Laudatio auf Felix Gerritzen - Westfalen Initiative
Laudatio auf Felix Gerritzen - Westfalen Initiative
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Prof. Dr. Dieter H. Jütting, <strong>Laudatio</strong> <strong>auf</strong> <strong>Felix</strong> „Fiffi“ <strong>Gerritzen</strong> zur Aufnahme in die Westfälische Ehrengalerie<br />
2013 am 14. Oktober 2013<br />
Es gilt das gesprochene Wort.<br />
<strong>Felix</strong> „Fiffi“ <strong>Gerritzen</strong>: vom Dribbelkönig zum König der Herzen<br />
„Wir haben ihn nie spielen sehen. Wir kannten ihn nur aus dem Radio und der Zeitung. Aber<br />
wir alle –Jugendkicker aus einer holsteinischen Kleinstadt – wollten so schnell wie „Fiffi“ an<br />
der Außenlinie nach vorne stürmen – wir glaubten fest an die Mär, dass er mit dem Ball am<br />
Fuß die 100 m in unter 11,0 schaffte. Wie er wollten wir Traumpässe hineingeben und aus<br />
den unmöglichsten Winkeln Tore erzielen. Wir haderten mit Sepp Herberger, dass er die<br />
Süddeutschen bevorzugte und ‚Fiffi‘ so selten <strong>auf</strong>stellte. Für uns war der schnelle Preußen-<br />
Stürmer schon damals ein Denkmal“(Langenfeld 2002).<br />
Liebe Frau <strong>Gerritzen</strong>, meine Damen und Herren, dies ist ein Zitat von Prof. Hans Langenfeld,<br />
emeritierter Ordinarius für Sportgeschichte und Sportpädagogik der Westfälischen Wilhelms-<br />
Universität Münster. Es zeigt eindrucksvoll und überzeugend die Ausstrahlung, die <strong>Felix</strong>,<br />
genannt Fiffi, in den frühen 1950er Jahren als Fußballer besaß. Seine Ausstrahlung ging weit<br />
über <strong>Westfalen</strong>, über die Oberliga West hinaus. Sie erfasste die junge Bundesrepublik und<br />
sogar das benachbarte Ausland.<br />
1951 war Fiffis erfolgreichstes Jahr als aktiver Fußballer, Deutscher Vizemeister mit Preußen<br />
Münster, Rechtsaußen im Hunderttausendmarksturm, Berufung durch Sepp Herberger in die<br />
A-Nationalelf zum Spiel gegen die Schweiz am 15. 4 in Zürich, Torschütze zum 2:1. Das<br />
Spiel wird 3:2 gewonnen. Die beiden anderen Tore schossen Fritz und Otmar Walter.<br />
Fiffi <strong>Gerritzen</strong> wurde von namhaften anderen Vereinen umworben, vom 1. FC Nürnberg oder<br />
Werder Bremen z. B. und vom AC/FC Turin. 80.000 DM soll dieser geboten haben. In einem<br />
Brief von einem gewissen Gustavo Beretton, wohnhaft in München, datiert vom 28. Mai<br />
1951, den ich einsehen konnte, ist nur davon die Rede, dass Philipp, nicht <strong>Felix</strong>, <strong>Gerritzen</strong><br />
doch Kontakt <strong>auf</strong>nehmen möge. Phillip, sprich <strong>Felix</strong>, antwortete nicht und blieb bei den<br />
Preußen in Münster, blieb in <strong>Westfalen</strong>.<br />
Fiffi gehörte zum Kreis der großen Fußballspieler der frühen Nachkriegszeit. Bereits zum<br />
ersten DFB-Lehrgang nach dem 2. Weltkrieg wurde er eingeladen, viermal spielte er in der<br />
A-Nationalelf, viermal in der B-Nationalelf, mehrfach in den Auswahlmannschaften der Regionalverbände<br />
Nord bzw. West. Diese Spiele hatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit fast<br />
den Charakter von Länderspielen. Sie wurden mit großem Presse<strong>auf</strong>wand begleitet und fanden<br />
eine große Zuschauerresonanz, bis zu 40.000 pilgerten dazu in die Stadien.<br />
Fiffi stand in Herbergers Notizbuch. Alles spricht dafür, dass er zum Aufgebot für die Fußballweltmeisterschaft<br />
1954 gehört hätte, wenn nicht eine langwierige Knieverletzung, Kapselund<br />
Bänderriss, diesen Traum zerstört hätte. Aber nun der Reihe nach.<br />
<strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> wurde am 6. 2.1927 in Oldenburg (Oldenburg) geboren, wuchs dort <strong>auf</strong> und<br />
begann beim VfB Oldenburg seine Fußballkarriere im Alter von 9 Jahren. Er wurde als Jugendlicher<br />
in niedersächsische Auswahlmannschaften berufen und spielte für diese über<br />
160mal. Eigentlich – so sein Sohn André – wollte er nicht Fußballer sondern Boxer werden.<br />
Zum Boxer fehlte es aber wohl nach einem frühen, kräftigen Schlag <strong>auf</strong> die Nase an der<br />
notwendigen Motivation wie an Muskelkraft. Gut für den Fußball und für seine Mitmenschen.<br />
Mit 16 Jahren spielte „Fiffi“ zum ersten Mal in der Ersten des VfB und – wir schreiben das<br />
Jahr 1943 – wurde zum Wehrdienst eingezogen. Er ging zu den Fallschirmspringern und<br />
wurde in Stendal ausgebildet. Nach sechs Übungssprüngen, so die schriftliche Quelle, ging<br />
es bereits an die Front. Er machte seinen ersten Sprung über Breslau und wurde sogleich,<br />
1944, von den Russen gefangen genommen, mit 17 Jahren. In der Gefangenschaft hatte er<br />
„großes Glück“, so sagte er einmal selbst. Eine jüdische Lagerärztin machte ihn zum „Mäd-
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chen für alles“. Dass seine Gefangenschaft dennoch kein Zuckerschlecken war, kann man<br />
sich leicht vorstellen. Fiffi erkrankte an einem Zahngeschwür und die Lagerärztin sorgte 1946<br />
für seine vorzeitige Entlassung. Dennoch, die Gefangenschaft hinterließ körperliche wie<br />
charakterliche Spuren.<br />
Zurück in Oldenburg musste er am Darm operiert werden und verbrachte über ein Jahr im<br />
Krankenhaus. An Fußball war eigentlich nicht mehr zu denken, so die Meinung der Ärzte.<br />
Aber Fiffi gab nicht <strong>auf</strong>, begann wieder mit einem L<strong>auf</strong>training und schaffte erneut den<br />
Sprung in die 1. Mannschaft des VfB Oldenburg.<br />
„Tue niemandem etwas Schlechtes“, diese Lebensmaxime, habe sich in der Gefangenschaft<br />
entwickelt, sagte er später in einem Interview und diese Maxime sollte seinen weiteren Lebensl<strong>auf</strong><br />
bestimmen. Wie, davon wird noch die Rede sein, aber zuvor zurück zum Fußball.<br />
Fiffi wechselte 1950 vom VfB Oldenburg zu Preußen Münster. Einen gewissen Einfluss <strong>auf</strong><br />
diese Entscheidung für die Preußen hatte wohl sein Vater, ein gebürtiger Münsteraner, der<br />
gesagt haben soll, Münster sei eine schöne Stadt.<br />
Um diesen Wechsel ranken sich zudem Gerüchte und Spekulationen, die mit den Umständen<br />
der Zeit und dem Münsteraner Bauunternehmer Josef Oevermann zu tun haben.<br />
Führen wir uns kurz die Umstände der Zeit, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage<br />
vor Augen:<br />
• 1948 wurde die Währungsreform durchgeführt, die Aufbaujahre begannen<br />
• die Städte lagen in Schutt und Asche, insbesondere die Ruhrgebietsstädte und Münster<br />
als bedeutender Wehrmachtsstandort<br />
• es herrschte Hunger, Armut und Wohnungsnot<br />
• viele Männer waren gefallen oder in Gefangenschaft<br />
• viele junge Männer kamen ohne Berufsausbildung aus der Gefangenschaft<br />
• 1949 wurde – etwa zeitgleich zur Gründung der Bundesrepublik - vom DFB das Vertragsspielerstatut<br />
eingeführt, d.h. es begann eine vorsichtige Hinwendung zum Berufsfußball.<br />
Vertragsspieler bedeutet, dass die Spieler eine finanzielle Vergütung, offiziell<br />
Entschädigung genannt, bis zu 320 DM, inklusive Prämien bekommen durften,<br />
aber ein Arbeitsverhältnis nachweisen mussten.<br />
Erlauben Sie mir die Umstände der Zeit, insbesondere die Wohnungsnot, mit einer persönlichen<br />
Bemerkung zu illustrieren. Anders als mein Kollege Hans Langenfeld habe ich ihn, Fiffi,<br />
spielen sehen. Meine Großeltern mütterlicherseits wohnten <strong>auf</strong> der Hammer Straße 253,<br />
etwas großzügig formuliert, schräg gegenüber dem Preußenstadion. Ich wohnte zeitweise<br />
bei ihnen und zeitweise bei meiner Großmutter väterlicherseits in Neermoor/Ostfriesland. Als<br />
Eisenbahnerkind konnte ich für lau, sprich unentgeltlich, mit dem Zug fahren und so pendelte<br />
ich schon als Sechsjähriger mit dem Zug hin und her. Zum Beispiel stand ich mit meiner Mutter<br />
am Ludgerikreisel als die Preußenspieler nach dem Gewinn der Vize-Meisterschaft <strong>auf</strong><br />
offenem Wagen zur Halle Münsterland fuhren. Ab 1955, meine Mutter hatte nun endlich eine<br />
eigene Wohnung gefunden, wohnte ich dauerhaft in Münster. Jetzt stand ich bei den Heimspielen<br />
der Preußen am Sonntag vor dem großen Drahttor, links von den Kassenhäuschen,<br />
und lauerte mit meinen Freunden dar<strong>auf</strong>, dass einer der Preußenhonoratioren mit einem<br />
großen Auto vorfuhr und durchgelassen wurde. Dann schlug unsere Stunde. Wir versuchten<br />
mit durchzuschlüpfen und arbeiteten schon mit Trick siebzehn, so nannten wir das. Einer<br />
musste sich sichtbar neben das Fahrzeug stellen, herumtänzeln, um so die Aufmerksamkeit<br />
des Wachpersonals <strong>auf</strong> sich zu ziehen, während die anderen im Hintergrund lauerten und<br />
losstürmten, sobald sich eine Lücke bot. Geld für Eintrittskarten hatten wir nicht. Meine Mutter<br />
bekam eine Witwenrente von 230 DM, für sich, für meine Schwester und für mich. Wenn<br />
das mit Trick siebzehn nicht klappte, kletterten wir über den Zaum bzw. versuchten es. Nur<br />
zu Ihrer Beruhigung, meine verehrten Damen und Herren, später k<strong>auf</strong>te ich dann auch Eintrittskarten.
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Der Fußball war in der frühen Nachkriegszeit für die große Mehrheit der Deutschen das Lebenselixier.<br />
Hier setzte Josef Oevermann ein. In jungen Jahren spielte er selbst bei den<br />
Preußen, jetzt, 1950, war er der Obmann der 1. Mannschaft und deren Mäzen zugleich. Die<br />
Preußen sollten zu einer ersten Adresse im deutschen Fußball werden. Er ging, um es im<br />
heutigen Sprachgebrauch auszudrücken, <strong>auf</strong> Eink<strong>auf</strong>stour, aber mit den Mitteln, die in der<br />
jungen Bundesrepublik wirtschaftlich wie fußballrechtlich möglich waren.<br />
Er offerierte den Spielern Arbeitsmöglichkeiten und Wohnungen. Er hatte dazu einen – wieder<br />
in unserem heutigen Sprachgebrauch ausgedrückt – Sponsorenring <strong>auf</strong>gebaut. Diese<br />
Herren kümmerten sich um Arbeitsplätze für die jungen Fußballer, um Berufsausbildungen,<br />
Studienplätze und Wohnungen. So bezogen beispielsweise die <strong>Gerritzen</strong>s, Preißlers und<br />
Schultens Wohnungen in einem Haus im Süden Münsters. Rudi Schulz erinnert sich noch<br />
2013: „Fiffi wohnte mit seiner Familie in Parterre. Er hatte schon Kinder. Fiffi war ein Absoluter,<br />
wenn Sie wissen, was ich meine, der hatte nie ne Nase, nie die Nase oben, einfach ein<br />
absolut Guter.“ Rudi Schulz ist heute noch stolz dar<strong>auf</strong>, dass er als junger Kriegsheimkehrer<br />
bei der Raiffeisen- und Versicherungsgesellschaft eine Anstellung bekam, dort eine Lehre<br />
absolvieren konnte und seinen Lebensberuf fand.<br />
<strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong>, der eine Dekorationslehre absolviert hatte, begann in Münster als Kraftfahrer,<br />
zunächst für ein Einzelhandelsgeschäft, dann für die Provinzialversicherung als Cheffahrer.<br />
Über 20 Jahre ch<strong>auf</strong>fierte er deren Vorstandmitglieder quer durch die Republik, wechselte<br />
dann in die Werbeabteilung und stieg zum Chefdekorateur <strong>auf</strong>. Fast jede Geschäftsstelle<br />
in <strong>Westfalen</strong> trug nun seine Handschrift. Bei dieser Aufgabe konnte er seine künstlerischhandwerklichen<br />
Neigungen und Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen.<br />
Nun also 1950 lotste Josef Oevermann mit Alfred (Adi) Preißler, Rudi Schulz und Fiffi <strong>Gerritzen</strong><br />
drei exzellente Spieler bzw. Stürmer zu den Preußen. Die Saison 1950/51 wurde die<br />
erfolgreichste in der Preußen Münster-Geschichte mit dem Gewinn der Vizemeisterschaft.<br />
Und sie war die erfolgreichste Saison für Fiffi, obwohl er 1955 Torschützenkönig der Oberliga<br />
West wurde.<br />
Jetzt entstand die Legende vom Hundertausend-Mark-Sturm in der Besetzung <strong>Gerritzen</strong>,<br />
Preißler, Schulz, Rachuba und Lammers. Fiffi <strong>Gerritzen</strong> und Adi Preißler werden bis heute<br />
als Erfinder des Doppelpasses gerühmt, ob zu Recht sei dahin gestellt. Zudem gilt Fiffi, na<br />
ja, sagen wir in Deutschland, als Erfinder des Fallrückziehers mit Scherenschlag, den er in<br />
einem Sandkasten eifrig geübte hätte, sagte er später. Unbestritten war seine Schnelligkeit<br />
mit dem Ball, seine sichere Ballbehandlung, seine angeschnittenen Ecken, seine Spielfreude<br />
und Fußballleidenschaft.<br />
Fiffi spielte noch die Saison 1957/58 bei den Preußen. In 166 Spielen schoss er für seine<br />
Preußen 83 Tore. Er wechselte dann zu Saxonia Münster, spielte in der Landesliga, nie<br />
gänzlich frei von Kniebeschwerden. Später trainierte er einige Zeit die erste Mannschaft von<br />
Blau Weiß Aasee, wo vier seiner Söhne spielten. Er ließ nie ganz das Fußballspielen sein,<br />
so z. B. in der NDR-Prominentenelf oder in einer prominenten Ärztemannschaft aus Münster.<br />
Mit dem Fußball blieb er Zeit seines Lebens verbunden als <strong>auf</strong>merksamer Begleiter seiner<br />
Preußen ebenso wie des aktuellen Fußballgeschehens. Er griff auch zur Feder und schrieb<br />
Fußball-Kolumnen für die Münstersche Sonntagszeitung. Das sind kurze, knappe Text, ohne<br />
Schnörkel und Haken, ohne verbale Dribblings mit einer klaren Meinung zum aktuellen Fußballgeschehen,<br />
z. B.: zu den Preußen, klar, zu Joachim Löw und zur Nationalelf, zu Uli Hoeneß,<br />
zu Theo Zwanziger, zu den Fans. Schön für die Leser, die eine deutliche Ansage lasen<br />
und schön für die Zeitung, die das Münsteraner Fußballidol als ehrenamtlichen Mitarbeiter in<br />
ihren Reihen hatte.<br />
Dieses unentgeltliche, freiwillige Arbeiten für andere hatte er schon 1954, also in seiner aktiven<br />
Fußballerzeit, begonnen. Neben seiner täglichen Erwerbsarbeit und dem grünen Rasen<br />
hatte er ein weiteres Spielfeld betreten, das des handwerklich-künstlerischen, kreativen<br />
Schaffens zu seinem eigenen Vergnügen und zur uneigennützigen Hilfe, Unterstützung,
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Freude für andere, für einzelne Menschen ebenso wie für Organisationen unterschiedlicher<br />
Art.<br />
Eines seiner ersten Projekte war die Anfertigung eines sogenannten Knusper- oder Hexenhauses,<br />
ein Lebkuchenhaus von beachtlichem Ausmaß (1.20m X 0,80m), das in der Cafeteria<br />
der Provinzial-Versicherung in der Vorweihnachtszeit zu bestaunen war. Kurz vor Weihnachten<br />
wurde die süße Leckerei dann zum Waisenhaus Vinzenzwerk in Münster-Handorf<br />
gebracht. Die Kinder freuten sich über das Naschwerk, Fiffi freute sich über die leuchtenden<br />
Kinderaugen.<br />
Über 50mal fertigte er dieses essbare Kunstwerk an, in den letzten Lebensjahren unterstützt<br />
von seinem Sohn Andre. Fiffi wünschte sich, dass dieser sein Werk nach seinem Tod fortsetze.<br />
Der tut es. Das ist alle Anerkennung wert.<br />
„Die Weihnachtszeit ist für die Kinder und Jugendlichen des Vinzenzwerkes auch heute noch<br />
eine schwere Zeit“, sagte Schwester Mechthild im September diesen Jahres zu mir, „und sie<br />
freuen sich jedes Jahr <strong>auf</strong> dies traditionelle Geschenk“.<br />
In dieses Muster seines Engagements gehörte auch, dass er viele Jahre Weihnachtsgestecke<br />
für alte Leute mit kleinem Einkommen bastelte, für Kirchengemeinden Kruzifixe, Wegekreuze,<br />
Heiligenfiguren oder Bänke und dergleichen restaurierte. An der Werse, einem Nebenfluss<br />
der Ems, hatte er ein Bootshaus gepachtet und zu einem Atelier ausgebaut. Hier<br />
malte, zeichnete, schnitzte und bildhauerte er. Dies wurde neben seinem Beruf zu seinem<br />
zweiten Lebensmittelpunkt. Es war ein beliebter Treffpunkt, um über den Fußball zu reden,<br />
selbstverständlich, und um ihn anzuheuern für etwas Künstlerisch-Handwerkliches, denn<br />
jedermann wusste, Fiffi half, wo er konnte und nahm kein Geld.<br />
Fiffi rauchte und trank nicht, von einem Gläschen Bier oder Wein dann und wann abgesehen.<br />
„Ich brauche keinen Alkohol, um fröhlich zu sein“, sagte er. Dies ist schon erstaunlich,<br />
weil Fiffi in der münsterschen Welt des Karnevals zu Hause war als Künstler. Für verschiedene<br />
Karnevalsgesellschaften (ja, die gibt es in Münster) gestaltete er die Bühnen, Festsäle<br />
und Umzugswagen, für lau versteht sich, <strong>auf</strong> hochdeutsch unentgeltlich. Für dieses bürgerschaftliche<br />
Engagement wurde er von verschiedenen Karnevalsvereinen zum Ehrensenator<br />
bzw. zum Ehrenmitglied ernannt.<br />
Fiffi machte seinem Vornamen, <strong>Felix</strong>, der Glückliche, alle Ehre. Er war ein heiterer, froher,<br />
freundlicher Mensch zu jedermann, Kindern wie Erwachsenen, Armen wie Reichen, zur<br />
Prominenz ebenso wie zum kleinen Mann von nebenan oder den Pennern <strong>auf</strong> der Straße.<br />
„Ich bin nicht <strong>auf</strong> der Welt, um mich zu ärgern“, „Menschen jeden Tag eine Freude machen“,<br />
waren zwei seiner Lebensmaximen.<br />
Diese Fröhlichkeit und Heiterkeit bewahrte er sich auch in seiner Krankheitsphase und bis zu<br />
seinem Tode. Jörg Twenhöven, ehemaliger Oberbürgermeister von Münster und später Regierungspräsident<br />
erzählte mir:<br />
„Als ich davon hörte, wie schlecht es Fiffi ging, hab ich ihn zusammen mit Günter<br />
Schulze Blasum (Vorsitzender des Sportausschusses in Münster) besucht, etwa 14<br />
Tage vor seinem Tod. Schon nach wenigen Minuten war die Befangenheit verflogen<br />
und wir haben erzählt und erzählt und herzlich gelacht. Ja, so war Fiffi“.<br />
Als für ihn absehbar war, dass er von seiner Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs nicht genesen<br />
würde, traf er Vorbereitungen für seine Beerdigung, suchte zusammen mit seiner Frau<br />
Helga eine Grabstätte aus, skizzierte seinen Grabstein und gab die Skizze seinem Sohn<br />
Andre, legte das Musikprogramm fest und bestimmte, dass er als Toter nicht öffentlich <strong>auf</strong>gebahrt<br />
werden wollte.<br />
<strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> starb am 3.7.2007 im Alter von 80 Jahren in Münster - unter großer Anteilnahme<br />
der Bevölkerung, über 500 Trauernde begleiteten ihn <strong>auf</strong> seinem letzten Weg. Er<br />
wurde <strong>auf</strong> dem Mauritzfriedhof in Münster begraben. Sein Grab in der Nähe des Einganges<br />
ist nicht zu übersehen. Ein Foto zeigt ihn so, wie er sich zu Lebzeiten gerne als Künstler dar-
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stellte, mit Brille und Ballonschirmmütze unter der helle Haare hervorquellen und einer Jacke,<br />
in der lässig ein Tuch gebunden ist.<br />
„Begrenzt ist das Leben – unendlich die Erinnerung“. Dieser Trauerspruch schmückt seinen<br />
Grabstein.<br />
Mit <strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> wird eine Persönlichkeit in die Westfälische Ehrengalerie <strong>auf</strong>genommen,<br />
die sich von seiner Vorgängerin (Annette von Droste-Hülshoff, geb. 1797) und seinen Vorgängern<br />
(Werner Rolevinck, geb. 1425; Friedrich Ludwig Wilhelm Philipp Freiherr von Vincke,<br />
geb. 1774; Johannes Wesling, geb. 1598; Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und<br />
zum Stein, geb. 1757) in zweifacher Hinsicht unterscheidet, hinsichtlich seines Ehrungsalters<br />
und hinsichtlich seiner Verdienste für <strong>Westfalen</strong>.<br />
Mit <strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> wird eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte geehrt und nicht eine historische<br />
Persönlichkeit. Über Fiffi können wir mit Zeitzeugen reden, mit seiner Familie, seinen<br />
Freunden und Wegbegleitern. Ich habe diese Möglichkeit genutzt und danke seiner Frau<br />
Helga <strong>Gerritzen</strong> und seinem Sohn Andre für die Gespräche und Dokumente, die sie mir zur<br />
Verfügung stellten. Natürlich habe ich auch Dokumente gelesen, Zeitungsberichte, Buchartikel<br />
über ihn, über Preußen, sprich Preußen Münster, über die Sportgeschichte in Münster,<br />
über den Fußball im Westen, über seine berufliche L<strong>auf</strong>bahn, sein künstlerisches und kunsthandwerkliches<br />
Schaffen und sein vielfältiges ehrenamtliches Engagement.<br />
Die Stiftung <strong>Westfalen</strong>-<strong>Initiative</strong> ehrt mit ihm, wie mit Christoph Metzelder, eine Persönlichkeit,<br />
die nicht aus dem Adelsstand, dem akademischen Milieu, der Funktionselite <strong>Westfalen</strong>s<br />
oder der Hochkultur kommt, sondern aus der Volkskultur Fußball, die ein bestimmendes<br />
Merkmal unserer Region ist.<br />
Nach der unmenschlichen Diktatur der Naziherrschaft und Katastrophe des 2. Weltkrieges<br />
betritt <strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> die gesellschaftliche Bühne der jungen Bundesrepublik und damit der<br />
<strong>Westfalen</strong>s, als es darum geht, ein demokratisches Deutschland <strong>auf</strong>zubauen und eine lebenswerte<br />
Gesellschaft mit einer lebendigen, vielfältigen Kultur zu entwickeln. Der Fußball<br />
war und ist ein zentrales Element dieser lebendigen, vielfältigen Kultur in Deutschland und<br />
gerade auch in <strong>Westfalen</strong>. <strong>Westfalen</strong> ist, historisch wie gegenwärtig gesehen, eine, wenn<br />
nicht die vielfältigste, dichteste, leistungsstärkste und erfolgreichste Fußballregion im Amateurfußball<br />
wie im Profifußball in Deutschland. Und ohne jeglichen chauvinistischen Unterton<br />
darf ich sagen, auch eine der stärksten Fußballregionen in Europa. Der Fußball, wie der moderne<br />
Sport allgemein, ist keine westfälische Erfindung, sondern ein globales kulturelles<br />
Programm, aber in <strong>Westfalen</strong> war er (und ist er) von Beginn seiner Geschichte an zu hause,<br />
tief verankert im alltäglichen Leben als Spielen, Zuschauen und Organisieren. Fußball ist ein<br />
stabiles und starkes Element in der westfälischen Identität.<br />
<strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> steht nach dem 2. Weltkrieg mit seinem Verein Preußen Münster am Beginn<br />
dieses Neustarts in eine demokratische Gesellschaft. Preußen Münster mit Fiffi <strong>Gerritzen</strong> im<br />
sogenannten Hunderttausendmarksturm war der erste Prestigeclub <strong>Westfalen</strong>s nach dem 2.<br />
Weltkrieg.<br />
Mit <strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> wird zugleich eine Persönlichkeit geehrt, die schon im Alter von Mitte<br />
Zwanzig begann, sich ehrenamtlich zu engagieren. Er lebte damit etwas vor, was seit gut<br />
einem Jahrzehnt von allen gesellschaftlichen Akteuren als ein notwendiges und unverzichtbares<br />
Element moderner Gesellschaften angesehen wird, bürgerschaftliches Engagement.<br />
Die Stiftung <strong>Westfalen</strong>-<strong>Initiative</strong> und der Fußball- und Leichtathletikverband <strong>Westfalen</strong> pflegen<br />
nicht zuletzt aus diesem Grund seit einigen Jahren ein partnerschaftliches Verhältnis.<br />
Dieses herausragende, gesellschaftliche Engagement ist ein notwendiger, ja unverzichtbarer<br />
Kitt moderner Gesellschaften. <strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong> lebte dies jahrzehntelang in vorbildlicher Weise.<br />
<strong>Felix</strong> <strong>Gerritzen</strong>, genannt Fiffi, avancierte so vom Dribbelkönig zum König der Herzen: Er<br />
machte Menschen glücklich.