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Probeseiten (pdf) - Verlag Handwerk und Technik

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Bildungsprozesse erkennen, unterstützen <strong>und</strong> anregen<br />

3<br />

unsicherung. Das kann ihrer persönlichen Entwicklung<br />

einen fördernden Schub versetzen, sie aber auch<br />

zeitweilig in eine Krise führen.<br />

Der Übergang wird jenen Kindern erleichtert, die<br />

ein stabiles Selbstwertgefühl <strong>und</strong> das Bewusstsein haben,<br />

selbst etwas bewirken zu können. Sie bewältigen<br />

die Situation in der Regel gut, wenn sie das Bewusstsein<br />

haben, dafür kompetent <strong>und</strong> gerüstet zu sein. Sie<br />

müssen den Wunsch haben, in die neue Lebenssituation<br />

einzutreten, <strong>und</strong> über Rückhalt, Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Begleitung durch das soziale Umfeld <strong>und</strong> vertraute<br />

Bezugspersonen verfügen können.<br />

Je weniger diese Bedingungen gegeben sind, desto<br />

schwerer ist es, den betreffenden Übergang produktiv<br />

zu bewältigen. Übergänge im Kindesalter sind von zentraler<br />

Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des<br />

Kindes. Durch ihre positive Bewältigung erwirbt das<br />

Kind gr<strong>und</strong>legende Kompetenzen für sein zukünftiges<br />

Leben. Krisenhafte Entwicklungen im Rahmen der<br />

Übergangssituation können dagegen die kindliche Entwicklung<br />

für längere Zeit blockieren (Wilde, 2005).<br />

Hinsichtlich des Übergangs von der Kindertagesstätte<br />

in die Gr<strong>und</strong>schule stellen sich zwei Aufgaben:<br />

• Der Kindertagesstätte kommt die Aufgabe zu, Kindern<br />

solche Erfahrungen zu ermöglichen, die ihnen<br />

eine gute Ausgangsbasis für die Bewältigung<br />

des Übergangs ermöglichen.<br />

• Kindertagesstätte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schule sollen gemeinsam<br />

dafür sorgen, dass die Kinder beim Übergang<br />

in die Gr<strong>und</strong>schule begleitet <strong>und</strong> unterstützt werden.<br />

Diese Begleitung ist vor allem dann notwendig,<br />

wenn Kinder besonders ängstlich oder zum<br />

Zeitpunkt des Übergangs zusätzlichen Belastungen<br />

ausgesetzt sind.<br />

Als Hilfe für die Erzieherinnen werden in allen Bildungsplänen<br />

Anregungen für eine gute Zusammenarbeit<br />

mit der Gr<strong>und</strong>schule gegeben <strong>und</strong> das aktive<br />

Bemühen darum wird zur Verpflichtung gemacht.<br />

A<br />

6 Durchspielen einer vollständigen Handlung<br />

6.1 Analysieren<br />

Das Erzieherinnenteam der Kindertagesstätte Käferweg<br />

arbeitet mit einer Rahmenkonzeption <strong>und</strong> einem<br />

abgestimmten Beobachtungs- <strong>und</strong> Dokumentationssystem.<br />

Das dabei entstehende Material dient mehreren<br />

Zwecken. Zum einen werden die Ergebnisse<br />

individuell zugeordnet: Für jedes Kind existiert ein<br />

Portfolio, in dem seine Entwicklungsschritte dokumentiert<br />

werden. In den Teamsitzungen besprechen<br />

die Erzieherinnen die Beobachtungsprotokolle, tauschen<br />

sich über ihre Einschätzungen <strong>und</strong> Bewertungen<br />

aus. Diese Unterlage ist ein wesentliches Hilfsmittel<br />

bei den regelmäßigen Elterngesprächen.<br />

Außerdem werden die Beobachtungsdokumente<br />

hinsichtlich der Themen <strong>und</strong> Interessen analysiert,<br />

die die Erzieherinnen als für die Kinder im Moment<br />

im Vordergr<strong>und</strong> stehend wahrgenommen haben.<br />

Sie werden als Auskunft über den individuellen Entwicklungsstand<br />

eines Kindes in einem oder mehreren<br />

Persönlichkeitsbereichen aufgefasst. Die folgenden<br />

Persönlichkeitsbereiche werden unterschieden (nach<br />

Bellers Entwicklungstabelle, 2009):<br />

• Körperpflege<br />

• sozial-emotionale Entwicklung<br />

• Spieltätigkeit<br />

• Umgebungsbewusstsein<br />

• Sprache<br />

• Kognition<br />

• Feinmotorik<br />

• Grobmotorik<br />

Über sein Interesse formuliert ein Kind eine sich<br />

selbst gestellte Entwicklungsaufgabe. Es möchte etwas<br />

verarbeiten, etwas herausfinden, sich etwas neu<br />

aneignen oder etwas festigen, üben, sich bestätigen.<br />

Die Analyse der Beobachtungen in der<br />

Morgensituation ergibt Folgendes:<br />

Max (6 Monate): Wird gerade eingewöhnt; dieser Prozess<br />

wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Er<br />

bemerkt Gegenstände <strong>und</strong> Personen <strong>und</strong> zeigt sein<br />

Interesse durch Hinsehen <strong>und</strong> Lautäußerungen des<br />

Wohlseins. Er erkennt offenbar schon seine Bezugserzieherin<br />

wieder <strong>und</strong> freut sich, sie zu sehen. Er greift<br />

nach Dingen, die ihm hingehalten werden, <strong>und</strong> erforscht<br />

sie, indem er sie in den M<strong>und</strong> steckt. Er kann<br />

schon einige Zeit selbstständig sitzen, danach lässt er<br />

sich fallen. Er krabbelt bisher nur rückwärts <strong>und</strong> zeigt<br />

dann manchmal Zeichen von Ärger.<br />

109


3<br />

Bildungsprozesse erkennen, unterstützen <strong>und</strong> anregen<br />

A<br />

Anja (3;2 Jahre): Ist an Statik <strong>und</strong> Baukonstruktionen<br />

interessiert <strong>und</strong> hat außerdem genügend Hartnäckigkeit<br />

entwickelt, dass sie nun anspruchsvoller <strong>und</strong><br />

komplizierter baut. Sie scheint sich dabei wieder <strong>und</strong><br />

wieder dem Unterschied zwischen großen <strong>und</strong> kleinen<br />

Bauklötzen zu widmen. Sie spielt selbstständig<br />

<strong>und</strong> kann sich auch im morgendlichen Geräuschpegel<br />

in ihre Sache versenken.<br />

Marie (1;6 Jahre): Ist sehr damit beschäftigt, ihre Umgebung<br />

zu erk<strong>und</strong>en. Sie ist meist in den Räumen der<br />

Kindertagesstätte unterwegs <strong>und</strong> untersucht vieles. Von<br />

vielen Gegenständen weiß sie inzwischen, wohin sie<br />

gehören. Sie spielt noch überwiegend für sich, obwohl<br />

erkennbar ist, dass die Tätigkeiten anderer Kinder sie<br />

interessieren. Sie erobert sich den Raum <strong>und</strong> verschafft<br />

sich Materialerfahrungen. Immer wieder vergewissert<br />

sie sich physikalischer Phänomene: Ein Bauklotzturm<br />

kann umfallen, die Kugeln rollen die Murmelbahn hinunter,<br />

bis sie unten angekommen sind.<br />

Lucas (3;3 Jahre): Spielt Symbolspiele <strong>und</strong> imitiert<br />

Tätigkeiten. Dabei zeigt er Erfahrungen bzw. Kenntnisse<br />

über Fahrzeuge. Er weiß, dass Bahnen nur auf<br />

Schienen fahren, <strong>und</strong> erlaubt sich einen Scherz, als<br />

er den Zug auf dem Teppich entgleisen lässt. Er spielt<br />

kooperativ <strong>und</strong> zeigt seine Sympathie für seine Spielpartnerin<br />

durch die Akzeptanz des von ihr gelegten<br />

Schienenverlaufs <strong>und</strong> das Angebot, gemeinsam zu lachen.<br />

Auch Jewgenia (3;2 Jahre) zeigt Interesse am Bauen<br />

<strong>und</strong> Konstruieren. Sie hat offenbar eine Vorstellung<br />

von der Mechanik der Schienenverbindung <strong>und</strong> setzt<br />

ihre Idee gegen das zunächst widerständige Material<br />

durch. Sie ist ebenfalls an Kooperation interessiert,<br />

denn sie knüpft an die bereits von Lucas gelegten<br />

Schienen an. Sie zeigt damit auch ihre Bereitschaft<br />

zur Rücksichtnahme, sie fädelt sich geschickt in ein<br />

von Lucas begonnenes Spiel ein. Sie versteht den<br />

Scherz oder lässt sich vom Lachen anstecken. Noch<br />

vor einiger Zeit hat sie dem Spiel der anderen Kinder<br />

eher sehnsüchtig zugeschaut. Sie ist mit ihren Eltern<br />

aus Kasachstan gekommen <strong>und</strong> spricht noch kaum<br />

deutsch. Immer mehr haben die Erzieherinnen allerdings<br />

den Eindruck, dass sie versteht, was ihr andere<br />

sagen, <strong>und</strong> nicht mehr nur imitierend mitmacht.<br />

Thomas (4;4 Jahre): Hat beim Benutzen ihm schon<br />

gut bekannter Alltagsgegenstände eine Regel bzw.<br />

ein Sortierkriterium entwickelt oder wiedererkannt.<br />

Es gibt Unterschiede zwischen Buntstiften, Filzstiften<br />

<strong>und</strong> Wachsmalstiften <strong>und</strong> man kann sie in verschiedene<br />

Behälter einordnen. Er zeigt damit, dass er nicht<br />

nur einen Oberbegriff für Malstifte hat, sondern an<br />

einer Ordnung der Dinge interessiert ist. Dabei schult<br />

er sein Verständnis von Differenz <strong>und</strong> von Mengen,<br />

macht also mathematische Gr<strong>und</strong>erfahrungen.<br />

Meike <strong>und</strong> Lasse (4;5 <strong>und</strong> 4;1 Jahre): Zeigen ihr Interesse<br />

an mehreren Themen gleichzeitig. Ganz auffällig<br />

sind ihre sozialen Bedürfnisse: Sie kooperieren,<br />

können sich abwechseln, sich einordnen, Vorschläge<br />

machen <strong>und</strong> akzeptieren. Damit zeigen sie einander<br />

ihre Fre<strong>und</strong>schaft. Sie erfinden Regeln, die sie auch<br />

mitteilen können. Sie begleiten ihre Tätigkeit mit Erläuterungen,<br />

die allgemein verständlichen Charakter<br />

haben. Ihre grobmotorischen Fähigkeiten sind so weit<br />

entwickelt, dass sie ihre Sprungbewegungen kontrollieren<br />

<strong>und</strong> synchronisieren können. Das besondere<br />

sinnliche Erlebnis Bällebad bereitet ihnen sichtlich<br />

Vergnügen: Sie wiederholen Formen vestibulärer, kinästhetischer<br />

<strong>und</strong> taktiler Wahrnehmung.<br />

Sabine (4;2 Jahre): Kann im Bällebad gleichberechtigt<br />

mitmachen, obwohl sie aufgr<strong>und</strong> einer starken<br />

Fehlsichtigkeit motorisch unsicher wirkt. Sie läuft<br />

<strong>und</strong> springt ungeschickt, stolpert <strong>und</strong> hat sich schon<br />

häufig dabei verletzt. Die Erzieherinnen haben die Eltern<br />

schon vor längerer Zeit auf ihre Beobachtungen<br />

aufmerksam gemacht <strong>und</strong> zu einer Untersuchung geraten.<br />

Erst seit kürzerer Zeit trägt sie eine Brille. Im<br />

kleinräumigen <strong>und</strong> relativ ungefährlichen Bällebad<br />

scheint sie sich sicher <strong>und</strong> wohlzufühlen. So kann sie<br />

ihre Fre<strong>und</strong>schaft zu Meike festigen <strong>und</strong> Beziehungen<br />

Abschiedssituation<br />

110


Bildungsprozesse erkennen, unterstützen <strong>und</strong> anregen<br />

3<br />

Teamkonferenz<br />

zu Lasse aufnehmen. Sie hat in der Vergangenheit<br />

auch schon sehr eifersüchtig <strong>und</strong> missmutig reagiert,<br />

wenn Meike sich einem anderen Kind außer ihr zugewandt<br />

hat.<br />

Peter (3 Jahre): Braucht im Moment eine Unterstützung<br />

beim Abschiedsritual, das er eigentlich seit<br />

einem Jahr gut kennt. Er ist dabei, eine Identität als<br />

großer Bruder zu entwickeln. Er muss hierbei mit Gefühlen<br />

schmerzhafter Eifersucht fertig werden, denn<br />

durch die Ankunft der kleinen Schwester ist er nicht<br />

mehr das einzige geliebte Kind seiner Mutter. Er hat<br />

sich zurzeit enger an seine Bezugserzieherin angeschlossen<br />

<strong>und</strong> kann es nur schwer ertragen, wenn sie<br />

sich nicht in seiner Nähe aufhält. Das Stofftier ist ihm<br />

eine zusätzliche Stütze; er schleppt es seit Tagen mit<br />

sich herum, obwohl es ihn beim Hantieren mit Gegenständen<br />

im Spiel behindert. Das Festhalten am Übergangsobjekt<br />

Kuscheltier ist sicherlich auch ein Zeichen<br />

einer momentanen Regression.<br />

Beim ersten Blick auf die Einzelanalysen zeigt sich,<br />

dass bei einem Teil der Kinder im Moment das Bauen,<br />

Konstruieren <strong>und</strong> das Aneignen physikalischer <strong>und</strong><br />

mathematischer Gr<strong>und</strong>erfahrungen im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen. Ebenso deutlich steht das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit<br />

<strong>und</strong> Kooperation im Raum. Dabei möchten<br />

die Kinder soziale Gr<strong>und</strong>erfahrungen machen <strong>und</strong><br />

mehr über sich selbst im Verb<strong>und</strong> mit anderen erfahren.<br />

Fre<strong>und</strong>schaft, Liebe, Zuneigung <strong>und</strong> die Exklusivität<br />

von Beziehungen scheinen wichtige Themen zu sein.<br />

Die beispielhaft genannten Analysen werden im<br />

Team zusammen mit weiterem Beobachtungsmaterial<br />

ausgewertet. Dabei entwickeln die Erziehungskräfte<br />

erste Ideen zu beiden Themenbereichen, die im Laufe<br />

der Zeit konkretisiert, mit den Kindern abgesprochen,<br />

auf ihre Realisierbarkeit geprüft <strong>und</strong> zur Planung für<br />

ein möglicherweise längerfristiges Vorhaben entwickelt<br />

werden.<br />

6.2 Planen<br />

Das Team der Kindertagesstätte Käferweg gibt den<br />

beiden zusammengefassten Themenbereichen die Arbeitstitel<br />

• „Kooperation, Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> Liebe“ <strong>und</strong><br />

• „Bauen, Konstruieren, physikalische <strong>und</strong> mathematische<br />

Gr<strong>und</strong>erfahrungen“.<br />

Dazu werden die Erziehungskräfte in der nächsten<br />

Zeit weitere mögliche Schlüsselsituationen sammeln,<br />

für einzelne Kinder <strong>und</strong> die Gruppe Ziele formulieren<br />

<strong>und</strong> Ideen für passende Angebote entwickeln.<br />

Dabei werden sie berücksichtigen, wie sie die Kinder<br />

an der Planung beteiligen <strong>und</strong> möglichst alle Sinne<br />

<strong>und</strong> Entwicklungsbereiche ansprechen können. Beide<br />

Themenbereiche sollen zeitlich parallel bearbeitet<br />

werden.<br />

Im Bereich „Bauen, konstruieren, physikalische<br />

<strong>und</strong> mathematische Gr<strong>und</strong>erfahrungen“ nimmt<br />

sich das Team vor, folgende Planung zu verfolgen:<br />

A<br />

Kurzplanung I<br />

Themenbereich Bauen, konstruieren, physikalische <strong>und</strong> mathematische Gr<strong>und</strong>erfahrungen<br />

Ziele<br />

• Bauen <strong>und</strong> stapeln<br />

• Kategorien bilden <strong>und</strong> sortieren<br />

• Einen Begriff von Mengen bekommen<br />

• Lust auf Umgang mit Zahlen haben<br />

• Vorstellungen von Begriffen bekommen <strong>und</strong> sich<br />

sprachlich präzise verständigen können (groß/klein<br />

– oben/unten – viel/wenig – darüber/darunter<br />

– eckig/r<strong>und</strong> – lang/kurz)<br />

Handlungsschritte<br />

• Material bereitstellen, das durch die attraktive<br />

Anordnung zur Beschäftigung einlädt<br />

• Bei passenden Gelegenheiten zum Zählen, Messen<br />

<strong>und</strong> Sortieren anregen (Anwesenheitsliste, Tisch<br />

decken, Hantieren mit Material)<br />

111


Ziel der interkulturellen Pädagogik ist die Entwicklung<br />

einer Persönlichkeit, die ihre eigene kulturelle<br />

Herkunft reflektiert <strong>und</strong> Fremdheit nicht nur aushalten,<br />

sondern für sich nutzen kann.<br />

Dies kann durch die biografische Methode erreicht<br />

werden. Bei dieser Methode geht es um die<br />

Entdeckung der eigenen Lebensgeschichte, um ein<br />

Selbstverstehen, <strong>und</strong> dadurch um eine Weiterentwicklung<br />

der subjektiven Potenziale. Die Methode<br />

der biografischen Selbstreflexion geht davon aus, dass<br />

Erfahrungen lebenslang aufgeschichtet werden <strong>und</strong><br />

in gegenwärtiges Handeln bewusst oder unbewusst<br />

einfließen. Während bestimmter Lebensphasen in bestimmten<br />

Kontexten bilden sich so Verarbeitungs- <strong>und</strong><br />

Handlungsmuster heraus, die das Individuum meist<br />

unbewusst auf spätere Lebensphasen <strong>und</strong> andere Kontexte<br />

überträgt. Durch das Verstehen dieser eigenen<br />

Konditionierungen lassen sich Kräfte freilegen, die<br />

für die Entwicklung neuer Handlungsperspektiven<br />

genutzt werden können.<br />

Es wird davon ausgegangen, dass es neben einem<br />

psychischen auch ein Körpergedächtnis gibt. Die subjektiven<br />

Erfahrungen hinterlassen auch im Körper<br />

Spuren.<br />

Es gibt verschiedene Zugangsweisen, um Erfahrungen<br />

der Lebensgeschichte wieder in Erinnerung<br />

zu rufen:<br />

• Durch rationale Herangehensweisen werden Ereignisse<br />

beschrieben, die auf der bewussten Ebene<br />

gespeichert sind.<br />

• Durch narrative Methoden, indem „Geschichten“<br />

aus dem eigenen Leben erzählt werden, wird das<br />

Gedächtnis auf der vorbewussten Ebene aktiviert.<br />

• Durch projektive Verfahren, z. B. Fantasieren <strong>und</strong><br />

Visualisierung, können Ereignisse hervorgeholt<br />

werden, die ins Unbewusste verdrängt worden sind.<br />

Was bedeutet das nun für die Arbeit mit Mustafa <strong>und</strong><br />

der Gruppe?<br />

Mustafa braucht sicherlich ergänzend therapeutische<br />

Hilfsangebote, damit er die traumatischen Ereignisse<br />

seiner Kindheit verarbeiten kann. Da er eine Bindung<br />

zu Ursula aufgebaut hat, könnte auch Ursula diejenige<br />

sein, der er von seinen Erinnerungen an die frühe<br />

Kindheit in der Türkei erzählt. Dadurch könnte er<br />

Ereignisse reaktivieren, die verdrängt waren. Vielleicht<br />

kann Ursula auch eine Brücke für Mustafa zur<br />

Gruppe bilden <strong>und</strong> durch das Schaffen einer guten<br />

Beziehungen gestalten<br />

Atmosphäre in der Gruppe den Jugendlichen das Erzählen<br />

von früheren Erlebnissen erleichtern. Wenn<br />

es gelingt, dass die Jugendlichen einander zuhören<br />

<strong>und</strong> sich füreinander interessieren, ist ein wichtiger<br />

Schritt für die individuelle Entwicklung <strong>und</strong> die Entwicklung<br />

in der Gruppe getan.<br />

3.7 Geschlechterrollen <strong>und</strong><br />

Jugendarbeit<br />

In der Heimgruppe leben die Jungen Mustafa, Lutz,<br />

Thomas <strong>und</strong> Patrick <strong>und</strong> die Mädchen Kerstin, Lilli,<br />

Melanie <strong>und</strong> Pepita – vier Jungen <strong>und</strong> vier Mädchen.<br />

Es gibt männliche <strong>und</strong> weibliche Erzieher. Man<br />

erfährt, dass sich Lutz nur von den männlichen Erziehern<br />

etwas sagen lässt, er für Melanie aber fast<br />

alles tut. Für die Jugendlichen in einer Heimgruppe<br />

macht es einen großen Unterschied, ob sie in einer<br />

geschlechtshomogenen oder in einer gemischten<br />

Gruppe leben.<br />

Aktuell werden in Deutschland Geschlechterthemen<br />

besonders in Bezug auf Menschen mit türkischem<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> diskutiert. Die Medien thematisieren<br />

das Kopftuch, die Zwangsverheiratungen, die<br />

Ehrenmorde <strong>und</strong> männliches Machotum.<br />

Gender Mainstreaming ist in der Mehrheitsgesellschaft<br />

auch noch lange nicht umgesetzt. So sind immer<br />

noch 70 % der deutschen Führungskräfte männlich<br />

<strong>und</strong> hochqualifizierte Frauen verdienen in Deutschland<br />

im Durchschnitt 27 % weniger als ihre gleich qualifizierten<br />

männlichen Kollegen. Das ist nur die Seite<br />

der Frauen. Ungerechtigkeiten aufseiten der Männer<br />

gibt es natürlich auch, zum Beispiel, wenn es um die<br />

Rechte von (unehelichen) Vätern geht. Seit Ende der<br />

1990er-Jahre beschäftigt Gender Mainstreaming in<br />

unserem Land alle Empfänger öffentlicher Mittel.<br />

Was bedeutet „Gender“? Unter „Gender“ versteht<br />

man das soziale <strong>und</strong> psychologische Geschlecht im<br />

Unterschied zum biologischen Geschlecht. „Gender”<br />

ist eine soziokulturelle Konstruktion. Je nachdem,<br />

in welcher Gesellschaft <strong>und</strong> in welcher Kultur ein<br />

Mensch lebt, wird ihm als Frau oder als Mann eine<br />

bestimmte Geschlechtsrolle zugewiesen. Sie oder er<br />

lernt im Laufe ihrer oder seiner Sozialisation durch<br />

Erziehung, Ge- <strong>und</strong> Verbote <strong>und</strong> durch männliche <strong>und</strong><br />

weibliche Vorbilder bewusst <strong>und</strong> unbewusst, wie sie<br />

sich als Mädchen oder als Frau <strong>und</strong> er sich als Junge<br />

5<br />

A<br />

183


5<br />

A<br />

Beziehungen gestalten<br />

oder Mann zu verhalten hat. Zur Frauen- bzw. Männerrolle<br />

gehören äußere Merkmale, z. B. Kleidung,<br />

Gebräuche <strong>und</strong> Rituale oder das Verhalten gegenüber<br />

Älteren, Jüngeren <strong>und</strong> Gleichaltrigen sowie gegenüber<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen in der Familie <strong>und</strong> im gesellschaftlichen<br />

Umgang.<br />

Dieses alltägliche Verhalten <strong>und</strong> Erleben macht<br />

Jungen dann zu Männern <strong>und</strong> Mädchen zu Frauen in<br />

der jeweiligen Gesellschaft, Kultur <strong>und</strong> Subkultur in<br />

dem Sinne, dass auch ihre Interessen <strong>und</strong> Vorlieben,<br />

ihre Gefühle, ihre Sexualität, ihre persönlichen Glaubenssätze<br />

<strong>und</strong> Wahrheiten weibliche bzw. männliche<br />

werden. Diese Geschlechtsrollen, die soziokulturell<br />

konstruiert sind <strong>und</strong> tradiert werden, nennt man „Gender“.<br />

In der professionellen Sozialarbeit muss das Geschlechterverhältnis<br />

berücksichtigt werden. Aus<br />

dieser Erkenntnis heraus entwickelte sich die sozialpädagogische<br />

Gruppenarbeit in geschlechtshomogenen<br />

Gruppen. Diese Arbeit begann zunächst mit der<br />

Mädchenarbeit, etwa in den 1960-/1970er-Jahren.<br />

Mädchenarbeit bedeutet konkrete sozialpädagogische<br />

Arbeit mit Mädchen <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit <strong>und</strong> politische<br />

Arbeit für Mädchen. Vor allem in der offenen<br />

Jugendarbeit etablierten sich Mädchengruppen, die<br />

von Sozialpädagoginnen betreut wurden.<br />

Prinzipien der Mädchenarbeit sind:<br />

• Parteilichkeit<br />

• Ganzheitlichkeit<br />

• das Bieten von (Schutz- <strong>und</strong> Frei-)Räumen, in denen<br />

sich Mädchen entfalten können<br />

• Eintreten für Mädcheninteressen<br />

• Öffentlichkeitsarbeit<br />

Ziele der Mädchenarbeit sind:<br />

• Erhöhung des Selbstbewusstseins <strong>und</strong> Selbstwertgefühls<br />

von Mädchen<br />

• Abbauen von Benachteiligungen<br />

• Partizipation<br />

• Chancengleichheit<br />

• Stärken der Persönlichkeit<br />

• Bildung<br />

Themen, mit denen sich Mädchengruppen beschäftigen,<br />

sind z. B.:<br />

• mädchengerechte Kultur<br />

• Freizeitgestaltung<br />

Mädchenarbeit<br />

• Sexualität<br />

• sexuelle Gewalt<br />

• Süchte (z. B. Essstörungen)<br />

• mädchengerechte Konzepte der Lebensweltorientierung<br />

• Autoaggression<br />

Die Frauenbewegung löste wichtige Diskussionen<br />

über die Erziehung von Mädchen aus. Stillschweigend<br />

nahm man bei all den Bemühungen, Benachteiligungen<br />

von Mädchen abzubauen, an, dass es den<br />

Jungen gut ginge, dass Jungen frei, zufrieden <strong>und</strong> ges<strong>und</strong><br />

aufwüchsen. Ende der 1980er-Jahre wurde dann<br />

die gesellschaftliche Aufmerksamkeit verstärkt auf die<br />

Situation von Jungen gelenkt, weil es immer deutlicher<br />

wurde, dass es Jungen in unserer Gesellschaft<br />

offensichtlich nicht immer gut geht:<br />

• Die Mehrzahl der „schwierigen” Kinder sind Jungen.<br />

• Jungen sind häufiger krank als Mädchen <strong>und</strong> zwar<br />

sowohl körperlich als auch seelisch.<br />

• Die Sterberate in jeder Altersgruppe ist bei Jungen<br />

höher.<br />

• In Erziehungsberatungsstellen, Sonderschulen, in<br />

der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie <strong>und</strong> in Jugendgefängnissen<br />

sind Jungen weitaus häufiger anzutreffen<br />

als Mädchen.<br />

• Sozial sind Jungen erheblich auffälliger als Mädchen.<br />

• Die schulischen Leistungen von Jungen sind häufig<br />

deutlich schlechter als die von Mädchen.<br />

• In den PISA-Studien schnitten Jungen in einigen<br />

Kompetenzbereichen erheblich schlechter ab als<br />

Mädchen.<br />

184


6<br />

A<br />

Sprach- <strong>und</strong> Zeichenkompetenz fördern<br />

6 Fördermaßnahmen<br />

„Sprache steht immer in Verbindung zu emotionalen,<br />

kognitiven, zu sensorischen <strong>und</strong> zu motorischen<br />

Leistungen.“ (Axel Holtz)<br />

6.1 Gr<strong>und</strong>regeln förderlicher<br />

Interaktion<br />

Sprechen zu lernen ist ein Vorgang, der sich in der<br />

Interaktion mit der Umwelt, sprich im Kontakt mit anderen<br />

Menschen, vollzieht. Dabei kann man selbst als<br />

Teil dieser Umwelt auf bestimmte Umgangsformen<br />

achten, um die Sprachentwicklung von Kindern zu<br />

fördern. Langsames <strong>und</strong> deutliches Sprechen in<br />

einfachen Sätzen, bei dem man sich dem Kind zuwendet,<br />

damit es die Lippenbewegungen verfolgen<br />

<strong>und</strong> nachahmen kann, ist hier sehr unterstützend.<br />

Hierbei sollte selbst nicht in Babysprache gesprochen<br />

werden, damit das Kind am Vorbild die richtigen<br />

Wörter lernen kann:<br />

Bestätigende Rückmeldung<br />

Hilfreich ist es, die eigenen, aber auch die Handlungen<br />

des Kindes mit Sprache zu begleiten („Ich<br />

decke den Tisch“, „Du malst eine Blume – ah, jetzt<br />

kommt noch eine Schnecke“). Auch die direkte Reaktion<br />

auf Äußerungen des Kindes als Bestätigung (Kind:<br />

Da ist ein Ball ‡ Ja, da ist ein Ball) oder zustimmende<br />

Erweiterung (Kind: Da ist ein Auto ‡ Ja, ein großes<br />

Auto) gibt dem Kind eine Rückmeldung auf sein Sprechen<br />

<strong>und</strong> fördert dieses.<br />

Kinder sollten selbst zum Sprechen animiert<br />

werden. So sollte man es Kindern nicht „zu leicht“<br />

machen, sondern Fragen stellen, die nicht nur mit „Ja“<br />

oder „Nein“ zu beantworten sind (Oder-Fragen: Möchtest<br />

du Wasser oder Milch?; W-Fragen: Was möchtest<br />

du essen?, Warum, Wie, Wer). Auch sollte man es vermeiden,<br />

auf ein bloßes Deuten des Kindes zu reagieren.<br />

Es sind Wege zu finden, Kinder zum Sprechen<br />

zu bringen <strong>und</strong> Redeanlässe zu schaffen. Dies sollte<br />

möglichst spielerisch geschehen. Nicht im Sinne<br />

eines Trainings sollte also geübt werden, sondern im<br />

Spiel, sodass quasi „nebenbei“ die Lernfortschritte gemacht<br />

werden (z. B. über „Ich sehe was, was du nicht<br />

siehst“, durch Reime, Fingerspiele <strong>und</strong> Erfindung von<br />

Geschichten).<br />

Eine positive Sprechatmosphäre ist zu schaffen.<br />

Ganz gr<strong>und</strong>sätzlich geht es bei der Sprachförderung<br />

von Kindern – ob diese auffällig sind oder nicht – darum,<br />

zu motivieren (lass uns doch), statt zu befehlen<br />

(jetzt mach endlich), <strong>und</strong> zu ermutigen (das schaffst<br />

du, los), statt zu kritisieren (du konzentrierst dich<br />

nicht!). Auf Belehrungen sollte verzichtet werden<br />

(das heißt aber ...) <strong>und</strong> stattdessen mit dem Kind zu<br />

sprechen (ach, du meinst ...). Um Freude am Sprechen<br />

<strong>und</strong> damit an der Kommunikation mit anderen zu gewinnen,<br />

gilt es, sich zu unterhalten. Ein Kind zu korrigieren<br />

läuft diesem Ziel, diesem Sinn von Sprache<br />

zuwider <strong>und</strong> bewirkt eher, dass es sich in sich selbst<br />

zurückzieht. Auch ist wichtig, die Kinder selbst Erfahrungen<br />

machen zu lassen, anstatt ihnen die Dinge aus<br />

der Hand oder das Wort aus dem M<strong>und</strong> zu nehmen<br />

<strong>und</strong> es selbst „perfekt“ vorzumachen.<br />

Um Sprache zu fördern, muss man mit Kindern<br />

sprechen. Dabei kann man auch selbst auf die Art <strong>und</strong><br />

Weise achten, wie man spricht. Oftmals sprechen<br />

Erwachsene recht monoton. Da Kinder aber gerade<br />

höhere Frequenzen gut wahrnehmen können <strong>und</strong> als<br />

interessante Stimmlage empfinden, sollte man das eigene<br />

Sprechverhalten ggf. in angenehmem Maße darauf<br />

abstimmen.<br />

Sprache muss mit Sinn gefüllt werden: mit dem<br />

234


Sinn der Kommunikation selbst (es bringt Spaß, etwas<br />

zu erzählen, wenn gelauscht wird) <strong>und</strong> mit dem inhaltlichen<br />

Sinn (dadurch, dass ich darum bitte, wird<br />

mir etwas gegeben). Sprache zu fördern beginnt schon<br />

damit, Kindern zu vermitteln, wie Gespräche geführt<br />

werden, dass nämlich beispielsweise das Einanderzuhören<br />

dazugehört. Gesprächsr<strong>und</strong>en mit einem<br />

Redestein, feste Rituale, die den Gruppenzusammenhalt<br />

<strong>und</strong> die Atmosphäre positiv beeinflussen, bieten<br />

hier Möglichkeiten.<br />

So kann es hilfreich sein, mit Büchern <strong>und</strong> Geschichten<br />

zu arbeiten. Diese sollten dem Sprachniveau<br />

<strong>und</strong> dem Erfahrungshorizont entsprechen.<br />

Orientiert man sich in der Auswahl von Büchern zu<br />

sehr an den ältesten Kindern, kann dies dazu führen,<br />

dass die Kleineren „abschalten“, sobald sie dem Text<br />

nicht mehr folgen können. Ein kleines Kind braucht<br />

verstärkt Bilder, um veranschaulicht zu bekommen,<br />

was es hört. Zudem kann man Bücher auch noch anders<br />

nutzen als zum reinen Vorlesen, indem man mit<br />

dem Buch <strong>und</strong> aus der Geschichte heraus Gesprächsanlässe<br />

entwickelt: die Geschichte oder Teile davon<br />

mitsprechen oder nachspielen.<br />

Wie könnte die Geschichte vielleicht weitergehen?<br />

Was können wir auf dieser Seite alles sehen? Was<br />

träumt/denkt/fühlt denn diese Person?<br />

Schon mit dem, was wir Kindern gegenüber sagen,<br />

wie wir auf ihre Fragen <strong>und</strong> Äußerungen reagieren,<br />

beeinflussen wir die uns anvertrauten Kinder.<br />

Sprachliche Förderung bezieht sich damit ganz<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auf den eigenen Umgang mit den<br />

Kindern.<br />

Sprach- <strong>und</strong> Zeichenkompetenz fördern<br />

den Spielen den sprachfördernden<br />

Aspekt.<br />

3. Besorgen Sie ein Bilderbuch, das<br />

Ihnen als Kind gefallen hat, <strong>und</strong><br />

entwickeln Sie Ideen, wie man<br />

dieses außer zum Vorlesen noch in<br />

Bezug auf Sprachförderung verwenden<br />

kann.<br />

6.2 Bewegungs- <strong>und</strong><br />

Wahrnehmungsförderung<br />

Zu sprechen erfordert feinmotorische Bewegungsleistungen<br />

der Sprechorgane. Im Laufe ihrer Entwicklung<br />

lernen Kinder immer ausgefeilter, ihre Bewegungen<br />

fein aufeinander abzustimmen. Sie lernen, die notwendige<br />

Kraft zu dosieren <strong>und</strong> die für die Aussprache<br />

richtigen M<strong>und</strong>stellungen <strong>und</strong> Spannungszustände<br />

der Muskulatur herzustellen. Es geht also um zweierlei:<br />

zum ersten um die Fähigkeit zur Feinkoordination<br />

<strong>und</strong> zum zweiten um Spannungszustände in den Muskeln.<br />

Die menschliche Feinmotorik baut auf der Grobmotorik<br />

auf <strong>und</strong> die gr<strong>und</strong>sätzliche Körperspannung<br />

wirkt sich auch auf die Stimme <strong>und</strong> Sprechorgane aus.<br />

Somit sind sportliche Aktivitäten <strong>und</strong> Aufgaben zur<br />

Bewegungskoordination wichtige Bereiche, um Sprache<br />

<strong>und</strong> Sprechen zu fördern.<br />

6<br />

A<br />

Will die Erzieherin Regina also Olaf sprachlich fördern,<br />

so ist dies auch ganz gr<strong>und</strong>sätzlich zu verstehen.<br />

Sie muss sich Zeit nehmen <strong>und</strong> mit ihm sprechen<br />

<strong>und</strong> ihn zum Sprechen animieren, ihm Anlass dazu<br />

geben. Um dies zu erleichtern, muss sie auch die Atmosphäre<br />

berücksichtigen <strong>und</strong> Regeln etablieren, die<br />

Abwertungen vermeiden.<br />

AUFGABE<br />

1. Stellen Sie heraus, welche konkreten<br />

Maßnahmen von der Erzieherin<br />

gerade für Olaf ergriffen werden<br />

können.<br />

2. Stellen Sie eine Spielesammlung<br />

zusammen <strong>und</strong> entdecken Sie in<br />

Bewegungsanreize bieten<br />

Da es bei der Entwicklung der Sprache <strong>und</strong> des Sprechens<br />

um das Zusammenwirken der Sinnessysteme<br />

geht, kommt der Erfahrung von Sinneseindrücken in<br />

Verbindung mit Bewegungen eine besondere Bedeutung<br />

in der Sprachförderung zu. Sensorische Erlebnisse<br />

sind mit motorischen Erfahrungen verb<strong>und</strong>en: Z.B.<br />

reibt man mit der Hand über ein Material, um seine<br />

Oberflächenbeschaffenheit zu erfühlen, man dreht<br />

235


9 Durchspielen einer vollständigen Handlung<br />

9.1 Analysieren<br />

In der eingangs beschriebenen Spielsituation (Seite<br />

252) von Franz, Max <strong>und</strong> Jonas entstand eine kleine<br />

durch das Spiel bedingte Turbulenz, die jedoch von<br />

den Kindern schnell wieder hätte geklärt oder durch<br />

einen der Situation angemessenen Hinweis einer Erzieherin<br />

hätte gelöst werden können. Die Probleme<br />

tauchen durch die Unklarheit des jeweiligen Rollenverständnisses<br />

der Erwachsenen <strong>und</strong> ihr nicht angemessenes<br />

Kommunikationsverhalten auf. Die Art der<br />

Verständigung gibt zudem einen Hinweis auf einen<br />

Teamkonflikt.<br />

Zunächst reagiert die anwesende Mutter. Sie negiert,<br />

dass sie keine pädagogische Funktion hat, <strong>und</strong> reagiert<br />

wie bei sich zu Hause. Mit dem Hinweis auf ihre<br />

Kopfschmerzen appelliert sie zudem an die Anwesenden,<br />

sie wahrzunehmen.<br />

Die Rollenunklarheit seitens der Mutter findet Widerhall<br />

bei der Sozialassistentin <strong>und</strong> der Praktikantin.<br />

Auch ihnen ist die Rolle der Mutter hier nicht ganz<br />

klar, zumindest reagieren sie nicht eindeutig. Die<br />

Praktikantin sieht die Mutter sogar als ihrer eigenen<br />

Rolle übergeordnet <strong>und</strong> verteidigt die Mutter gegenüber<br />

den Kindern.<br />

Der bis dahin gelaufene Kommunikationsprozess<br />

besteht aus drei Sätzen <strong>und</strong> einer Anzahl von nonverbalen<br />

Hinweisen, die die unausgesprochene Ansicht<br />

über den Kommentar der Mutter verdeutlichen. In der<br />

abschließenden Bemerkung von der Assistentin Sara<br />

zur Praktikantin Suse wird deutlich, dass das Verhältnis<br />

der beiden nicht entspannt ist. Ursache könnten<br />

auch hier unklare Rollenstrukturen sein. Zusätzlich<br />

spielt die Unsicherheit über das Verständnis von Elternarbeit<br />

hinein, die von beiden in dieser Situation unterschiedlich<br />

interpretiert wird. Suse billigt der Mutter<br />

eine Rolle zu, Sara kritisiert sie nonverbal bzw. über<br />

die Bemerkung zu Suse.<br />

Letztlich scheint es dringend geboten, sich noch<br />

einmal die verschiedenen Kommunikationstechniken<br />

zu verdeutlichen, z. B. effektive Ich-Botschaften oder<br />

Feedbackregeln.<br />

Kommunizieren, beraten <strong>und</strong> kooperieren<br />

9.2 Planen<br />

Ziele formulieren<br />

Um die Arbeit mit den Kindern zu verbessern (in diesem<br />

Fall, um sie nicht ungerechtfertigten Beschuldigungen<br />

auszusetzen) sowie um ihr Kommunikationsverhalten<br />

konstruktiv zu stärken, ist die Bearbeitung<br />

folgender Ziele notwendig.<br />

Die Situation umfasst mehrere Ebenen, sodass die<br />

angestrebten Ziele auch auf verschiedenen Ebenen<br />

betrachtet werden müssen:<br />

1. Gr<strong>und</strong>sätzlich muss eine Absprache über den Umgang<br />

mit anwesenden Eltern im Team erfolgen.<br />

Eventuell muss sogar die Konzeption diesbezüglich<br />

neu überarbeitet werden.<br />

2. Mit Suse sollte über die Rolle einer Praktikantin<br />

nachgedacht sowie geklärt werden, wie sie sich in<br />

für sie unklaren Situationen verhalten kann.<br />

3. Zu klären ist, ob es einen tiefer liegenden Konflikt<br />

im Team gibt.<br />

4. Gr<strong>und</strong>sätzlich sollte im Team über Kommunikationsprozesse<br />

<strong>und</strong> -regeln nachgedacht werden.<br />

Überlegungen zur Umsetzung<br />

Die Erzieherin Ines hat die Situation von Weitem beobachtet.<br />

Aus der Beobachtung wurden ihr die Problempunkte<br />

deutlich <strong>und</strong> sie fragt sich, was sie zu<br />

diesen Unklarheiten beigetragen hat. Nach einigen<br />

Überlegungen wird ihr klar, dass die Anleitungsgespräche<br />

mit Suse in letzter Zeit oft ausgefallen sind,<br />

weil einfach die Zeit fehlte. Hier will sie wieder regelmäßige<br />

Termine mit Suse vereinbaren. Zudem wird<br />

sie gegenüber der Leitung nachdrücklich einfordern,<br />

dass sie sich dafür die Zeit nehmen kann.<br />

Auch die Teambesprechungen waren in letzter Zeit<br />

vor allem von organisatorischen Fragen beherrscht.<br />

Ein Austausch über die Arbeit oder Verständigung<br />

über das jeweilige erzieherische Verhalten hat lange<br />

nicht mehr stattgef<strong>und</strong>en. Den nächsten Termin<br />

will sie mit den Kolleginnen bewusst in dieser Richtung<br />

vorbereiten. Die Unklarheit hinsichtlich der Elternarbeit<br />

schwelt schon lange. Dies muss mit allen<br />

Kolleginnen im Haus endlich thematisiert werden.<br />

Ines will diese Situation zum Anlass nehmen, um im<br />

7<br />

A<br />

289


7<br />

A<br />

Kommunizieren, beraten <strong>und</strong> kooperieren<br />

Gesamtteam einen Klärungsprozess zum Verständnis<br />

zur Elternarbeit anzustoßen. Sie hofft, dass bei allen<br />

drei Vorhaben verstärkt konstruktive Kommunikationsprozesse<br />

geschaffen werden.<br />

Die Erzieherin Ines will nach dem Dienst zu Suse<br />

gehen <strong>und</strong> einen festen Termin vereinbaren.<br />

Sie möchte dann mit Suse klären, in welchen verschiedenen<br />

Rollen sie sich im Kindergarten sieht. Dabei<br />

will sie bewusst eine effektive Ich-Botschaft einsetzen,<br />

die zu der beobachteten Situation passt. Sie<br />

will ihr sagen, dass es bei ihr ein merkwürdiges Gefühl<br />

ausgelöst habe, ein Gefühl von Mitleid für die Kinder<br />

<strong>und</strong> Ärger über die Frau. Und sie habe sich gefragt, wie<br />

Suse sich in ihrer Beziehung zu den Eltern <strong>und</strong> Kindern<br />

sieht. Als Öffner für das Gespräch will sie Suse<br />

fragen: „Wie hast du die Situation heute morgen mit<br />

Frau Stein erlebt?“<br />

Sie nimmt an, dass Suse dann ihre Unsicherheit im<br />

Verhältnis zu den Eltern äußern wird. Möglicherweise<br />

ist sie sich auch noch nicht ganz ihrer Position gegenüber<br />

den Kindern klar, sieht sich noch eher als große<br />

Schwester denn als pädagogische Kraft.<br />

Ines vermutet ebenfalls eine Unsicherheit in ihrer<br />

Rolle als Praktikantin gegenüber den anderen Mitarbeitern.<br />

Die Rolle als Mitarbeiterin des Hauses will<br />

sie ebenfalls thematisieren, da hier auch ein korrektes<br />

Verhalten den Eltern gegenüber erwartet wird. In diesem<br />

Zusammenhang kann sie Suse auch verdeutlichen,<br />

dass die Rolle der Eltern zurzeit im ganzen Haus<br />

ungeklärt ist, dies also nicht allein ein Problem von<br />

Suse ist.<br />

Moderation mit Metaplan-<strong>Technik</strong><br />

Sie wird diese Rollen auf Metaplan-Kärtchen schreiben<br />

<strong>und</strong> an eine Wand pinnen. Anschließend will sie<br />

mit Suse zusammen die jeweiligen Erwartungen an<br />

die Rollen erarbeiten. Besonders wichtig erscheint ihr,<br />

dass Suse sich zunehmend in die Rolle der Erzieherin<br />

einfühlt, die den Kindern Orientierung <strong>und</strong> Unterstützung<br />

gibt. Der Umgang mit anderen Mitarbeiterinnen<br />

wird umso sicherer werden, je mehr die Kompetenz<br />

<strong>und</strong> Erfahrung der Praktikantin wachsen.<br />

Ines wird mit Suse über effektive Ich-Botschaften<br />

reden, die ihr ermöglichen werden, Unsicherheiten so<br />

zu formulieren, dass sie für den Gesprächspartner verständlich<br />

sind <strong>und</strong> sie sich weniger angreifbar macht.<br />

Sie nimmt sich vor, im Lauf der Gespräche verstärkt<br />

mit Feedback zu arbeiten, damit Suse zur Eigenreflexion<br />

angeregt wird.<br />

Kurzplanung I<br />

Ziel<br />

Klärung der eigenen Rolle als Praktikantin<br />

Handlungsschritte<br />

• Bewusstmachen der verschiedenen Rollen von Suse<br />

• Verdeutlichen, welche Erwartungen sich an die<br />

Rollen in der Kindertagesstätte knüpfen<br />

• Kommunikationsregeln klären<br />

Ines bereitet eine Einladung zum nächsten Kleinteamtreffen<br />

vor <strong>und</strong> bittet ihre Kollegin Sara <strong>und</strong> die Praktikantin<br />

Suse, sich vorbereitend Gedanken über ihre<br />

eigene Rolle im Team <strong>und</strong> ihr Verständnis von Elternarbeit<br />

zu machen.<br />

Zu Beginn des Treffens möchte sie die beobachtete<br />

Situation ansprechen <strong>und</strong> ihre Schlussfolgerung<br />

darlegen, über das Selbstverständnis des Teams <strong>und</strong><br />

erst anschließend über das Verständnis von Elternarbeit<br />

zu sprechen. Sie wird sich das Einverständnis der<br />

Kolleginnen holen, nach den TZI-Regeln zu verfahren.<br />

Anschließend will sie die Regeln in Erinnerung rufen:<br />

Sie wird diese auf Plakatpapier aushängen, um jederzeit<br />

darauf zurückgreifen zu können.<br />

290


TZI-Regeln visualisiert<br />

In der ersten R<strong>und</strong>e möchte ihre Rolle als Gruppenleitung,<br />

Erzieherin <strong>und</strong> Anleiterin verdeutlichen. Sie<br />

wird selbstkritisch darlegen, wo sie in letzter Zeit eigene<br />

Klarheit vermissen ließ. Sie vermutet, dass diese<br />

Kommunizieren, beraten <strong>und</strong> kooperieren<br />

Herangehensweise die Kolleginnen ihrerseits ermutigen<br />

wird, Unsicherheiten zu verdeutlichen. Da sie<br />

mit Suse bereits ein Gespräch hatte, kann sie deren<br />

Position einigermaßen einschätzen. Interessant wird<br />

es sein, ob Suse sich zutraut, den eigenen Findungsprozess<br />

hier im Kleinteam zu verdeutlichen. Ines traut<br />

es ihr zu.<br />

Bei der Assistentin Sara vermutet sie eine Unsicherheit<br />

ihrer eigenen Position. Sara ist noch nicht so lange<br />

im Team <strong>und</strong> muss noch ein klareres Verständnis<br />

als professionelle Kraft entwickeln. Ihre Unsicherheit<br />

merkt sie vermutlich selbst <strong>und</strong> versucht sich daher,<br />

gegenüber der Praktikantin abzugrenzen. Wenn Sara<br />

sich der TZI-Regeln bedient, wird ihre eigene Haltung<br />

deutlicher <strong>und</strong> weniger verletzend für andere hervortreten.<br />

In einem zweiten Schritt will Ines über das Selbstverständnis<br />

als Kleinteam sprechen. Dazu will sie der<br />

Frage nachgehen: „Was ist uns wichtig in unserer Arbeit<br />

in der Gruppe <strong>und</strong> wo gibt es Unklarheiten?“ Sie<br />

nimmt an, dass eine ganze Reihe an Gemeinsamkeiten<br />

deutlich wird. Die vorhandenen Unklarheiten werden<br />

sicherlich an einem neuen Termin diskutiert werden<br />

müssen. Dazu wird das Verständnis von Elternarbeit<br />

gehören. Hierzu möchte sie im Kleinteam ein eigenes<br />

Meinungsbild vorbereiten, um die Diskussion im<br />

ganzen Team zu erleichtern.<br />

7<br />

A<br />

Kurzplanung II<br />

Ziel<br />

Vorhandene Konflikte sollen beigelegt werden<br />

Handlungsschritte<br />

• Nach dem TZI-Verfahren soll jede Gelegenheit<br />

haben, eine eigene Sichtweise zu formulieren<br />

• TZI-Regeln sollen helfen, gegenseitige Angriffe zu<br />

minimieren<br />

Ines bringt den Wunsch, über Elternarbeit nachzudenken,<br />

in das nächste Team ein. Ihr Vorschlag wird sein,<br />

dass jedes der drei Kleinteams sich zu vorbereiteten<br />

Fragen in Bezug auf Elternstruktur, Bedürfnisse <strong>und</strong><br />

teaminterne Wünsche an Eltern Gedanken macht. Aus<br />

jeder Gruppe soll dann eine Kollegin mit der Leitung<br />

zusammen ein entsprechendes Teamtreffen zum Thema<br />

Elternarbeit vorbereiten.<br />

Ihr Team wird den Wunsch äußern, verstärkte<br />

Kommunikationsangebote im Hort vorzubereiten,<br />

um Eltern noch gezielter anzusprechen <strong>und</strong> für die<br />

Hortarbeit begeistern zu können. Man könnte eine<br />

Ecke in der Eingangshalle, die sich dafür eignet, als Elterncafé<br />

mit kleinem Snack einrichten. Wichtig wird<br />

sein, dass die Eltern etwas abgeschirmt vom pädagogischen<br />

Alltag sind, um sich von diesem abgrenzen zu<br />

können. Sie sollten nicht als pädagogische Hilfskräfte<br />

in den Einrichtungsalltag einbezogen werden.<br />

Diese Haltung würde bisherige Vorhaben wie gemeinsame<br />

Veranstaltungen zu Weihnachten oder Gartengestaltung<br />

nicht ausschließen. Ines wird zudem<br />

den Wunsch ihres Teams einbringen, dass sich die<br />

291


7<br />

A<br />

Kommunizieren, beraten <strong>und</strong> kooperieren<br />

Leitung verstärkt über Beratungsangebote im Stadtviertel<br />

informiert <strong>und</strong> entsprechende Informationsbroschüren<br />

auslegt. Die Kolleginnen wollen auf einer<br />

Teamsitzung ebenfalls über diese Beratungsangebote<br />

informiert werden, vielleicht ergänzt durch einen Besuch<br />

eines Referenten oder vor Ort.<br />

Kurzplanung III<br />

Ziel<br />

Verständnis von Elternarbeit soll<br />

geklärt werden<br />

Die vorhandene Konzeption soll<br />

daraufhin geprüft werden<br />

Handlungsschritte<br />

• Vergegenwärtigen der Situation der unterschiedlichen Familien<br />

• Elternbedürfnisse klären<br />

• berücksichtigen, dass Eltern wenig Zeit haben <strong>und</strong> Kinder nur selten<br />

abholen<br />

• eigene Wünsche an Eltern besprechen<br />

• bisherigen Umgang mit Eltern kritisch beleuchten (nicht nur Haltung,<br />

auch Methoden ansehen)<br />

• Ideen sammeln <strong>und</strong> auf Umsetzbarkeit (Raum, Zeit, Arbeitskraft) hin<br />

überprüfen<br />

• evtl. das Vorhaben mit dem Träger abklären <strong>und</strong> die Konzeption ändern<br />

9.3 Durchführen<br />

Alle Termine finden wunschgemäß statt. Durch die<br />

genaue Vorbereitung hat Ines das meiste wie geplant<br />

durchführen können. Es zeigt sich, dass Suse zunächst<br />

zögernd auf die Mehrarbeit der Anleitungsgespräche<br />

reagiert, dann aber gerne auf die Chance der allmählich<br />

aufgebauten Reflexion eingeht.<br />

Der Teamkonflikt erweist sich nicht ganz so tief gehend,<br />

wie Ines befürchtet hat, sondern macht sich vor<br />

allem an den unklaren Äußerungen fest, die sich Suse<br />

<strong>und</strong> Sara zuspielen. Als ihnen im Zusammenhang mit<br />

den TZI-Regeln die Feedbackstruktur <strong>und</strong> die effektiven<br />

Ich-Botschaften deutlich werden, verbessert sich<br />

das Klima wesentlich. Der Wunsch, über Elternarbeit<br />

zu sprechen, ist bei allen Kolleginnen vorhanden, da<br />

alle eine veränderte Elternstruktur <strong>und</strong> andere Bedürfnisse<br />

wahrgenommen haben.<br />

Bereits das erste Treffen des Gesamtteams verdeutlicht,<br />

dass die Konzeption überarbeitet werden wird,<br />

wenn der Träger zustimmt (s. auch Kapitel 8).<br />

9.4 Reflektieren <strong>und</strong> bewerten<br />

Der Prozess der Reflexion ist ein kontinuierliches Moment<br />

in den Anleitungsgesprächen zwischen Ines <strong>und</strong><br />

Suse geworden. Nach einigen Wochen stellt sie zusammen<br />

mit Suse fest, dass Suse wesentliche Kommunikationsregeln<br />

verinnerlicht hat.<br />

Im Kleinteam ist eine andere Besprechungskultur entstanden.<br />

Organisatorisches wird am Anfang in einer<br />

festgelegten Zeit erledigt. Danach bleibt Zeit, über Inhalte<br />

zu sprechen. Immer noch ist es schwierig, die<br />

Gespräche angemessen zu protokollieren, da dies ein<br />

weiterer Mehraufwand ist.<br />

Die Bearbeitung der Elternarbeit hat sich über Monate<br />

hingezogen. Es wurde deutlich, dass nicht viel<br />

Zeit für diese zusätzliche Arbeit vorhanden ist. Dennoch<br />

ist ein anderes Verständnis von Elternarbeit entstanden.<br />

Eine „kleine“ Lösung des Elterncafés wurde<br />

umgesetzt: Es gibt ein Beratungsangebot in Form von<br />

Broschüren. Die Eltern haben dieses Angebot inzwischen<br />

angenommen. Am Anfang geschah es nur zögerlich,<br />

dass dort eine Mutter saß <strong>und</strong> Kaffee trank.<br />

Offen ist noch die Neubearbeitung der Konzep tion. Als<br />

Wunsch steht noch im Raum, mehr Personal zu erhalten,<br />

um die Elternarbeit besser begleiten zu können.<br />

Die größere Klarheit im Team <strong>und</strong> die geänderten<br />

Kommunikationsprozesse haben sich auch auf die Arbeit<br />

mit den Kindern ausgewirkt. Allen Kolleginnen ist<br />

deutlicher bewusst, wie sie mit den Kindern sprechen<br />

wollen <strong>und</strong> welche Impulse sie ihnen diesbezüglich geben<br />

wollen. Vorsichtig haben sie begonnen, die Kinder<br />

zu angemessener Rückmeldung im Stuhlkreis anzuleiten.<br />

Sie achten darauf, dass dies bei positiven wie bei<br />

kritischen Handlungen <strong>und</strong> Äußerungen geschieht.<br />

292


7<br />

Kommunizieren, beraten <strong>und</strong> kooperieren<br />

B<br />

1 Weitere Lernsituationen<br />

Lernsituation A<br />

Die Praktikantin Jana ist seit drei Wochen in einer Kindertagesstätte.<br />

Sie merkt, dass sie sich zunehmend<br />

unwohl fühlt, da die Zweitkraft Karin in ihrer Gruppe<br />

sehr starre Vorstellungen hat. Auch hat Jana das Gefühl,<br />

dass weder sie noch die Kinder viel selbstständig<br />

tun dürfen. Sie ist ständig für den Restaurantdienst<br />

eingeteilt, möchte sich aber lieber mit den Kindern<br />

beschäftigen. Eines Tages beklagt sie sich darüber bei<br />

ihrer Anleiterin Birte. Da Birte häufig außerhalb der<br />

Gruppe zu tun hat, wird das meiste von der pädagogischen<br />

Arbeit durch Karin geregelt.<br />

Birte ist erstaunt über Janas Äußerung <strong>und</strong> meint:<br />

„Natürlich kannst du dich mit den Kindern beschäftigen.<br />

Nur ab <strong>und</strong> zu ist jede mal mit dem Restaurantdienst<br />

dran.“ In den Tagen darauf hat Jana das Gefühl,<br />

dass Karin sie nicht mehr grüßt. Sie ist sehr verunsichert<br />

<strong>und</strong> denkt, dass dies bestimmt mit ihrer Kritik zu<br />

tun hat. Durch ihre Verunsicherung wird sie auch im<br />

Alltag unsicher <strong>und</strong> wird von Karin getadelt, als sie einen<br />

Teller fallen lässt: „Nun pass doch endlich mal auf.<br />

Nie bist du bei der Sache.“ Jana fängt an zu weinen.<br />

Am nächsten Tag meldet sie sich krank.<br />

Lernsituation B<br />

Max ist ein aufgeschlossener <strong>und</strong> sehr wissbegieriger<br />

kleiner Junge, der im September 6 Jahre alt wird. Jedoch<br />

fällt es ihm schwer, sich in eine Gruppe einzufügen,<br />

da er immer gerade mit etwas beschäftigt ist,<br />

das ihn mehr interessiert. Seine Mutter, Frau Hahn,<br />

sucht im Januar das Gespräch mit der Erzieherin Monika,<br />

weil sie gerne wissen möchte, ob sie ihn vorzeitig<br />

einschulen sollte. Die Erzieherin befürchtet, dass<br />

die Mutter zu ehrgeizig ist, weiß aber nicht, wie sie<br />

ihr das mitteilen soll. Sie möchte vielmehr die Sozialkompetenz<br />

von Max stärken. Ihr ist unwohl vor dem<br />

Gespräch.<br />

Als Frau Hahn zum vereinbarten Termin erscheint,<br />

ist Monika noch mitten im Geschehen mit den Kindern.<br />

Sie ruft Frau Hahn zu: „Ich komme gleich.“ Und<br />

dann fügt sie seufzend <strong>und</strong> leiser hinzu: „Nützt ja eh<br />

nichts, das Gespräch.“ Leider hat Frau Hahn dies mitbekommen.<br />

Und so fragt sie später auch leicht verärgert,<br />

warum dieses Gespräch unnütz sein solle. Erzieherin<br />

Monika fühlt sich überrumpelt <strong>und</strong> antwortet:<br />

„Ich glaube, Sie sind zu ehrgeizig <strong>und</strong> wollen Max<br />

deshalb einschulen. Sie sehen gar nicht, dass er nicht<br />

in der Gruppe zurechtkommt.“ Frau Hahn ihrerseits<br />

294


fühlt sich nun überrumpelt <strong>und</strong> giftet zurück: „Ja, das<br />

hätten Sie mir wohl auch früher sagen können. Sie<br />

haben recht, das Gespräch nützt wirklich nichts. Auf<br />

Wiedersehen.“<br />

Lernsituation C<br />

Ben kommt nachmittags ins Jugendhaus <strong>und</strong> setzt<br />

sich an das Schlagzeug. Er hat einfach einen fürchterlichen<br />

Tag hinter sich: Die Mathearbeit ist nur eine<br />

4 geworden, zu Hause gab es Stress mit seinem Vater,<br />

der wieder einmal den kleinen Bruder wegen dessen<br />

guter Leistungen gelobt hat. Nun sitzt Ben am Schlagzeug<br />

<strong>und</strong> schlägt wie der Teufel drauflos. Langsam<br />

findet er einen Rhythmus <strong>und</strong> beginnt sich etwas zu<br />

entspannen. Im Nebenraum sitzt der Erzieher Frank<br />

<strong>und</strong> macht mit einigen Schulkindern Hausaufgaben.<br />

Das Schlagzeug ist im Moment einfach zu laut. Er geht<br />

Kommunizieren, beraten <strong>und</strong> kooperieren<br />

hinüber <strong>und</strong> sagt zu Ben: „Mensch, Benni, das nervt.<br />

Es ist zu ...“<br />

Weiter kommt er gar nicht. Ben haut die Stöcke<br />

hin, brüllt: „Lass mich in Ruhe! Hierher komme ich<br />

nie wieder“, <strong>und</strong> stürmt wütend davon. Frank bleibt<br />

verdutzt stehen <strong>und</strong> fragt seine Kollegin, die Erzieherin<br />

Sabine: „Was ist denn mit dem los?“ Sabine hatte<br />

bereits über den kleinen Bruder von Ben gehört, dass<br />

es bei ihnen zu Hause ungemütlich war. Sie hat eine<br />

Ahnung <strong>und</strong> erzählt es Frank.<br />

AUFGABE<br />

Bearbeiten Sie eine dieser Situationen<br />

nach den folgenden Schritten:<br />

• Analysieren<br />

• Planen<br />

• Durchführen<br />

• Reflektieren <strong>und</strong> bewerten<br />

• Dokumentieren <strong>und</strong> präsentieren<br />

7<br />

B<br />

2 Anregungen zur Selbstreflexion<br />

1. Beginnen Sie, ein Ausbildungstagebuch zu führen.<br />

Tragen Sie an jedem Praxistag ein,<br />

• wie Sie sich fühlen;<br />

• welche Beobachtungen, Wahrnehmungen, Gefühle<br />

Sie im Zusammenhang mit den Kindern<br />

gemacht haben;<br />

• welche Beobachtungen, Wahrnehmungen, Gefühle<br />

Sie im Zusammenhang mit Eltern <strong>und</strong> mit<br />

Ihren Kolleginnen gemacht haben;<br />

• welches Verhalten von Ihnen selbst Sie als gelungen<br />

empfanden, welches Sie kritisch beurteilen.<br />

2. Nehmen Sie sich nun von Zeit zu Zeit (alle zwei<br />

Wochen oder vor jedem Anleitergespräch) die festgestellten<br />

Gefühle, Beobachtungen <strong>und</strong> Wahrnehmungen<br />

vor, die Ihnen besonders wichtig sind, <strong>und</strong><br />

teilen Sie diese in Ich-Botschaften mit: entweder<br />

für sich selbst in schriftlicher Form oder/<strong>und</strong> später<br />

im Anleitungsgespräch.<br />

3. Nehmen Sie sich von Zeit zu Zeit Ihr eigenes Verhalten<br />

vor <strong>und</strong> erteilen Sie sich selbst ein ausgewogenes<br />

Feedback. Bedenken Sie dabei alle Regeln <strong>und</strong><br />

achten Sie darauf, dass Sie sowohl die positive als<br />

auch die veränderungswürdige Seite bedenken.<br />

295

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