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Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) ist in ... - pharma4u

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184<br />

Arzneimittel der komplementären <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZN<br />

<strong>Die</strong> <strong>traditionelle</strong> <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> (<strong>TCM</strong>) <strong>ist</strong> <strong>in</strong> Deutschland sehr<br />

populär geworden (Bauer 1995; Morck 1999; Scheid 1999). <strong>Die</strong>s<br />

äußert sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Kl<strong>in</strong>iken, niedergelassenen Ärzten<br />

und Heilpraktikern, die mittlerweile diese fernöstliche Heilweise anwenden.<br />

Über 15.000 deutsche Ärzte haben beispielsweise e<strong>in</strong>e Zusatzausbildung <strong>in</strong><br />

Akupunktur absolviert und stehen somit dieser Art von <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> aufgeschlossen<br />

gegenüber. Immer mehr weiten ihr therapeutisches Spektrum nun<br />

aus und wenden auch <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Arzneidrogen an. <strong>Die</strong>s führt dazu, dass<br />

Apotheken immer häufiger mit entsprechenden Rezepten konfrontiert werden.<br />

DAS WESEN DER TRADITIONELLEN CHINESISCHEN MEDIZIN<br />

<strong>Die</strong> <strong>TCM</strong> wird <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a seit mehr als 2000 Jahren wissenschaftlich betrieben<br />

und an Universitäten gelehrt. Sie stellt somit ke<strong>in</strong>e von Laien angewandte<br />

und propagierte Volksmediz<strong>in</strong> dar, sondern sie repräsentiert die <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a traditionell überlieferte Form der <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>. Entsprechend besitzt sie<br />

e<strong>in</strong> Theoriegebäude, kennt diagnostische Verfahren und verfügt über kont<strong>in</strong>uierlich<br />

gewachsenes wissenschaftliches Erkenntnismaterial. Auch heute<br />

vertraut noch der Großteil der Ch<strong>in</strong>esen auf diese Art von Behandlung<br />

(Friedl 1991). <strong>Die</strong> <strong>in</strong> der Volksrepublik Ch<strong>in</strong>a an westlich orientierten mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Hochschulen bzw. an <strong>TCM</strong>-Universitäten vorgeschriebene<br />

zweigleisige Ausbildung führt dazu, dass westlich ausgebildete Ärzte auch<br />

die Grundpr<strong>in</strong>zipien der <strong>TCM</strong> erlernen und umgekehrt. <strong>Die</strong>s fördert das<br />

gegenseitige Verständnis und führt zu e<strong>in</strong>er pragmatischen Koex<strong>ist</strong>enz dieser<br />

zwei so unterschiedlichen mediz<strong>in</strong>ischen Systeme (Hesketh und Zhu,<br />

1997). Es wird allerd<strong>in</strong>gs auch auf die Gefahr h<strong>in</strong>gewiesen, dass die <strong>TCM</strong><br />

dabei ihr Wesen verliert und sich immer mehr der westlichen <strong>Mediz<strong>in</strong></strong><br />

annähert (Frühauf 1999; Unschuld 1999).<br />

<strong>Die</strong> Therapie der <strong>TCM</strong> ruht auf mehreren Säulen (Tab. 38): <strong>Die</strong> <strong>in</strong>nere<br />

Therapie (»neizhi«) entspricht der Arzneitherapie, bei der neben Arzneipflanzen<br />

auch m<strong>in</strong>eralische und tierische Drogen e<strong>in</strong>gesetzt werden. <strong>Die</strong><br />

äußere Therapie (»waichi«) umfasst <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Akupunktur und die<br />

Moxibustion. Unter »Moxibustion« versteht man das Abbrennen von auf<br />

Akupunkturnadeln angebrachten Beifußbüscheln, wodurch es zu e<strong>in</strong>er Erwärmung<br />

der Akupunkturpunkte kommt. Als weitere Therapiebereiche gel-


Innere Therapie (neizhi)<br />

– Pflanzliche Arzneidrogen<br />

– Tierische Arzneidrogen<br />

– M<strong>in</strong>eralien<br />

185<br />

Äußere Therapie (waichi)<br />

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TABELLE 38 •<br />

THERAPIEBEREICHE DER <strong>TCM</strong><br />

– Akupunktur<br />

– Moxibustion<br />

Unspezifische Heilmaßnahmen<br />

– Tu<strong>in</strong>a-Massage<br />

– Bäder<br />

– Qi-gong<br />

– Diätetik<br />

ten das Qigong, e<strong>in</strong>e Synthese von Gymnastik, Bewusstse<strong>in</strong>s- und Atemübungen,<br />

die das Qi, die Lebensenergie, tra<strong>in</strong>ieren sollen, sowie die Tu<strong>in</strong>a-<br />

Massage, e<strong>in</strong>e sehr tiefe und <strong>in</strong>tensive Massagetechnik. Darüber h<strong>in</strong>aus wird<br />

auch der Ernährung e<strong>in</strong>e große mediz<strong>in</strong>ische Bedeutung zugemessen. <strong>Die</strong>s<br />

äußert sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ausgewogenen, häufig auch mit Heilkräutern zubereiteten<br />

Nahrung, welche <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auch <strong>in</strong> speziellen Heilkräuter-Restaurants<br />

nach <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen zusammengestellt, angeboten wird.<br />

<strong>Die</strong> <strong>TCM</strong> besitzt e<strong>in</strong> Theoriegebäude, das sich von dem der pharmakologisch<br />

orientierten westlichen <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> grundlegend unterscheidet. Während<br />

die westliche <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> seit Rudolf Virchow und Robert Koch nach Veränderungen<br />

der Organe und nach »Erregern« im Blut oder Gewebe sucht, also<br />

sehr von konkreten Ursache-Wirkungsbeziehungen geprägt und stoffbezogen<br />

<strong>ist</strong>, untersucht und beschreibt die <strong>TCM</strong> eher Regulationssysteme, die<br />

zu e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Betrachtungsweise zw<strong>in</strong>gen (Petersohn 1989).<br />

<strong>Die</strong> der <strong>TCM</strong> zugrunde liegende Theorie wurde sehr stark von den Gedanken<br />

des Taoismus und Konfuzionismus geprägt, nach denen der Lauf der<br />

Ereignisse durch die jeweils herrschende Kräftekonstellation bed<strong>in</strong>gt <strong>ist</strong>.<br />

Nach dieser Vorstellung beruht die weltliche Ordnung und damit auch der<br />

Gesundheitszustand e<strong>in</strong>es Menschen auf dem Wechselspiel zweier Gruppen<br />

gegensätzlicher, aber e<strong>in</strong>ander ergänzender Kräfte, welche als Y<strong>in</strong> und Yang<br />

bezeichnet werden. Entsprechend e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>gebürgerten Normenkonvention<br />

steht »Yang« für »aktiv, nach außen gerichtet« und »Y<strong>in</strong>« für<br />

»ordnend, nach <strong>in</strong>nen gerichtet« (Abb. 29) (Porkert 1992). Gemäß der <strong>traditionelle</strong>n<br />

<strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Philosophie <strong>ist</strong> der Mensch e<strong>in</strong> »qi«, das heißt e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

energetische Kräftekonstellation, und nicht, wie <strong>in</strong> der westlichen<br />

Vorstellung, e<strong>in</strong> Körper, dem Ge<strong>ist</strong> und Seele <strong>in</strong>newohnen. Das »qi« wird als<br />

Lebenskraft angesehen, die fließen muss, damit der Körper richtig funktionieren<br />

kann. Stauungen des »qi« führen zu Krankheiten. Man kann den<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN


186<br />

<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Y<strong>in</strong><br />

Nacht<br />

Herbst und W<strong>in</strong>ter<br />

kalt<br />

statisch-struktiv<br />

weiblich<br />

kle<strong>in</strong> und schwach<br />

das Innere<br />

Yang<br />

Tag<br />

Frühl<strong>in</strong>g und Sommer<br />

warm<br />

dynamisch-aktiv<br />

männlich<br />

groß und stark<br />

das Äußere<br />

ABBILDUNG 29 •<br />

YIN UND YANG, POLARE<br />

ENERGIEN, DIE DEN LAUF<br />

DER EREIGNISSE BESTIMMEN,<br />

DIE SICH ERGÄNZEN UND<br />

ERZEUGEN<br />

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Fluss des »qi« durch Übungen fördern (Qigong) oder durch Massagen stimulieren<br />

(Tu<strong>in</strong>a), bzw. durch Medikamente und Akupunktur bee<strong>in</strong>flussen.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Theoriegebäude s<strong>in</strong>d die »5 Wandlungsphasen«, die demonstrieren<br />

sollen, dass alle Kräfte zusammenhängen (Abb. 30). Den fünf symbolischen<br />

Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser, s<strong>in</strong>d die fünf<br />

Funktionsbereiche »Leber«, »Herz«, »Milz und Magen«, »Lunge« bzw. »Niere«<br />

zugeordnet. Sie können sich gegenseitig auf- oder auch abbauen. Da es<br />

sich bei den »Organen« nach dem Verständnis der <strong>TCM</strong> nicht um anatomische<br />

Gebilde sondern um Funktionsbereiche handelt, hat Porkert vorgeschlagen,<br />

besser den Begriff »Orbis« zu verwenden. Er def<strong>in</strong>iert ihn als<br />

»Komplex delokalisierter Funktionen« (Porkert 1992). Als Gesundheit wird<br />

e<strong>in</strong> Zustand def<strong>in</strong>iert, bei dem alle Kräfte im Gleichgewicht stehen. Kommt<br />

es zu e<strong>in</strong>em Ungleichgewicht, kann durch Stärkung des entsprechenden Bereiches<br />

oder durch Schwächung des Gegenübers e<strong>in</strong>e Regulierung erfolgen.<br />

In diesem Zusammenhang <strong>ist</strong> auch wichtig, dass <strong>in</strong> der <strong>TCM</strong> auf e<strong>in</strong>e frühzeitige<br />

E<strong>in</strong>flussnahme und somit auch auf e<strong>in</strong>e Prophylaxe sehr viel Wert<br />

gelegt wird. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getretenes Ungleichgewicht wird möglichst rasch behandelt,<br />

oft noch bevor e<strong>in</strong>e Erkrankung manifest geworden <strong>ist</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Nutzung der <strong>TCM</strong> im Westen setzt voraus, dass man sich mit diesem<br />

Theoriegebäude vertraut macht und/oder dass e<strong>in</strong>e Übersetzung <strong>in</strong> die<br />

uns geläufige Sprache der Pharmakologie, Diagnostik und Therapie erfolgt.<br />

Für den ersten Ansatz werden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a und mittlerweile auch <strong>in</strong> Deutschland<br />

<strong>in</strong> zahlreichen Akademien Kurse angeboten, <strong>in</strong> denen westliche <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>er<br />

sich mit dieser Art von <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> beschäftigen können. Es ex<strong>ist</strong>ieren


187<br />

»Auge«<br />

Holz<br />

»Leber,<br />

Gallenblase«<br />

»Ohren,<br />

Nieren,<br />

Dreifacher<br />

Erwärmer«<br />

»Nase,<br />

Lunge,<br />

Großes<br />

Intest<strong>in</strong>um«<br />

Wasser<br />

Metall<br />

Erde<br />

Feuer<br />

»Mund,<br />

Milz,<br />

Magen«<br />

»Zunge,<br />

Herz,<br />

Kle<strong>in</strong>es<br />

Intest<strong>in</strong>um«<br />

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»Leber« »Herz« »Milz« »Lunge« »Niere«<br />

Wandlungs- Holz Feuer Erde Metall Wasser<br />

phase<br />

Abgestufte yang yang y<strong>in</strong> y<strong>in</strong> y<strong>in</strong><br />

Determ<strong>in</strong>ation im y<strong>in</strong> im y<strong>in</strong> im y<strong>in</strong> im yang im y<strong>in</strong><br />

Grund- sanfte heiße ausglei- Kühle eisige<br />

qualität ansteigende feuchte chend und Kälte<br />

Wärme Hitze neutralisierend<br />

Geschmack das das das das das<br />

Saure Bittere Süße Scharfe Salzige<br />

Geruch nach Ur<strong>in</strong> verbrannt aromatisch nach rohem faulig<br />

und saurem und wohl- Fleisch<br />

Schweiß riechend oder Fisch<br />

ABBILDUNG 30 • DIE FÜNF WANDLUNGSPHASEN<br />

(DURCHZOGENE LINIEN SYMBOLISIEREN AUFBAUENDE, UNTERBROCHENE LINIEN ABBAUENDE<br />

PROZESSE)


188<br />

auch zahlreiche Bücher, <strong>in</strong> denen die Anwendung der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen<br />

nach westlichen Gesichtspunkten dargelegt wird (siehe z.B. Wiseman<br />

et al. 1985; Reid 1993). S<strong>in</strong>ologen, wie Unschuld und Porkert, weisen<br />

jedoch darauf h<strong>in</strong>, dass nur unter E<strong>in</strong>beziehung der Geschichte und durch<br />

Übersetzung der klassischen Texte e<strong>in</strong> Bild von der wahren <strong>TCM</strong> gewonnen<br />

werden kann (Unschuld 1991).<br />

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• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

ÜBERLIEFERUNGSSTRÄNGE<br />

Gerade <strong>in</strong> der langen Tradition steckt e<strong>in</strong>e wesentliche Stärke der <strong>TCM</strong>. <strong>Die</strong><br />

schriftlichen Aufzeichnungen über die Anwendung von Arzneidrogen reichen<br />

bis <strong>in</strong> die vorchr<strong>ist</strong>liche Zeit zurück. Viele s<strong>in</strong>d auch heute noch<br />

zugänglich. Es können so die Anwendung e<strong>in</strong>er Arzneipflanze über die Jahrtausende<br />

h<strong>in</strong>weg verfolgt und eventuelle Ausweitungen oder Veränderungen<br />

im Indikationsgebiet beobachtet werden. Es lassen sich hieraus aber ke<strong>in</strong>e<br />

Aussagen über e<strong>in</strong>e chronische Toxizität sowie über Interaktionen mit westlichen<br />

Medikamenten ableiten.<br />

Das legendäre älteste »Arzneibuch« Ch<strong>in</strong>as <strong>ist</strong> das Shen-nung pen-ts’ao<br />

ch<strong>in</strong>g. Es enthielt bereits 365 Arzneidrogen. In der Folge wurden bis heute<br />

mehr als 300 klassische Werke zur Anwendung <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Arzneidrogen<br />

publiziert. <strong>Die</strong> Wichtigsten s<strong>in</strong>d das <strong>in</strong> der frühen Tang-Epoche (618 – 906<br />

n. Chr.) von Su-Ch<strong>in</strong>g verfasste Hs<strong>in</strong>-hsiu pen-ts’ao und das während der<br />

M<strong>in</strong>g-Dynastie (1368–1636 n. Chr.) entstandene Pen-ts’ao kang mu. Letzteres<br />

wurde von Li Shih-chen <strong>in</strong> 30-jähriger Arbeit verfasst. Er wertete die gesamte<br />

damals <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a verfügbare pharmazeutische Literatur aus und beschrieb<br />

1893 verschiedene Pharmaka. Auch im heute gültigen <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n<br />

Arzneibuch moderner Prägung s<strong>in</strong>d noch über 500 Arzneidrogen im herkömmlichen<br />

S<strong>in</strong>ne enthalten.<br />

TABELLE 39 • DIE WICHTIGSTEN WERKE DER <strong>TCM</strong> ÜBER DIE ANWENDUNG VON<br />

ARZNEIPFLANZEN<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsjahr Autor Arzneidrogen<br />

Shen-nung pen-ts’ao ch<strong>in</strong>g ca. 22–250 v. Chr. unbekannt 365<br />

Hs<strong>in</strong>-hsiu pen-ts’ao 659 n. Chr. Su Ch<strong>in</strong>g 850<br />

Ch<strong>in</strong>g-shih cheng-lei 1080–1107 T’ang Shen-wei 1744<br />

pei-chi pen-ts’ao<br />

Pen-ts’ao kang mu 1590–1596 Li Shih-chen 1893<br />

Arzneibuch der 2000 P.R.C. ca. 500<br />

Volksrepublik Ch<strong>in</strong>a


TRADITIONELLE ANWENDUNG<br />

PFLANZLICHER ARZNEIDROGEN IN DER <strong>TCM</strong><br />

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Arzneimittel der komplementären <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

Berücksichtigt man auch alle derzeit <strong>in</strong> den verschiedenen Regionen von<br />

ethnischen M<strong>in</strong>derheiten volksmediz<strong>in</strong>isch verwendeten Pflanzen, so beläuft<br />

sich die Zahl der <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a verwendeten Arzneipflanzen auf ca. 7.000.<br />

Von den <strong>in</strong>sgesamt 26.000 <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a vorkommenden Pflanzenarten wird somit<br />

fast e<strong>in</strong> Viertel mediz<strong>in</strong>isch genutzt. Wegen der nach wie vor häufigen<br />

Anwendung <strong>ist</strong> der Umsatz mit <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen beträchtlich.<br />

<strong>Die</strong> Schätzungen gehen davon aus, dass der Handel mit Arzneidrogen alle<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>nerhalb Ch<strong>in</strong>as e<strong>in</strong> Volumen von jährlich 1.4 Milliarden US $ besitzt. In<br />

Japan, wo die <strong>TCM</strong> sich <strong>in</strong> Form der Kampo-<strong>Mediz<strong>in</strong></strong> weiterentwickelt hat,<br />

wird der jährliche Arzneidrogenumsatz ebenfalls auf ca. 1 Milliarde US $<br />

geschätzt (Hon 1991). Nach Angaben e<strong>in</strong>er Datenbank von UNCTAD<br />

COMTRADE belief sich <strong>in</strong> den Jahren 1992 bis 1995 der durchschnittliche<br />

jährliche Export von Arzneidrogen aus Ch<strong>in</strong>a auf 121.900 to im Wert<br />

von 264.500.000 US $.<br />

In e<strong>in</strong>er <strong>TCM</strong>-Apotheke werden üblicherweise ca. 600 bis 800 Arzneidrogen<br />

vorrätig gehalten. Sie werden <strong>in</strong> der Regel nach klassischem Muster<br />

<strong>in</strong> Mischungen von vier bis zehn Bestandteilen als Dekokt angewendet (zur<br />

Dekoktherstellung siehe Tab. 40). <strong>Die</strong> Rezepte werden teils <strong>in</strong>dividuell zusammengestellt,<br />

teils wird auf »Rezeptur-Klassiker« zurückgegriffen, die <strong>in</strong><br />

den zahlreichen Werken der <strong>TCM</strong> beschrieben s<strong>in</strong>d. Jede Droge hat <strong>in</strong> der<br />

Mischung ihre besondere Funktion: E<strong>in</strong> »Chef« (jun) <strong>ist</strong> für die Hauptwirkung<br />

verantwortlich, e<strong>in</strong> »Adjutant« (chen), unterstützt den »Chef« oder<br />

deckt e<strong>in</strong>en zweiten Indikationsbereich ab, »Ass<strong>ist</strong>enten« (zuo) unterstützen<br />

ebenfalls den »Chef« oder mildern die sekundären Symptome und die Nebenwirkungen<br />

des Hauptwirkstoffes, und »Boten« (shi), kanalisieren und<br />

harmonisieren die Wirkung (Bensky, Gamble 1993). Jede Droge hat somit<br />

ihre besondere Funktion, die auch bei e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Evaluierung<br />

TABELLE 40 • ZUBEREITUNG EINES CHINESISCHEN ARZNEIDROGENDEKOKTES<br />

Tagesportion der Teemischung <strong>in</strong> 400 ml kaltem Wasser ca. 60 M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong>weichen.<br />

Auf kle<strong>in</strong>er Flamme ca. 30 M<strong>in</strong>uten erhitzen bis die Flüssigkeit auf 100 ml reduziert <strong>ist</strong>.<br />

<strong>Die</strong>sen ersten Dekokt abgießen.<br />

Noch e<strong>in</strong>mal 200 bis 300 ml Wasser zugeben und weiter erhitzen, bis die Flüssigkeit wieder<br />

auf 100 ml reduziert <strong>ist</strong>.<br />

Auch diesen zweiten Dekokt abgießen.<br />

Beide Dekokte mischen und <strong>in</strong> zwei Portionen mit e<strong>in</strong>em Abstand von sechs bis acht<br />

Stunden tr<strong>in</strong>ken.<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN


190<br />

berücksichtigt werden sollte. Insbesondere synerg<strong>ist</strong>ische und antagon<strong>ist</strong>ische<br />

Effekte sollten <strong>in</strong> Betracht gezogen werden.<br />

RECHTLICHE ASPEKTE BEI DER ANWENDUNG IN DEUTSCHLAND<br />

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• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Soweit sie dazu bestimmt s<strong>in</strong>d »Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder<br />

krankhafte Beschwerden zu heilen, zu l<strong>in</strong>dern, zu verhüten oder zu erkennen«,<br />

oder dazu dienen, »die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen<br />

des menschlichen Körpers oder seelische Zustände zu bee<strong>in</strong>flussen«,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Drogen gemäß § 2 AMG als Arzneimittel e<strong>in</strong>zustufen. <strong>Die</strong><br />

Abgrenzung vom Lebensmittel <strong>ist</strong> oft nicht ganz e<strong>in</strong>fach, <strong>in</strong>sbesondere, weil<br />

man <strong>in</strong> der <strong>TCM</strong> davon ausgeht, dass Nahrungsmittel und Arzneimittel e<strong>in</strong>en<br />

geme<strong>in</strong>samen Ursprung haben. Bezüglich der Zulassungspflicht als<br />

Arzneimittel dürfte <strong>in</strong> den me<strong>ist</strong>en Fällen, <strong>in</strong>sbesondere bei der Abgabe von<br />

Arzneitees, die Ausnahmeregelung des AMG (§ 21 (2) AMG) greifen. Sie<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel auch als apothekenpflichtig anzusehen, da die Ausnahmen<br />

von der Apothekenpflicht (§§ 43 und 44 AMG) <strong>in</strong> den wenigsten Fällen<br />

zutreffen werden.<br />

Beim Mischen e<strong>in</strong>es Tees oder der Abgabe e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zeldroge als Arzneimittel<br />

wird der Apotheker zum Arzneimittelhersteller und trägt damit die<br />

gesamte Verantwortung beim Herstellen (§ 4 (14) AMG) und Inverkehrbr<strong>in</strong>gen<br />

(§ 4 (17) AMG). <strong>Die</strong>s schließt die Prüfpflicht unter Anwendung<br />

anerkannter pharmazeutischer Regeln nach ApBetrO selbstverständlich e<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Prüfung kann jedoch unter der Verantwortung des Apothekenleiters<br />

auch außerhalb der Apotheke <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Betrieb, für den e<strong>in</strong>e Erlaubnis nach<br />

§ 13 AMG oder nach § 1 Abs. 2 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit § 2 des Gesetzes über<br />

das Apothekenwesen erteilt <strong>ist</strong>, oder durch e<strong>in</strong>en Sachverständigen im S<strong>in</strong>ne<br />

des § 65 Abs. 4 AMG erfolgen (§ 6 (3) ApBetrO). Das vom Händler/Importeur<br />

zu verlangende Prüfzertifikat muss <strong>in</strong>sbesondere den H<strong>in</strong>weis auf<br />

die »erforderliche pharmazeutische Qualität« der gelieferten Stoffe enthalten.<br />

E<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf durchgeführte Prüfungen reicht nicht aus. Beim Vorliegen<br />

e<strong>in</strong>es Prüfzertifikates <strong>ist</strong> <strong>in</strong> der Apotheke m<strong>in</strong>destens die Identität des<br />

Arzneimittels festzustellen. <strong>Die</strong> Verantwortung des Apothekenleiters für die<br />

ordnungsgemäße Qualität der Ausgangsstoffe bleibt dabei unberührt. Über<br />

die durchgeführten Untersuchungen s<strong>in</strong>d Aufzeichnungen zu machen (§ 11<br />

(2) ApBetrO).<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Prüfung nach »anerkannten pharmazeutischen Regeln«<br />

<strong>ist</strong> so zu verfahren, dass mit erster Priorität das deutsche und europäische<br />

Arzneibuch zu verwenden <strong>ist</strong>. Sollte die entsprechende Droge dort nicht<br />

aufgeführt se<strong>in</strong>, <strong>ist</strong> zunächst auf Arzneibücher anderer Mitgliedstaaten der<br />

Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft und schließlich auf Arzneibücher dritter Länder<br />

zurückzugreifen, wobei hier natürlich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auch das <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong><br />

Arzneibuch (<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er englischen Fassung), zu nennen <strong>ist</strong>. Ist e<strong>in</strong>e Droge<br />

auch dort nicht enthalten, muss auf Standardliteratur zurückgegriffen


Arzneimittel der komplementären <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

werden. Zweifelsohne erhöht sich durch den vorgeschriebenen Prüfaufwand<br />

der Preis <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Arzneidrogen und der Import kle<strong>in</strong>erer Mengen <strong>ist</strong><br />

kaum rationell. Andererseits <strong>ist</strong> bei preisgünstig zum Beispiel im Internet<br />

angebotenen Drogen e<strong>in</strong>e gewisse Skepsis berechtigt, <strong>in</strong>wieweit die bei uns<br />

vorgeschriebenen Untersuchungen tatsächlich durchgeführt wurden.<br />

Unabhängig von den durchgeführten Untersuchungen muss der Apotheker<br />

das Verbot des Inverkehrbr<strong>in</strong>gens bedenklicher Arzneimittel beachten<br />

(§ 5 (1) AMG). Bedenklich s<strong>in</strong>d Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen<br />

Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht,<br />

dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen<br />

haben, die über e<strong>in</strong> nach den Erkenntnissen der mediz<strong>in</strong>ischen Wissenschaft<br />

vertretbares Maß h<strong>in</strong>ausgehen (§ 5 (2) AMG). <strong>Die</strong>s s<strong>in</strong>d zum Beispiel<br />

Arzneidrogen, die bekanntermaßen toxische Inhaltsstoffe enthalten<br />

und deren Nutzen nicht e<strong>in</strong>deutig überwiegt (z.B. pyrrolizid<strong>in</strong>alkaloidoder<br />

ar<strong>ist</strong>olochiasäurehaltige Arzneidrogen). Auch bei Fertigarzneimitteln,<br />

deren Zusammensetzung man nicht kennt, <strong>ist</strong> Vorsicht geboten.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Problem kann beim Import <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Arzneidrogen auftreten,<br />

wenn sich herausstellt, dass sie dem Wash<strong>in</strong>gtoner Artenschutzabkommen<br />

unterliegen. <strong>Die</strong>ses wurde 1993 zwar auch von der Volksrepublik<br />

Ch<strong>in</strong>a unterzeichnet, doch s<strong>in</strong>d weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Reihe entsprechender Drogen<br />

im Handel. Es s<strong>in</strong>d dies zum Teil tierische Drogen, wie Rh<strong>in</strong>ozerotis<br />

cornu (Xijiao), von dem 1 kg auf dem Schwarzmarkt <strong>in</strong> Hongkong oder<br />

Taiwan 40.000,– DM kostet, Tigerknochen, Tigerzähne, Tigerhoden, oder<br />

Tigerpenisse, die als Aphrodisiaka Verwendung f<strong>in</strong>den, aber auch e<strong>in</strong>ige <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong><br />

Arzneipflanzen. So stammen zum Beispiel die Drogen Bletillae tuber<br />

(Baiji), Gastrodiae rhizoma (Tianma) und Dendrobii herba (Shihu) von<br />

geschützten Orchideen, und Cibotii rhizoma (Gouji) von tropischen Farnen,<br />

welche ebenfalls unter Artenschutz stehen. Von <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Seite wird<br />

häufig angeführt, dass die Drogen von kultivierten Pflanzen stammen. Sollte<br />

dies zutreffen, <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e entsprechende schriftliche Bestätigung empfehlenswert.<br />

An dieser Stelle sollte auch angemerkt werden, dass der berühmte »Tigerbalsam«<br />

nicht aus Tigern gewonnen wird, sondern se<strong>in</strong>en Namen von<br />

se<strong>in</strong>em Erf<strong>in</strong>der, dem Burmesen Aw Boon Haw (»höflicher Tiger«) trägt.<br />

IDENTIFIZIERUNG VON ARZNEIDROGEN DER <strong>TCM</strong><br />

E<strong>in</strong> großes Problem für die Anwendung der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen <strong>in</strong><br />

Deutschland stellt die zweifelsfreie Identifizierung der Drogen dar. Sieht<br />

man von den Drogen ab, die bei uns schon gut etabliert s<strong>in</strong>d (Tab. 41), so<br />

bleibt doch e<strong>in</strong>e große Zahl von Stoffen, mit denen e<strong>in</strong> mitteleuropäischer<br />

Apotheker <strong>in</strong> der Regel nicht vertraut <strong>ist</strong>. Als Hilfen bieten sich neben<br />

schwer zugänglicher <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Literatur e<strong>in</strong>e Reihe englischsprachiger<br />

Werke an, so zum Beispiel der Bilderatlas »The Illustrated Ch<strong>in</strong>ese Materia<br />

Medica« (Yen 1992), und vor allem die offizielle englische Ausgabe des Arz-<br />

191<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN


192<br />

C<strong>in</strong>namomi cortex (»Rougui«)<br />

Crataegi fructus (»Shanzha«)<br />

Curcumae longae rhizoma (»Jianghuang«)<br />

Ephedrae herba (»Mahuang«)<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Farfarae flos (»Kuandonghua«)<br />

Foeniculi fructus (»Xianghuixiang«)<br />

G<strong>in</strong>seng radix (»Renshen«)<br />

Myr<strong>ist</strong>icae semen (»Roudoukou«)<br />

Rhei radix (»Dahuang«)<br />

Sennae folium (»Fanxieye«)<br />

S<strong>in</strong>apis albae semen (»Baijiezi«)<br />

Z<strong>in</strong>giberis rhizoma (»Ganjiang«)<br />

TABELLE 41 •<br />

CHINESISCHE ARZNEIDROGEN, DIE<br />

BEI UNS SCHON ETABLIERT SIND<br />

Arzneimittel der komplementären <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

neibuches der Volksrepublik Ch<strong>in</strong>a von 1997. Von Stöger wurden ca. 300<br />

Monographien pflanzlicher Arzneidrogen aus dem Arzneibuch der Volksrepublik<br />

Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt und mit Detailzeichnungen der mikroskopischen<br />

Pulvermerkmale versehen (Stöger 1993). Hilfreich können<br />

auch die von Bauer und Wagner herausgegebenen »Ch<strong>in</strong>ese Drug Monographs<br />

and Analysis« se<strong>in</strong>, die Angaben zur Identitätsprüfung mittels Dünnschicht-<br />

und Hochle<strong>ist</strong>ungsflüssigchromatographie enthalten (Wagner, Bauer<br />

1999). Generell sche<strong>in</strong>en sich chromatographische Methoden bei der<br />

Analyse von Arzneimitteln der <strong>TCM</strong> durchzusetzen (Li et al. 1998).<br />

E<strong>in</strong> Problem bei der Identifizierung <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Arzneidrogen resultiert<br />

auch daraus, dass bisher im ostasiatischen Raum ke<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>heitlichte Nomenklatur<br />

ex<strong>ist</strong>iert und teilweise unter e<strong>in</strong>er bestimmten <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Drogenbezeichnung<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Regionen unterschiedliche Pflanzen verstanden<br />

werden. So stammt zum Beispiel die Droge Pien hsu <strong>in</strong> der Volksrepublik<br />

Ch<strong>in</strong>a von Polygonum aviculare (Polygonaceae), während <strong>in</strong> Taiwan<br />

als Stammpflanze Euphorbia thymifolia (Euphorbiaceae), und <strong>in</strong> Hongkong<br />

Belamcanda ch<strong>in</strong>ensis (Iridaceae) verwendet wird (Hsu 1987). Häufig werden<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Landesteilen auch unterschiedliche Arten e<strong>in</strong>er Pflanzengattung<br />

verwendet, oder es werden unterschiedliche Pflanzenteile e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Auch herrscht e<strong>in</strong> Unterschied zwischen der von Porkert (1992) verwendeten<br />

Nomenklatur und der des <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneibuches. E<strong>in</strong> entsprechendes<br />

Synonymverzeichnis f<strong>in</strong>det sich bei Stöger (1993). Es muss somit<br />

sehr genau recherchiert werden, um die Identität e<strong>in</strong>er Arzneidroge der<br />

klassischen Literatur zweifelsfrei festzulegen.


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In diesem Zusammenhang müssen auch Vergiftungsfälle <strong>in</strong> Belgien und<br />

England gesehen werden, die auf Verwechslungen von Drogen zurückzuführen<br />

s<strong>in</strong>d. Bisher wurden über 100 Fälle bei Frauen bekannt, die sich seit<br />

1991 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er belgischen Schlankheitskl<strong>in</strong>ik behandeln ließen und anschließend<br />

Nierenschäden erlitten (Violon 1997; Vanhaelen et al. 1994).<br />

Sie hatten neben diversen synthetischen Arzneimitteln zwei <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Arzneidrogen<br />

erhalten, von denen e<strong>in</strong>e (Stephaniae tetrandrae radix = Fangji)<br />

mit Ar<strong>ist</strong>olochiae fangchi radix (= »Guang Fangji« = »südliche Fangji-Wurzel«)<br />

verwechselt worden war. Ar<strong>ist</strong>olochia fangchi enthält, ähnlich wie die<br />

Osterluzei, Ar<strong>ist</strong>olochiasäure, die sich als kanzerogen und nierenschädigend<br />

erwiesen hat, weshalb 1981 <strong>in</strong> Deutschland alle ar<strong>ist</strong>olochiasäurehaltigen<br />

Arzneimittel vom Markt genommen wurden. Zwei ähnliche Fälle von term<strong>in</strong>alem<br />

Nierenversagen wurden kürzlich <strong>in</strong> England beschrieben (Lord et<br />

al. 1999), wo möglicherweise aufgrund der gleich lautenden Namen statt<br />

Mutong (Akebia qu<strong>in</strong>ata) bzw. Chuan mutong (Clematis armandii) die ar<strong>ist</strong>olochiasäurehaltige<br />

Droge Guan mutong (Ar<strong>ist</strong>olochia manshuriensis) verwendet<br />

worden war. E<strong>in</strong>e entsprechende Verwechselung wurde vorher auch<br />

schon aus Japan berichtet (Okada 1999). Fälle von Intoxikationen durch<br />

Drogenverfälschungen wurden auch <strong>in</strong> Hongkong festgestellt (But et al.<br />

1996). Es wurde dort Longdancho (Gentiana sp.) mit den Wurzeln von Podophyllum<br />

hexandrum (= P. emodi) verfälscht, so dass es zu gastro<strong>in</strong>test<strong>in</strong>alen<br />

Beschwerden und Neuropathien kam. Außerdem wurde über die Verwechselung<br />

der Wurzeln von Eleutherococcus senticosus (= Acanthopanax senticosus;<br />

Ciwujia) mit denen von Periploca sepium berichtet, was mit dem Auftreten<br />

e<strong>in</strong>er neonatalen Androgenisierung <strong>in</strong> Zusammenhang gebracht wurde<br />

(Awang 1991).<br />

E<strong>in</strong>e Möglichkeit, Verwechselungs- und Verfälschungsprobleme zu reduzieren,<br />

<strong>ist</strong> sicher der kontrollierte Anbau der Pflanzen. So gibt es mittlerweile<br />

auch <strong>in</strong> Deutschland Ansätze, <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Arzneipflanzen zu kultivieren<br />

(Blaszcyk 1999; Friel, Bomme 1999).<br />

QUALITÄTSUNTERSCHIEDE<br />

DURCH VERSCHIEDENE ZUBEREITUNGSFORMEN<br />

In der <strong>TCM</strong> ex<strong>ist</strong>ieren von e<strong>in</strong>zelnen Arzneidrogen häufig unterschiedliche<br />

Zubereitungsformen. <strong>Die</strong> Rohdrogen werden zum Teil gedämpft, gekocht<br />

oder geröstet, bzw. mit Alkohol, We<strong>in</strong>, Salzlösungen oder Honig behandelt<br />

(Tab. 42) (Bensky, Gamble 1993). Entsprechend besitzen die Handelsdrogen<br />

oft nicht mehr das ursprüngliche Aussehen, können verkohlt, kandiert<br />

oder mit Sand verunre<strong>in</strong>igt se<strong>in</strong> und entsprechen trotzdem den Qualitätskriterien<br />

des <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneibuches.<br />

Wichtig <strong>ist</strong> die Vorbehandlung <strong>in</strong>sbesondere bei giftigen Arzneidrogen,<br />

wie Aconiti radix (Fuzi). In Ch<strong>in</strong>a kennt man neben den wegen der enthaltenen<br />

Diterpenesteralkaloide hochtoxischen, rohen bzw. wenig vorbehan-<br />

193<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN


194<br />

Röstung (Chao)<br />

e<strong>in</strong>faches Rösten ohne jeglichen Zusatz (Q<strong>in</strong>gchao)<br />

Rösten mit Weizenkleie 1:10 (Fuchao)<br />

Röstung mit Sand (Tang)<br />

Brennverfahren (Duan)<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Verkohlungsverfahren (Zhitan)<br />

Dämpfung zusammen mit flüssigen Hilfsstoffen (Zheng)<br />

Kochen <strong>in</strong> flüssigen Hilfsstoffen (Zhu)<br />

Erhitzen mit flüssigen Hilfsstoffen im Wasserdampf (Dun)<br />

Blanchieren (Chan)<br />

Drogenvorbehandlung unter Verwendung von Ingwer-<br />

Presssaft (Jiangzhiizhi)<br />

Drogenvorbehandlung unter Verwendung von Honig<br />

(Mizhi)<br />

TABELLE 42 •<br />

MÖGLICHKEITEN DER<br />

VORBEHANDLUNG<br />

CHINESISCHER<br />

ARZNEIDROGEN<br />

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delten Wurzeln Nifuzi (ni = Schlamm, Lehm) und Yanfuzi (mehrere Tage <strong>in</strong><br />

Salz e<strong>in</strong>gelegt; yan = Salz), zahlreiche vorbehandelte Drogenformen wie<br />

Heishunpian (= schwarzgefärbte Längsscheiben; <strong>in</strong> Salzwasser gekocht und<br />

gedämpft), Baifupian (gekocht, gedämpft und mit Schwefeldämpfen geräuchert;<br />

weiße Scheiben), Fupian (Heishunpian oder Baifupa<strong>in</strong> direkt verwendet),<br />

Danfupian (Yanfuzi mit Wasser gewaschen und mit Süßholzwurzel<br />

und Sojabohnen solange gekocht, bis die aufgeschnittene Probe auf der<br />

Zunge nicht mehr anästhesierend wirkt), Panfupian (Fupian nach der Tang-<br />

Methode geröstet bis sich die Droge aufwölbt und e<strong>in</strong>e leichte Farbvertiefung<br />

e<strong>in</strong>tritt). Toxikologische Untersuchungen haben gezeigt, dass durch die<br />

Vorbehandlung der Droge die toxischen Esteralkaloide zu Acon<strong>in</strong> hydrolysiert<br />

werden und e<strong>in</strong>e Entgiftung der Droge e<strong>in</strong>tritt (Hik<strong>in</strong>o et al. 1977).<br />

Nur die so vorbehandelte Droge darf gemäß der <strong>TCM</strong> verwendet werden.<br />

Das <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Arzneibuch lässt daher mit Dünnschichtchromatographie<br />

bzw. sensorisch auf den Gehalt von Aconit<strong>in</strong> prüfen. Trotzdem <strong>ist</strong> es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a,<br />

Japan und Australien bereits zu tödlichen Vergiftungen gekommen<br />

(Chan, Critchley 1996; Chan et al. 1994a).<br />

PRÜFUNG AUF FREMDE BESTANDTEILE<br />

Neben Identität, Re<strong>in</strong>heit und Gehalt der Drogen, die <strong>in</strong> der Regel nach<br />

den Vorschriften des <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneibuches überprüft werden können,<br />

müssen auch »ungewöhnliche Verunre<strong>in</strong>igungen« (DAB), wie


TABELLE 43 • PRÜFUNG VON <strong>TCM</strong>-DROGEN AUF SCHWERMETALLE<br />

(ERFAHRUNGEN DER <strong>TCM</strong>-KLINIK KÖTZTING)<br />

195<br />

Blei Cadmium Quecksilber<br />

BMG-Empfehlung (1991) < 5,0 ppm < 0,2 ppm < 0,1 ppm<br />

Festgestellte Kontam<strong>in</strong>ationen (u.a.):<br />

Foeniculi fructus < 0,02 ppm 0,4 ppm < 0,005 ppm<br />

Angelicae pubescentis rad. 0,62 ppm 0,95 ppm 0,049 ppm<br />

Citri reticulatae vir. peric. < 0,02 ppm < 0,05 ppm 0,104 ppm<br />

Gentianae radix 1,1 ppm 1,06 ppm 0,098 ppm<br />

Persicae semen 0,3 ppm 0,3 ppm 0,1 ppm<br />

Ligustici chuanxiong 0,73 ppm 0,21 ppm 0,012 ppm<br />

Platycodi radix 2,97 ppm 0,22 ppm 0,05 ppm<br />

Nachweisgrenzen 0,5 ppm 0,1 ppm 0,004 ppm<br />

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Schwermetalle und Pflanzenschutzmittel-Rückstände, ggf. Ethylenoxid,<br />

sowie mikrobielle Belastungen <strong>in</strong> Betracht gezogen werden (Schilcher et<br />

al. 1987).<br />

H<strong>in</strong>sichtlich Schwermetallen ex<strong>ist</strong>iert e<strong>in</strong>e BMG-Empfehlung für Arzneimittel,<br />

die die Grenzwerte für Blei bei 5,0 ppm, für Cadmium bei 0,2 ppm<br />

und für Quecksilber bei 0,1 ppm festsetzt (Van Gessel 1992). Bei e<strong>in</strong>er Anwendung<br />

als Teedroge kann zwar davon ausgegangen werden, dass nicht<br />

mehr als 40 bis 60 Prozent der enthaltenen Schwermetallmenge <strong>in</strong> den Teeaufguss<br />

übergeht, dennoch gelten die Grenzwerte für die Rohdrogen. <strong>Die</strong><br />

bisherigen Erfahrungen mit <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen zeigen, dass teilweise<br />

leicht überhöhte Cadmiumwerte auftreten (Tab. 43). Es s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs<br />

ke<strong>in</strong>e Besorgnis erregenden Belastungen (Wong et al. 1993). Problematischer<br />

<strong>ist</strong> die Schwermetallbelastung von Fertigarzneimitteln der <strong>TCM</strong>, da<br />

hier häufig auch größere Mengen an Arsen, Blei und Quecksilber gefunden<br />

wurden (Chan, Critchley 1996; Ko 1998).<br />

Als Bewertungsgrundlage für die Prüfung auf Pflanzenschutzmittelrückstände<br />

dienen die allgeme<strong>in</strong>en Vorschriften der Ph. Eur. 3 bzw. des DAB,<br />

welche auf 34 Pestizide prüfen lassen, sowie die Rückstands-Höchstmengenverordnung<br />

(RhmV). Überschreitungen der erlaubten Höchstmengen<br />

beziehen sich häufig auf HCH-Isomere (Tab. 44). Ähnlich wie bei den<br />

Schwermetallen <strong>ist</strong> auch bei den Pestiziden mit e<strong>in</strong>em Transfer von maximal<br />

30 Prozent <strong>in</strong> den Teeaufguss zu rechnen. <strong>Die</strong> Grenzwerte s<strong>in</strong>d dennoch<br />

e<strong>in</strong>zuhalten, da sie für die Rohdrogen gelten.


196<br />

TABELLE 44 • ERFAHRUNGEN MIT NICHT ZULÄSSIGEN BELASTUNGEN VON<br />

<strong>TCM</strong>-DROGEN MIT PESTIZIDEN IN DER <strong>TCM</strong>-KLINIK KÖTZTING<br />

Arzneidroge<br />

Beanstandung<br />

Carthami flos<br />

Zu viele HCH-Isomere (10-mal mehr als erlaubt);<br />

zu viel L<strong>in</strong>dan<br />

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• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

G<strong>in</strong>seng radix<br />

Inulae flos<br />

Angelicae s<strong>in</strong>ensis radix<br />

Astragali radix<br />

Citri reticulatae vir. pericarpium<br />

Sennae folium<br />

Zu viele HCH-Isomere, Hexachlorbenzol, Qu<strong>in</strong>tozen<br />

und Pentachloranil<strong>in</strong><br />

Hexachlorbenzol um das 16-fache über der<br />

erlaubten Menge<br />

HCH-Isomere<br />

HCH-Isomere<br />

Dicofol (37-fach zu hoch)<br />

HCH-Isomere<br />

Wie bei anderen pflanzlichen Arzneidrogen <strong>ist</strong> auch bei <strong>TCM</strong>-Drogen<br />

mit mikrobiellen Belastungen zu rechnen (Leimbeck 1987). Als Bewertungsgrundlage<br />

für die mikrobiologische Re<strong>in</strong>heit gelten die Vorschriften des<br />

DAB. Für pflanzliche Arzneidrogen, die für e<strong>in</strong>en Teeaufguss vorgesehen<br />

s<strong>in</strong>d, werden die <strong>in</strong> der Kategorie 4a aufgeführten Anforderungen gestellt,<br />

welche allerd<strong>in</strong>gs nicht unumstritten s<strong>in</strong>d (Frank 1989). Für <strong>in</strong>nerlich anzuwendende,<br />

ganze oder zerkle<strong>in</strong>erte Drogen gelten etwas niedrigere<br />

Grenzwerte (Kategorie 4b), da hier ke<strong>in</strong>e Keimzahlreduzierung durch das<br />

siedende Wasser erfolgt. <strong>Die</strong> Erfahrung mit <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen<br />

zeigt, dass sich e<strong>in</strong>e mikrobiologische Belastung häufig auf Schimmelpilze<br />

bezieht, was auf nicht optimale Trocknungs- und Lagerungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

h<strong>in</strong>deutet. In der <strong>TCM</strong>-Kl<strong>in</strong>ik Kötzt<strong>in</strong>g wurde e<strong>in</strong> zu hoher Pilzbefall unter<br />

anderem bei Citri reticulatae viridae pericarpium (Q<strong>in</strong>gpi), Crataegi<br />

fructus (Shanzha), Farfarae flos (Kuandonghua) und Sennae folium (Fanxieye)<br />

festgestellt. E<strong>in</strong>e Charge Sennesbläter war zusätzlich mit Enterobakterien<br />

kontam<strong>in</strong>iert.<br />

Für Aflatox<strong>in</strong>e gelten Grenzwerte e<strong>in</strong>er BMG-Empfehlung von 1991<br />

(BMG 355-5135) für Arzneimittel pflanzlichen oder tierischen Ursprungs.<br />

Aflatox<strong>in</strong>belastungen s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Praxis eher sehr selten anzutreffen.<br />

Sie beziehen sich häufig auf fetthaltige Samendrogen. Bisher konnte <strong>in</strong><br />

der <strong>TCM</strong>-Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Kötzt<strong>in</strong>g nur bei e<strong>in</strong>er Droge e<strong>in</strong>e Belastung mit Aflatox<strong>in</strong>en<br />

nachgewiesen werden. Es handelte sich um Biotae semen (Baiziren)<br />

(Biota orientalis, Cupressaceae), bei welchen 8,7 µg Aflatox<strong>in</strong> B1, mehr als<br />

das Vierfache des Grenzwertes, nachgewiesen wurden.


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CHINESISCHE FERTIGARZNEIMITTEL<br />

Ch<strong>in</strong>esische Fertigarzneimittel können nach § 73 (3) AMG für e<strong>in</strong>zelne Patienten<br />

importiert werden, soweit sie im Herkunftsland verkehrsfähig s<strong>in</strong>d<br />

und bei der E<strong>in</strong>fuhr aus e<strong>in</strong>em Land außerhalb der Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

oder des europäischen Wirtschaftsraumes e<strong>in</strong>e ärztliche Verschreibung<br />

vorliegt. Soweit <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Fertigarzneimittel <strong>in</strong> Deutschland noch<br />

mit Bezeichnungen wie »Ch<strong>in</strong>esisches G<strong>in</strong>seng-Tonikum«, »Ch<strong>in</strong>esische Erkältungsdragees«<br />

etc. auf dem Markt und fiktiv zugelassen s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d sie frei<br />

verkäuflich. In diesen Fällen haben deutsche Überwachungsbehörden durch<br />

Fremd<strong>in</strong>spektion <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a geprüft, ob die Arzneimittel GMP-gerecht hergestellt<br />

werden (Hörath 1997).<br />

Generell s<strong>in</strong>d <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Fertigarzneimittel sehr schwierig zu beurteilen,<br />

da nicht immer davon ausgegangen werden kann, dass alle Bestandteile deklariert<br />

s<strong>in</strong>d (Wong et al. 1999). Neben dem Zumischen von nicht deklarierten<br />

pflanzlichen Bestandteilen, wie zum Beispiel Coptidis rhizoma im Falle<br />

des Präparates »Wuyoufun-13« (Chen et al. 2000), muss auch mit nicht deklarierten<br />

synthetischen Arzne<strong>ist</strong>offen gerechnet werden. Bei e<strong>in</strong>er Untersuchung<br />

<strong>in</strong> Taiwan stellte sich heraus, dass von 2609 <strong>TCM</strong>-Präparaten 618<br />

(23,7 Prozent) mit nicht deklarierten synthetischen Arzne<strong>ist</strong>offen versetzt<br />

waren, me<strong>ist</strong> mit Phenylbutazon oder Corticoiden (Huang et al. 1997).<br />

Kürzlich wurden <strong>in</strong> England elf <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> »pflanzliche« Externa untersucht<br />

und es stellte sich heraus, dass <strong>in</strong> acht Fällen Dexamethason <strong>in</strong> Mengen von<br />

bis zu 0,15 Prozent nachzuweisen war (Kean et al. 1999). Auch bei e<strong>in</strong>er <strong>in</strong><br />

Deutschland vertriebenen, gegen Neurodermitis verwendeten Creme, die<br />

den Namen »Piyan-p<strong>in</strong>« trägt, wurden 10 mg / 100 g Dexamethason und<br />

40 mg / 100 g Dexamethason-21-acetat festgestellt (De Smet et al. 1997). In<br />

e<strong>in</strong>er anderen Studie, die fünf Fälle von Komplikationen mit »pflanzlichen«<br />

<strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Fertigarzneimitteln <strong>in</strong> den USA untersuchte, stellte sich heraus,<br />

dass <strong>in</strong> allen Präparaten Mefenam<strong>in</strong>säure und Diazepam <strong>in</strong> therapeutischen<br />

Dosen nachgewiesen werden konnte, welches <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen zu massiven<br />

gastro<strong>in</strong>test<strong>in</strong>alen Blutungen geführt hatte (Gertner et al. 1995). Kürzlich<br />

wurde auch wieder darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass <strong>in</strong> den angeblich re<strong>in</strong> pflanzlichen<br />

<strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Diabetesmitteln »Diabetes Hypoglucose Capsules«,<br />

»Pearl Hypoglycemic Capsules«, »Tongyi Tang Diabetes Angel Pearl Hypoglycemic<br />

Capsules«, »Tongyi Tang Diabetes Angel Hypoglycemic Capsules«,<br />

»Zhen Qi Capsules« und »Zhen Qi Jiang Tang Capsules« Phenform<strong>in</strong> und<br />

Glibenclamid nachgewiesen wurden (AMK 2000).<br />

WIRKSAMKEITSBELEGE<br />

<strong>Die</strong> Wirksamkeit von <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen wurde im Mutterland<br />

schon <strong>in</strong> zahllosen kl<strong>in</strong>ischen Studien untersucht. Tang et al. (1999) gehen<br />

von ca. 10.000 publizierten randomisierten kontrollierten kl<strong>in</strong>ischen Studi-<br />

197<br />

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• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

en zur <strong>TCM</strong> bis zum Jahre 1997 aus. <strong>Die</strong> Autoren kommen bei der Evaluierung<br />

der Studien zum Schluss, dass viele Studien nicht die heute üblichen<br />

Ansprüche erfüllen. Für die Etablierung von Arzneimitteln der <strong>TCM</strong><br />

im westlichen Arzneimittelmarkt s<strong>in</strong>d daher <strong>in</strong> den me<strong>ist</strong>en Fällen zusätzliche<br />

Studien erforderlich. Bisher haben nur wenige <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Drogen<br />

E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> unseren Arzneimittelschatz gefunden. Prom<strong>in</strong>ente Vertreter dieser<br />

Gruppe von ursprünglich <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneipflanzen, die bei uns mittlerweile<br />

etabliert s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d Ephedra s<strong>in</strong>ica, Panax g<strong>in</strong>seng, G<strong>in</strong>kgo biloba, Allium<br />

sativum und Rheum offic<strong>in</strong>ale (siehe Tab. 41).<br />

<strong>Die</strong> Mehrzahl der anderen, bei uns bisher weitgehend unbekannten Drogen,<br />

bedarf noch e<strong>in</strong>er entsprechenden kl<strong>in</strong>ischen und pharmakologischen<br />

Evaluierung. Sie <strong>ist</strong> das Ziel, das sich auch die erste deutsche Kl<strong>in</strong>ik für<br />

<strong>TCM</strong> <strong>in</strong> Kötzt<strong>in</strong>g und die DECA (Gesellschaft für die Dokumentation von<br />

Erfahrungsmaterial der Ch<strong>in</strong>esischen Arzneitherapie mbH) gesetzt hat<br />

(Friedl 1995). Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Drogen, die sehr vielversprechend<br />

s<strong>in</strong>d und deren Wirkung bereits <strong>in</strong> verschiedenen Untersuchungen<br />

nachgewiesen wurde, zum Beispiel Trypterygium wilfordii, Trichosanthes<br />

kirilowii, Salvia miltiorhizza, Codonopsis pilosula, Dichroa febrifuga,<br />

P<strong>in</strong>ellia ternata, Rehmannia glut<strong>in</strong>osa und Schisandra ch<strong>in</strong>ensis (Tang, Eisenbrand<br />

1992).<br />

Aufsehen erregten <strong>in</strong> England durchgeführte kl<strong>in</strong>ische Studien mit e<strong>in</strong>er<br />

Teemischung (Zemaphyte), die zur Behandlung des atopischen Ekzems<br />

verwendet wird und sich aus Ledebouriella seseloides, Potentilla ch<strong>in</strong>ensis, Clematis<br />

armandii, Rehmannia glut<strong>in</strong>osa, Paeonia lactiflora, Lophatherum gracile,<br />

Dictamnus dasycarpus, Tribulus terrestris, Glycyrrhiza glabra und Schizonepeta<br />

tenuifolia zusammensetzt. In e<strong>in</strong>er fünfmonatigen, placebokontrollierten<br />

Crossover-Doppelbl<strong>in</strong>d-Studie an 40 Erwachsenen, die an Neurodermitis litten,<br />

erhielt e<strong>in</strong>e Hälfte der Patienten zunächst die <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Teemischung,<br />

die andere e<strong>in</strong>e Kräuterteemischung, von der ke<strong>in</strong>e Wirkung zu erwarten<br />

war. Nach acht Wochen Therapiedauer wurde e<strong>in</strong>e vierwöchige Auswaschphase<br />

e<strong>in</strong>gehalten. Anschließend wurden die Gruppen getauscht. Ausgewertet<br />

wurde über e<strong>in</strong> Score-System, mit dem das Vorhandense<strong>in</strong> von<br />

Erythem und Hautschäden bewertet wurde. Es konnte für beide Parameter<br />

<strong>in</strong> der Verum-Gruppe e<strong>in</strong>e signifikante Besserung erzielt werden. In der Placebogruppe<br />

war h<strong>in</strong>gegen nur e<strong>in</strong>e schwache Wirkung aufgetreten. Nebenwirkungen<br />

wurden nicht festgestellt. Es beschwerten sich lediglich e<strong>in</strong>ige<br />

Patienten über den schlechten Geschmack des Tees (Sheehan et al. 1992).<br />

<strong>Die</strong> Wirksamkeit dieser Teemischung konnte auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er entsprechenden<br />

Doppelbl<strong>in</strong>dstudie mit 47 K<strong>in</strong>dern festgestellt werden (Sheehan, Atherton<br />

1992). Der Wirkungsverlauf war ähnlich wie bei den Erwachsenen<br />

(Abb. 31). Im Follow-Up war der E<strong>in</strong>satz von Corticosteroiden und Antih<strong>ist</strong>am<strong>in</strong>ika<br />

verm<strong>in</strong>dert, was ebenfalls als Erfolg zu werten <strong>ist</strong>. Als Nebenwirkung<br />

wurde während der Behandlung der K<strong>in</strong>der bei e<strong>in</strong>em Drittel e<strong>in</strong>e<br />

leichte abführende Wirkung durch den Tee bemerkt. Obwohl die vorliegenden<br />

Daten e<strong>in</strong>e sehr gute Wirksamkeit andeuten, wird die Behandlung der-


199<br />

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ABBILDUNG 31 • KLINISCHE DOPPELBLINDSTUDIE MIT <strong>TCM</strong>-DROGEN BEI NEU-<br />

RODERMITIS (NACH SHEEHAN ET AL. 1992). ZEMAPHYTE TM : LEDEBOURIELLA SESE-<br />

LOIDES, POTENTILLA CHINENSIS, CLEMATIS ARMANDII, REHMANNIA GLUTINOSA, PAEO-<br />

NIA LACTIFLORA, LOPHATHERUM GRACILE, DICTAMNUS DASYCARPUS, TRIBULUS TERRE-<br />

STRIS, GLYCYRRHIZA GLABRA UND SCHIZONEPETA TENUIFOLIA<br />

zeit nur unter ärztlicher Kontrolle und mit halbjährlicher Überprüfung der<br />

Leberwerte empfohlen. Auch bei Schwangerschaft sollte das Präparat vorsichtshalber<br />

nicht angewendet werden.<br />

In e<strong>in</strong>er randomisierten, doppelbl<strong>in</strong>den, Placebo-kontrollierten multizentrischen<br />

Studie über 16 Wochen an <strong>in</strong>sgesamt 116 Patienten mit der Diagnose<br />

»Reizdarm« erhielten 38 Patienten e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuell zusammengestellte<br />

<strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Teemischung, 43 e<strong>in</strong>e Standardteemischung, die die <strong>in</strong> Tabelle<br />

45 aufgeführten Drogen enthielt, und 35 Placebo. <strong>Die</strong> Teemischung wurde<br />

dreimal täglich <strong>in</strong> Kapseln verabreicht. Gemessen wurde e<strong>in</strong> »total bowel<br />

symptom scale score«, die globale Verbesserung, festgestellt von Patienten<br />

und Gastroenterologen, und die Alltagsbee<strong>in</strong>trächtigung durch den<br />

Reizdarm, bewertet von den Patienten. Verglichen mit der Placebo-Gruppe,<br />

wurde <strong>in</strong> den beiden Verum-Gruppen e<strong>in</strong>e signifikante Verbesserung des<br />

bowel symptom score, sowohl <strong>in</strong> der Bewertung durch die Patienten (p =<br />

0,03) als auch <strong>in</strong> der durch die Gastroenterologen (p = 0,001) festgestellt.<br />

Auch die globale Verbesserung und die Verbesserung der Lebensqualität<br />

wurde von beiden Gruppen signifikant positiv bewertet. <strong>Die</strong> <strong>in</strong>dividuelle<br />

Therapie war der Standardtherapie zunächst nicht überlegen, aber bei der<br />

Follow-up-Untersuchung nach 14 Wochen zeigte sich, dass nur bei der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Therapie der Behandlungserfolg anhielt (Bensoussan et al.<br />

1998, Abb. 32).<br />

In e<strong>in</strong>er kürzlich durchgeführten Metaanalyse der kontrollierten und randomisierten<br />

kl<strong>in</strong>ischen Studien zur Behandlung von akuten Infektionen des<br />

Respirationstraktes mit <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen wurden <strong>in</strong>sgesamt 27<br />

Studien ausgewertet. Obwohl <strong>in</strong> den me<strong>ist</strong>en Studien festgestellt wurde,<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN


200<br />

TABELLE 45 • STANDARDTEEMISCHUNG ZUR BEHANDLUNG VON PATIENTEN MIT<br />

REIZDARM IN EINER RANDOMISIERTEN PLACEBOKONTROLLIERTEN<br />

DOPPELBLINDSTUDIE (BENSOUS-SAN ET AL. 1998)<br />

Ch<strong>in</strong>. Drogenbez. Late<strong>in</strong>ischer Name Anteil (%)<br />

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• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Danshen Codonopsis pilosulae radix 7<br />

Huoxiang Agastachidis seu Pogostemoni herba 4.5<br />

Fangfeng Ledebouriellae seseloidis radix 3<br />

Yiyiren Coicis lachryma-jobi semen 7<br />

Chaihu Bupleurum ch<strong>in</strong>ense 4,5<br />

Y<strong>in</strong>chen Artemisiae capillaridis herba 13<br />

Baizhu Atractylodis macrocephalae rhizoma 9<br />

Houpo Magnoliae offic<strong>in</strong>alis cortex 4.5<br />

Chenpi Citri reticulatae pericarpium 3<br />

Paojiang Z<strong>in</strong>giberidis offic<strong>in</strong>alis rhizoma 4.5<br />

Q<strong>in</strong>pi Frax<strong>in</strong>i cortex 4.5<br />

Ful<strong>in</strong>g Poriae coccos 4.5<br />

Baizhi Angelicae dahuricae radix 2<br />

Cheqianzhi Plantag<strong>in</strong>is semen 4.5<br />

Hunagbai Phellodendri cortex 4.5<br />

Zhigancao Glycyrrhizae uralensis radix 4.5<br />

Baishao Paeoniae lactiflorae radix 3<br />

Muxiang Saussureae seu vladimirae radix 3<br />

Huang Lian Coptidis rhizoma 3<br />

Wuweizi Schisandrae fructus 7<br />

dass <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Arzneidrogen den Antibiotika überlegen s<strong>in</strong>d, wurden erhebliche<br />

Vorbehalte angemeldet, da die Qualität der Mehrzahl der Studien<br />

als schlecht e<strong>in</strong>gestuft wurde. Lediglich das Präparat Shuang Huang Lian<br />

wurde als hilfreich bei der Behandlung von Infektionen der unteren Atemwege<br />

bezeichnet (Liu, Douglas 1999).<br />

In e<strong>in</strong>er anderen Übersicht wurden kl<strong>in</strong>ische Studien zur Behandlung von<br />

Psoriasis und Neurodermitis mittels <strong>TCM</strong> zusammenfassend bewertet (Koo,<br />

Ara<strong>in</strong> 1998). Dar<strong>in</strong> wird das Potential der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> grundsätz-


Total BSS Score<br />

200<br />

180<br />

160<br />

140<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Ausgangszustand Ende der Behandlung 14 Wochen Follow-up<br />

• Placebo (n = 35) • Standardtherapie (n = 43) • Individuelle Therapie (n = 38)<br />

ABBILDUNG 32 • THERAPIE VON REIZDARM MIT CHINESISCHEN KRÄUTERTEE-<br />

MISCHUNGEN. RANDOMISIERTE, DOPPELBLINDE, PLACEBOKONTROLLIERTE STUDIE<br />

ÜBER 16 WOCHEN AN INSGESAMT 116 PATIENTEN (BENSOUSSAN ET AL. 1998)<br />

201<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

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lich anerkannt, aber es wird auf die Notwendigkeit weiterer kl<strong>in</strong>ischer Studien<br />

und e<strong>in</strong>er strengen Qualitätskontrolle der Präparate h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

Auch die pharmakologischen und kl<strong>in</strong>ischen Effekte von immunmodulierend<br />

wirkenden <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen wurden zusammengefasst und<br />

kritisch bewertet (Borchers et al. 1997). Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>r Teemischungen,<br />

die diesbezüglich bereits e<strong>in</strong>gehend untersucht s<strong>in</strong>d, und für<br />

die immunmodulierende Effekte nachgewiesen werden konnten. Es wird<br />

aber auch hier die Bedeutung e<strong>in</strong>er reproduzierbaren Qualität und Standardisierung<br />

betont.<br />

NEBENWIRKUNGEN UND TOXIZITÄT CHINESISCHER ARZNEIDROGEN<br />

Insgesamt betrachtet <strong>ist</strong> das Risikopotential der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen<br />

als relativ ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>zuschätzen. Durch die über die Jahrtausende tradierte<br />

Anwendung s<strong>in</strong>d zum<strong>in</strong>dest akut toxische Effekte erkannt worden, und entsprechende<br />

Drogen werden vorbehandelt oder entsprechend vorsichtig verwendet.<br />

<strong>Die</strong> Mehrzahl der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen <strong>ist</strong> jedoch als ungefährlich<br />

e<strong>in</strong>zustufen. Sie werden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a häufig auch auf Gemüsemärkten<br />

verkauft. E<strong>in</strong> Anwendungsrisiko ergibt sich im Wesentlichen aus e<strong>in</strong>er möglichen<br />

chronischen Toxizität, aus Interaktionen mit westlichen Medikamenten<br />

oder aus Verwechselungen mit toxischen Drogen (Smol<strong>in</strong>ske 1999;<br />

Fugh-Berman, 2000). <strong>Die</strong> epidemiologische Ausprägung von Intoxikationen<br />

mit <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen wurde kürzlich kritisch evaluiert (Chan,


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202<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Critchley 1996; Ko 1999). An der National Poisons Unit <strong>in</strong> London werden<br />

derartige Berichte ebenfalls gezielt gesammelt (Perharcic et al. 1993). In<br />

e<strong>in</strong>er prospektiven Studie von 1991 bis 1993 <strong>in</strong> Taiwan wurden die me<strong>ist</strong>en<br />

Fälle von Vergiftungen mit Arzneimitteln der <strong>TCM</strong> auf Selbstmordabsichten,<br />

Unfälle, falsche Anwendung oder nicht richtige Vorbehandlung der<br />

Arzneidrogen zurückgeführt (Deng et al. 1997).<br />

Zu den gravierendsten Nebenwirkungen zählen sicherlich die kürzlich<br />

beschriebenen Nierenschädigungen nach der E<strong>in</strong>nahme von ar<strong>ist</strong>olochiasäurehaltigen<br />

Arzneidrogen wie Guang Fangji (Ar<strong>ist</strong>olochia fangchi) oder<br />

Guan mutong (Ar<strong>ist</strong>olochia manshuriensis) (Vanhaelen et al. 1994; Lord et<br />

al. 1999). In Belgien waren <strong>in</strong> Zusammenhang mit der E<strong>in</strong>nahme von ar<strong>ist</strong>olochiahaltigen<br />

Schlankheitsmitteln (»formula 2«) seit 1991 mehr als hundert<br />

Fälle von <strong>in</strong>terstitiellen Nierenfibrosen reg<strong>ist</strong>riert worden (Vanherweghem<br />

1998). Mehr als 40 der Frauen wurden dialysepflichtig. In E<strong>in</strong>zelfällen<br />

entwickelte sich sogar Nierenkrebs (Reg<strong>in</strong>ster et al. 1997). Kürzliche Meldungen,<br />

dass es hierbei auch zu Todesfällen gekommen <strong>ist</strong>, s<strong>in</strong>d nicht richtig.<br />

Ar<strong>ist</strong>olochiasäure hat sich bereits früher im Tierversuch als leberkanzerogen<br />

erwiesen (Mengs et al. 1982). Mengs und Stotzem (1993) haben später<br />

festgestellt, dass Ar<strong>ist</strong>olochiasäure auch nierenschädigend wirkt. Kürzlich<br />

wurden <strong>in</strong> Patienten, die e<strong>in</strong>e Nierenschädigung erlitten hatten, DNA-Addukte<br />

mit Ar<strong>ist</strong>olochiasäure nachgewiesen, was die Vermutung unterstreicht,<br />

dass von dieser Substanz e<strong>in</strong>e kanzerogene Wirkung ausgeht (Bieler<br />

et al. 1997).<br />

Auch nach der E<strong>in</strong>nahme von täglich 18 bis 24 »Jia Wey Guo Sao Pills«<br />

bei unregelmäßiger Regelblutung über sieben Jahre wurde bei e<strong>in</strong>er 36 Jahre<br />

alten Frau e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terstitielle Nierenfibrose festgestellt. E<strong>in</strong>e Pille enthält Angelicae<br />

s<strong>in</strong>ensis radix 90 mg, Rehmanniae radix et rhizoma 90 mg, Ligustici<br />

rhizoma 50 mg, Paeoniae lactiflore radix 50 mg, G<strong>in</strong>seng radix 35 mg, Eucommiae<br />

cortex 20 mg, Honig 165 mg. Da die Patient<strong>in</strong> <strong>in</strong> diesem Zeitraum<br />

ke<strong>in</strong>e andere Medikation erhalten hatte, wird e<strong>in</strong> Zusammenhang mit<br />

dem <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneimittel angenommen, ohne jedoch e<strong>in</strong>e Zuordnung<br />

zu e<strong>in</strong>er bestimmten Droge treffen zu können (Ng et al. 1998).<br />

Es wurde auch über die Bee<strong>in</strong>flussung der Leberfunktion durch <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong><br />

Arzneidrogen berichtet (Shaw et al. 1997). So steht zum Beispiel die<br />

R<strong>in</strong>de von Dictamnus dasycarpus (Baixianpi) im Verdacht, hepatotoxisch zu<br />

se<strong>in</strong> (Saw 1996). Häufig kommt es nur zu e<strong>in</strong>er reversiblen Erhöhung der<br />

Leberenzyme. In e<strong>in</strong>er <strong>TCM</strong>-Kl<strong>in</strong>ik wurde im Verlauf von 18 Monaten bei<br />

14 von 1.507 Patienten e<strong>in</strong>e mehr als zweifache Erhöhung der Aktivität der<br />

Alan<strong>in</strong>-Am<strong>in</strong>otransferase (ALT) festgestellt, die nach Absetzen der Behandlung<br />

wieder abklang (Melchart et al. 1999a und 1999b). <strong>Die</strong> Ursache der<br />

Leberwerterhöhung konnte nicht ermittelt werden.<br />

Bei Gabe von Tropanalkaloid-haltigen Arzneidrogen, wie den Blüten von<br />

Datura metel (Yangj<strong>in</strong>hua), kommt es bei Überdosierungen häufig zu antichol<strong>in</strong>ergen<br />

Intoxikationen (Chan et al. 1994b). Entsprechende Berichte<br />

nach E<strong>in</strong>nahme von G<strong>in</strong>seng-Zubereitungen s<strong>in</strong>d vermutlich auf Verunrei-


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nigungen mit Mandragora-, bzw. Rauwolfia-Wurzel zurückzuführen (Siegel<br />

1977).<br />

<strong>Die</strong> unkontrollierte Anwendung von Herba Ephedrae (Mahuang) <strong>in</strong> den<br />

USA als Stimulans (»Herbal Ecstasy«, »Cloud 9«, »Ultimate Xphoria«) hat<br />

bereits zu 15 Todesfällen geführt (Josefson 1996). Nach Überdosierung von<br />

Baijiaolian (Dyosma pleianthum), das Podophyllotox<strong>in</strong> enthält, wurden <strong>in</strong><br />

Taiwan Vergiftungsfälle beobachtet (Kao et al. 1992).<br />

<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>nahme von G<strong>in</strong>seng kann zu e<strong>in</strong>em Anstieg des Blutdrucks und<br />

zu Agitiertheit führen (Hammond, Whitworth 1981). Kürzlich wurde auch<br />

über das Auftreten e<strong>in</strong>er Gynäkomastie nach der Anwendung von G<strong>in</strong>seng<br />

berichtet (Palop et al. 1999).<br />

Für die e<strong>in</strong>st so viel versprechende Pflanze Tripterygium wilfordii wurde<br />

kürzlich e<strong>in</strong>e hämatotoxische Wirkung (Leukopenie, Thrombozytopenie,<br />

Aplastische Anämie) nachgewiesen (Pyatt et al. 2000). Der Extrakt T2 soll<br />

diese Wirkung durch Hemmung des Wachstumsfaktor-Response <strong>in</strong> CD34+<br />

Knochenmarkszellen auslösen.<br />

E<strong>in</strong>e Thrombozytopenie wurde auch bei e<strong>in</strong>er 51-jährigen Japaner<strong>in</strong> nach<br />

der E<strong>in</strong>nahme von Jui, e<strong>in</strong>er Abkochung von S<strong>in</strong>omeni caulis et rhizoma,<br />

Glyzyrrhizae radix, Aralia elata, Glechomae herba und Taxus cuspidata, berichtet<br />

(Azuno et al. 1999). <strong>Die</strong> Kausalität wurde durch e<strong>in</strong>en Rechallenge-<br />

Test nachgewiesen.<br />

DAS INTERAKTIONSPOTENZIAL CHINESISCHER ARZNEIDROGEN<br />

<strong>Die</strong> Bee<strong>in</strong>flussung von Leberenzymen hat möglicherweise auch Relevanz für<br />

Interaktionen mit westlichen Medikamenten, <strong>in</strong>sbesondere, wenn deren<br />

Metabolismus bee<strong>in</strong>flusst wird. In e<strong>in</strong>em Screen<strong>in</strong>g von 150 <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n<br />

Arzneidrogen an Mäusen, bei dem Methanolextrakte <strong>in</strong>traperitoneal verabreicht<br />

wurden, wurde festgestellt, dass 29 Prozent die Hexobarbital-<strong>in</strong>duzierte<br />

Schlafzeit bee<strong>in</strong>flussten (Woo 1985). 26 verlängerten die Schlafzeit<br />

(Tab. 46), was <strong>in</strong> allen Fällen bis auf Corni fructus, bei denen e<strong>in</strong>e sedierende<br />

Wirkung vermutet wurde, als leberenzym<strong>in</strong>hibierende Wirkung <strong>in</strong>terpretiert<br />

wurde. Im Falle von Acori gram<strong>in</strong>ei rhizoma wurde dieser Effekt auf<br />

das enthaltene Asaron zurückgeführt. Acht <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> Drogen zeigten e<strong>in</strong>e<br />

biphasische Wirkung und verlängerten wie verkürzten die Wirkung von<br />

Hexobarbital (Tab. 46). Kurzfr<strong>ist</strong>ig (30 m<strong>in</strong> nach E<strong>in</strong>nahme) kommt es zu<br />

e<strong>in</strong>er Reduzierung und nach 48 Stunden zu e<strong>in</strong>er Beschleunigung des<br />

Hexobarbitalmetabolismus. Im Falle von Angelica koreana konnte dieser Effekt<br />

auf die enthaltenen Furanocumar<strong>in</strong>e zurückgeführt werden. Insbesondere<br />

konnte für Imperator<strong>in</strong> gezeigt werden, dass es an Cytochrom P450<br />

b<strong>in</strong>det und dadurch zu e<strong>in</strong>er Enzymhemmung führt (Woo et al. 1982; Woo<br />

et al. 1983).<br />

Methanolische Extrakte aus Piper-nigrum- und P.-retrofractum-Früchten<br />

führten nicht nur zu e<strong>in</strong>er Verlängerung der Hexobarbital-<strong>in</strong>duzierten<br />

203<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN


204<br />

TABELLE 46 • BEEINFLUSSUNG VON LEBERENZYMEN AN MÄUSEN<br />

DURCH CHINESISCHE ARZNEIDROGEN<br />

Arzneidrogen mit Verlängerung der Schlafwirkung von Hexobarbital<br />

Pflanze Pflanzen- Phase I Phase II ST Mortateil<br />

lität (%)<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Dosis % der Dosis % der<br />

mg/kg Kontrolle mg/kg Kontrolle<br />

Achyranthes japonica rt 500 213,5 500 86.4n 90,0<br />

Aconitum cilare rt 125 168,7 125 92,7n 80,0<br />

Acorus gram<strong>in</strong>eus rz 500 455,5 500 107,0n 100,0<br />

Amomum xanthioides sd 500 218,5 250 118,8n 100,0<br />

Atractylodes japonica rz 500 169,9 500 116,3n 70,0<br />

Belamca ch<strong>in</strong>ensis rz 500 233,0 500 121,6n 100,0<br />

Cassia occidentalis sd 500 230,1 125 115,1n 90,0<br />

Cimicifuga heracleifolia rz 500 217,7 500 108,1n 90,0<br />

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Citrus aurantium pc 500 288,6 250 108,3n 90,0<br />

Cornus offic<strong>in</strong>alis fr 500 213,1 500 116,4n 40,0<br />

Curcuma aromatica rz 500 226,8 500 100,0n 100,0<br />

Dendrobium offic<strong>in</strong>ale wp 500 221,9 230 77,5n 70,0<br />

Dryopteris crassirhizoma rz 250 162,3 250 90,3n 80,0<br />

Hydnocarpus sp. sd 500 215,9 500 107,6n 90,0<br />

L<strong>in</strong>dera strychnifolia rt 500 423,3 500 93,9n 100,0<br />

Myr<strong>ist</strong>ica fragrans sd 125 265,4 125 81,2n 80,0<br />

Nepeta japonica wp 500 220,8 500 122,6n 90,0<br />

Perrila nank<strong>in</strong>ensis lf 125 459,1 125 120,0n 100,0<br />

Polygala tenuifolia rt 25 168,1 5 77,0n 80,0<br />

Prunus mume fr 500 192,3 500 86,4n 80,0<br />

Rhus javanica ga 15 168,4 15 119,7n 100,0<br />

Rubia akane rt 500 216,2 500 129,5n 100,0<br />

Scutellaria baicalensis rt 500 174,8 500 115,5n 100,0<br />

Schizandra ch<strong>in</strong>ensis fr 500 222,7 500 101,3n 80,0<br />

FORTSETZUNG NÄCHSTE SEITE


TABELLE 46 • FORTSETZUNG<br />

Arzneidrogen mit Verlängerung der Schlafwirkung von Hexobarbital<br />

205<br />

Pflanze Pflanzen- Phase I Phase II ST Mortateil<br />

lität (%)<br />

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Dosis % der Dosis % der<br />

mg/kg Kontrolle mg/kg Kontrolle<br />

Strychnos ignatii sd 500 164,4 500 103,0n 90,0<br />

Vitex rotundifolia fr 500 331,0 500 108,5n 90,0<br />

Arzneidrogen, die die Wirkung von Hexobarbital sowohl verlängern wie verkürzen<br />

Angelica dahurica rt 500 514,9 500 48,3 100,0<br />

Angelica gigas rt 500 517,9 500 58,4 100,0<br />

Angelica koreana rt 500 649,4 500 53,4 100,0<br />

Curcuma zedoaria rz 250 370,6 250 61,7 100,0<br />

Glycyrrhiza uralensis rt 500 247,4 500 73,9 80,0<br />

Piper nigrum fr 50 253,0 125 52,0 0,0<br />

Piper retrofractum fr 125 302,5 125 46,2 10,0<br />

Poncirus trifoliata fr 500 562,9 500 70,9 100,0<br />

Arzneidrogen, die den Hexobarbital-Metabolismus bee<strong>in</strong>flussen<br />

Dianthus ch<strong>in</strong>ensis wp 250 83,6n 250 179,9<br />

Ech<strong>in</strong>ops latifolius rt 500 121,5n 500 136,2<br />

Magnolia obovata bk 250 102,3n 250 209,8<br />

Melandrium firmum wp 125 112,4n 125 169,6<br />

Patr<strong>in</strong>ia scabiosaefolia rt 125 186,0 125 344,2 80,0<br />

Siegesbeckia pubescens wp 125 115,0n 125 186,4<br />

Smilax ch<strong>in</strong>a rz 500 118,5n 50 192,9<br />

bk – R<strong>in</strong>de, fr – Früchte, ga – Gallen, lf – Blätter, pc – Perikarp, rt – Wurzel,<br />

rz – Rhizom, sd – Samen, wp – Ganzpflanze, n – nicht signifikant.<br />

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206<br />

• TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN<br />

Schlafzeit <strong>in</strong> der Anfangsphase, sondern auch zu e<strong>in</strong>er Verkürzung <strong>in</strong> der<br />

Spätphase. Es zeigte sich, dass e<strong>in</strong> Inhaltsstoff, Piper<strong>in</strong>, <strong>in</strong> niedriger Dosis<br />

(30 mg/kg) die Wirkung von Hexobarbital verstärkt, aber <strong>in</strong> höheren Dosen<br />

(100 mg/kg) den Abbau von Hexobarbital <strong>in</strong> der Leber beschleunigt<br />

und die Konzentration von P450 erhöht (Sh<strong>in</strong> et al. 1979; Woo et al.<br />

1979).<br />

In der Studie von Woo (1985) verlängerten sieben Drogen die Hexobarbital-<strong>in</strong>duzierte<br />

Schlafzeit <strong>in</strong> der Spätphase ohne die Frühphase zu bee<strong>in</strong>flussen<br />

(siehe Tab. 46). Es zeigte sich, dass alle Extrakte signifikant die<br />

GOT-Aktivität erhöhten und <strong>in</strong> den me<strong>ist</strong>en Fällen auch die GPT. Im Falle<br />

von Patr<strong>in</strong>iae radix (Baijiang) konnte dies auf enthaltene Sapon<strong>in</strong>e zurückgeführt<br />

werden (Woo et al. 1981).<br />

Mittlerweile <strong>ist</strong> auch von e<strong>in</strong>igen anderen <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen bekannt,<br />

dass sie Cytochrom P450-abhängige Monooxygenasen bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Im Tierversuch erwiesen sich Geniposid und Extrakte aus den Früchten von<br />

Gardenia jasm<strong>in</strong>oides als Hemmstoffe der P450 3A-Monooxygenasen und<br />

erhöhten die Glutathion-Konzentration <strong>in</strong> der Rattenleber (Kang et al.<br />

1997). Es zeigte sich auch, dass e<strong>in</strong> Extrakt aus Scutellariae radix<br />

(Huangq<strong>in</strong>) an Rattenlebermikrosomen die Aktivität der Pentoxyresoruf<strong>in</strong>-<br />

O-dealkylase um 53 Prozent erniedrigte, während e<strong>in</strong> Extrakt aus Gentianae<br />

scabrae radix (Longdan) die Aktivität der Benz(a)pyrenhydroxylase um<br />

50 Prozent erhöhte. Der Extrakt aus Scutellariae radix <strong>in</strong>duzierte die Konzentration<br />

von P450 1A und supprimierte P450 1B (Kang et al. 1996).<br />

Salviae miltiorrhizae radix (Danshen) erhöhte an Ratten die Bioverfügbarkeit<br />

von Warfar<strong>in</strong> und bee<strong>in</strong>flusste auch dessen Ausscheidung (Lo et al.<br />

1992). Kürzlich wurde e<strong>in</strong> Fall berichtet, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e auf Warfar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gestellte<br />

Patient<strong>in</strong> nachdem sie vier Wochen Angelicae s<strong>in</strong>ensis radix (Danggui)<br />

e<strong>in</strong>genommen hatte, e<strong>in</strong>en um den Faktor zwei erhöhten Prothromb<strong>in</strong>-<br />

Wert und auch e<strong>in</strong>e verdoppelte INR (»International Normalized Ratio«)<br />

aufwies. Nach Absetzen von Danggui normalisierten sich die Werte (Page et<br />

al. 1999). Aus Versuchen mit Kan<strong>in</strong>chen hat man abgeleitet, dass vermutlich<br />

e<strong>in</strong>e pharmakodynamische Interaktion die Ursache für diese Effekte <strong>ist</strong>.<br />

Der genaue Mechanismus <strong>ist</strong> allerd<strong>in</strong>gs unbekannt (Lo et al. 1995).<br />

Radix Glycyrrhizae (Glycyrrhiza glabra; Gancao) und Zubereitungen, die<br />

sie enthalten, wie z.B. Sho-saiko-To, Saiboku-To, und Sairei-To, bee<strong>in</strong>flussen<br />

nachgewiesenermaßen die Pharmakok<strong>in</strong>etik von oral oder topisch verabreichten<br />

Corticosteroiden. Nach oraler Gabe von Glycyrrhiz<strong>in</strong> wurde die<br />

AUC (area under the curve) von Prednisolon signifikant erhöht, die Plasmaclearance<br />

verr<strong>in</strong>gert und die mittlere Verweildauer (MRT) signifikant<br />

verlängert, was darauf h<strong>in</strong>deutet, dass der Metabolismus von Prednisolon<br />

bee<strong>in</strong>flusst wird (Chen et al. 1991; Homma et al. 1995).<br />

Bei e<strong>in</strong>em depressiven Patienten wurde e<strong>in</strong>e mögliche Interaktion von<br />

G<strong>in</strong>seng mit Phenelz<strong>in</strong> berichtet, <strong>in</strong> deren Verlauf es zu manischen Zuständen<br />

kam. <strong>Die</strong> Kausalität <strong>ist</strong> allerd<strong>in</strong>gs nicht vollständig geklärt (Jones, Runikis<br />

1987). Auch e<strong>in</strong>e Interaktion zwischen Warfar<strong>in</strong> und G<strong>in</strong>seng sche<strong>in</strong>t


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möglich, da bei gleichzeitiger E<strong>in</strong>nahme erniedrigte INR-Werte beobachtet<br />

wurden (Janetzky, Morreale 1997). E<strong>in</strong>e daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong>itiierte Untersuchung<br />

an Ratten kam allerd<strong>in</strong>gs zu dem Ergebnis, dass G<strong>in</strong>seng die Pharmakok<strong>in</strong>etik<br />

und Pharmakodynamik von Warfar<strong>in</strong> nicht bee<strong>in</strong>flusst (Zhu et al.<br />

1999).<br />

E<strong>in</strong> ethanolischer Extrakt aus den Wurzeln von Panax g<strong>in</strong>seng führte zu<br />

e<strong>in</strong>er selektiven Induktion der Epoxidhydratase- und der zytosolischen Glutathiontransferase-Aktivität,<br />

ohne dabei die Arylkohlenwasserstoffhydroxylase<br />

zu bee<strong>in</strong>flussen. Damit hat Panax g<strong>in</strong>seng offenbar das Potential, den<br />

Metabolismus von Benz(a)pyren zu bee<strong>in</strong>flussen (Lee et al. 1987b). An 14<br />

männlichen Probanden wurde gezeigt, dass e<strong>in</strong> Extrakt aus Panax g<strong>in</strong>seng<br />

(3 g / 65 kg Körpergewicht) auch e<strong>in</strong>en Effekt auf den Ethanolmetabolismus<br />

besitzt und die Elim<strong>in</strong>ation des Blutalkohols beschleunigt (Lee et al.<br />

1987a).<br />

NEUE WIRKSUBSTANZEN AUS CHINESISCHEN ARZNEIDROGEN<br />

E<strong>in</strong> anderer Ansatz, das Potential der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n Arzneidrogen zu nutzen,<br />

<strong>ist</strong> die Suche nach neuen Wirkstoffen bzw. nach neuen Leitstrukturen <strong>in</strong><br />

diesen Drogen (Bauer 1994). In e<strong>in</strong>igen Fällen war diese Suche bereits so<br />

erfolgreich, dass entsprechende Präparate Marktreife erlangt haben. In anderen<br />

Fällen bef<strong>in</strong>den sich die Substanzen noch <strong>in</strong> der präkl<strong>in</strong>ischen Prüfung<br />

(Q<strong>in</strong>, Xu 1998).<br />

ARTEMISININ AUS ARTEMISIA ANNUA<br />

Das Kraut von Artemisia annua L. (Huang hua hao) wird <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a bei Fieber,<br />

Kopfschmerzen und Malaria e<strong>in</strong>gesetzt. 1972 wurde aus den oberirdischen<br />

Teilen e<strong>in</strong>e Substanz mit Anti-Malaria-Wirkung isoliert. Es handelt<br />

sich um e<strong>in</strong> Sesquiterpenlacton mit dem relativ seltenen Secocad<strong>in</strong>an-<br />

Grundgerüst (Ziffer et al. 1997), das als Artemis<strong>in</strong><strong>in</strong> (»Q<strong>in</strong> hao su«) bezeichnet<br />

wurde. Ursprünglich hatte man angenommen, dass Artemis<strong>in</strong><strong>in</strong><br />

aus der Pflanze Q<strong>in</strong>g hao (= Artemisia apiacea) isoliert worden sei. Erst später<br />

wurde bekannt, dass es sich bei der Droge um A. annua gehandelt hatte.<br />

Um die Löslichkeit und eventuell auch die Wirksamkeit zu verbessern,<br />

wurden bereits zahlreiche Derivate hergestellt (Zusammenfassung bei Vroman<br />

et al. 1999). Dihydroartemis<strong>in</strong><strong>in</strong> war doppelt so wirksam wie die Ausgangsverb<strong>in</strong>dung<br />

und besitzt e<strong>in</strong>e zusätzliche funktionelle Gruppe, die es<br />

für weitere Derivatisierungen zugänglich macht, ohne dass der für die Wirkung<br />

erforderliche Oxepanr<strong>in</strong>g angegriffen wird. Der als Arthemeter bezeichnete<br />

öllösliche Methylether wird von der WHO zur Behandlung der<br />

Malaria empfohlen (Helenport, Roche 1998). Das wasserlösliche Hemisucc<strong>in</strong>yl-Derivat<br />

Artesunat bef<strong>in</strong>det sich noch <strong>in</strong> der Entwicklung. Für beide<br />

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Arzneimittel der komplementären <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

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Verb<strong>in</strong>dungen stellt Dihydroartemis<strong>in</strong><strong>in</strong> die eigentliche Wirksubstanz dar,<br />

da die Derivate <strong>in</strong> vivo zu diesem stärker wirksamen Metaboliten umgesetzt<br />

werden.<br />

Artemether und Artesunat erwiesen sich <strong>in</strong> pharmakologischen und kl<strong>in</strong>ischen<br />

Versuchen als sehr wirksam gegen die verschiedensten Plasmodien,<br />

wie P. berghei, P. vivax und auch P. falciparum. Artemether wirkt besonders<br />

rasch blutschizontoid und übertrifft im Wirkungse<strong>in</strong>tritt teilweise sogar<br />

Ch<strong>in</strong><strong>in</strong>. Es zeigte sich, dass die i.m.-Applikation effektiver <strong>ist</strong> als die orale<br />

E<strong>in</strong>nahme. Man geht derzeit von e<strong>in</strong>er erforderlichen täglichen Menge von<br />

200 mg aus (van Agtmael et al. 1999).<br />

CAMPTOTHECIN AUS CAMPTOTHECA ACUMINATA<br />

E<strong>in</strong>e weitere Pflanze aus Ch<strong>in</strong>a, die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Arzne<strong>ist</strong>off hervorgebracht<br />

hat, <strong>ist</strong> Camptotheca acum<strong>in</strong>ata DECNE. (Nyssaceae). Der im subtropischen<br />

Westch<strong>in</strong>a und <strong>in</strong> Osttibet beheimatete Baum (»Tree of Joy«),<br />

wird mittlerweile <strong>in</strong> Kalifornien kultiviert. Extrakte aus den Früchten wurden<br />

<strong>in</strong> der <strong>TCM</strong> zur Behandlung von Tumoren des Intest<strong>in</strong>altraktes e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Als Wirksubstanz wurde das Alkaloid Camptothec<strong>in</strong> isoliert (Wall et<br />

al. 1966).<br />

Camptothec<strong>in</strong> zeigte an Mäusen e<strong>in</strong>e bemerkenswert gute Aktivität bei<br />

der L1210-Leukämie. Besonderes Interesse hat Camptothec<strong>in</strong> aber dadurch<br />

geweckt, dass es die Topoisomerase I hemmt, und dass diese Wirkung mit<br />

der antileukämischen Wirkung korreliert. Da <strong>in</strong> Krebszellen e<strong>in</strong>e höhere<br />

Topoisomerase-I-Aktivität als <strong>in</strong> normalen Gewebezellen festgestellt wurde,<br />

war diese Substanz für die Tumortherapie sehr <strong>in</strong>teressant (Wall et al.<br />

1991). Mittlerweile wurden e<strong>in</strong>e Reihe von Derivaten hergestellt und verwandte<br />

Verb<strong>in</strong>dungen, wie 10-Hydroxy-Camptothec<strong>in</strong>, isoliert. Auch die<br />

Totalsynthese <strong>ist</strong> gelungen.<br />

Nachfolgend synthetisierte, wasserlösliche Derivate des 10-Hydroxy-<br />

Camptothec<strong>in</strong>s haben e<strong>in</strong>e noch etwas stärkere Wirkung. Hydroxy-CPT <strong>ist</strong><br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a kl<strong>in</strong>isch im E<strong>in</strong>satz. Das 9-Methyl-am<strong>in</strong>o-Derivat Topotecan <strong>ist</strong><br />

mittlerweile europaweit als Hycamt<strong>in</strong> ® (SmithKl<strong>in</strong>e Beecham) zur Behandlung<br />

des metastasierenden Ovarialkarz<strong>in</strong>oms nach Versagen e<strong>in</strong>er Primäroder<br />

Folgetherapie zugelassen. Es sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> der Second-l<strong>in</strong>e Behandlung im<br />

H<strong>in</strong>blick auf progressionsfreie Intervalle dem Paclitaxel überlegen zu se<strong>in</strong>.<br />

Kl<strong>in</strong>ische Studien zum E<strong>in</strong>satz beim kle<strong>in</strong>zelligen Lungenkarz<strong>in</strong>om, zum<br />

Brustkrebs und zum Zervixkarz<strong>in</strong>om laufen. Ir<strong>in</strong>otecan (CPT-11;<br />

Campto ® , Rhone-Poulenc-Rorer) <strong>ist</strong> <strong>in</strong> Europa für die Therapie von Kolonkarz<strong>in</strong>om<br />

ebenfalls bereits zugelassen. Es wird bei Patienten ohne vorausgegangene<br />

Chemotherapie angewendet bei fortgeschrittenem Dickdarm/<br />

Mastdarmkrebs <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit 5-Fluorouracil und Fol<strong>in</strong>säure, und als<br />

Monotherapie bei Patienten, die auf e<strong>in</strong>e Vorbehandlung mit e<strong>in</strong>em<br />

5-Fluorouracil-enthaltenen Regime nicht angesprochen haben. Wirksam <strong>ist</strong>


dessen Metabolit SN-38 (freie 9-OH-Gruppe). Beide Substanzen sche<strong>in</strong>en<br />

auch beim kle<strong>in</strong>zelligen Bronchialkarz<strong>in</strong>om zu wirken (O’Leary, Muggia<br />

1998).<br />

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HUPERZIN AUS HUPERZIA SERRATA<br />

Arzneimittel der komplementären <strong>Mediz<strong>in</strong></strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

Huperzia serrata (THUNB.) TREVIS. (Qian ceng ta), syn. Lycopodium serratum<br />

(Lycopodiaceae), wird <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a zur Entgiftung und zur Durchblutungsförderung<br />

verwendet. Als Wirkstoffe wurden zwei Alkaloide, Huperz<strong>in</strong><br />

A und B, isoliert, welche e<strong>in</strong>e Hemmung der Acetylchol<strong>in</strong>esterase-Aktivität<br />

bewirken (Liu et al. 1986). Chol<strong>in</strong>esterasehemmstoffe, wie Tetrahydroam<strong>in</strong>oacridon<br />

(THA), werden derzeit als Mittel gegen Morbus Alzheimer<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Huperz<strong>in</strong> A war etwas stärker wirksam als Huperz<strong>in</strong> B und war<br />

auch wirksamer als alle anderen bisher bekannten AChE-Inhibitoren. Zudem<br />

besitzt es e<strong>in</strong>e längere Wirkdauer.<br />

Mittlerweile <strong>ist</strong> die Totalsynthese von Huperz<strong>in</strong> A gelungen. Sie war für<br />

die weitere Entwicklung notwendig, da die Ausbeute bei der Isolierung nur<br />

relativ ger<strong>in</strong>g <strong>ist</strong>. Bei den weiteren Untersuchungen an den Enantiomeren<br />

wurde festgestellt, dass (–)-Huperz<strong>in</strong> A bei Ratten die corticale Acetylchol<strong>in</strong>esterase<br />

38-mal stärker hemmt als (+)-Huperz<strong>in</strong> A. Als Mechanismus<br />

wurde e<strong>in</strong>e nicht-kovalente reversible Interaktion mit dem Rezeptor gefunden,<br />

bei der Huperz<strong>in</strong> im Unterschied zu Physostigm<strong>in</strong> chemisch nicht verändert<br />

wird (Kozikowski et al. 1992).<br />

HEMMSTOFFE DER LEUKOTRIENBIOSYNTHESE<br />

AUS ATRACTYLODES LANCEA<br />

<strong>Die</strong> Rhizome von Atractylodes lancea (THUNB.) DC (Asteraceae) werden<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen, Verdauungsbeschwerden<br />

und Erkältungen verwendet. Der n-Hexan-Extrakt hemmt <strong>in</strong><br />

Schwe<strong>in</strong>eleukozyten die Leukotrienbiosynthese (5-LOX) (IC50 = 2,9 µg/<br />

ml) und – schwächer ausgeprägt – die Prostagland<strong>in</strong>biosynthese (COX-1)<br />

(IC50 = 30,5 µg/ml). Als sehr potente Wirkstoffe konnten e<strong>in</strong> neues<br />

Chromen (Atractylochromen; IC50 = 0,56 µM (5-LOX) bzw. 3,3 µM<br />

(COX-1)), das bereits aus Atractylis koreana bekannte Atractyloch<strong>in</strong>on<br />

(IC50 = 0,2 µM (5-LOX) bzw. 64,3 µM (COX-1)) und (2'E)-2-(3',7'-Dimethylocta-2',6'-dienyl)-6-methyl-2,5-cyclohexadien-1,4-dion<br />

(Atractylohydroch<strong>in</strong>on),<br />

mit e<strong>in</strong>er noch stärkeren, selektiven Hemmwirkung auf die<br />

Leukotrienbiosynthese (IC50 = 0,1 µM (5-LOX) bzw. 2 µM (COX-1)) isoliert<br />

werden (Resch et al. 1998). <strong>Die</strong> Wirksamkeit bezieht es vermutlich aus<br />

se<strong>in</strong>er dem Tocopherol ähnlichen Hydroch<strong>in</strong>onstruktur, welche als Radikalfänger<br />

fungiert. E<strong>in</strong>e 5-LOX-hemmende Wirkung von Vitam<strong>in</strong> E wurde<br />

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bereits beschrieben. Dabei <strong>ist</strong> <strong>in</strong>teressant, dass diese irreversibel war und<br />

beim schwächer antioxidativ wirksamen g-Tocopherol stärker ausgeprägt<br />

war als bei a-Tocopherol. Daher <strong>ist</strong> anzunehmen, dass es sich um ke<strong>in</strong>en<br />

re<strong>in</strong>en antioxidativen Effekt handelt. Es wird e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung an e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Am<strong>in</strong>osäuresequenz der 5-LOX vermutet (Reddanna et al. 1985).<br />

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AUSBLICK<br />

<strong>Die</strong> <strong>traditionelle</strong> <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong> <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> stellt sicherlich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante komplementäre<br />

Therapievariante dar, die Beachtung f<strong>in</strong>den sollte. Während die<br />

Akupunktur bei uns schon lange bekannt <strong>ist</strong> und häufig e<strong>in</strong>gesetzt wird, haben<br />

sich die anderen Therapiebereiche und <strong>in</strong>sbesondere die <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n<br />

Arzneidrogen erst <strong>in</strong> den letzten Jahren bei uns etabliert. Wenngleich es<br />

zum Teil erheblichen Widerstand gegen die Anwendung dieser Drogen gibt,<br />

der auf e<strong>in</strong>e pauschale Ablehnung h<strong>in</strong>ausläuft, muss auch das Potential, das<br />

<strong>in</strong> zahlreichen dieser Drogen steckt, anerkannt werden (Scherf 2000). Es<br />

wurde durch e<strong>in</strong>zelne Therapiestudien und teilweise durch die Isolierung<br />

hochpotenter Arzne<strong>ist</strong>offe bereits <strong>in</strong> zahlreichen Fällen dokumentiert.<br />

Entscheidend für e<strong>in</strong>e Anwendung <strong>ist</strong> sicherlich, dass diese sachgerecht<br />

erfolgt und die Qualität der Drogen gewährle<strong>ist</strong>et <strong>ist</strong>. Wegen der aufgeführten<br />

Identifizierungs- und Qualitätsprobleme, die sich im Übrigen nicht<br />

grundsätzlich von denen anderer pflanzlicher Arzneidrogen unterscheiden,<br />

und wegen der Gefahr von Interaktionen mit westlichen Medikamenten<br />

sollte die Anwendung nicht unkontrolliert erfolgen. Es handelt sich hier<br />

gemäß der Zweckbestimmung um Arzneimittel und <strong>in</strong> ihre Abgabe muss<br />

die Apotheke e<strong>in</strong>gebunden se<strong>in</strong>. Nur so kann die Qualität und die Sicherheit<br />

gewährle<strong>ist</strong>et werden. E<strong>in</strong> Vertrieb über das Internet oder als Lebensmittel<br />

birgt h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e Vielzahl von Risiken. Zum gleichen Schluss kam<br />

man kürzlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er australischen Untersuchung (Bensoussan, Myers<br />

1996), die als Vorbild dienen kann. Deutschland bietet mit se<strong>in</strong>er langen<br />

Tradition und Erfahrung <strong>in</strong> der Anwendung pflanzlicher Arzneimittel sicherlich<br />

beste Voraussetzungen um hier ebenfalls Maßstäbe zu setzen und<br />

sich am Ausschöpfen des Potenzials der <strong>ch<strong>in</strong>esische</strong>n <strong>Mediz<strong>in</strong></strong> zu beteiligen.

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