wohl und Weh Aegypteus drehte und der das Haupt-<br />

sich<br />

interesse seiner Bewohner ausmachte. Die Annahme Roth 's 2 ,<br />

„dass diese sterblichen, aus der Sagengeschichte hervorgegangenen<br />

Gotthe<strong>it</strong>en (Osiris, Isis u. s. w.), wesentlich keine physikalischen<br />

Begriffe, keine Theile und Kräfte <strong>des</strong> Weltganzen,<br />

wie die grossen kosmischen Gotthe<strong>it</strong>en, sondern persönliche, menschenähnliche<br />

Götter sind", Hesse sich wol dahin modificiren :<br />

dass<br />

die Sage von Hesiri (Osiris) und Hesi (Isis) in die Ursprünge der<br />

ägyptischen <strong>Geschichte</strong> hineinragt und darin ihren Anknüpfungspunkt<br />

findet, an den geschichtlichen Kern aber sich mythische<br />

Bestandteile angesetzt haben, die aus dem Leben der Aegypter<br />

sowie von der Natur <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, insbesondere dem Nil,<br />

dieser Puls und Herzensader <strong>des</strong><br />

ägyptischen Lebens, auf die<br />

geschichtlichen Momente übertragen und m<strong>it</strong> diesen verschmolzen<br />

im Osiris-Mythus aufbewahrt sind. So steht Set in<br />

Beziehung zur natürlichen Beschaffenhe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, zugleich<br />

aber auch zu <strong>des</strong>sen <strong>Geschichte</strong>, und einen Schr<strong>it</strong>t we<strong>it</strong>er erhält<br />

Set-Typhon eine Bedeutung rein geschichtlicher Art, aus<br />

den Schicksalen <strong>des</strong> ägyptischen Volks abgele<strong>it</strong>et. So wurde<br />

der ursprüngliche Begriff, den das religiöse Bewusstsein der<br />

Aegypter an Set geknüpft hatte, durch die Berührung m<strong>it</strong><br />

einem phönikischen Stamme und nach dem Verhältnisse der<br />

Aegypter zu jenem umgewandelt und vielbedeutend, er wurde<br />

Ze<strong>it</strong>-, Kriegsgott, Repräsentant und Urheber alles Widrigen,<br />

Schädlichen,<br />

Verabscheuungswürdigen.<br />

Die Araber.<br />

Die Araber, welche im M<strong>it</strong>telalter eine neue sem<strong>it</strong>ische<br />

Cultur und Herrschaft gründeten, nachdem die grossen Reiche<br />

ihrer Stammverwandten längst vom Schauplatze der <strong>Geschichte</strong><br />

1<br />

Rötb, I, 159.<br />

2 I, 1G4.


4. Dualismus m den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 83<br />

abgetreten waren, werden schon im höchsten Alterthnm bemerklich.<br />

Die Trad<strong>it</strong>ion der Hebräer lässt sie von Abraham's<br />

ältestem Sohne abstammen, und die Araber lehnen sich im<br />

wesentlichen an jene Ueberlieferung.<br />

Die Wanderstämme der<br />

Araber im Norden und Innern <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> verehrten die<br />

Naturmächte, sie erkannten die Macht der Gotthe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Himmels<br />

im Sturme, in der Wetterwolke, im Donner und Bl<strong>it</strong>z,<br />

im heissen Sonnenstrahl, namentlich auch in schönen Bäumen<br />

und besonders gestalteten Steinen. l Die fruchtbare Kraft der<br />

Erde verehrten sie in einer weiblichen Gotthe<strong>it</strong>, ebenso waren<br />

die Sterne, welche dem Araber auf seinen Wanderungen den<br />

Weg zeigten, Gegenstand seiner Verehrung, wovon ihm einige<br />

Freude und Wohlsein verkündeten, andere dagegen Leid und<br />

Unglück. Herodot a berichtet über zwei Gotthe<strong>it</strong>en und erkennt<br />

in der einen den Dionysos, den die Araber Urotal<br />

nennen, in der andern die Urania (Aphrod<strong>it</strong>e), Alilat oder<br />

Al<strong>it</strong>ta geheissen. Von dieser letztern bemerkt Herodot, dass<br />

sie von der Myl<strong>it</strong>ta nur dem Namen nach verschieden sei.<br />

Der ihr gegenüberstehende Urotal (Urotalt) wird für den<br />

Sonnengott, auch Feuergott, erklärt 3 , wie auch Sab<strong>it</strong> zu<br />

Sabatha für eine Modification <strong>des</strong> Sonnengottes gilt. 4<br />

So viel geht aus den spärlichen Nachrichten hervor, dass<br />

sich bei den alten Arabern eine Zweihe<strong>it</strong> <strong>des</strong> göttlichen Wesens<br />

vorfindet. Die verschiedenen Schutzgotthe<strong>it</strong>en der verschiedenen<br />

Stämme, und der eigene Stern, den jeder Stamm<br />

verehrte, sind nur als verschiedene Modificationen ein und<br />

derselben religiösen Grundanschauung zu betrachten, die auf<br />

Sabäismus zurückgeführt werden muss. 5<br />

Besonders hat sich die Verehrung der Wandelsterne entwickelt.<br />

Der Stern der Venus soll als Beschützer der Liebe<br />

verehrt worden sein, m<strong>it</strong> Beilegung einer mehr sinnlichen<br />

Wirkung. 6 Die Planeten Saturn und Mars wurden als übelthätig<br />

gefürchtet. Letzterm opferte man m<strong>it</strong> blutbesprengten<br />

Kleidern einen Krieger, während dem Planeten Jup<strong>it</strong>er die<br />

1<br />

Genes., 2


1<br />

s<br />

1<br />

Erster Abschn<strong>it</strong>t: Dei' religiöse Dualismus.<br />

Verehrung durch die Opferung eines Säuglings dargebracht<br />

ward. '<br />

Obschon von der Religion<br />

der alten Araber zu wenig bekannt<br />

ist, um eine genaue Gesammtvorstellung zu bieten, so<br />

ist die Annahme <strong>des</strong> Dualismus guter und böser Wesen in<br />

derselben sichergestellt durch den alten Glauben an die<br />

Dschinnen, d. h. Dämonen, den Mohammed bei seinem Volke<br />

vorfand, in den Islam aufnahm und durch den Koran bekräftigte.<br />

Wenn die Lehre der Moslems von den Dschinnen und<br />

dem Satan hier schon erwähnt wird, bevor das Judenthum<br />

erörtert, geschweige denn die christliche Periode erreicht worden<br />

ist, so möge diese Vorwegnähme darin ihre Entschuldigung<br />

finden, dass eine spätere Einschiebung der islam<strong>it</strong>ischen<br />

Vorstellungen während <strong>des</strong> chronologischen Verlaufs<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> christlichen <strong>Teufels</strong> we<strong>it</strong> störender sein dürfte.<br />

Mohammed soll als junger Mann und in seiner frühern<br />

Jugend nach Syrien gekommen sein und bei diesen Gelegenhe<strong>it</strong>en<br />

Rabbinen und christliche Mönche kennen gelernt haben,<br />

was aber geschichtlich unverbürgt ist. Sicher ist dagegen,<br />

dass schon vor Mohammed das Christenthum von mehrern<br />

Se<strong>it</strong>en in Arabien eingedrungen war und arabische Klöster<br />

und Bisthümer gestiftet hatte. Auch Juden hatten, nach der<br />

Zerstörung ihres Staats durch die Römer, sich nach dem<br />

nördlichen Arabien geflüchtet und daselbst angesiedelt. Den<br />

Arabern fehlte es also nicht an Gelegenhe<strong>it</strong>, m<strong>it</strong> monotheistischen<br />

Glaubenslehren bekannt zu werden, und von einzelnen,<br />

unter denen selbst Mekkaner gewesen sein sollen, berichtet<br />

die Uebcrlieferung der Moslems die Lossagung vom alten<br />

arabischen Götzendienste. Wir wissen zwar nicht, wie viel<br />

Mohammed vor dem Antr<strong>it</strong>te seiner Prophetenlaufbahn vom<br />

Judenthum oder Christenthum bekannt war; so viel ist aber<br />

gewiss, dass seine Annahme <strong>des</strong> monotheistischen Glaubens<br />

aus dem Bedürfniss hervorgegangen ist, dem die alte Religionsform<br />

nicht mehr entsprochen hat. Allerdings finden sich sowol<br />

christliche als auch jüdische Elemente in der Religion<br />

Mohaumied's, er war aber „nicht der Mann der kühlen und<br />

der<br />

(iosenius, a. a. ()., 337. 344 fg.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 85<br />

scharfen Ueberlegung", wie Nöldecke sehr richtig* bemerkt l ;<br />

seine Religion ist ihrem Ursprünge nach das Werk tiefer Begeisterimg<br />

und gewaltiger religiöser Bewegung, die sich in<br />

den Satz zusammenfasste : „es ist nur Ein Gott", wom<strong>it</strong> der<br />

bisherige Götzendienst gestürzt war, und das Gefühl, dass<br />

Mohammed berufen, diese Wahrhe<strong>it</strong> zu verkünden, kam im<br />

zwe<strong>it</strong>en Hauptsatze <strong>des</strong> Islam zum Ausdruck.<br />

Es ist nicht unsere Aufgabe, den ganzen Glaubensinhalt<br />

der Lehre Mohämmed's darzustellen, vielmehr ist hier nur<br />

auf das dualistische Moment darin hinzuweisen. Dieses liegt<br />

in den schon erwähnten Dschinnen angedeutet. Dass der<br />

Glaube an sie und die Verehrung ihrer schon vor Mohammed<br />

unter den Arabern geherrscht, bestätigt der Koran, wo es<br />

Sure XXXIV, 49 hcisst: „Sie (die Araber) beteten die<br />

Dschinnen an, die meisten derselben glaubten an sie." 2 Vor<br />

Mohammed galten die Dschinnen für Söhne und Töchter<br />

Gottes. Sure VI, 101 :<br />

„ Sie (die Götzendiener) setzten Gott<br />

(dem Herrn) die Dschinnen als seinesgleichen, die er erschaffen;<br />

sie schrieben ihm aus Unwissenhe<strong>it</strong> Söhne und Töchter<br />

zu, er sei gepriesen u. s. w." Als Mohammed wenige<br />

Monate nach dem Tode seiner ersten Gemahlin Chadidscha<br />

und seines Oheims Abu Thalif sich nach Thaif begab, um den<br />

Islam zu verkündigen, von den Einwohnern aber m<strong>it</strong> Spott<br />

und Steinwürfen behandelt wurde, ging er in das zwischen<br />

Mekka und Thaif gelegene Thal, „Palmenbauch" oder auch<br />

„Dattelbauch" genannt, und übernachtete in einer Höhle, den<br />

Koran lesend. Da zogen, nach dem Berichte der Ueberlieferung,<br />

sieben Dschinnen vorüber, die, als sie die Lesung<br />

<strong>des</strong> Koran hörten, stillstanden und darauf sich zum Islam<br />

bekehrten. Diese Bekehrung von Dschinnen bestätigt der<br />

Prophet im Koran durch Sure LXXII, die den T<strong>it</strong>el „Dschinnen"<br />

führt, und weil sie die Lehre von ihnen enthält, merkwürdig<br />

ist. Sie lautet im Anfange: „1) Mir ist geoffenbaret<br />

worden, dass mir Dschinnen zugehört und dass sie gesagt:<br />

Wir haben gehört den wundervollen Koran. 2) Er le<strong>it</strong>et<br />

1<br />

Herzog, Realencyklopädie, Art. Mukammed am Ende <strong>des</strong> 18. Ban<strong>des</strong>.<br />

"<br />

Wir folgen der Uebersetzung <strong>des</strong> Freiherrn Hammer-Purgstall in<br />

seiner Gcistcrlehre der Moslems. Denkschrift der philosophisehdiistorischcn<br />

Klasse der Wiener Akademie der Wissenschaften, 1852, III.


-'<br />

Sure<br />

,% Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

zum Rechten, und wir glauben daran, und wir setzen unserm<br />

Herrn keinen andern zur Se<strong>it</strong>e. 3) Erhöht sei unser Herr!<br />

Er nahm keinen Genossen und keinen Erzeugten an. 4) Thoren<br />

von uns sagen: der Herr habe dergleichen Unmässigke<strong>it</strong><br />

gethan; 5) wir meinten, weder Mensch noch Dschinne werde<br />

eine Lüge sagen von Gott fortan, (i) Es gab Männer der<br />

Menschen, die sich zu den Männern der Dschinnen flüchteten,<br />

aber diese bestärkten jene in ihrem thörichten Wahn. 7) Sie<br />

wähnten, wie ihr gewähnt, Gott werde keinen (Propheten)<br />

senden fortan. 8) Wir wollten (sprachen die Dschinnen) zum<br />

Himmel uns schwingen, aber wir trafen nur Wachen und<br />

Flammen dort an. 9) Wir sassen dort auf S<strong>it</strong>zen, um zu<br />

horchen, nun horcht aber keiner, ohne dass ihn wachhabende<br />

Flammen umfachen. 10) Wir wissen nicht, ob dieses der<br />

Herr zum Bösen derer, die auf Erden, oder zu ihrem Besten<br />

gethan. 11) Wir sind von den Guten unter uns und andere<br />

sind anders daran, denn es gibt mehr als Eine Bahn. 12) Wir<br />

wähnten, dass wir Gott nicht entgehen auf irdischer und nicht<br />

auf himmlischer Bahn. 13) Wir haben die Le<strong>it</strong>ung gehört<br />

und geglaubt an den Koran, und wer an den Herrn glaubt,<br />

fürchtet nicht, dass ihm Verminderung seines Gutes und Unrecht<br />

werde gethan. 14) Einige von uns sind Moslems, und<br />

andere weichen von der wahren Bahn, die Moslems suchen<br />

das Recht fortan. 15) Die Abweichenden sind dem Feuer<br />

(der Hölle) als Zunder zugethan."<br />

Die Senduno; Mohammed's betraf also nicht nur die Mensehen,<br />

sondern auch die Dschinnen, deren einige, wie jene,<br />

gläubige, andere ungläubige, also gut und böse sein können,<br />

daher auch der Koran Menschen und Dschinnen häufig m<strong>it</strong>einander<br />

zu erwähnen pflegt. l M<strong>it</strong> den Teufeln werden sie 2<br />

als Feinde der Propheten aufgeführt. Die guten Dschinnen<br />

sind nach dem Islam die gläubigen, die den Koran anhören 3 ,<br />

die bösen sind die ungläubigen, welche die Menschen verführen.<br />

4 Gleich den Menschen werden auch die Dschinnen<br />

selig oder verdammt. Die boshaftesten und listigsten aller<br />

1<br />

Vgl. Sure VII, 3'J. 89; XXVII, IS: LV, 33. 56. 130 u. a. in.<br />

3<br />

VI, 12.<br />

Vgl. Sure, XL VI, 2


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 87<br />

Dsehinnen sind die Ifris (Afaris, Afer, Aferij, Afarijes). l<br />

Eine Art Dsehinnen sind die Gull, zwar nicht aus dem<br />

Koran, wol aber aus der Ueberlieferung bekannt als die<br />

eigentlichen Wüstendämonen, männliche und weibliche, deren<br />

letztere insgemein Soilat genannt werden, wom<strong>it</strong> aber der<br />

Beo-riff einer Zauberin oder Hexe verbunden ist. Weibliche<br />

Gull oder Wüstenteufel sind auch die Ssaidanes u. a. m. 2<br />

Ganz scharf und klar tr<strong>it</strong>t der Dualismus in der Lehre<br />

von Engeln und Teufeln auf, die Mohammed in den Islam<br />

aufgenommen hat. Der Glaube an die Engel macht einen<br />

wesentlichen Bestandtheil <strong>des</strong> islamischen Bekenntnisses aus,<br />

daher er im Koran wiederholt auftr<strong>it</strong>t. 3 Ist ja bekanntlich<br />

dem Propheten selbst das Wort Gottes durch Gabriel, den<br />

Boten der Offenbarung, den obersten aller Engel, übersendet<br />

worden, den der Koran auch wiederholt m<strong>it</strong> Namen anführt. 4<br />

Seine Füsse stehen auf der Erde, während sein Kopf im<br />

Himmel, seine Flügel dehnen sich vom Aufgang bis zum<br />

Untergang der Sonne, seine Zähne schimmern wie der Morgen,<br />

seine Haare sind korallenfarbig, seine Füsse morgenroth,<br />

seine Flügel grün, als er seine Stimme ertönen Hess, erstarrten<br />

die Beni Themud vor Schrecken als Todte. 5 Den zwe<strong>it</strong>en<br />

Erzengel Michael, <strong>des</strong>sen Flügel nur Gott kennt, der<br />

die Nahrung der Menschen auf Erden besorgt und nach dem<br />

Tode die Gerichtswage überwacht, auf welcher die Werke<br />

der Menschen gewogen werden, erwähnt der Koran nicht,<br />

sowenig als den dr<strong>it</strong>ten Israfil m<strong>it</strong> vier Flügeln, wovon der<br />

eine nach Osten, der andere nach Westen, der dr<strong>it</strong>te gegen<br />

die Erde gerichtet ist und der vierte ihm das Gesicht bedeckt,<br />

dam<strong>it</strong> ihn der Anblick der Majestät Gottes nicht blende.<br />

Von<br />

diesen weiss nur die Ueberlieferung sowie von Israil, der<br />

von der Tafel <strong>des</strong> Schicksals die Namen der Menschen liest,<br />

deren Seelen er in Empfang zu nehmen hat. Ausser diesen<br />

haben die Moslems noch vier Träger <strong>des</strong> Himmels, deren<br />

1<br />

Sure XXVII, 40.<br />

3<br />

Vgl. Hammer, Von den Dsehinnen der Ueberlieferung-, S. 301 fg.<br />

u. 216.<br />

8<br />

Z. B. gleich Sure 11, 286.<br />

J<br />

Sure II, 97; LXV, 4.<br />

5<br />

Hammer, Adschaibol-nachlukat, 1. u. 7. llauptslüek. S. 193.


1<br />

1<br />

•<br />

Sure<br />

$5 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Gestalt aus der eines Stiers, Löwen, Vogels und Menschen<br />

besteht; vier Schutzengel, deren zwei <strong>des</strong> Tags und zwei <strong>des</strong><br />

Nachts die bösen und guten Handlungen der Menschen aufzeichnen,<br />

wobei ihm der eine zur Rechten, der andere zur<br />

Linken steht. Der Koran nennt sie die beiden Schreiber,<br />

die beiden Hüter. 1 Die Moslems kennen auch die Namen<br />

der beiden Folterengel, Nekir und Monkir, welche den<br />

Menschen im Grabe um seinen Glauben und seine Handlungen<br />

ausfragen; .Harut und Marut, die Wächter <strong>des</strong> Himmels,<br />

welche, nachdem sie Erlaubniss erhalten, in menschlicher<br />

Gestalt auf Erden zu wandeln, das Passwort, das sie, gegen<br />

das göttliche Verbot, der schönen Lautenspielerin Anahia m<strong>it</strong>getheilt<br />

und hierauf selbst vergessen hatten, zur Strafe in dem<br />

Brunnen von Babel bis an den Jüngsten Tag an den Füssen<br />

aufgehängt sind und dort die Menschen Zauberei lehren.<br />

Wir übergehen die Menge anderer namhafter Engel, von<br />

denen die Ueberlieferung der Araber zu erzählen weiss, und<br />

wenden uns zu den Teufeln, Scheijathin. Die einfache<br />

Zahl, Sche<strong>it</strong>han, erinnert sogleich an den hebräischen Satan,<br />

als der er auch dem Wesen nach erkannt worden ist. Sche<strong>it</strong>h<br />

erhält gewöhnlich das Prädikat „der zu Steinigende". 2 Er<br />

ist der Empörer wider Gott 3 und Feind der Menschen, unter<br />

die er Zwietracht bringt. 4 Die Scheijathin lehrten die Menschen<br />

Zauberei, die Kunst der gefallenen Engel Harut und<br />

Marut 5 , von ihren Verführungen der Menschen geschieht<br />

öfter Erwähnung 6 , daher letztere gewarnt werden. 7 Verschwender<br />

und Undankbare werden für Brüder der Satane<br />

erklärt. 8 M<strong>it</strong> ihnen werden aber nicht nur die Bösewichter<br />

und Ungläubigen, sondern auch die Poeten in Verbindung<br />

gebracht. 9 Dem Salomo wird die Herrschaft über die Satane<br />

1<br />

Sure LXXXII, 10. 11.<br />

2<br />

Sure III, XV, 16; XVI, 98; XXXVII, 7; LXVII, 5, u. a.<br />

3<br />

Sure XIX, 42.<br />

Sure XVII, 53.<br />

11, 102.<br />

Sure VI, 71. 112; XXIII, 99.<br />

7<br />

Sure VII, 28.<br />

8<br />

Sure XVII, 27.<br />

3<br />

Sure II, 14; XXVI, 220.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 89<br />

zugeschrieben *, als <strong>des</strong>sen Handlanger bei seinen Bauten<br />

und der Perlenfischerei sie erscheinen. 2<br />

Wie sich im islamischen Sche<strong>it</strong>han der jüdische Satan zu<br />

erkennen gibt, so hat man in dem Iblis den Diabolus gefunden.<br />

Dieser Iblis der Moslems ist, wie es scheint, ursprünglich<br />

kein Engel, wie der Lucifer der Christen, sondern<br />

der Sohn eines Dschinn, der von Engeln in den Himmel<br />

aufgenommen, um eine bessere Erziehung zu erhalten, aber<br />

misrathen war. Hammer 3 macht auf diese Abkunft <strong>des</strong> Iblis<br />

aufmerksam, unter Berufung auf den Koran und Kaswini's<br />

„Wunder der Geschöpfe". Als Gott den Engeln befohlen<br />

hatte, sich vor Adam in Verehrung niederzuwerfen, stellte sich<br />

Iblis an die Sp<strong>it</strong>ze der Devotionsverweigerung und ward zum<br />

Anführer der empörten Engel. Zur Strafe seines Hochmuths<br />

und Ungehorsams wurde er sammt seiner aufrührerischen Rotte<br />

in die Hölle gestürzt, wo er noch als Fürst und Beherrscher<br />

gedacht wird. Im Koran wird Iblis ein Dschinne genannt,<br />

Sure XVIII, 51 : „Und als wir den Engeln sagten : werft euch<br />

vor dem Adam nieder! warfen sie sich vor ihm nieder, nur<br />

nicht Iblis<br />

seines Herrn."<br />

der Dschinne, der widerspenstig wider den Befehl<br />

Besonders häufig wird das empörerische, hochmüthige<br />

Wesen Iblis' hervorgehoben. Sure II, 34: „Als wir<br />

den Engeln sagten: werft euch vor Adam nieder! warfen sie<br />

sich nieder, nur Iblis weigerte sich und war hochmüthig und<br />

war von den Ungläubigen." Vgl. Sure VII, 11; XV, 30. 31<br />

u. 32: „Da sagte Gott zu Iblis: was ist dir, dass du dich<br />

nicht niederwirfst? 33) Da sagte Iblis: was soll ich mich<br />

niederwerfen vor dem Menschen, den du erschaffen aus trockenem<br />

Thon und schwarzem Koth. 34) Da sagte Gott: geh<br />

35) Und<br />

hinaus aus dem Paradiese, du bist der zu Steinigende.<br />

über dich sei Fluch bis an dem Tage <strong>des</strong> Gerichts. Da sagte<br />

Iblis: 36) Herr, warte nur auf mich bis an den Tag der Auferstehung.<br />

37) Gott sprach: du wirst von den Erwarteten<br />

sein bis zum Tage der bestimmten Ze<strong>it</strong>. 38) Iblis sprach:<br />

Herr, weil du mich verführet hast, werde ich die Menschen<br />

auf Erden verführen alle. 39) Bis auf deine Diener, die auf-<br />

1<br />

Sure II, 102.<br />

2<br />

Sure XXXVIII, 38. 39.<br />

3<br />

A. a. 0., S. 191.


90 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

richtigen. 40) Gott sprach: dies ist der wahre Pfad. 41) Denn<br />

über meine Diener wirst du keine Macht haben, sondern über<br />

die, welche dir folgen von den Verführten." Sure XVII,<br />

&2. 03. G4: „Da sprach Gott: gehe von hinnen! wer dir folgt,<br />

<strong>des</strong>s Lohn wird die Hölle sein als ausgiebiger Lohn. G5) Verführe<br />

nur, wen du kannst, m<strong>it</strong> deiner Stimme und überziehe<br />

sie m<strong>it</strong> deinen Heeren zu Pferde und zu Fuss, und gib ihnen<br />

Reichtimm und Kinder, und mache ihnen Versprechen, aber<br />

die Versprechen <strong>des</strong> Satans sind e<strong>it</strong>ler Dunst." * Die we<strong>it</strong>ere<br />

Ausführung der Vorstellung von den Teufeln durch die Sage<br />

und Dichter lassen wir abse<strong>it</strong>s liegen.<br />

Babylonier.<br />

Chaldäer.<br />

Die we<strong>it</strong>e Ebene am untern Laufe <strong>des</strong> Euphrat und<br />

Tigris, etwa hundert Meilen vor deren Mündung, umfasst das<br />

von den Hebräern „Sinear" genannte Land 2 , das nach dem<br />

Vorgange der Griechen von der Hauptstadt Babel als Babylonien<br />

bekannt ist.<br />

Der an sich treffliche Boden, durch jährliche Ueberschwemmung<br />

der beiden Flüsse bewässert, die den geschmolzenen<br />

Schnee von den armenischen Bergen herabführen, der<br />

regelmässige Anbau durch die Bevölkerung, künstliche Kanalisirung,<br />

ungeheuere Bassins 3 machten das Niederland seiner<br />

Fruchtbarke<strong>it</strong> und seines Reichthums wegen frühze<strong>it</strong>ig<br />

berühmt. Die alten Schriftsteller sind voll bewundernden<br />

Lobes 4 , und das Perserreich soll den dr<strong>it</strong>ten Theil seines<br />

Einkommens aus Babylon allein bezogen haben. 5<br />

Da in den ältesten Quellen die Priester <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Sinear<br />

stets Chaldäer (Chasdim) genannt werden und die Herrscherdynastie<br />

als eine chaldäische bezeichnet ist, so wird der Schluss<br />

wol richtig sein: dass die Chaldäer der herrschende Stamm<br />

in diesem Reiche gewesen, von dem es seine Könige und<br />

1<br />

Sure XXVI, 94 kommt Iblis abermals vor; XXXV11I enthalt die<br />

obige Anrede m<strong>it</strong> wenig Abweichung.<br />

- Genes. 10, 10; 11, 2; 14, 1.<br />

3<br />

Herodot, I, 179. 185; Diodor, 2, 9.<br />

4<br />

Berosus ap. Synccll., y. 28; Herodot, I, 193| Xeaoph. Angb., II, 3.<br />

B<br />

Herodot, I, 192.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Altertlumis. 91<br />

Priester erhalten habe. 1 Daher konnte Babylonien wol auch<br />

LLand der Chaldäer" genannt werden 2 , obschon dort zu<br />

Ze<strong>it</strong>en arabische und kuseh<strong>it</strong>ische Stämme vorkamen und die<br />

Chaldäer im südwestlichen Theile <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> am untern<br />

Euphrat eine besondere Landschaft innehatten.<br />

Diese Chaldäer hatten nicht nur durch Waffengewalt ein<br />

blühen<strong>des</strong> Reich gegründet, sie machten es auch berühmt<br />

durch Kunstfleiss, ausgedehnten Handel, waren die Urheber<br />

höherer Cultur, erfanden ein in der ganzen alten Welt gangbares<br />

Münz- und Gewichtsystem. Ihre astronomischen Beobachtungen<br />

werden bis ins zwe<strong>it</strong>e vorchristliche Jahrtausend<br />

zurückgeführt, und ebenso alt ist der Ruf ihrer künstlichen<br />

Keilschrift, die den Scharfsinn unserer Gelehrten auf die<br />

Probe stellt.<br />

Ein M<strong>it</strong>glied der chaldäischen Priesterschaft, Berosus<br />

(schrieb um 280—270 v. Chr. unter Antiochus Soter), theilt<br />

in seiner babylonisch-chaldäischen Chronik, die m<strong>it</strong> Erschaffung<br />

der Welt beginnt, die kosmogonischen und Cultur-Mythen<br />

der Babylonier m<strong>it</strong>. Im Anfange habe das All aus<br />

Finsterniss und "Wasser bestanden, voll von ungeheuerlichen<br />

Geschöpfen, welches' ein weibliches UrWesen: Homoroka, d. h.<br />

Weltmutter, Allmutter, beherrschte. Die männliche Urkraft<br />

gestaltete dann den chaotischen Urstoff; Bei, der Sonnengott,<br />

zertheiltc die Homoroka in Himmel und Erde, Tag und Nacht,<br />

Sonne, Mond und Sterne. Als die urweltlichen Ungeheuer,<br />

die das Licht nicht ertragen konnten, zu Grunde gegangen<br />

waren, und die Erde keine Bewohner hatte, habe sich Bei<br />

den Kopf abgerissen und den Göttern befohlen: sein Blut<br />

m<strong>it</strong> Erde zu vermischen, woraus sie Menschen und Thiere<br />

formten, die das Licht zu ertragen vermochten. 3 Da aber<br />

die in Babylonien lebenden Menschen in thierischer Wildhe<strong>it</strong><br />

lebten, sei ein göttliches Wesen, Oannes, halb Fisch, halb<br />

Mensch, jeden Morgen aus dem Meere gestiegen, um die<br />

Menschen Ackerbau, Religion, staatliche Einrichtungen, Künste<br />

und Wissenschaften, Städte und Tempelbau zu lehren, worauf<br />

es abends wieder ins Meer tauchte.<br />

1<br />

Duncker, I, 109 fg.<br />

- Jerem. 24, 5; 25, 12; Ezechiel 19, Vö.<br />

3<br />

Berosus ap. Syncell. cd. Richter, S. 29.


92 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Wie die Mythen allenthalben in die <strong>Geschichte</strong> münden,<br />

so auch bei den Babyloniern.<br />

Berosus berichtet von mehrern Oannes, die gemeinschaftlich<br />

m<strong>it</strong> den sieben ersten Herrschern <strong>des</strong> Reichs an den Babyloniern<br />

we<strong>it</strong>er bildeten. Diese sieben m<strong>it</strong> den drei darauf<br />

folgenden hätten 432000 Jahre regiert, und unter dem letzten,<br />

Namens Xisuthros, sei die grosse Flut gekommen, welche die<br />

Menschen vertilgte. Nur Xisuthros, der auf Anordnung Bel's<br />

sich und seine Familie nebst verschiedenen Thierpaarcn in<br />

einen von ihm erbauten Kasten begeben, nachdem er die von<br />

Oannes erhaltenen Offenbarungen verzeichnet und diese heiligen<br />

Schriften vergraben hatte, ward gerettet und nach der<br />

Flut in den Himmel erhoben, von wo er die Seinigen ermahnte,<br />

von den chaldäischen Bergen,<br />

auf denen der Kasten<br />

s<strong>it</strong>zen geblieben, wieder nach Babylon hinab zu wandern, die<br />

Offenbarungsschriften auszugraben, ihnen gemäss zu leben,<br />

das Land zu bevölkern und die Stadt Babel wieder aufzubauen.<br />

Es ist längst anerkannt, dass diesen Mythen der Sonnendienst<br />

zu Grunde liege. Bei als männliche Urkraft, als das<br />

scheidende und gestaltende Princip, ist ein Sonnengott. Auch<br />

Oannes, der m<strong>it</strong> dem Morgen erscheint und am Abend verschwindet,<br />

lässt in seiner Beziehung zum Sonnengott keinem<br />

Zweifel Kaum, und im Culturmythus knüpft sich das bildende,<br />

Avohlthätige, civilisatorische Moment hier wie bei andern<br />

Völkern <strong>des</strong> Alterthums an die Sonne.<br />

Neben Bei, dem höchsten Gott, der in Babylonien als<br />

Herr <strong>des</strong> Himmels, <strong>des</strong> Lichts verehrt wurde, dem Schöpfer<br />

<strong>des</strong> Menschen, auf den höchsten Bergen über den Wolken<br />

thronend 1 , steht Myl<strong>it</strong>ta 2 oder Bertis 3 als weibliche, in der<br />

Erde und im Wasser empfangende und gebärende Gotthe<strong>it</strong>.<br />

Sic war die Göttin der Fruchtbarke<strong>it</strong>, der Geburt, daher ihr<br />

die Thiere von starker Fortpflanzung (Fische, Tauben) heilig<br />

waren. 4 Ihr dienten die babylonischen Jungfrauen durch<br />

sinnliche Lust in dem Darbringen ihrer Jungfrauschaft, in-<br />

1<br />

Diodor, II, 30.<br />

2<br />

Herodot, I, 191».<br />

3<br />

Berosus, Fragmente von Richter, S. ( JÜ.<br />

1<br />

Munter, Religion der Babylonicr, ö. 28.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvülker <strong>des</strong> Alterthums. 93<br />

dem jede einmal, Myl<strong>it</strong>ta zu Ehren, sieh preisgab und den<br />

Geldlohn dafür in den Tempelschatz lieferte.<br />

Man kann dem Berichte Herodot's (an oben angeführter<br />

Stelle) glauben, wenn er meldet, dass die Schönen von den<br />

Frauen, welche der Myl<strong>it</strong>ta zu dienen kamen, bald ihren<br />

Mann gefunden, die hässlichen aber dem Gesetze schwer nachkommen<br />

konnten und daher drei und vier Jahre an den<br />

Festen der Göttin, in deren Haine, s<strong>it</strong>zen geblieben seien. 1<br />

Die spätere priesterliche Lehre fasste Myl<strong>it</strong>ta als das<br />

materielle Princip oder als Materie überhaupt 2 , und Bei als<br />

Lichtäther und Urheber der intellectuellen "Welt. 3<br />

Wie überhaupt im Alterthum (ja auch im M<strong>it</strong>telalter und<br />

noch später) war die Astronomie auch bei den Babyloniern<br />

m<strong>it</strong> Astrologie versetzt. Das Leben <strong>des</strong> Menschen und sein<br />

Schicksal dachte man abhängig von den Gestirnen <strong>des</strong> Himmels,<br />

Sonnenlauf, Planeten, der Stand gewisser Fixsterne bedingte<br />

die Jahresze<strong>it</strong>en, die Fruchtbarke<strong>it</strong> oder Unfruchtbarke<strong>it</strong><br />

der Erde; in den Sternen sah der Babylonicr die Ueberschwemmung<br />

der Flüsse angedeutet. Die Veränderung in<br />

der Natur wie im Menschenleben, jeder Zustand, jede Unternehmung,<br />

alles hing vom Stande der Sonne ab, vom Wechsel<br />

<strong>des</strong> Mon<strong>des</strong>, dem Auf- und Niedergang der Sterne.<br />

Im Sternendienst, dieser uralten Keligionsform, wird dem<br />

Menschen der Gedanke der Naturnothwendigke<strong>it</strong> eeo;enständlieh,<br />

indem er in dem ewig Wandelnden ein ewig Bleiben<strong>des</strong>,<br />

d. h. das Gesetz ahnt, auf dem die unabänderliche Ordnung<br />

<strong>des</strong> Daseienden beruht. Im Sternendienst wird das Gesetz,<br />

die Constellation, das Verhältniss der Sterne zueinander, göttlich<br />

verehrt. Die Sterne verkünden das Ungeheuere, Geheimnissvolle,<br />

Ewige, an welches der Mensch sein vergängliches<br />

Leben und sein Geschick geknüpft glaubt und zu knüpfen<br />

sucht.<br />

Aus der einfachen Anschauung entwickelte sich bei den<br />

Chaldäern ein complicirtes System <strong>des</strong> Sabäismus. Im Bei<br />

erkannten sie die überallhin wohlthätig wirkende Kraft der<br />

Sonne; das Licht der Nacht, der Mond, ward der Mjj<strong>it</strong>ta<br />

1<br />

Vgl. Baruch, 6, 42. 43; Genes. 38, 14 fg.<br />

2<br />

Berosus ap. Syncell., S. 29.<br />

3<br />

Movers, Religion der Phönizier, S. 2G2 fg., 287.


()4 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

zuerkannt \ der auch der Planet Venus geheiligt war. Der<br />

Planet Mars gehörte dem Kriegsgotte Nergal 2 ;<br />

der Mcrcur<br />

dem Schreiber <strong>des</strong> Himmels Nebo. 3<br />

Von den Planeten, welche von den Chaldäern auch die<br />

„Geburtsgötter" genannt wurden, unter deren Einfluss das<br />

Schicksal der Menschen stand, waren zwei wohlthätiger Natur,<br />

denen zwei übelthätige gegenüberstanden, die übrigen galten<br />

für unentschieden oder m<strong>it</strong>tlere. 4 Jup<strong>it</strong>er und Venus hielt<br />

man für heilbringende Sterne (auch in der Bibel kommt dieser<br />

als ^12 und m<strong>it</strong> ihm Jup<strong>it</strong>er als n? Glück vor), jenem<br />

wurde die wohlthät ige Wärme der Luft, diesem der fruchtbar<br />

machende Thau zugeschrieben. Dagegen war der rothscheinende<br />

Mars unheilbringend, der Urheber zerstörender Dürre.<br />

Da nicht nur die guten und Übeln Erscheinungen in der<br />

Natur, sondern auch im Menschenleben von den Sternen abgele<strong>it</strong>et<br />

wurden, so sahen die Chaldäer in ihnen die Verkünder<br />

<strong>des</strong> Willens der Götter. 5<br />

Den Lauf der Sonne theilten die Chaldäer in zwölf Stationen,<br />

„Häuser", die Zeichen <strong>des</strong> Thierkreises , woraus zwölf<br />

Constellationen entstanden (nach den von der Sonne berührten<br />

Sternbildern) entsprechend den zwölf Monaten <strong>des</strong> Jahrs.<br />

Im Zeichen <strong>des</strong> Löwen, dem höchsten Standpunkte der Sonne,<br />

war deren Haus. Auch die Planetenbahnen wurden in Häuser<br />

eingetheilt, und diese Planetenhäuser ebenfalls zu göttlichen<br />

1<br />

Die Frage, ob dem Bei der Planet Jup<strong>it</strong>er oder Saturn entspreche,<br />

ist stre<strong>it</strong>ig. Nach Gesenkte (a. a. 0.) wird Jup<strong>it</strong>er, nach andern (wie<br />

Duncker, gestützt auf Tac<strong>it</strong>., Histor., V, 4) der Saturn angenommen. Nork<br />

(Die Götter Syriens, S. 12) meint, obschon der ursprüngliche Name <strong>des</strong><br />

Apollo (A-bellio) an den jugendlichen Sonnengott denken lasse, sei doch<br />

der Planet Jup<strong>it</strong>er zu vermuthen. Servius (in Aeneide, I, 612. 729) glaubt,<br />

Belus müsse wol Saturnus sein, da dieser bei den Assyrern gewöhnlich<br />

m<strong>it</strong> dem Sonnengott verwechselt werde. Hiernach könnte Saturn auch<br />

auf die Babylonier bezogen werden.<br />

Für den vorliegenden Zweck erseheint die Entscheidung der Frage<br />

unmassgebend, das Wesentliche ist der Dualismus, der sich auch bei den<br />

Chaldäern herausstellt.<br />

2<br />

2 Könige 17, 30, der wahrscheinlich auch unter dem Namen Merodach,<br />

Jer. 50, 2, gemeint ist.<br />

3<br />

Josua 46, 1.<br />

4<br />

Plut., Is., c. 48.<br />

5<br />

Diodor, II, 30.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvülker <strong>des</strong> Alterthums. 95<br />

Mächten erhoben und „Herren der Götter" genannt. l Mehrere<br />

Fixsterne, als weniger einflussreich, Messen „rathgebende<br />

Götter"; zwölf am nördlichen und ebenso viel am südlichen Himmel<br />

waren die „Richter", von welchen die sichtbaren über<br />

das Schicksal der Lebenden, die unsichtbaren über das der<br />

Toclten entschieden. 2<br />

Die sieben Tage der Woche gehörten den Sternen. Der<br />

erste Tag war dem Bei geweiht. Dem Planeten, dem die<br />

erste Stunde nach M<strong>it</strong>ternacht geweiht war, kam auch der<br />

Tao- zu, dem in der folgenden Stunde der Sonne zunächststehenden<br />

ward die Herrschaft über jene zuerkannt und so<br />

war die Reihenfolge solarisch und lunarisch festgesetzt.<br />

Die Chaldäer verehrten also Sonne, Mond, Sterne und<br />

den Thierkreis, opferten den „Planetenhäusern und dem ganzen<br />

Heere <strong>des</strong> Himmels". 3 Die Priester erkannten in den Constellationen<br />

den Willen der Götter, verkündeten aus der<br />

Stunde der Geburt das<br />

Schicksal vorher, bestimmten die Ze<strong>it</strong><br />

für jede Unternehmung, und von der Stellung der Gestirne<br />

wurde das Glück oder Unglück <strong>des</strong> ganzen Reichs abhängig<br />

gedacht, sowie <strong>des</strong> Jahrs, <strong>des</strong> Tags, der Stunde, wobei die<br />

Himmelsgegend <strong>des</strong> Auf- und Niedergangs der Sterne, die<br />

Farbe, in der sie erschienen, für bedeutsam galt.<br />

Der erhabenen Auffassung <strong>des</strong> Bei als reinen, heiligen<br />

Himmelsherrn gegenüber machte sich der sinnliche Charakterzug<br />

<strong>des</strong> Volks in dem wollüstigen Dienste der Myl<strong>it</strong>ta geltend,<br />

der m<strong>it</strong> dem wachsenden Reichthum zunahm. Die babylonische<br />

Ueppigke<strong>it</strong> ist durch die Propheten <strong>des</strong> Alten<br />

Testaments sprichwörtlich geworden sowie die Pracht und<br />

der Reichthum der Hauptstadt Babel, der „Wohnung <strong>des</strong><br />

Bei", die sich einst in der Gegend <strong>des</strong> heutigen Dorfes Hil\ah<br />

in einem Umfange von anderthalb Meilen ausgebre<strong>it</strong>et hat. An<br />

Babel knüpft die hebräische Trad<strong>it</strong>ion die Scheidung der Völker,<br />

um diese und die Verschiedenhe<strong>it</strong> der Mundarten zu erklären<br />

im Zusammenhang m<strong>it</strong> dem frevelhaften Thurmbau der<br />

Stadt, worin ein jüdischer Schriftsteller eine übermüthige<br />

Auflehnung gegen Gott durch Nimrod personificirt erblickt. *<br />

1<br />

Diodor, II, 30.<br />

2<br />

Diodor, II, 31.<br />

3<br />

2 Kön. 23, 5-7.<br />

4<br />

Jos. Antiqu., I, 4.


96 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Das Wesen der religiösen Anschauung <strong>des</strong> Clialdiiers<br />

besieht<br />

in einer verständigen Berechnung aller Erscheinungen<br />

und deren Beziehung auf sich. Er stellt die Sternenmächte<br />

als geistig beseelte Wesen vor, von welchen Natur und<br />

Menschenleben abhängt, und schaut in den Bahnen der Himmelskörper<br />

das Gesetz alles Lebens also auch <strong>des</strong> eigenen an,<br />

som<strong>it</strong> hat<br />

von der Einhe<strong>it</strong>, die im Leben waltet und es beherrscht.<br />

das religiöse Bewusstsein <strong>des</strong> Chaldäers eine Ahnung<br />

Hieraus dürfte sich vornehmlich der geschichtliche Einfluss<br />

erklären, den das chaldäische Religionssystem auf Völker der<br />

alten und neuen Ze<strong>it</strong> gewonnen hat.<br />

Der sinnliche Chaldäer übertrug diese waltenden Mächte<br />

auf die Naturelemente und setzte das Bereich der Erde, <strong>des</strong><br />

Wassers und Feuers m<strong>it</strong> ihnen in Beziehung. Wie m<strong>it</strong> den<br />

Sternengeistern stand daher der Chaldäer auch m<strong>it</strong> den<br />

Geistern der Erde, der Luft, <strong>des</strong> Wassers und Feuers im<br />

Verkehr durch Beschwörung, Vogelschau, Traumdeutung,<br />

Opferschau, Sterndeuterei. *<br />

Aus der Ahnung <strong>des</strong> Zusammenhangs <strong>des</strong> gesammten<br />

Lebens in allen Dingen entspringt die Vorstellung: dass sich<br />

in den einzelnen Kreisen <strong>des</strong> Naturlebens die Sternenmächte<br />

abspiegeln, in denen aller Kräfte Ursprung zu suchen ist.<br />

Indem der Chaldäer auf selbstische Weise alle Erscheinungen<br />

auf sein eigenes irdisches Dasein bezieht, sucht er<br />

dieselben sich dienstbar zu machen. Seinem Zwecke sollten<br />

selbst die Todten dienen, die er aus dem Scheol heraufbannte<br />

2 , und die Erscheinungen <strong>des</strong> Naturlebens sollten ihm<br />

wenigstens zur Enträthselung seines Schicksals<br />

daher er<br />

auch die Erscheinungen am Sternenhimmel verständigberechnete.<br />

behülflich sein,<br />

Dieser selbstischen Thätigke<strong>it</strong> steht die passive Hingebung<br />

im sinnlichen Dienste der Myl<strong>it</strong>ta schroff entgegen,<br />

von der man glaubte, dass durch sie die Menschen zu sinnlichen<br />

Begierden, Tanz und Gesang angeregt Avürden.<br />

Wie in den Religionen Vorderasiens überhaupt , so tr<strong>it</strong>t<br />

auch in der chaldäischen ein geschlechtlicher Dualismus in<br />

der religiösen Anschauung nach dem Vorbilde der Natur-<br />

1<br />

Bertliold, Daniel, S. 837 fg.; Gesen., Jes., 2. Beil., 352.<br />

2 Vgl. Jes., 8, 19.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 97<br />

erzeugung auf. Es ist der Sonnengott , das männliche, active<br />

Princip als himmlischer Herrscher, als starker Befrnchter, und<br />

die Mondgöttin als weibliches, empfangen<strong>des</strong> Princip. Als<br />

Uro-eo-ensatz gelten die männliche Wärme und die weibliche<br />

Feuchte, und Bei und Myl<strong>it</strong>ta, Jup<strong>it</strong>er und Venus sind die<br />

glücklichste Constellation, unter welche nur die Geburt von<br />

beglückten Völkerherrschern fallen konnte.<br />

Der Dualismus ergibt sich ferner aus dem glücklichen<br />

oder unglücklichen Zustande <strong>des</strong> Menschen, und indem das<br />

Wohl und Weh von jenen göttlichen Mächten abgele<strong>it</strong>et wird,<br />

gestalten sich diese zu wohlthätigen oder unheilbringenden<br />

Sterngeistern. Von diesen verkündet und bringt Saturn, in<br />

seiner Kälte gefürchtet, der auch den Namen Elos trägt,<br />

grosses Misgeschick, wie Mars (Nergal, Nerig) kleines Misgeschick<br />

in seiner Glut. Nebo, der Stern Mercur, zwischen<br />

den guten und bösen Sterngeistern in der M<strong>it</strong>te stehend, hat<br />

als Schreiber die himmlischen und irdischen Begebenhe<strong>it</strong>en zu<br />

verzeichnen. 1 Syrische Stämme.<br />

Phönizier.<br />

Die syrischen Volksstämme theilen m<strong>it</strong> den Babyloniern<br />

dieselbe religiöse Grundanschauung, nur dass bei jenen die<br />

sinnliche Se<strong>it</strong>e<br />

<strong>des</strong> Cultus das Uebergewicht über den Gestirndienst<br />

gewinnt, der bei diesen mehr im Vordergrunde steht.<br />

Dem orgiastischen Cultus gegenüber, der namentlich in den<br />

phönizischen Städten we<strong>it</strong> getrieben wurde und den zeugenden<br />

Mächten galt, herrschte die grausamste Äscetik, wom<strong>it</strong> man<br />

den Gotthe<strong>it</strong>en, die dem natürlichen Leben als feindlich betrachtet<br />

wurden, zu dienen glaubte. Im Cultus war daher<br />

die ausschweifendste Wollust neben der blutigsten Grausamke<strong>it</strong><br />

herrschend. Solche dem Anscheine nach grell sich<br />

widersprechende Richtungen, die im Menschen überhaupt<br />

Raum gewinnen, treten besonders bei den Sem<strong>it</strong>en auf. Demgemäss<br />

finden sich bei den Syrern und Phöniziern Culte, wo<br />

in<br />

lasciver Wollust den befruchtenden und gebärenden Naturmächten<br />

gedient wird, und wieder andere, wo die lebensfeindlichen<br />

Gotthe<strong>it</strong>en m<strong>it</strong> Fasten, Kasteiung, Selbstentmannung,<br />

Kinderopfern verehrt werden.<br />

1<br />

Gesen., Jes., 2. Beil., Nr. 342.<br />

Boskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I. 7


|g Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Solche Gotthe<strong>it</strong>en <strong>des</strong> Lebens, der Zeugung und Geburt,<br />

<strong>des</strong> Lichts und der Fruchtbarke<strong>it</strong> waren Baal und Aschera.<br />

Ersterer trägt bei verschiedenen Stämmen verschiedene Namen,<br />

als Baal-Peor, Baal-Etan, Baal-Ber<strong>it</strong>h, Baal-Sebub u. a. m.<br />

Bei den Moab<strong>it</strong>ern wird er als Milkom und Kamos verehrt,<br />

obschon mehr als zerstörende Gotthe<strong>it</strong>; bei den Philistäern<br />

erscheint er als Dagon und Aschera, die auch Baaltis (Herrin)<br />

heisst, und in der fischweibgestaltigen Derketo zu Askalon<br />

erkenntlich ist.<br />

Wie Baal als Herr <strong>des</strong> Himmels auf Bergeshöhen angerufen<br />

und ihm Altäre errichtet wurden, so waren der grossen<br />

Lebensmutter Aschera die Gewässer, von Bäumen die<br />

Cypresse, Terebinthe, besonders der Granatapfelbaum als<br />

Symbol der Fruchtbarke<strong>it</strong>, von Thieren die Tauben, Fische,<br />

Widder, Ziegen geheiligt und Hügel und Haine als Lieblingsstätten<br />

der Göttin betrachtet. In ihrem Dienste wurde auch,<br />

wie bei den Babyloniern der Myl<strong>it</strong>ta, die weibliche Keuschhe<strong>it</strong><br />

zum Opfer gebracht.<br />

Das religiöse Bewusstsein der Sem<strong>it</strong>en erkannte aber auch<br />

in den lebenzerstörenden Naturmächten das Walten von Gotthe<strong>it</strong>en,<br />

und diese wurden dem Gott und der Göttin <strong>des</strong> Lebens<br />

ento-eo-ensesetzt. Moloch und Astarte sind die dem Leben<br />

der Natur und der Fortpflanzung der Menschen feindlichen<br />

Gotthe<strong>it</strong>en. Moloch, der König, repräsentirt das verzehrende,<br />

vertilgende Feuer. Er ist der Herr <strong>des</strong> Feuers, der Sommerdürre,<br />

<strong>des</strong> vernichtenden Kriegs. Der wilde, ungebändigte<br />

Stier ist ihm geheiligt, daher er als Stier oder m<strong>it</strong> einem<br />

Stierkopf dargestellt wird. Ihm eignet das Schwein , das die<br />

Sonnenh<strong>it</strong>ze wüthend macht. Den finstern Grimm <strong>des</strong> Moloch<br />

zu sänftigen und diesen gnädig zu stimmen, musste<br />

Menschenblut vergossen w T erden. Bei jeglicher Gefahr, ob<br />

durch Elementarereignisse oder durch Krieg herbeigeführt,<br />

bei wichtigen Unternehmungen fielen daher zahlreiche Menschen<br />

als Sühnopfer. Das Alte Testament gedenkt dieses<br />

grausamen Cultus an vielen Stellen, und viele Schriftsteller<br />

<strong>des</strong> Alterthums bestätigen ihn. ' Diese Menschenopfer mussten<br />

aus der M<strong>it</strong>te der Bürger genommen, durchaus rein, nämlich<br />

1<br />

Herodot, 1, 199; Plut. de superst<strong>it</strong>., 13, 171; Plin., Hist. nat., 36;<br />

Curüus, IV, 15; Silius Itulicus, IV, 819; Justin., XVIII, 5, u. a.


4. Dualismus in den Keligionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 99<br />

noch nicht durch Zeugung befleckt, also Jünglinge und Knaben<br />

sein , die sich noch nicht geschlechtlich vermischt hatten. Das<br />

Opfer galt für um so wirksamer , wenn man das einzige Kind,<br />

den erstgeborenen Knaben den glühenden Armen der Molochs-<br />

Statue übergab, som<strong>it</strong> das Liebste und Theuerste dem grimmigen<br />

Gotte darbrachte. 1 Sollten diese Opfer dem Moloch<br />

angenehm sein, so mussten sie ohne Klagen gebracht werden,<br />

daher die Mütter, die gegenwärtig sein mussten bei der<br />

Schlachtung ihrer Lieblinge, den Schmerz unterdrücken sollten,<br />

und das Wehklagen der unglücklichen Opfer von dem Geräusch<br />

der Pauken und. Pfeifen übertönt wurde.<br />

Das weibliche Se<strong>it</strong>enstück zu dem starken, zornigen Moloch<br />

ist „die grosse Astarte", besonders in Sidon verehrt, die<br />

„Königin <strong>des</strong> Himmels". Ihre Verwandtschaft m<strong>it</strong> Moloch<br />

.77 Ö<br />

zeigt sie in dem Stierkopfe oder den Stierhörnern, oder dass<br />

sie auf dem Stiere re<strong>it</strong>end dargestellt wird. 2 Sie ist Göttin<br />

<strong>des</strong> vernichtenden Kriegs, daher sie m<strong>it</strong> dem Speere in der<br />

Hand erscheint. 3 In diesem Sinne hängten die Philistäer die<br />

erbeuteten Waffen <strong>des</strong> von ihnen überwundenen Saul im Tempel<br />

der Astarte auf. Als zeugungsfeindlich ist der keusche<br />

Mond ihr Gestirn 4 , und m<strong>it</strong> den Mondhörnern wird sie zur<br />

gehörnten Astarte, Astaroth karnaim. Sie ist die „himmlische<br />

Jungfrau", ihre Priesterinnen sollten der Göttin, der sie sich<br />

geweiht, durch Ertödtung aller Sinnenlust gleich werden,<br />

demnach zur strengsten Keuschhe<strong>it</strong> verpflichtet sein. Das ihr<br />

wohlgefälligste Opfer war die Selbstentmannung, sonst wurden<br />

ihr Jungfrauen zum Opfer gebracht. Die Menschenopfer beim<br />

Astarte-Cultus waren zwar nicht so zahlreich wie beim Molochdienste,<br />

dafür fanden aber bei dem grossen Feuerfeste der<br />

Astarte im Frühling Verstümmelungen statt, welche Jünglinge,<br />

durch Pfeifen- und Paukenschall in Ekstase versetzt, m<strong>it</strong> dem<br />

Schwerte, das am Altar der Göttin stand, an sich vollzogen. 5<br />

Ueberdies gab es zur Feier der Astarte verschiedene Selbstquälereien,<br />

indem ihre Diener sich bis aufs Blut geiselten,<br />

1<br />

Euseb. praep. evang., IV, 16.<br />

2<br />

Lucian, De dea Syr., 4; Hock, Creta, 1, 98.<br />

3 Pausan., 3, 23.<br />

4<br />

Lucian, a. a. 0.<br />

3<br />

Lucian, 15. 27. 49—51.


JQO Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

sich die Arme zerbissen oder zerschn<strong>it</strong>ten und unter solchen<br />

Selbstpeinigungen Processionen veranstalteten. 1<br />

Der Syrer und Phönizier stellt die natürlichen und übernatürlichen<br />

Mächte als freundliche, lebenerzeugende den<br />

feindlichen, lebenzerstörenden Gotthe<strong>it</strong>en schroff gegenüber,<br />

und zwar nicht in Beziehung aufeinander, wie dies im Kampfe<br />

in den ägyptischen Mythen oder im Parsismus geschieht, wo<br />

es im Verlaufe eines epischen Processes durch Ueberwindung<br />

<strong>des</strong> verderblichen Princips zu einem pos<strong>it</strong>iven Resultate kommt.<br />

Ungeachtet <strong>des</strong>sen ist auch bei den Phöniziern das Streben<br />

nach Einhe<strong>it</strong> nicht zu verkennen, obschon die Ausgleichung lediglich<br />

verm<strong>it</strong>tels der Phantasie geschieht, welche die gegensätzlichen<br />

Momente ineinandersetzt und das übelthätige<br />

sowol<br />

als das wohlthätige, das zeugende m<strong>it</strong> dem vernichtenden<br />

Principe auf ein und dieselbe Gestalt überträgt.<br />

Dies ist der Fall bei Melkarth (Stacltkönig), dem Schutzgütte<br />

von Tyrus, in welchem der Baal m<strong>it</strong> dem Moloch verschmolzen<br />

ist. Seinen Tempel m<strong>it</strong> aller Pracht darin hat der<br />

we<strong>it</strong>reisende Herodot 2 bewundert. Dem Melkarth wurde die<br />

grosse Dvu-re <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> zugeschrieben und daher ein Stier<br />

als Sühnopfer zugemuthet, das er m<strong>it</strong> seinem Strahle verbrennen<br />

sollte, worüber der Spott <strong>des</strong> Propheten Elias laut<br />

ward, als es unterblieben war. 3 Derselbe Melkarth umwanderte<br />

aber auch die Erde wie die Sonne, stiftete die alten<br />

phönizischen Colonien, bezwang die feindlichen Volksstämme<br />

und lenkte das Schicksal der Könige und Völker. 4<br />

Aehnlich fasst sich die gegensätzliche Bedeutung der<br />

Aschera und Astarte in der phönizischen Dido-Astarte zusammen,<br />

die Spenderin <strong>des</strong> Segens und Stifterin <strong>des</strong> Unheils<br />

zugleich ist. Wie Melkarth m<strong>it</strong> der Sonne die Erde umkreist,<br />

Städte gründet, so ist jene eine wandernde Göttin, die m<strong>it</strong><br />

dem Wechsel <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong>, ihres Gestirns, verschwindet und<br />

kommt. Melkarth als Baal sucht sie während ihrer Wanderung,<br />

und indem die zeugungsspröde Dido sich ihm ergibt, wird<br />

sie Anna (Anmuth), der Zeugung günstige Göttin, und verwandelt<br />

sich zur Anna-Aschera. Aus dieser Vereinigung <strong>des</strong><br />

1<br />

Movers, Relig. d. Phon., 681.<br />

- II, 44.<br />

3 1 Kön. 18, 2(5-29.<br />

4<br />

Lucian, De dea Syr., c. 6—8.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 101<br />

Sonnengottes m<strong>it</strong> der Mondgöttin geht Leben,<br />

Ordnung und<br />

Cnltur hervor.<br />

Der Wechsel der Jahresze<strong>it</strong>en, der freundlichen und feindlichen<br />

Naturmächte tr<strong>it</strong>t besonders deutlich im Adonis-Cnltus<br />

zu Byblus entgegen, wo in der Linusklage die hinwelkende<br />

Natur betrauert, die Auferstehung <strong>des</strong> Adonis im Frühling<br />

hingegen m<strong>it</strong> unbändigem Jubel und wilden Orgien von den<br />

Syrern gefeiert<br />

wurde.<br />

Kleinasien.<br />

Auf der Halbinsel Kleinasien, wo eine Vielzahl von Völkerschaften<br />

zusammengedrängt war, von welchen die Homerischen<br />

Gesänge die erste Kunde geben l und mehrere Jahrhunderte<br />

später Genaueres berichtet wird, erinnern nicht nur die Lebensbedingungen,<br />

wie Klima, Beschaffenhe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Bodens, an die<br />

westasiatischen Länder, auch die Bewohner werden in der<br />

hebräischen Stammtafel m<strong>it</strong> den Syrern, Babyloniern, Phöniziern<br />

in ein verwandtschaftliches Verhältniss gesetzt, und<br />

zwar durch Lud (Lydier), den Sohn Sems. Die Lydier sind<br />

aber eben in religionsgeschichtlicher Beziehung der wichtigste<br />

Stamm Kleinasiens, und so lässt sich die religiöse Anschauung<br />

der Kleinasiaten überhaupt auf die Grundlage zurückführen,<br />

auf welcher die der Westasiaten beruht.<br />

Es findet sich bei den Kleinasiaten ebenfalls die Vorstellung<br />

und Verehrung einer zeugenden und gebärenden Naturmacht,<br />

die, wie bei den Westasiaten, locale Ausbildung erhalten hat.<br />

Es zeigt sich ferner hier wie dort derselbe gegensätzliche<br />

Dualismus eines schaffenden und zerstörenden Princips, sowie<br />

die Zusammenfassung <strong>des</strong> Männlichen und Weiblichen in eine<br />

mannweibliche Gestalt und der orgiastische Cult, in dem die<br />

Extreme von Lust und Pein sich berühren.<br />

Die phantasiereichen Phrygier, unter denen die Midas-Sage<br />

entstand sowie die von dem unglücklichen Flötenspieler<br />

Marsyas , verehrten Ma-Kybele als die „grosse Mutter", „die<br />

Königin", die „Alles-Gebärerin". 2 Sie führt auch von einer<br />

der Hauptstätten ihres Dienstes am Berge Ida den Namen<br />

•<br />

Uias, II, III, IV, V u. s. w.<br />

2 Diod., III, 58.


102 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

„die idäische Mutter". In Pessinus heisst sie auch Agdistis,<br />

auf den Höhendienst der Göttin hindeutend. 1 Die Griechen<br />

fanden in der idäischen Mutter die Aphrod<strong>it</strong>e, die Beschützerin<br />

Bions in der Nähe <strong>des</strong> Berges Ida. Gleich der syrischen<br />

Aschera waren auch der phrygischen Kybele Widder, Böcke,<br />

Tauben heilig und zu Opfern bestimmt, sowie der Granatapfelbaum<br />

als Sinnbild der Fruchtbarke<strong>it</strong> geweiht. Ihr bedeutendstes<br />

Opfer war das der jungfräulichen Keuschhe<strong>it</strong>,<br />

und die lydischen und phrygischen Mädchen gaben sich ihrer<br />

Göttin zu Ehren preis, wie die Babylonierinnen und Syrerinnen,<br />

nur dass erstere den Gewinn zu ihrer Aussteuer verwendet<br />

haben sollen. 2 Beim orgastischen Cultus treffen wir, wie bei<br />

den Westasiaten, die Steigerung bis zur Verzückung und<br />

Raserei und ebenso Selbstverwundungen und Selbstentmannung<br />

zu Ehren der Göttin. 3 Die Priester der Göttin waren Verschn<strong>it</strong>tene<br />

(Gallen) unter einem Archigallus, und alles übrige<br />

Beiwerk <strong>des</strong> Cultus erinnert an den Dienst der Astarte. Auch<br />

der Mythus von der Dido -Astarte wiederholt sich hier zwischen<br />

Kybele und Hyperion, wobei dieser die Rolle <strong>des</strong> Baal übernommen<br />

hat. 4 Das männliche Princip Men ist weniger<br />

betont, wie auch in Babylon der Dienst der Myl<strong>it</strong>ta und in<br />

Syrien der Aschera den Vordergrund einnimmt.<br />

In<strong>des</strong>s heisst<br />

Men doch Papas, Vater, wie Ma m<strong>it</strong> Amma bezeichnet wird.<br />

Auch hier findet sich die Verschmelzung <strong>des</strong> Männlichen und<br />

Weiblichen, indem die grosse Mutter eine mannweibliche<br />

Gestalt bekommt.<br />

Die syrischen Stämme, inm<strong>it</strong>ten <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> von den<br />

Griechen Kappadoker genannt, hatten zur Hauptgotthe<strong>it</strong> Ma 5 ,<br />

deren berühmtester Tempel zu Komana stand. Unwe<strong>it</strong> davon<br />

hatte der männliche Men den seinigen. Wenn es von den<br />

Bewohnern von Komana heisst, dass sie weichlich, die<br />

meisten von ihnen Begeisterte und Verzückte seien, dass eine<br />

Menge Mädchen, welche Strabo nach Tausenden zählt 6 dem<br />

,<br />

Tempel m<strong>it</strong> dem Leibe dienten; so finden wir hierin nur die<br />

1<br />

Herodot, I, 80; Pausan., I, 4, 11.<br />

2<br />

Herodot, I, 93.<br />

3<br />

Dio Cassius, LXVIII, 27.<br />

i Diod., III, 56 fg.<br />

ä<br />

Strabo, 535,<br />

* 536 fg.


4. Dualismus in den Religionen der Cullurvölker <strong>des</strong> Alterthums. 103<br />

Bestätigung <strong>des</strong> verwandtschaftlichen Zusammenhangs m<strong>it</strong><br />

Syrien. Dasselbe gilt auch von der Beschreibung der heiligen<br />

Gebräuche, sich im Taumel der Verzückung m<strong>it</strong> Schwertern<br />

zu zerfleischen oder den sinnlichen Ausschweifungen bei den<br />

Festen sich<br />

hinzugeben.<br />

In Lydien tr<strong>it</strong>t derselbe Cultus wie in Phrygien auf, dieselbe<br />

Lan<strong>des</strong>göttin Kybele auch unter dem Namen Ma 1 ;<br />

ihr<br />

steht Sandon (Sardan) zur Se<strong>it</strong>e, der dem Baal-Men entspricht.<br />

Auch hier der orgiastische Dienst in ausschre<strong>it</strong>endster<br />

Weise neben dem grausamsten Cultus der Astarte, der Artemis<br />

der Lydier 2 , durch Entmannung. 3<br />

Die Cilicier, welche schon der Vater der Geschichtschreibung<br />

von den Phöniziern able<strong>it</strong>et 4 , haben Baal als Ilauptgotthe<strong>it</strong>,<br />

was die Münzen bestätigen, auf denen auch die Naturgöttin<br />

dargestellt<br />

wird.<br />

Selbstverständlich lassen sich, ungeachtet der Verwandtschaft<br />

der Götterdienste, die von den Grenzen Syriens nordwärts<br />

bis zum Pontus und westwärts bis an die Küste <strong>des</strong><br />

Aesiuschen Meeres herrschend waren, doch Modificationen und<br />

locale Gestaltungen der religiösen Vorstellungen erwarten;<br />

alle schlössen sich aber nach ihrer Grundanschauung an den<br />

geschlechtlichen Dualismus, Ma und Men, wobei die Naturkraft<br />

bald als gebärende, bald als der Zeugung feindliche<br />

gedacht wird. Allen diesen Ländern ist som<strong>it</strong> der Dualismus<br />

von wohlthätigen und übelthätigen Wesen gemeinsam.<br />

Assyrien.<br />

Von dem S<strong>it</strong>ze der Assyrer, Assur, zwischem dem Zad<br />

und dein Tigris , hatte sich das Keich durch Eroberungen über<br />

Mesopotamien und Syrien bis nach Aegypten erwe<strong>it</strong>ert und<br />

schon im frühen Alterthum eine<br />

bedeutende Höhe der Cultur<br />

erreicht. Die Assyrer, nachdem sie das Reich von Babylonien<br />

aufgehoben, hatten nach etwa 600 Jahren das Los, unter<br />

Nabopolassar den Babyloniern zu unterliegen und annectirt<br />

zu werden, unter <strong>des</strong>sen Sohne Nebucadnezar aber wieder<br />

1<br />

Diod., III, 58.<br />

8<br />

Athen., XIV, 633 A.<br />

3<br />

Herodot, III, 48; VIII, 105.<br />

4<br />

Herodot, VII, 91; vgl. Movers, Phon., II, 1. 12!> fe.


104 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

als<br />

grosse assyrisch -babylonische Macht auf dem Schauplatze<br />

der <strong>Geschichte</strong> thätig aufzutreten.<br />

Aus den vereinzelten Nachrichten der Bibel und den in<br />

der Neuze<strong>it</strong> ausgegrabenen Ueberresten ist ersichtlich, dass<br />

die assyrische Religion m<strong>it</strong> der babylonischen dieselbe Grundlage<br />

theilt.<br />

Bei und Beltis als zeugende und empfangende Macht<br />

linden sich bei den Assyrern als Hauptgotthe<strong>it</strong>en. 1 An den<br />

ausgegrabenen Palastruinen von Nimrud und Khorsabad stehen<br />

die Namen, wie auch die ihnen von andern Stämmen beigelegten.<br />

In den Inschriften kommen für den „grossen König<br />

der Götter'' noch andere Benennungen vor, daher sich die<br />

Annahme empfiehlt, dass die einzelnen Landschaften ihre<br />

besonderen Localgötterdienste gehabt haben. In einer Processen<br />

wird ein bärtiger Gott m<strong>it</strong> vier Stierhörnern am<br />

Haupte, ein Beil in der Rechten, schre<strong>it</strong>end vorgestellt,<br />

worunter Bei gemeint ist. 2 Auf den ausgegrabenen Bruchstücken<br />

wiederholen sich weibliche Gestalten m<strong>it</strong> einem Sterne<br />

auf dem Kopf, auf einem Löwen stehend, einen Ring in der<br />

Hand, die auf die Astarte gedeutet werden. 3 Eine besonders<br />

häufig in den Sculpturen vorkommende menschliche Figur m<strong>it</strong><br />

einem Adlerkopf, den assyrischen Nisroch darstellend,<br />

findet<br />

ihre Erklärung darin, dass dem tyrischen Melkarth auch der<br />

Adler heilig war. 4<br />

Nach schriftlichen Berichten 5 hatten die Assyrer einen<br />

Gott Sandon , Sardon, den wir auch bei den Lydiern angetroffen<br />

haben, den die Griechen, wie auch den Melkarth, als<br />

Herakles bezeichnen.<br />

Bei den Assyrern findet sich auch die Vereinigung <strong>des</strong><br />

Männlichen und Weiblichen zu einer mannweiblichen Gotthe<strong>it</strong>,<br />

welche Verschmelzung im Cultus, wie bei andern sem<strong>it</strong>ischen<br />

Stämmen, durch die Vertauschung der männlichen und weib-<br />

1<br />

Servius ad Aeneid., I, 729.<br />

2 Layard, Niniveh, 417, Fig. 81; übers, von Meixner. Diodor., II, 9,<br />

erwähnt in seiner Beschreibung <strong>des</strong> Tempels zu Babel, die Statue <strong>des</strong> Bei<br />

gei in schre<strong>it</strong>ender Stellung dargestellt rewesen. Vgl. Baruch, 6, 14.<br />

3<br />

Layard, a. a. 0., 300.<br />

4<br />

Nonnus Dionys., 40. 495. 528.<br />

5<br />

Pausan., X, 17. 5; Joannes Lydus, De magistr., 3, 64.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 105<br />

liehen Tracht und in geschlechtlichen Ausschweifungen ihren<br />

Ausdruck fand. Wollust und Grausamke<strong>it</strong>, die in den sem<strong>it</strong>ischen<br />

Götterdiensten Hand in Hand gehen, finden sich besonders<br />

in dem assyrischen Mythus von der vergötterten<br />

Semiramis, und die Erdaufwürfe, die sogenannten Semiramishügel<br />

in jener Gegend, erklärt die Sage für Grabhügel der<br />

vielen Liebhaber der Semiramis \ die nach gepflogener Sinnenlust<br />

von ihr getödtet worden seien. Die der Aschera geheiligten<br />

Vögel, die Tauben, spielen in der Sage von der<br />

Semiramis eine grosse Rolle. Sie war die Tochter der höchsten<br />

weiblichen Gotthe<strong>it</strong>, der gebärenden Naturkraft, der Myljtta-<br />

Derketo. Die Göttin Derketo findet sich demnach wirklich<br />

bei den Assyrern, denn die Nachkommen der Semiramis auf<br />

dem assyrischen Throne werden als Derkeiaden bezeichnet 2 ,<br />

sowie auch das Vorhandensein <strong>des</strong> Dagon auf den Ueberresten<br />

zu Nimrud beglaubigt ist. 3 In der Semiramis vereinigt der<br />

Assyrer die Attribute der Derketo und Astarte in Einer Gestalt:<br />

Krieg und Liebeslust, Leben und Tod, die wohlthätige<br />

und verderbliche Macht, wie sie in der Aschera -Astarte der<br />

Phönizier und Syrer, in der Dido-Anna bei den Karthagern<br />

erscheinen. Auf diese Ineinandersetzung deuten die Züge in<br />

der Semiramis von ihrem unwiderstehlichen Liebreiz, von dem<br />

Untergange ihrer Buhlen, von ihren übermächtigen Kriegsthaten.<br />

Man braucht nicht die wirkliche Existenz einer Semiramis<br />

aus der <strong>Geschichte</strong> ganz hinwegzustreichen, muss aber<br />

dabei im Auge behalten, dass diese Persönlichke<strong>it</strong> durch die<br />

Sage zur Trägerin religiöser Elemente und zur göttlichen<br />

Gestalt<br />

erhoben ist.<br />

Arier:<br />

Inder-Perser.<br />

Nach dem heutigen Stande der "Wissenschaft ist es ausser<br />

Zweifel, dass die Arja am Indus und Ganges m<strong>it</strong> den Arja<br />

auf dem Hochlande von Iran ein und demselben Stamme angehören,<br />

dem sie als Zweige entwachsen, zu Völkern geworden<br />

sind. Wo aber ihr gemeinschaftlicher Urs<strong>it</strong>z vor ihrer Tren-<br />

1<br />

Diod., II, 14.<br />

2<br />

Vgl. Duncker, I, 270, Note 3.<br />

1 Rawlinson, Journ. of the roy. soc, vol. 12, p. 2, 1850.


106 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

nung gewesen, hat sich bisher noch nicht feststellen lassen,<br />

und selbst gewiegteste Indienforscher machen nur Anspruch<br />

auf Wahrscheinlichke<strong>it</strong>, wenn sie bei ihrer Hindeutung auf<br />

den ältesten Urs<strong>it</strong>z der Iraner und Inder das Quellengebiet<br />

<strong>des</strong> Oxus-Jaxartes, das Hochland auf dem Westgehänge <strong>des</strong><br />

Belurtag oder Mustag, das östliche hohe Iran angeben. 1<br />

Ebenso wenig bestimmt ist die Ze<strong>it</strong> der Trennung, denn diese,<br />

wie die Anfänge ihres Culturlebens, verliert sich im dunkeln<br />

Hintergründe der Mythen und Sagengeschichte. Sicher dagegen<br />

ist, dass der Urstamm der Arja zwei Sprösslinge entliess,<br />

wovon der eine südwestwärts bis in die Thalebenen <strong>des</strong><br />

Euphrat und Tigris sich erstreckte, der andere südostwärts<br />

über die Stromgebiete <strong>des</strong> Indus und Ganges sich ausbre<strong>it</strong>ete.<br />

Die Westarier bewohnten das nachmalige Baktrien und Persien,<br />

die Ostarier erhielten vom Indus den Namen Inder und<br />

ihr Land Indien.<br />

Der Beweis für ihre ursprüngliche Zusammengehörigke<strong>it</strong><br />

liegt in dem gemeinschaftlichen Namen, m<strong>it</strong> dem sich beide<br />

bezeichnen. Die Stämme, die im Alterthume das iranische<br />

Hochland bewohnten: Baktrer, Margianer, Sattagyden oder<br />

Sogdianer, Parther u. a,; im Westen: Meder, Perser, die<br />

alle nach den Berichten der Griechen in Sprache, Tracht und<br />

S<strong>it</strong>te sich ähnlichten, nannten sich selbst Arier und ihr Land<br />

Ariana (Airja, Airjana, Iran) 2 ; die Inder nannten nach ihrer<br />

ältesten und gangbarsten Bezeichnung Arja ihr Land Arjavarta. 3<br />

,, Airja und Arja bedeuten die Tüchtigen, die Würdigen". 4<br />

Lassen 5 übersetzt den Namen Arja durch „ehrwürdige Männer,<br />

Leute aus gutem Geschlecht".<br />

Die vergleichende Sprachwissenschaft hat zwischen dem<br />

Sanskr<strong>it</strong>, der ältesten Sprache der Inder, namentlich in den<br />

ältesten Veda, und der altiranischen Sprache enge Beziehungen<br />

entdeckt. Die Berührongen <strong>des</strong> Zendvolks und der Inder<br />

zeigen sich in dem Namen Jazata, Ized, Götter der zwe<strong>it</strong>en<br />

Ordnung im Zend, entsprechend der Sanskr<strong>it</strong>form Jag'ata in<br />

1<br />

Vgl. Lassen, Ind. Altertl)., I, 421 fg.<br />

2 llerod., VII, 62; Strabo, 721, 724.<br />

3<br />

Rigvedii v. Kosen, I, 51, 8; Samaveda v. Benf'ey, I, 1, 5; Manu,<br />

;X,.4ö, u. a.<br />

i<br />

Duneker, II, 13.<br />

5 Ind. Alterth., 1,5.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 107<br />

den Veda, m<strong>it</strong> der ursprünglichen Bedeutung „verehrungswürdig".<br />

In der Bibel der Iranier, dem Zendavesta, heissen<br />

die Priester: Aharvan; die Inder eignen das vierte der Veda<br />

dem Atharvan, einem geheiligten Charakter, in dem sich die<br />

Erinnerung bei den Indern aufbewahrt hat, dass auch bei<br />

ihnen wie bei<br />

den Iraniern der Priester ursprünglich Atharvan<br />

geheissen habe. Die alte Sprache der Inder und die, in<br />

welcher die religiösen Urkunden der Iranier abgefasst sind,<br />

finden<br />

die Sprachforscher nur dialektisch verschieden, und die<br />

Inschriften <strong>des</strong> Cyrus, Darius und Xerxes erhärten diese<br />

Annahme.<br />

Die Religionswissenschaft bestätigt die nahe Verwandtschaft<br />

der Ostarier oder Inder m<strong>it</strong> den Westariern oder<br />

Iraniern durch den Nachweis der gemeinschaftlichen Grundlage<br />

ihrer religiösen Anschauung, obschon sich dieselbe später<br />

verschieden gestaltet hat. Beiden gemein ist die Verehrung<br />

der Sonne als göttliches Wesen, das beide unter dem Namen<br />

M<strong>it</strong>ra anrufen; gemein ist dem Zendavesta m<strong>it</strong> den Veda die<br />

Verehrung <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong>, <strong>des</strong> Feuers, der Erde, <strong>des</strong> Wassers.<br />

Der höchste Gott der Inder führt in alter Ze<strong>it</strong> gewöhnlich<br />

den Beinamen Vr<strong>it</strong>raghna, Tödter <strong>des</strong> Vr<strong>it</strong>ra; die Iranier<br />

kennen einen Geist <strong>des</strong> Sieges, den sie unter dem Namen<br />

Verethragna verehren. Nach den ältesten Mythen beider<br />

Völker steht das Opfer in höchsten Ehren , welches die Inder<br />

Soma, die Iranier Haoma nennen. Die Iranier nennen den<br />

ersten Opferer Vivanghvas, der zuerst den Saft <strong>des</strong> Haoma<br />

ausgedrückt und den Göttern dargebracht habe, wofür ihm<br />

zum Lohne Jima geboren worden, der Stifter <strong>des</strong> Ackerbaues<br />

und <strong>des</strong> geordneten Lebens, der erste Vereiniger der Menschen<br />

und erster König. Nach den indischen Mythen wird<br />

den höchsten Göttern, namentlich dem Indra, der Saft einer<br />

Bergpflanze Soma geopfert, der jene nicht nur erfreut und<br />

ihre Stärke vermehrt, sondern sie auch nöthigt, den Menschen<br />

hülfreich zu sein. Jama, bei den Indern der Name <strong>des</strong><br />

Todtenrichters und Beherrschers <strong>des</strong> Reichs der Verstorbenen,<br />

erscheint zwar nicht selbst als König, dafür aber sein Bruder<br />

Manu als erster Gesetzgeber, Begründer <strong>des</strong> geregelten<br />

Lebens und Stammvater der indischen Königsgeschlechter.<br />

Die Inder verehrten die ersten Lichtstrahlen <strong>des</strong> Morgens als<br />

das schöne Zwillingsbrüderpaar, die Acvinen; bei den Iraniern


108 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

finden wir die Aspinen. Die Sage der Inder erzählt von<br />

einem Heros Tra<strong>it</strong>ana oder Tr<strong>it</strong>a, Aptja's Sohne, der den<br />

dreiköpfigen Drachen erlegt; bei den Iraniern ist es Chraetavna,<br />

der Sohn Athwja's, der die verderbliche Schlange Dahaka<br />

m<strong>it</strong> drei Köpfen, drei Ilachen, sechs Augen und tausend<br />

Kräften tödtet. Beiden Völkern gemeinschaftlich ist auch der<br />

Glaube, dassTodtes, Haare, Nägel verunreinigen, und beide<br />

gebrauchen dasselbe Reinigungsm<strong>it</strong>tel. J<br />

Diese gemeinschaftliche Grundanschauung wurde nur von<br />

den Ariern am Indus und den Ariern am Ganges ie eigenartig<br />

zu zwei sich<br />

unterscheidenden Systemen ausgebildet.<br />

Die Arier am Indus und Ganges.<br />

Wie das Leben der Arier, die sich am Indus niedergelassen,<br />

beschaffen war, ist aus den religiösen Liedern <strong>des</strong><br />

Veda ersichtlich, die uns den Einblick in die religiösen Vorstellungen<br />

den Umrissen nach gewähren. Das Volk theilt<br />

sich in kleine Stämme, die von Viehzucht und Ackerbau<br />

leben, es herrschen Fehden, meist um Heerden und Weideplätze.<br />

In religiöser Beziehung werden die Geister der klaren<br />

Luft, <strong>des</strong> Lichts, <strong>des</strong> blauen Himmels, der Winde als Hülfsmächte<br />

angerufen. Die Götter heissen Deva 2 ; an der Sp<strong>it</strong>ze<br />

steht der „grossarmige Indra" als der höchste Gott <strong>des</strong> hohen<br />

Himmels, <strong>des</strong> Donners, Bl<strong>it</strong>zes, der Herrscher über das<br />

Flüssige und Feste, <strong>des</strong> gehörnten Viehs, der Speerträger, Herr<br />

der Männer.<br />

Diesem gewaltigen, aber wohlthätigen Wesen gegenüber<br />

stehen übelthätige Geister: Vr<strong>it</strong>ra, der Einhüller <strong>des</strong> Himmelswassers<br />

in die schwarze Wolke; Ahi, der die strömenden<br />

Wasser im Sommer in Berghöhlen versteckt. Indra kämpft<br />

gegen die bösen Dämonen, er muss die Wolke m<strong>it</strong> dem<br />

Speere spalten, dam<strong>it</strong> der Regen herabfliessen könne, er<br />

befre<strong>it</strong> auch die gefangenen Ströme. In diesem Kampfe stehen<br />

dem Indra als Gehülfen bei: der Gott Vaju, der Wehende,<br />

sammt der Schar der schnellen Winde, die den Himmel<br />

1<br />

Vgl. Duncker, II, 13 fg.<br />

- Von div, hellleuehtend; Lassen, a. a. 0., I, 756: Seo's, deus, im<br />

L<strong>it</strong>tauisch-Slav. diewas, althochd. zio, goth. tius, eddisch tivar, franz.<br />

dieu, <strong>it</strong>al. dio, span. dios.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvolker <strong>des</strong> Alterthums. 109<br />

reinigen, und unter ihnen ist Rudra (die tropische Windsbraut)<br />

besonders bemerklich, der zwar im Zorne verderblich<br />

und selbst den Tod für Mensch und Thier bringen kann,<br />

aber auch ein wohlthätiger Gott ist, dem erquickende Regen<br />

folgen. M<strong>it</strong> Rudra's Beistand besiegt Indra die „schwarzleibigen"<br />

Dämonen und ist demnach auch Gott <strong>des</strong> Siegs,<br />

um den er im Kampfe angerufen wird.<br />

Neben den Geistern <strong>des</strong> Lichts, die in den Veda angerufen<br />

werden, ist besondex*s Surja, die Sonne, unter verschiedenen<br />

Namen gepriesen, als Erzeuger (Sav<strong>it</strong>ri), Nährer der Menschen<br />

(Pushan), als allwissender Gott. Viele dieser alten Veda<br />

haben Agni (das Feuer) zum Gegenstande ihrer Anrufungen.<br />

Er bringt das Licht, ist Gast der Menschen, reinigt, tilgt<br />

das Böse, ist der Bote zwischen Menschen und Göttern.<br />

Ihm selbst, wie den übrigen Göttern, wird reine Butter, ins<br />

Feuer geworfen, als Opfer dargebracht, das Agni, wenn die<br />

Flamme emporprasselt, hinaufträgt. Agni ist auch Bekämpfer<br />

der riesigen Asuren und Rackschas, Personificationen der<br />

feindlichen Naturmächte; dem Erzeuger Indra und dem Erhalter<br />

Varuna gegenüber erscheint aber Agni selbst als Zerstörer.<br />

Dem Indra und den Geistern der Luft wird der Saft<br />

einer Bergpflanze, Soma, in einer Schale dargeboten, und<br />

durch Opfer sollen die Götter nicht nur erfreut, sondern auch<br />

o-enöthigt werden, sich den Menschen hülfreich zu erweisen.<br />

Die Priester, als Vorsteher <strong>des</strong> indischen Opferwesens, bekommen<br />

dadurch in der Vorstellung <strong>des</strong> Inders zauberische<br />

Gewalt über die Götter.<br />

In diesen Vorstellungen ungefähr bewegt sich das<br />

religiöse<br />

Bewusstsein der Arier am Indus nach den Hymnen der Veda,<br />

den ältesten Producten der religiösen Lyrik der Inder, deren<br />

Entstehuno; aber nach der Verschiedenhe<strong>it</strong> ihres Inhalts auf<br />

einen Ze<strong>it</strong>raum von mehrern Jahrhunderten avisgedehnt wird. 1<br />

Die im Ri«veda beschilderten Zustände setzt Duncker 2 zwisehen<br />

die Jahre 1800 und 1500 vor Christus, som<strong>it</strong> müsste<br />

die Einwanderung der Arja in das Indusland einige Jahrhunderte<br />

früher geschehen sein, da in den Hymnen der Veda<br />

1<br />

Duncker, II, 26.<br />

2<br />

A. a. 0., 26.


HO Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

keine Spur der Erinnerung an eine frühere Heimat zu<br />

finden<br />

ist.<br />

Als ein Theil der Arja sich aus dem Lande der sieben<br />

Ströme (dem Indus , Fünfstrom und Sarasvati) aufmachte,<br />

um den Vorbergen <strong>des</strong> Himalaja entlang in das Thal der<br />

Jamuna bis an die Ganga vorzudringen , war diese Wanderung<br />

m<strong>it</strong> vielen Kämpfen verbunden, und erst nach langen Kriegen<br />

erlangten die Ausgewanderten feste Wohns<strong>it</strong>ze in den eroberten<br />

Gebieten. Aus dieser Heldenze<strong>it</strong> entsprang die<br />

kriegerische Poesie der Inder, und die Erinnerung daran liegt<br />

in den riesenhaft grossen indischen Epen aufbewahrt.<br />

Um das Jahr 1300 v. Chr. mögen die Stämme der Inder<br />

im Gangeslande zu festen Staatsbilduno;en gelangt sein. 1 Der<br />

alten Bevölkerung, die den herrschenden Arja sich gefügt<br />

hatte, standen die Arja als Leute von besserm Geschlechte<br />

gegenüber, aus welchen sich wieder der kriegerische<br />

Adel hervorhob und zum besonderen Stand der Krieger<br />

(Kshatrija) entwickelte, von dem sich Bauern, Handwerker<br />

und Handelsleute ausschieden und als Kaste der Vaicja fixirten.<br />

Bei dem frommen Sinne der Inder und ihrer Vorstellung,<br />

dass der Sieg in der Schlacht vom Opfer abhängig sei, ja<br />

durch dasselbe die göttliche Gunst abgenöthigt werde und<br />

den Priestern die Kunst dieser Abnöthigung zuerkannt ward,<br />

da ihre Gebete und Bräuche diese Zauberkraft bes<strong>it</strong>zen sollten,<br />

konnte es den unentbehrlichen Priestern nicht schwer werden,<br />

ihrem Stande einen überwiegenden Einfluss zu sichern, ihre<br />

Kaste den andern gegenüber abzuschliessen. Dies gelang ihnen<br />

um so leichter, als sie nicht nur die Kenntniss <strong>des</strong> im Laufe<br />

der Ze<strong>it</strong> sehr complicirt gewordenen l<strong>it</strong>urgischen Codex allein<br />

besassen, sondern auch an Bildung überhaupt voraus waren.<br />

Als die Periode der Kämpfe vorüber und das Heldenthum<br />

zurückgetreten war, gewann das religiöse Interesse, das Opferwesen<br />

das Uebergewicht und dam<strong>it</strong> zugleich der Priesterstand<br />

die Macht.<br />

Aus dem Glauben, der sich in den ältesten Veda (von<br />

Priestern verfasst) ausspricht, dass die göttliche Hülfe durch<br />

Opfer und Gebete abgenöthigt werden könne, entwickelte die<br />

Priesterschaft den „Brahmanaspati", den Herrn <strong>des</strong> Gebets,<br />

1<br />

Duncker, II, 50.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 1 1<br />

in welchem sie die Zaubermacht ihres Gebets und ihrer heiligen<br />

Handlungen auf die Götter personificirt darstellte. Dieses<br />

Wesen ist in den Priestern selbst vorhanden, macht die Wirksamke<strong>it</strong><br />

ihrer Gebete aus, ist mächtiger als die Götter selbst,<br />

da es sie zwingen kann. Es ist das Brahma, d. h. das Heilige<br />

selbst, die specielle Gotthe<strong>it</strong> der Priester und Beter (Brahmana),<br />

es ist die höchste Gotthe<strong>it</strong>. Brahma übt auf die Götter Kraft<br />

aus, hat ihnen Kraft gegeben, ist selbst die Kraft der Götter,<br />

ist vor allen Göttern gezeugt. In diesem Abstractum, dem<br />

Brahma, fasst sich die ganze Heiligke<strong>it</strong> und Göttlichke<strong>it</strong><br />

zusammen. Dieser zauberhafte, unsichtbare Geist war nicht<br />

nur die wirkende Kraft, die hinter und über den heiligen<br />

Handlungen und Gebeten sich bethätigte, hinter und über<br />

den Göttern sich mächtig erwies, er war es auch, der hinter<br />

den grossen und mannichfaltigen Erscheinungen <strong>des</strong> Naturlebens<br />

waltete, er war die Welt seele, die alle Dinge der<br />

Natur durchzieht, belebt und erhält. Brahma war der geistige<br />

Uro-rund der geistigen und natürlichen Welt, er war in und<br />

ausser der Natur, alle Wesen verdankten dem Brahma ihren<br />

Ursprung.<br />

Wie überall so auch bei den Indern bedingt der Gottesbeoriff<br />

die s<strong>it</strong>tliche Aufgabe <strong>des</strong> Menschen. Ist Brahma ein<br />

reines, heiliges, körperloses Wesen, so setzt der Inder seine<br />

Bestimmung darein, jenem ähnlich zu werden durch ein stilles,<br />

heiliges Leben, durch Fügung in die Weltordnung, die von<br />

Brahma herrührt, m<strong>it</strong> der Hoffnung auf Rückkehr der reinen<br />

Seele zu Brahma, ans dem sie hervorgegangen. Die Seele<br />

allein ist aber die Se<strong>it</strong>e, welche dem Brahma zugekehrt ist,<br />

da dieses selbst ein unkörperliches Wesen ist. Die Seele ist<br />

som<strong>it</strong> die bessere Se<strong>it</strong>e am Menschen ; die unreine, schlechte<br />

Se<strong>it</strong>e ist seine Leiblichke<strong>it</strong>. Die höchste Bestimmung <strong>des</strong><br />

Menschen kann also nur sein: die wahre Reinhe<strong>it</strong> darein zu<br />

legen, dass die Seele nicht durch den Körper verunreinigt,<br />

der Geist vom Sinnenleben frei werde. Der Leib erhält hierm<strong>it</strong><br />

die Bedeutung eines Kerkers für die Seele, und da nur<br />

die reine Seele wieder zu Brahma gelangen kann, ist es die<br />

Aulgabe <strong>des</strong> Menschen, seine Leiblichke<strong>it</strong> ganz abzuthun.<br />

„Diese Wohnung <strong>des</strong> Menschen, deren Zimmerwerk die<br />

Knochen, deren Bänder die Muskeln sind, dies Gefäss m<strong>it</strong><br />

Fleisch und Blut gefüllt, m<strong>it</strong> Haut bedeckt, diese unreine


112 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der religiöse Dualismus.<br />

Wohnung, welche die Excremente und den Urin enthält,<br />

welche dem Alter, der Krankhe<strong>it</strong> und dem Kummer unterworfen<br />

ist, dem Leiden jeder Art und den Leidenschaften,<br />

diese Wohnung, dem Untergange bestimmt, muss m<strong>it</strong> Freuden<br />

von dem verlassen werden, welcher sie einnimmt." x<br />

Wohl war auch die sinnliche Welt aus Brahma hervorgegangen,<br />

denn er war ja auch der Quell, aus dem die<br />

materielle W T elt entsprungen; allein von den Brahmanen wurde<br />

diese stets als Brahma fern stehend betrachtet, von der<br />

sreistiaen, unsinnlichen auseinandergehalten und nur diese m<strong>it</strong><br />

Nachdruck hervorgehoben und jener entgegengesetzt.<br />

Der gegensätzliche Dualismus im indischen Brahmanentlmm<br />

besteht also in Seele und Leib, intellectuellem und<br />

materiellem Sein, Seelenleben und Sinnenleben, dieses als<br />

das Unreine, von Brahma Trennende, als Urquell <strong>des</strong> Uebels,<br />

<strong>des</strong> Bösen; jenes als das Reine, der Gotthe<strong>it</strong> Angehörige, das<br />

Gute betrachtet.<br />

Die ethische Aufgabe bestand hiernach darin : die sinnliche<br />

Existenz möglichst zu vernichten, also in Ascese, die Seele<br />

vom Leben loszulösen und zu reinigen, reines, immaterielles<br />

Leben zu sein, wie Brahma unsinnlich ist, nichts als Brahma<br />

zu denken, d. h. die absolute Abstraction von jeder Einzelhe<strong>it</strong><br />

und Vertiefung in die leere Allgemeinhe<strong>it</strong>, was gleichbedeutend<br />

ist m<strong>it</strong> Aufhebung sowol <strong>des</strong> physischen als auch<br />

<strong>des</strong> geistigen Lebens.<br />

Die Grausamke<strong>it</strong>en der indischen Ascese sind bekannt.<br />

Ein Beispiel der Selbstquälerei, das nicht als Product der<br />

dichterischen Phantasie zu betrachten ist, da Augenzeugen<br />

ähnliche Unternehmungen der Fakire schildern, ist im 7. Act<br />

der Sakuntala. Matali zeigt dem König eine Einsiedelei:<br />

„Wo dort der Weise unbeweglich wie ein Baumstamm gegen<br />

die Sonnenscheibe gewendet steht, m<strong>it</strong> dem in die Sp<strong>it</strong>ze<br />

eines Term<strong>it</strong>enhaufens versunkenen Körper, m<strong>it</strong> einer Brust,<br />

um die eine Schlangenhaut gebunden ist, am Halse über die<br />

massen gequält von sich ausdehnenden Schlingpflanzen, die<br />

ihn umringen, ein um den Sche<strong>it</strong>el gewundenes Haargeflecht<br />

tragend, das sich bis zu den Schultern erstreckt und m<strong>it</strong><br />

Vogelnestern angefüllt ist." 2<br />

1<br />

Manu, ß, 76. 77.<br />

2<br />

Boethlingk's Uebersetzung, 103'.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. H3<br />

Es liegt in der Natur der Sache, dass dieses System,<br />

welches sich über dem Brahmabegriff aufgebaut hatte, erst<br />

lange Ze<strong>it</strong>, nachdem das Leben im Gangeslande fest geordnet<br />

und thätig geworden, die Priesterschaft zu einer abgeschlossenen<br />

Körperschaft herausgebildet war, in das Leben der<br />

indischen Gangesbewohner eingreifen konnte. 1 Die neue<br />

Umgebung am Ganges, die neuen Verhältnisse, die zusammen<br />

ein anderes Leben gestalteten als das in der frühern<br />

Heimat am Indus, drängten auch die Erinnerung an die<br />

frühern religiösen Vorstellungen zurück. Der priesterlichen<br />

brahmanischen Abstractionstheorie kam besonders das heisse<br />

Klima am Ganges zu Hülfe, das die Nerven schwächte und<br />

die Muskeln schlaff inachte. Unter der heissen Sonne am<br />

Ganges, welche auf die Reisfelder niederbrennt und das<br />

Zuckerrohr kocht, musste die ursprüngliche Thatkraft, welche<br />

der Arier aus seiner Heimat m<strong>it</strong>gebracht hatte, im -Verlaufe<br />

der Ze<strong>it</strong> verschwinden. Wo sich die höchsten Gipfel <strong>des</strong><br />

Himalaja zusammendrängen, bricht der Ganges aus den<br />

Schneefeldern hervor und wird durch Zuflüsse vom Norden<br />

verstärkt, im Süden von dem dichtbewachsenen Gürtel <strong>des</strong><br />

Vindhja herab geschwellt, sodass er die niedrigen Ufer jährlich<br />

überschre<strong>it</strong>et und die Ebenen, die er durchströmt, ohne<br />

menschliches Hinzuthun zu fettem Fruchtboden macht. Die<br />

tropische Vegetation wuchert ins Masslose, Reis, Baumwolle,<br />

Zuckerrohr gedeiht auf das üppigste. Hier ist das Land<br />

der blauen Lotosblume, in der indischen Poesie so häufig<br />

erwähnt, hier wachsen die nahrhaften Bananen, die riesigen<br />

indischen Feigenbäume. We<strong>it</strong>er hinab wird das Klima noch<br />

heisser, die Luft m<strong>it</strong> Feuchtigke<strong>it</strong> imprägnirt, und in dem<br />

üppigen Tiefland m<strong>it</strong> seinen Kokos und Arekapalmen, Zimmtstauden,<br />

überwuchern endlose Schlingpflanzen die höchsten<br />

Baumstämme. Uebermächtig wird der Baumwuchs gegen<br />

die Mündung <strong>des</strong> Ganges und in der durchh<strong>it</strong>zten sumpfigen<br />

Waldgegend haust nur mehr der Tiger, Elefant und das<br />

Rhinoceros.<br />

Der Inder, schon an sich zum beschaulichen Leben angethan,<br />

wurde durch das heisse Klima am Ganges vielfach zur<br />

körperlichen Unthätigke<strong>it</strong> genöthigt und bei seiner klimatisch<br />

1<br />

Nach Duncker, II, 88, frühestens um das Jahr 1000 v. Chr.<br />

Eoskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I.<br />

y


1 14 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

bedingten Einfachhe<strong>it</strong> der Ernährung konnte er sich sorglos<br />

der Ruhe überlassen. Sein reflectirender Geist vertiefte sich<br />

in die bunte Vielhe<strong>it</strong> der ihn umgebenden Natur und suchte<br />

in dem immer wiederkehrenden Wechsel der Dinge das<br />

Bleibende, die ewige Dauer, er suchte in dem vielgestaltigen<br />

wirren Leben um ihn her den Urgrund dieses Durcheinander,<br />

die Einhe<strong>it</strong>, wie in allen pantheistischen Anschauungen mehr<br />

oder weniger der Zug nach einhe<strong>it</strong>licher Auffassung, der in<br />

der menschlichen Natur begründet ist,<br />

sich wahrnehmen lässt.<br />

Diese Einhe<strong>it</strong> glaubte er durch Abstraction von der Vielhe<strong>it</strong>,<br />

in der abstracten Allgemeinhe<strong>it</strong> und darin das Urwesen zu<br />

finden , das in der Natur walte, das den Gebeten der Priester<br />

die Kraft verleihe und die Götter den Menschen beizustehen<br />

zwinge, das also über den Göttern walte, wie in den heiligen<br />

Handlungen und allen Erscheinungen der Natur herrsche.<br />

Dieses Urwesen, Brahma, hat sich in Maja, d. h. Täuschung<br />

gespiegelt, heisst es in einer indischen Kosmogonie, und die<br />

einzelnen Erscheinungen sind daher nur wechselnde Modifikationen,<br />

ein Werk der Täuschung. Je<strong>des</strong> Daseiende ist nur<br />

gewissermassen ein Durchgangspunkt, welchen das Urwesen<br />

hindurchzieht.<br />

Der Buddhismus.<br />

In der spätem Ze<strong>it</strong>, nachdem der Buddhismus die abstracte<br />

Brahmanenreligion an der Wurzel angefasst, die<br />

starren Schranken <strong>des</strong> Kastenwesens zu durchbrechen gesucht<br />

und den trad<strong>it</strong>ionellen Dogmatismus der Brahmanen aufzuheben,<br />

sonach auch eine Umwandlung der socialen Verhältnisse<br />

anzubahnen gestrebt hatte, was auch nicht ohne<br />

liesultat geblieben, wie die we<strong>it</strong>e Verbre<strong>it</strong>ung der Buddhalehre<br />

bestätigt, bildete sich im indischen Volke, dem der reinspir<strong>it</strong>ualistische<br />

Gottesbegriff <strong>des</strong> Brahma nie<br />

ganz zugänglich<br />

geworden, eine concreto Form religiöser Anschauung aus.<br />

Der alte thatkräftige Sinn der Arier am Indus, die Kriegslust<br />

und Kampfbere<strong>it</strong>willigke<strong>it</strong>, die in dem alten Dämonentödter<br />

Indra das eigene Wesen angeschaut hatte, wurde nach langem!<br />

Aufenthalte unter geordneten Verhältnissen, bei einem<br />

stillen duldsamen Leben, umgeben von einer üppig wuchernden<br />

Natur, gänzlich verwischt und m<strong>it</strong>hin auch die religiöse An-


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 1 15<br />

schauung modificirt, welche, gegenüber dem abstracten Spir<strong>it</strong>ualismus<br />

der Brahmapriester und der seeptischen Lehre <strong>des</strong><br />

Buddhismus, in der realistischen Anschauung <strong>des</strong> Volks neue<br />

Formen hervorbrachte.<br />

In den Anrufungen <strong>des</strong> Rigveda, im Gesetzbuche Mauu's<br />

und im Epos wird Vishnu einigemal als ein den Menschen<br />

wohlthätiger Licht- und Luftgeist erwähnt. Diesen Vishnu<br />

ergriff das Volksbewusstsein und eignete ihm jegliche Wohlthaten,<br />

die der Mensch von der Natur empfängt. Die helle<br />

Luft, der blaue Himmel, das Wachsthum der Pflanzen, der<br />

erquickende Thau, das befruchtende Wasser, kurz alles Gute<br />

geht von Vishnu aus als der Macht, die Leben gibt und<br />

Leben erhält. In Vishnu sieht das Volk seinen grössten<br />

Wohlthäter, seinen besten Helfer, und er wird vornehmlich<br />

von den Bewohnern <strong>des</strong> friedlichen Gangesthaies verehrt.<br />

Hingegen in den Thälern <strong>des</strong> Himalaja und an den Küsten<br />

<strong>des</strong> Dekhan, wo der vernichtende tropische Sturmwind jedem<br />

Widerstände trotzt, wo das Naturleben gewaltig und unbändig<br />

erscheint, da tr<strong>it</strong>t der Cultus <strong>des</strong> Qiva auf. (piva ist zwar<br />

auch Gott der Befruchtung, wie Vishnu, aber gemäss den<br />

Gegenden , wo der Gew<strong>it</strong>tersturm unter Donner und Bl<strong>it</strong>z<br />

den befruchtenden Regen herbeiführt und neues Leben aus<br />

der Zerstörung hervorbringt, da wird Qiva als Gott <strong>des</strong><br />

Wachsthums, aber zugleich als der Zerstörung gefasst. Wo<br />

die<br />

stürmischen Naturerscheinungen überwiegen, stellt sich die<br />

verderbliche Se<strong>it</strong>e <strong>des</strong> Qiva heraus und er wird zum Gott<br />

<strong>des</strong> Schreckens , der Verwüstung, <strong>des</strong> To<strong>des</strong>, <strong>des</strong>sen Hals eine<br />

Kette von Todtenschädeln umgibt, der Schmerz und Thränen<br />

bringt. * Er ist der Vater <strong>des</strong> Kriegs. 2 Als Repräsentant<br />

der verderblichen , unbändigen, stürmischen Macht, bietet Qiva<br />

den Gegensatz zum friedlichen Vishnu. Qiva der Vernichter<br />

heisst auch Devadeva, Gott der Götter, Mahadeva, grosser<br />

Gott, Icvara, Herr, als lebensfeindliche Macht. Als Tödter<br />

<strong>des</strong> Selbst ist er der Patron der vernichtenden Ascese, selbst<br />

Ascet. So ist er der Ausdruck <strong>des</strong> Grundgedankens der<br />

indischen Weltanschauung, wonach das Dasein auf Erden für<br />

1<br />

Bohlen, Ind., 206 fg.<br />

2<br />

Lassen, Ind. Alterth., I, 782.


jl(j Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

ein Unglück gilt und die Selbstvernichtung als die höchste<br />

Bestimmung erachtet wird.<br />

Indem die Brahmanen der spätem Ze<strong>it</strong> neben ihren<br />

Brahma den Vishnu der Gangesbewohner hinstellten , wobei<br />

jenem die Schöpfung der Welt, diesem deren Erhaltung zufiel,<br />

während Qiva vorzugsweise das zerstörende Princip<br />

repräsentirte, ward eine Dreihe<strong>it</strong> der Götter erzielt, die im<br />

Epos zwar schon berührt, aber erst später ausgebildet erscheint.<br />

'<br />

Die Arier in Iran.<br />

Baktrer.<br />

Perser.<br />

In der Gegend, wo heute Perser, Beludschen, Afghanen<br />

und andere Volksstämme hausen, zwischen dem Industhale<br />

und dem Stromgebiete <strong>des</strong> Euphrat und Tigris, nach deren<br />

Vermischung als Scha-tel-Arab in den persischen Golf mündend,<br />

im Süden vom Persischen (Arabischen) Meer begrenzt,<br />

gegen Norden vom Kaspischen Meere und den Steppen am<br />

Oxus umgeben, ist das Hochland von Iran. Die heftigen<br />

Stürme, die im Frühjahre toben, schweigen vom Mai bis<br />

September, und während dieser Pause ist die Luft äusserst<br />

trocken und klar, dass die Berge sich scharf abheben und die<br />

Landschaft in eigenthümlicher Helligke<strong>it</strong> erscheint. Der rasche<br />

Temperaturwechsel entspricht dem gegensätzlichen Charakter<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, aus den glühend heissen Ebenen erheben sich<br />

schneebedeckte Terrassen. Während der Norden im Winter<br />

unter eisigen Winden erstarrt, die über das Kaspische Meer<br />

einherstürmen , durch die endlosen Steppen hinbrausen und<br />

Weideplätze und Felder auf mehrere Wochen m<strong>it</strong> Schnee<br />

bedecken, thürmen die Glutwinde im Süden den ausgebrannten<br />

Wüstensand zu Hügeln auf, die in wechselnder Gestalt die<br />

Bodenfläche den Meereswogen ähnlich machen und den Flugsand<br />

auf Aecker und in Brunnen treiben, wodurch diese<br />

unbrauchbar werden.<br />

Der Mensch hatte in Iran zu kämpfen m<strong>it</strong> der Kälte <strong>des</strong><br />

Winters, „welcher herbeischleicht, die Heerden zu tödten und<br />

voller Schnee ist, — am Wasser, an den Bäumen und am<br />

1<br />

Lassen, I, TS."! fg.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 117<br />

Acker", wie das Gesetzbuch der Iranier sagt. 1 Anderwärts<br />

umschwärmten stechende Wespen die Rinderheerden und<br />

mussten „fressende Raubthiere" abgewehrt werden. a An den<br />

niedrigen Ufergegenden hausten Schlangen, Eidechsen, Ungeziefer<br />

aller Art, und die sumpfige Luft erzeugte Fieber und<br />

andere Krankhe<strong>it</strong>en; an den Hochebenen beeiste die strenge<br />

Kälte den Gebirgsweg, an <strong>des</strong>sen Rande dem Reisenden tiefe<br />

Abgründe heraufgähnten. Dabei bot aber die Gegend auch<br />

lachende Oasen m<strong>it</strong> dem üppigsten Wiesengrün, schattigen<br />

Baumgruppen, prachtvollen Wäldern.<br />

Den Gegensätzen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> entsprechend war die<br />

Lebensweise seiner Bewohner. Während ein Theil der Bevölkerung<br />

im Schweisse <strong>des</strong> Angesichts schwer arbe<strong>it</strong>ete, den<br />

dürren Boden mühsam bewässerte, den Flugsand vom Acker<br />

abwehren musste; zog ein anderer frei m<strong>it</strong> den Heerden umher,<br />

und zur Muse <strong>des</strong> Hirtenlebens gesellte sich häufig<br />

Kampflust und Wegelagerung.<br />

Am schneidendsten tr<strong>it</strong>t die Gegensätzlichke<strong>it</strong> hervor in<br />

den Thälern <strong>des</strong> Nordran<strong>des</strong>, die gegen die Steppen <strong>des</strong><br />

Kaspischen Meeres hin oifen liegen, in den einstigen Gebieten<br />

von Margiana (Merv), Baktrien (Bakhdhi) und Sogdiana<br />

(Sugdha). Fruchtbare Thäler, die, dank dem herabfliessenden<br />

Gebirgswasser, der üppigsten Vegetation sich erfreuen, stossen<br />

hart an die öde, unfruchtbare Wüste. Während auf den<br />

Hochflächen die Sterne in der reinen Atmosphäre blinkend<br />

die Nacht erleuchten, lagern über den Steppen dicke Nebel<br />

und Sandwolken. Im Winter bringen die Winde vom Kaspischen<br />

Meere schneidende Kälte, im Sommer treiben sie den<br />

heissen Wüstensand auf die Fruchtfelder. Während die Aecker<br />

in den Niederungen nur m<strong>it</strong> grösster Anstrengung vor dem<br />

Sonnenbrande durch Bewässerung geschützt werden müssen,<br />

herrscht auf den Höhen <strong>des</strong> Belurtag und Hindukuh ewiger<br />

Winter.<br />

Ausser diesem Kampfe, den die iranischen Arier m<strong>it</strong> den<br />

Gegensätzen der Lan<strong>des</strong>beschaffenhe<strong>it</strong> zu bestehen hatten,<br />

mussten sie überdies die Einfälle wilder turanischer Räuberscharen<br />

abwehren, die vom Norden her das Gebiet von<br />

1<br />

Vendidad Vil, G'J, 1, 9—12.<br />

2<br />

Vendidad I, 24.


11$ Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Baktrien und Sogdiana heimzusuchen pflegten. Der Fleiss<br />

der Arier konnte nur gedeihen, wenn nicht vom Norden<br />

Kälte, Schneefälle, Wüstenwinde oder Einbrüche der turanischen<br />

Horden die fruchtbaren Thäler verwüsteten, wenn<br />

nicht das Kaspische Meer vom Westen her die starken Winde<br />

schickte, wodurch die Gefilde in Baktrien und Sogdiana m<strong>it</strong><br />

dem verheerenden Triebsand verschüttet wurden. Hieraus<br />

erklärt sich, warum der Bewohner der Thäler <strong>des</strong> iranischen<br />

Lan<strong>des</strong> im Norden und Westen den S<strong>it</strong>z der bösen Geister<br />

erblickte. Vom Norden kam Frost, Schnee, Wüstenwind,<br />

die Schar der Räuber; im Westen ging die Sonne unter,<br />

da war der S<strong>it</strong>z der Finsterniss , <strong>des</strong> To<strong>des</strong> ; wo aus den<br />

vulkanischen Gipfeln <strong>des</strong> Eiburs die Rauchsäulen emporstiegen,<br />

wo verwüstende Wolkenbrüche niedergingen , wo Fieber und<br />

Krankhe<strong>it</strong> herrschte. Im Osten dagegen, wo die Sonne aufgeht,<br />

da wohnten die guten Geister, hier war der Ort <strong>des</strong><br />

Lichts, auf der hohen Kette <strong>des</strong> Belurtag der „Berg der<br />

Höhe", d. h. der heilige Berg, auf welchen sich der Sonnengott<br />

M<strong>it</strong>hra zuerst m<strong>it</strong> siegreichem Glänze setzte. 1<br />

Die Verehrung der Gotthe<strong>it</strong>en <strong>des</strong> Lichts und der he<strong>it</strong>ern<br />

Luft, <strong>des</strong> Sonnengottes M<strong>it</strong>hra, Anrufung <strong>des</strong> Feuers als<br />

Verscheuchers der bösen Dämonen, Darbringung <strong>des</strong><br />

Haomaopfers, die Mythen von Verethragna, dem Kämpfer<br />

gegen die bösen Geister, von Vivanghvat, von Jima, von dem<br />

Drachentödter Thraetaona, bilden die religiöse Grundlage, die<br />

den Iraniern m<strong>it</strong> den Indern vor ihrer Entzweiung gemeinschaftlich<br />

war.<br />

Im Lande der grellen Gegensätze musste sich auch bei<br />

seinen Bewohnern die Vorstellung von dem Kampfe <strong>des</strong> Himmels<br />

gegen die Dämonen der Dürre und Unfruchtbarke<strong>it</strong><br />

scharf entwickeln und in die Vorderlinie treten.<br />

Zarathustra (Zoroaster), der in diesem Lande der Gegensätze<br />

auftrat, fand den dualistischen Glauben an ein Lichtreich<br />

und Dunkelreich, an gute und böse Geister und deren Einfluss<br />

auf Land und Mensch, an ein lichtes Iran und ein böses Turan<br />

gewiss vor, als er sein Reformationswerk begann. Er fand die<br />

den Iraniern und Indern gemeinschaftliche religiöse Grundlage,<br />

nämlich eine Naturanschauung, welche die freundlichen Er-<br />

1<br />

Vendidad XIX, 92, XXI, 20.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 119<br />

scheinungen der Aussenwelt auf die wohlthätige Wirkung<br />

höherer Machte zurückführte, besonders die Erscheinungen<br />

<strong>des</strong> Lichts als unm<strong>it</strong>telbare Manifestationen <strong>des</strong> Göttlichen<br />

verehrte, wogegen sie in der i'insterniss eine feindliche Macht<br />

wirksam glaubte. Die Bedeutsamke<strong>it</strong> der Zarathustra'schen<br />

Reformation beruht darauf, dass sie den Gegensatz wohlthätiger<br />

und verderblicher Kräfte in der Natur zu s<strong>it</strong>tlicher Bedeutung<br />

entwickelt, indem sie den Gegensatz nicht nur in der<br />

Aussenwelt, durch den Kampf der göttlichen Wesen veranlasst,<br />

beibehält, sondern die Gegensätzlichke<strong>it</strong> m<strong>it</strong> dem Menschen<br />

in engste Beziehung setzt, denselben nicht nur in die<br />

M<strong>it</strong>te <strong>des</strong> Kampfplatzes stellt, sondern ihn selbst zum Kampfobjecte<br />

macht. *<br />

Die guten und bösen Geister zusammenfassend, nannte<br />

Zarathustra das Oberhaupt der guten Geister Ahuramasda,<br />

Herr (Ormuzd), den Vieleswissenden, Grossesgewährenden,<br />

(nach Roth: „ewige -Weise"), häufig auch Qpentamainju den<br />

Heiliffeesinnten, im Gegensatz zum Oberhaupt der bösen Geister<br />

Angramainju (Ahriman), dem Uebelgesinnten. Ormuzd ist<br />

der Schöpfer und Herrscher der Welt. „Niemand hätte diese<br />

Erde schaffen können, wenn ich sie nicht geschaffen hätte." 2<br />

Er hat die Welt m<strong>it</strong> Lieblichke<strong>it</strong> ausgestattet und seine Reinhe<strong>it</strong><br />

in die Geschöpfe gelegt, darnm ruht in der Erde, in<br />

Bäumen, Gewässern eine heilige Kraft, welche der Mensch<br />

zu seiner Hülfe rufen kann. (So heisst es oft in den Jescl<strong>it</strong>.)<br />

Ueberall, wo Ormuzd Gutes gepflanzt hat, säet Ahriman das<br />

Arge, er ist der Urheber alles Uebels. 3 Dieser kommt m<strong>it</strong><br />

seinen Geisterscharen , welche die „Verletzer, Reinhe<strong>it</strong>sverwirrer,<br />

Quäler" heissen, aus den nördlichen Gegenden; die<br />

Scharen <strong>des</strong> Lichts hingegen sollen aus Osten kommen, um<br />

ihn und sein Reich zu vernichten.<br />

Wie der Bewohner <strong>des</strong> iranischen Lan<strong>des</strong> auf Thätigke<strong>it</strong><br />

und Kampf angewiesen war, wenn er sich seiner Existenz<br />

erfreuen wollte, so waren auch die iranischen Götter und<br />

Geister sowol vor als nach Zoroaster als thätige gefasst. Die<br />

guten förderten die Arbe<strong>it</strong> der Menschen und lohnten deren<br />

1<br />

Roth, Zur Gesch. d. Rclig., in Theulog. Jahrb., VIII, 1841).<br />

2<br />

Heisst es: Veudid., Färg., 1.<br />

3<br />

Fargard, 1, 22 u. a.


12Q Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Fleiss, die bösen waren stets beflissen, ihnen zu schaden. Die<br />

vor Zoroaster verehrten Dämonenkämpfer Qraosha und Verethraghna<br />

waren nach der Reformation auf directen Kampf<br />

gestellt; nach Zarathustra's Lehre ist der Kampf ein indirecter<br />

um den Menschen, um Leben und Tod, um Wohlsein oder<br />

Schaden <strong>des</strong> Menschen, und nach seinem Tode kämpfen die<br />

guten und bösen Mächte um seine Seele. 1<br />

Ein sicherer Fingerzeig, dass zwischen den Indern und<br />

Iraniern religiöse Feindschaft stattgefunden und wahrscheinlich<br />

nebst andern Ursachen zur Trennung der Stämme m<strong>it</strong>gewirkt<br />

habe, liegt darin: dass ausser dass einige Götter der<br />

alten gemeinschaftlichen arischen Religion zu den Dämonen<br />

herabgedrückt wurden, z. B. Indra, die Acvinen 2 , auch der<br />

Gattungsname Daeva, der ursprünglich die „Götter" bezeichnet<br />

hatte, bei den Iraniern die Bedeutung böser Geister<br />

erhielt.<br />

Diese Erscheinung zeigt sich auf dem Gebiete religiöser<br />

Anschauungen überall da, wo zwischen den betreffenden<br />

Völkern ein feindseliger Gegensatz platzgegriffen hat.<br />

Im Zendavesta, dem heiligen Urkundenbuche der Iranier<br />

(Perser), das allmählig und innerhalb eines we<strong>it</strong>en Ze<strong>it</strong>raums<br />

von Jahrhunderten entstanden und erst nach Zarathustra zum<br />

Abschluss gekommen ist, findet sich der Opferdienst schon<br />

mehr in den Hintergrund gedrängt. Haoma ist zum göttlichen<br />

Wesen erhoben, und das Gebet wird zur wesentlichsten Pflicht<br />

gemacht. Neben Ahuramasda wird auch der Sonnengott<br />

M<strong>it</strong>hra angerufen, Haoma als Gott, der das Leben erhält,<br />

Verethraghna, bei den alten Ariern ein Dämonenkämpfer wie<br />

Indra Vr<strong>it</strong>raghna, wird im Zendavesta als Gott gepriesen, der<br />

den Sieg verleiht und den Glanz der Könige erhöht 3 ; ebenso<br />

wird das Feuer als der beste Schutz gegen die Daeva gefeiert.<br />

Auch die kleinern Lichter <strong>des</strong> Himmels werden als wohlthätige<br />

Mächte gepriesen, wie auch das Wasser, das nach dem<br />

Gesetzbuch stets heilig zu halten und nicht zu verunreinigen<br />

ist, ebenso die Erde.<br />

Das Zendavesta stellt überdies noch ein Heer von Geistern<br />

'<br />

Veudidad VII, 132— 136; XIX, 90—100; Jescht Sade, 15, 18.<br />

2 Farg., 10, 19.<br />

J<br />

Jescht Behrara, 12.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Altertmims. 121<br />

als Jazada, „Verehrungswürdige", auf, die sich theils als<br />

Pcrsonificationen von Tugenden und moralischen Eigenschaften,<br />

theils als allegorische Figuren zu erkennen geben, z. B.<br />

Geister der Ze<strong>it</strong>, der Jahresze<strong>it</strong>en, der Monate u. s. w.<br />

Diese Schar von guten Geistern ist um Ahuramasda versammelt,<br />

das Heer der bösen Daeva um Angramainju. Die<br />

guten Geister walten im Lichte <strong>des</strong> Sonnenaufgangs, im<br />

Osten, im hellen Glänze <strong>des</strong> reinen Himmels, überall wo<br />

Leben, Fruchtbarke<strong>it</strong>, Wohlsein herrscht; die bösen herrschen<br />

im kalten Norden, im Westen, wo die Sonne untergeht, wo<br />

Stürme brausen, wo Finsterniss, Tod und Verderben ist.<br />

Besonders merkbar macht sich im Zendavesta der Geist <strong>des</strong><br />

kalten Winters Zemana 1 , Azis, der den Menschen das Leben<br />

und das Feuer zu rauben sucht 2 ,<br />

der Daeva Bushjankta, der<br />

zur Träghe<strong>it</strong> verführt 3 , Bu<strong>it</strong>i, der Daeva der Lüge. 4 Unter<br />

andern bösen Geistern lässt das Zendavesta auch den Indra<br />

erscheinen 5 , der von den Indern und Iraniern unter dem<br />

Namen Verethragna verehrt ward.<br />

Ausser den Daeva gibt es noch Drudscha und andere<br />

untergeordnete Arten von Unholden.<br />

Ahuramasda ist der Schöpfer <strong>des</strong> Guten, und seinen<br />

guten Geistern eignet das Licht, Leben, die reine That, die<br />

fruchtbare Erde, das erquickende Wasser, die glänzenden<br />

Metalle, die Bäume, die Weiden. Angramainju hingegen<br />

schafft das Böse, <strong>des</strong>sen Keim er in die guten Schöpfungen<br />

legt, er bringt den Winter, die H<strong>it</strong>ze, die Stürme, Krankhe<strong>it</strong>en,<br />

ist Urheber der Sünden, Ausschweifungen, wodurch<br />

das Leben Abbruch leidet, der Lüge, der Träghe<strong>it</strong>. Auch<br />

die Thiere theilen sich zwischen die guten und bösen Geister.<br />

Ahuramasda bringt die dem Menschen nützlichen Thiere hervor;<br />

Angramainju dagegen ist der Schöpfer der schädlichen,<br />

der giftigen Schlangen, der Raubthiere, aller, die in dunkeln<br />

Höhlen und Lochern wohnen, die dem Acker schaden, alles<br />

Ungeziefers. 6 Angramainju hat som<strong>it</strong> theil an der Schöpferi<br />

Vendidad IV, 139.<br />

* Vendidad XVIU, 45.<br />

s<br />

Vendidad XVIII, 38.<br />

* Vendidad XIX, G, 146.<br />

s<br />

Vendidad X, 17.<br />

6<br />

Vendidad XVIII.


122 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

kraft, ist nicht durch Selbstbestimmung böse geworden, sondern<br />

war von Anbeginn böse. „Aber", fragt Döllinger, „ist<br />

er von Anbeginn böse? Die parsisehe Lehre kennt keinen<br />

abstracten Dualismus; nach einer Stelle wäre sogar: „der gute<br />

wie der schlechte Geist von Ormuzd erschaffen" und immer<br />

wird Ahuramasda tief unter Ormuzd gesetzt; während jenem<br />

Allwissenhe<strong>it</strong> zukommt, hat Ahuramasda nur ein<br />

Nachwissen,<br />

d. h. er sieht die Wirkungen seiner Thaten nicht vorher".<br />

Wir sehen in dieser Ueberlegenhe<strong>it</strong> Ormuzd's denselben<br />

Trieb nach Einhe<strong>it</strong>, wie er sich in allen polytheistischen<br />

Religionen mehr oder weniger an den Tag legt. Dam<strong>it</strong> stimmt<br />

überein , was Döllinger aus einer Pehlvi-Handschrift eines parsischen<br />

Lehrbüchleins anführt: „Es war eine Ze<strong>it</strong>, da er<br />

nicht war (nämlich Ahuramasda); es wird eine Ze<strong>it</strong> sein, da<br />

er nicht sein wird in den Geschöpfen Ormuzd's, und am Ende<br />

wird er verschwinden." x Soll man diese Stelle nicht eine<br />

prophetische nennen, zu vergleichen jenem Ausspruch der<br />

hebräischen Propheten vom messianischen Reiche? 2 — Was<br />

Zervan-Akarana, die ungeschaffene Ze<strong>it</strong>, das Eine Urwesen<br />

betrifft, von welchem Ormuzd und Ahriman erst hervorgebracht<br />

worden ist, wird dies als eine durch Anquetirs<br />

Misverständniss in die Ze<strong>it</strong>schriften hineingetragene Meinung 3<br />

erklärt. Könnte man es nicht für eine spätere speculative<br />

Zurückle<strong>it</strong>ung auf die Einhe<strong>it</strong> betrachten, die allerdings dem<br />

Volksbewusstsein fern gelegen? Dam<strong>it</strong> stimmt überein, dass<br />

in<br />

den altem Theilen <strong>des</strong> Zend Zervan nirgends über Ormuzd<br />

gesetzt wird, dass, wie auch Döllinger behauptet, Zervan ein<br />

der altiranischen Lehre ursprünglich frem<strong>des</strong> Wesen ist.<br />

Gemäss dieser Anschauung von thätigen Gotthe<strong>it</strong>en und<br />

Geistern bestimmt sich die s<strong>it</strong>tliche Aufgabe <strong>des</strong> Menschen<br />

dahin, im Guten thätig zu sein durch Abwehr der Macht <strong>des</strong><br />

Angramainju und seiner Geister, die nur da eingreifen, wo<br />

der Mensch die heiligen Gesetze aus dem Auo;e lässt. Das<br />

Gesetz Ahuramasda's bietet die M<strong>it</strong>tel gegen die Gewalt Angramainju's.<br />

Die Daeva walten, wo der Tod herrscht, also muss<br />

der Mensch sein und anderer Leben zu fördern trachten da-<br />

1<br />

2<br />

J. Müller iu den Müncliener Gel. Anzeigen, XX, 541.<br />

Vgl. Döllinger, Heidenth. und Judenth., 357 fg.<br />

3<br />

Vgl. Joh. Müller, Spiegel, Roth, Brockhaus, Ilaug.


•<br />

4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 123<br />

durch, dass er den Acker bebaut, den Boden urbar macht,<br />

Viehzucht treibt, schädliche Thiere vertilgt. 1 Da schlechte<br />

Thaten auf der Wirksamke<strong>it</strong> Angramainju's beruhen, so wird<br />

<strong>des</strong>sen Macht vermindert durch gute Handlungen. Ahuramasda<br />

und seine Geister werden als die Reinen gepriesen,<br />

jener ist die Reinhe<strong>it</strong> selbst 2 ; demnach ist Reinerhaltung eine<br />

der vornehmsten Pflichten. Unrein ist aber alles, was dem<br />

Leben <strong>des</strong> Leibes und der Seele hinderlich ist, als: Unrath,<br />

Todtes, das den Däva angehört; auch Unzucht, Faulhe<strong>it</strong>,<br />

Lüge, Verleumdung gelten für Verunreinigung der reingeschaffenen<br />

Menschenseele. Die Reinhaltung wird durch eine<br />

Menge von Vorschriften geboten und die Reinigungen sind<br />

bis<br />

zur Aengstlichke<strong>it</strong> detaillirt.<br />

Beim Vergleich <strong>des</strong> gegensätzlichen Dualismus zwischen<br />

der indischen Religionsanschauung und der Zendreligion<br />

springt der Unterschied in die Augen. Während in jener<br />

der Gegensatz von Leib und Seele, Geist und Materie aufgestellt<br />

wird, der Leib als das Unreine gilt, demnach die<br />

Zerarbe<strong>it</strong>ung und Vernichtung <strong>des</strong>selben angestrebt werden<br />

soll, hat sich der Zendmensch gegen die schlimme Se<strong>it</strong>e der<br />

Natur als von bösen Geistern herrührend zu wehren, die gute<br />

Se<strong>it</strong>e hingegen soll von ihm gefördert werden, um eines gesunden<br />

Lebens sich zu erfreuen. Der Brahmaanbeter stellt<br />

sich die Aufgabe, sich selbst zu vernichten, der Ormuzddiener<br />

hingegen sich zu behaupten. 3<br />

1<br />

Vendidad XIV,- 9—18; XII, 65-71 u. a.<br />

2<br />

Vendidad X, 35—37.<br />

3<br />

Da Iran , auch nach dem Schachnameh zu urtheilen , lange Jahre<br />

unter assyrischer Oberhohe<strong>it</strong> stand, so findet es Kruger natürlich, dass<br />

auch sein Glaube kein anderer war als die assyrische Reichsreligion, in<br />

der Darstellung <strong>des</strong> Firdusi trete ferner noch das sabäische Element<br />

mächtig hervor. (Jak. Kruger, Gesch. d. Assyrer und Iranier vom 13.<br />

bis 5. Jahrh. v. Chr., 51.) Auch Spiegel macht auf etliche sem<strong>it</strong>ische Elemente<br />

im zoroastrischen Glauben aufmerksam , hält sie aber für später<br />

eingedrungen. (Zend-Avesta, Leipzig 1852, S. 269. Erster Exkurs : Ueber<br />

die Einwirkung sem<strong>it</strong>. Religionen auf die altpersische Religion.) Spiegel<br />

führt eine Stelle eines persischen Autors an: „Nachdem Zerduscht die<br />

sabäische Religion abgeschafft und den Feuerdienst eingeführt hatte, verfasste<br />

er das Buch Avesta." Spiegel erklärt diese Stelle für ein Zeugniss<br />

fremder Einmischung in die Religion Zoroasters; Kruger dagegen für<br />

ein Zeugniss der Entstehung der letztern aus dem Sabäismus und weist


124 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Griechen.<br />

Die griechische Halbinsel, von den Gebirgszügen <strong>des</strong><br />

Hämus herab bis zum M<strong>it</strong>telmeere sich erstreckend, ist ganz<br />

geeignet, die Cnltnr Asiens m<strong>it</strong> Europa zn verm<strong>it</strong>teln. Die<br />

hellespontische Meerenge, der Archipelag, die Inselreihe gegen<br />

Westen bilden eine Brücke znr We<strong>it</strong>erforderung <strong>des</strong> Ueberkommenen.<br />

Die überallhin verzweigten Berge, die das Land<br />

bedecken, waren zwar einer Vereinigung der Bewohner zu<br />

einem fcstgeschlossenen Ganzen hinderlich; dagegen musste<br />

die individuelle Ausbildung in den abgegrenzten Gebirgsauen<br />

um so ungestörter gedeihen. Die Nähe <strong>des</strong> Meeres half<br />

dem zu Lande gehemmten Verkehre, reizte zu Schiffahrt und<br />

Handel, schützte vor Erstarrung, und von den Höhen erhielt<br />

der Hellene die kräftigende Bergluft. Die grösste Mannigfaltigke<strong>it</strong><br />

herrscht sowol in der Formirung der Oberfläche <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong> als in der Uferbildung. Dort der verschiedene Anblick<br />

von Alpenlandschaften m<strong>it</strong> schneebedeckten Gipfeln, abwechselnd<br />

m<strong>it</strong> M<strong>it</strong>telgebirgen, Laubwälder m<strong>it</strong> Wiesengründen,<br />

hohe Felsenrücken sich erhebend aus Niederungen, die m<strong>it</strong><br />

Oliven und Lorberen bedeckt sind, und wieder kahle, wasserarme<br />

Landschaften, zahllose Buchten, fruchtbare Thäler, schattige<br />

Wälder. Ebenso mannigfaltig ist das Klima <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>.<br />

auf eine schriftliche Quelle vorzoroastrischer oder assyrischer Religion<br />

hin, die bisher beise<strong>it</strong>e geblieben. Est ist der Dabistan <strong>des</strong> Scheikh<br />

Mohammed-Jani oder Mohsan-Jani, aus dem 17. Jahrhundert stammend,<br />

im Anfang unsers Jahrhunderts nach Europa gebracht. Der Verfasser,<br />

ein Mohammedaner aus Kaschmir, beschäftigte sich m<strong>it</strong> dem Studium<br />

aller bekannten Glaubensbekenntnisse und legte das Resultat in<br />

seinem Werke nieder. Das erste Buch handelt von der ältesten ihm bekannten<br />

Sekte, den Jezdianen oder Huschianen, die den Zoroaster<br />

nicht als Propheten, sondern nur als Reformator anerkennen, bis auf die<br />

Ze<strong>it</strong>en der Araber m<strong>it</strong>ten unter den Dienern der Feuerreligion ihr vorzoroastrisches<br />

Gesetz bewahrten, von Persern und Mohammedanern verfolgt<br />

nach Indien auswanderten, sich dort in der Stille erhielten und eine<br />

eigene L<strong>it</strong>eratur erzeugten, aus der Mohsan das Wesentliche m<strong>it</strong>theilt.<br />

Kruger gebraucht diese Schrift zur Unterstützung seiner obenerwähnten<br />

Ansicht; uns hingegen liefert sie einen Beweis mehr für die Annahme<br />

eines durchgängigen Dualismus, der auch bei den Jezdianen stattfindet.<br />

Diese erweisen dem bösen Wesen oder Sche<strong>it</strong>an sogar eine so hohe Achtung,<br />

dass sie die blose Nennung seines Namens für die verwegenste Handlung<br />

halten.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 125<br />

Die Rauhe<strong>it</strong> Huf den Höhen mildert sich nach der Senkung<br />

und Richtung der Berge bis zu jener Wärme, in welcher die<br />

Olive, Feige, Traube zur Reife gelangt, und die H<strong>it</strong>ze an der<br />

Ostküste wird wieder vom Seewinde gekühlt. Den im Sommer<br />

fehlenden Regen ersetzt der Herbst und der Frühling in<br />

reichlichem Masse. Der Boden, obschon fruchtbar, erheischte<br />

doch einen fleissigen Anbau, und die nothige Arbe<strong>it</strong> schützte<br />

den Hellenen unter dem milden Himmel vor Erschlaffung und<br />

üppiger Sinnlichke<strong>it</strong>. In einem Lande ohne die schroffe<br />

Gegensätzlichke<strong>it</strong> von nordischer und tropischer Zone, konnte<br />

sich in den Bewohnern Phantasie, Gefühl und Verstand wol<br />

harmonisch entwickeln. Daher wird es erklärlich, dass die<br />

schneidenden Gegensätze in der religiösen Anschauung der<br />

Arier, welche die Hellenen aus ihrer arischen Heimat m<strong>it</strong>brachten,<br />

in der Erinnerung allmählich verwischt wurden, und<br />

der griechische Genius, seiner künstlerischen Natur gemäss,<br />

auch fremde Vorstellungen, die durch Ansiedelungen von<br />

Aegyptern und Phöniziern in seinen Kreis kamen, um- und<br />

durchbildete, indem er aus speculativen Begriffen religiöse<br />

Kunstgebilde schuf und die Ideen zu schönen, lebensvollen<br />

Individual<strong>it</strong>äten verkörperte. So wurde die griechische Götterwelt<br />

zu einem Kunstwerke <strong>des</strong> künstlerischen Genius von<br />

Hellas, die ungeheuerlichen Personificationen <strong>des</strong> Orients erscheinen<br />

vermenschlicht, der Mensch wird idealisirt zum<br />

Göttlichen, der Himmel ist verirdischt und die Erde verhimmelt,<br />

die physische und menschliche Natur wird durchgöttert<br />

und der Hellene stellt in seiner Gotthe<strong>it</strong> die idealisirt<br />

schöne menschliche Individual<strong>it</strong>ät dar.<br />

Die Sprachwissenschaft hat schon längst den Beweis geliefert,<br />

dass die Griechen Verwandte der Arier sind, und die<br />

Religionswissenschaft gelangt zu derselben Ansicht. Von der<br />

Trennung <strong>des</strong> hellenischen Zweiges vom arischen Urstamme<br />

haben die Griechen selbst keine Erinnerung aufbewahrt, sie<br />

erzählen nur von einem goldenen und silbernen Ze<strong>it</strong>alter, auf<br />

welches ein dr<strong>it</strong>tes Geschlecht folgte, das sich in beständigem<br />

Kampfe aufgerieben, worauf das Ze<strong>it</strong>alter der Helden, der<br />

Kämpfer vor Theben, vor Ilion, gefolgt sei. Die historische<br />

Trad<strong>it</strong>ion der Griechen beginnt m<strong>it</strong> Pelasgos,<br />

welchen Homer l<br />

1<br />

Ilias Iß, 324.


12(3 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

m<strong>it</strong> dem Hciligthume zu Dodona in Verbindung stellt, und<br />

dies erscheint als der älteste M<strong>it</strong>telpunkt der Religion. x Hier<br />

wird der Gott <strong>des</strong> Himmels verehrt, <strong>des</strong>sen Willen man im<br />

Rauschen <strong>des</strong> Win<strong>des</strong> in den Zweigen der heiligen Eiche<br />

vernahm. Er sammelt die Wetterwolken und führt den Beinamen<br />

Naios, der Regner. Ausserdem wird zu Dodona die<br />

fruchtbringende Erde verehrt. Dodona weist auf die ersten<br />

Anfänge hellenischen Lebens in der pelasgischen, d. h. jener<br />

ältesten Ze<strong>it</strong> auf der Halbinsel, hin, und die Religion gibt<br />

sich als Naturreligion zu erkennen. Die älteste Form religiöser<br />

Anschauung der Griechen beruht also auf der m<strong>it</strong> den<br />

Ariern am Indus gemeinsamen Grundlage. Der helle Himmel,<br />

das Licht, die Winde, Wolken werden verschiedenartig personificirt,<br />

und als freundliche Mächte angeschaut. Die empfundene<br />

Wirkung setzt der Grieche in göttliche Wirksamke<strong>it</strong><br />

um und schaut in der Natur Götter und Gestalten.<br />

Obschon in Griechenland in klimatischer und geographischer<br />

Beziehung wie auch in<br />

der religiösen Anschauung keine<br />

schroffe Gegensätzlichke<strong>it</strong> auftr<strong>it</strong>t, daher auch der Dualismus<br />

von guten und bösen Wesen weniger scharf ausgeprägt erscheint,<br />

so ist dieser doch nicht gänzlich verwischt, und Zeus<br />

schleudert Donner und Bl<strong>it</strong>z, kämpft m<strong>it</strong> Dämonen <strong>des</strong> Dunkels<br />

der Nacht. Aber der Kampf ist nach den Homerischen<br />

Gesängen ein längst vergangener, die Dämonen Japetos, Kronos<br />

sind überwunden und an die äussersten Grenzen der Erde<br />

oder in den Tartaros gebannt. 2 Auch die Giganten, die Riesen<br />

der dunkeln Region, wo die Sonne untergeht, sind bei Homer<br />

schon besiegt. 3 Die Göttin <strong>des</strong> blauen Himmels , die „helläugige<br />

Pallas", besteht ihre Kämpfe m<strong>it</strong> den finstern Dämonen,<br />

sie überwindet die Unholdin <strong>des</strong> Dunkels, Gorgo, lässt<br />

hierauf den Gew<strong>it</strong>terregen herabfallen und den Himmel wieder<br />

in klarer Bläue leuchten. So ist Pallas eine befruchtende<br />

Göttin und zugleich Göttin <strong>des</strong> Siegs. In Athen stre<strong>it</strong>et<br />

diese Göttin <strong>des</strong> himmlischen Wassers m<strong>it</strong> Poseidon, dem<br />

Gott <strong>des</strong> irdischen Wassers, und behauptet den Vorrang, da<br />

Attika mehr auf die Bewässerung durch Regen und Thau<br />

als<br />

auf Fluss- und Quellenbewässerung angewiesen war.<br />

1<br />

Vgl. 1 Mos. 10, 4.<br />

2<br />

Ilias 14, 274. 278; 8, 478; 15, 224; vgl. Hesiod., Theog., 625.<br />

3<br />

Odyss. 7, 58; 10, 113. 129.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 127<br />

Apollon, m<strong>it</strong> dem ältesten Beinamen Lykeios, gibt sich<br />

als Lichtgott zu erkennen, dass er als Kämpfer gegen die Dämonen<br />

der Finsterniss, der Nacht auftr<strong>it</strong>t. In der Perseussage<br />

hat Hesiod eine alte Auffassung solcher Kämpfe <strong>des</strong><br />

Lichtgottes aufbewahrt, wo aber Perseus, der Vernichter der<br />

Unholde, den Apollon vertr<strong>it</strong>t. Der Lichtgott haut nicht nur<br />

der Gorgo Medusa den Kopf ab, woraus das geflügelte Wolkenpferd<br />

Pegasus entspringt, er tödtet auch den finstern Drachen<br />

am Parnassus, die dunkeln Dämpfe, die aus der Schlucht <strong>des</strong><br />

Gebirges aufsteigen. Der Lichtgott ' überwältigt das stürmische<br />

Meer und verjagt die dunkeln Geister, wo die Lichtstrahlen<br />

auf dasselbe fallen. Die Lichtstrahlen sind die Pfeile,<br />

die der siegreiche Apollon von seinem Bogen gegen die Ungethüme<br />

der Finsterniss abschiesst.<br />

Da von dem Lichtgotte das Reifen der Saaten abhängt,<br />

so wird Appollon in den ackerbautreibenden Gegenden als<br />

Erntegott gefeiert.<br />

In der Anschauung der Griechen von der Entstehung<br />

der Dinge und dem Ursprünge der Götter findet sich der<br />

Dualismus von guten und bösen "Wesen erhalten; jedoch<br />

treten die dunkeln Mächte und übelthätigen Gotthe<strong>it</strong>en,<br />

welche<br />

bei den Ariern im fortdauernden Kampfe m<strong>it</strong>einander begriffen<br />

waren, in der Kosmogonie und Theogonie der Griechen nur<br />

in der Erinnerung auf und es bildete sich die Vorstelluno-,<br />

dass die übelthätigen Wesen vor den wohlthätigen die Herrschaft<br />

in der Welt gehabt hätten, sodass die bösen als Väter<br />

der guten Götter erschienen. Diese Auffassung liegt in der<br />

Kosmogonie der Homerischen Gedichte vor. Okeanos, der<br />

grosse Strom, der die Welt umgibt, erzeugt die Götter und<br />

ist der Urquell aller Dinge überhaupt. Seine weibliche Se<strong>it</strong>e<br />

ist Thetys. * Aus dem dunkeln Schos der Gäa (Erde) gehen<br />

die finstern Mächte Japetos, Kronos, Rheia und die übrigen<br />

T<strong>it</strong>anen hervor. Der finstere Kronos, als schädliche Macht<br />

betrachtet, daher ihn die Griechen im Moloch der Phönizier<br />

erkannten 2 ,<br />

und die Rheia erzeugen den lichten Zeus , den<br />

Poseidon, den Gott <strong>des</strong> Wassers, und Hera, die Göttin <strong>des</strong><br />

Sternenhimmels. Zeus, der lichte Gott, stösst seinen finstern<br />

1<br />

Ilias 14, 200 fg. ; 21, 193 fg.<br />

2<br />

Duncker, III, 300, Anm. 3.


128 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Vater Kronos, sammt den übrigen Wesen der Dunkelhe<strong>it</strong>,<br />

vom Himmel in das Reich der Finsterniss hinab und bannt<br />

sie we<strong>it</strong> unter den Ha<strong>des</strong> in den Tartaros. l Auch Okeanos<br />

muss sich vor dem Bl<strong>it</strong>zstrahl <strong>des</strong> Zeus fürchten 2 ,<br />

und die<br />

dunkeln Geister <strong>des</strong> Westens, wo die Sonne untergeht, die<br />

Giganten, werden vertilgt. Die riesigen Söhne der Erde, die<br />

den Pelion auf den Ossa gehoben, um den lichten Himmel<br />

zu erreichen und ihn zu verdunkeln, werden von den Pfeilen<br />

<strong>des</strong> Lichtgottes Apollon getroffen. 3<br />

Jn diesem Kampfe der lichten Götter m<strong>it</strong> den T<strong>it</strong>anen<br />

und Giganten wird man an die Kämpfe <strong>des</strong> indischen Vr<strong>it</strong>raghna<br />

und <strong>des</strong> iranischen Veretraghna m<strong>it</strong> den bösen Geistern<br />

der Finsterniss erinnert. Wie hier Naturmächte personificirt<br />

auftreten, so auch dort in den kämpfenden Gestalten der griechischen<br />

Anschauung, nur dass die Kämpfe als längstgekämpfte<br />

dargestellt sind und die Göttergestalten zu Trägern<br />

ethischer Mächte erhoben werden, von denen sich die Griechen<br />

zu jener Ze<strong>it</strong> bewegt fühlten. Die Naturbedeutung<br />

erscheint sonach m<strong>it</strong> der ethischen ineinandergesetzt. Eben<br />

darum, weil die unterste und älteste Grundlage der religiösen<br />

Vorstellungen der Griechen auf Naturanschauung gestellt<br />

ist und die Gestalt der Götter m<strong>it</strong> dem sinnlichen Eindruck<br />

in Beziehung steht, kann es nicht befremden, dass manche<br />

Gotthe<strong>it</strong>en den Dualismus an sich tragen, und von der einen<br />

Se<strong>it</strong>e als wohlthätige erscheinen, andererse<strong>it</strong>s als Urheber <strong>des</strong><br />

Uebels sich zeigen, oder durch ihre Abstammung dam<strong>it</strong> in<br />

Zusammenhang; gebracht sind. So erscheinen die T<strong>it</strong>anen als<br />

weltbildende Mächte und zugleich als Urheber <strong>des</strong> Hasses<br />

und der Zwietracht in der Welt, indem sie zuerst gegen<br />

ihren eigenen Vater und dann gegen Zeus sich empören. In<br />

den ältesten Dichtungen wird die Bedeutung <strong>des</strong> Wiederspruchs<br />

und <strong>des</strong> Kampfes gegen die bestehende Ordnung der<br />

Dinge besonders hervorgehoben. 4<br />

In dem vielfach<br />

verschlungenen Artemis-Mythus wird die<br />

Göttin bald m<strong>it</strong> der keuschen Selene verschmolzen, bald erscheint<br />

sie m<strong>it</strong> der furchtbaren Hekate identificirt.<br />

1<br />

2<br />

Ilias 8, 13. 479.<br />

Ilias 21, 199.<br />

3<br />

Odyss. 11, 315.<br />

'<br />

Ilias 8, 13 fg., 478 fg.; 14, 200 fg.; 15, 224.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 129<br />

Kronos, <strong>des</strong>sen Cult im Sinne der heisseh Jahresze<strong>it</strong> imd<br />

der Ernte in Griechenland we<strong>it</strong> verbre<strong>it</strong>et war, ist als Erntegott<br />

zugleich Herrscher <strong>des</strong> goldenen Ze<strong>it</strong>alters, wo nichts<br />

als Reife und Ernte war. l Als Gott der Reife ist er aber<br />

auch der Gott der reifenden Ze<strong>it</strong> selbst, der schleichenden<br />

und plötzlich abschneidenden, und von dieser Se<strong>it</strong>e ist er als<br />

böse Macht gefasst.<br />

zerstörende,<br />

Der Tartaros, in der altern Mythologie als atisserweltliches,<br />

tief unter der Erde und dem Meere befindliches T<strong>it</strong>anengefängniss<br />

, wohin die abgesetzten und überwundenen<br />

Götter einer vergangenen Weltordnung Verstössen sind, steht<br />

im Gegensatz zum Himmel und dem Olympos, wo die herrschenden<br />

Götter he<strong>it</strong>er leben. Die T<strong>it</strong>anen werden aber häufig<br />

m<strong>it</strong> sinnverwandten Unholden, den Repräsentanten ungeregelter<br />

Naturkräfte, in eins verschmolzen, z. B. m<strong>it</strong> Typhon, und<br />

so können die T<strong>it</strong>anen als böse Mächte erscheinen^<br />

Im Zusammenhang dam<strong>it</strong> steht die Ansicht <strong>des</strong> Alterthums<br />

über die Ursachen von vulkanischen Naturumwälzungen,<br />

wonach die gasartigen Dämpfe, die das Innere der Erde erfüllen,<br />

nach auswärts drängen und, wo sie keinen Ausgang<br />

finden, diesen m<strong>it</strong> Gewalt erzwingen. Der allgemeine mythologische<br />

Ausdruck für solche Dämpfe und ihre zerstörenden<br />

Wirkungen ist Typhon, daher er späterhin überall hausend<br />

gedacht wurde, wo der Boden vulkanische Wirkungen nachwies.<br />

Sein Name wird von xv!po, hauchen, blasen, abgele<strong>it</strong>et 2 ,<br />

besonders vom warmen Hauche, die jüngste Form ist<br />

T\)


130 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

als Sturmwind gedacht die Göttin <strong>des</strong> Wolkendunkels ebenso<br />

gut zur Mutter haben könne wie die Erde. Nach Diestel \<br />

der Welcker folgt 2 , hat vielmehr Hera die Bedeutung der<br />

Erde als olympische Reproduction der Gäa, und zum Tartaros<br />

stehe Typhon nur darum in Beziehung, weil er unter der<br />

Erde sein Wesen treibt. Seine Natur sei durch und durch<br />

vulkanisch, worauf sich die Schilderungen bei Hesiod 3 ,<br />

Pindar,<br />

Aeschylos und den Spätem beziehen. „Er liegt unter<br />

grossen Bergen v<br />

welche Feuer speien, überall in solchen Gegenden,<br />

die durch Erdbeben zu leiden haben. Das mannichfache<br />

Getöse, das bald wie Löwengebrüll, wie Hundegeheul,<br />

wie ein schrilles Pfeifen klingt und vulkanische Eruptionen<br />

begle<strong>it</strong>et, kennzeichnet ihn. Die Eruption selbst ist ein Kampf<br />

<strong>des</strong> Himmels (Zeus) m<strong>it</strong> diesen irdischen Mächten, von beiden<br />

Se<strong>it</strong>en wird m<strong>it</strong> Donner und Bl<strong>it</strong>z (daher die Schlangenhäupter)<br />

gekämpft; aus seinem ganzen Körper scheint das<br />

Feuer auszugehen. Die Berge schmelzen wie Zinn-Geschmolzenes,<br />

so schildert Hesiod die Lavaströme. Daher konnte<br />

Typhoeus auch den Namen rop9vp£ov erhalten. Erst viel später<br />

ist<br />

diese Naturbasis mehr zurückgetreten und die Vorstellung<br />

einer ungebändigten Oppos<strong>it</strong>ion gegen den Weltenlenker als<br />

geistiger Niederschlag." Von Typhon stammen die den Seefahrern<br />

verderblichen Winde ab, die ihre Schiffe zerschellen. 4<br />

Endlich vermengte sich<br />

die Vorstellung von Typhon m<strong>it</strong> der<br />

schädlichen Se<strong>it</strong>e der T<strong>it</strong>anen und wurde Repräsentant <strong>des</strong><br />

Wilden, Unbändigen, der rohen Naturkräfte. M<strong>it</strong> der schrecklichen<br />

Echidna, einem Ungeheuer, halb Jungfrau m<strong>it</strong> schwarzen<br />

Augen, grässlich und blutgierig, in einer Höhle hausend,<br />

zeugt er den mehrköpfigen Orthus, den Cerberus, die Lernäische<br />

Hydra, die Chimäre, die Sphinx, den nemeischen<br />

Löwen. 5<br />

Als Vater von allen mythischen Ungethümen, welche auf<br />

und unter der Erde das menschliche Geschlecht bedrohen,<br />

bis ihnen Herakles ein Ende macht, steht er im feindlichen<br />

1<br />

Abhandlung über Typhon, S. 191.<br />

Mythologie, I, 362 fg.<br />

2<br />

3<br />

Theog., 820-868.<br />

4<br />

Hesiod, Thcog., 869.<br />

6 Hesiod, Theog., 295 fg.; Apollodor, II, 5. 11; III, 5. 8.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 131<br />

Gegensatz zur obersten ordnenden, die Menschen segnenden<br />

Gotthe<strong>it</strong>, Zeus, der ihn am Ende m<strong>it</strong> seinem Bl<strong>it</strong>zstrahle<br />

aufs Haupt trifft und in den Tartaros wirft, von wo er nunmehr<br />

nur noch ze<strong>it</strong>weise verderbliche Wirkungen auf die<br />

Oberwelt sendet, während, wenn er als Sieger aus dem die<br />

Welt bis in den tiefsten Grund erschütternden Kampfe hervorgegangen<br />

wäre, er sich der Herrschaft über Götter und Menschen<br />

bemächtigt haben würde.<br />

Der Schluss dieses Kampfs, wie der T<strong>it</strong>anomachie und<br />

Gigantomachie, erklärt sich der natürlichen Bedeutung nach<br />

dahin: dass aus der ordnungslosen Wirksamke<strong>it</strong> der Naturmächte<br />

in ihrer Unbändigke<strong>it</strong> das schöngeordnete Leben hervorgeht;<br />

nach der ethischen Se<strong>it</strong>e: der vergebliche Aufwand<br />

der rohen Gewalt gegenüber dem göttlichen Regiment <strong>des</strong><br />

Olympiers.<br />

Der Dualismus, der in<br />

diesen Kämpfen zur Feindseligke<strong>it</strong><br />

gesteigert ist, tr<strong>it</strong>t auch an den einzelnen Gotthe<strong>it</strong>en auf,<br />

deren Grundlage auf Naturbedeutung zurückweist. Die Götter<br />

der Griechen haben eine doppelte Se<strong>it</strong>e, eine milde und<br />

eine furchtbare, obschon letztere in der Anschauung <strong>des</strong><br />

Volks mehr zurücktr<strong>it</strong>t und die ethische Bedeutung sich vorschiebt.<br />

Die dualistische Se<strong>it</strong>e lässt sich an den Hauptgotthe<strong>it</strong>en<br />

deutlich wahrnehmen.<br />

Zeus, der Gott schlechthin, ist der Gott <strong>des</strong> Himmels,<br />

auf den höchsten Bergen verehrt, wo er im Lichtglanze thront.<br />

Er sammelt Wolken, schleudert aber auch Bl<strong>it</strong>ze, er ist der<br />

segnende, aber auch der schreckliche Himmelsgott. Leicht<br />

erkenntlich ist die Naturbedeutung, wonach der W<strong>it</strong>terunffsprocess<br />

dargestellt ist. Da die Erscheinung und Macht <strong>des</strong><br />

Bl<strong>it</strong>zes das Gemüth eines Volks ergreifen muss, ist diese<br />

Se<strong>it</strong>e in den Mythen gewöhnlich mehr hervorgehoben. Die<br />

schreckliche Se<strong>it</strong>e kehrt Zeus besonders als Zeus [xat-jjLaxTr^,<br />

als zürnender Zeus heraus. Dieser Se<strong>it</strong>e entsprechen auch<br />

die Menschenopfer, die dem lykäischen Zeus in Arkadien fielen.<br />

1 Der entwickeltere humane Sinn war aber darauf bedacht,<br />

solche Barbareien zu bese<strong>it</strong>igen, und brachte daher<br />

Gebräuche auf, die nur mehr die Erinnerung daran aufbewahrten,<br />

abgesehen davon, dass solche Greuel ursprünglich<br />

Hermann, Gottesdienstliche Alterthümer, 827.


132 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

aus der Fremde eingeschlichen waren, die durch das erstarkte<br />

hellenische Gefühl ausgetilgt wurden.<br />

Hera, als älteste Schwester und Gemahlin <strong>des</strong> Zeus und<br />

Himmelskönigin, stellt die weibliche Se<strong>it</strong>e <strong>des</strong> Himmels dar,<br />

die Luft, das weibliche Fruchtbare der Elementarkraft. Sie<br />

ist lieblich, die Erde befruchtend, stiftet und behütet unter<br />

den Menschen die Ehe; allein sie ist auch in den ehelichen<br />

Zerwürfnissen m<strong>it</strong> Zeus als finstere, furchtbare, verderbliche<br />

Göttin dargestellt. Obschon ihre vornehmliche Bedeutung<br />

die himmlische Herrschaft neben Zeus und das weibliche eheliche<br />

Leben bleibt, so verhilft doch die Naturbedeutung beider<br />

Gotthe<strong>it</strong>en zur Erklärung der ehelichen Zänkereien zwischen<br />

ihnen, von welchen die Mythen viel zu erzählen haben. In<br />

dem Lande der Griechen, wo die Gebirge meistens enge Thäler<br />

bilden, bei der Nähe <strong>des</strong> Meeres und der feinen Atmosphäre,<br />

entstehen liegen, Sturm und andere Lufterscheinungen<br />

gewöhnlich plötzlich m<strong>it</strong> gewaltsamem Auftreten. Das Bild<br />

<strong>des</strong> ehelichen Verhältnisses ist vom griechischen Himmel hergenommen,<br />

und in dieser Beziehung erklären sich die bekannten<br />

ehelichen Scenen, wie sie die Ilias erzählt und in der<br />

Heraklessage der Stre<strong>it</strong><br />

der beiden Himmelsmächte allegorisch<br />

dargestellt wird. In diesem Sinne fährt Zeus p.ai{j.axi:7)C<br />

im Sturme und in Wetterwolken einher, geiselt die Luft und<br />

wirft m<strong>it</strong> Feuerstrahlen um sich; Hera verbindet sich m<strong>it</strong> den<br />

finstern Mächten der Tiefe, um weltverderbliche Wesen zu<br />

erzeugen *, sodass sie sogar den Typhon von den T<strong>it</strong>anen<br />

empfangen und gebären kann. 2 Hera erscheint demnach als<br />

verderbliche<br />

Sturmgöttin, und als Mutter <strong>des</strong> Ares nimmt sie<br />

eifrig theil am wilden Kriege, wo sie m<strong>it</strong> solcher Wuth gegen<br />

die Trojaner erfüllt ist, dass sie, nach der Aussage ihres Gemahls,<br />

dieselben am liebsten m<strong>it</strong> Haut und Haar auffrässe. 3<br />

Hephästos, der Gott <strong>des</strong> Feuers, dieses sowol als Elementarmacht<br />

in der Natur wirkend als auch formbildend,<br />

also das Princip der Kunst, ist der Sohn <strong>des</strong> Zeus und der<br />

Hera, obschon aus dem Stre<strong>it</strong>e zwischen beiden hervorgegangen.<br />

4 Die civilisatorische Bedeutung in Hephästos ist zwar<br />

1<br />

Ilias, 8, 478 fg. ; 14, 270 fg.<br />

2<br />

Apollodor, 127 fg.<br />

3<br />

Ilias 4, 35; 5, 711 fg.; 8, 350 fg.<br />

4<br />

Hesiod, Theog., 927.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 133<br />

die überwiegende, er erscheint aber doch auch als zerstörende<br />

Macht der Vulkane * und stre<strong>it</strong>et m<strong>it</strong> Dionysos um Naxos,<br />

und m<strong>it</strong> Demeter um Sicilien. Nach dieser Se<strong>it</strong>e hat Hephästos<br />

einen dämonischen Anstrich, daher verbindet sich auch<br />

m<strong>it</strong> seinen Kunstwerken eine gewisse Art List und Tücke 2 ,<br />

wie sich an die Metallurgie in den Sagen gewöhnlich etwas<br />

Dämonisches anknüpft, weswegen die Berg- und Schmiedegeister,<br />

die Korybanten, die idäischen Daktylen,<br />

die rhodischen<br />

Teichinen, obschon grosse Künstler, doch auch als schlimme<br />

Kobolde gedacht werden.<br />

In Athena verschmilzt Zeus und Hera gewissermassen<br />

in Eins, in ihr verehrt der Grieche den reinen, klaren Himmel,<br />

den Aether, als höchste Naturmacht und charakterisirt<br />

diese Naturbedeutung durch Athena's Jungfräulichke<strong>it</strong>. Sie<br />

ist lieblich, bodenbefruchtend, Menschengeschlechter erziehend,<br />

und in ihrer ätherischen Reinhe<strong>it</strong> wird sie die Göttin <strong>des</strong><br />

Sinnens, <strong>des</strong> künstlerischen Erfindens. In den auf ihren Ursprung<br />

bezüglichen Mythen, in welchen kosmogonische Ideen<br />

niedergelegt sind, erscheint sie aber als gewaltige Himmelsmacht,<br />

über Wolken, Bl<strong>it</strong>z, Sonne und Mond gebietend, in<br />

furchtbarer Majestät einherfahrend.<br />

Der unfreundlichen Se<strong>it</strong>e<br />

ihrer Naturbedeutung entsprechend, erscheint sie als Kriegsgöttin,<br />

und in diesem Sinne, der besonders in der altern<br />

Ze<strong>it</strong> mehr hervorgehoben worden, kommt bei den Palladien<br />

die Lanze öfter vor als der Spinnrocken.<br />

Auch Apollo n vereinigt einen gegensätzlichen Dualismus<br />

in sich, wie schon sein Doppelname


134 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Artemis, als allgemeiner Name für die verschieden<br />

gestaltete Mondgöttin, weist in ihrem Cultus einen Dualismus<br />

auf, hergenommen von dem theils nützlich, theils schädlich<br />

gedachten Einfluss <strong>des</strong> Mon<strong>des</strong> auf die gesammte Natur, also<br />

auch auf den Menschen. Sie ist die Göttin <strong>des</strong> schnellen<br />

To<strong>des</strong> und tödtet m<strong>it</strong> Apollon die Niobiden. Ueberall, besonders<br />

wo es das weibliche Geschlecht betrifft, ist sie die Ursache<br />

<strong>des</strong> schnellen To<strong>des</strong>. l Ihr werden Acte <strong>des</strong> Blutdurstes<br />

und der Rache zugeschrieben, daher der blutige Charakter<br />

ihres frühern Cultus, wo selbst Kinderopfer stattfanden, die<br />

nachher durch Geiselung vertreten wurden, und noch in<br />

späterer<br />

Ze<strong>it</strong> war ihr Dienst zu Paträ ein für Griechenland grausamer.<br />

2 Der blosse Anblick ihres Bil<strong>des</strong> erfüllte alles m<strong>it</strong><br />

Schrecken, machte Bäume verdorren, Früchte vernichten. 3<br />

Obschon gewöhnlich von ihr getrennt, erscheint doch<br />

auch in ihrem Zusammenhange Hekate als früh nach Griechenland<br />

eingewanderte Mondgöttin in grossem Ansehen und<br />

m<strong>it</strong> we<strong>it</strong>verbre<strong>it</strong>etem Dienste. Sie erscheint als wohlthäti£<br />

dem menschlichen Leben, der Geburtshülfe, der Kinderzucht,<br />

der Jagd, der Viehzucht, ist heimisch auf den Strassen, auf<br />

denen sie wandert, wurde vor den Häusern der Vornehmen 4 ,<br />

an Pfaden und Scheidewegen aufgestellt, ihr waren die Dreiwege<br />

geheiligt, daher Prothyräa, Enodia, Triod<strong>it</strong>is genannt.<br />

Ihr eignete man aber auch allen geisterhaften Spuk und die<br />

gespensterhaften Erscheinungen auf den mondbeleuchteten<br />

Strassen und Kreuzwegen, gemäss dem unheimlichen Eindrucke<br />

der huschenden Gestalten bei Mondlicht. Sie ist daher<br />

die Göttin der Gespenster und der magischen Beschwörungen<br />

geworden. Als solche ist sie die grauenvolle Mutter <strong>des</strong><br />

Scheusals Scylla, Tochter <strong>des</strong> Tartaros und der Nacht, Obwalterin<br />

<strong>des</strong> Schattenreichs. Sie schwärmt als Geisterkönigin<br />

schwarz verhüllt und begle<strong>it</strong>et von den Seelen der Verstorbenen<br />

um die Gräber. 5 In ihrer grässlichen Gestalt, Fackel<br />

1<br />

Ilias, 6, 205. 428; Odyss., 11, 172. 324; 15, 478; 18, 402.<br />

2<br />

Pausan., 7, 18. 7.<br />

3<br />

Pkt., Arat., 32.<br />

4<br />

Aeschyl., Sept. Theb., 455.<br />

5<br />

Apoll. Khod., III, 8G2; Orph. Hymn. in Ilecat. und Hymn. in Tych.,<br />

Vers 5.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 135<br />

und Schwert in<br />

Händen, von schwarzen grossen Hunden erefolgt,<br />

schreckt sie die Reisenden und bezweckt dasselbe durch<br />

das Gespenst Empusa. ' Sie ist die Helferin, die bei Bere<strong>it</strong>ung<br />

von Zauberm<strong>it</strong>teln angerufen wurde 2 , und überhaupt<br />

Vorsteherin der Zauberei.<br />

Ares ist Repräsentant <strong>des</strong> stürmischen Himmels, hat seine<br />

Heimat in Thrazien, dem Lande <strong>des</strong> Nordens und <strong>des</strong> Winters,<br />

wo die Stürme zu Hause sind. In dieser Beziehung<br />

steht er im Gegensatz zu Apollon, dem Gotte <strong>des</strong> Lichts und<br />

<strong>des</strong> Frühlings , wie auch Athena, als Göttin der hellen, reinen<br />

Luft, sein 3 Gegnerin ist. 3 Die ursprüngliche Naturbedeutung<br />

<strong>des</strong> Ares, als Hervorbringers schädlich wirkender Naturereignisse,<br />

auch der Seuchen, wird aber überwogen durch die <strong>des</strong><br />

blutigen Kriegs, und so repräsentirt Ares den Kriegssturm,<br />

den wilden Krieg <strong>des</strong> To<strong>des</strong> und der Wunden 4 , die im Kampfe<br />

sich entzündende Mordlust, das Blutvergiessen, weshalb auch<br />

der Areopag zu Athen als Blutgericht dem Ares geheiligt<br />

war. Obschon Sohn <strong>des</strong> Zeus und der Hera, ist er doch,<br />

nach der Aussage <strong>des</strong> Homerischen Zeus, dem eigenen Vater<br />

unter allen Olympiern der Verhassteste, und auch bei Sophokles<br />

heisst er der Misachtete unter den Göttern. 5 Als Gott<br />

<strong>des</strong> tödtenden, wilden Krieges ist<br />

er unterschieden von Athena,<br />

der Repräsentantin <strong>des</strong> besonnenen Muthes. 6<br />

Wie Zeus und Hera sammt ihrem Gefolge oben in den<br />

himmlischen lichten Höhen herrschen, so ist Ha<strong>des</strong> (Pluton)<br />

und Persephone das Herrscherpaar über die Mächte der<br />

dunkeln Unterwelt. Pluton's Wohnung ist <strong>des</strong>halb 56[xo£<br />

"Ai"5o£, er selbst 'A'töoveüs. Nach der Anschauung <strong>des</strong> Epos<br />

ist dieses Herrscherpaar allem frischen Leben feindlich gesinnt,<br />

dem es unaufhörlich Tod und Verderben zusendet, daher<br />

Göttern und Menschen verhasst. Dem düstern Charakter<br />

dieser Gotthe<strong>it</strong>en entspricht auch ihr Aufenthalt, der finster, in<br />

seinen we<strong>it</strong>en, unheimlichen Räumen voll dämonischer Schrecken<br />

1<br />

Schol. Apoll., 111,862; Lobeck Aglaoph., 223. 121.<br />

2 Theoer., II, 15.<br />

3 Ilias, 5, 853 fg.; 21, 400 fg.<br />

* Ilias, 17, 529; 13, 569.<br />

5<br />

Oed. Tyr., 214.<br />

6 Ilias, 5, 3f fg.; 15, 123.


136 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

ist. 1 Der finstere, traurige, schweigsame Fürst der Unterwelt<br />

ist, von dieser Se<strong>it</strong>e betrachtet, der gerade Gegensatz zu<br />

dem he<strong>it</strong>ern, lichten, gesangreichen Apollon:<br />

„Des Gesanges Freud' und die Spiele liebt vor allem Apollon;<br />

Sorgen und Seufzergetön ist <strong>des</strong> A'i<strong>des</strong> Theil." 2<br />

Pluton, als welcher er erst bei den Tragikern erscheint, ist als<br />

Aidoneus der gewaltsame To<strong>des</strong>gott, bei dem kein Opfer, kein<br />

Gebet gilt. Er ist der König der Schattenwe<strong>it</strong>, der finstere,<br />

unerb<strong>it</strong>tlich strenge Herrscher. Die ihm zur Se<strong>it</strong>e hausende<br />

ernste und furchtbare Persephone, nach ihrer ursprünglichen<br />

Bedeutung „die Würgerin", ist die alles Lebendige verschlingende<br />

To<strong>des</strong>göttin, die Führerin der schrecklichen Erinyen 3 ,<br />

steht ebenso feindlich dem Leben gegenüber. Die Erinyen,<br />

die das unterirdische Herrscherpaar umgeben, sind unerb<strong>it</strong>tliche<br />

Straf- und Rachegeister, eigentlich „zürnende Hadergöttinnen",<br />

die Fluch und schrecklichen Tod bringen. Sie<br />

haben aber auch eine freundliche Se<strong>it</strong>e, wonach sie als Gotthe<strong>it</strong>en<br />

<strong>des</strong> ländlichen Segens erscheinen, wie auch im gewöhnlichen<br />

Cultus die mildere Naturbedeutung von Pluton und<br />

Persephone mehr im Auge behalten wurde, die in dem Mythus<br />

vom Raube der Persephone und ihrem Beilager m<strong>it</strong><br />

Pluton sich herauskehrt.<br />

Es war die lebensvolle, plastische Phantasie <strong>des</strong> Hellenen,<br />

durch die jeder Eindruck, jede Empfindung eine lebensvolle<br />

Gestalt erhielt, die selbst die verführerische Glätte <strong>des</strong> Meeres,<br />

unter welcher Klippen und Sandbänke Schiffbruch und<br />

Tod verursachen, durch die Sirenen vorstellte, die als dämonische<br />

Wesen der See erscheinen 4 , m<strong>it</strong> ihrem Gesänge bezaubern<br />

und den Schiffer auf ihre Insel locken, deren Ufer<br />

voll sind von Leichen und Todtenknochen. Der lebensfrische<br />

Sinn <strong>des</strong> Hellenen schob auch von der doppelten Se<strong>it</strong>e der<br />

Gotthe<strong>it</strong>en die düstere, furchtbare mehr in den Hintergrund,<br />

wobei die ethische Bedeutung das Uebergewicht gewann und<br />

die Göttergestalten eine licht- und lebensvolle Färbung erhielten.<br />

In Uebereinstimmung dam<strong>it</strong> steht auch die ethische<br />

1<br />

Odyss., 11, 634.<br />

2<br />

Stesichorus bei Plutarch de EJ ap. Delph., 20.<br />

3 Ilias, 9, 569 fg.<br />

f Odyss., 12, 39 fg.; Apollon. Rh., 4, 893.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 137<br />

Aufgabe, in deren Lösung der Grieche seine Bestimmung<br />

setzt. Er ist we<strong>it</strong> entfernt, Geist und Natur, Leib und Seele<br />

in ihrer Getrennthe<strong>it</strong> einander gegenüberzustellen, daher es<br />

ihm weder um abstracte Ascese, noch um sinnlichen Orgiasmus<br />

zu thun sein kann. Vielmehr strebt er nach dem Gleichgewichte<br />

beider Momente, nach Mässigung und Veredlung<br />

seiner natürlichen Se<strong>it</strong>e, Herrschaft über die wilde Leidenschaft.<br />

Er sieht seine Bestimmung in der Harmonie <strong>des</strong><br />

Geistigen und Leiblichen und sucht daher die edle Gesinnung<br />

auch leiblich zum schönen Ausdruck zu bringen. Er<br />

stellt sich die Aufgabe, nicht nur die Heftigke<strong>it</strong> seines Gemüthes<br />

zu bezwingen, sondern auch die Herrschaft über die<br />

Glieder seines Leibes im vollen Masse zu erlangen. Indem<br />

er den Leib als die sichtbar gewordene Seele betrachtet, wird<br />

sich der veredelte Geist auch in edeln Formen auszuprägen<br />

suchen , und in dieser Harmonie der geistigen und leiblichen<br />

Se<strong>it</strong>e erscheinen auch die hellenischen Göttergestalten in plastischer<br />

Schönhe<strong>it</strong>. Denn in seiner Götterwelt hat der Grieche<br />

die ethisch verklärte Menschenwelt angeschaut.<br />

Die Dämonen, die den eigentlichen Göttern zunächst<br />

standen, kennt Homer nicht als M<strong>it</strong>telwesen, ihm ist Dämon<br />

noch das göttlich Waltende. Hesiod aber spricht vom Dasein<br />

unsterblicher Dämonengeschlechter, die zwischen Göttern<br />

und Menschen die M<strong>it</strong>te einnehmen, den Menschen als Schutzgeister<br />

und zur Vertheilung guter Gaben beigesellt sind. *.<br />

Der Glaube an Personaldämonen ist bei den Griechen<br />

sehr alt, schon Phokyli<strong>des</strong>, Pindar, Menander sprechen von<br />

Schutzdämonen, dass jedem Menschen ein Schutzdämon als<br />

wohlthätiger Mystagog <strong>des</strong> Lebens zur Se<strong>it</strong>e stehe. 2 Diese<br />

Vorstellung wurde mehr in den philosophischen Schulen ausgebildet,<br />

im Volksglauben hingegen trat mehr die Scheu vor<br />

bösen Dämonen hervor. Gewöhnlich gilt Empedokles als der<br />

erste, welcher den Dualismus von guten und bösen Dämonen<br />

gelehrt haben soll 3 ; allein schon Hippokrates spricht von<br />

abergläubischen Leuten, die sich Tag und Nacht von übelwollenden<br />

Dämonen umgeben glauben. Dass bei den Schrift-<br />

1<br />

Hesiod, Op. et dies, V, 109—150. 250 fg.<br />

2<br />

Plut., Qu. gr., 6.<br />

3<br />

Clem. Alex., Strom., 5, 726.


23g Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

stellern bis auf Plutarch (1. Jahrhundert n. Chr.) meist nur<br />

gute Dämonen erwähnt werden, suchte man daraus zu erklären:<br />

dass die Scheu, um keine üble Vorbedeutung zu geben,<br />

die Erwähnung der bösen Dämonen vermieden habe. 1 Die<br />

Ansicht von guten und bösen Dämonen wurde allgemeiner,<br />

und m<strong>it</strong> ihr trat die Vorstellung von der Schicksalsmacht<br />

(Ananke, A'isa, Moira), die sich nicht zu einer abgeschlossenen<br />

Persönlichke<strong>it</strong> ausgebildet hatte, in Verbindung, und es<br />

cribt ein Schwanken zwischen unabänderlicher gesetzmässiger<br />

Ordnung, wie sie die Natur aufweist, und einer nach persönlicher<br />

Neigung oder Willkür verfahrenden Macht. Bei den<br />

Tragikern Aeschylos und Sophokles gewinnt das Fatum eine<br />

s<strong>it</strong>tliche Bedeutung, es ist die vorausbestimmte Weltordnung,<br />

der o-eo-enüber die übermüthige Auflehnung zu Grunde richtet.<br />

Nach Theognis ist der Mensch ohne Dämon weder gut noch<br />

böse, die Gotthe<strong>it</strong> ist es, welche ihm die Hybris als erstes<br />

Unheil m<strong>it</strong>gegeben hat. 2 In dem Werke „Die Gesetze", das<br />

Piaton als letztes schriftstellerisches Product, obschon nicht m<strong>it</strong><br />

völliger Gewisshe<strong>it</strong>, zuerkannt wird, ist eine Art Dualismus<br />

von einer wohlthätigen Weltseele und einer, die das Entgegengesetzte<br />

bewirkt, angedeutet 3 . Von Platon's Nachfolgern<br />

wurde m<strong>it</strong> der pythagoräisirenden Zahlenspeculation eine halb<br />

mythische, halb populäre Theologie verbunden, wobei der<br />

Dämonenlehre eine bedeutende Rolle zukam , die besonders<br />

Xenokrates ausbildete. Ihm sind die Dämonen M<strong>it</strong>telwesen<br />

zwischen den olympischen Göttern und Menschen,<br />

wohnen in der Region unter dem Monde 4 ,<br />

verm<strong>it</strong>teln den<br />

Verkehr zwischen Göttern und Menschen, sind theils wohl-,<br />

theils übelthätig. Die guten Dämonen sind die Urheber alles<br />

Guten und Nützlichen, die bösen alles Widerwärtigen und<br />

Unheilvollen für den Menschen. ft Letztere erfreuen sich an<br />

den Festen, wo Schläge, Geiselungen, schmuzige Reden vorkommen,<br />

besonders an Unglückstagen. Er scheint auch die<br />

Menschenseele für dämonisch betrachtet zu haben. „Eudämonie"<br />

sagt er, „kommt dem zu, der eine gute Seele hat,<br />

1<br />

Petersen, Hausgottesdienst der alten Griechen, S. 55.<br />

2<br />

V. 65. 151. 540.<br />

3 Legg., 10.<br />

* Stob., 1, 1; Plut. de ls. et Os., c. 25 fg.<br />

5 Plut. de ls., 1, 1, adv. Stoic, c. 22.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 139<br />

Kakodämon ist derjenige, welcher eine bösartige als Dämon<br />

in sich hat." l<br />

Schon Piaton hatte mythisch-mystische Elemente in die<br />

Philosophie aufgenommen, um durch deren Symbolisirung eine<br />

Philosophie der Mythologie darzustellen. Den Neuplatonikern<br />

dienten Mythus und Mysterium als Ergänzung ihrer Philosophie,<br />

um die hellenische Weltanschauung aus den sinnlichen<br />

Vorstellungen zum Begriffe zu erheben, wobei aber das Mystische<br />

das Uebergewicht gewann. Nach dem Vorgange <strong>des</strong><br />

platonischen Dualismus von Gott und Hyle, betrachteten alle<br />

Neuplatoniker das leibliche, sinnliche Wesen als das Nichtige,<br />

Böse; die Materie, das absolut Willenlose, war der Grund<br />

aller s<strong>it</strong>tlichen Verkehrthe<strong>it</strong>, obschon keine pos<strong>it</strong>ive Macht,<br />

wie kein Neuplatoniker ein eigentliches böses Urprincip aufstellt.<br />

Bei allen findet sich neben der Vielgötterei die Dämonlehre.<br />

Philo, der für den ältesten und bedeutendsten<br />

Vorläufer der Neuplatoniker gilt, ist an einer andern Stelle<br />

berücksichtigt. Plotinus (geb. 205 n. Chr., gest. 270) spricht<br />

zwar viel von Göttern und Dämonen, fasst sie aber viel geistiger<br />

auf als die spätem Platoniker, die ihn misverstanden haben.<br />

Die Seelen von Dämonen hält er für höher und stärker<br />

als die Menschenseelen, sie sind m<strong>it</strong> grosser Macht begabt<br />

und verwalten gleichsam im Auftrage der Allseele die einzelnen<br />

Theile <strong>des</strong> All. 2 Wenn sie zuweilen unsere Gebete hören,<br />

so ist diese Erhörung nicht Folge unsers Einflusses,<br />

sondern der grossen Weltsympathie, denn nichts geschieht<br />

gegen die Natur. 3 Die Menschenseele, ein Bild <strong>des</strong> Weltganzen,<br />

ist nicht ganz in den Körper eingegangen, sie hängt<br />

noch an der Allseele. 4 Auch die Dämonen, die gleichen Wesens<br />

m<strong>it</strong> den Menschen sind, hangen m<strong>it</strong> ihrem Wesen an<br />

Gott. 5 Porphyrius, der seinen phönizischen Namen Malchus<br />

m<strong>it</strong> dem griechischen vertauscht hatte (233—304), vermochte<br />

nicht überall die speculativen Gedanken seines Lehrers Plotinus<br />

festzuhalten und verlor sich in das Gebiet der Magie<br />

und der orientalischen Theologie. Er spricht von Engeln und<br />

1<br />

Aristot., Top., 2, 6; Clem. Alex., Strom., II; Stob., Serm., 101, 24.<br />

2 V, 3, 6.<br />

3<br />

IV, 4, 42; 7, 26.<br />

4<br />

IV, 8, 8; 9, 4.<br />

8 Vgl. Steinhart, Art. Plotinus in Pauly, Realencyklopädie.


140 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Erzengeln, weist erstem den Wohns<strong>it</strong>z im Empyreum an, er<br />

weiss von Dämonen, die in der Lnft wohnen 1 ,<br />

theilt sie in<br />

irdische und feurige, und redet von bösen und strafenden<br />

Dämonen. Er anerkannte Zauberei und Beschwörung von<br />

Dämonen, sowie schädliche magische Einwirkungen der Menschen<br />

durch theurgische Künste. 2 Jamblichus (gest. um 330<br />

— 333) betonte ganz entschieden das orientalische und theurgisch-mystische<br />

Element in seiner Lehre, die er für Platonisraus<br />

ausgab und durch Aneignung chaldäischer und ägyptischer<br />

Mythen und Philosopheme im Orient herrschend zu machen<br />

und zugleich dem Christenthum entgegenzuarbe<strong>it</strong>en suchte. In<br />

einer Schrift, deren Abfassung ihm zuerkannt, aber in neuerer<br />

Ze<strong>it</strong> angezweifelt wurde: „Ueber die ägyptischen Geheimnisse",<br />

stellt er die ägyptische Geheimlehre als den Gipfelpunkt<br />

aller Weishe<strong>it</strong> dar. Hier kennt er eine lange Reihe<br />

von Dämonen, Engeln, Erzengeln, er setzt die Merkmale auseinander,<br />

an welchen die Erscheinungen der Götter, Engel<br />

und Dämonen unterschieden werden 3 , er kennt die besondern<br />

Wirkungen der guten und bösen Dämonen, deren bestimmte<br />

Eigenschaften. 4 Die meisten der Verehrer und Schüler <strong>des</strong><br />

Jamblichus scheinen weniger seine wissenschaftliche Bedeutung<br />

den damals herrschenden Glauben an magische Wirkungen<br />

als<br />

und die Dämonologie, der er eine philosophische Grundlage<br />

geben wollte, ergriffen und verbre<strong>it</strong>et zu haben. Die<br />

Lehre von den Dämonen erhielt sonach eine grosse Ausbildung:,<br />

man suchte das Geisterreich wie das Naturreich einzutheilen,<br />

mehrere Klassen nach dem Element, worin sie lebten,<br />

nach ihrer Natur und ihrem Wirkungskreise festzustellen.<br />

Das Mystische gewann um so mehr Werth, als es geeignet<br />

war, den Berührungspunkt abzugeben für orientalische Vorstellungen<br />

und griechische Ideen. Obschon die Haupttendenz<br />

der spätem Platoniker auf das Uebersinnliche , Begriffliche<br />

gerichtet war, war sie doch von dem Hang begle<strong>it</strong>et, Vorstellungen<br />

zu hypostasiren und die Natur zu personificiren.<br />

Die Neigung sowol als die Empfänglichke<strong>it</strong> dafür lag in der<br />

1<br />

Augustin, De civ<strong>it</strong>. D., X, 9.<br />

2<br />

Augustin, I, 1.<br />

5<br />

De myster. Aegyp., II, c. 3, 4.<br />

* C. 6, 9.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 141<br />

Ze<strong>it</strong>, in welcher sich die morgenländische Denkart m<strong>it</strong> der<br />

abendländischen zu vereinigen<br />

suchte.<br />

Römer.<br />

Die Grundlage <strong>des</strong> römischen Götterglaubens war, wie<br />

die <strong>des</strong> griechischen, ursprünglich Naturreligion; es muss sich<br />

aber jener Stamm durch eine eigentümliche Gemüthsrichtung<br />

besondert haben, sowie auch die Factoren bei seiner Entwickelung<br />

andere gewesen sein müssen, weil sich der wesentliche<br />

Inhalt der römischen religiösen Vorstellungen von dem<br />

der griechischen als verschieden kennzeichnet. Während die<br />

frische Sinnlichke<strong>it</strong> und plastische Phantasie der Griechen<br />

eine Götterwelt voll schöner Individual<strong>it</strong>äten anschaut, besteht<br />

das Wesen <strong>des</strong> religiösen Bewusstseins der Römer in<br />

Abstraction und Personificirung der Abstracta. Ein Beispiel<br />

<strong>des</strong> Abstractions - und Personificationstriebs der Kömer liefert<br />

Mommsen *, wo der infolge der Einführung <strong>des</strong> Silbercourants<br />

im Jahre 485 neuentstandene Gott „Silberich" (Argentinus)<br />

als Sohn <strong>des</strong> altern Gottes „Kupferich" (Aesculanus) gedacht<br />

wird. Ein anderes Beispiel haben wir an den Dieben, d. h.<br />

den im Dunkel Schleichenden (Fures, auch Caverniones genannt),<br />

die in Rom eine eigene Schutzgotthe<strong>it</strong> abstrahirten,<br />

die Laverna, nach welcher ein Thor den Namen Porta Lavernalis<br />

führte, wobei Laverna augenscheinlich m<strong>it</strong> Laren und<br />

Larven zusammenhängt und ihr die Bedeutung: Göttin <strong>des</strong><br />

Schweigens und der Verborgenhe<strong>it</strong> zutheil wird. Alle wichtigen<br />

Begriffe aus dem physischen, ethischen und socialen<br />

Leben wurden von den römischen Theologen zu Göttern ausgeprägt<br />

und in die Klassen der Götter eingereiht, um ihre<br />

richtige Anrufung der Menge zu weisen (indig<strong>it</strong>are). Vorstellungen,<br />

als: Blüte (Flora) , Krieg (Bellona), Grenze (Terminus),<br />

Jugend (Juventus), Wohlfahrt (Salus), Rechtschaffenhe<strong>it</strong><br />

(Fi<strong>des</strong>), Eintracht (Concordia) u. dgl. m., rechnete man<br />

zu den heiligsten Gotthe<strong>it</strong>en, die Intelligenz ward als Mens<br />

verehrt, eine ganze Reihe von Affecten, Eigenschaften, Zuständen<br />

wurden vergöttert, wie Spes die Hoffnung, Pudic<strong>it</strong>ia<br />

die Schamhaftigke<strong>it</strong>, Pietas die kindliche Ehrfurcht, Virtus<br />

1<br />

Rom. <strong>Geschichte</strong>, I, 408.


142 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

die Tapferke<strong>it</strong>, Liberias die Freihe<strong>it</strong>, Honor die Ehre, Pax<br />

der Friede, u. s. f. Die mythologische Abstractionsfertigke<strong>it</strong><br />

der Römer machte Robigo oder Robigus zu einer Gotthe<strong>it</strong>,<br />

die, als Urheberin <strong>des</strong> Sonnenbran<strong>des</strong>, der die Fruchtfelder<br />

verheerte, bei landwirtschaftlicher Calam<strong>it</strong>ät um Hülfe angerufen<br />

wurde. * Das Fieber, Febris, in dem feuchten Tiberthale<br />

von jeher hausend, hatte als<br />

personificirte Gotthe<strong>it</strong> dieser<br />

Krankhe<strong>it</strong> drei Heiligthümer , wovon das bedeutendste auf<br />

dem Palatinus stand. 2<br />

Der Römer betrachtet Natur und Leben nur von der<br />

Se<strong>it</strong>e <strong>des</strong> Nützlichen, Zweckmässigen, alles wird zum Besten<br />

<strong>des</strong> Gemeinwesens ausgebeutet und in Beziehung darauf als<br />

Anlass zu Opfern, Weissagungen und Anrufungen genommen.<br />

Die Griechen waren künstlerisch angelegt, sie gestalteten ihr<br />

Leben auch so, ihr Gebiet war die Kunst; bei den Römern<br />

war alles auf Nützlichke<strong>it</strong> und Zweckmässigke<strong>it</strong> gestellt, ihre<br />

Religion hatte nur das Praktische im Auge, ihr Lebensgebiet<br />

war das Reich und das Recht. Schon die Etrusker waren<br />

auf die Entwickelung der Römer von Einfluss, was m<strong>it</strong> der<br />

Verpflanzung <strong>des</strong> etruskischen Gottesdienstes nach Rom durch<br />

die Tarquinier angedeutet ist; von we<strong>it</strong> grösserm Einfluss war<br />

aber die griechische Bildung, deren fruchtbares Reis auch von<br />

den Tarquiniern durch Einführung der Sibyllinischen Sprüche<br />

aus dem griechischen Kumä in den römischen Boden eingesenkt<br />

wurde. Die Römer waren die Erben der griechischen<br />

Cultur, und nachdem, se<strong>it</strong> dem zwe<strong>it</strong>en Punischen Kriege, neben<br />

den griechischen Göttern auch syrische, ägyptische, kleinasiatische<br />

Elemente nach Rom gekommen, ward die römische<br />

Religion zu einem Pandämonismus.<br />

Die Seele <strong>des</strong> Römerthums war Weltherrschaft, die<br />

Idee der ewigen Roma, die Religion war Religion <strong>des</strong><br />

Staats, m<strong>it</strong> <strong>des</strong>sen Ausbre<strong>it</strong>ung alles, bis auf den Kalender<br />

herab, das Gepräge der Staatsreligion erhielt. Die ursprüngliche<br />

Grundlage als Naturreligion bleibt zwar stets kenntlich,<br />

obschon sie der nüchterne Sinn der Römer, der die Töchter<br />

<strong>des</strong> Hauses numerirte, durch die praktischen Beziehungen<br />

<strong>des</strong> bürgerlichen Lebens mehr verdeckte.<br />

» Gell. N. A., V, 12; Plin. bist, nat., XVIII, 29. 69.<br />

2<br />

7. 5.<br />

Cic. de nat. deor., III, 25. 63; Val. Max., II, 5. 6; Plin. h. n., II,


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 143<br />

Wie in allen Naturreligionen ein Dualismus auftr<strong>it</strong>t, sei<br />

es im feindlichen Gegeneinander, im ergänzenden Nebeneinander,<br />

oder im Ineinander beider Momente in ein und demselben<br />

göttlichen Individuum; so findet sich auch bei den alten<br />

<strong>it</strong>alischen Gotthe<strong>it</strong>en eine geschlechtliche Zweihe<strong>it</strong>, die in<br />

den altern römischen Gebeten paarweise und ehelich verbunden<br />

erscheint, wie: Lua Saturni, Satalia Neptuni, Hora<br />

Quirini, Mäia Volcani, Nerio Martis. 1 Da diese Ehen meist<br />

kinderlos dargestellt werden, so sind die <strong>it</strong>alischen Götter<br />

der patriarchalischen Vorstellung gemäss gewöhnlich als Vater<br />

und Mutter gedacht. Daher Pater in der Zusammensetzung<br />

wie in Jup<strong>it</strong>er, Marsp<strong>it</strong>er, Diesp<strong>it</strong>er, oder meist als<br />

Zusatz, wie: Saturnus pater, Neptunus pater, Diva mater vorkommt.<br />

Die <strong>it</strong>alische Mythologie hat zwar vorzugsweise wohlthuende,<br />

ihrer Erscheinung nach lichte und freundliche Wesen;<br />

sie kennt aber doch, nach dem verschiedenen Eindruck<br />

der Natur auf das Gemüth, auch finstere und unholde Götter<br />

von schrecklicher Gestalt, Götter der Tiefe, <strong>des</strong> To<strong>des</strong>, Dii<br />

aquili, fusci, atri, deren Cultus grausam und trübselig war. 2<br />

Auch die Genien unterscheiden sich in lichte, freundliche,<br />

gute, und dunkle, feindliche, böse. Der Glaube an zwei Genien<br />

für jeden Menschen, der zuerst von dem Megariker<br />

Eukli<strong>des</strong> ausgesprochen wird, fand bei einigen römischen<br />

Schriftstellern Aufnahme. 3<br />

Die Naturbeziehung auf den Himmel und seine Erscheinungen<br />

ist den himmlischen Göttern eigen. Jup<strong>it</strong>er weist<br />

durch die erste Sylbe Ju oder Jov, die in der altern Sprache<br />

als Diovis, Jovis hervortr<strong>it</strong>t und in dem indischen djaus, d. h.<br />

Himmel, im Griechischen Zsu£, wo £ aus dj entstanden, sich<br />

erkennen lässt, auf ein Erbtheil <strong>des</strong> indogermanischen Sprachstammes<br />

und mythologischen Systems hin. Er bedeutet den<br />

lichten Himmel, die Tageshelle. In Jup<strong>it</strong>er erkannten die<br />

alten Völker Italiens einen guten Vater <strong>des</strong> Himmels, <strong>des</strong><br />

Lichts, den höchsten Gott aller himmlischen und irdischen<br />

Natur. Er ist der Gott der lichten Erscheinungen am Himi<br />

Gellius, N. A., XIII, 23.<br />

2<br />

Augustin, De civ. D., II, 11.<br />

3 Serv., V. A., VI, 743.


144 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

mel, auch <strong>des</strong> Wetterstrahls und <strong>des</strong> Gew<strong>it</strong>ters, Jup<strong>it</strong>er fulgurator,<br />

fulminator. Bekannt ist die Bl<strong>it</strong>ztheorie, die aus den<br />

Beobachtungen der etrurischen Priester herausgebildet, durch<br />

die Haruspices in Rom ausgeübt wurde, da die Bl<strong>it</strong>ze als<br />

Offenbarungen <strong>des</strong> göttlichen Willens galten. Jup<strong>it</strong>er war<br />

auch Regengott, Jup<strong>it</strong>er pluvius, als solcher vornehmlich auf<br />

dem Lande verehrt. Von Jup<strong>it</strong>er hing die Entscheidung der<br />

Schlacht ab, J. Stator und Feretrius, und war Gott <strong>des</strong> Sieges.<br />

Nach seiner ethischen Bedeutung personificirt sich in ihm die<br />

Idee <strong>des</strong> Rechts und der Treue, J. Fidius, sowie die<br />

höchste Reinhe<strong>it</strong> und Heiligke<strong>it</strong>. Im Verlaufe der Ze<strong>it</strong>,<br />

wo das pol<strong>it</strong>ische Moment das Uebergewicht erlangt, wird<br />

Jup<strong>it</strong>er optimus maximus auf dem Cap<strong>it</strong>ole als Rex, als ideales<br />

Oberhaupt <strong>des</strong> Staats verehrt.<br />

Vejovis (Vediovis, Vedius), in dem schon durch das<br />

aufhebende Präfixum etwas Schädliches angedeutet wird, ist<br />

ursprünglich ein Gott von schlimmer, schädlicher Wirksamke<strong>it</strong><br />

und insofern das Gegentheil von Jovis, als ve contradictorisch<br />

negirt. Das Verderbliche seiner Bl<strong>it</strong>ze empfanden<br />

diejenigen, die sie treffen sollten, vorher an der Taubhe<strong>it</strong>. 1<br />

In seinem Tempel, zwischen der Tarpejischen Burg und dem<br />

Cap<strong>it</strong>ol, stand sein jugendliches Bild m<strong>it</strong> Pfeilen bewaffnet,<br />

wobei römische Alterthümler an den verderbenden Apollon<br />

erinnerten. Dass dieser alt<strong>it</strong>alische Gott ursprünglich böser<br />

Bedeutung gewesen, bestätigt sich dadurch, dass er auch den<br />

unterirdischen Gotthe<strong>it</strong>en beigezählt, ja in den spätem Ze<strong>it</strong>en<br />

m<strong>it</strong> dem To<strong>des</strong>gotte sogar identificirt erscheint 2 , weil er eben<br />

für übelthätig gehalten wurde. Auf der Tiberinsel kommt<br />

im Cultus <strong>des</strong> Vejovis der Name abwechselnd vor, daher die<br />

Vermuthung naheliegt, es seien in diesem Cultus beide Götter<br />

nebeneinander verehrt worden. 3 Auf die ursprünglich schädliche<br />

Bedeutung kann auch die Ziege bezogen werden, sein<br />

gewöhnliches Opfer, more humano, als stellvertreten<strong>des</strong> Sühnopfer<br />

dargebracht 4 , das ursprünglich in einem Menschenopfer<br />

bestanden haben mochte. Für die verderbliche Bedeu-<br />

1<br />

Ammian. Marc, XVII, 10.<br />

J<br />

Martian. C, I, 58; II, 142. 1GG.<br />

3 Preller, Rom. Mythologie, 237.<br />

4<br />

Gell., V, 12.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 145<br />

tung dieser Gotthe<strong>it</strong> spricht ferner, dass man tödtende Bl<strong>it</strong>ze<br />

insbesondere dem Vejovis zuschrieb *, sowie die herrschende<br />

Meinung, dass ihm, gleich den Göttern der Unterwelt, die<br />

Abendse<strong>it</strong>e eigne. 2 Eine Spur seiner negativen Wirksamke<strong>it</strong><br />

liegt auch darin, dass Vejovis als Gott der Sühne zugleich<br />

ein Gott der Zuflucht<br />

ausgestossener Verbrecher war, obschon<br />

er in dieser Hinsicht auch die pos<strong>it</strong>ive Se<strong>it</strong>e an sich trägt,<br />

demnach beide Bedeutungen verschmelzen, ja die letztere sogar<br />

überhandnimmt. An dem jugendlichen Jup<strong>it</strong>er, der<br />

zugleich Sonnengott war und als solcher besonders im<br />

Frühling, wo Epidemien herrschten, verehrt wurde, ist<br />

aber doch die schädliche Se<strong>it</strong>e der Berührungspunkt, und<br />

som<strong>it</strong> bleibt Vejovis seiner ersten Geltung nach eine schädlich<br />

wirkende Gotthe<strong>it</strong>, und erst, als bei we<strong>it</strong>erer Entwickelung<br />

diese Bedeutung mehr zurückgetreten war, konnte Vejovis<br />

als Gott der Sühne und der Heilung angeschaut werden.<br />

Das Se<strong>it</strong>enstück zu Jup<strong>it</strong>er ist Juno, Jovino, das Weibliche<br />

von Jovis, die weibliche Macht <strong>des</strong> Himmels, <strong>des</strong> himmlischen<br />

Lichts, <strong>des</strong> neuerscheinenden Mon<strong>des</strong>, neben Jup<strong>it</strong>er<br />

Rex als Regina verehrt. In Italien ist sie wesentlich die weibliche<br />

Natur überhaupt. Als Sosp<strong>it</strong>a ist sie, nach römischen<br />

Münzen, eine wehrhafte Göttin und schleudert wie Jup<strong>it</strong>er<br />

Bl<strong>it</strong>ze. 3 Sie ist aber auch Mater, Muttergöttin der weiblichen<br />

Natur, der Ehe, Entbindung, der Kinderzucht, nicht zu erwähnen<br />

der übrigen verschiedenen Beziehungen, die sie darstellt.<br />

Einer der ältesten, volksthümlichsten Götter Italiens ist<br />

Faunus, wie schon sein echt <strong>it</strong>alischer Name zeigt: der Gute,<br />

Holde, von faveo. Er ist ein guter Geist der Triften, Berge,<br />

Fluren, Befruchter von Acker, Vieh und Menschen, Stifter<br />

frommer S<strong>it</strong>te, Urheber vieler alter Geschlechter. Faunus<br />

wird oft in der Mehrzahl gedacht, und der Glaube an diese<br />

guten Geister, die auf dem Felde und im Walde hausen,<br />

war im Volke so tief eingewurzelt, dass es sie oft im Freien<br />

zu sehen wähnte. Faunus als Collectivbegriff' gilt für das<br />

Geschlecht der Faune, die man umherschleichend dachte, in<br />

1<br />

Aramian. Marc., XVII, 10.<br />

2<br />

Vgl. 0. Müller, Etrusk., 2. Abtheil., 140.<br />

3 Virg. Aen., I, 42; Liv., XXXII, 1.<br />

Eoskoff, <strong>Geschichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Teufels</strong>. I. IQ


24G Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Begle<strong>it</strong>ung von Hunden, den feinen "W<strong>it</strong>terern , oft einen Ruf<br />

erschallen lassend, wodurch die Heerden erschreckt in wilde<br />

Flucht gejagt werden. Dies deutet schon auf das dämonische<br />

Wesen der Faune, denen überdies noch verschiedene Neckereien<br />

im Schlafe zugeschrieben werden, sodass sie zu förmlichen<br />

Plasre£reistern sich umwandeln. Die Lüsternhe<strong>it</strong> der Faune<br />

hat es vornehmlich auf das weibliche Geschlecht abgesehen,<br />

das sie gern im Bette beschleichen , wo sie dann im Volksmunde<br />

Incubi heissen.<br />

Nicht nur der geschlechtliche Dualismus findet sich bei<br />

den römischen Gotthe<strong>it</strong>en, wonach sie als männliche und weibliche<br />

auftreten, sodass einer Tellus ein Tellumo, dem Saturnus<br />

die Ops u. s. f. entspricht, wie der Erde eine zeugende<br />

und empfangende Kraft zuerkannt wird; auch die Zweihe<strong>it</strong>,<br />

im Sinne <strong>des</strong> Gegensatzes von wohl- und übelthätig, erscheint<br />

sowol in getrennten Gestalten als auch in ein und demselben<br />

Wesen, das bald die eine, bald die andere Se<strong>it</strong>e herauskehrt,<br />

wie bere<strong>it</strong>s früher berührt wurde. Schon in der ältesten Periode<br />

findet sich der römische Glaube an eine Menge dämonischer<br />

Mächte, und der praktische Sinn der Römer schuf<br />

für die günstigen oder ungünstigen Fügungen ein ganzes Register<br />

von Wesen, die unter der Rubrik Fortuna, Fors u. s. w.<br />

die ins Leben eingreifenden Beziehungen repräsentirten. Plutarch<br />

in seiner bekannten Schrift : „Vom Glauben der Römer", führt<br />

eine Sammlung von Beinamen auf, m<strong>it</strong> welchen die Göttin<br />

Fortuna von Rom, die Fortuna publica oder Fortuna populi<br />

Romani, erwähnt wird, gegenüber der Fortuna privata, der<br />

Glücksgöttin <strong>des</strong> Familienlebens, abgesehen von den Fortunen,<br />

die als individuelle Schutzgöttinnen oder als die von Körperschaften,<br />

von Gebäuden u. s. w. ins Endlose sich zerspl<strong>it</strong>tern.<br />

Indem sich Fortuna erhörend oder versagend erweist, erhält<br />

sie die Bedeutung einer guten oder schlimmen Gotthe<strong>it</strong>.<br />

Dass der Dualismus von guten und bösen Wesen bei<br />

den Römern vorhanden war, würde schon dadurch zur Gewisshe<strong>it</strong><br />

erhoben, dass sie an letztere glaubten und daher eine<br />

Mehrzahl davon annahmen. Bekannt sind die Strigen, vor<br />

denen sich nicht nur die Italer, sondern auch die Griechen<br />

fürchteten. Unter garstiger Gestalt, m<strong>it</strong> grossem Kopf, starrenden<br />

Augen, m<strong>it</strong> dem Schnabel eines Raubvogels und scharfen<br />

Krallen kommen sie <strong>des</strong> Nachts, um den Kindern das


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alierthums. 147<br />

Blut zu entsaugen, das Mark zu verzehren, die Eingeweide<br />

zu fressen und dann durch die Luft zu rauschen. Zur Abwehr<br />

dieser verderblichen Scheusale war Carna oder Cardia,<br />

die Schutzgöttin aller Thürangeln, alles Ein- und Ausgangs.<br />

Durch einen Weissdorn, dem auch Asien und Griechenland<br />

eine wohlthätige Wirkung gegen dämonische Einflüsse zuschrieb,<br />

daher er bei Geburten oder Leichenbegängnissen an<br />

die Thüre geheftet oder vor dem Eingange verbrannt wurde,<br />

sollte diese Schutzgöttin das Haus sicherstellen.<br />

Bei den Etruskern erscheint der furchtbare To<strong>des</strong>gott<br />

Mantus, entsprechend dem römischen Orcus, der aber bei<br />

jenen gewöhnlich m<strong>it</strong> . dem griechischen Namen Charun bezeichnet<br />

wurde, nachdem ersterer zur Schreckengestalt <strong>des</strong> To<strong>des</strong><br />

überhaupt geworden war. Er ist der Gott <strong>des</strong> gewaltsamen<br />

To<strong>des</strong>, der alle Bande der Liebe zerreisst, weder Jugend noch<br />

Schönhe<strong>it</strong> verschont, unter grauenhafter Gestalt m<strong>it</strong> seinem<br />

wuchtigen Hammer oder Schwerte alles gewaltsam niederschlägt.<br />

Er erscheint auch als einer der höllischen Dämonen<br />

der Unterwelt, und die etruskischen Sculpturen der Todtenkasten<br />

und Grabgemälde zeigen noch verschiedene andere,<br />

sowol männliche als weibliche Genien <strong>des</strong> To<strong>des</strong>, bald in<br />

freundlicher, lichter, bald in finsterer, greulicher Gestalt. M<strong>it</strong><br />

Mantus verwandt und gleich schrecklich an Gestalt erscheint<br />

den alten Italern Mania 1 als furchtbare Göttin, der man<br />

unter Tarquinius dem Stolzen in Rom die Comp<strong>it</strong>alien feierte<br />

und dabei auch Knaben geopfert haben soll, um durch ihre<br />

Sühnung das Wohl der Hausgenossen zu wahren. 2 Das<br />

Fest der Comp<strong>it</strong>alien, der Mania m<strong>it</strong> den Gotthe<strong>it</strong>en der<br />

Kreuzwege (ubi viae competunt) gemeinsam geweiht, soll nach<br />

der Vertreibung <strong>des</strong> Tarquinius durch einen Orakelspruch<br />

Apollon 1 s dahin abgeändert worden sein, dass man Knoblauch<br />

und Mohnköpfe opferte und die Bilder der Mania an den<br />

Thüren aufhängte, wo sie als Dea avertens die Familie vor<br />

Gefahren beschützen sollte.<br />

Später ward Mania zum Schreckgespenst,<br />

wom<strong>it</strong> man schlimme Kinder bedrohte. Mania heisst<br />

auch die Mutter oder Grossmutter der Laren, zu welchen,<br />

nach dem spätem Volksglauben, gute Menschen wurden, wo-<br />

1<br />

Vgl. 0. Müller, Etrusk., III, 4, 11, S. 101.<br />

-<br />

Macrob. Sat., I, 7.<br />

10


148 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismas.<br />

gegen böse zu Larven und Manien 1 , in der Luft umherschweifende<br />

Gespenster, sich verwandelten, als deren Mutter<br />

auch die Mania genannt wird. Die Vorstellung von den<br />

Larven bildete der Volksglaube immer mehr aus, sie galten<br />

als absonderlich scheussliche Plagegeister, die als abgezehrte<br />

Gestalten oder Gerippe die Lebenden in Wahnsinn versetzten<br />

und die Verstorbenen auch in der Unterwelt ängstigten. 2<br />

Der Mania verwandte finstere Göttinnen waren die Furinae<br />

oder Furrinae, die früher angesehene Cultusgöttinnen gewesen,<br />

später aber verschollen sein sollen. Cicero vergleicht sie m<strong>it</strong> den<br />

m<strong>it</strong> demselben Stamme „fus"<br />

Furien, deren Name allerdings<br />

zusammenhängt, wonach sie „die dunkeln, finstern" bedeuten<br />

würden. 3 Den Larven und Manien verwandte Spukgeister<br />

sind auch die Lemuren, die von einigen 4 für Geister der<br />

Verstorbenen gehalten werden, während Augustinus sie den<br />

Larven gleichsetzt, wofür sie auch im gewöhnlichen Sprachgebrauche<br />

galten. Auch die Lemures schweifen nächtlich<br />

umher, um die Menschen zu necken und zu quälen. 5 Sie zu<br />

sühnen und das Haus zu reinigen, wurden in den Nächten <strong>des</strong><br />

neunten, elften und dreizehnten Mai gewisse Ceremonien vollführt<br />

, die Ovid ausführlich beschreibt. 6<br />

Dank der Wissenschaft ist<br />

Germanen.<br />

sowol die nahe Verwandtschaft<br />

der Sprache als auch die Gemeinschaftlichke<strong>it</strong> der religiösen<br />

Anschauungen der Deutschen und Skandinavier nachgewiesen,<br />

es ist klar dargethan, dass die Religionen beider in ein und<br />

demselben Grundgedanken wurzeln und selbst bei späterer<br />

Entwickelung, ungeachtet mancher Abweichungen, irr.<br />

wesentlichen<br />

übereingestimmt bleiben. Die Sprache, der idealistische<br />

Zug in der Weltanschauung, die Religion le<strong>it</strong>en auf die arische<br />

Urheimat zurück, und dies genügt, die physikalische Grund-<br />

1<br />

Augustin. de civ. D. IX, 11.<br />

2<br />

Senec, Ep., 24; Ammian. Marc, XXXI, 1, 3.<br />

3<br />

Cic. de nat. deor., III, 18, 46.<br />

1<br />

Nach Appul. de deo Socrat., p. 237 ed. Bip.; vgl. Seiv. zu Yirg.<br />

Aen., III, 63, a. a. 0.<br />

5<br />

Horat. Ep., II, 2, 209.<br />

6<br />

Fast., V, 419 fg.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 149<br />

läge der religiösen Anschauung aller germanischen Stämme,<br />

den Lichtbegriff anzunehmen. Es liegt im Wesen der Naturreligion<br />

überhaupt, sich dualistisch auszudrücken, und so muss<br />

der Begriff <strong>des</strong> Lichts nothwendig sein Correlat, den der<br />

Dunkelhe<strong>it</strong>, hervorrufen, daher auch die ursprüngliche religiöse<br />

Anschauung der Germanen vom Dualismus nicht frei geblieben<br />

ist, wenn auch keine durchgreifende Zertheilung der Göttergestalten<br />

in zwei feindliche Lager, wie im Parsismus, sich<br />

herausgebildet hat. l Treffend ist daher die Bemerkung<br />

RückertV z , dass Cäsar' s Reihe der deutschen Götter sich schon<br />

dadurch als unvollständig erweise, „dass der Begriff <strong>des</strong> belebenden<br />

Lichts und der segnenden Wärme m<strong>it</strong> unabweisbarer<br />

Notwendigke<strong>it</strong> den der ertödtenden Finsterniss und zerstörenden,<br />

feindseligen Kälte voraussetzt". Es zeigen sich die<br />

Gegensätze von Licht und Dunkel, H<strong>it</strong>ze und Kälte, die sich<br />

in der Naturreligion wie Sonne und Mond personificirt darstellen.<br />

Die Nacht als feindliche, böse Gewalt ist m<strong>it</strong> dem<br />

gütigen Wesen <strong>des</strong> Tags im Stre<strong>it</strong>e und erlangt erst die<br />

Oberhand, wenn der Tag seinen Kampf aufgegeben hat.<br />

Sommer und Winter stehen in persönlicher Feindschaft, Reif<br />

und Schnee, als personificirtes Gefolge <strong>des</strong> letztern, künden<br />

dem erstem den Krieg an, ihr Kampf wird jährlich erneut<br />

und ist in we<strong>it</strong>verbre<strong>it</strong>eten Volksfesten dramatisch dargestellt,<br />

ja bis auf den heutigen Tag in Liedern und Gebräuchen als<br />

Erinnerung aufbewahrt, wie z. B. im Todaustragen, wo der<br />

Tod an die Stelle <strong>des</strong> Winters tr<strong>it</strong>t. 3 Weil es im Entwickelungsprocesse<br />

<strong>des</strong> menschlichen Geistes liegt, dass er die<br />

wahrgenommene Vielhe<strong>it</strong> der Eindrücke, durch die er von<br />

aussen angeregt worden, zur Einhe<strong>it</strong> erhebe: darum muss in<br />

den Religionen der Culturvölker das<br />

Streben nach einem einhe<strong>it</strong>lichen<br />

Gottesbegriff sich kundgeben, zunächst dadurch,<br />

dass die Vielhe<strong>it</strong> der Gotthe<strong>it</strong>en in Einem göttlichen Wesen<br />

gipfelt und jene als Ausfluss aus diesem erscheint. Es ist<br />

gemüthsvolle Pietät gegen die Urahnen, welche die religiösen<br />

Vorstellungen der Germanen aus Einem geistigen Urwesen<br />

able<strong>it</strong>en und die Einhe<strong>it</strong> <strong>des</strong> Gottesbegriffs zur Voraussetzung<br />

1<br />

Vgl. Grimm, D. M., 3. Ausg., 414, 936, 942 u. a.<br />

2 Culturgeschichte <strong>des</strong> deutschen Volks, I, 62,<br />

3<br />

Vgl. Grimm, 713 fg.


150 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der<br />

religiöse Dualismus.<br />

einer spätem polytheistischen Zerspl<strong>it</strong>terung machen will;<br />

allein der geschichtliche Vorgang zeigt der unbefangenen<br />

Beobachtung, dass der sinnliche Mensch durch geistige<br />

Operation von der sinnlichen Vielhe<strong>it</strong> zur geistigen Einhe<strong>it</strong><br />

gelangt, es wird durch die erfahrungsmässige Wahrnehmung<br />

bestätigt, dass nicht nur der abstracte Monotheismus der<br />

Hebräer in seiner Reinhe<strong>it</strong> erst das Resultat der ganzen <strong>Geschichte</strong><br />

dieses Volks gewesen, dass der reine, einhe<strong>it</strong>liche<br />

Gottesbegriff überhaupt erst das Ergebniss eines vorhergegangenen<br />

Entwickelungsprocesses sein kann.<br />

Allerdings waren die alten Germanen so angelegt, däss<br />

sie leichter als mancher andere Volksstamm der polytheistischen<br />

Anschauung, die von Naturreligion unzertrennlich ist, sich<br />

entwinden konnten, um sich den Einhe<strong>it</strong>sbegriffen von Einem<br />

göttlichen Urwesen zu nähern. Der sinnige Ernst, welcher<br />

deutsche Art kennzeichnet, verband m<strong>it</strong> sich zugleich ein<br />

reges<br />

Einhe<strong>it</strong>sstreben auch in religiöser Beziehung, das in anderer<br />

Hinsicht, besonders in der germanischen Vorstellung vom<br />

Königthum zu Tage tr<strong>it</strong>t, das m<strong>it</strong> dem, der germanischen<br />

Natur tiefeingeprägten Fidel<strong>it</strong>ätsverhältniss <strong>des</strong> Dienstgefolgs<br />

gegen den Dienstherrn, m<strong>it</strong> der Kampfeslust und Kampfestreue<br />

für und m<strong>it</strong> dem angestammten und erwählten Herrn 1 ,<br />

im engsten Zusammenhang steht und, auf das Christenthum<br />

übertragen, die so oft besprochene „natürliche Prädispos<strong>it</strong>ion"<br />

der germanischen Völker für jenes im wesentlichen ausmacht.<br />

Darin liegt der pos<strong>it</strong>ive Grund, aus dem sich im allgemeinen<br />

die Neigung der germanischen Völker zum Christenthum<br />

erklären lässt, obschon auch negative Momente bei der<br />

schnellen Bekehrung der Germanen m<strong>it</strong>gewirkt haben, so<br />

namentlich das haltlos gewordene germanische Hddenthum<br />

selbst , dem bei seiner Uebersctzung auf fremden Boden,<br />

unter dem unsteten Völkergedränge der damaligen Ze<strong>it</strong>,<br />

die nöthige Ruhe versagt blieb , um neue Wurzel zu<br />

schlagen. Sollte nicht vielleicht in der grauenhaften<br />

Ahnung von der Endlichke<strong>it</strong> dieser Weltordnung, die<br />

den germanischen Glaubenskreis hindurchzieht, ein sollic<strong>it</strong>iren<strong>des</strong><br />

Moment für die Gemüthsvertiefung und den idealistischen<br />

Sinn der Germanen, als Tendenz nach einhe<strong>it</strong>lichem<br />

1<br />

Kurtz, Ilandb. d. allgem. Kirchengesch., II, 1. Abtheil., S. 15.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 151<br />

geistigem Gottesbegriff sich offenbarend, zu suchen sein?<br />

Nicht zu vergessen ist ferner die glimpfliche Weise, in der<br />

die Gebräuche <strong>des</strong> Heidenvolks von den Kirchenlehrern oft<br />

geschont wurden, sodass die heilige Scheu und die Vorstellungen<br />

aus dem heidnischen Glaubenskreise leicht in das<br />

Christenthum übertragen werden konnten. Grimm l erwähnt ein<br />

Beispiel aus dem Beginne <strong>des</strong> 7. Jahrhunderts , wonach in der<br />

„schon christlichen Kirche" die alten heidnischen Götterbilder<br />

in<br />

der Wand eingemauert waren, um dem Volk, das an ihnen<br />

hing, sich gefällig zu bezeigen.<br />

Die Einhe<strong>it</strong>stendenz innerhalb der religiösen Anschauung<br />

der Germanen zeigt sich in der Vorstellung von einem „Allvater"<br />

(Allfadur), einem göttlichen Urwesen, das alle deutschen<br />

Mundarten m<strong>it</strong> „Gott" bezeichnen. Diese Erscheinung findet<br />

ihre Analogie auch in andern Naturreligionen, wo an der<br />

Sp<strong>it</strong>ze der Vielhe<strong>it</strong> von Gotthe<strong>it</strong>en Eine zu stehen kommt, in<br />

der sich die zerspl<strong>it</strong>terte Bedeutung mehr oder weniger merkbar<br />

zusammenfasst. Aus diesem starken Drange nach geistiger<br />

Einhe<strong>it</strong>,<br />

der in der germanischen Natur ursprünglich begründet<br />

ist, erklärt es sich, dass der Dualismus innerhalb <strong>des</strong><br />

nordischen und germanischen Glaubenskreises nicht bis in die<br />

feinsten Adern <strong>des</strong> Organismus sich durchgebildet hat und<br />

das wohlthätige, gute Princip in dem Göttlichen vorwaltet.<br />

Allein der Dualismus schweigt doch nicht, wie selbst Meister<br />

Grimm zugesteht, und ausser dem berührten Gegensatze in<br />

den Mythen von Tag und Nacht, Sommer und Winter, macht<br />

er sich in der Vorstellung von Licht- und Schwarzeiben geltend.<br />

Es ist ein Dualismus, wie ihn auch andere mythologische<br />

Systeme zwischen freundlichen und feindlichen, wohl- und<br />

übelthätigen Engeln <strong>des</strong> Lichts und der Finsterniss, himmlischen<br />

und höllischen Geistern aufstellen. Obgleich alle Eiben<br />

klein und neckhaft gedacht werden, so erscheinen doch die<br />

lichten wohlgebildet, von zierlicher Schönhe<strong>it</strong>, in leuchtendem<br />

Gewände gegenüber den misgestalteten, hässlichen schwarzen,<br />

die auch m<strong>it</strong> den Zwergen vermengt werden. 2<br />

Es handelt sich hier um keine Darstellung der nordischgermanischen<br />

Mythologie, vielmehr nur um die Andeutung<br />

1<br />

S. 97.<br />

2<br />

Grimm, 414 fg.


152 Erster Abschn<strong>it</strong>t : Der<br />

religiöse Dualismus'.<br />

derjenigen Züge, die den Dualismus bezeigen, und solcher,<br />

die sich an die Vorstellung <strong>des</strong> m<strong>it</strong>telalterlichen <strong>Teufels</strong> angesetzt<br />

und dam<strong>it</strong> verwachsen haben, an <strong>des</strong>sen späterer Gestalt<br />

und seiner Umgebung noch kenntlich sind.<br />

Das Streben nach Anerkennung einer höchsten Macht,<br />

die von Einem Wesen getragen wird, findet seinen Ausdruck<br />

in dem höchsten Gott unserer Vorfahren, in Wodan (Wuodan,<br />

Woden, Guodan, nord. Odhin), dem Alldurchdringenden,<br />

unter dem die Welt steht, in den ältesten Liedern Allvater genannt,<br />

insofern die Macht und die Eigenschaften, die auf<br />

verschiedene Götter vertheilt sind, in ihm zusammengefasst gedacht<br />

werden. Nach Vergleichung der Göttertrilogien 1 liegt<br />

der ältesten gemäss dem Wodan die Luft zu Grunde, und<br />

zwar vom leisesten Wehen bis zum tobenden Sturm. Nach<br />

der unm<strong>it</strong>telbaren Anschauung, <strong>des</strong> Alterthums, welche Geist<br />

und Natur nicht scheidet, waltet Wodan wie im Geiste so<br />

in der Natur, er erregt die zarte Empfindung der Dichter und<br />

Liebenden, aber auch die wilde Kampfeswuth. Wie die Luft<br />

alles durchdringt, so ist Wodan der alldurchdringende Geist<br />

der Natur. Nach seiner physikalischen Bedeutung ist Wodan<br />

Sonnengott, welche Eigenschaft dann auf Freyr überging. 2<br />

Als Sonnengott wird Wodan einäugig vorgestellt, die Sonne<br />

ist sein Auge, von der die Erde beleuchtet und befruchtet<br />

wird; er ist auch der Himmel, der die Erde umfängt; er ist<br />

die schaffende und bildende Kraft , die Menschen und Dingen<br />

Gestalt und Schönhe<strong>it</strong> verleiht, von der auch die Dichtkunst<br />

ausgeht. Denn von Wodan geht alles aus und hängt alles ab,<br />

ihm kommt nach der ethischen Bedeutung die Allwissenhe<strong>it</strong> zu,<br />

wonach er von seinem hohen S<strong>it</strong>ze alles überschaut, er ist der<br />

weltlenkende, weise, kunsterfahrene Gott, der auch Kriege<br />

und Schlachten ordnet, den Sieg lenkt, also zugleich Kriegsgott<br />

ist. Sonach konnte er m<strong>it</strong> dem eigentlichen Kriegsgott<br />

Ziu, Tyr verwechselt und neben Mars und Mercurius gestellt<br />

werden. 3 Da von Wodan alles Heil ausgeht, ist er<br />

auch Gott <strong>des</strong> Glücks, <strong>des</strong> Spiels und in dieser Beziehung<br />

Erfinder <strong>des</strong> Würfelspiels, Als Oski (Wunsch) gibt er<br />

1<br />

Vgl. Simrock, Handb. d. deutsch. Mythol., 837 fg.<br />

2<br />

Simrock, 225.<br />

3<br />

Grimm, 9l>, 108, 122.


4. Dualismus in den Beligionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 153<br />

nicht nur den Schiffern günstigen Wind, sondern ist überhaupt<br />

der Spender erwünschter Gaben und kann im Sinne<br />

<strong>des</strong> Wunsches Gott der Sehnsucht und Liebe sein. 1<br />

Als Gangleri und Gangradr ist<br />

er der unermüdliche Wanderer,<br />

der in unscheinbarer Gestalt die Menschenwohnungen besucht<br />

und die Gastfreundschaft auf die Probe stellt; Yggr bezeichnet<br />

ihn als den schrecklichen Gott, Glapwidr als den in Listen<br />

Erfahrenen, Bölwerke und Bölwisi gar als den Verfeinder der<br />

Fürsten und Zankerreger unter Verwandten. Als kriegliebender<br />

Gott konnte er schon die Bedeutung <strong>des</strong> Stifters von Zwist<br />

und Feindschaft erhalten, da Wuotans Name von selbst in<br />

den Begriff von Wuth und Zorn umschlägt und aus dem<br />

Sinne, den das Alterthum m<strong>it</strong> Wuotan verband, sich die<br />

Abstractionen von Wout (furor), Wunsch, (Ideal) und voma<br />

(impetus, fragor) ergaben, sodass der anmuthverleihende Gott<br />

zum schrecklichen Stürmer werden konnte. 2<br />

Als Odhin trägt er auf dem Haupte den Goldhelm, in<br />

der' Hand den Spiess Gungnir, re<strong>it</strong>et auf dem achtbeinigen<br />

Wunderross Sleipnir, dem Symbole der Allgegenwart. Zuweilen<br />

erscheint er als schlichter Wanderer m<strong>it</strong> tief herabgedrücktem<br />

bre<strong>it</strong>em Hute. Gewöhnlich trägt er einen we<strong>it</strong>en<br />

blauen Mantel (das Symbol <strong>des</strong> Wolkenhimmels), und so<br />

zieht er als Hakulberand vor dem wilden Heere einher. In<br />

der Haddingssage 3 kommt er als einäugiger Greis dem<br />

stärkt diesen durch einen Trunk,<br />

fliehenden Hadding zu Hülfe,<br />

fasst ihn dann in den Mantel und führt ihn durch die Luft<br />

nach der Heimat.<br />

Wenn Odhin seinen Hochs<strong>it</strong>z einnimmt, hat er auf jeder<br />

Schulter einen Raben, die ihm zuflüstern, was in der Ze<strong>it</strong><br />

vorgeht. Er selbst bedarf keiner Nahrung, reicht aber das<br />

für ihn bestimmte Fleisch <strong>des</strong> Ebers den Wölfen zu seinen<br />

Füssen, die zuweilen auch Hunde heissen, wie noch Hans<br />

Sachs die Wölfe „unsers Herrgotts Jagdhunde" nennt. Der<br />

Wolf gebührt ihm als Kriegsgott. Odhin ähnlicht dem<br />

Apollon darin, dass von ihm Seuchen, aber auch deren Heii<br />

Grimm, XLII.<br />

2<br />

Grimm, 131 fg.<br />

3<br />

Bei Saxo, I, 12.


154 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

lung ausgehen, „jede schwere Krankhe<strong>it</strong> ist Gottes Schlag,<br />

und Apollons Pfeile senden die Pest". '<br />

Kraft seiner kriegerischen Eigenschaften kommen die gefallenen<br />

Helden, die er durch seine Todtenwählerinnen<br />

(Walküren) erhält, zu ihm. An ihn, als Luft- und Kriegsgott,<br />

knüpft sich auch die Sage vom wüthenden Heer und der<br />

wilden Jagd, wobei wol an den Gew<strong>it</strong>tersturm,<br />

zunächst zur<br />

Ze<strong>it</strong> der Aequinoctien, zu denken ist. Er ist der Erfinder der<br />

Runenlieder, der Poesie, überhaupt aller Bildung, und da man<br />

sich der Runen zum Losen, Weissagen und Zaubern bediente,<br />

deren Gebrauch m<strong>it</strong> allen priesterlichen Weihen zusammenhing,<br />

sowie Opfer, Poesie, Weissagung und Zauber untereinander<br />

verwandt sind, steht er m<strong>it</strong> diesen in Beziehung.<br />

Aus seiner Umarmung der Erde geht sein gewaltigster<br />

Sohn Donar (Thunar, nord. Thörr) hervor,<br />

der seine Mutter<br />

Erde und deren Bebauer beschützt, die Feinde der Götter<br />

und Menschen bekämpft. Als Gott <strong>des</strong> Donners, der den<br />

Bl<strong>it</strong>z schleudert, sollte Thörr als oberster der Götter erscheinen,<br />

seine Mutter Jördh, die grosse Lebensmutter, wird<br />

auch die Mutter der Götter genannt. In Norwegen heisst er<br />

auch schlechthin der As, und in der ersten Christenze<strong>it</strong> galt<br />

an Thörr glauben für gleichbedeutend m<strong>it</strong> Heide sein. War<br />

er also einstens der oberste Gott, so hat er diesen Rang dem<br />

Odhin räumen müssen.<br />

Thörr schleudert seine Bl<strong>it</strong>ze nur gegen die Riesen als<br />

Feinde der Götter und Menschen, er spaltet ihnen m<strong>it</strong> seinem<br />

Hammer das Haupt, d. h. er erschliesst das unfruchtbare<br />

Land dem Anbau. Weil die kalten Winde von Osten her<br />

kommen, darum ist Thörr immer im Kampfe m<strong>it</strong> den Bergriesen,<br />

stets auf der Ostfahrt. Wenn Thörr nicht wäre, sagt<br />

ein nordisches Sprichwort, würden die Riesen überhandnehmen.<br />

2 Als Freund der Menschen schützt er diese gegen<br />

alle dem Landbau schädlichen Naturkräfte, vor Frost und<br />

Sturm, schickt seine Bl<strong>it</strong>ze gegen die Dämonen der Gluth<strong>it</strong>ze<br />

und wehrt die verderblichen Gew<strong>it</strong>ter ab. Er ist auch der<br />

Gott der Brücken, die den Verkehr der Menschen fördern,<br />

überhaupt Gott der Cultur.<br />

1<br />

Grimm, 136.<br />

* Grimm, 497.


4< Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 155<br />

Als Herr <strong>des</strong> Gew<strong>it</strong>ters führt Thörr den zermalmenden<br />

Hammer, der aber auch eine heiligende Kraft hat, das<br />

Brautpaar weiht, Leichen einsegnet, <strong>des</strong>sen Wurf die Grenzen<br />

<strong>des</strong> Eigenthumes bestimmt, wonach Thörr als Gott der Ehe,<br />

<strong>des</strong> Eigenthums erscheint. Von der Farbe <strong>des</strong> Bl<strong>it</strong>zes ist er<br />

rothbärtig. M<strong>it</strong> Hindeutung auf die sprunghafte Bewegung<br />

<strong>des</strong> Bl<strong>it</strong>zes, hat Thörr ein Gespann von zwei Böcken vor<br />

seinem Wagen, auf dem er zu fahren pflegt. Der eine von<br />

den Böcken hinkt, was auf die Naturanschauung bezogen<br />

wird. Der Bock war ein dem Donar geheiligtes Thier. 1<br />

Uhland sieht in den Ziegen das Sprunghafte über das Gebirge<br />

versinnlicht, andere beziehen sie auf das Sternbild der Ziege,<br />

das zur Ze<strong>it</strong> der ersten Gew<strong>it</strong>ter aufzugehen pflegt.<br />

Von seiner Gemahlin Sif hat Thörr eine Tochter Thrudh,<br />

d. h. Kraft, sein Gebiet Thrudhwang bezieht daher Uhland<br />

auf das fruchtbare Land und Thrudh auf das Saatkorn. 2<br />

Ein anderer Sohn Wodan's ist Zio (Ziu, sächs. Sahsnot,<br />

Saxnot, nord. Tyr), der als specifischer Kriegsgott alles,<br />

was auf Krieg und Schlacht in Beziehung steht, ausführt; er<br />

ist der eigentliche Sehwert gott, den die jüngere Edda als<br />

kühn und mathig schildert, der über den Sieg im Kriege<br />

wacht.<br />

Der Name Tyr, <strong>des</strong>sen Grundbedeutung auf „leuchten"<br />

zurückgeführt worden ist 3 , weist auf einen leuchtenden Himmelsgott<br />

hin, als der er aber in der Edda nicht mehr vorkommt.<br />

Als Kriegsgott wird er unter dem Symbole <strong>des</strong><br />

Schwertes verehrt, von dem der Glanz kriegerischer Völker<br />

ausgeht. Tyr war Himmelsgott und Kriegsgott zugleich, und<br />

in letzter Bedeutung ist sein Andenken im Namen <strong>des</strong> dr<strong>it</strong>ten<br />

Wochentags (dies Martis) Ertag, Irtag, der in Baiern und<br />

einigen Gegenden Oesterreichs gebräuchlich ist, aufbewahrt,<br />

indem Tyr durch Er, der m<strong>it</strong> jenem zusammenfällt, vertreten<br />

ist.<br />

Nach Leo 4 haben die Sachsen von ihrer Steinwaffe Sahs<br />

ihren Namen, und Saxnot, der von dem ostsächsischen Volk<br />

1<br />

Grimm, 947.<br />

2 Uhland, Mythol. vom Thorr, S. 2.<br />

3<br />

Grimm, 176.<br />

4<br />

Vorlesung., 220.


15G Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

in Br<strong>it</strong>annien an die Sp<strong>it</strong>ze gestellt wird, ist ein und derselbe<br />

Gott, den die „Abrenuntiatio" als Saxnot anführt.<br />

Ein dr<strong>it</strong>ter Sohn Wodan's ist Fro (Froho, nord. Freyr),<br />

der frohinachende Gott, Beschirmer der Ehe und <strong>des</strong> Friedens,<br />

der auch die Liebe erzeugt und Gott <strong>des</strong> Ehesegens<br />

ist. Wenn Freyr, um in Gerda's, der Tochter <strong>des</strong> Frostriesen<br />

Gymir, Bes<strong>it</strong>z zu gelangen, sein Schwert hingibt, so<br />

ist er 1 als Sonnengott zu fassen: er gibt es her um Gerda's<br />

Bes<strong>it</strong>z, d. h. die Sonnenglut senkt sich in die Erde, um<br />

Gerda's Erlösung aus der Haft der Frostriesen zu bewirken,<br />

die sie unter Eis und Schnee zurückhalten. „Freyr gibt sein<br />

Schwert alljährlich her, er erschlägt alljährlich den Beli, den<br />

Riesen der Frühlingsstürme, alljährlich feiert er seine Vermählung<br />

m<strong>it</strong> Gerda im grünenden Haine." Als Sonnengott<br />

bes<strong>it</strong>zt er den goldborstigen Eber Gullinbursti , waltet über<br />

Regen, Sonnenschein und Wachsthum der Erde, wird daher<br />

um Fruchtbarke<strong>it</strong> angerufen.<br />

Freyr erscheint in einigen Erzählungen bei Saxo als<br />

Drachenkämpfer 2 , und wie unter dem Drachen das die Ernte<br />

vernichtende Austreten der Flüsse und Bäche verstanden<br />

wird, so steht dies m<strong>it</strong> der Bedeutung <strong>des</strong> Gottes in Uebereinstimmung.<br />

Der weise und gerechte Paltar (nord. Baidur, Baldr)<br />

ist auch ein Sohn Wodan's, er gibt Recht und Gesetz, wird<br />

der weiseste und beste aller nordischen Äsen genannt, darum<br />

von allen geliebt. Ihm zur Se<strong>it</strong>e ist sein Sohn Forasizzo<br />

(nord. Forsetti), der Vors<strong>it</strong>zer der Gerichte und Schlichter<br />

der Händel, in welchem nur eine Eigenschaft Baldur's personilicirt<br />

zu sein scheint. 3 Baldur's Urtheile kann niemand<br />

schelten, was Simrock daraus erklärt, dass er das Licht bedeutet.<br />

Er ist unverletzbar durch Wurf und Schlag, die<br />

Mistel ist die einzige Waffe gegen ihn, sie ist Symbol <strong>des</strong><br />

Winters, da sie bei ihrem Wachsen <strong>des</strong> Lichts nicht bedarf. 4<br />

Baldur's Tod bedeutet die Neige <strong>des</strong> Lichts, <strong>des</strong> Sommers in<br />

der Sommersonnenwende.<br />

Wol (Phol, nord. Uli er) ist die winterliche Se<strong>it</strong>e<br />

1<br />

Nach Simrock, 73.<br />

2<br />

W. Müller, Ze<strong>it</strong>schrift, III, 43.<br />

3<br />

Simrock, 343.<br />

1<br />

ühland, Mythol. d. Thörr, 146.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 157<br />

Odhin's, ist Gott der Jagd. Als Wintergott ist Uller Sohn<br />

der Sif, der Erdgöttin. Indem das Jahr ans Sommer und<br />

Winter besteht, steht Baidur als Sommergott m<strong>it</strong> Ulier im<br />

Zusammenhang.<br />

Den männlichen Gotthe<strong>it</strong>en parallel stehen weibliche,<br />

als: Nerthus (Nirdu, nord. Jördh) die fruchtbare Erde, welche,<br />

wie fast in allen Sprachen weiblich, im Gegensatz zu dem sie<br />

umfangenden Himmel, als gebärende, fruchtbare Mutter aufgefasst<br />

wird. Sie hält Umzüge unter den Völkern, wird von<br />

zwei Kühen gezogen und bringt Frieden und Fruchtbarke<strong>it</strong>. 1<br />

Auf einer Insel <strong>des</strong> Weltmeers lag ihr heiliger Hain, wo ihr<br />

Wagen aufbewahrt ward, woraus geschlossen wird, dass ihr<br />

Wagen zugleich ein Schiff gewesen sei, da Nerthus sonst<br />

nicht von ihrer Insel im Ocean zu den Völkern hätte gelangen<br />

können. 2 Den Wagen der Nerthus schirrt der Priester und<br />

begle<strong>it</strong>et sie auf ihren Umzügen, die hinsichtlich der Götter<br />

überhaupt zunächst als deren Handlungen erscheinen. Das<br />

Volk schmückt sich und Haus und Hof zum festlichen Empfang<br />

der Göttin, es sind frohe Tage, wo Krieg und Arbe<strong>it</strong> ruhen.<br />

Hol da, der die nordische Freya entspricht, schützt die<br />

Liebenden, segnet die Ehebündnisse, ist die herrlichste der<br />

Asinnen, hat vor ihren Wagen zwei Katzen gespannt, die<br />

Symbole starken Geschlechtstriebs. Sie liebt den Minnegesang,<br />

ist daher in Liebesangelegenhe<strong>it</strong>en anzurufen. Sie<br />

entspricht auch der deutschen Frouwa, der Anmuth und<br />

Liebreiz verleihenden Schwester <strong>des</strong> holdseligen Fro, von<br />

welcher der Ehrenname Frau seinen Ursprung hat.<br />

Dem Namen Hol da ist der Begriff der milden, gnädigen<br />

Göttin eingedrückt und soll der gütigen Frika Beiname sein. 3<br />

Sie berührt sich aber auch vielfach m<strong>it</strong> Hilda 4 ,<br />

selbst m<strong>it</strong><br />

Hei, der „Verborgenen", als Todtesgöttin. Holda ist im Norden<br />

tief herabgewürdigt, wenn sie langnasig, hässlich, grosszahnig,<br />

m<strong>it</strong> struppigem, verworrenem Haar vorgestellt wird.<br />

Denn obschon der jährliche Umzug Holda's m<strong>it</strong> ihrem Gefolge<br />

von Eiben, die nach ihr die „guten Holden" heissen, dem<br />

Lande Fruchtbarke<strong>it</strong> bringt, so fährt sie doch auch, gleich<br />

1<br />

Tac<strong>it</strong>., Germ., 40.<br />

2<br />

Simrock, 399.<br />

3<br />

Grimm, 244.<br />

4<br />

Simrock, 413.


158 Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

Wuotan, schreckenerregend durch die<br />

Lüfte und gehört, wie<br />

dieser, zum wüthenden Heer. Hieran knüpft sich der m<strong>it</strong>telalterliche<br />

Glaube von den Fahrten der Hexen in Gesellschaft<br />

der Holda. Der christliche Volksglaube Hess die Seelen der<br />

ungetauft verstorbenen Kinder, da sie heidnisch geblieben,<br />

dem Wuotan oder der Holda verfallen.<br />

Berchta, dem Namen nach „die leuchtende, glänzende<br />

Göttin", und Holda (aus dem altdeutschen: hulda, Dunkelhe<strong>it</strong>),<br />

den Gegensatz bildend, findet Simrock in der Hei verbunden,<br />

indem diese eine lichte und eine dunkle Se<strong>it</strong>e hat,<br />

und je nachdem sie dem Menschen die eine oder die andere<br />

zukehrte, als lichte (Berchta) oder als dunkle Göttin (Hulda)<br />

erscheinen konnte. l Letztere Se<strong>it</strong>e ist durch christlichen Einfluss<br />

besonders hervorgehoben worden, wo sie als kinderschrecken<strong>des</strong><br />

Scheusal auftr<strong>it</strong>t. Nach Grimm ist Berchta<br />

durch die<br />

christliche Volksansicht noch tiefer als Holda herabgedrückt.<br />

2 Holda wird, wie Berchta, auch als spinnende<br />

Frau dargestellt, sie steht dem Flachsbau vor sowie dem<br />

Feldbau, beaufsichtigt die strenge Ordnung im Haushalt, beschützt<br />

den weiblichen Fleiss, ist demnach, gleich Nerthus,<br />

eine bemutternde Gotthe<strong>it</strong>. Ihr und Bertha's Erscheinen ist<br />

daher dem Neidischen und Faulen ungünstig. Der Holda<br />

waren die Grenzen heilig, und es scheinen auch die Gerichte<br />

unter der Obhut dieser hehren Göttin gestanden zu haben. 3<br />

Daran knüpft sich wol der Zusammenhang, in dem, nach dem<br />

Volksglauben, die Hexen m<strong>it</strong> den Richtstätten stehen.<br />

Holda, welche nach Simrock 4 zwischen Hei und<br />

Ran in der M<strong>it</strong>te steht, empfängt die Ertrinkenden auf dem<br />

Grunde ihres Sees oder Brunnens auf freundlichen Wiesen.<br />

Ran, die im Wasser wohnende To<strong>des</strong>göttin und Gattin <strong>des</strong><br />

Wasserriesen Oegir, raubt die Ertrinkenden, die sie im Netz<br />

an sich zieht. Sie ist eine Nebenbildung der Hei, und die<br />

Unterwelt scheint in dem Schose der Erde wie in der Tiefe<br />

<strong>des</strong> Meeres gedacht zu sein.<br />

Frey ja und ihr Bruder Freyr, der über Regen und<br />

Sonnenschein und das Wachsthum der Erde waltet, Kinder<br />

1<br />

Simrock, 414.<br />

2<br />

Grimm, 250.<br />

3<br />

Simrock, 419.<br />

i<br />

S. 475.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 159<br />

<strong>des</strong> Äsen Niordr, repräsentiren die zur Frühlingsze<strong>it</strong> sich<br />

regende Zeugungskraft in der Natur. Frey ja erscheint als<br />

Göttin der schönen Jahresze<strong>it</strong>, der Liebe, sie ist aber auch<br />

Walküre, der die Hälfte in der Schlacht Gefallener angehört,<br />

in welcher Beziehung sie Odhin's Gemahlin ist.<br />

Als solche reicht<br />

sie den in Odhin's Halle eingedrungenen Riesen den Trunk.<br />

eddischen Glaubenskreise erscheint sie aber als Göttin der<br />

schönen Jahresze<strong>it</strong>, der Liebe, der Ehe. Neben ihr steht<br />

Friofor, die aber dem Begriffe wie dem Namen nach nur aus<br />

Freyja hervorgegangen, als selbständige Göttin neben jene<br />

hingestellt erscheint, hat von ihrer Mutter Nerthus die gleiche<br />

Würde der Freyja angeerbt, ist Wodan's Gemahlin und theilt<br />

m<strong>it</strong> diesem die Allwissenhe<strong>it</strong>, steht der Ehe vor, wird von<br />

Kinderlosen angefleht. In Niedersachsen hat Frigg den Namen<br />

Fru Freke und spielt häufig Rollen der Frau Holle. 1 Nach<br />

Simrock 2 schied sich Odhin von der Mutter Thörf's,<br />

Njördh, als er sich der Frigg verband, und wenn diese jetzt<br />

wol auch Tochter Fiörgyn's heisst, so soll sie dies m<strong>it</strong> der ersten<br />

Gemahlin <strong>des</strong> Gottes identificiren, sie konnte auch nicht mehr<br />

Njördh's Tochter heissen,<br />

Im<br />

se<strong>it</strong> sie von der Freyja unterschieden<br />

ward. Frigg, als Verjüngung der Erdmutter, personificirt den<br />

Zeugungstrieb der Natur, worauf sich ihre Buhlschaften bei<br />

Saxo und in der älteren Edda beziehen. Freyja fährt auf<br />

einem m<strong>it</strong> zwei Katzen bespannten Wagen, den Symbolen<br />

<strong>des</strong> starken Zeugungstriebs. Grimm 3 anerkennt die Ident<strong>it</strong>ät<br />

der Freyja und Frigg m<strong>it</strong> Hera und Aphrod<strong>it</strong>e und sieht<br />

ausser verschiedenen andern Zügen auch darin eine Vermengung<br />

der Frigg und Freya, dass eine Göttin Jolla als<br />

Schwester der letztern, die altnordische Julia als Dienerin der<br />

erstem erscheint, indem Jolla und Julia dem Namen wie dem<br />

Amte nach zusammenfallen.<br />

Die der Freya geheiligte Katze macht das M<strong>it</strong>telalter zum<br />

Thiere der Hexen und Nachtfrauen.<br />

Da die ursprüngliche Form der germanischen Religionsanschauung<br />

Naturreligion war 4 ,<br />

schaute die gläubige Phan-<br />

1<br />

Vgl. Grimm, 245, 280.<br />

2<br />

S. 379.<br />

3 S. 285.<br />

4<br />

Ueber den Sonnendienst der Germanen, vgl. J. Caesar, B. G., VI, 21;<br />

Grimm, D. Myth. a. versch. 0.; <strong>des</strong>sen R.-Alt., 278.


1(3(J Erster Abschn<strong>it</strong>t: Der religiöse Dualismus.<br />

tasie in den waltenden Naturkräften noch eine Menge götterhafter<br />

Wesen an, bei welchen sich der Dualismus von wohlund<br />

übelthätig mehr oder weniger herausstellt. Jener Nordmann<br />

dürfte daher nicht unrecht haben, wenn er behauptet:<br />

dass seine Vorfahren die ganze Welt m<strong>it</strong> Geistern verschiedener<br />

Art erfüllt glaubten, wovon einige den Menschen zugethan<br />

waren, daher Licht-Asen, gute Äsen genannt wurden;<br />

andere, die nach ihrem Aufenthalte in Wäldern, Höhlen, auf<br />

Bergen und Felsen, in der Luft oder im Wasser benannt<br />

waren, als böse Dämonen betrachtet wurden. l Es wurde<br />

schon erwähnt, dass den Lichtelben die schwarzen Eiben<br />

gegenüberstehen, und obschon das Eibenvolk im allgemeinen<br />

als gutmüthig angenommen wird, und die Gegensätzlichke<strong>it</strong><br />

im religiösen Bewusstsein der Germanen überhaupt nicht im<br />

vollen Geichgewicht steht, indem die gute Se<strong>it</strong>e überwiegt, so<br />

suchen doch die Eibinnen gerne schöne Jünglinge, die Zwerge<br />

schöne Jungfrauen in ihre gefährliche Umarmung zu locken.<br />

Die Gegensätzlichke<strong>it</strong> zeigt sich an den im deutschnordischen<br />

Glaubenskreise häufig vorkommenden Riesen,<br />

deren<br />

einige zwar m<strong>it</strong> den guten Äsen im friedlichen Verhältniss<br />

stehen, meist aber doch einen feindlichen Dualismus bilden,<br />

wie ihre Kämpfe m<strong>it</strong> ihnen klar beweisen. Die Eintheilung<br />

n Fr ostriesen, Bergriesen, Wasserriesen, Feuerriesen gibt<br />

eine deutliche Erklärung ihrer urelementaren Bedeutung. Die<br />

altern Urkunden erkennen sie als<br />

die Urgeborenen, die älter<br />

als die Äsen erscheinen, zu denen sie das gegensätzliche Verhältniss<br />

<strong>des</strong> Unorganischen zum Organischen bilden, wozu die<br />

griechische Mythologie eine Analogie bietet.<br />

Die Kiesen sind als<br />

die älteste Götterdynastie zu betrachten, an deren Stelle, nach<br />

dem Volksglauben, die spätem Götter getreten sind, also<br />

eine entwickeltere Stufe bilden, und m<strong>it</strong> jenen, die in der Erinnerung<br />

aufbewahrt worden, in Gegensatz zu stehen kommen.<br />

Die Riesen werden zu Feinden der Götter, und da es im<br />

Begriffe der letztern liegt, gut zu sein, so können erstere<br />

nicht anders als böse dargestellt werden. Es ist ein Vernichtungskrieg,<br />

in dem sie begriffen sind, wobei die Welt<br />

untergehen soll.<br />

Der Urriese Ymir verdankt sein Leben dem Zusammen-<br />

1<br />

Thorlacius im Skandinav. Museum v. 1803, II, 33.


4. Dualismus in den Religionen der Culturvölker <strong>des</strong> Alterthums. 161<br />

wirken von Licht und Wärme auf das Wasser,<br />

den Grundstoff*<br />

alles Seins. Die Riesen sind hiernach Repräsentanten<br />

der vom Geiste noch ungeformten Materie. Den Riesen eignet<br />

daher Plumphe<strong>it</strong>, Ungeschicklichke<strong>it</strong>, Ungeschlachthe<strong>it</strong> ; in den<br />

deutschen Sagen wird ihnen meistens Dummhe<strong>it</strong> zugeschrieben,<br />

die bald m<strong>it</strong> Gutmüthigke<strong>it</strong>, bald m<strong>it</strong> Boshe<strong>it</strong> vereint ist. Im<br />

Norden hat sich der ursprüngliche Gegensatz mehr zum<br />

ethischen von gut und böse entwickelt. Die Äsen erscheinen<br />

als Träger <strong>des</strong> Guten, der schaffenden und erhaltenden Cultur;<br />

die Riesen hingegen als ein Geschlecht, das auf Zerstörung sinnt<br />

und das uranfängliche Chaos herbeiführen will. Wie die Urwälder<br />

und die Ungeheuern Thiere der Vorze<strong>it</strong> ausgerottet werden<br />

, so erliegen die Riesen den gegen sie kämpfenden Helden.<br />

Andern Ursprungs sind die Götter , sie werden durch die<br />

Kuh Audhumbla aus den salzigen Eisblöcken geleckt; es ist<br />

hiem<strong>it</strong> ein bildender Process angedeutet, wobei das Salz die<br />

Bedeutung <strong>des</strong> geistigen Princips hat. Aus der Vermählung<br />

Böt's, <strong>des</strong> Sohnes Buri's, m<strong>it</strong> der Tochter <strong>des</strong> Riesen Bölthorn<br />

gehen die Söhne üdhin, W^ili und We hervor. Durch die<br />