Interview Hannelore Elsner: Die Berührbare (Vorschau)
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februar 2013<br />
6 euro<br />
<strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong><br />
02<br />
4 192449 106002<br />
<strong>Die</strong> <strong>Berührbare</strong><br />
In den Nebenrollen:<br />
Matthias ScHwEigHöfEr, Stanley KuBricK, Tom cruiSE,<br />
Steven SpiElBErg und unsere HoT liST 2013 (girls only)<br />
Das FilmheFt
februar 2013<br />
6 euro<br />
In den Nebenrollen:<br />
<strong>Hannelore</strong> ElSnEr<br />
Steven SpiElbErg<br />
Stanley KubricK<br />
Tom cruiSE und<br />
unsere HoT liST 2013<br />
(girls only)<br />
02<br />
Er macht Schluss<br />
4 192449 106002<br />
Matthias Schweighöfer<br />
Das FilmheFt
YOKO ONO, WALKING ON THIN ICE, VIDEO STILL, 1981, © YOKO ONO<br />
YOKO ONO, WALKING ON THIN ICE, VIDEO STILL, 1981, © YOKO ONO<br />
YOKO ONO, WALKING ON THIN ICE, VIDEO STILL, 1981, © YOKO ONO<br />
YOKO ONO<br />
HALF-A-WIND SHOW<br />
EINE RETROSPEKTIVE<br />
15. FEB. – 12. MAI 2013<br />
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DIENSTAG, DIENSTAG, FREITAG–SONNTAG 10–19 10–19 UHR, 10–19 UHR, UHR, MITTWOCH MITTWOCH UND UND DONNERSTAG UND 10–22 UHR10–22 UHR<br />
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Februar 2013<br />
inhalt<br />
start<br />
STORIES<br />
INHALT<br />
sMaLLtaLK<br />
Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />
OLGA RODIONOVA, GIANNA NANNINI, ARIANNE<br />
PHILLIPS, MARGARETHE TIESEL, BILLY GIBBONS,<br />
CHRISTOPH WALTZ & ULLI LOMMEL<br />
Seite 29<br />
NaoMi CaMpbeLL<br />
trifft das Model IMAN, die Frau, die vom Himmel fiel<br />
Seite 34<br />
superstars<br />
Auf dem Weg nach vorn: LESLIE CLIO,<br />
MATTHIAS SCHOENAERTS<br />
Seite 38<br />
DaNieL Day-Lewis & steveN spieLberg<br />
Hollywood liebt Legendenstoffe – und wir lieben die Verfilmung<br />
des Lebens von Abraham Lincoln, dem Helden von Gettysburg<br />
Seite 40<br />
MATTHIAS SCHWEIGHÖFER<br />
<strong>Die</strong>ser Mann will alles – und kann alles. Schauspielen, Regie<br />
führen, produzieren. Im Gespräch mit seinem besten<br />
Freund verrät Matthias Schweighöfer außerdem: „Ich will noch<br />
mehr Kinder und am Haus auf dem Land rumbauen“<br />
Von MILAN PESCHEL<br />
Seite 74<br />
FASHION<br />
Schlicht, schön, schwarz, weiß<br />
Fotografiert von PATRICK DEMARCHELIER<br />
Seite 82<br />
HANNELORE ELSNER<br />
Sie ist eine Künstlerin, die an Grenzen geht. Mit <strong>Die</strong> endlose Nacht<br />
und <strong>Die</strong> Unberührbare schrieb <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong><br />
deutsche Filmgeschichte. Anlässlich der Berlinale ließ sich<br />
die Schauspielerin nun von uns in Szene setzen<br />
Von HEIKE BLÜMNER<br />
Seite 94<br />
Foto Patrick demarchelier<br />
Styling karl temPler<br />
top chloé<br />
kette JenniFer meyer<br />
Foto links SebaStian mader, Styling klauS StockhauSen,<br />
Jacke neil barrett, hemd hugo<br />
Foto rechts ralPh mecke, Styling klauS StockhauSen,<br />
kleid Prada, ohrringe (privat) cartier,<br />
haare & make-up Produkte Von bobbi brown<br />
Schlicht, Schön,<br />
Schwarz, weiSS<br />
16<br />
sHiriN NesHat<br />
<strong>Die</strong> iranische Künstlerin ist Mitglied der diesjährigen Berlinale-<br />
Jury. Wir sprachen mit ihr über Kopftücher, Wodka und Filme im<br />
<strong>Die</strong>nste des Aufständischen<br />
Seite 44<br />
wow!<br />
Schöne Dinge, toller Schmuck, Retromania, Hollywood privat<br />
und die All is pretty-Lounge von INTERVIEW während der<br />
Berlinale – die Gebrauchs anweisung für den Februar<br />
Seite 48<br />
Me, My JeaNs & i<br />
<strong>Die</strong> Renaissance der Kultjeans <strong>Die</strong>sel Saddle<br />
Seite 54<br />
spriNg<br />
Achtung, Accessoires! Der Frühling lässt grüßen<br />
Seite 56<br />
Now!<br />
Neue Musik, gute Filme, interessante Ausstellungen und die<br />
Leonardo-DiCaprio-Formel<br />
Seite 64<br />
riCHarD DawKiNs<br />
Wenn er eine Kirche betritt, kocht das Weihwasser.<br />
Ein Gespräch mit dem größten Atheisten unserer Zeit<br />
Seite 66<br />
HeLeNe HegeMaNN<br />
CLASSICS: <strong>Die</strong> Kolumne über das, was bleibt<br />
Seite 70<br />
beauty<br />
MAKROTREND:<br />
Textur – die Welt wird weich<br />
Seite 52<br />
4 LOOKS FüR 2K13:<br />
Signallippen! Puppen-Make-up!<br />
Beige, Beige! Lidstrich, hellblau!<br />
Seite 60<br />
KOLUMNE:<br />
<strong>Die</strong> Architektur des Flakons<br />
Seite 62<br />
Foto unten: Sunset Boulevard/Corbis<br />
BOTTEGA VENETA<br />
Vor zwölf Jahren war Bottega Veneta eine Ledermanufaktur,<br />
die ihre besten Zeiten lange hinter sich hatte. Dann kam der<br />
deutsche Designer Tomas Maier und verflocht Handwerkskunst<br />
und erwachsenen Glamour zu einer hochintelligenten Weltmarke<br />
Von ADRIANO SACK<br />
Seite 106<br />
HOT LIST 2013<br />
Vorhang auf für acht Frauen, die Ihnen auf der Leinwand, im<br />
Fernsehen und auf der Bühne in diesem Jahr begegnen werden<br />
Seite 112<br />
MAURIZIO CATTELAN<br />
Der große Trickser der zeitgenössischen Kunst meldet sich mit<br />
dem Sammelband Toiletpaper zurück. Ein Portfolio<br />
Seite 120<br />
DIRK VON LOWTZOW<br />
Er wollte Teil einer Jugendbewegung sein und gründete<br />
kurzerhand selbst eine. In diesem Jahr feiern Dirk von Lowtzow<br />
und Tocotronic das 20-jährige Jubiläum – und wir den einzigen<br />
Pop-Intellektuellen, den man ernst nehmen sollte<br />
Von KATHARINA SCHÜTTLER<br />
Seite 130<br />
VALERIA NAPOLEONE<br />
<strong>Die</strong> Dinnerpartys der Italienerin sind so legendär wie ihre<br />
Kunstsammlung. Jetzt macht Valeria Napoleone das Beste aus<br />
ihrer Doppelbegabung – ein Kunst-Kochbuch<br />
Von ADRIANO SACK<br />
Seite 136<br />
STANLEY KUBRICK<br />
Hooligans, die Milch trinken, und Raumschiffe, die Walzer<br />
tanzen: Anlässlich der großen Kubrick-Weltausstellung<br />
erinnern zwei Weggefährten an den wohl schrulligsten und<br />
detailversessensten Regisseur des 20. Jahrhunderts<br />
Von TOM CRUISE & TERRY SEMEL<br />
Seite 142<br />
TIM BURTON<br />
Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Nur welche? Das Fotoalbum<br />
des Meisters des Gruselkinos, erklärt von ihm selbst<br />
Von JÖRG HARLAN ROHLEDER<br />
Seite 148<br />
Foto SEBASTIAN MADER<br />
Styling NIKI PAULS<br />
Kleid PACO RABANNE<br />
Body AMERICAN APPAREL<br />
ULTRA-BRUTALER MILCHTRINKER: ALEX DeLARGE<br />
AUS KUBRICKS CLOCKWORK ORANGE<br />
KAROLINE SCHUCH, HOT LIST 2013<br />
PS<br />
PARTY<br />
Auf der INTERVIEW-Party in München,<br />
am Pool während der ART BASEL MIAMI,<br />
mit Schlange und SUPREME in Berlin<br />
Seite 154<br />
FLASHBACK<br />
NASTASSJA KINSKI<br />
Seite 164<br />
EDITORIAL S. 19<br />
IMPRESSUM S. 22<br />
MITARBEITER S. 26<br />
ABONNEMENT S. 63<br />
HERSTELLERNACHWEIS S. 162
editoriAl<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
ich muss kurz von einem der tollsten deutschen Filme schwärmen:<br />
DIE ENDLOSE NACHT von 1963. Der Regisseur und Autor Will<br />
Tremper verpfändete sein Haus für das Projekt, begann die Filmarbeiten<br />
ohne ein fertiges Drehbuch am Flughafen Tempelhof und inszenierte eine<br />
rasante Versuchsanordnung: Was passiert, wenn dichter Nebel über Tempelhof<br />
alle Flüge nach Westdeutschland ausfallen lässt und man die Nacht in der<br />
Frontstadt Westberlin verbringen muss?<br />
Eines der Schicksale im Film spielt HANNELORE ELSNER, ganz am Anfang ihrer<br />
Karriere. <strong>Die</strong> Anweisung vom Regisseur: “Du spielst ein Filmsternchen, das gerade von<br />
einem Edgar-Wallace-Dreh kommt, seine Lohnsteuerkarte vergessen und darum kein Geld<br />
bei sich hat … Zwei böse Jungs machen sich das zunutze.” <strong>Hannelore</strong>, the original it girl.<br />
(Und, by the way, <strong>Die</strong> endlose Nacht ist auch 2013 ein deutsches Allheilmittel gegen die<br />
Neo-Spießer, die uns jeden Dinnerabend mit Referenzen an New Yorks MAD MEN<br />
vermasseln müssen; verschwiemelt den Zeiten nachtrauernd, in denen man zu jeder Tageszeit<br />
seinen Bourbon trank – aber sie bestellen dann doch brav am nächsten Morgen ihren<br />
laktosefreien Chai Frappuccino to go.)<br />
Ein kleines Déjà-vu 50 Jahre später: <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong> musste zehn Stunden am Flughafen<br />
Düsseldorf ausharren, ungewiss, ob noch ein Flug nach Berlin im Winterchaos stattfindet.<br />
Sie kam dann irgendwann weit nach Mitternacht in Berlin an, morgens war sie aber schon<br />
bereit für das INTERVIEW-Shooting mit Fotograf Ralph Mecke und begeisterte alle am Set<br />
mit ihrer HINGABE und INTENSITÄT.<br />
Das Gespräch mit der Bestsellerautorin Heike Blümner (Eine Frau – Ein Buch) lesen Sie<br />
auf S. 94; der Film <strong>Die</strong> endlose Nacht ist kürzlich auf DVD erschienen und wird während der<br />
Berlinale in der Abflughalle Tempelhofs gezeigt.<br />
INTERVIEW ist zwar der deutschen Mundart verpflichtet, leider vermögen wir es jedoch<br />
nicht, das Berlinern unseres zweiten Coverstars, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER,<br />
fotografiert von Sebastian Mader, adäquat abzudrucken. <strong>Die</strong> ortstypische Chuzpe hingegen<br />
schimmert im Gespräch mit seinem besten Freund, dem Theaterschauspieler Milan Peschel,<br />
durch. Wenn man nun seine Porträts in dieser Ausgabe betrachtet, dann gilt die Parole:<br />
Hollywood, ick hör dir trapsen! S. 74<br />
<strong>Die</strong> Nebenrollen in dieser Filmausgabe sind mit STANLEY KUBRICK und TOM CRUISE,<br />
DANIEL DAY-LEWIS, STEVEN SPIELBERG und TIM BURTON sowie den acht<br />
hoffnungsvollsten deutschen Schauspielerinnen fulminant besetzt. Viel Spaß beim Lesen!<br />
Foto: Oliver Helbig<br />
Herzlichst<br />
Ihr Joerg Koch<br />
19
Editor in Chief Joerg Koch<br />
Executive Editors Jörg harlan RohledeR, Adriano SAcK<br />
Art Director Mike MeiRé<br />
Fashion Director Klaus StocKhAuSen<br />
Photography Director Frank Seidlitz<br />
Redaktion<br />
Editors laura eweRt, harald PeteRS, Beauty Editor Bettina BRenn<br />
Assistant Photography dorothea FiedleR, Assistant Fashion caroline leMBlé<br />
digital<br />
Editor nina Scholz, Praktikant Sascha ehleRt<br />
International Editor Aliona doletSKAyA<br />
International Editor at Large naomi cAMPBell<br />
Art<br />
tim GieSen<br />
hannes AechteR, Agnes GRüB<br />
Managing Editor und Chef vom <strong>Die</strong>nst Silke Menzel<br />
Textchefin elisabeth SchMidt<br />
Schlussredaktion ulrike MAtteRn, Ralph SchünGel, Kerstin SGoninA<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe<br />
heike BlüMneR, Katharina BÖhM, ludger BooMS, Maurizio cAttelAn, tom cRuiSe,<br />
Pierpaolo FeRRARi, Jodie FoSteR, Sönke hAllMAnn, Alexandra hecKel,<br />
helene heGeMAnn, Jenny hoch, Annette inSdoRF, Alexa KARolinSKi, Max MilleR,<br />
eva Munz, niki PAulS, Milan PeSchel, Katharina SchüttleR, terry SeMel,<br />
Anita tillMAnn, Karl teMPleR<br />
Fotografen dieser Ausgabe<br />
Michael Avedon, Maxime BAlleSteRoS, Sabine BRAueR, Francesco cARRozzini,<br />
Patrick deMARchelieR, Ronald dicK, hadley hudSon, Karl Anton KoeniGS,<br />
Robin KRAnz & volker hoBl, Bella lieBeRBeRG, Jonas lindStRÖM,<br />
Sebastian MAdeR, carlotta MAnAiGo, Ralph MecKe, Stefan Milev, nino MuÑoz,<br />
Robi RodRiGuez, Kevin tAchMAn<br />
Produktion<br />
Lithografie MAx-coloR, wrangelstraße 64, 10997 Berlin<br />
Druck Mohn MediA MohndRucK GMBh, carl-Bertelsmann-Straße 161 M, 33311 Gütersloh<br />
Manufacturing Director oleg noviKov<br />
verantwortlich für den redaktionellen inhalt<br />
Joerg Koch<br />
Board of directors interview Publishing house Germany<br />
vladislav doRonin, Bernd RunGe<br />
BMP Media holdings, llc<br />
Chairman Peter M. BRAnt<br />
www.iNterview.De<br />
22
Herausgeber und Geschäftsführer Bernd Runge<br />
Publishing Director Anja Schwing<br />
Anzeigen<br />
Sales Director (Nielsen I, II, IIIa, V, VI, VII) iris gRäBneR<br />
Tel.: 030/2000 89-120, iris.graebner@atelier-publications.de<br />
Sales Director (Nielsen II, IIIb, IV, Österreich) Tanja SchRADeR<br />
Tel.: 089/35 63 77 44, tanja.schrader@atelier-publications.de<br />
Frankreich Valérie DeSchAMPS-wRighT<br />
escalier D, 2 étage gauche, 25–27 rue Danielle casanova, 75001 Paris<br />
Tel.: 00 33/6/04 65 26 51, valerie.deschamps-wright@interviewint.com<br />
Italien Fabio MonToBBio<br />
Rock Media, Largo cairoli, 2, 20121 Mailand<br />
Tel.: 00 39/02/78 26 08, info@rockmedia.it<br />
Advertising Service Manager Jacqueline ZioB (Ltg.), Susann BuchRoTh<br />
Tel.: 030/2000 89-121, jacqueline.ziob@atelier-publications.de<br />
Director of Marketing & Communications Stephanie FReSLe<br />
Project Manager Marketing & Special Projects charlotte wieDeMAnn<br />
Project Manager Sales wilkin SchRÖDeR, Intern Kara woLF<br />
Assistenz Kathleen MASSieReR, Tel.: 030/2000 89-165<br />
IT Manager Patrick hARTwig<br />
Office Manager hilko RenTeL<br />
Verantwortlich für Anzeigen<br />
Atelier Publications Deutschland gmbh & co. Kg<br />
Mommsenstraße 57, 10629 Berlin<br />
Tel.: 030/2000 89-0, Fax: 030/2000 89-112<br />
Geschäftsführer Anja Schwing<br />
Vertrieb<br />
Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />
vertrieb@pressup.de<br />
einzelheftbestellungen<br />
Preise, Verfügbarkeit und Bestellungen unter www.interview.de/einzelheft,<br />
bei weiteren Fragen Tel.: 030/2000 89-164<br />
Abonnentenbetreuung<br />
interview-Leserservice, Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />
abo@interview.de, Tel.: 0 40/41 448-480<br />
interview erscheint zehnmal im Jahr in der interview Ph gmbh.<br />
Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom 1. Januar 2013.<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird<br />
keine haftung übernommen.<br />
Andy warhol’s interview (TM). All rights reserved.<br />
interview germany is published under a sublicense from LLc Publishing house interview;<br />
interview is a registered trademark of interview inc.<br />
Reproduction in any manner in any language in whole or in part<br />
without prior written permission is prohibited.<br />
interview Ph gmbh, Mommsenstraße 57, 10629 Berlin, Tel.: 030/2000 89-0<br />
24
MITARBEITER<br />
Tom CRUISE<br />
Hollywoodstar, Actionheld, Extremschauspieler.<br />
Kampf pilot, Rennfahrer und Fassadenkletterer. Verteidiger<br />
gegen Außerirdische, Supergangster und finstere<br />
Mächte aller Art. Super-Scientologe, Super-Dad,<br />
Superverführer und sowieso in jeder Hinsicht super.<br />
Cocktail-Jongleur, Rockstar, Kriegsveteran und Autistenbruder,<br />
Billardspieler, Rapper und Vampir. Gibt<br />
es eigentlich irgendjemanden, den er nicht gespielt<br />
hätte? Inzwischen ist er auch noch der riesenhaft große<br />
Ermittler Jack Reacher – eine Rolle, für die er eigentlich<br />
viel zu klein ist, aber, hey, er füllt sie aus. Er<br />
kann einfach alles, sogar einen nervenaufreibenden<br />
Dreh mit Stanley Kubrick hat er ausgehalten. Genau<br />
darüber hat er sich für uns mit Terry Semel, dem ehemaligen<br />
Studioboss von Warner Bros., unterhalten.<br />
Seite 142<br />
Milan PESCHEL<br />
Im Theater fühle er sich zu Hause, sagt Milan Peschel<br />
im Gespräch mit Matthias Schweighöfer, vor der Kamera<br />
müsse er sich dagegen immer erst akklimatisieren.<br />
Dabei hat er allein mit Schweighöfer mindestens<br />
sechsmal gemeinsam gedreht und ist auch sonst längst<br />
einer der profiliertesten Filmschauspieler des Landes.<br />
Für seine Rolle als strauchelnder Alarmanlagenverkäufer<br />
in Robert Thalheims Netto wurde er 2005<br />
für den Deutschen Filmpreis nominiert und bekam<br />
die Auszeichnung dann sieben Jahre später für die<br />
Hauptrolle in Andreas Dresens Film Halt auf freier<br />
Strecke, in dem er einen tumorkranken Vater spielt.<br />
Nebenbei ist Peschel dem Theater treu geblieben,<br />
mittlerweile auch als Regisseur. Aktuell ist am Berliner<br />
Maxim Gorki Theater seine Inszenierung von<br />
Sein oder Nichtsein zu sehen.<br />
Seite 74<br />
Maurizio CATTELAN<br />
Aufhören wolle er, hatte Maurizio Cattelan verkündet,<br />
wenige Wochen bevor das New Yorker Guggenheim<br />
Museum ihn mit einer Retrospektive ehrte.<br />
Während andere Künstler eine Einzelausstellung im<br />
Guggenheim als Krönung ihrer Weltkarriere feiern<br />
würden, verkaufte Cattelan sie als das Ende derselben.<br />
Er wolle sich erst einmal um Toiletpaper kümmern,<br />
sein, nun ja, Kunstmagazin, das er gemeinsam mit<br />
dem Fotografen Pierpaolo Ferrari verlegt und bespielt.<br />
<strong>Die</strong>ses Versprechen hat der 52-jährige Künstler<br />
jetzt wahr gemacht. Entstanden ist ein Sammelband<br />
der ersten Ausgaben von Toiletpaper, die wir als Portfolio<br />
präsentieren. Es sind Bilder, die wehtun, surrealistischer<br />
Ungehorsam, visuelle Ausrufezeichen. Cattelan<br />
eben, der große Trickser, wie man ihn kennt.<br />
Seite 120<br />
26<br />
Alexa KAROLINSKI<br />
Vor einem Jahr erst saß die 28-jährige Dokumentarfilmerin<br />
Alexa Karolinski bei der Premiere ihres Debüts<br />
Oma & Bella mit ihren bezaubernden Hauptdarstellerinnen<br />
im Berlinale-Kino. Den Film hatte sie im Rahmen<br />
ihres Studiums an der New Yorker School of<br />
Visual Arts gedreht. In der Zwischenzeit brachte Karolinski<br />
ein Kochbuch zu ihrem Film heraus, wurde<br />
vom Filmmaker Magazine zu den wichtigsten neuen<br />
Talenten gezählt und führte für uns ein Gespräch mit<br />
Steven Spielberg, dem wiederum wichtigsten Regisseur<br />
der letzten 40 Jahre, und Daniel Day-Lewis, dem<br />
wohl besten Schauspieler der Gegenwart, über deren<br />
neuen Film Lincoln.<br />
Seite 40<br />
Katharina SCHÜTTLER<br />
Oh Boy, What A Man, Schutzengel. Fernsehfilme in<br />
Großbritannien oder Schweden, Theater in Paris, Polizeiruf<br />
110-Dreh in Deutschland. Katharina Schüttler<br />
ist viel unterwegs und gilt als eine der interessantesten<br />
Schauspielerinnen des Landes. Deswegen<br />
hatten wir die 33-Jährige Anfang 2012 auch zu unseren<br />
Screentests geladen, bei denen dieses Bild von<br />
Gerard Malanga entstand. Für diese Ausgabe hat sie<br />
ihren alten Bekannten Dirk von Lowtzow interviewt.<br />
Und man muss sagen, niemand hat sich bisher so viele<br />
und dabei so charmante Fragen ausgedacht, wie die<br />
Mutter einer Tochter, die auf den wunderbaren Namen<br />
Minze hört.<br />
Seite 130<br />
Patrick DEMARCHELIER<br />
Für unsere große Modestrecke haben sich der Fotograf<br />
Patrick Demarchelier und Karl Templer, der<br />
Creative Director der US-<strong>Interview</strong>, zusammengefunden,<br />
um aufregende neue Gesichter der internationalen<br />
Laufstege in den reduziertesten Entwürfen der<br />
aktuellen Frühjahrskollektionen vorzustellen. Demarchelier,<br />
der sonst auch mal für den Pirelli-Kalender<br />
fotografiert, ergänzt die monochromen Outfits<br />
auf subtile Weise, indem er sie mit natürlich wirkendem<br />
Make-up und minimalistischen Hintergründen<br />
kombiniert. Übrigens zeigt das chinesische Nationalmuseum<br />
in Peking gerade in seiner Dior-Retrospektive<br />
ebenfalls Bilder des 1943 in Frankreich geborenen<br />
Fotografen.<br />
Seite 82<br />
Jodie FOSTER<br />
Sie wurde mit einem Schlag weltberühmt, als sie 1976<br />
im Alter von 13 Jahren als Prostituierte mit Hut und<br />
Plateausandalen in Martin Scorseses Taxi Driver auftrat.<br />
Kurz darauf bat Andy Warhol sie für <strong>Interview</strong><br />
zum Gespräch, was bei Foster wohl einen derart bleibenden<br />
Eindruck hinterließ, dass die Schauspielerin<br />
und Regisseurin bis heute immer wieder im Magazin<br />
auftaucht, und zwar vor allem als <strong>Interview</strong>erin. So<br />
führte sie zum Beispiel 1983 ein Gespräch mit Nastassja<br />
Kinski, das in Auszügen in unserem Flashback<br />
nachzulesen ist. Im Kino wird Foster wieder im August<br />
zu sehen sein, wenn sie an der Seite von Matt<br />
Damon in dem kapitalismuskritischen Science-Fiction-Blockbuster<br />
Elysium spielt.<br />
Seite 164<br />
Fotos: Photoshot; Gerard Malanga; D-foto/Bernd Lammel; Victor Demarchelier; Matt Sayles/Invision/AP<br />
vtwob.com<br />
Yvonne Catterfeld<br />
for<br />
semi-couture.it
shop at albertaferretti.com<br />
PeOPLe<br />
SmallTaLK<br />
Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />
Olga ROdiOnOva, Gianna nannini, arianne PhiLLiPs, Margarethe<br />
TieseL, Billy GiBBOns, christoph WaLTZ & Ulli LOMMeL<br />
„Was sagt ihr<br />
mann dazu?”<br />
die russische Milliardärsgattin<br />
OLGa<br />
ROdiOnOva lässt sich<br />
gern nackt fotografieren<br />
Foto: 2012 Ellen von Unwerth, Paris, aus The Story of Olga, TASCHEN 2012<br />
Foto ellen vOn unWerth<br />
29<br />
intervieW: Frau Rodionova, Sie sind ja angezogen.<br />
Olga rOdiOnOva: Was haben Sie denn erwartet?<br />
intervieW: Na ja, wenn man sich Ihre Bücher anschaut,<br />
scheinen Sie eher einen lockeren Umgang mit<br />
Kleidung zu pflegen. Sie haben Nacktheit zur Kunstform<br />
erhoben. Aber dann es ist heute ja auch sehr kalt.<br />
rOdiOnOva: Aber wissen Sie: Mir fällt es gar nicht<br />
so leicht, mich auszuziehen. Vor allem nicht vor<br />
Fremden. Selbst auf einem Set ist es nicht leicht, da<br />
stehen ja doch immer sehr viele Menschen rum.<br />
intervieW: Was sagt eigentlich Ihr Mann zu den<br />
doch eher, sagen wir, expliziten Aufnahmen?<br />
rOdiOnOva: Es war seine Idee!<br />
intervieW: Seine Idee?<br />
rOdiOnOva: Ja, er findet es schön. Sie können ihn<br />
fragen, er kommt gleich.<br />
intervieW: Mit Ellen von Unwerth haben Sie gerade<br />
das Buch The Story of Olga veröffentlicht, es ist schon<br />
der zweite Nacktbildband Ihrer Karriere. Was empfinden<br />
Sie, wenn Sie die nackte Frau ansehen, die den<br />
armen Holzfäller mit einer Reitpeitsche gängelt?<br />
rOdiOnOva: Das ist eine andere Frau. Nicht die,<br />
die hier sitzt. (Sergej Rodionov betritt die Suite)<br />
intervieW: <strong>Die</strong> meisten Menschen kämpfen ein Leben<br />
lang gegen die eigene Hülle an, zweifeln an der<br />
Schönheit des eigenen Körpers.<br />
rOdiOnOva: Ich nicht.<br />
intervieW: In gewisser Weise hebeln Sie mit den<br />
Aufnahmen die irdischen Gesetze der Vergänglichkeit<br />
aus.<br />
rOdiOnOva: Ja, der Körper altert, aber die Bilder<br />
nicht. Sie sind mein Vermächtnis und werden noch<br />
da sein, wenn ich tot bin. Das finde ich schön. Zumal<br />
es nicht nur um Nacktheit geht, sondern auch um das<br />
Verhältnis zwischen Mann und Frau, naturgegebene<br />
Anziehung, sexuelle Sehnsucht und die Rollenverteilung<br />
zwischen den beiden Geschlechtern. In Zeiten<br />
der Gleichberechtigung kommt das oft zu kurz.<br />
intervieW: Sie glauben, die Emanzipation habe der<br />
Sexualität geschadet?<br />
rOdiOnOva: Wenn die moderne Frau einfach nur<br />
ein besserer Mann sein will, dann schon. Heute<br />
wird manchmal zu sehr auf Gleichberechtigung geachtet,<br />
sodass die eigentlich schönen Unterschiede,<br />
die Mann und Frau ausmachen, die sie füreinander
PEOPLE/SmallTALK<br />
OLGA UNCHAINED<br />
attraktiv machen, dahinter verblassen. Sexualität ist<br />
der Antrieb, der uns am Leben erhält. Das darf man<br />
nicht vergessen.<br />
INTERVIEW: Erinnern Sie sich an Ihr erstes Nacktbild?<br />
RODIONOVA: Das war für den Playboy, oder?<br />
SERGEJ RODIONOV: Nein, es war für einen Kalender<br />
in Russland. Der Fotograf suchte nach Models,<br />
und ich schlug Olga vor. Allerdings fiel es Olga damals<br />
noch sehr schwer, sich vor der Kamera auszuziehen.<br />
Ich saß gerade in einem wichtigen Business<br />
Meeting, als sie mich anrief und sagte: „Schnell,<br />
schnell, ich bin fast nackt und weiß nicht, was ich tun<br />
soll. Bitte komm.“ Ich antwortete nur: „Aber darum<br />
geht es doch!“ Das Ergebnis war umwerfend! Es<br />
machte Olga berühmt. Ich sah sie auf dem Schreibtisch<br />
des damaligen Chefs von Gazprom liegen. Er<br />
war damals schon 65. Und fand die Bilder richtig gut.<br />
INTERVIEW: Waren Sie stolz oder eifersüchtig? Immerhin<br />
macht Olga im neuen Band mit einem gut<br />
gebauten Holzfäller rum.<br />
RODIONOVA: Der war so nett!<br />
RODIONOV: Okay, okay, das reicht (lacht).<br />
Nein, es fühlt sich gut an. Und auf eine Art<br />
belebt es auch die Beziehung. Weil man andere<br />
Facetten sieht. Allerdings war auch die Reaktion<br />
des reichsten Russen in London<br />
interessant: Er hatte die Bilder von<br />
Olga im Playboy gesehen und meinte<br />
nur zu mir: „Ist dir eigentlich klar,<br />
dass die ganze Welt sich jetzt auf<br />
die Bilder einen runterholt?“<br />
INTERVIEW: Und was haben Sie<br />
geantwortet?<br />
RODIONOV: Dass so nur ein<br />
Mann denkt, der mehrere Jahre<br />
in Russland im Gefängnis saß.<br />
INTERVIEW: Wie finden denn Ihre<br />
Eltern die Aufnahmen?<br />
RODIONOVA: Papa besser als<br />
Mutter.<br />
INTERVIEW: Und was sagt Ihre<br />
16-jährige Tochter dazu?<br />
RODIONOVA: Zuerst war es ihr peinlich.<br />
<strong>Die</strong> anderen Kinder hänselten sie in der<br />
Schule, ein Albtraum – sie hat sich nichts<br />
mehr gewünscht als eine Mutter, die aufräumt,<br />
putzt und kocht. Wie die anderen<br />
Mütter. Aber das bin ich nun mal nicht.<br />
INTERVIEW: Zu Sowjetzeiten wären Sie<br />
für die Aufnahmen verhaftet den.<br />
wor-<br />
RODIONOVA: Josef Stalin hat Abtreibung,<br />
Erotik und Homosexualität<br />
verboten. Und zwar gleich zu Beginn des<br />
großen Terrors in den 30er-Jahren. Nach dem<br />
Sturz der Sowjetunion gab es eine Zeit der Lockerung<br />
– heute wacht der Staat wieder über<br />
Ideologie, Moral und Kultur.<br />
INTERVIEW: Erscheint das Buch in Russland?<br />
RODIONOVA: Nein.<br />
INTERVIEW: <strong>Die</strong> Zensurbehörden scheinen<br />
sehr aktiv in Russland zu sein. Unser letztes<br />
Cover, auf dem Kate Moss und Naomi Campbell<br />
nackt zu sehen sind, durfte nicht an den<br />
Kiosk. Naomis Brüste waren zu viel für die<br />
Zensurbehörde.<br />
RODIONOV: Man sollte jede Brust zeigen<br />
dürfen. Menschen haben nun einmal Brüste. Gegen<br />
Olga wurde ein Prozess geführt, weil sie auf einem<br />
Reklamefoto mit nackten Schultern und nacktem<br />
Bauch zu sehen war. Das widerspreche Bibel und Koran.<br />
In Russland finden Sie immer jemanden, der sich<br />
an etwas stört. Wie im Falle von Pussy Riot. <strong>Die</strong><br />
Heuchelei nimmt wieder zu.<br />
<strong>Interview</strong> JÖRG HARLAN ROHLEDER<br />
THE STORY OF OLGA<br />
IST BEI TASCHEN ERSCHIENEN<br />
„WIE SIND SIE<br />
IN KÖLN<br />
GELANDET?”<br />
GIANNA NANNINI<br />
spricht über ihre<br />
deutschen Wurzeln<br />
INTERVIEW: Ihr neues Album trägt den Titel<br />
Inno. „Inno“ heißt Hymne, oder?<br />
GIANNA NANNINI: Ja, „inno“ ist die Melodie,<br />
die in dir steckt, etwas, das jeder<br />
in sich hat und haben muss.<br />
Für die Wiedergeburt zum<br />
Beispiel.<br />
INTERVIEW: Ah, verstehe.<br />
NANNINI: Warten Sie mal kurz,<br />
ich muss kurz meiner Tochter Hallo<br />
sagen: „TOCHTER!! CIAO!“ Sie ist<br />
gerade zurück aus der Schule.<br />
INTERVIEW: Aus der Schule? Ihre Tochter<br />
ist doch erst zwei.<br />
NANNINI: Entschuldigung, ich war kurz abgelenkt.<br />
Was hatten Sie gerade gefragt?<br />
INTERVIEW: Ja, wenn ich das noch wüsste …<br />
Ich war bei Ihrer Platte, glaube ich. Wenn man<br />
alles mitzählt, ist es die 27., ungefähr.<br />
NANNINI: Aber das sind nur Zahlen. Ich zähle<br />
nicht. <strong>Die</strong> Vergangenheit ist vergangen, die Zukunft<br />
ist etwas anderes. Aber ich, ich lebe in der<br />
Gegenwart. Ich wurde übrigens in Deutschland geboren.<br />
Wussten Sie das?<br />
INTERVIEW: Das wusste ich jetzt nicht.<br />
NANNINI: Doch, das war sehr wichtig für mein Leben.<br />
Meine Musik trägt den europäischen Gedanken<br />
in sich. Wir müssen an unsere Kulturen glauben. <strong>Die</strong><br />
Wurzeln sind wichtig, Wurzeln gibt es überall:<br />
Wein, Musik und möglicherweise Mode.<br />
INTERVIEW: Und wie wirkt sich das auf Ihr Schaffen<br />
aus?<br />
NANNINI: Nach meiner Wiedergeburt in Deutschland,<br />
1983 in Köln, um genau zu sein, habe ich mich<br />
mit Stammeskulturen beschäftigt. Ich habe erfahren,<br />
was es bedeutet, schamanisiert zu werden, verstehen<br />
Sie? Jedenfalls habe ich mit deutschen Leuten<br />
auf Englisch gearbeitet, weil sie an meine Musik geglaubt<br />
haben. In Italien hat man nicht an sie geglaubt.<br />
Italiener mögen zwar Rock, sie mögen amerikanische<br />
Musik, aber amerikanische Musik von Italienern<br />
halten sie für eine Kopie. In Deutschland ist das<br />
ganz anders.<br />
INTERVIEW: Da wäre ich mir nicht so sicher.<br />
NANNINI: Doch, als ich in den Achtzigern mit Conny<br />
Plank gearbeitet habe, war es so. Er meinte: „Sei<br />
du selbst!“ Das habe ich dann auch gemacht. Ich<br />
konnte meiner Kultur treu bleiben, meiner Identität.<br />
Das war für mich ganz einfach. Vielleicht war es damals<br />
auch leichter, kann sein. Heute versucht man<br />
oft, Dinge nachzumachen, so zu klingen wie … Aber<br />
man muss sein, wie man ist. Mit Wein und Essen ist<br />
es genauso.<br />
INTERVIEW: Mit was?<br />
NANNINI: Mit Wein und Essen. Exakt das Gleiche.<br />
INTERVIEW: Okay, aber wie sind Sie denn in den<br />
Achtzigern in Köln bei Conny Plank gelandet?<br />
NANNINI: Das war die Idee meines Managers. Er<br />
meinte: „Du musst Conny treffen!“ Ich kannte Connys<br />
Arbeit durch DAF und Ultravox.<br />
INTERVIEW: Also haben Sie ihn getroffen.<br />
NANNINI: Ja, und er meinte: „Versuche nicht, das zu<br />
machen, was andere schon vor dir gemacht haben.<br />
Und versuche nicht, so zu klingen wie Janis Joplin.“<br />
Janis Joplin war nämlich ein großer Einfluss von mir.<br />
Er meinte: „Du hast eine Stimme wie Joplin, aber du<br />
singst besser.“ Ich hatte es also Conny Plank zu verdanken,<br />
dass ich mich fand. Deswegen wurde ich damals<br />
in Köln wiedergeboren.<br />
<strong>Interview</strong> HARALD PETERS<br />
GIANNA NANNINIS NEUES ALBUM<br />
HEISST INNO (SONY)<br />
„WIE WAREN SIE<br />
ALS KIND?”<br />
Kostümdesignerin<br />
ARIANNE PHILLIPS<br />
im Gespräch mit ANITA<br />
TILLMANN, Chefin der<br />
Modemesse Premium<br />
ANITA TILLMANN: Meine Kinder versuchen ständig,<br />
unseren Hund oder sich selbst chic zu verkleiden.<br />
Wie waren Sie als Kind?<br />
ARIANNE PHILLIPS: Ich lebte mit meiner Mutter in<br />
der Bay Area, in Berkeley. Meine Mutter und ihre<br />
Geschwister waren Künstler, Bohemiens. Sie gingen<br />
oft mit mir auf den Flohmarkt. Außerdem hatte meine<br />
Mutter einen alten Koffer, der war voll mit Kleidern<br />
und tibetanischen Schals – eine große Zauberkiste.<br />
Wir hatten häufig Freunde zu Besuch, und es<br />
Fotos: 2012 Ellen von Unwerth, Paris, aus The Story of Olga, TASCHEN 2012, dpa Picture-Alliance/Juri Reetz; ddp images/AP Photo/Matt Dunham, Jemal Countess/WireImage for Persol/Gettyimages, Ulrich Seidl Film<br />
waren die Sechziger. Also rauchten sie<br />
Gras und lasen sich gegenseitig Gedichte<br />
vor. Ich war das einzige Kind<br />
in der Runde. Manchmal zog ich mir<br />
an diesen Abenden Sachen aus<br />
dem Koffer an und führte improvisierte<br />
Tänze auf, während<br />
mein Vater Jazzmusik<br />
spielte.<br />
TILLMANN: Sie arbeiten seit<br />
15 Jahren mit Madonna. Was<br />
halten Sie von Lady Gaga?<br />
PHILLIPS: Ich liebe sie! Sie<br />
wagt etwas. Ich erkenne viele<br />
ihrer Reverenzen, zum Beispiel<br />
Grace Jones. Und sie ist noch so<br />
jung! (Ein Kellner bringt eine belgische<br />
Waffel) Das liebe ich an<br />
Deutschland. All diese Kohlenhydrate!<br />
TILLMANN: Ich fühle mich immer<br />
schlecht, wenn ich erzähle,<br />
dass ich ohne Kohlenhydrate<br />
nicht leben kann.<br />
PHILLIPS: Wenn ich zu Hause in Kalifornien<br />
bin, dann esse ich morgens<br />
immer Reis vom Vortag. Dazu mache<br />
ich mir Rührei und Tortillas. Wo waren<br />
wir stehen geblieben?<br />
TILLMANN: Bei Lady Gaga. Was halten<br />
Sie eigentlich von Anna Dello Russo?<br />
PHILLIPS: Sie lässt auf Worte auch Taten folgen, das<br />
mag ich. Ich bewundere jeden, der sich durch Mode<br />
wirklich individuell ausdrückt. Heute kann man der<br />
Globalisierung sei Dank überall auf der Welt dasselbe<br />
T-Shirt kaufen. An den Schuhen allerdings kann<br />
ich in der Regel ablesen, wo ein Mensch herkommt.<br />
Insgesamt tragen Europäer aber schönere Schuhe als<br />
Amerikaner. Fast jeder heterosexuelle amerikanische<br />
Mann trägt große, klobige Treter.<br />
TILLMANN: Ich könnte stundenlang über Schuhe reden,<br />
aber ich möchte Sie noch etwas zu Ihrer Arbeit<br />
fragen: Sie haben unter anderem A Single Man, W. E.<br />
und Walk The Line ausgestattet. Wie beeinflussen<br />
Ihre Kostüme den Charakter einer Filmfigur?<br />
PHILLIPS: Ein Outfit kann verändern, wie sich eine<br />
Figur bewegt und welche Beziehung sie zu ihrem<br />
Körper hat. Außerdem gibt es Auskunft darüber, in<br />
welcher Epoche der Film spielt. Kostüme sind ein<br />
visueller Schlüssel für die Geschichte.<br />
TILLMANN: Wie vermeiden Sie, dass ein Kostüm die<br />
Figur überstrahlt?<br />
PHILLIPS: Manchmal muss es das sogar! Und es geht<br />
nicht um meinen persönlichen Geschmack. Kostümdesign<br />
ist etwas ganz anderes als Mode. Man benötigt<br />
sehr viel Feingefühl, damit kein Bruch entsteht<br />
zwischen der Figur und dem Outfit.<br />
TILLMANN: Mussten Sie schon mal mit Regisseuren<br />
arbeiten, die sich für Ihre Arbeit nicht interessieren?<br />
PHILLIPS: Regisseure interessieren sich häufig nicht<br />
allzu sehr für Mode, also ja. Ich arbeite übrigens besonders<br />
gerne mit britischen Schauspielern. Sie sind<br />
immer interessiert an der Gestaltung ihrer Outfits.<br />
TILLMANN: Woran liegt das wohl?<br />
PHILLIPS: In Amerika bringt man Schauspielern bei,<br />
ihre Rolle über die Emotionen und Erinnerungen<br />
ihrer Figur aufzubauen. In Großbritannien ist das<br />
ganz anders. Britische Schauspieler lernen, physischer<br />
zu denken. Sie müssen als Erstes den Körper<br />
ihrer Figur verstehen.<br />
„IST DAS JETZT<br />
IHR GROSSER<br />
DURCHBRUCH?”<br />
MARGARETHE<br />
TIESEL über ihre Rolle<br />
als Sextouristin in<br />
Paradies: Liebe und den<br />
Erziehungsauftrag<br />
europäischer Urlauber<br />
PARADIES: LIEBE IST GERADE ANGELAUFEN<br />
INTERVIEW: Frau Tiesel, was ist an Sextourismus deprimierender:<br />
die Sache an sich oder der Umstand,<br />
dass die Leute sich davon mehr versprechen als Sex?<br />
MARGARETHE TIESEL: Beides ist traurig. Dass sich<br />
die Frauen nach Afrika begeben müssen, um einen<br />
Lover zu finden, weil sie hier den Schönheitsvorstellungen<br />
nicht mehr entsprechen. Dass die wirtschaftliche<br />
Situation dort so ist, dass sich die Männer darauf<br />
einlassen. Und natürlich ist es auch traurig, dass<br />
die Sehnsucht nach Liebe sehr oft nicht erfüllt wird.<br />
INTERVIEW: Selbst die nicht sexuellen Aspekte des<br />
Films deprimieren. Es gibt diese Szene, in der Sie<br />
mit einer Freundin an der Theke sitzen und versuchen,<br />
dem Barmann österreichische Worte beizubringen.<br />
Das konnte ich mir kaum ansehen.<br />
TIESEL: Weil es nicht politisch korrekt ist?<br />
INTERVIEW: Nein, weil man weiß, dass sich Urlauber<br />
in Dritte-Welt-Ländern exakt so verhalten.<br />
TIESEL: Ja, weil sie sich durch das wirtschaftliche<br />
Gefälle überlegen fühlen.<br />
INTERVIEW: <strong>Die</strong> Dialoge sind komplett improvisiert.<br />
Wie lautete in solch einer Szene denn Ulrich<br />
Seidls Regieanweisung?<br />
TIESEL: Das weiß ich leider nicht mehr. Aber ich kann<br />
mich noch genau erinnern, was Ulrich Seidl mir vor<br />
der Szene, in der ich mit dem Beachboy aufs Zimmer<br />
gehe, gesagt hat, nämlich dass die Sugarmamas aus<br />
Österreich und Deutschland dazu neigen, die<br />
Jungs zu erziehen. Also habe ich mir gedacht, dass<br />
ich ihm zeige, wie man eine Frau berührt.<br />
INTERVIEW: War das eigentlich eine schwere Rolle?<br />
TIESEL: Also, leicht war es nicht. Ich sage immer, es<br />
war die härteste, aber auch die schönste Arbeit meines<br />
Lebens.<br />
INTERVIEW: Sie wussten wahrscheinlich, worauf Sie<br />
sich einlassen. Viele Schauspieler würden zurückschrecken,<br />
wenn Seidl anruft.<br />
TIESEL: Er hat zu mir gesagt: „Frau Tiesel, es passiert<br />
nichts, was Sie nicht wollen.“ Und dann hab ich mir<br />
gedacht: Wenn ich das jetzt nicht mache, dann ärgere<br />
ich mich mein Leben lang. Und er zwingt einen ja zu<br />
nichts, er lässt einem alle Freiheiten, und dadurch<br />
geht man viel weiter, als man zunächst dachte.<br />
INTERVIEW: Sie waren für Ihre Rolle für den Europäischen<br />
Filmpreis nominiert.<br />
TIESEL: Oh ja, das ist toll.<br />
INTERVIEW: Ist das jetzt Ihr großer Durchbruch?<br />
TIESEL: Weiß ich nicht, kann ich nicht sagen. Ich bin<br />
ja schon alt. Ich denke mir einfach: Toll, dass ich das<br />
erleben durfte.<br />
INTERVIEW: Vielen Dank, Frau Tiesel, ich denke, wir<br />
sind durch …<br />
TIESEL: Sie fragen mich nicht über die Nacktheit?<br />
INTERVIEW: Ach, das fragen doch alle.<br />
TIESEL: Ja, stimmt, das fragen immer alle!<br />
INTERVIEW: Oder wie es ist, Sexszenen vor der Kamera<br />
zu spielen. Ich meine, wie soll’s schon sein?<br />
TIESEL: Nicht wahr?!<br />
<strong>Interview</strong> HARALD PETERS<br />
„WARUM<br />
STEHEN SIE IM<br />
KÜHLSCHRANK?”<br />
ZZ-Top-Frontmann<br />
BILLY GIBBONS<br />
über Haarprobleme und<br />
die Zahl neun<br />
INTERVIEW: Hallo, wie geht es Ihnen?<br />
BILLY GIBBONS: Gut, aber ich fühle mich ein bisschen<br />
weird.<br />
INTERVIEW: Warum das?<br />
GIBBONS: Ach, weil ich das Wort gerade oft benutze.<br />
Für ein Stück schlug unser Tontechniker den<br />
Titel „Chartreuse“ vor. Ich wusste, dass es sich<br />
dabei entweder um eine Farbe oder um eine Alkoholsorte<br />
handelt, und dachte: „Irgendwie<br />
weird.“ Aber genau das trifft auch auf<br />
ZZ Top zu.<br />
INTERVIEW: Und Big Shiny Nine?<br />
Ist das etwa die Lieblingszahl des<br />
Tontechnikers?<br />
GIBBONS: Wir benutzen manchmal<br />
eine Geheimsprache<br />
des<br />
Blues.<br />
30<br />
31
Big Shiny Nine ist ein Song, in dem es vordergründig<br />
um eine Sache geht …<br />
INTERVIEW: Und wovon handelt er eigentlich?<br />
GIBBONS: Es könnte eine sexuelle Anspielung sein.<br />
Da geht es quasi um Längen, und eine Neun ist ja<br />
schon mal nicht schlecht. Er könnte aber auch von<br />
einer Neun-Millimeter-Pistole handeln. Das können<br />
Sie sich aussuchen.<br />
INTERVIEW: Ach, danke. Warum stehen Sie eigentlich<br />
im Clip zu I Gotsta Get Paid in einem Kühlschrank?<br />
GIBBONS: Der Song ist eine Kombination aus Rap<br />
und Blues. Ich bin glücklich, dass wir diese beiden ungleichen<br />
Partner zusammengebracht haben! Wir<br />
wollten damit der Tradition des Houston Ghetto<br />
Blues huldigen. Er basiert auf dem Rap-Song 25 Lighters.<br />
Entschuldigung, wie lautete Ihre Frage noch?<br />
INTERVIEW: Warum Sie in einem Kühlschrank stehen.<br />
GIBBONS: Ach ja. Ein Whiskeyhersteller hat uns engagiert,<br />
um sein Getränk bekannter zu machen. Der<br />
Regisseur des Clips war an Jackass beteiligt – der<br />
Kühlschrank war seine Idee. Wir sollten uns darin<br />
verstecken. Ein paar Typen haben ihn aufgemacht<br />
und sich ziemlich erschreckt. Denen habe ich dann<br />
erst mal einen Drink rausgereicht.<br />
INTERVIEW: War der Kühlschrank eingeschaltet?<br />
GIBBONS: Allerdings. Der Whiskey sollte ausgeschenkt<br />
werden, und es wurde gefragt, ob er kalt genug<br />
sei. Das konnte ich garantieren. Wir standen einen<br />
halben Tag lang da drinnen!<br />
INTERVIEW: Haben Sie eigentlich manchmal bad hair<br />
days?<br />
GIBBONS: Gestern Abend habe ich mir Sushi aufs<br />
Zimmer bringen lassen. Ich habe es im Bett gegessen<br />
und bin dabei eingeschlafen. Heute Morgen, als ich<br />
in den Spiegel sah, habe ich ein paar Reste in meinem<br />
Bart entdeckt. Hier, sehen Sie?<br />
INTERVIEW: Tatsächlich. Sieht aus wie Sojasoße.<br />
GIBBONS: Ich dachte nur: Ach, das hebe ich mir für<br />
später auf.<br />
<strong>Interview</strong> KATHARINA BÖHM<br />
ZZ TOPS NEUES ALBUM HEISST<br />
LA FUTURA (UNIVERSAL)<br />
„HABEN SIE SICH<br />
MAL BELOHNT?”<br />
CHRISTOPH<br />
WALTZ reitet<br />
für Quentin<br />
Tarantino<br />
INTERVIEW: Herr Waltz, man<br />
bat mich, nur Fragen zu Django<br />
Unchained zu stellen, allerdings<br />
durfte ich ihn noch nicht sehen,<br />
wir müssen da jetzt ein wenig improvisieren.<br />
CHRISTOPH WALTZ: (lacht) Ach,<br />
stellen Sie einfach Ihre Fragen,<br />
und wir entscheiden dann, ob sie<br />
zum Film passen.<br />
PEOPLE/SmallTALK<br />
INTERVIEW: Sie spielen diesmal keinen Bösewicht.<br />
WALTZ: Darf ich erwähnen, dass ich diese Bösewicht-<br />
Diskussion mittlerweile inflationär führe? Wenn wir<br />
der Einteilung in Gut und Böse mal auf den Grund<br />
gingen, würden wir mit Beschämung feststellen, dass<br />
wir nicht wirklich wissen, worüber wir da reden. Was<br />
ist denn das Gegenteil: der Gutewicht?<br />
INTERVIEW: Nennen wir es den Gegenpart zum Helden.<br />
Vielen Schauspielern haftet der Charakter ihrer<br />
Rolle irgendwann an – bei Ihnen ist das anders. Sie<br />
gelten als sympathisch. Ich würde sagen, es liegt daran,<br />
dass Sie immer etwas Spitzbübisches haben.<br />
WALTZ: (lacht) Spitzbub ist ein wunderschönes Wort.<br />
Man sagt ja, alles hat zwei Seiten. Und mir gefällt die<br />
andere meist besser.<br />
INTERVIEW: Um nicht auch noch in die Quentin-Tarantino-Falle<br />
zu tappen: Welche Frage über ihn können<br />
Sie nicht mehr hören?<br />
WALTZ: Ach, eigentlich fast alle. Das heißt aber nicht,<br />
dass ich sie nicht beantworten könnte. Fragen Sie!<br />
INTERVIEW: Ich habe gar keine vorbereitet.<br />
WALTZ: Super (lacht). Danke.<br />
INTERVIEW: Wie war denn die Premiere gestern?<br />
WALTZ: Das war nur ein Screening in New York, aber<br />
super. Ich hatte den Film bisher nur in Teilen im Synchronisationsstudio<br />
gesehen, ich muss ihn noch ein<br />
paar Mal angucken, bevor ich eine Meinung habe.<br />
INTERVIEW: Schauen Sie Ihre Filme immer so genau?<br />
WALTZ: Nur wenn mich der Dreh interessiert hat.<br />
Wenn nicht, ist mir das Ergebnis oft gleichgültig.<br />
INTERVIEW: Hat man bei der Synchronisation eigentlich<br />
noch mal die Chance, etwas zu verbessern?<br />
WALTZ: Natürlich, alles kann man besser machen.<br />
INTERVIEW: Entschuldigen Sie diese anbiedernde<br />
Frage, aber wie geht man mit Erfolg um?<br />
WALTZ: Jeder, wie er kann, nehme ich an. Er ist ja<br />
möglicherweise noch dynamischer als der Misserfolg.<br />
Man muss mit großer Aufmerksamkeit versuchen,<br />
nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Das geht<br />
aber, man ist da kein Opfer.<br />
INTERVIEW: Haben Sie sich mal selbst belohnt?<br />
WALTZ: Ich bin nicht der Typ, der sich einen Porsche<br />
kauft, weil er findet, er habe nun etwas geleistet. Ich<br />
belohne mich mit der Freude über das Gelingen.<br />
INTERVIEW: Ich möchte Sie nicht in diese Ecke drängen,<br />
aber man liest ja von Trends unter Hollywood-<br />
Schauspielern: eine bestimmte Hunderasse, dieser<br />
super Personal Trainer. Sind Sie da dabei?<br />
WALTZ: (lacht) Wissen Sie, ich bin irgendwie zu alt<br />
dafür. Auch zu stur. Ich interessiere<br />
mich nicht so für Trends,<br />
schändlicherweise vielleicht.<br />
INTERVIEW: Wenn Sie flüchten<br />
müssten, wohin wäre das?<br />
WALTZ: Ins Waldviertel. Eine<br />
Gegend in Österreich.<br />
INTERVIEW: Das klingt gut.<br />
WALTZ: Ich bin mir auch nicht<br />
sicher, ob es stimmt, aber ich<br />
fand auch, das klingt gut.<br />
INTERVIEW: Sie hätten es eh<br />
nicht verraten dürfen, sonst<br />
hätte man Sie ja gefunden.<br />
Ich wünsche Ihnen noch<br />
einen angenehmen Promotionstag.<br />
WALTZ: Ich danke Ihnen,<br />
mal sehen, ob wir hier<br />
heute noch promovieren.<br />
<strong>Interview</strong> LAURA EWERT<br />
„SIND SIE<br />
NOSTALGISCH?”<br />
Fassbinder, Warhol,<br />
ULLI LOMMEL: das<br />
Leben des Filmemachers<br />
als Theaterstück<br />
INTERVIEW: Herr<br />
Lommel, Sie sind<br />
zu rück in Ihrer<br />
alten Heimat!<br />
ULLI LOMMEL: Ich<br />
habe meine Teenagerjahre<br />
in Berlin<br />
verbracht, aber seitdem<br />
war ich immer<br />
nur ein paar Tage<br />
hier. Ich kann noch<br />
gar nichts zur Stadt<br />
sagen. Ich bin gespannt!<br />
Ich habe<br />
jetzt 35 Jahre Los<br />
Angeles in mir.<br />
Da schlafen bestimmte<br />
Dinge ein, weil sie nicht gebraucht werden.<br />
Und andere Dinge, Glamour oder Small Talk, werden<br />
ständig abgerufen.<br />
INTERVIEW: Haben Sie sich noch nicht umgeschaut?<br />
LOMMEL: Doch! Ich habe in einem Antiquariat in<br />
Schöneberg eine <strong>Interview</strong>-Ausgabe von 1979 mit einer<br />
Geschichte über mich gefunden. <strong>Die</strong> hieß The<br />
Americanization of Ulli. Das Foto ist toll.<br />
INTERVIEW: Damals lebten Sie in New York, haben<br />
mit Andy Warhol gefeiert und gearbeitet.<br />
LOMMEL: Ich kann seitdem nicht mehr ausgehen.<br />
<strong>Die</strong> drei Jahre waren unschlagbar. Seitdem ist jede<br />
Party drittklassig. Heute deprimieren mich solche<br />
Ansammlungen von Menschen. Mich bekommt in<br />
meinem Leben keiner mehr auf eine Party. Deswegen<br />
weiß ich nicht genau, ob das jetzt so toll war.<br />
INTERVIEW: Treffen Sie Ihre alten Freunde noch?<br />
LOMMEL: Nein! <strong>Die</strong> sehen heute so anders aus als<br />
damals. Das ist nicht so schön. Bianca Jagger schaue<br />
ich mir lieber auf alten Bildern an. <strong>Die</strong> sieht nicht<br />
mehr so gut aus.<br />
INTERVIEW: Sind Sie nostalgisch?<br />
LOMMEL: Ich mag Nostalgie.<br />
INTERVIEW: Haben Sie keine Angst davor, im Gestern<br />
stecken zu bleiben?<br />
LOMMEL: Ich lebe ja in Los Angeles, und mehr Gegenwart<br />
als Los Angeles geht gar nicht.<br />
INTERVIEW: Neben Andy Warhol war Fassbinder in<br />
Ihrem Leben eine prägende Persönlichkeit.<br />
LOMMEL: Mit dem bin ich durch. Das interessiert<br />
mich nicht mehr. <strong>Die</strong> Phase habe ich aufgearbeitet.<br />
INTERVIEW: Jetzt inszenieren Sie Ihre Autobiografie<br />
an der Volksbühne in Berlin.<br />
LOMMEL: Mein Buch ist nur der Ausgangspunkt,<br />
mal sehen, wo uns das hinführt. Aber es wird schon<br />
auch um die Zeit mit Warhol gehen.<br />
<strong>Interview</strong> NINA SCHOLZ<br />
LOMMEL 1979 IN INTERVIEW<br />
ULLI LOMMELS FUCKING LIBERTY! STARTET<br />
AM 17. JANUAR IN DER VOLKSBÜHNE BERLIN<br />
Fotos: Sony Pictures (3), Barry McKinley für INTERVIEW Mai 1979<br />
Carsten Nicolai, unidisplay, 2012, Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig / Berlin<br />
und The Pace Gallery, New York<br />
Form: Surface<br />
Carsten Nicolai<br />
unidisplay<br />
uni(psycho)acoustic<br />
26.1.—<br />
5.5.2013<br />
DJANGO UNCHAINED<br />
STARTET AM 17. JANUAR
people<br />
Naomi<br />
Campbell<br />
trifft<br />
imaN<br />
Sie ist die Frau, die<br />
alles bekommt, die Frau,<br />
der man alles gönnt:<br />
die Titelseiten dieser<br />
Welt, ein florierendes<br />
Kosmetikunternehmen,<br />
David bowie. Und<br />
eine Schönheit, die nicht<br />
von dieser Welt ist.<br />
Naomi Campbell sprach<br />
mit imaN mohameD<br />
abDUlmajiD<br />
über ihren Kampf für<br />
die Gleichberechtigung<br />
schwarzer Frauen, den<br />
verregneten hochzeitstag<br />
in der Toskana und<br />
Daddy bowie<br />
porTrÄT<br />
miChAel AveDoN<br />
Naomi & imaN, im Dezember 2012<br />
Ein Gespräch mit Iman ist nicht so leicht zu haben.<br />
Obwohl sie weltberühmt ist, schützt sie ihre Privatsphäre<br />
und hat sich so die Aura des Geheimnisvollen<br />
bewahrt.<br />
Bei all ihrer Bescheidenheit ist sie eine der einflussreichsten<br />
Personen der Modewelt, insbesondere<br />
natürlich für farbige Frauen. Sie hat den Weg für eine<br />
ganze Generation schwarzer Models geebnet. Unsichtbare<br />
Schranken hat sie niedergerissen, nicht zuletzt<br />
mit ihrem legendären Werbespot für den Cognac<br />
Tía María. <strong>Die</strong>se Werbung hat alles verändert.<br />
Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms hat sie alle verblüfft,<br />
indem sie ihre eigene Kosmetiklinie auf den<br />
Markt brachte. Und als Unternehmerin war sie genauso<br />
geschickt wie als Fotomodell. Bald war sie im<br />
Wirtschaftsteil der Zeitungen ebenso heimisch wie im<br />
Stilressort. Als sie 1992 David Bowie heiratete, wurde<br />
sie endgültig zur Legende.<br />
Obwohl ich sie schon wahnsinnig lange kenne,<br />
war es eine Ehre für mich, mit Iman über ihr außergewöhnliches<br />
Leben sprechen zu dürfen. Das war ein<br />
Nachmittag, den ich nicht so schnell vergessen werde.<br />
34<br />
Naomi Campbell: Iman, du bist in Somalia aufgewachsen.<br />
Verbindet dich heute noch viel mit dem<br />
Land deiner Eltern?<br />
imaN mohameD abDulmajiD: Nicht wirklich.<br />
Meine ganze Familie lebt seit mehr als 20 Jahren in<br />
Amerika, und Somalia ist heute nicht mehr das Land<br />
meiner Kindheit. Das ist ziemlich traurig, da meine<br />
Eltern eigentlich dort begraben werden wollen. Egal<br />
wie viel Geld ich jemals verdiene, diesen Wunsch<br />
werde ich ihnen nicht erfüllen können.<br />
Naomi: Wie bist du aufgewachsen?<br />
imaN: Wir hatten wenig Geld, aber wir waren<br />
nicht arm. Das Leben änderte sich später, als mein Vater<br />
Diplomat wurde.<br />
Naomi: Bist du mit ihm gereist?<br />
imaN: Schon, allerdings boten damals Länder wie<br />
der Sudan und SaudiArabien keine ausreichenden<br />
Bildungsmöglichkeiten für Mädchen. Deswegen besuchte<br />
ich eine Schule in Ägypten. An langen Wochenenden<br />
flogen wir dann nach Beirut, ins Paris des<br />
Mittleren Ostens.<br />
Naomi: Welchen Einfluss hatte deine Mutter auf<br />
dich?<br />
imaN: Na ja, ich bin in einem muslimischen Land<br />
aufgewachsen. Dort gelten Jungs in der Regel mehr<br />
als Mädchen – das akzeptierte meine Mutter nicht. Sie<br />
gab mir immer das Gefühl, dass ich jedwede Dinge<br />
mindestens so gut, wenn nicht besser kann als die<br />
Jungs. Ihr war es wichtig, dass ich mich nicht unter<br />
Wert verkaufe, mich nicht mit weniger zufriedengebe.<br />
Sie sagte immer: „Iman, Nein ist ein vollständiger<br />
Satz. Lerne Nein zu sagen.“ Als ich 1975 nach<br />
Amerika kam und zum ersten Mal hörte, das schwarze<br />
Models weniger verdienen als weiße, schmerzte es<br />
sehr. Deshalb lautete meine erste Ansage: Ich mach<br />
den Job nicht, wenn ich auch nur einen Cent weniger<br />
bekomme.<br />
Naomi: Ja, das war dein Verdienst!<br />
imaN: Ich folge einem ganz einfachen Grundsatz:<br />
Geh, wenn eine Sache nicht gut für dich ist. Man darf<br />
keine Angst davor haben zu gehen.<br />
Naomi: Du bist seit 20 Jahren mit David Bowie<br />
verheiratet. Was ist das Geheimnis einer glücklichen<br />
Ehe?<br />
imaN: Man muss sich toll finden, den anderen begehren,<br />
sich respektieren. Das ist die Grundlage. Darüber<br />
hinaus haben wir entschieden, dass wir Presse,<br />
Journalisten, all das, nicht bei uns zu Hause haben<br />
wollen. Privates und Öffentliches trennen wir sehr genau.<br />
Es ist einfach schwer, jemals Ruhe zu finden,<br />
wenn man einmal die Tür zu weit öffnet. Abgesehen<br />
davon amüsieren wir uns sehr zu zweit. David ist ein<br />
echter Gentleman, sehr englisch auf eine Art.<br />
Naomi: Eure Hochzeit in der Toskana soll sehr<br />
romantisch gewesen sein …<br />
imaN: … es hat geregnet!<br />
Naomi: Das soll ja Glück bringen.<br />
imaN: Aber man will dennoch nicht, dass es am<br />
Hochzeitstag regnet – und man alles nach Innen verlegen<br />
muss. <strong>Die</strong> Italiener sagten: „Oh, beschwer dich<br />
nicht, du wirst 50 Jahre verheiratet sein, du wirst sehr<br />
glücklich sein!“ Und damit hatten sie recht.<br />
Naomi: Iman, du warst das erste schwarze Model<br />
auf dem Cover der Vogue …<br />
imaN: … nein, das war Beverly Johnson.<br />
Naomi: Ach, stimmt, okay, das zweite. Dafür hast<br />
du uns allen geholfen: mir, Tyra, Jourdan Dunn …<br />
imaN: Mir haben Naomi Sims und Beverly Johnson<br />
geholfen.<br />
Naomi: Und Donyale Luna.<br />
Foto (rechte Seite): Bruce Weber/South Africa/Iman’s private archive<br />
Iman: Ganz genau. Beverly hat die Tür zu den<br />
Editorials für uns geöffnet, ich wollte das, was ich gerne<br />
als Kriegsbeute bezeichne, ich wollte die Kampagnen,<br />
die Anzeigen, das große Geld.<br />
naomI: Das hast du auch bekommen!<br />
Iman: Ja, habe ich.<br />
naomI: So habe ich dich auch erstmals gesehen:<br />
nicht in irgendeinem Editorial, sondern in Anzeigenkampagnen.<br />
Du wurdest von Pete Beard entdeckt, einem<br />
amerikanischen Fotografen. Kannst du die Geschichte<br />
kurz erzählen, obwohl du sie wahrscheinlich<br />
schon sehr oft erzählt hast?<br />
Iman: Ja, ganz kurz.<br />
naomI: Schieß los!<br />
Iman: Ich war in Nairobi auf dem Weg zur Uni,<br />
als er mich auf der Straße angehalten hat und fragte,<br />
ob ich jemals fotografiert worden sei. Und ich dachte<br />
nur: Äh, wieso denken eigentlich immer alle Leute,<br />
dass es in Afrika keine Kameras gibt?<br />
naomI: Haha.<br />
Iman: Und ich sagte: „Natürlich bin ich schon<br />
fotografiert worden.“ Und er darauf: „Von wem?“<br />
Und ich: „Meinen Eltern.“ Und er dann: „Professionell?“<br />
Und ich dachte, dass er wie ein Typ vom Playboy<br />
daherredet – so wie ihn stellte ich mir die Leute vom<br />
Playboy nämlich vor. Also sagte ich: „Ich bin nicht diese<br />
Sorte Mädchen.“<br />
naomI: Haha.<br />
Iman: Später gehörte ich dann aber doch zu diesen<br />
Mädchen, weil Richard Avedon mir meine Sachen<br />
ausgezogen hat. Jedenfalls meinte Pete Beard, dass er<br />
mich gern fotografieren würde. Aber ich tat so, als<br />
würde ich ihn gar nicht hören, und ging einfach weiter.<br />
naomI: Er war ein hübscher Mann, nicht wahr?<br />
Iman: Oh, er ist es immer noch … Nachdem ich<br />
abgelehnt hatte und einfach weiterging, meinte er:<br />
„Ich zahle auch dafür!“ Und ich sagte: „Was? Wie<br />
viel?“ – Ich hatte damals nämlich überhaupt kein<br />
Geld, und die Studiengebühren waren fällig. Peter<br />
fragte: „Wie viel Geld willst du denn haben?“ „8 000“,<br />
antwortete ich, das war in etwa der Betrag, den man<br />
für ein einjähriges Stipendium bekam. Und er sagte:<br />
„8 000 Dollar? Okay!“<br />
naomI: Cleveres Mädchen!<br />
Iman: Natürlich dachte ich, dass die Sache damit<br />
erledigt sei und ich ihn nie wieder sehen würde. Aber<br />
dann kontaktierte er mich über einen Freund. Er ließ<br />
mir ausrichten, dass ich am nächsten Tag irgendwo zu<br />
erscheinen habe. Dann hatte ich jemanden von der<br />
Modelagentur am Telefon: „Oh, du musst nach New<br />
York kommen, um eine Karriere als Model zu machen,<br />
bla, bla, bla“ – dabei hatte ich damals noch nie<br />
ein Modemagazin gesehen. Also sagte ich: „Ja, aber<br />
nur, wenn ihr mir das Rückflugticket bezahlt.“<br />
naomI: Na klar!<br />
Iman: Außerdem brauchte ich für die Reise die<br />
Einwilligung meiner Mutter, ich war nämlich noch zu<br />
jung. Ich hab dann meine Papiere gefälscht.<br />
naomI: Hast du nicht!<br />
Iman: Doch, hab ich, laut meinen Papieren war<br />
ich 19.<br />
naomI: Und wie alt warst du wirklich?<br />
Iman: Nicht einmal 18.<br />
naomI: Also 17.<br />
Iman: 17 und ein bisschen.<br />
naomI: Du Fuchs!<br />
Iman: Natürlich flog die Sache binnen einer Woche<br />
direkt auf, weil meine Fotos plötzlich in Newsweek<br />
abgebildet waren. Mein Vater sah die Ausgabe der<br />
Zeitschrift zu Hause in Afrika und fragte: „Wo ist sie?!<br />
“<br />
dIe Frau, dIe vom HImmel FIel<br />
Ich wollte das,<br />
was ich gerne als<br />
Kriegsbeute bezeichne,<br />
ich wollte die Kampagnen,<br />
die Anzeigen,<br />
das große Geld<br />
35<br />
”– Iman<br />
In New York? Wer hat ihr das erlaubt?“ Seitdem lebe<br />
ich hier.<br />
naomI: Hast du Ärger bekommen?<br />
Iman: Ziemlich!<br />
naomI: Sehr gut! Den hast du verdient.<br />
Iman: So fing es jedenfalls an. Meinen ersten Job<br />
an meinem dritten Tag in New York hatte ich mit Arthur<br />
Elgort für die amerikanische Vogue.<br />
naomI: Du hast von Anfang an Geschichte geschrieben!<br />
Und trotzdem hast du vor mehr als 20 Jahren<br />
aufgehört zu modeln.<br />
Iman: Weißt du eigentlich, seit wann ich bei keiner<br />
Fashion Show mehr war? Seit 1989!<br />
naomI: Als Model oder als Gast?<br />
Iman: <strong>Die</strong> einzige, bei der ich war, ist die deiner<br />
Stiftung!<br />
naomI: Leute, habt ihr das gehört? <strong>Die</strong> einzige
Fashion Show, bei der Iman seit 1989 als Gast aufgetaucht<br />
ist, war Fashion for Relief 2005 zugunsten der<br />
Opfer von Hurrikan Katrina. Tausend Dank, dass du<br />
da warst.<br />
Naomi: Hast du eigentlich irgendwelche neuen<br />
Lieblingsdesigner?<br />
imaN: Klar. Eine ganze Menge. Alexander Wang,<br />
Prabal, Joseph Altuzarra – und Jason Wu. Tut mir leid<br />
für Oscar de la Renta, aber das ist der neue Oscar de<br />
la Renta. Er ist das neue Blut. <strong>Die</strong> neue Zeit.<br />
Naomi: Deine Firma Iman Cosmetics ist weltweit<br />
erfolgreich. Ich jedenfalls tue keinen Schritt<br />
ohne deinen Lippenstift. Wie hast du das geschafft?<br />
imaN: <strong>Die</strong> Idee kam mir am allerersten Tag als<br />
Model. Ich wurde von Arthur Elgort für die amerikanische<br />
Vogue fotografiert. Der MakeupArtist, seinen<br />
Namen habe ich leider vergessen, sagte zu mir:<br />
„Hast du deine eigene Foundation dabei? Ich habe<br />
nämlich nichts für dich.“ <strong>Die</strong> Frage stellte er dem<br />
anderen Mädchen nicht. Und ich hatte in meinem<br />
Leben noch nie Makeup gesehen. Er mixte dann irgendwas<br />
zusammen, und meine Haut sah anschließend<br />
grau aus.<br />
Naomi: Das ist so eine Frechheit! Ist mir auch<br />
schon passiert.<br />
imaN: Als Model ist dein Bild deine Währung. Es<br />
ist das Einzige, was du hast. Niemanden interessiert<br />
es, wie du in Wirklichkeit aussiehst. Und hinterher<br />
würde niemand sagen, das der MakeupTyp ein Idiot<br />
war. Sie würden sagen, dass du schrecklich aussahst,<br />
und dich nicht wieder buchen. Deswegen habe ich<br />
meine eigene MakeupLinie gegründet. Ich bin in<br />
New York durch die Läden gezogen, habe alle Foundations<br />
gekauft, die ich finden konnte. <strong>Die</strong> habe ich<br />
zusammengemixt und Polaroids von mir selbst gemacht,<br />
bis ich die richtige Mischung hatte. Ich habe<br />
das also vor 20 Jahren erfunden. Und der Laden gehört<br />
immer noch mir.<br />
Naomi: Du hast für die BBC einen Dokumentarfilm<br />
über das Leid in Somalia gedreht. Der Film wurde<br />
im Weißen Haus gezeigt, damit die Amerikaner die<br />
Situation besser verstehen.<br />
imaN: Und daraufhin haben sie ihre Truppen losgeschickt.<br />
Naomi: Meinst du, das hat was gebracht?<br />
imaN: Auf jeden Fall. <strong>Die</strong> Armee hat Nahrung ins<br />
Land gebracht. War es befreiend? Nein. Aber es hat<br />
ein Kapitel abgeschlossen. Als ich dort war, fuhr ich<br />
zu meiner alten Schule und zu unserem alten Zuhause,<br />
das ich mitten in der Nacht verlassen hatte, als wir<br />
nach Kenia gezogen sind. Für den Film folgte ich den<br />
Lastwagen, die jeden Morgen die Toten einsammelten,<br />
weil die Leute sie vor die Häuser legten. Endlose<br />
Häuserreihen mit Leichen davor. Als ich zurück in die<br />
Schweiz kam, wo David und ich damals noch lebten,<br />
hatte ich meine Stimme verloren. Der Arzt meinte, es<br />
sei der Schock. Ich konnte auch zwei Wochen nicht<br />
liegen. Aber der Film war mir wichtig, und ich bin<br />
stolz drauf.<br />
Naomi: In den Neunzigern hast du Nelson Mandela<br />
getroffen, als du für die amerikanische Vogue in<br />
Kapstadt warst. Wie fühlte es sich an, diesen Mann<br />
kennenzulernen?<br />
imaN: Ich schwebte auf Wolken. Gott sei Dank<br />
war Bruce Weber schnell genug, uns zu fotografieren.<br />
Es war das erste und einzige Mal, dass David und ich<br />
gemeinsam in einer Fotoproduktion waren. Wir sind<br />
damals nach Südafrika gefahren, weil sich das Land<br />
gerade öffnete und um die „Rainbow Nation“ von<br />
Nelson Mandela zu ehren. Wir blieben einen ganzen<br />
“<br />
people/Naomi Campbell<br />
Bewaffnete<br />
Gruppen verdienen<br />
Hunderte Millionen<br />
Dollar jedes Jahr<br />
mit dem Handel der<br />
vier wichtigsten<br />
Mineralien. Mit dem<br />
Geld kaufen sie Waffen<br />
und terrorisieren die<br />
Zivilbevölkerung<br />
36<br />
”<br />
– Iman<br />
Monat da und trafen Miriam Makeba, den Künstler<br />
Beezy Bailey, den Musiker Hugh Masekela, Desmond<br />
Tutu. Ein wahnsinniger Trip.<br />
Naomi: Du bist Botschafterin von Raise Hope<br />
for Congo. Kannst du mir was darüber erzählen?<br />
imaN: Im Osten des Kongo gibt es große Rohstoffvorkommen,<br />
mit denen verschiedene Söldnertruppen<br />
finanziert werden. Viele von denen benutzen<br />
Massenvergewaltigungen als Strategie, um die Bevölkerung<br />
einzuschüchtern und die Kontrolle über die<br />
Minen und die Handelsstraßen zu behalten. Der Bürgerkrieg<br />
dort ist der schlimmste Konflikt seit dem<br />
Zweiten Weltkrieg. Bewaffnete Gruppen verdienen<br />
Hunderte Millionen Dollar jedes Jahr mit dem Handel<br />
der vier wichtigsten Mineralien: Zink, Tantalum,<br />
Wolfram und Gold. Mit dem Geld kauft die Miliz<br />
Unmengen von Waffen und terrorisiert die Zivilbevölkerung.<br />
<strong>Die</strong> schlimmsten Verbrechen geschehen<br />
rund um die Minen. Das Problem ist, dass diese Mineralien<br />
für die Produktion von elektronischen Geräten<br />
wie Mobiltelefonen und Computern gebraucht<br />
werden. <strong>Die</strong> Herkunft von Rohstoffen ist oft nicht<br />
bekannt. Westliche Konsumenten können nie ausschließen,<br />
dass sie bewaffnete Milizen in Afrika indirekt<br />
unterstützen.<br />
Naomi: Du bist sehr aktiv auf Twitter. Was sind<br />
deine Erfahrungen damit? Bringt es dir was?<br />
imaN: Wenn ich David erwähne, kriege ich sofort<br />
tausend Antworten. Wenn ich über mein Business<br />
tweete, nur ein paar. Je persönlicher man wird, desto<br />
besser.<br />
Naomi: Eure Tochter Lexi ist fast schon ein<br />
Teenager – wie muss man sich David als Vater vorstellen?<br />
imaN: Er ist der Sensible, der Lustige und übernimmt<br />
den entspannteren Part. Ich bin eher die<br />
Strenge!<br />
Naomi: Verrätst du uns, welcher dein liebster<br />
Song von David ist?<br />
imaN: Heroes – und das gesamte Album Heathen.<br />
Naomi: Du bist mit einem der großartigsten Musiker<br />
aller Zeiten verheiratet. Gibt es, abgesehen von<br />
Davids Werk, Musik, die du gerne hörst?<br />
imaN: Bon Iver, JayZ, Kanye West … und Adele.<br />
Naomi: Leihst du dir manchmal seine Klamotten?<br />
imaN: Nein! Honey, ich habe Hüften! <strong>Die</strong> würden<br />
niemals passen!<br />
Naomi: Was ist das schönste Geschenk, das dir<br />
deine Kinder jemals gemacht haben?<br />
imaN: Armbänder aus Nudeln, die sie selbst gebastelt<br />
haben.<br />
Naomi: David malt gerne zur Entspannung –<br />
welches Hobby hast du?<br />
imaN: Ich sticke!<br />
raisehopeforcoNgo.org<br />
imaNcosmetics.com<br />
imaNhome.com<br />
Foto (rechte Seite): Iman’s private archive
SUPERSTAR<br />
SUPERSTAR<br />
LESLIE<br />
CLIO<br />
MATTHIAS<br />
SCHOENAERTS<br />
VOM TRESEN<br />
AUF DIE<br />
GROSSE BÜHNE:<br />
SINGT HIER DIE<br />
DEUTSCHE ADELE?<br />
ENDLICH<br />
MAL WIEDER<br />
EIN JUNGER<br />
ROBERT DE NIRO<br />
Jacke MAZINE, T-Shirt LOOKY LOOKY<br />
BOXT BIS ZUM OSCAR: MATTHIAS SCHOENAERTS<br />
Sie steht auf dem Tresen einer überfüllten<br />
Berliner Weinbar, singend, vor einer Horde<br />
selbst ernannter Sommeliers. Der Laden ist<br />
voll, die Leute sind es eigentlich auch. Der<br />
jungen Frau, die da gerade mit einem Kabel hantiert,<br />
schenken sie kaum Beachtung. „Hallo, ich bin Leslie<br />
Clio“, sagt sie knapp ins Mikrofon. Dann fängt sie an<br />
zu singen, Tyrone von Erykah Badu. <strong>Die</strong> Menschen<br />
drehen sich zu ihr um, sind erstaunt über die Stimme,<br />
die plötzlich aus dieser zierlichen Person herauskommt<br />
und den Raum einnimmt. Bis gerade eben<br />
wirkte sie noch etwas schüchtern.<br />
Ein gutes Jahr später findet sich die 26-Jährige auf<br />
einer richtigen Bühne wieder. Das Publikum ist ein<br />
anderes, vor allem sind da jetzt viel mehr Leute. Leslie<br />
und ihre Band treten als Vorgruppe von Joss Stone<br />
auf. An diesem Abend singt sie ihre eigenen Songs. In<br />
denen geht es nicht um Tyrone, sondern zum Beispiel<br />
um Francesca. „You said forget about Francesca, you’ll<br />
always reign supreme“, lautet die erste Zeile ihrer<br />
Single Told You So, die seit dem Herbst in den Radios<br />
gespielt wird. Mittlerweile wurde der dazugehörige<br />
Clip bei YouTube über eine Million Mal angeklickt.<br />
Selbstverständlich ist die Hamburgerin über zeugt<br />
von ihrem Können. „Aber wenn das mit dem Singen<br />
nichts wird, werd ich eben Gärtnerin. Ich kann mich<br />
für viele Sachen begeistern.“ Kurz darauf unterschreibt<br />
sie ihren Plattenvertrag. Ihr Debüt album erscheint<br />
im Februar. In Anlehnung an Jeff Buckleys<br />
Album Grace soll es den Namen Gladys tragen. „Zwischenzeitlich<br />
wollte ich es noch ‚Greatest Hits‘ nennen“,<br />
sagt sie und lacht.<br />
38<br />
Und was tut Leslie am liebsten? „Schreiben, ständig.“<br />
Wenn es nicht Songs sind, dann denkt sie sich<br />
Namen für ihre Liste potenzieller Kinder (Polly Cracker)<br />
oder fiktiver Figuren (Imogen Tonic) aus. Oder<br />
sie fantasiert Kollaborationen zusammen, auf die man<br />
seit Jahren vergeblich wartet. „50 Cent feat. Arielle“<br />
zum Beispiel.<br />
Zurzeit scheint sie allerdings mit ganz anderen<br />
Dingen beschäftigt zu sein: „Erwache gerade aus meinem<br />
Jetlag. Es ist neun Uhr morgens in L. A., ich bin<br />
direkt in Hollywood. Springe jetzt in meine Hosen<br />
und ab auf Safari!“ – So lautet ihr bislang letztes Lebenszeichen.<br />
Von KATHARINA BÖHM<br />
Foto BELLA LIEBERBERG<br />
Styling ALEXANDRA HECKEL<br />
Haare & Make-up EWA CERVENA<br />
Foto: CapFSD/face to face<br />
39<br />
Matthias Schoenaerts muss ein talentierter<br />
Schauspieler sein. Denn der 35-Jährige,<br />
der da zum <strong>Interview</strong> erscheint,<br />
hat nichts mit diesen bulligen, massiven<br />
und körperlich einschüchternden Typen gemein, die<br />
er in seinen letzten beiden Filmen gespielt hat. In Der<br />
Geschmack von Rost und Knochen (im Kino) etwa spielt<br />
Schoenaerts an der Seite von Marion Cotillard den<br />
Faustkämpfer Ali, der durchs Leben driftet, bis er unerwartet<br />
das Sorgerecht für seinen fünfjährigen Sohn<br />
bekommt. Eine gute Rolle für Schoenaerts: Der Film<br />
lief im Wettbewerb von Cannes und wurde gleich als<br />
Oscarkandidat gehandelt.<br />
Der gebürtige Belgier, der immer noch in Antwerpen<br />
lebt, kommt aus einer Schauspielerfamilie und<br />
dreht, seit er 15 Jahre alt ist, eigentlich ununterbrochen.<br />
Doch erst seit einem Jahr erkennt man ihn auch<br />
im Ausland. Und das lag vor allem an Bullhead.<br />
Schoenaerts spielte in diesem Film den Sohn flämischer<br />
Bullenzüchter, Jacky, der seit frühester Kindheit<br />
mit Testosteron gedopt wird. Für den Film nahm er<br />
imposante 30 Kilogramm Körpermasse zu. Mit Erfolg,<br />
im Jahr 2012 war der Film bei den Oscars als<br />
bester ausländischer Beitrag nominiert und spielte in<br />
Belgien Rekordergebnisse ein. „Auf einmal kannte<br />
man meinen Namen, jeder wollte mit mir drehen.“<br />
Der französische Regisseur Jacques Audiard (Ein Prophet)<br />
hatte für seinen neuen Film einen Laienboxer<br />
gesucht, sah Schoenaerts in der Rolle des massigen<br />
Jacky und entschied sich sofort für ihn.<br />
Seinen Körper musste Schoenaerts wieder einmal<br />
verändern: „Jacques wollte, dass ich aussehe wie jemand,<br />
der mal fit war und sich schon lange nicht<br />
mehr um sich selber kümmert.“ Hatte er für Bullhead<br />
eineinhalb Jahre lang Gewichte gehoben, pendelte er<br />
nun zwischen Boxring und Fast-Food-Restaurants<br />
hin und her.<br />
Seit Schoenaerts mit Jacques Audiard und Marion<br />
Cotillard gedreht hat, wird er ständig gefragt, ob er<br />
nicht „großen Druck“ verspüre. „Solche Gefühle darf<br />
man gar nicht erst zulassen.“ Nun heißt es, er werde<br />
als Nächstes nach Amerika gehen. „Was kommt, das<br />
kommt“, sagt er dazu nur. <strong>Die</strong> Nerven dafür hat er<br />
jedenfalls. Das Talent sowieso.<br />
Von NINA SCHOLZ
PEOPLE<br />
SPIELBERG<br />
& DAY-LEWIS<br />
S<br />
Seit jeher bemüht sich Hollywood<br />
um Mythenbildung, am liebsten,<br />
wenn es um amerikanische<br />
Geschichte geht. Da wurde es<br />
auch langsam Zeit, dass sich<br />
jemand um Abraham Lincoln<br />
kümmert Gespielt wird der 16. Präsident<br />
der USA von Daniel DAY-LEWIS<br />
(spezialisiert auf imposante Männerfiguren)<br />
Regie führt Steven SPIELBERG<br />
(spezialisiert auf ganz große Gefühle). Mehr<br />
geht nicht? Doch! Mindestens ein Oscar<br />
von<br />
Alexa KAROLINSKI<br />
Daniel Day-lewis als<br />
abraham lincoln,<br />
Der nicht nur reiten,<br />
sonDern auch<br />
reDen konnte.<br />
immer wieDer gern<br />
zitiert: „wer wirD<br />
schon mitten<br />
im fluss Das PferD<br />
wechseln?”<br />
ALEXA KAROLINSKI: Ich habe mir gestern Ihren Film<br />
ansehen können …<br />
DANIEL DAY-LEWIS: Ein schönes Aufnahmegerät<br />
haben Sie da. Ziemlich beeindruckend.<br />
KAROLINSKI: Wie aus einem Science-Fiction-<br />
Film, nicht wahr?<br />
STEVEN SPIELBERG: Es sieht aus wie eine große<br />
Batterie.<br />
DAY-LEWIS: Was macht man damit? Industriespionage?<br />
KAROLINSKI: Ich würde eher sagen, Low-Budget-<br />
Filme. Jedenfalls habe ich mir gestern Ihren Film angesehen,<br />
aber nicht in einer Sondervorführung, sondern<br />
ganz regulär mit Publikum.<br />
SPIELBERG: Sehr gut. So muss man sich einen<br />
Film ansehen, mit Publikum.<br />
DAY-LEWIS: Und wie war es? Ich hoffe, gut.<br />
KAROLINSKI: Nun, da Lincoln keine Komödie ist,<br />
kann ich schlecht die Anzahl der Lacher als Maßstab<br />
nehmen, aber was man schon gleich zu Beginn des<br />
Films realisiert, ist, dass die Republikaner und Demokraten<br />
von damals so gar nicht dem Bild entsprechen,<br />
das man heute von ihnen hat – mir war das neu, weshalb<br />
ich mir auch ein bisschen dumm vorkam.<br />
SPIELBERG: Ja, die waren damals ganz anders,<br />
vollkommen anders.<br />
KAROLINSKI: Offenbar war ich nicht die Einzige,<br />
der das neu war, denn ich hörte plötzlich Leute im<br />
Publikum tuscheln: „Was? Ach, wirklich? Was hat das<br />
zu bedeuten?“<br />
SPIELBERG: Ah, das ist interessant …<br />
KAROLINSKI: Nun bin ich keine Amerikanerin,<br />
was keine Entschuldigung für meine Ahnungslosigkeit<br />
sein soll, aber es hat mich doch überrascht, dass<br />
das in dem langen Wahlkampf, den das Land hinter<br />
sich hat, nie Thema war. Dabei wurde in den Medien<br />
eigentlich jedes noch so kleine politische Detail immer<br />
wieder und wieder durchgekaut.<br />
SPIELBERG: Ja, die Republikaner waren die Partei<br />
der Abolitionisten, also für die Aufhebung der Sklaverei.<br />
Sie waren die progressive Partei. <strong>Die</strong> Demokraten<br />
hingegen waren die Konservativen. Wie Demokraten<br />
und Republikaner quasi die Rollen getauscht haben,<br />
ist eine ziemlich lange, langweilige und auch relativ<br />
komplizierte Geschichte. Das Wissen darüber ist heute<br />
nicht mehr so präsent. Andererseits kann ein Film<br />
nicht jedes historische Detail erklären. Wir dachten<br />
also, dass es eine Art Erweckung für das Publikum sei,<br />
wenn wir zeigen, dass die Parteien damals das Gegenteil<br />
von dem waren, was sie heute sind. Wir hofften,<br />
dass es auf die Geschichte neugierig machen würde.<br />
KAROLINSKI: In der ersten Szene des Films wirkt<br />
Lincoln wie ein Dokumentarfilm. Wenn der Soldat zu<br />
Lincoln spricht, sieht es zunächst so aus, als würde<br />
Fotos: Getty Images; 2012 Twentieth Century Fox<br />
40
jemand interviewt werden, für eine Dokumentation<br />
vielleicht oder eine Nachrichtensendung. Oder liege<br />
ich da falsch?<br />
Spielberg: Nein, nein, überhaupt nicht. Ich mag<br />
solche Interpretationen. <strong>Die</strong> sind wichtig, und ich will<br />
Ihnen diesen Eindruck auf keinen Fall nehmen. Wenn<br />
man darin etwas Dokumentarisches sieht, ist das für<br />
mich ein großes Kompliment. Es bedeutet ja, dass Sie<br />
die Inszenierung für derart authentisch halten, dass<br />
sie Sie zumindest bis zu einem gewissen Grad an etwas<br />
erinnert, was außerhalb des Kinos existiert.<br />
KarolinSKi: Wenn die Kamera dann langsam zurückfährt<br />
und Lincoln ins Bild rückt, merkt man, dass<br />
es Lincoln ist, mit dem der Soldat spricht. Das war<br />
der Moment, in dem der Film für mich richtig anfing,<br />
vorher war ich mir nicht so sicher, was … Ich kannte<br />
die Rede vorher auch nicht.<br />
Spielberg: Sie meinen die Gettysburg-Rede,<br />
nicht wahr?<br />
KarolinSKi: Ja, gleich die erste Szene.<br />
Spielberg: <strong>Die</strong> Rede ist ein wunderbares Stück<br />
Prosa. Denn Lincoln war nicht nur ein großer Politiker,<br />
sondern auch ein großer amerikanischer Autor.<br />
KarolinSKi: Wussten das die Soldaten, zu denen<br />
er sprach?<br />
porträts nino Muñoz<br />
“<br />
<strong>Die</strong> Republikaner<br />
waren für die Aufhebung<br />
der Sklaverei.<br />
Sie waren die<br />
pro gressive Partei.<br />
<strong>Die</strong> Demokraten<br />
hingegen waren die<br />
Konser vativen<br />
”<br />
– Steven Spielberg<br />
42<br />
Spielberg: Manche dürften es gewusst haben,<br />
denke ich. Oder was sagst du, Daniel?<br />
Day-lewiS: Zumindest gehörte es damals für jeden,<br />
der ein öffentliches Amt bekleidete, zum Alltag,<br />
vor Publikum Reden zu halten. Das war Teil des Jobs,<br />
entweder im Wahlkampf oder zu den üblichen Anlässen.<br />
Öffentliches Reden war eine Form der Unterhaltung.<br />
Jeder Politiker musste auch Rhetoriker sein.<br />
Manche von ihnen waren sogar extrem begabte Rhetoriker.<br />
Zum Beispiel der Mann, der vor Lincoln in Gettysburg<br />
sprach, ich glaube, er hieß Everett. Wenn ich<br />
mich nicht irre, war er der Direktor von Harvard. Er<br />
war der Hauptredner und einer der bekanntesten Rhetoriker<br />
des Landes. Angeblich soll seine Rede mehrere<br />
Stunden gedauert haben, und er hatte kein Manuskript<br />
(lacht). Sie haben tatsächlich ohne Notizen gesprochen.<br />
Spielberg: Und das zu Tausenden von Leuten.<br />
Day-lewiS: Dabei hat man Lincoln erst im letzten<br />
Moment eingeladen, ganz nach dem Motto: „Hm,<br />
vielleicht würde es nicht schaden, auch den Präsidenten<br />
dabeizuhaben.“ Also hat er sich in den Zug gesetzt<br />
und auf dem Weg nach Gettysburg ein paar Zeilen<br />
geschrieben. Dann stand er auf, fing an zu reden, und<br />
dann war es vorbei. Ich glaube, es dauerte …<br />
Spielberg: Es dauerte drei Minuten.<br />
Day-lewiS: Oder sogar noch kürzer. Viele Leute<br />
haben automatisch gedacht: Was war denn das? Sie<br />
hielten die Rede auch für nicht besonders wichtig,<br />
weil sie ja so kurz war. Andere Leute jedoch, und dazu<br />
zählte auch der Vorredner, erkannten die Tiefe und<br />
auch die Schönheit von Lincolns Worten. <strong>Die</strong> Zeitungen<br />
haben dann die Rede am nächsten Tag abgedruckt.<br />
Also hat jeder, der nicht dabei war, Lincolns<br />
Rede in der Zeitung oder auf Flugblättern gelesen.<br />
Zeitungen und Flugblätter waren damals die wichtigsten<br />
Medien, was Nachrichten anging. Und das<br />
betraf auch die Leute, die bei der Rede anwesend waren<br />
– die meisten haben nämlich kein Wort von dem<br />
verstanden, was Lincoln sagte. <strong>Die</strong> Menschenmenge<br />
war riesig, Lautsprecher gab es noch nicht, und die<br />
Möglichkeiten der Stimme sind bekanntlich begrenzt.<br />
Heute gilt die Rede als das größte literarische Werk,<br />
das dieses Land hervorgebracht hat.<br />
KarolinSKi: Ist das so?<br />
Day-lewiS: Ja. Seine Antrittsrede ist ebenso bekannt:<br />
„<strong>Die</strong> mystischen Klänge der Erinnerung werden<br />
ertönen, wenn die besseren Engel der Natur sie wieder<br />
berühren“ – es gibt darin etliche Zeilen wie diese. William<br />
Seward, der Außenminister unter Lincoln, hatte<br />
die Urversion von Lincolns Rede geschrieben, von ihm<br />
stammen auch die meisten Ideen. Lincoln hat die Rede<br />
dann genommen, sie ein bisschen verändert und sich zu<br />
eigen gemacht. Man kann die Urversion und Lincolns<br />
Version nebeneinanderlegen und vergleichen, und siehe<br />
da: <strong>Die</strong> eine ist Poesie, und die andere ist (lacht) …<br />
Spielberg: Politik.<br />
Day-lewiS: Politik und Ideen. Man merkt, dass<br />
Lincoln ähnlich wie Churchill im Zweiten Weltkrieg<br />
ein ungeheures Talent für die englische Sprache hatte.<br />
Er sprach ebenso die gebildeten Leute an wie auch<br />
die Leute, die am Radio saßen. Sein Verständnis für<br />
Rhythmus und Sprache lässt sich im Kern auf Shakespeare<br />
zurückführen. Und auch Lincoln verstand es,<br />
mit seinen Reden eine einzigartige Verbindung zum<br />
Volk aufzubauen. Aber das hat wahrscheinlich alles<br />
gar nichts mit Ihrer Frage zu tun …<br />
Spielberg: Haha.<br />
KarolinSKi: Kein Problem, ehrlich gesagt kann ich<br />
mich schon gar nicht mehr an meine Frage erinnern.<br />
War das der Grund, warum Sie Lincoln spielen wollten?<br />
Fotos: Nino Muñoz/2012 Twentieth Century Fox<br />
PeoPle/Spielberg & Day-Lewis<br />
“<br />
Man merkt, dass<br />
lincoln ähnlich wie<br />
Churchill im Zweiten<br />
Weltkrieg ein<br />
ungeheures Talent für<br />
die englische Sprache<br />
hatte<br />
”<br />
– Daniel Day-Lewis<br />
43<br />
Day-Lewis: Was?<br />
KaroLinsKi: Der Umstand, dass er ein großer<br />
Redner und großartiger Dichter war?<br />
Day-Lewis: Nein. Ich meine, das waren selbstverständlich<br />
Qualitäten, die ihn für mich interessant<br />
gemacht haben, aber es gab da noch viele andere<br />
Dinge. Mein Interesse an ihm lässt sich nicht auf eine<br />
einzelne Eigenschaft reduzieren. Es war eher diese<br />
erstaunliche Ansammlung von Eigenschaften, die sich<br />
in dieser einen Person vereinigt haben. Was mich angesprochen<br />
hat, war der Mann an sich.<br />
KaroLinsKi: Und der Mann war äußerst kompliziert.<br />
Mir scheint, dass es heute in der Politik für<br />
komplexe Persönlichkeiten wie Lincoln keinen Platz<br />
mehr gibt. <strong>Die</strong> Öffentlichkeit scheint für solche<br />
Persönlichkeiten keine Geduld zu haben, vielleicht<br />
sind es auch die Medien, denen die Geduld fehlt. Es<br />
scheint, als wollten wir alles verstehen und alles über<br />
die Leute, die uns repräsentieren, wissen, was ziemlich<br />
traurig ist. Und Widersprüche scheinen wir dabei<br />
nicht zu dulden.<br />
spieLberg: Ja, das ist es, wie wahr.<br />
Day-Lewis: Ja, es ist genau so, wie Sie gesagt haben.<br />
Es ist nicht so, dass die Menschen heute weniger<br />
komplex wären. Es ist eher so, dass die Medien die<br />
Neigung haben, alles zu vereinfachen und auf einen<br />
scheinbaren Kern zu reduzieren, weil die Geschichten<br />
sich angeblich besser verkaufen, wenn sie klar sind<br />
und widerspruchsfrei. Meist wird es mit der Vereinfachung<br />
und der Klarheit derart übertrieben, dass wir<br />
in die Irre geführt werden, weil man uns nicht die<br />
ganze Geschichte erzählt. Und so bekommen wir Bilder<br />
statt der Wahrheit vorgesetzt, inszenierte Bilder.<br />
spieLberg: Dabei sind auch die heutigen Politiker<br />
im Senat, im Repräsentantenhaus und auch im<br />
Präsidentenamt unendlich kompliziert. Nur werden<br />
sie uns nicht so präsentiert.<br />
Day-Lewis: Es ist ein verknappender Prozess.<br />
Oft preisen Medien zum Beispiel <strong>Interview</strong>s an, die<br />
so ausführlich und tief gehend sein sollen, dass sie<br />
der Persönlichkeit auf den Grund gehen, aber das ist<br />
Quatsch. Man kann eine Person nicht im Zuge eines<br />
einzigen <strong>Interview</strong>s erklären, auch nicht mit zehn oder<br />
zwanzig. Aber oft glauben wir, dass wir dadurch zu<br />
einem tieferen Verständnis für eine Person kommen<br />
oder durch Analysen auf CNN oder die erklärenden<br />
Worte eines Nachrichtensprechers. Aber so ausführlich<br />
die Berichterstattung zu sein scheint, bleibt sie<br />
verknappt. Weil es immer schnell gehen muss und zu<br />
ein paar Kernpunkten zusammenfassbar, mit denen<br />
man dann ein wenig herumspielt.<br />
KaroLinsKi: Wir haben jetzt nur noch für eine<br />
letzte Frage Zeit.<br />
spieLberg: Shocking!<br />
KaroLinsKi: In der Tat.<br />
Day-Lewis: Um beim Thema zu bleiben: Stellen Sie<br />
uns doch bitte eine besonders tief gehende Frage! (lacht)<br />
KaroLinsKi: Ich wollte Sie eigentlich fragen, was<br />
Sie gern mal gefragt werden würden.<br />
spieLberg: Das ist süß von Ihnen. Aber zu diesem<br />
Film sind uns tatsächlich jede Menge guter Fragen gestellt<br />
worden. Stattdessen würde ich gerne noch einen<br />
Gedanken zu dem Verhältnis von Kino und Geschichte<br />
loswerden. Denn Filme sind heute für die ganz jungen<br />
Leute oft der einzige Zugang zu unserer Geschichte.<br />
In dieser Hinsicht haben wir eine gewisse Verantwortung.<br />
<strong>Die</strong> Verantwortung ist es, historisch so genau<br />
wie möglich zu bleiben. Andererseits lässt sich eine<br />
Interpretation unsererseits nicht vermeiden. Es gab zu<br />
Lincolns Zeit keine Aufnahmegeräte, und selbst seine<br />
beiden Sekretäre haben nicht jedes einzelne Wort<br />
von ihm aufgezeichnet. Also hatten wir eine Menge<br />
Spielraum, einen Spielraum, den unser Drehbuchautor<br />
Tony Kushner und die LincolnBiografin Doris<br />
Kearns Goodwin gewiss nicht hatten. Tony Kushner<br />
musste sich dazu die Sprache des 19. Jahrhunderts aneignen<br />
und die Leerstellen mit Leben füllen, sodass sie<br />
die historischen Fakten tragen. Kunst und Geschichte<br />
sind zwei zögerliche Bettgesellen, aber ohne die Arbeit<br />
von Historikern und Autoren hätten wir Lincoln nicht<br />
zum Leben erwecken können.<br />
KaroLinsKi: Ich befürchte, man will, dass wir das<br />
Gespräch jetzt beenden. Vielen Dank für Ihre Zeit.<br />
spieLberg: Wir danken Ihnen. Und viel Erfolg<br />
mit Ihrem Magazin. Ich hörte, es ist erst ein Jahr alt.<br />
KaroLinsKi: Danke, aber ich arbeite eigentlich<br />
gar nicht für <strong>Interview</strong>. Ich bin Filmemacherin.<br />
spieLberg: Deswegen haben Sie in der Anfangsszene<br />
etwas Dokumentarisches gesehen.<br />
KaroLinsKi: Kann sein.<br />
spieLberg: Doch, bestimmt. Sie sehen Filme anders.<br />
LINCOLN sTarTeT aM 24. JanUar
pEoplE<br />
Porträt (linke Seite): Francesco Carrozzini/Trunk Archive; Foto (rechte Seite): Shirin Neshat, Rapture, 1999, Production Still, Copyright Shirin Neshat, Courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels<br />
Shirin<br />
NESHAT<br />
Es lag nicht nur am<br />
Wodka, den die<br />
iranische Künstlerin<br />
und Filmemacherin<br />
SHiriN NESHAT<br />
mit dem diesjährigen<br />
Jurypräsidenten der<br />
Berlinale, Wong Kar<br />
Wai, trank. Für<br />
Festivalleiter <strong>Die</strong>ter<br />
Kosslick war es leicht,<br />
sie zu überzeugen,<br />
Mitglied der Jury zu<br />
werden, denn diese<br />
Frau liebt den Film.<br />
Ein Gespräch über<br />
Kopftücher, revolutionen<br />
und die Kraft<br />
der Kunst<br />
von<br />
evA Munz<br />
porträt<br />
FrAnceSco<br />
cArrozzInI<br />
IntervIew: Sie sind ziemlich umtriebig, Sie machen<br />
Filme, Fotos, Ausstellungen und fliegen im Februar<br />
nach Berlin, um in der Jury der Berlinale zu sitzen. Womit<br />
vertreiben Sie sich gerade die Zeit?<br />
ShIrIn neShat: Gerade schneide ich ein Video,<br />
das ich mit Natalie Portman gedreht<br />
habe, anschließend wende ich mich<br />
wieder meinen Fotoarbeiten zu, die<br />
sich mit etwas ganz anderem beschäftigen,<br />
und dann bereite ich noch einen<br />
neuen Spielfilm vor. Ich weiß gar nicht<br />
mehr, wie das geht, nur eine Sache zu<br />
machen. Ich kenne aber auch kaum<br />
Leute, die nur – sagen wir mal – Autoren<br />
sind. Ich mag diese Abwechslung.<br />
IntervIew: Was ist das für ein Video<br />
mit Natalie Portman?<br />
neShat: Es ist eine Videoinstallation<br />
für Dior mit dem Titel Through<br />
The Abyss. Kein Werbefilm, sondern ein kurzer, circa<br />
zehnminütiger Fast-Stummfilm. Eine Arbeit zwischen<br />
Traum, Fantasie und Fiktion mit einer Frau, die<br />
einen Nervenzusammenbruch erleidet.<br />
IntervIew: Was hoffentlich nicht Ihren derzeitigen<br />
Gemütszustand beschreibt. Was reizt Sie an der<br />
Juryarbeit?<br />
45<br />
RaptuRe, ShIrIn neShat, 1999<br />
*DarIuS KhonDjI<br />
Als Kind hat sich der<br />
Franko-Iraner verkleidet,<br />
um Filme mit Altersbeschränkung<br />
im<br />
Kino sehen zu können.<br />
Heute gehört er zu den<br />
bekanntesten Kameramännern:<br />
Delicatessen,<br />
Sieben, Evita oder The<br />
Beach – eine beeindruckende<br />
Liste.<br />
neShat: Irgendwie bin ich gerade auf dem Jury-<br />
Trip. Zuletzt war ich auf dem Doha Film Festival in<br />
der Jury. 2010 war ich Vorsitzende beim Filmfestival<br />
in Venedig. Und in Locarno und Abu Dhabi war ich<br />
auch Jurorin. Mir gefällt das. Aber Berlin ist ehrlich<br />
gesagt eine besondere Ehre.<br />
IntervIew: Wegen der Stadt oder<br />
des Festivals?<br />
neShat: Ich liebe Berlin. Für meinen<br />
Film Women Without Men habe ich<br />
mit deutschen und französischen Produzenten<br />
zusammengearbeitet, und<br />
wir haben zum Beispiel die Postproduktion<br />
in Berlin gemacht. Ich habe<br />
also viel Zeit in der Stadt verbracht,<br />
habe es aber nie auf das Festival geschafft.<br />
Allerdings kenne ich den diesjährigen<br />
Juryvorsitzenden Wong Kar<br />
Wai ganz gut.<br />
IntervIew: Haben Sie ihn bei einem der Festivals<br />
kennengelernt?<br />
neShat: Nein, mein Freund, der Kameramann<br />
Darius Khondji*, hat uns hier in New York vorgestellt.<br />
Er hat mit Wong Kar Wai My Blueberry Nights<br />
gedreht, und die beiden waren oft bei uns zu Besuch.<br />
Er ist so ein verrückter Typ. Sie haben nonstop diesen
PeoPle/Shirin Neshat<br />
*asghar farhadI<br />
Der iranische Drehbuchautor<br />
und Regisseur<br />
gehört laut Time<br />
Magazine zu den einflussreichsten<br />
Menschen<br />
2012. Mit seinen<br />
politischen Filmen<br />
gewann er einen Oscar<br />
– der erste Oscar für<br />
einen Iraner – und den<br />
Goldenen Bären der<br />
Berlinale.<br />
chinesischen Wodka getrunken,<br />
als gäbe es kein<br />
Morgen. Wir mussten sie<br />
irgendwann rauswerfen,<br />
sonst hätte das kein Ende<br />
genommen. Richtige Party-Monster,<br />
die beiden lieben<br />
es einfach, zu feiern.<br />
IntervIew: Also hat<br />
Wong Kar Wai Sie gefragt,<br />
ob Sie mit in der<br />
Jury sitzen möchten?<br />
neshat: Nein, das<br />
war <strong>Die</strong>ter (Kosslick), der<br />
Direktor des Festivals. <strong>Die</strong> suchen vermutlich nach<br />
Leuten aus möglichst unterschiedlichen Kulturen und<br />
Bereichen, um möglichst nuancierte Stimmen im Festival<br />
zu haben. Ich hoffe, diesmal wird auch wieder<br />
eine Reihe starker Filme aus dem Iran oder dem Nahen<br />
Osten dabei sein. 2011 lief ja Asghar Farhadis* Nader<br />
und Simin. Man muss sagen, der Iran war in den letzten<br />
zwei Jahrzehnten recht stark im Kino vertreten.<br />
IntervIew: Ja, man denke etwa an die Regisseure<br />
des Makhmalbaf-Clans* oder Abbas Kiarostami.<br />
neshat: Heute ist übrigens Jafar Panahis Film<br />
This Is Not A Film in die Shortlist der Oscars für den<br />
besten Dokumentarfilm aufgenommen worden.<br />
IntervIew: Viele sehr gute internationale Filme<br />
entstehen in Ländern mit schwierigen politischen Situationen.<br />
Man könnte fast auf die Idee kommen, die<br />
Zensur würde zu besseren Filmen führen.<br />
neshat: Darüber habe ich kürzlich auch mit meinem<br />
Mann Shoja (Azari) diskutiert, der ist ja ebenfalls<br />
Filmemacher und Iraner. Man sollte da sehr vorsichtig<br />
sein und Unterdrückung und Diktatur bloß nicht<br />
für gute Kunst verantwortlich machen. Es ist aber oft<br />
so, dass Künstler mit schwierigen Lebensumständen<br />
mehr zu erzählen haben. <strong>Die</strong>se Künstler erleben etwas<br />
sehr Unmittelbares, Persönliches, Dringendes<br />
und Ehrliches. Persönliches Leiden ist immer ein guter<br />
Impuls, etwas zu erzählen. Nehmen wir Jafar Panahi<br />
beispielsweise. Er wurde 2010 zu einer Haftstrafe<br />
verurteilt und erhielt ein Berufsverbot für 20 Jahre.<br />
Und dann veröffentlicht er This Is Not A Film, über<br />
sich selbst, eingesperrt in seiner Wohnung, und darüber,<br />
wie er sich vorstellt, einen Film zu machen. Ich<br />
finde, das ist brillant. Niemand hätte das so erfinden<br />
können.<br />
IntervIew: Man muss sagen, das kulturelle Erbe<br />
hat die zeitgenössische Kunst im Iran sehr beeinflusst.<br />
neshat: Wir Iraner sind als Volk und Kultur zerrissen.<br />
Einerseits gibt es diese grausame Unterdrückung<br />
in der modernen Geschichte des Landes, eine<br />
entsetzliche Regierung nach der anderen, religiöse<br />
Fanatiker, den Schah, Korruption. Und gleichzeitig<br />
sind wir zutiefst unserer Poesie, dem Mystizismus, der<br />
Philosophie und Musik verbunden. Und deswegen<br />
antworten Iraner auf Schmerz mit Poesie.<br />
IntervIew: Der iranische Film ist<br />
ein Zeugnis für die Überlebenskraft<br />
der Kunst.<br />
neshat: Man kann die Imagination<br />
der Menschen nicht unterbinden.<br />
Gedanken sind frei. Du kannst jemanden<br />
festnehmen, aber du kannst ihm<br />
nicht vorschreiben, was er denken soll.<br />
So stellt Kultur immer auch eine große<br />
Bedrohung dar. Ich war gerade in<br />
Ägypten und habe an der American<br />
*MakhMalbaf-<br />
Clan<br />
Fünf Regisseure brachte<br />
diese iranische Familie<br />
hervor, vier davon<br />
weiblich. Vater Mohsens<br />
Filme wurden in<br />
über 40 Ländern gezeigt,<br />
Tochter Samira<br />
ist bisher jüngste Teilnehmerin<br />
von Cannes.<br />
Sie lebt im Exil in Paris.<br />
SpeechleSS, shIrIn neshat, 1996<br />
University in Kairo mit jungen Künstlern gesprochen,<br />
da kamen wir zu dem Schluss, dass uns am Ende<br />
nur die Kunst retten kann.<br />
IntervIew: Aber oft sind die Filme, die auf internationalen<br />
Festivals hochgelobt werden, im Ursprungsland<br />
nicht sonderlich populär. Ende der 90er-<br />
Jahre zum Beispiel fanden die meisten Leute in<br />
Hongkong Wong Kar Wais Filme eher langweilig.<br />
neshat: Er ist natürlich ein komplett unchinesischer<br />
Filmemacher. Stilistisch ist er international, seine<br />
Fans in Hongkong sind wahrscheinlich eher Intellektuelle.<br />
Dasselbe gilt für den Iran. Abbas Kiarostami<br />
etwa zeigt seine Filme nicht im Iran.<br />
IntervIew: Weil er seine Filme nicht im Iran zeigen<br />
darf.<br />
neshat: Erstens darf er nicht, und zweitens ist<br />
seine Arbeit ein bisschen zu konzeptuell. Asghar Farhadi<br />
dagegen macht Filme, die sowohl im Iran als<br />
auch außerhalb gezeigt werden. Sie sind beim Publikum<br />
und bei den Kritikern erfolgreich. Das ist sehr<br />
ungewöhnlich. Und seine Filme können trotzdem als<br />
eine Art Protest gesehen werden.<br />
IntervIew: Was hat er anders gemacht?<br />
neshat: Er hat nicht den Zeigefinger erhoben,<br />
und trotzdem sind seine Filme Alles über Elly und Nader<br />
und Simin sehr kritisch und subversiv. In Elly geht<br />
es zum Beispiel um die Heuchelei und wie wir gelernt<br />
haben, ständig zu lügen, weil die Umstände uns dazu<br />
zwingen.<br />
IntervIew: Wenn man im Iran ist,<br />
ist es oft unklar, ob man gerade etwas<br />
Illegales tut, egal ob man auf eine Party<br />
geht oder zu einer Galerieeröffnung.<br />
neshat: Aber die Leute haben<br />
sich an diese Uneindeutigkeit gewöhnt.<br />
Im Ausland kann man nur<br />
schwer verstehen, wie die Iraner ihren<br />
Alltag organisieren. Auf Partys macht<br />
man sich über diejenigen lustig, die<br />
noch nie im Gefängnis waren. Das ist<br />
schwer zu verstehen, wenn man nie da<br />
war.<br />
46<br />
IntervIew: Wann waren Sie das letzte Mal im<br />
Iran?<br />
neshat: 1996.<br />
IntervIew: Dürfen Sie nicht einreisen?<br />
neshat: Doch, die USA sind für mich eher ein<br />
selbst auferlegtes Exil. Ich arbeite gerade oft in Marokko<br />
und in Ägypten. Ich habe kein brennendes Verlangen,<br />
in den Iran zu reisen.<br />
IntervIew: 2009 haben Sie den Silbernen Löwen<br />
in Venedig für Women Without Men gewonnen. Ihre<br />
Adaption einer sehr populären Novelle ist ein seltsam<br />
prophetischer Film. Er spielt etwa 1953, während des<br />
CIA-Putsches gegen Mossadegh. Und als er fertig<br />
wurde, war die Grüne Revolution im Iran im Gange.<br />
neshat: Der Film ist, wie das Buch, hoch stilisiert,<br />
poetisch und gleichzeitig doch politisch. Ich<br />
wollte einen Film machen, der zu den Iranern spricht,<br />
der verständlich ist. Der Durchschnittsiraner hat<br />
Angst, Kunst nicht zu verstehen. Man muss leider sagen,<br />
dass der Film nur durch den Handel von Raubkopien<br />
im Iran so populär werden konnte. Doch so<br />
kennen zumindest mehr Leute meinen Spielfilm als<br />
meine Kunst. Er konnte kein Kassenhit werden, aber<br />
er hat seine Erfüllung gefunden, vielleicht auch mehr.<br />
IntervIew: Wenn ich mir ansehe, was in Ägypten<br />
und dem Nahen Osten in den letzten beiden Jahren<br />
passiert ist, frage ich mich, warum es den Iranern mit<br />
ihrer Grünen Revolution nicht gelungen ist, die Regierung<br />
zu stürzen.<br />
neshat: Ich war auch enttäuscht. <strong>Die</strong>se Energie<br />
war so inspirierend. Ein bisschen war es wie in Ägypten,<br />
wo wir nun warten, was als Nächstes passiert. Im<br />
Iran sitzen seit den Protesten 2009 Tausende in den<br />
Gefängnissen. Aber das System beginnt, sich allmählich<br />
selbst zu zerstören. Ahmadinedschad wird frecher,<br />
weil er weiß, dass er bald gehen muss. Und am<br />
Ende hat Ali Khamenei die totale Macht. Er ist nie<br />
gewählt worden, er ist das wirkliche Problem.<br />
IntervIew: Würden Sie in den Iran zurückgehen,<br />
wenn die Mullahs nicht mehr an der Macht wären?<br />
Wäre es nicht aufregend für Sie, Teil eines neuen Iran<br />
zu sein?<br />
neshat: Absolut. Das ist auch ein Teil meiner<br />
Motivation, jetzt Zeit in Ägypten zu verbringen. Es ist<br />
aufregend, eine Gesellschaft zu erleben, die Geschichte<br />
schreibt. <strong>Die</strong>se Unsicherheit darüber, wie es<br />
ausgehen wird, ist natürlich auch beängstigend. Ich<br />
hoffe inständig, dass die Muslimbruderschaft das<br />
Land nicht in ein zweites Iran verwandeln wird.<br />
IntervIew: Waren Sie auch am Tahrir-Platz?<br />
neshat: Mehrmals. Ich war kürzlich mit meiner<br />
Freundin Ghada Amer auf einer riesengroßen Demonstration,<br />
sie ist eine der bekanntesten ägyptischen<br />
Künstlerinnen hier in New York. Ich war ein wenig<br />
nervös, weil ich nicht verschleiert war, anders als die<br />
meisten Frauen dort, also habe ich mir einen Schal<br />
umgebunden. Ghada war total wütend auf mich. Sie<br />
fand, mit dem Tragen des Kopftuchs würde ich mich<br />
der Bruderschaft beugen. Wenn ich in ein muslimisches<br />
Land reise, trage ich aus Respekt ein Kopftuch.<br />
Aber Ghada wollte deutlich machen, dass Religiosität<br />
freiwillig ist und dass man in einer Demokratie nicht<br />
dazu gezwungen werden soll. Sie hatte natürlich völlig<br />
recht.<br />
IntervIew: Aber Sie sind Muslimin.<br />
neshat: Ja, ja, ich habe ehrlich gesagt kein Problem<br />
mit dem Kopftuch, mir gefällt es sogar, aber jede<br />
Frau sollte selbst entscheiden, ob sie eines trägt.<br />
IntervIew: Worum geht es eigentlich in Ihrem<br />
neuen Spielfilmprojekt?<br />
Fotos: Shirin Neshat, Speechless, 1996, RC print and ink, Copyright Shirin Neshat, Courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels; Shirin Neshat, Feature Film Still, Women Without Men, 2009, Copyright Shirin Neshat, Courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels<br />
Neshat: Meine neueste Obsession gilt Umm Kulthum.<br />
INtervIew: Der berühmten ägyptischen Sängerin.<br />
Neshat: Ja, sie verkörpert einfach alles, was mich<br />
interessiert. Sie ist eine Frau, sie ist Künstlerin, und<br />
ihre Karriere war eng mit den politischen Entwicklungen<br />
ihres Heimatlandes verbunden. Sie stammt<br />
aus einer einfachen Nahost-Familie, ihr Vater war<br />
Imam in einer Provinzmoschee, und sie musste sich,<br />
bis sie 18 war, als Junge verkleiden, wenn sie in der<br />
Öffentlichkeit auftrat, weil es für Frauen nicht erlaubt<br />
war, zu singen. Doch irgendwann erregte ihre außergewöhnliche<br />
Stimme Aufmerksamkeit.<br />
INtervIew: Sie hatte diese tiefe Altstimme.<br />
Neshat: Im Laufe ihres Lebens freundete sie sich<br />
mit König Faruk und der Monarchie an und wurde zu<br />
einer ausgesprochenen Nationalistin. Während des<br />
Krieges mit Israel ging sie auf Tournee, um Geld für<br />
die ägyptische Armee zu sammeln. Am absoluten Höhepunkt<br />
ihrer Karriere starb sie dann. Sie war eine<br />
muslimische Frau, die Erfolg hatte in einer Gesellschaft,<br />
in der es Frauen untersagt war, populär zu<br />
werden. Sie konnte Menschenmengen sogar in einen<br />
Zustand der Ekstase versetzen, sie konnte sie manipulieren.<br />
Mich interessiert weniger ihr persönliches<br />
Leben, sondern wie es ihr gelang, mit ihrem Gesang<br />
szeNe aus shIrIN Neshats FIlm Women Without men, 2009<br />
“<br />
Man kann<br />
die Imagination der<br />
Menschen nicht<br />
unterbinden.<br />
Gedanken sind frei.<br />
Du kannst jemanden<br />
festnehmen, aber<br />
du kannst ihm nicht<br />
vorschreiben,<br />
”<br />
was er denken soll<br />
– Shirin Neshat<br />
47<br />
so eine unglaubliche Macht auf ein Volk auszuüben.<br />
Man erzählt sich, dass eine einfache Veränderung ihrer<br />
Tonlage Menschen willenlos machen konnte.<br />
INtervIew: Hätten Sie als Künstlerin gerne eine<br />
ähnliche Macht?<br />
Neshat: Künstler heute verstecken sich doch<br />
meist hinter ihrer Kunst. Wir haben gar keine unmittelbare<br />
Verbindung zu dem Publikum mehr. Umm<br />
Kulthum gilt als die bedeutendste Künstlerin der<br />
muslimischen Welt des 20. Jahrhunderts. Und das als<br />
Frau, das ist doch phänomenal! Und dabei war sie<br />
kein Objekt der Begierde, was man als erfolgreiche<br />
Sängerin heute ja quasi schon automatisch wird.<br />
INtervIew: Ich bin sehr gespannt auf den Film.
WOW!<br />
MENAGERIE MIT<br />
KRISTALLEN, BRILLANTEN<br />
UND PERLMUTT<br />
1<br />
WOW!<br />
IN DIESER COLLAGE ENTHALTEN:<br />
TOPASE, BLAUE DIAMANTEN,<br />
BLAUE SAPHIRE UND<br />
SWAROVSKI-KRISTALLE<br />
PINK FLAMINGO<br />
Kommen ja sonst nur<br />
in Scharen vor, hier dagegen<br />
im Zweierpaar.<br />
Flamingo-Ohrringe mit<br />
Kristallen von Swarovski.<br />
Gibt es auch als Kette.<br />
AMAZONE MIT RAUTENBRUST UND PAPIERSCHWEIF: ISABELLE WEINGARTEN, 1973<br />
HAARE WIE LACKIERT, HAUT WIE TRANSPARENTES PAPIER –<br />
EIN VISIONÄR BLICKT ZURÜCK<br />
Bereits zu Beginn der 60er-Jahre arbeitete Serge Lutens für die französische Vogue, entwickelte Farb- und Bildvisionen für Christian Dior und drehte bald darauf<br />
seinen ersten Kurzfilm Les Stars. International bekannt wurde er durch seine Arbeit für den japanischen Kosmetikkonzern Shiseido. Über zwei Jahrzehnte hinweg<br />
prägte er den visuellen Stil des Hauses. Mit Fotografien von fantasievollen Geschöpfen – mit Haaren wie auf den Kopf lackiert, die Haut weiß wie transparentes Papier<br />
und das Make-up traditionell japanisch. Keiner prägte den Look einer Marke so wie er. In seinem Buch Berlin à Paris zeigt er 176 bislang unver öffentlichte Arbeiten<br />
von 1967 bis 2008 und gewährt so Einblick in seine komplexe Ideenwelt. Heute lebt der 70-Jährige hauptsächlich in Marokko und entwickelt unter seinem Namen so<br />
abstrakte wie spannende Duftkonzepte. Auch eine Art, seine Kreativität auszuleben.<br />
48<br />
Fotos: Serge Lutens; Swarovski; Shourouk/net-a-porter.com; Hermès; Patrik Muff; Sabrina Dehoff; Ippolita/net-a-porter.com (2), Tiffany&Co. (3), Cada (2), Sabrina Dehoff (6), Chanel Haute Joaillerie (2), Louis Vuitton (3), Pomellato (2), Swarovski (3); Courtesy of L’wren Scott; Crocodile Original ® Robert George<br />
CANDY COLOURED<br />
EAGLE<br />
Das Wappentier,<br />
mal farbenfroh.<br />
Adler-Manschette<br />
mit mehrfarbigen<br />
Swarovski-Kristallen<br />
von Shourouk (über net-a-porter.com).<br />
SILVER BEAUTY<br />
Als er Pferdeköpfe<br />
schuf, hatte Gott<br />
gute Laune:<br />
Perfektion, Eleganz,<br />
Proportionen.<br />
Pferde-Ring<br />
in Silber von Hermès. Gibt es auch als<br />
Armband.<br />
A BUG’S LIFE<br />
Wie ein Blick durchs<br />
Makroobjektiv in die<br />
schillernde Welt der<br />
Insekten. Käferring in<br />
Weißgold mit ver-<br />
schiedenfarbigen Brillanten<br />
von Patrik Muff.<br />
GOLDEN BEE<br />
Bienenring aus vergoldetem<br />
Kupfer mit Perlmutt<br />
und Swarovski-Kristallen<br />
von Sabrina<br />
Dehoff. Sweet – nur<br />
Honig produziert<br />
dieser Ring leider nicht.<br />
KROKODILEhaben<br />
ein ein ein langes<br />
Leben<br />
Selbst für<br />
MÄNNER<br />
wie MICK<br />
geeignet<br />
Sie hat sich diesen für sein Alter<br />
sehr dürren Engländer als<br />
Be gleiter ausgesucht, dennoch<br />
ver bindet die Mode der Designerin<br />
L’Wren Scott das Monumentale mit dem<br />
Madamigen (Jerry Hall meets Bianca<br />
Jagger). Nun hat sie eine Sonnenbrillen linie<br />
entworfen: ornamental, glamourös,<br />
backstagegeeignet. Zur Jubiläums-Tour<br />
sollte sich Mick Jagger auf seinen flamboyanten<br />
Stil in den Siebzigern besinnen und<br />
sich eine Butterfly-Brille gönnen.<br />
Das bissige Temperament des Tennisspielers René Lacoste ist bekanntlich<br />
Ursprung des Logos, das 1.) eines der Ersten seiner Art war und<br />
2.) ein per se eher unsympathisches Reptil mit vorbildlichen<br />
Eigenschaften auflud: raffinierte Farb palette, Wasch-<br />
maschinenfestigkeit, Zeitlosigkeit. Als andere noch<br />
nach Schweiß rochen, war diese Firma<br />
schon chic. Happy Birthday.<br />
80<br />
49<br />
SCHMUCK<br />
für Könnerinnen<br />
Blau ist, ebenso wie Schwarz, die<br />
Farbe der Fehlervermeidung. Für<br />
jeden Hautton geeignet und meist<br />
universal diskret. Bei Schmuck allerdings,<br />
und nur um den geht es hier, ist<br />
diese Farbe etwas für Könnerinnen: Es<br />
fehlt die Signalwirkung des Rubins, der minimalistische<br />
Glanz des Diamanten oder auch, seit<br />
dem Erstarken der östlichen Luxusmärkte, die<br />
Pracht des Rotgolds. Wie aber Ringe und Halsketten<br />
mit gletscherblauen Steinen ihre eigene<br />
Kraft entwickeln, zeigen diese Glanzstücke aus<br />
den aktuellen Kollektionen. <strong>Die</strong> Assoziation, na<br />
klar: Grace Kelly. Eine Prinzessin zwar, aber mit<br />
stürmischer Vergangenheit in Hollywood.<br />
VON OBEN NACH UNTEN: mehrgliedrige<br />
Goldohrringe mit Topasen von IPPOLITA<br />
(über net-a-porter.com), rechteckige Ringe<br />
mit Diamanten von TIFFANY & CO., mehrreihige<br />
Ohrringe mit blauen Saphiren von<br />
CADA, vergoldete Armbänder mit<br />
Perlmutt (innen) und Ringe (außen) von<br />
SABRINA DEHOFF, Ketten mit Quaste aus<br />
Diamanten und Saphiren von CHANEL HAUTE<br />
JOAILLERIE, Ring mit weißen und grauen<br />
Diamanten von LOUIS VUITTON, Roségold-Ringe<br />
mit pinken Saphiren und blauen Topasen von<br />
POMELLATO, Kette mit Kristallen von SWAROVSKI,<br />
mehrgliedrige Ohrringe mit Diamanten und<br />
rechteckigen Saphiren von LOUIS VUITTON,<br />
vergoldete Armbänder mit Perlmutt von<br />
SABRINA DEHOFF, Ring im Insekten-Design mit<br />
Kristallen von SWAROVSKI
2<br />
RETROMANIA.<br />
DINGE VON GESTERN<br />
FÜR HEUTE<br />
BUTTER<br />
Ganze Generationen von<br />
Menschen verderben sich stoisch mit Margarine<br />
das tägliche Frühstück und geben zu<br />
jedem erdenklichen Gericht einen überflüssigen<br />
Schuss Olivenöl hinzu. Dabei ist, wie wir<br />
jetzt wissen, Butter die Zutat, die wirklich<br />
Gutes tut. Wie ein bis dato völlig unbekannter<br />
Food- & Gesundheitsblogger namens<br />
Jake in einem einmonatigen Selbstversuch<br />
herausgefunden hat, kommt man zu den<br />
besten Resultaten (visuell, sexuell, spirituell),<br />
wenn man täglich ein halbes Pfund frischer<br />
Butter verzehrt. Vorzugsweise rührt man<br />
sie sich beim Kochen in die Pfanne, was übrig<br />
bleibt, wird zwischendurch weggezuzelt.<br />
4711<br />
Seit wir wissen, dass man sich in Marokko<br />
und Umgebung nach der Mahlzeit mit<br />
einer Flüssigkeit die Hände einreibt,<br />
die in der Kopfnote nach Orangenöl<br />
und Zitrone riecht, gilt „Echt Kölnisch<br />
Wasser“ von 4711 in den<br />
Redaktionsräumen als der Duft,<br />
der wie kein Zweiter für Fernweh,<br />
Exotik und Leidenschaft<br />
steht. Unsere Urgroßmütter<br />
waren viel cooler, als wir dachten.<br />
KAPAUN<br />
Möglicherweise sprechen ethische Erwägungen<br />
dagegen, junge Hähne zu kastrieren,<br />
aber sie werden dann im Alter groß und fett<br />
und zart. Schon seit einiger Zeit erlebt der<br />
Kapaun ein Comeback. Höchste Zeit, die<br />
überschätzten Puten aus ihrem Gehege zu<br />
befreien.<br />
HOOLIGAN<br />
Eben war er noch ein süßer kleiner Junge<br />
im Schatten seiner närrischen Halbschwester<br />
Lourdes, heute sieht Rocco, 12, der<br />
Sohn von Madonna und Guy Ritchie, sehr<br />
vielversprechend wie ein angehender Hooligan<br />
aus (Foto). Seltsam interessant.<br />
KONJUNKTIV 1<br />
Unverzichtbar für Tagesschau-Sprecher und<br />
Sprachpedanten. Ein wenig sperrig in der<br />
Verwendung, aber man fühlt sich jedes Mal,<br />
als habe man Abitur.<br />
„THE GERMANS”<br />
Ein Magazin mit englischem Titel über die<br />
Deutschen – darauf können eigentlich nur<br />
Deutsche kommen. Der Ansatz wirkt ebenso<br />
spannend wie nostalgisch. Und ein Land,<br />
in dem für so etwas Energie, Zeit und<br />
Herzblut da ist, kann noch nicht ganz vom<br />
Gift der Effizienz zerfressen sein.<br />
Anschmiegsam<br />
und gut gelaunt<br />
Durch eine Skibrille gesehen, könnte<br />
man Willy Bogner einen modernen<br />
Renaissancemenschen nennen: Modemarkenchef,<br />
Filmproduzent und<br />
Action-Held. Einer Reihe von James-<br />
Bond-Filmen verpasste er mit den<br />
von ihm gefilmten Verfolgungsjagden<br />
auf Skipisten oder einer Bobbahn den<br />
erforderlichen Extraschuss Adrenalin,<br />
sein Film Feuer und Eis war Wegbereiter<br />
des Genres Action-Sport. Und<br />
die Mode? Wie der zum 80. Firmenjubiläum<br />
erschienene Bildband<br />
Bogner Moments 1932–2012 (teNeues)<br />
zeigt, wedelte sie elegant durch den<br />
Zeitgeist: <strong>Die</strong> schlichten Mäntel der<br />
Sechziger atmeten den Geist von<br />
Dior und Saint Laurent, in den Acht-<br />
zigern schienen sich Graffiti-Artists<br />
über die Funktionskleidung hergemacht<br />
zu haben. Man muss nicht mit<br />
jeder Daunenjacke einverstanden sein,<br />
aber der Entdeckergeist reißt mit.<br />
Ein Genie<br />
der Selbstvermarktung<br />
(und ein gar nicht so<br />
schlechter DJ): Der Designer<br />
Alexander Wang, in<br />
New York der einzige ernst zu<br />
nehmende Rivale von Marc Jacobs,<br />
wird nun Creative Director<br />
WOW!<br />
KLASSENBESTER:<br />
Alexander WANG<br />
50<br />
DEN GEIST VON DIOR IN DIE<br />
ALPEN TRANSFERIERT: BOGNER-MODE<br />
IN DEN SIEBZIGERN<br />
bei Balenciaga,<br />
hat also einen der<br />
trophy jobs der Modebranche<br />
ergattert. Nebenbei<br />
verstärkt er seine E-Commerce-<br />
Aktivitäten und stellte eine hübsche<br />
Minikollektion von Accessoires in<br />
seiner Lieblingsfarbe Grafitgrau zusammen<br />
(alexanderwang.com).<br />
ABGRUND UM<br />
DIE ECKE<br />
Es handelt sich hier nicht um die neue<br />
Kollektion eines jungen Berliner Labels.<br />
Sondern um Karnevalskostüme, die der<br />
Fotograf Axel Hoedt im Südwesten<br />
Deutschlands fand und in seinem Buch<br />
Einmal im Jahr (Steidl) dokumentiert.<br />
<strong>Die</strong> Serie kombiniert die konzeptionelle<br />
Sturheit der Becher-Schule mit einem<br />
Humor, der so trocken ist, dass Karnevalsskeptiker<br />
ihn kaum mit dem feuchtfröhlichen<br />
Getröte verbinden würden,<br />
wie man es aus öffentlich-rechtlichen<br />
Sondersendungen kennt. Es zeigt sich:<br />
Das Unheimliche und Abgründige lauert<br />
auch in Wilfingen, Kißlegg, Triberg.<br />
Also um die Ecke.<br />
Fotos: Photo © Willy Bogner GmbH & Co. KGaA, Bogner Moments 1932 - 2012, erschienen bei teNeues, www.teneues.com, 79,90 Euro; 4711; Alexander Wang Objects; Kevin Mazur/WireImage;<br />
Axel Hoedt, 2012, „Einmal im Jahr“, Steidl; Wilfried Petzi, 2012, ECM – Eine kulturelle Archäologie, Installationsansicht; Cartier; Saint Laurent Paris by Hedi Slimane; Cédric Viollet/www.olympialetan.com; PR Armani Parfums<br />
Gefällig NOSTALGISCH<br />
Es gab erhitzte Diskussionen, ob wir der französischen Modedesignerin<br />
Olympia Le-Tan auf diesen Seiten erneut ein Forum bieten wollen.<br />
Dann aber war es schlicht unmöglich, zu diesem Bild „Ach, lieber<br />
nicht“ zu sagen. Drei Mädchen, die möglicherweise den gleichen<br />
Friseur frequentieren wie einst Amy Winehouse. Das Machtgefüge<br />
in diesem Trio scheint noch nicht ganz geklärt. Wer von ihnen wird<br />
die neue Diana Ross oder Beyoncé? Welche wird sich vorschnell in<br />
Ehe oder Alkoholnebel zurückziehen? Mit diesen kleinen Rätseln<br />
wirbt Le-Tan für ihre Kollektion, die Taschen wie alte Bücher<br />
aus sehen lässt. Und Kleider im Stil der unsterblichen Supremes vor-<br />
schlägt. Gefällig nostalgisch, aber ungeheuer präzise.<br />
WOW!<br />
TONBÄNDER DES<br />
MÜNCHNER JAZZLABELS ECM<br />
51<br />
PANTHER-<br />
STYLE<br />
Wie man einer<br />
besonders eleganten<br />
Raubkatze immer<br />
wieder neue Variationen<br />
abgewinnt, zeigt Cartier<br />
mit seiner „Panthère“-<br />
Linie. <strong>Die</strong>se Ohrringe<br />
haben den Charme einer<br />
tödlichen Waffe.<br />
AUDIO-phil<br />
Wie das Foto aus dem Band ECM – Eine kulturelle<br />
Archäologie (Prestel) nahelegt, handelt es sich bei der<br />
Münchner Plattenfirma um den Suhrkamp Verlag<br />
unter den Jazzlabels. Geschmackvoll fließen die<br />
Grautöne ineinander, hier und da von einem kleinen<br />
Farbtupfer unterbrochen. Gegründet wurde ECM<br />
1969 und hat seither über tausend Alben herausgebracht.<br />
Zu den größten Erfolgen zählen etwa The<br />
Köln Concert von Keith Jarrett oder die Tonspur von<br />
Jean-Luc Godards Nouvelle Vague. Machte einen<br />
Godards filmisches Spätwerk meist einiger maßen<br />
ratlos, entwickelt es im Hörspielformat zumindest<br />
einen gewissen Reiz. Und weil Jazzmusiker nicht nur<br />
ständig musizieren, sondern mitunter auch fotografiert<br />
werden, bietet das Buch neben allerhand Plattencovern<br />
auch Topfotos von Keith Jarrett beim Tischtennis,<br />
vom Art Ensemble Of Chicago mit lustigen<br />
Papierhüten auf dem Kopf und von Carla Bley,<br />
die sich in den frühen Achtzigern als eine Art Olivia<br />
Newton-John des Free Jazz<br />
inszenierte.<br />
EIN WENIG<br />
geschraubt<br />
Ziemlich karg gibt sich der neue<br />
Schmuck von Saint Laurent by<br />
Hedi Slimane. <strong>Die</strong>ser Armreif zeigt,<br />
worum es dem neuen Creative<br />
Director Hedi Slimane geht:<br />
intellektuelle Eleganz.<br />
KATZEN WÜRDEN CARTIER<br />
KAUFEN: OHRRINGE<br />
AUS GELBGOLD<br />
MIT TSAVORIT-AUGEN<br />
Wie fühlt man sich als Gesicht von Armani?<br />
Sie sind in der Kampagne für den neuen Duft „Eau de Nuit“ von Armani. Wie ist es, sich<br />
auf riesigen Plakaten zu sehen? – Ich habe mich nie besonders hübsch gefühlt. Daran<br />
ändern auch die Plakate nichts. Ist das Ihr erster Auftritt als Model? – Ja, und der letzte.<br />
Ich habe das nur wegen Giorgio Armani gemacht. Was haben Sie bei dem Job<br />
gelernt? – Ich war neugierig, wie sich das anfühlen würde. Und wie mich Inez van<br />
Lamsweerde dirigieren würde. Sie arbeitet sehr intensiv mit den Menschen vor der<br />
Kamera. Was ich in meiner Rolle als Kampagnenmodel gelernt habe: Mach<br />
dich locker! Wobei viele Fotos von Helmut Newton darauf beruhen, dass sich das<br />
Model unwohl gefühlt hat. Ach so, und: Wie haben Sie Keith Richards für Ihre Porträts<br />
zum Lächeln gebracht? – I told him to make love to his guitar.<br />
HEUT MAL EIN MODEL: DER FOTOGRAF FRANCESCO CARROZZINI
WOW!<br />
DER NEUE<br />
MAKROTREND<br />
HEISST TEXTUR<br />
wow!<br />
Loretta MIRAGLIA<br />
erklärt, warum die Welt<br />
weicher wird<br />
„Wir haben lange an der Entwicklung einer neuen Textur gearbeitet. Nicht<br />
so schwer wie ,Crème de la Mer‘, nicht so leicht wie das Gel. Das Ergebnis ist<br />
die ,Soft Cream‘. Welches Produkt das richtige ist, hängt ab von deiner Haut,<br />
dem Klima, das dich umgibt, der Phase, die du gerade durchlebst. Wir haben<br />
immer mal Kummer oder Stress. Aber die Belastungen für die Psyche und<br />
die Haut sind heute extremer, als uns das überhaupt bewusst ist. Durch unser<br />
beschleunigtes Leben, aber auch durch das Essen, das Wasser, die Medikamente,<br />
die wir nehmen.<br />
Es gibt einen neuen Makrotrend in der Gesellschaft: Textur. Architektur,<br />
Wissenschaft und Design bemühen sich um Objekte und Materialien, die neue<br />
oder bisher unvereinbar scheinende Eigenschaften bieten: eine Art Stoffbeton,<br />
den man in jede Form bringen und dann mithilfe von Wasser verfestigen kann;<br />
Wandfarbe, die sich weich anfühlt und die Luft reinigt; schalldichte Vorhänge<br />
für Krankenhäuser. Wir gestalten unsere Welt mit leichteren, weicheren,<br />
flexibleren Materialien. Wir berühren ein Produkt, und deswegen berührt das<br />
Produkt uns. Wir sehen mit unseren Fingerspitzen.“<br />
Loretta Miraglia ist Senior Vice President of Corporate Creative<br />
Product Development and Innovation für Estée Lauder Companies<br />
Frisch aus dem<br />
GIFTSCHRANK<br />
Es ist nicht ganz klar, welche Botschaft<br />
dieses Bild vermitteln will: Joan Crawford<br />
als Knallcharge? Silvester mit einer Diva?<br />
Volkskrankheit Blähungen? Aber es sind ja<br />
oft die schrägen Inszenierungen, mit denen<br />
man die Herzen der Menschen erreicht. Der<br />
Bildband Hollywood Unseen – Filmstars hinter<br />
den Kulissen (Prestel) feiert selten gesehene<br />
Fotos aus der Glanzzeit Hollywoods: Greta<br />
Garbo mit einem Kapuzineräffchen, Boris Karloff<br />
in Frankensteinmaske mit einer Tasse Filterkaffee<br />
– die Bilder zeigen keine Stars in intimen Momenten,<br />
sondern vielmehr dass die Vermischung von<br />
Wirklichkeit und Fiktion ein viel älteres Thema ist, als<br />
wir heute glauben. Viele der Motive sind erfrischend gay:<br />
Randolph Scott und Cary Grant etwa posieren<br />
mit einem Me dizin ball und entblößtem Oberkörper<br />
– kein Wunder, dass so etwas lange im<br />
Giftschrank lagerte.<br />
Kaum vorstellbar, wie der Winter in<br />
Berlin zu ertragen wäre, würde er nicht<br />
durch die Filmfestspiele im Februar<br />
unterbrochen. Auf den roten Teppichen<br />
paradieren Hollywoodstars und<br />
lokale Prominenz, Berlinale-Chef<br />
<strong>Die</strong>ter Kosslick scheint überall<br />
gleichzeitig zu sein, das Angebot an<br />
Premieren, Partys, Abendessen ist<br />
kaum zu bewältigen. Einen Ort, an<br />
ENDLICH MAL NICHT TOTAL<br />
PRAKTISCH UND NICHT ZWINGEND<br />
FÜR FERNREISEN GEEIGNET.<br />
FÜR DIE SERIE OBJETS NOMADES<br />
VON LOUIS VUITTON ENTWARFEN<br />
GASTDESIGNER REIZENDE<br />
SCHRULLIGE ARTEFAKTE WIE<br />
DIESEN STRICK-HÄNGESTUHL<br />
ODER ETWA EINEN<br />
KLEIDERSACK AUS<br />
LEDERFLICKEN.<br />
dem man Atem holen, den Look für den Abend perfektionieren<br />
und ein paar wirklich interessante Menschen<br />
treffen konnte, gab es noch nicht: Deswegen richtet<br />
<strong>Interview</strong> vom 7. bis 11. Februar die All is pretty-Lounge im<br />
Soho House ein. Hier können sich von <strong>Interview</strong> geladene<br />
Gäste Make-up und Haare von Experten premierentauglich<br />
stylen lassen, ein passendes Outfit und den gen Schmuck wählen, nebenbei ein Glas Champagner (oder<br />
richti-<br />
Polish Mule) trinken und sich dann in einer Limousine<br />
zum nächsten Event chauffieren lassen. Partner bei diesem<br />
52<br />
Fliederleicht<br />
Der Berliner Modedesigner Kostas Murkudis hat sich mit dem<br />
Herren schneider Regent aus Weissenburg (Bayern) zusammengetan<br />
und stellt nun eine Capsule Collection für Frauen vor: gekonnte<br />
Schnitte mit gekonnten Regelbrüchen. High concept, aber unbe-<br />
schwert. Und eine Farbpalette wie ein ausgewaschener Fliederhain.<br />
INTERVIEW<br />
PRÄSENTIERT: DIE<br />
ALL IS PRETTY-LOUNGE<br />
All-inclusive-Service sind Mercedes-Benz, Tiffany, Wella<br />
Professional, MAC Cosmetics, Belvedere Vodka, das<br />
Mode label Kaviar Gauche sowie Moët & Chandon, dessen<br />
Berlinale-Edition hier zu sehen ist.<br />
<strong>Die</strong> 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin finden<br />
vom 7. bis 17. Februar 2013 statt. Als Jurypräsidenten<br />
konnte man in diesem Jahr den Regisseur Wong Kar Wai<br />
gewinnen, der seinen Film The Grandmasters mitbringt,<br />
außerdem läuft im Wettbewerb u. a. Promised Land, das<br />
neue Werk von Gus Van Sant.<br />
Fotos: Joan Crawford, 1927, John Kobal Foundation; La Mer; Louis Vuitton; Jonas Lindström/Regent x Kostas Murkudis; Moët & Chandon ; ©LUCKY LAND COMMUNICATIONS – SHUEISHA<br />
… und das PFERD erfährt ein Upgrade zum Einhorn!<br />
Das italienische Modehaus Gucci erweist sich erneut als Virtuose in der Disziplin Cross-Branding. Creative Directrice Frida Giannini bat den japanischen Manga-<br />
Künstler Hirohiko Araki, die aktuelle Cruise Collection visuell umzusetzen. Das Ergebnis ist ebenso märchenhaft wie Gucci: Florale Muster, so weit das Auge reicht,<br />
eine erotomane Heldin mit grünen Fußnägeln und Haarteil, ein Begleiter mit aufreizend perfekter Frisur und Horsebit-Loafern – und das für die Marke derzeit<br />
unvermeidliche Pferd wurde zum Einhorn upgegradet. <strong>Die</strong> knallbunten Bilder schmücken seit 7. Januar die Schaufenster von weltweit 70 Gucci-Stores.<br />
53
Me, My jeans<br />
&I<br />
Fotos jonas LindströM<br />
Text Katharina BöhM<br />
Mode<br />
Ein DEnim-klassikEr wirD nEu<br />
intErprEtiErt. Ein paar<br />
hochintErEssantE mEnschEn<br />
zEigEn, wiE DiE DiEsEl saDDlE<br />
hEutE gEtragEn wirD<br />
wEitErE Fotos, looks unD intErviEws auF intErviEw.DE<br />
Timothy Palma, Autor<br />
Bei seinem Forschungsprojekt über Amerikaner in Europa fand der<br />
New Yorker verschollene Verwandte in Italien. „<strong>Die</strong> Begegnungen<br />
verarbeite ich in einem Essay mit dem Titel Cold Stue.“<br />
Carlos Trujillo, Stylist<br />
Carlos Trujillo kommt aus Ecuador und studiert zurzeit Fotografie in<br />
Berlin. Seine größte modische Inspirationsquelle ist seine Mutter. „Aber<br />
Róisin Murphy finde ich auch toll, die würde ich gern mal einkleiden.“<br />
Kate Miller, DJ<br />
<strong>Die</strong> Musikszene in Kate<br />
Millers Heimatstadt<br />
Melbourne ist zwar<br />
überraschend lebendig,<br />
aber, wie so oft, von<br />
Männer und solchen, die<br />
es werden wollen,<br />
dominiert. Also zog die<br />
22-Jährige ins durchlässigere<br />
Berlin und legt<br />
nun in Clubs wie dem<br />
Golden Gate oder dem<br />
Tresor auf. Wenn einer<br />
der Gäste lächelnd mit<br />
geschlossenen Augen<br />
auf der Tanzfläche wippt,<br />
ist sie zufrieden. Tagsüber<br />
besucht Kate eine<br />
Sprachschule und lernt<br />
Sätze, die man als<br />
DJ so braucht: „Ich hätte<br />
gerne einen Kaffee.<br />
Oder einen Jägermeister.“<br />
54<br />
styling carolinE lEmblé<br />
haare & make-up catrin krEyss<br />
casting ahmaD larnEs<br />
Foto-assistenz svEa pöstgEs<br />
Dank an DElight stuDios bErlin<br />
David Metcalfe, Model<br />
Er ist unter anderem für Lanvin und Dior Homme gelaufen<br />
und sieht aus wie dem Film This Is England entsprungen. Auf seinen<br />
linken Arm ließ er sich ein Porträt von Nietzsche tätowieren.<br />
55<br />
Gérald Friedrich Spelsberg, Kostümdesigner<br />
GFS erzählt ungern zu viel von sich, aber so viel sei verraten: Er mag<br />
Tiere. „Meiner Katze habe ich einmal ein komplettes Michael-<br />
Jackson-Outfit genäht, mit Hut und Stiefeln. Es stand ihr ausgezeichnet.“
Schuhe<br />
DiOr<br />
Jeans<br />
FrEEMAn T.pOrTEr<br />
Tasche<br />
EMpOriO ArMAni<br />
Handschuhe<br />
rOECKL<br />
Trenchcoat<br />
BUrBErrY prOrSUM<br />
Ohrringe<br />
DOLCE &<br />
gABBAnA<br />
Taschen<br />
ÉLOUiZE FÜr CHAingAng<br />
Armreife<br />
HErMÈS<br />
Kette<br />
CHAingAng<br />
Kette<br />
LOUiS VUiTTOn<br />
METALLiC, ExOTiSCH-OpULEnT,<br />
BEigE-vAriATiOnEn, SCHwArZ-wEiSS.<br />
viEr iDEEn, wiE SiE SiCH in DEn<br />
näCHSTEn wOCHEn SCHMÜCKEn,<br />
AUSSTATTEn UnD, nA jA:<br />
gLÜCKLiCH MACHEn KönnEn<br />
Spring!<br />
Schuhe<br />
DOLCE & gABBAnA<br />
Schuhe<br />
JiMMY CHOO<br />
Armreif<br />
MArJAnA VOn<br />
BErLEpSCH<br />
Fotos jonas lindström<br />
Styling Caroline lemblé<br />
Schuhe<br />
EMpOriO ArMAni<br />
Schuhe & Socken<br />
prADA<br />
Tasche<br />
DOLCE &<br />
gABBAnA<br />
Tasche<br />
BArBArA BUi<br />
Kleid<br />
rALpH LAUrEn
Tasche<br />
GIVENCHY<br />
Schuhe<br />
NAVYBOOT<br />
Strumpfhose<br />
ITEM M6<br />
Tasche<br />
GIORGIO ARMANI<br />
Kette<br />
(als Armband<br />
getragen)<br />
CHANEL<br />
Hut<br />
SAINT LAURENT<br />
BY HEDI SLIMANE<br />
Top & Rock<br />
FENDI<br />
Haare & Make-up MANUELA KOPP<br />
MIT PRODUKTEN VON KEVIN MURPHY<br />
& GIORGIO ARMANI COSMETICS<br />
Model MAIKE KLEIBER/SMC MODEL<br />
MANAGEMENT<br />
Foto-Assistenz PHILLIP KOLL<br />
Taschen<br />
SALVATORE FERRAGAMO<br />
Tasche<br />
TOD’S<br />
Schuhe<br />
BOTTEGA VENETA<br />
Tasche<br />
ALEXANDER<br />
McQUEEN<br />
Handschuhe<br />
KARL LAGERFELD<br />
VINTAGE<br />
Schuhe<br />
CHANEL<br />
Kleid<br />
BALLY<br />
Tasche<br />
DIOR<br />
Handschuhe<br />
ROECKL<br />
Schuhe<br />
JIL SANDER<br />
Armreif<br />
MARJANA<br />
VON<br />
BERLEPSCH<br />
Tasche<br />
PRADA
4 Looks<br />
für<br />
2k13<br />
Beauty<br />
2<br />
moschino<br />
dolls<br />
Laut Modekritiker Tim Blanks war Sharon Stones Look als Filmfigur Ginger McKenna<br />
(Casino) in dieser Saison bei gleich drei Schauen Vorbild fürs Make-up. Besonders<br />
ein deutig bei Moschino: rote Lippen, viel schwarzer Lidschatten, weißer Kajal und falsche<br />
Wimpern sorgen für riesige Puppenaugen. Um den Effekt noch dramatischer zu machen,<br />
werden die Augenbrauen dunkel nachgezogen.<br />
moschino<br />
3<br />
rick owens<br />
Fotos<br />
kevin tAchmAn<br />
cArlottA mAnAigo<br />
Ein fast schon neonfarbenes Rot: Betont durch die feine weiße Linie am Amorbogen überstrahlt es das ganze Gesicht. Doch auch alles<br />
zwischen Erdbeer und Granatapfel wird diesen Sommer zur Trendfarbe. Den Rest des Make-ups gilt es dabei auf ein Minimum zu<br />
reduzieren. Ein transparenter Teint, etwas Highlighter in den Augenwinkeln und in Form gebrachte Augenbrauen reichen völlig aus.<br />
60<br />
1<br />
statement<br />
Lips<br />
Prada<br />
Fotos: Kevin Tachman (6); Carlotta Manaigo (1)<br />
sehr beige<br />
Gesehen bei Jil Sander und Rick Owens. Für Sanders<br />
erste eigene Kollektion nach acht Jahren entschied<br />
sich Make-up-Artist Pat McGrath für Lippen<br />
und Au gen lider in derselben Farbe, eine Reminiszenz<br />
an Sanders 90er-Jahre. Den modernen Twist bewirken<br />
die mit Highlighter modellierten Wangenknochen.<br />
fendi<br />
Jil sander<br />
4Hellblauer<br />
eyeliner<br />
61<br />
fendi<br />
Make-up-Artist Peter Philips wollte für diese Schau<br />
unbedingt die Originalfarben der aktuellen Kollektion verwenden.<br />
Man nimmt ein Stück Stoff (in diesem Fall von<br />
einem Bade anzug), schneidet ihn in feine Streifen und klebt<br />
diese den Models auf das untere Augenlid.
BEAUty<br />
Kirschblüte, Reisöl und<br />
Koishimaru-Seide<br />
Eine Kolumne von BEttina BrEnn<br />
SENSAI ULTIMATE THE EMULSION<br />
ist der zweite Step des luxuriösen Hautpflegerituals<br />
der neuen “Ultimate”Serie. Sie folgt<br />
der Lotion (nicht im Bild) und durchfeuchtet<br />
die Haut auf eine unbeschreibliche Weise als<br />
Vorbereitung auf die Creme.<br />
Von KANEBO, um 385 Euro<br />
SENSAI ULTIMATE THE CREAM<br />
basiert auf 23 Jahren DNAForschung und<br />
nutzt einen Wirkstoffkomplex, gewonnen<br />
aus der Kirschblüte, um Hautschäden zu<br />
regenerieren. Von KANEBO, um 710 Euro<br />
FLORABOTANICA SHOWER GEL<br />
duftet nach Vetiver, Amber, einem Caladium-<br />
Blattakkord und einer dunklen, geheimnisvollen<br />
Rose. Von BALENCIAGA, um 30 Euro<br />
Parfüm MARNI<br />
Genauso ungewöhnlich wie die Mode des<br />
italie nischen Labels. Von MARNI, ab 60 Euro<br />
Vase VINtAGE, Blütenbouquet bestehend<br />
aus grünen Orchideen, Duftlilien und<br />
Ama ryllis, tisch “Eye table” (1945) von<br />
FINN JUHL, über wohnkultur66.de<br />
Cremes und Lotionen werden seit jeher in Tiegeln oder Flakons<br />
verkauft. Und wie in jedem hart umkämpften Markt<br />
ist die Verpackung überlebenswichtig. Es regiert der clean<br />
chic, aber zweckmäßig muss sie auch sein. Denn man möchte<br />
ja den pflegenden Inhalt verkaufen und diesen so gut wie möglich<br />
schützen. Das bedeutet: Cremes mit Vitamin C gehören unbedingt<br />
in lichtundurchlässige Gefäße, Lotionen in praktische Pumpflakons<br />
und Produkte für besonders sensible Haut (mit wenigen Konservierungsstoffen)<br />
luftdicht verpackt in einen modernen Spender, der<br />
genau eine Portion raus-, aber keine reizenden Keime reinlässt.<br />
In der Gestaltung gab es natürlich immer Ausnahmen. Eine ist der<br />
japanische Luxuskonzern Kanebo. Bereits bei „Sensai Prime Solution“<br />
erkennt man die Handschrift des Innen architekten und Industrie<br />
designers Gwenaël Nicolas. Der in Japan mit mehreren Preisen<br />
ausgezeichnete Franzose ist Chef des Design büros Curiosity. <strong>Die</strong>ses<br />
Büro entwirft nicht nur Konzepte für Shops von Louis Vuitton bis<br />
Uniqlo, sondern baut auch Hotels, ge staltet internationale Ausstellungen,<br />
entwirft Möbel und nebenbei noch großartige Flakons.<br />
Bei der neuen, besonders kostbaren Serie „Sensai Ultimate“ entschied<br />
sich Kanebo für einen luxuriösen matten Goldton und integrierte<br />
erneut die sanfte Wellenbewegung der einzelnen Schichten<br />
eines Kimonogürtels. <strong>Die</strong>se zart geschwungenen Linien auf dem<br />
Cremetiegel erinnern mich hier allerdings wegen der kokonartigen<br />
Form des Gefäßes eher an ein Gebäude des kürzlich verstorbenen<br />
brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer: wunderschön und in<br />
einer perfekten Harmonie, wie die Bauwerke des großen Meisters.<br />
Der Inhalt verspricht Ähn liches – eine allumfassende Pflege für diejenigen,<br />
die bereits alles kennen und doch noch immer auf der Suche<br />
sind. Mit traditionellen japanischen Inhaltsstoffen wie einem Sakura-Extrakt<br />
(Kirschblüte), Reisöl und der Basis eines jeden Kanebo-<br />
Produkts: der Koishimaru-Seide. Damit verspricht „Sensai Ultimate“,<br />
die Haut in ihrem Gleichgewicht zu halten, vor Umwelteinflüssen<br />
zu schützen und Fältchen und alle anderen Zeichen der Hautalterung<br />
zu minimieren.<br />
Visuell ebenfalls sehr beeindruckt hat mich der erste Parfümflakon<br />
von Marni. Consuela Castiglioni, die Chefin des italienischen<br />
Modelabels, wählte ihr immer wiederkehrendes Lieblingsmuster,<br />
die Dots, in Kombination mit einem scheinbar nachlässig gedruckten<br />
Label. Dazu einen kirschroten Verschluss und eine zarte, aber<br />
sehr grafische Linie, die dem Flakon den richtigen Halt gibt. Das ist<br />
Marni in Perfektion. Auch der Inhalt spiegelt die Intellektualität der<br />
Marke wider: Weder blumig noch lieblich noch süß, war die Vorgabe<br />
der Designerin. Heraus kam eine Kreation mit würzigen Aromen,<br />
einem dunklen Rosenakkord und tiefgründigem Weihrauch.<br />
Ebenfalls ein Meisterstück des Designs ist „Le Rouge“: der erste<br />
Lippenstift, der von Riccardo Tisci entworfen wurde. Der Chefdesigner<br />
von Givenchy wählte kühles Metall mit schwarzem Nappaleder<br />
als Hülle für die zwölf neuen Nuancen. Sehr sexy!<br />
Da passt die Philosophie Kanebos: „,Ichi-go – Ichi-e‘, jede<br />
Begegnung ist einzigartig und wird deshalb zu einem ganz besonderen<br />
Erlebnis.“<br />
Foto roBin Kranz & volKEr hoBl<br />
retusche tElsE Faust,<br />
tElsE-Faust.dE<br />
www.interview.de<br />
Screentests:<br />
AHMAD LARNES & KATE MILLER<br />
62
KULTUR<br />
kultur<br />
Anschauen!<br />
FILME<br />
„DJANGO UNCHAINED“<br />
Sensibles Drama von Quentin Tarantino über den<br />
Zahnarzt und Sklavereikritiker Dr. King Schultz, der<br />
mit seinem Sklaven Django Jagd auf einen Finsterling<br />
macht, um Djangos Gattin Broomhilda von<br />
Shaft aus dessen Fängen zu befreien (ab 17. Januar).<br />
„FLIGHT“<br />
Heldentum und Alkoholismus, das muss kein Widerspruch<br />
sein. Denzel Washington verhindert als tapferer<br />
Flugkapitän Whip Whitaker einen Flugzeugabsturz<br />
– ist aber nebenbei ein Säufer. Eine<br />
Charakterstudie zum Nachschenken (ab 24. Januar).<br />
„GANGSTER SQUAD“<br />
Amerika in den Vierzigern. Ein übler Mafioso hat<br />
Drogenhandel, Prostitution und Polizei fest im Griff,<br />
bis eine Spezialeinheit sich ihm entgegenstemmt.<br />
Mit Ryan Gosling – yeah! HipHop-Soundtrack und<br />
Gemetzel – auch yeah! (ab 24. Januar)<br />
GUCKT, WIE ER GUCKT: EMMA STONE UND<br />
GOSLING IN GANGSTER SQUAD<br />
„ZERO DARK THIRTY“<br />
Fang den Terroristen! Regisseurin Kathryn Bigelow<br />
schickt Jessica Chastain als CIA-Agentin Maya<br />
zwecks Al-Qaida-Fahndung nach Peschawar. Ihr<br />
Einsatz schlägt ein wie die Taube auf dem Dach. Bin<br />
Laden tot. Irre spannend! (ab 31. Januar)<br />
„DIE QUELLEN DES LEBENS“<br />
Der Film zum Roman über Oskar Roehlers Leben.<br />
Ersterer erzählt auch die Geschichte der Bundesrepublik,<br />
was wiederum unter Beweis stellt, dass Roehler<br />
alles aus seinen Filmen rausholt. Und dann erst<br />
die Besetzung: Alle spielen mit, sogar Wilson Gonzales<br />
und Bonnie Strange (ab 14. Februar).<br />
1Georg Baselitz<br />
Er feiert am 23. Januar seinen 75. Geburtstag. Zu diesem Anlass zeigt das Sammlerpaar Essl im gleichnamigen<br />
Museum in der Nähe von Wien 44 Werke aus vier Jahrzehnten. Vom Geniestreich, einfach<br />
alles auf den Kopf zu stellen, abgesehen: Der Mann hat ästhetische und intellektuelle Schranken<br />
einfach niedergemalt, ist neugierig geblieben und wirkt nicht wie sein eigenes Denkmal. Glückwunsch.<br />
INNOVATION<br />
FOOD RAP, der: neues Subgenre des New Yorker<br />
Sprechgesangs, in dem bevorzugt über Essenszubereitung,<br />
Weinsorten, Zutaten und Restaurants gerappt wird.<br />
Wichtigster Vertreter: Action Bronson, Sohn albanischer<br />
Einwanderer, bürgerlicher Name Ariyan Arslani, aufgewachsen<br />
in Flushing, Queens. Bronson, 29, arbeitete als Koch,<br />
bevor er Rapper wurde.<br />
Bestes Mixtape: Bon Appetit … Bitch!!!! Key Track: Shiraz<br />
GLÜCKSZAHL<br />
Das Durchschnittsalter der Rolling Stones<br />
68 Jahre & 247 Tage<br />
ist höher als das im amerikanischen Supreme Court<br />
67 Jahre & 49 Tage<br />
(Stand: 15. Januar)<br />
+ : - =<br />
64<br />
2Yoko Ono<br />
Sie ist eine der kontroversesten<br />
Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts<br />
und noch immer Vorbild<br />
und Nervensäge. Große Retrospektive<br />
in der Schirn/Frankfurt<br />
ab 15. Februar.<br />
DIE LEONARDO-DICAPRIO-FORMEL <strong>Die</strong> Komponenten, aus denen der Schauspieler („Django Unchained“) zusammengesetzt ist<br />
ROBERT DE NIRO<br />
(CA. 1973)<br />
JUSTIN BIEBER<br />
(CA. GESTERN)<br />
EISBÄR KNUT<br />
(CA. 2007)<br />
BAR RAFAELI<br />
(VORBEI)<br />
LEONARDO<br />
DICAPRIO<br />
Fotos: Mischa Nawrata, Wien, Wir besuchen den Rhein II, 1997, Öl auf Leinwand, 300 x 450 cm,© Georg Baselitz; Wilson Webb/© 2012 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. ; Minoru Niizuma; © Courtesy LENONO PHOTO ARCHIVE, Yoko Ono, Cut Piece, 1965, Performed von Yoko Ono, Carnegie Recital Hall, New York, 1965; Mondadori Collection/<br />
Getty Images; Corbis; NG Collection/INTERFOTO; INFevents.com; © 2012 Suhrkamp Verlag GmbH; Azzlackz; Rosemarie Trockel, Aus Yvonne (Made out of Yvonne), 1997, Plastic, wood, paint, polystyrene, and fabric 72,5 x 30 x 30 cm, Private Collection, © Rosemarie Trockel, VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Courtesy Sprüth Magers Berlin London<br />
Aufschlagen!<br />
BüchEr<br />
DAve eGGerS<br />
„eiN HoLoGrAMM Für DeN KöNiG“,<br />
Kiepenheuer & Witsch, Februar<br />
ein König, der nicht kommt, ein vater auf einer<br />
Poolparty in der schwedischen Botschaft, ein aufgeschnittenes<br />
Geschwulst. Der neue Dave eggers ist<br />
noch besser, als man es erwartet hatte.<br />
roBerto BoLAño<br />
„<strong>Die</strong> Nöte DeS wAHreN PoLiziSteN“,<br />
Hanser, Februar<br />
wie auch der posthum erschienene vorgänger 2666<br />
ist dieser roman über einen wissenschaftler, der mit<br />
50 sein Coming-out hat, ganz anders als alles, was<br />
man kennt.<br />
HiLArY MANteL<br />
„FALKeN“, Dumont, Februar<br />
Staatsräson und ehebruch. Hilary Mantel erzählt im<br />
zweiten teil ihrer großartigen tudor-trilogie, wie<br />
Henry viii. sich seine zweite Frau vom Hals schafft:<br />
Köpfen.<br />
JoeY GoeBeL<br />
„iCH GeGeN oSBorNe“, Diogenes, März<br />
Nieder mit Unvernunft und loser Moral! Der großartige<br />
Joey Goebel erzählt in seinem neuen roman<br />
von einem erwachsenen teenager, der seiner kindischen<br />
Umwelt den Kampf ansagt.<br />
wiLLiAM t. voLLMANN<br />
„eUroPe CeNtrAL“,<br />
Suhrkamp, April<br />
wenn in Fukushima Atomkraftwerke<br />
lecken oder in<br />
Afghanistan Krieg ist, fährt<br />
vollmann hin. Heraus kommen<br />
gnadenlos recherchierte<br />
Bücher von beängstigendem<br />
Umfang. Auch diesmal.<br />
ExpErtEntipp<br />
<strong>Die</strong> Verlorenen” von Daniel Mendelsohn ist<br />
ein wahrer Krimi, eine Autobiografie,<br />
ein Geschicht sbuch und gleichzeitig Grübelei<br />
über und Analyse von Erzähltechniken. Ein Werk<br />
voller herzzerreißender, tragischer Spannung.<br />
365<br />
mitgEhört<br />
klaus Biesenbach trifft A$AP rocky<br />
Der MoMA-PS1-Direktor und Gründer der Berliner Kunstwerke, Klaus Biesenbach,<br />
trifft den Rapper A$AP Rocky auf dem First-Class-Flug von JFK nach Miami. Ein<br />
zufällig Mitreisender in der Reihe dahinter hat aufgepasst.<br />
Klaus BiEsEnBach: warst du schon mal bei der Art Basel?<br />
a$ap rocKy: Nein. Aber ich liebe Kunst. Bist du Künstler?<br />
BiEsEnBach: Nicht direkt. ich beschäftige mich viel mit Kunst. ich habe mal eine verrückte Show im<br />
MoMA kuratiert: <strong>Die</strong> Künstlerin Marina Abramović saß an einem tisch, die Museumsbesucher konnten ihr<br />
gegenüber Platz nehmen. <strong>Die</strong> Schlangen waren gigantisch, Hunderte von Menschen wollten das erleben.<br />
a$ap: Als Charity-Aktion?<br />
BiEsEnBach: Nein, als Kunstwerk. wegen der Schönheit.<br />
<strong>Die</strong> Stewardess bringt Weißwein. Alle Passagiere in der First Class nehmen ein Glas, Biesenbach und A$AP auch, der<br />
Rapper nippt und lässt es zurückgehen. Ein Mitglied seiner Entourage kommt vorbei und zeigt ihm ein Magazin. Auf<br />
dem Titelbild: A$AP Rocky, der ein Messer an seine Goldzähne hält.<br />
BiEsEnBach: wo sind denn deine Goldzähne?<br />
a$ap: trage ich heute nicht.<br />
BiEsEnBach: Hast du vielleicht Lust, zu meinem event am Freitag zu kommen?<br />
Das Flugzeug startet. Beide Männer schlafen ein. Kurz vor der Landung wachen sie wieder auf.<br />
BiEsEnBach: Gib mir doch mal deine Nummer, dann ruf ich an. wie heißt du eigentlich mit vornamen?<br />
a$ap: A$AP rocky.<br />
BiEsEnBach: Und wie nennen dich deine Freunde?<br />
A$AP Rocky antwortet nicht.<br />
gEfundEn BEi mEgazinEmagazinE.com<br />
Lee CHiLD ist der Autor<br />
der Jack Reacher-Serie,<br />
die gerade mit toM CrUiSe<br />
verfilmt wurde.<br />
Der komplette<br />
Literaturfragebogen<br />
mit ihm<br />
auf interview.de<br />
Rosemarie<br />
Trockel<br />
Nach ihrer umwerfenden<br />
Show im New Museum in<br />
New York zeigt die<br />
Künstlerin in der<br />
Serpentine Gallery<br />
in London<br />
A Cosmos, in der<br />
sie eigene Arbeiten<br />
denen anderer<br />
Künstler gegenüberstellt<br />
(ab 13. Februar).<br />
Anmachen!<br />
PlAttEN<br />
HAFtBeFeHL<br />
„BLoCKPLAtiN“ (AzzLACKz)<br />
Hafti, wie wir ihn gerne nennen, hebt deutschen<br />
HipHop mit seiner Doppel-CD auf eine neue<br />
Stufe. Chabos wissen wer der Babo ist. wir auch.<br />
NiLS FrAHM<br />
„SCrewS“ (erASeD tAPeS)<br />
Gar nicht lustig: Der Pianist, Komponist und<br />
Produzent Nils Frahm stürzte in seinem Studio<br />
aus dem Hochbett, brach sich dabei den Daumen,<br />
steckte damit in einer Lebenskrise und zauberte mit<br />
einer Neun-Finger-technik dieses wunderbare<br />
Klavier album hervor.<br />
LUSiNe<br />
„tHe wAitiNG rooM“ (GHoStLY iNt.)<br />
eines dieser großartigen electro/House/Pop-Alben,<br />
das gerade deswegen so gut ist, weil es keinen Grund<br />
gibt, etwas darüber zu schreiben.<br />
JiM JAMeS<br />
„reGioNS oF LiGHt AND SoUND oF GoD“<br />
(CooPerAtive MUSiC)<br />
Soloalbum des My-Morning-Jacket-Sängers, das<br />
zum Glück kein Stück nach My Morning Jacket<br />
klingt. Stattdessen: spitzenmäßig epischer 70er- Jahre-<br />
Prog-Soul, der von Lynd wards Graphic Novel<br />
God’s Man von 1929 inspiriert ist.
KULTUR<br />
Richard<br />
DawKins<br />
wenn dieser Mann eine Kirche betritt,<br />
kocht das weihwasser: RichaRD DawKins<br />
ist der führende atheist der westlichen welt.<br />
seine anhänger verehren den Evolutionsbiologen<br />
aus Oxford als Gegenpapst. Benedikt XVi.<br />
selbst hat die Gefahr längst erkannt, die von<br />
Dawkins ausgeht. Und der Professor? Lässt<br />
sich in seinem Kreuzzug im <strong>Die</strong>nste der<br />
wissenschaft nicht beirren. sein neues Buch, ein<br />
Kinderbuch, soll die Jüngsten gegen das Gift<br />
des Glaubens wappnen<br />
von<br />
jörg hArlAn rohleder<br />
porträt<br />
ronAld dIck<br />
IntervIew: Professor Dawkins, wie haben Sie Weihnachten<br />
gefeiert?<br />
rIchard dawkIns: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen:<br />
Wieso feiert ein erklärter Atheist Weihnachten?<br />
<strong>Die</strong> Antwort ist sehr simpel: wegen der Konventionen.<br />
Was nichts mit Glauben zu tun hat. Wir haben<br />
im Kreise der Familie gefeiert. Wie es sich gehört.<br />
IntervIew: Sie waren nicht in der Kirche?<br />
dawkIns: Nein.<br />
IntervIew: Aus Angst, das Weihwasser könne anfangen<br />
zu kochen?<br />
dawkIns: Das ist albern.<br />
IntervIew: Warum tragen Sie einen Pin mit dem<br />
Buchstaben A?<br />
dawkIns: Das A steht für Atheist.<br />
IntervIew: Muss man im dritten Jahrtausend den<br />
Nichtglauben so öffentlich zur Schau stellen?<br />
dawkIns: Ja, da man sonst als Atheist gerne übergangen<br />
wird. Das A ist zudem das Zeichen meiner<br />
Out-Kampagne: Es ist an der Zeit, für den Nichtglauben<br />
einzustehen, ihn öffentlich zu machen, Rechte für<br />
Nichtgläubige einzufordern, sich dazu zu bekennen.<br />
In gewisser Weise ist es vergleichbar mit dem Coming-out<br />
von Homosexuellen.<br />
IntervIew: Atheisten dürfen aber heiraten.<br />
dawkIns: Das stimmt.<br />
IntervIew: Und Präsident Obama vergaß auch<br />
nicht, die Nichtgläubigen in seiner Inauguration zu<br />
adressieren.<br />
dawkIns: Ich habe diese Anerkennung wohlwollend<br />
zur Kenntnis genommen. Dennoch werden wir<br />
in aktuellen politischen Diskussionen und was unsere<br />
Rechte angeht viel zu oft übersehen. Es gibt beispielsweise<br />
viel weniger Juden als Nichtgläubige. Das sage<br />
ich nicht, um den Juden etwas vorzuwerfen. Ich sage<br />
es, weil wir, die Agnostiker und Atheisten, uns viel zu<br />
selten als Gruppe zu Wort melden.<br />
IntervIew: Gibt es eigentlich nicht ein passenderes<br />
Wort für Nichtgläubige als Atheisten? Ihr großes<br />
Vorbild Charles Darwin nannte sich selbst Agnostiker.<br />
dawkIns: Ich habe mich auch schon des Öfteren<br />
als Zahnfee-Agnostiker bekannt. Einfach, weil ich die<br />
Nichtexistenz von Gott nicht beweisen kann, seine<br />
Existenz jedoch so wahrscheinlich finde wie die der<br />
Zahnfee oder des fliegenden Spaghettimonsters.<br />
IntervIew: Das heißt aber, dass Sie sich eine Hintertüre<br />
für eine mögliche Existenz eines höheren Wesens<br />
offen halten.<br />
dawkIns: Wenn Sie an die Zahnfee glauben,<br />
dann haben Sie recht, dann lasse ich eine Hintertüre<br />
offen (lacht). Darwin nannte sich einen Agnostiker,<br />
weil er in einer anderen Zeit lebte und vorsichtig sein<br />
musste. Er zweifelte fundamental an der Erkennbarkeit<br />
Gottes. Ich glaube aber, man tut ihm nicht Unrecht,<br />
wenn man ihn als Atheisten bezeichnet.<br />
IntervIew: Hat Darwin nicht Theologie studiert?<br />
dawkIns: Man muss nicht an Gott glauben, um<br />
Theologie zu studieren.<br />
66<br />
IntervIew: Glauben Sie, Ihr Bestseller Der Gotteswahn<br />
hätte ihm gefallen? Darin erklären Sie aus<br />
darwinistischer Sicht, warum der Glaube an ein höheres<br />
Wesen ein grober Irrtum ist.<br />
dawkIns: Wahrscheinlich nicht so sehr wie meine<br />
anderen Bücher über die Evolution. Darwin war<br />
ein Gentleman, ihn hätte an Der Gotteswahn mit Sicherheit<br />
gestört, dass das Buch an manchen Stellen<br />
die Gefühle anderer Leute verletzen kann.<br />
IntervIew: Verletzt es Sie eigentlich, wenn man<br />
Sie Darwins Rottweiler nennt?<br />
dawkIns: Nein. Rottweiler sind schöne Hunde.<br />
Aber zurück zu Ihrer Frage nach einer passenden Bezeichnung<br />
für Nichtgläubige: Ein befreundetes Paar<br />
aus Kalifornien schlug den Namen Brights vor.<br />
IntervIew: Brights hat einen sehr elitären, nicht<br />
gerade sympathischen Beigeschmack.<br />
dawkIns: Ich habe nichts gegen Elitäres, solange<br />
es sich nicht ausschließend verhält. Im Mensa-Magazin<br />
gab es eine Metastudie, die 43 Studien untersucht<br />
hat, die zum Thema Bildung/IQ und Religion durchgeführt<br />
worden waren. Das Ergebnis: Je schlauer ein<br />
Mensch, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er<br />
oder sie Atheist ist. Das besagen 39 der 43 Studien. So<br />
gesehen trifft es der Begriff Brights ziemlich gut (lacht).<br />
IntervIew: Sie sind der bekannteste Fürsprecher<br />
des Atheismus. Haben Sie keine Angst, dass Sie als<br />
eine Art Gegenpapst der Atheisten zum Anführer einer<br />
eigenen Bewegung werden könnten?<br />
dawkIns: Bloß nicht! Ich will auf keinen Fall der<br />
Anführer eines Kults werden. Ich schreibe Bücher<br />
und freue mich, wenn ich helfen kann, den Blick einiger<br />
Menschen zu schärfen.<br />
IntervIew: Und trotzdem verkünden Sie Ihren<br />
Atheismus mit einer Inbrunst wie einst Paulus das<br />
Evangelium.<br />
dawkIns: Aber mit einer anderen Botschaft: Ich<br />
fordere Menschen dazu auf, für sich selbst zu denken,<br />
den eigenen Kopf zu gebrauchen und nach Beweisen<br />
zu fragen. Paulus predigte den Leuten, was sie zu denken<br />
haben. Das ist ein gewaltiger Unterschied.<br />
IntervIew: Ist Atheismus Ihrer Prägung nicht<br />
auch eine Spielart der Religion?<br />
dawkIns: Ein Bekannter von mir behauptet auch,<br />
dass eine Glatze eine Frisur sei.<br />
IntervIew: Immerhin scheint der Papst die Atheisten<br />
als alternative Glaubensrichtung und damit Ihre<br />
Division ernst zu nehmen. Bei seinem Staatsbesuch in<br />
Großbritannien 2010 machte Papst Benedikt in seiner<br />
Ansprache die Atheisten für Hitler verantwortlich.<br />
dawkIns: Was eine absolute Frechheit war. Vor<br />
allem von jemandem, der Mitglied der Hitlerjugend<br />
war. An seiner Stelle würde ich mich in Sachen Hitler<br />
nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen!<br />
IntervIew: Gemeinsam mit Christopher Hitchens<br />
bezichtigten Sie den Papst, er habe Verbrechen<br />
an der Menschheit begangen, und wollten vor seinem<br />
Besuch in Großbritannien ein Verfahren anstreben,<br />
ähnlich dem gegen den chilenischen Diktator Augusto<br />
Pinochet. Das klingt, entschuldigen Sie meine Wortwahl,<br />
nach einer mediengeilen Propagandamaßnahme.<br />
dawkIns: Nein. Christopher unterbreitete mir<br />
die Idee der Anklage gegen den Papst wegen seiner<br />
offenkundigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit<br />
in einem Brief, und natürlich hatte er recht mit der<br />
Grundthese. Dennoch ließen wir das schnell fallen,<br />
berieten uns mit einem Anwalt für Menschenrechte<br />
und überlegten, ob man ihn nicht anklagen könne, da<br />
er Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche<br />
bewusst unter den Teppich gekehrt hatte.<br />
Darwins rottweiler: Der evolutionsbiologe unD bestsellerautor<br />
richarD Dawkins in seinem wohnzimmer, oxforD, winter 2012<br />
67
“<br />
Der Gott des<br />
Alten Testaments ist<br />
ein Scheusal. Ein<br />
eifersüchtiger, bösartiger,<br />
übellauniger<br />
Kerl, der wahrscheinlich<br />
mieseste<br />
Charakter in der<br />
fiktiven Literatur<br />
IntervIew: Der Papst hat sich dafür entschuldigt.<br />
DawkIns: Wow, eine große Geste. <strong>Die</strong> Untersuchungsergebnisse<br />
des Vatikans zu den Missbrauchsfällen<br />
übergibt er dennoch nicht den ermittelnden<br />
Behörden.<br />
IntervIew: Professor Dawkins, Sie gelten als einer<br />
der profiliertesten Evolutionsbiologen unserer<br />
Zeit. Warum hegen Sie eigentlich diesen tief sitzenden<br />
Groll gegen Religion?<br />
DawkIns: Weil Religionen uns lehren, damit zufrieden<br />
zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen, dass<br />
wir nicht die Verantwortung für unser Handeln tragen<br />
und alles Irdische dem Willen eines Schöpfers<br />
folgt. Religionen geben keine zufriedenstellenden<br />
Antworten, ihre Welterklärungsmodelle taugen wissenschaftlich<br />
gesehen nicht mal als Witz. Zumal es für<br />
die meisten vermeintlichen Fragen doch wunderschöne<br />
wissenschaftliche Antworten gibt. Seit Darwin verstehen<br />
wir die Prinzipien der Evolution, warum sollten<br />
wir dann noch an einen Schöpfungsmythos<br />
glauben, warum weiter diesem Irrsinn folgen? Warum<br />
den gesunden Menschenverstand einfach an der Garderobe<br />
abgeben? Ohne Not, ohne Zwang! Das ist<br />
doch total absurd. Noch dazu im 21. Jahrhundert! Außerdem<br />
finde ich den Gedanken absurd, dass Menschen<br />
nur an etwas glauben, weil sie Angst davor haben,<br />
nach dem Tod in die Hölle zu kommen. Und<br />
wenn Eltern das aus Furcht vor Gott ihren Kindern<br />
erzählen und es so immer weitergegeben wird, verbreitet<br />
sich Glaube wie ein Virus.<br />
IntervIew: Sie finden also, dass Eltern, die einem<br />
bestimmten Glauben angehören, diesen nicht an ihre<br />
Kinder weitergeben sollten?<br />
DawkIns: Nein, wieso denn auch? Kinder suchen<br />
nach Antworten. Und wenn sie fragen, warum dies<br />
oder jenes falsch ist, kann man antworten: Du willst<br />
doch auch nicht, dass ein anderer Mensch dir so was<br />
antut. Kants kategorischer Imperativ als goldene Verhaltensregel.<br />
Ich finde, verantwortungsbewusste Eltern<br />
sollten Kindern nur das an Wissen weitergeben,<br />
was wissenschaftlich bewiesen ist. Beispielsweise kann<br />
man den Kindern erklären: Das ist Evolution. <strong>Die</strong>ser<br />
Vogel ist ein Seeadler. Der Baum am Ende des Gartens<br />
ist eine Birke. Gerne auch, dass es Menschen<br />
gibt, die an Religion glauben, dass es unterschiedliche<br />
Religionen gibt. Aber ihnen zu erklären, dass es<br />
nur den einen schöpferischen, allmächtigen Gott<br />
gibt, der die Erde in sechs Tagen erschaffen hat, halte<br />
ich für Kindesmissbrauch.<br />
IntervIew: Haben Sie deswegen Der Zauber der<br />
Wirklichkeit geschrieben, ein Kinderbuch?<br />
DawkIns: Unter anderem. Ich wollte Kindern die<br />
Schönheit der Logik, das Wundervolle der Wissenschaft,<br />
die schlagende Kraft von Fakten und Beweisen<br />
näherbringen. Jedes Kapitel behandelt eine Frage:<br />
Elementare Grundsätzlichkeiten wie „Sind wir allein?“,<br />
„Wer war der erste Mensch?“, „Warum gibt es<br />
so viele Tierarten?“ und dergleichen. Zuerst beantworte<br />
ich die Frage, wie dies Mythen, Märchen und<br />
Religion tun …<br />
IntervIew: … um diese Annäherungen wenige<br />
Seiten später in sehr kurzweiligen, wissenschaftlich<br />
fundierten Erklärungen zu zertrümmern.<br />
DawkIns: Ich argumentiere mit Wissenschaft,<br />
Wahrheit und Verstand.<br />
IntervIew: Manchmal vielleicht ein wenig zu<br />
zielorientiert für Kinder.<br />
DawkIns: Ich hätte das Buch geliebt mit zwölf!<br />
Meine Tochter ebenso.<br />
IntervIew: Wie haben Sie denn Ihrer Tochter er-<br />
”<br />
– Richard Dawkins<br />
klärt, dass es keinen Weihnachtsmann gibt? Und keine<br />
Zahnfee?<br />
DawkIns: Nach den Gesetzen der Logik. Als sie<br />
alt genug war, sagte ich zu ihr: Komm, wir rechnen<br />
jetzt aus, wie viele Schornsteine es gibt auf der Welt.<br />
Und dann rechneten wir aus, wie schnell der Weihnachtsmann<br />
sein muss, um alle zu beliefern. Schneller<br />
als das Licht!<br />
IntervIew: Das ist auf eine Art auch ganz schön<br />
grausam. Hat Ihre Tochter nicht geweint?<br />
DawkIns: Das wäre sehr traurig gewesen. Aber:<br />
Kinder wollen nicht belogen werden! Kinder sind<br />
neugierig. Und sie schätzen nichts mehr als eine direkte,<br />
nachvollziehbare, ehrliche Antwort. Sie wollen<br />
Beweise! Und ich finde, dass sie Beweise verdienen.<br />
Auch deshalb habe ich das Kinderbuch geschrieben.<br />
IntervIew: In einem Ihrer Bücher schreiben Sie,<br />
dass Sie als Kind in die Kirche gegangen sind. Wann<br />
haben Sie das erste Mal von Darwins Evolutionstheorie<br />
gehört?<br />
DawkIns: Ich wurde in Nairobi geboren, mein<br />
Vater arbeitete dort als Botaniker. <strong>Die</strong> ersten Jahre<br />
unterrichtete meine Mutter mich, sie und mein Vater<br />
erzogen mich zur Neugierde und zu wissenschaftlichem<br />
Interesse, später hatte ich das Glück, einige der<br />
besten Schulen Großbritanniens zu besuchen. Und<br />
die waren in dieser Zeit noch anglikanisch. Das heißt:<br />
tägliche Gebete und Bibelstunden. Mit 13 wurde ich<br />
konfirmiert, mit 15 entdeckte ich Darwin.<br />
IntervIew: Und kamen mit Darwin die Zweifel?<br />
DawkIns: Eigentlich schon vorher. Wir zogen,<br />
als ich acht Jahre alt war, zurück nach England. Als<br />
Neunjähriger verstand ich, dass es unterschiedliche<br />
Religionen gibt. Dass aber nicht alle recht haben<br />
können, war das Erste, was mir aufstieß. Später dann,<br />
als ich Darwin für mich entdeckte, war mir schnell<br />
klar, dass es keinen Gott im Sinne eines Schöpfers<br />
geben kann.<br />
IntervIew: Haben Sie Darwins Theorie der Evolution<br />
sofort verstanden?<br />
DawkIns: Anfangs fand ich sie kompliziert, aber<br />
das legte sich schnell. Ich wollte einfach verstehen,<br />
wie Evolution vonstattengeht.<br />
IntervIew: Wir sind mit einem Seepferdchen, einer<br />
Palme und dem Königspudel also tatsächlich verwandt.<br />
DawkIns: Eine komische Vorstellung, dennoch<br />
zutreffend.<br />
IntervIew: Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll,<br />
die darwinistische Lehre auf andere Bereiche, etwa<br />
die Weltwirtschaft und die seit 2008 anhaltende Bankenkrise,<br />
anzuwenden?<br />
DawkIns: Grundsätzlich bin ich kein Freund davon,<br />
Darwin zu sehr zu strapazieren: Wenn man die<br />
Dinge lange genug hin- und herdreht, kann man mit<br />
ihm alles erklären.<br />
IntervIew: So auch die pseudowissenschaftliche<br />
Rassenlehre der Nationalsozialisten.<br />
DawkIns: Sozialdarwinismus hat durchaus Potenzial,<br />
missbraucht zu werden. Ich glaube jedoch<br />
nicht, dass Hitler und seine Schergen von Darwin<br />
motiviert wurden. Sie haben Versatzstücke seiner<br />
Lehre für ihre eigene Ideologie entwendet, um diese<br />
aufzuwerten.<br />
IntervIew: <strong>Die</strong> anglikanische Kirche hat sich im<br />
Herbst 2008 offiziell dafür entschuldigt, das Werk<br />
Darwins nicht anerkannt zu haben. Wie erklären Sie<br />
sich diesen Schritt?<br />
DawkIns: Immerhin war die einen Deut schneller<br />
als die Konkurrenz: <strong>Die</strong> katholische Kirche hat<br />
sich erst vor wenigen Jahren für den Prozess gegen<br />
Galileo 1633 entschuldigt.<br />
IntervIew: Wäre die Erde denn ein angenehmerer<br />
Ort ohne Kirchen, ohne Religion?<br />
DawkIns: Stellen Sie sich so eine Welt doch mal<br />
vor: keine Selbstmordattentäter, kein 11. September,<br />
keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, kein Krieg<br />
zwischen Israelis und Palästinensern, kein Blutbad<br />
unter Serben, Kroaten, Muslimen, keine Verfolgung<br />
von Juden als Christusmörder, keine Ehrenmorde,<br />
keine Fernsehprediger im Glitzeranzug.<br />
IntervIew: Aber auch keine Sixtinische Kapelle,<br />
keine Kantaten von Bach, kein Requiem von Mozart.<br />
DawkIns: Einverstanden, vielleicht wären uns einige<br />
großartige Kunstwerke entgangen. Aber Kunst<br />
folgt immer dem Geld. Und wenn nicht Kirchenfürsten<br />
den Auftrag erteilt hätten, dann hätte es eben ein<br />
König getan. Michelangelo oder Mozart hätten auch<br />
anderswo Inspiration gefunden, vielleicht in der Natur.<br />
Oder, wie ich, in der Wissenschaft.<br />
IntervIew: Früher hieß es: <strong>Die</strong> Religion fragt<br />
nach dem Warum, die Wissenschaft nach dem Wie.<br />
DawkIns: Entschuldigung, aber das ist totaler<br />
Schwachsinn. Auch Darwin fragte nach dem Warum:<br />
Warum haben Vögel Flügel? Um ein Beispiel zu<br />
nennen.<br />
IntervIew: Gemeint waren die großen Fragen<br />
wie: Warum sind wir hier? Was ist der Sinn des Lebens?<br />
DawkIns: Das sind Fragen, die keine Antworten<br />
verdient haben. Zumal die Tatsache, dass wir hier<br />
sind, Antwort genug gibt.<br />
IntervIew: Aber das sind doch die Fragen, die<br />
sich jeder Mensch irgendwann stellt. Vielleicht sagt<br />
Ihr Kollege, der Evolutionsbiologe Stephen Jay<br />
Gould, deshalb, Evolutionstheorie und Religion sollten<br />
eine friedliche Koexistenz anstreben, da diese zwei<br />
völlig unterschiedliche Domänen besetzen. Er denkt,<br />
Ihre aggressive Rhetorik würde die Lage nur verschlimmern.<br />
DawkIns: Ja, das postuliert er. Und politisch mag<br />
das sinnvoll erscheinen, vor allem in Amerika, da man<br />
sich gewisse religiöse Gruppen damit nicht automatisch<br />
zum Feind macht, da auch diese Gruppen an die<br />
Evolution glauben, allerdings noch immer mit einem<br />
allmächtigen Schöpfer im Hintergrund. Nach Goulds<br />
Version können also Wissenschaft und Religion prima<br />
nebeneinander existieren – was in meinen Augen absoluter<br />
Nonsens ist.<br />
IntervIew: Immer noch besser als die Aussicht,<br />
amerikanischen Schülern Darwins Lehre in den<br />
Schulbüchern vollständig vorenthalten zu müssen.<br />
DawkIns: Das hieße, den Krieg zu verlieren, weil<br />
man eine Schlacht gewinnen will. Nicht mit mir.<br />
IntervIew: In einem früheren <strong>Interview</strong> sagten<br />
Sie, die Wissenschaften werden der Religion ohnehin<br />
unterliegen.<br />
DawkIns: Das habe ich gesagt? Ich hatte wohl einen<br />
freien Tag!<br />
IntervIew: Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, sich<br />
nicht den führenden Köpfen der Kreationistenseite<br />
stellen zu wollen. Warum verweigern Sie Ihren<br />
schärfsten Kritikern eine faire Diskussion?<br />
DawkIns: Weil diese schmutzig argumentieren,<br />
also irrational und unwissenschaftlich.<br />
IntervIew: Dennoch könnten Sie sich auf lange<br />
Zeit viele Argumente sparen …<br />
DawkIns: … indem ich der Gegenseite Respekt<br />
verschaffe? Allein die Tatsache, diesen Irrsinn als argumentative<br />
Grundlage anzuerkennen, schönt den<br />
Lebenslauf meiner Kritiker unverhältnismäßig mehr<br />
als meinen.<br />
IntervIew: Wie lauten denn die Argumente der<br />
Gegenseite?<br />
DawkIns: Schwachsinn wie: Wenn wir von<br />
Schimpansen abstammen – wie erklären Sie, dass es<br />
heute noch Schimpansen gibt?<br />
KULTUR/Richard Dawkins<br />
IntervIew: Und?<br />
DawkIns: Das zu erklären liegt weit unter meinem<br />
Niveau. Dafür ist mir meine Zeit wirklich zu schade.<br />
IntervIew: Lassen Sie uns das Spielfeld wechseln:<br />
Viele Menschen finden Trost im Glauben. Wer<br />
soll Trost spenden, wenn nicht Gott?<br />
DawkIns: Jeder Einzelne kann Menschen trösten.<br />
<strong>Die</strong> Religionen besitzen keinen Alleinanspruch<br />
auf Nächstenliebe oder andere moralische Konzepte.<br />
Nächstenliebe war nicht die Erfindung irgendeiner<br />
Glaubensgemeinschaft, sondern ist Teil des Verhaltenskanons<br />
der Menschheit. Außerdem: Als tröstend<br />
habe ich Gott nie empfunden. Der Gott des Alten<br />
Testaments ist ein ziemliches Scheusal. Ein eifersüchtiger,<br />
bösartiger, übellauniger Kerl, der wahrscheinlich<br />
mieseste Charakter in der Geschichte der fiktiven<br />
Erzählungen. Und welcher Gott lässt seinen Sohn<br />
einfach am Kreuz hängen – für unsere Sünden … Daraus<br />
hat die katholische Kirche dann schön all die<br />
Schuldgefühle destilliert, die sie brauchte, um die<br />
Menschen seit mehr als 2 000 Jahren zu unterwerfen.<br />
All das ist doch einfach nur lächerlich. Und sehr ärgerlich.<br />
IntervIew: Aber was, wenn Sie irren? Der Jüngste<br />
Tag dürfte in Ihrem Fall besonders deftig ausfallen.<br />
DawkIns: Wahrscheinlich auch nicht schlimmer<br />
als bei jemandem, der den falschen Gott angebetet<br />
hat. Stellen Sie sich das mal vor: Sie dienen Ihr ganzes<br />
Leben einem Gott, gehen jeden Sonntag brav zum<br />
Gottesdienst, leben in ständiger Furcht, enthaltsam,<br />
in Sack und Asche, verschwenden also das einzige Leben,<br />
das Sie auf dieser wundervollen Erde haben – um<br />
dann festzustellen, dass dort oben nicht Gott, nicht<br />
einmal Jehova, sondern Baal thront, der es wirklich<br />
nicht zu schätzen weiß, dass Sie einem anderen Gott<br />
gehuldigt haben. Nein, für mich kommt das nicht infrage.<br />
Man stirbt, und das war’s.<br />
IntervIew: Wenn Sie die Möglichkeit hätten,<br />
Gott eine Frage zu stellen, wie würde Ihre Frage lauten?<br />
DawkIns: Zuerst würde ich fragen, welcher Gott<br />
er denn nun eigentlich ist. Aber viel interessanter wäre<br />
die Frage: Wo zum Henker warst du all die Jahre?<br />
IntervIew: Haben Sie eigentlich keine religiösen<br />
Freunde?<br />
DawkIns: Nein. Aber es ist nicht so, dass ich sie<br />
davonscheuche. Wahrscheinlich liegt es an den Kreisen,<br />
in denen ich verkehre. Intelligente Menschen<br />
neigen nicht zu tiefer Religiosität. Allerdings bin ich<br />
lose mit ein paar Bischöfen befreundet. Wir teilen unsere<br />
Liebe zur Kirchenmusik – und zu bemaltem Glas.<br />
IntervIew: Und was sagen diese Bischöfe, wenn<br />
Sie den inneren Rottweiler von der Leine lassen und<br />
sich über das sogenannte intelligent design Gottes lustig<br />
machen?<br />
DawkIns: Darüber, wie unvorteilhaft Lunge und<br />
Halsschlagader der Giraffe designt sind, oder darüber,<br />
dass dieser vermeintliche Schöpfer so schlau war, einen<br />
Geparden so schnell zu machen, dass er eine Gazelle<br />
erwischt, die Gazelle jedoch so schnell, dass sie<br />
einem Geparden davonrennen kann?<br />
IntervIew: Sehr amüsant.<br />
DawkIns: Jawohl.<br />
IntervIew: Albert Einstein und Stephen Hawking<br />
scheuten das Wort Gott nicht so sehr wie Sie.<br />
DawkIns: Aber diese Kollegen benutzen das<br />
Wort nie im Zusammenhang mit intelligentem Design,<br />
sondern immer in einem poetischen, metaphysischen<br />
Sinne. Einstein betonte des Öfteren, dass er<br />
nicht an einen persönlichen Gott glaube. Und Hawking<br />
schreibt in Eine kurze Geschichte der Zeit, dass wir, wenn<br />
wir denn das Universum in seiner Gänze verstehen, das<br />
Hirn Gottes verstünden. Das ist Poesie.<br />
IntervIew: Hätten Sie gerne den Gottesbrief<br />
Einsteins ersteigert, der vergangenes Jahr unter den<br />
Hammer kam?<br />
DawkIns: Selbstverständlich. Aber ich hatte gerade<br />
keine drei Millionen zur Hand (lacht).<br />
IntervIew: Immerhin besitzen Sie die Erstausgabe<br />
von Darwins Entstehung der Arten.<br />
DawkIns: Das ist richtig.<br />
IntervIew: Professor Dawkins, Sie sind mittlerweile<br />
jenseits der 70. Werden Sie altersmilde?<br />
DawkIns: Kann ich mir nicht vorstellen.<br />
IntervIew: Ich werde das Gefühl nicht los, die<br />
Diskussion um Glaube und Atheismus hat in den vergangenen<br />
zehn Jahren erheblich an Schärfe zugenommen.<br />
Woran liegt das?<br />
DawkIns: Wahrscheinlich am 11. September.<br />
IntervIew: Weil vorher Religion, zumindest in<br />
der westlichen Welt, Privatsache eines jeden Menschen<br />
gewesen ist?<br />
DawkIns: Zum Teil, ja. <strong>Die</strong>ser Tag gab dem religiösen<br />
Irrsinn definitiv Auftrieb. Und bis heute verstehe<br />
ich nicht, warum man ein Flugzeug entführt<br />
und dann, ohne etwas zu verlangen, bereit ist, in den<br />
Tod zu gehen. Was soll das? Wofür?<br />
IntervIew: 72 Jungfrauen, Weintrauben, das Paradies<br />
auf der anderen Seite.<br />
DawkIns: Ach ja, richtig. Da war noch was.<br />
IntervIew: Was erwarten Sie denn?<br />
DawkIns: Ich werde vergraben oder verbrannt.<br />
Ich glaube nicht an ein Leben nach dem irdischen.<br />
IntervIew: Glauben Sie denn, dass es Leben auf<br />
anderen Planeten gibt?<br />
DawkIns: Man muss sehr arrogant sein, das zu<br />
bestreiten. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass wir alleine<br />
im Universum sind, ist ziemlich gering. Etwa eins zu<br />
einer Milliarde.<br />
IntervIew: Zum Abschluss noch etwas Privates:<br />
Haben Sie eigentlich vor dem Altar geheiratet?<br />
DawkIns: Nur beim ersten Mal.<br />
Der Zauber Der Wirklichkeit:<br />
<strong>Die</strong> fasZinierenDe Wahrheit hinter<br />
Den rätseln Der natur<br />
Ist Im ullsteIn verlag erschIenen
Kampf mit den eigenen<br />
sündhaften spielen<br />
Gestern richtete jemand einen Schraubenzieher auf mich und sagte währenddessen:<br />
„Dracula, du hast dein Leben gelebt.“ In dieser Sekunde entsetzlichen Schreckens<br />
gingen mir drei Fragen durch den Kopf, 1., ob da grade irgendein Bedarf an Gefühlen<br />
besteht, 2., inwieweit wir uns aus dem Gefängnis in unserem Inneren lösen,<br />
sobald wir beginnen, etwas für an dere als uns selbst zu tun, und 3., wie einfach es ist,<br />
ein Opfer zu erschaffen, man sperrt jemanden in einen dunklen Raum, die Qualen<br />
werden methodisch und eiskalt verstärkt, man teilt der betreffenden Person mit,<br />
dass man der perfekte Spiegel ihrer wahren Gelüste ist, und fügt hinzu, dass sie<br />
damit rechnen kann, in dieser Welt seelisch und körperlich verletzt zu werden.<br />
Schwuppdiwupp sind wir beim Klassiker Verführung angelangt, diesem erschütternden<br />
Kampf mit den eigenen sündhaften Spielen. Sollte ich grade den<br />
Terminus „schwuppdiwupp“ verwendet haben, kann ich mir selbst nicht erklären,<br />
warum. Nach der Meinung bestimmter Film interes<br />
sierter gilt ein Monolog aus Ingmar Bergmans<br />
Film Persona als beste je gedrehte Sexszene. Bibi<br />
Andersson wird als frigide, verlobte Krankenschwester<br />
eingeführt und erzählt dann, in einem<br />
Ferienhaus am Meer, komplett unemotional und<br />
mit auf den Boden gerichtetem Blick von einer Art<br />
Orgie mit minderjährigen Jungs. Man sieht keine<br />
Haut, geschweige denn äußere Geschlechtsmerkmale.<br />
Sie erzählt nur. Es geht in der Einstellung mal<br />
wieder um irgendwas Undefiniertes zum Thema<br />
Projektionen, nur um was für welche genau, fragt<br />
man sich, und warum. Vielleicht, weil das ein neues<br />
„thinking man’s“Level von Anforderungen an Pornos<br />
ist – nämlich, dass sich die Potenz eines Typen<br />
nicht mehr im Gesicht eines willenlosen kleinen<br />
Girls widerspiegeln muss, sondern sich in diesem<br />
Gesicht gar nichts mehr widerzuspiegeln hat außer<br />
Willenlosigkeit, Naivität und einer mit angeborener<br />
Nonchalance gekoppelten Angst um den Verlust<br />
der eigenen Bürgerlichkeit. Sehr unangemessen,<br />
meiner Meinung nach, aber Filme sind 60<br />
Jahre lang fast ausschließlich von Männern gemacht<br />
worden, deshalb gibt es so wenige von weiblicher<br />
Subjektivität bestimmte Abbildungen von Sex. Und<br />
kaum erfolgreiche unattraktive Schauspielerinnen,<br />
die für was anderes stehen als ihre äußerliche Unzulänglichkeit. Das ist nicht unbedingt<br />
schlimm, nur eine kurz zu benennende Tatsache. Interessant wurde es vor<br />
allem in den Siebzigern und wenn Männer etwas annehmen wollten, von dem sie<br />
dachten, sie würden damit eine bestimmte Emotionalität oder Verhaltenheit von<br />
Frauen ergründen, auf die sie eigentlich keinen Zugriff haben. Das Resultat ist<br />
dasselbe, wie wenn Matthias Schweighöfer in Rubbeldiekatz als Frau verkleidet den<br />
sogenannten „Blick einer Frau“ spielt, der als nicht nachzuahmendes, unergründbares<br />
Element weiblicher Existenz gilt, und sich sein Blick in keinster Weise von<br />
dem einer echten Frau unterscheidet.<br />
Ein wirklich toller Verführungsfilm ist von Chabrol, er heißt Zwei Freundinnen.<br />
Sehr unterhaltsam, es geht um ein Dreiecksverhältnis im HighSocietyMilieu von<br />
SaintTropez, zwei durchtriebene Girls, ein gewissenloser Typ und am Ende einige<br />
Eifersuchtsmorde mit vergiftetem afrikanischem Jagdmesser.<br />
Letztlich hatte Chabrol vielleicht einfach nur Spaß an Krimistrukturen und<br />
wollte sie deshalb auf eine Lovestory übertragen. Vielleicht hat sich das aus der<br />
natürlichen Erhabenheit von Anna Karina entwickelt, oder Chabrol hatte einen<br />
kurzen Moment genialischer Vermeidung von Überflüssigem, aber jeder Blick,<br />
jeder Gang, jede Reaktion auf tiefschürfende Verletzungen ist so überlegen,<br />
zweideutig und unhysterisch, dass sich die Abgründe von Manipulation und Spaß<br />
an der Herstellung zwischenmenschlicher Beziehungen genauso eindrucksvoll<br />
Kultur<br />
<strong>Die</strong> Kolumne von Helene Hegemann<br />
Charlotte rampling in Max Mon aMour, 1986<br />
70<br />
breitmachen wie in Horrorfilmen Monster, deren Schatten man nur sieht. <strong>Die</strong>se<br />
Spannung hat nichts mit spezifisch weiblicher Kaltblütigkeit oder Undurchschaubarkeit<br />
zu tun, sondern mit dem Ansatz eines Regisseurs, etwas, das er nicht<br />
kennen zu können glaubt, verstehen zu wollen. Und zwar ohne es konkret abzubilden.<br />
Auch ganz toll ist der Film Max mon Amour des Regisseurs Nagisa Oshima, der<br />
sich dieses Mechanismus wahrscheinlich sehr bewusst war. Charlotte Rampling<br />
spielt eine gutbürgerliche, nicht im Geringsten verrückt wirkende Frau, die ein<br />
Verhältnis mit einem Schimpansen hat. Ihr Mann versucht rauszufinden, warum,<br />
engagiert beispielsweise eine Prostituierte für den Affen, um ergründen zu können,<br />
wie Sex mit dem funktioniert, all das bringt nichts, es wird die Verzweiflung an den<br />
nicht nachzuvollziehenden Tiefen unseres Begehrens gezeigt, und am Ende sitzt<br />
die ganze Familie in durchgeballerten Anziehsachen<br />
im Auto und fragt sich 1., was dieses Begehren<br />
mit ihr macht, und 2., wie ein derartiger Film überhaupt<br />
gefördert werden konnte. Das wäre heute<br />
undenkbar, weil alles immer auf Biegen und Brechen<br />
bis ins letzte Detail „verstanden“ werden soll.<br />
Jeder braucht bis zur Geburt durchgetaktete Rollenprofile.<br />
Es geht kaum noch um rasantes Timing<br />
und guten Geschmack oder kriminelle Energien,<br />
sondern darum, dass alle permanent alles verstehen,<br />
Charaktere und deren Vergangenheiten dementsprechend<br />
nachvollziehbar sind. Nachvollziehbare<br />
Charaktere, mein Gott. Da sitzen ja längst echte<br />
MENSCHEN, die sich spielerisch zu TEXTEN<br />
verhalten vor der Kamera, irgendwelche Charaktere<br />
kriegt man aus so einem Aufeinandertreffen<br />
schon rausgequetscht, das dazu.<br />
O.k. Verführungsfilm Nummer 3, hochaktuell<br />
oder wie auch immer man das nennen will, heißt<br />
Liebe und ist von Ulrich Seidl. Ulrich Seidls Filme<br />
gelten als schonungslose, nahezu dokumentarische<br />
Abbildungen von Realität, manchmal auch als voyeuristisch<br />
oder effekthascherisch, ich empfinde sie<br />
in erster Linie als die ästhetisch durchkomponiertesten<br />
Opern, die im deutschsprachigen Raum grade<br />
gemacht werden. Von dem Geld für einen Episodenfilm<br />
hat er aus Versehen drei Filme gedreht, eine Trilogie mit dem Namen<br />
„Paradies“, die Filme laufen im Abstand von einigen Wochen in den Kinos und<br />
hatten bzw. haben ihre Premieren nacheinander in Cannes, Venedig und bei der<br />
Berlinale. Liebe ist der erste, es geht um eine übergewichtige Behinderten pflegerin,<br />
untere Mittelklasse, die ihre Tochter ins Diätcamp schickt und selbst zum Sextourismus<br />
nach Afrika fährt. Was da abläuft in Kenia, ist die durchnuancierte Abarbeitung<br />
an allem, was Verführung sein kann, sehr hart, sehr schön, komischerweise<br />
wertfrei. Im zweiten Film, Glaube, geht es um die Schwester der Frau, die sich von<br />
Jesus, also letztlich sich selbst, verführen lässt, und im dritten wahrscheinlich um<br />
den Ursprung allen Übels, das 14jährige, als „nicht den Standards entsprechend“<br />
eingeordnete Mädchen im Diätcamp, das sich selbst, weil zu dick, als sein größtes<br />
Hauptproblem einstuft, sich fragt, was Sex ist und wie viel es als das, was es ist, mit<br />
über den normalen Rest der Welt erzählten Geschichten zu tun haben darf. Irgendwann<br />
geht sie das Risiko ein, sich zu verlieben. In jemanden, der alt und frustriert<br />
genug ist, um sie manipulieren zu können, der keine Gewissensbisse ihr gegenüber<br />
zu haben braucht, sondern sie, nachdem er alle Verführungsmechanismen<br />
ausgespielt hat, nur aus Angst um sich selbst ablehnt, und zwar radikal. Wahnsinnsfilme,<br />
wirklich, und jetzt ist die Seite voll, und was könnte all das jetzt miteinander<br />
zu tun haben, fragt man sich an dieser Stelle, doch nicht mal ich<br />
habe die geringste Ahnung. Bis später!<br />
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… und das erfolgreichste Allroundtalent des deutschen Kinos. Was Matthias Schweighöfer mit seinem besten Freund Milan Peschel<br />
zu besprechen hatte, lesen Sie auf den nächsten Seiten (ihr gemeinsamer neuer Film Schlussmacher läuft derzeit im Kino).<br />
Seine Kollegin <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong> hat der Fotograf Ralph Mecke ziemlich spektakulär in Szene gesetzt, und die Autorin Heike Blümner<br />
hat sie zu Rotwein und <strong>Interview</strong> in ihre Küche eingeladen. Außerdem: Acht hoch talentierte junge Schauspielerinnen stellen sich vor,<br />
Tom Cruise erinnert sich an die Arbeit mit dem Regisseur Stanley Kubrick, und Tim Burton führt uns durch seinen makaberen Kosmos.<br />
Plus: die schönsten Seiten aus Toiletpaper, dem krassen Fanzine des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan.<br />
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Milan Peschel
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mugler<br />
Er wuchs im Theater<br />
auf, und im Kino<br />
wurde er zum Star.<br />
Inzwischen ist<br />
MaTThIaS<br />
SchwEIghöfEr<br />
die allzweckwaffe des<br />
deutschen films – für<br />
literarische Stoffe (<strong>Die</strong><br />
Freunde der Freunde,<br />
Soloalbum), figuren<br />
der Zeitgeschichte<br />
(Manfred von richthofen,<br />
rainer Langhans,<br />
Marcel reich-ranicki)<br />
und Tierfilme (Keinohrhasen,<br />
Zweiohrküken,<br />
Rubblediekatz). als er in<br />
der Russendisko tanzte,<br />
kreischten die girls:<br />
What A Man! Jetzt,<br />
zum Start seines neuen<br />
films Schlussmacher,<br />
ließ er sich von seinem<br />
Kollegen und guten<br />
freund Milan Peschel<br />
interviewen<br />
77<br />
Milan Peschel: Matthias, sag mal, angeblich hast<br />
du den Film, bei dem wir uns kennengelernt haben,<br />
nur unter der Bedingung gemacht, dass ich eine Rolle<br />
bekomme.<br />
Matthias schweighöfer: Was?<br />
Peschel: Hast du mir doch selbst erzählt.<br />
schweighöfer: Hab ich dir erzählt – aber hat ja<br />
auch geklappt im Endeffekt.<br />
Peschel: Aber warum war dir das so wichtig?<br />
Wieso bin ich dir so aufgefallen? Haben wir eine ähnliche<br />
Humorlage? Wahrscheinlich. Vielleicht ist es<br />
dieser Humor, den du magst. Du hättest ja auch sagen<br />
können: „Nee, ich möchte, dass der oder der die Rolle<br />
bekommt.“<br />
schweighöfer: Nee, ich habe dich besetzt, weil<br />
wir Freunde sind.<br />
Peschel: Aber da waren doch noch gar keine<br />
Freunde.<br />
schweighöfer: Na klar waren wir schon<br />
Freunde, als wir Schlussmacher gedreht haben.<br />
Peschel: Ich rede doch von Das wilde Leben.<br />
schweighöfer: Ach so, Das wilde Leben … Na,<br />
ich hatte dich in der Volksbühne in Schmutzige Hände<br />
gesehen und fand dich als Schauspieler einfach so lustig<br />
und toll. Dann kam der Film Netto, und ich habe<br />
dich angesprochen. Damals habe ich dich noch gesiezt,<br />
weißt du noch? Aber wie es von da mit unserer<br />
Freundschaft weiterging, weiß ich gar nicht mehr.<br />
Peschel: Na ja, wir haben uns einfach von Anfang<br />
an gut verstanden.<br />
schweighöfer: Weil wir beide auf unsere Art<br />
einfach cool sind.<br />
Peschel: Weiß ich nicht. Cool sind viele. Ich finde<br />
nicht, dass ich cool bin.<br />
schweighöfer: Ich finde, du bist saucool. Du<br />
kannst Hemden tragen, ohne dass du Schweißflecken<br />
bekommst. Findest du das doof, dass du mich hier<br />
inter viewen sollst?<br />
Peschel: Hm.<br />
schweighöfer: Ich sehe dir das doch an, ich<br />
kenn doch meinen Freund Milan.<br />
Peschel: Ich komme mir vor wie im Zoo.<br />
schweighöfer: Nee, ist doch alles gut. Was<br />
macht dir eigentlich mehr Spaß? Theater oder Film?<br />
Peschel: Na, im Theater bin ich zu Hause. Im<br />
Film bin ich immer Gast oder Neuling. Vor der Kamera<br />
muss ich mich erst akklimatisieren. Im Gegensatz<br />
zum Theater brauche ich immer ein paar Tage,<br />
bis ich eine Figur für mich gefunden habe.<br />
schweighöfer: Ja, stimmt. Beim Schlussmacher<br />
warst du nach dem vierten Tag oder so drin.<br />
Peschel: Im Theater bin ich auch immer mehr<br />
ich selbst.<br />
schweighöfer: Du bist eigentlich der beste<br />
Theaterschauspieler, den ich kenne. Wegen dir habe<br />
ich angefangen, Theater zu spielen. Wegen dir und<br />
der Volksbühne.<br />
Peschel: Aber wie kam das eigentlich, dass du<br />
dich so für das Theater interessierst? Wieso ist das so?<br />
schweighöfer: Mensch, Milan – ist dir das<br />
nicht aufgefallen, dass mein Vater und meine Mutter<br />
Theaterschauspieler sind?<br />
Peschel: Du meinst, du interessierst dich fürs<br />
Theater, weil das in deinem Leben immer präsent war?<br />
schweighöfer: Immer. Nach der Schule war<br />
ich immer in der Theaterkantine.<br />
Peschel: Damals durfte man da ja noch rauchen.<br />
schweighöfer: Deswegen habe ich vor acht<br />
Jahren mit dem Rauchen aufgehört.<br />
Peschel: Du hast mal geraucht?<br />
schweighöfer: Ja, vor neun Jahren. Da kannten<br />
wir uns noch nicht. Aber durch meine Mutter<br />
(Gitta Schweighöfer) war ich immer in der Provinz im<br />
Theater, und durch meinen Vater Micha kannte ich<br />
die Theater in Berlin. Und dadurch, dass das oft so<br />
Geh-und-Steh-Theater war …<br />
Peschel: Ist dir das damals schon so übel aufgestoßen,<br />
das Geh-und-Steh-Theater?<br />
schweighöfer: Ja, immer schon. Deswegen<br />
fand ich die Volksbühne auch so toll. Ich weiß noch,<br />
wie Henry (Hübchen) einmal auf der Bühne stand und<br />
das Publikum fragte: „Hat hier jemand ’n Spiegel dabei?<br />
Hat hier denn keener ’n Spiegel, oder wat?“ Auch<br />
das immer berlinert wurde, war toll. Oder du, wenn<br />
du immer so mit den Armen gerudert hast. Dadurch<br />
habe ich wieder den Weg zum Theater gefunden.<br />
Aber das Theater war etwas, womit ich groß geworden<br />
bin. Und Film war für mich immer ein großer<br />
Traum, der wahr werden könnte. Theater funktioniert<br />
für mich immer in der Situation, aber mit Theater<br />
hebst du nie unwirklich ab. Du kannst im Theater<br />
einfach nicht den Ring der Macht ins ewige Feuer<br />
werfen. Das geht nicht.<br />
Peschel: Theater ist Text, Film sind Bilder.<br />
schweighöfer: Man würde sich natürlich freuen,<br />
wenn man im Theater den Gollum spielen dürfte.<br />
Aber wenn man sich das anschaut, würde man denken:<br />
Da spielt jemand den Gollum. Im Film ist es so<br />
toll, dass man einfach Musik über das Bild knallt, und<br />
schon bist du in einer anderen Welt.<br />
Peschel: Man hat im Theater auch keine Großaufnahme.<br />
Aber du hast ja ein paar Mal Theater gespielt.<br />
schweighöfer: Ich habe unter anderem mit dir<br />
zusammen bei Frank Castorf an der Volksbühne gespielt,<br />
falls dir das nicht aufgefallen ist.<br />
Peschel: Ich weiß.<br />
schweighöfer: Das war schön. Ich fand immer<br />
so lustig, wie du mit deinem weißen Schlüpper in der<br />
Umkleide gesessen hast. Dann das Duschen danach,<br />
das war schön.<br />
Peschel: Aber warum spielst du nicht mal bei<br />
mir? Oder hast du das Gefühl, dass du so viele andere<br />
Dinge zu erledigen hast? Du könntest ja auch sagen:<br />
„So, das nächste Jahr oder das nächste halbe Jahr halte<br />
ich mir frei, und da spiele ich mal beim Milan mit!“<br />
schweighöfer: Es ist natürlich mein Wunsch,<br />
bei dir mitzuspielen. Es ist halt nur so, dass meine Produktionsfirma<br />
Verträge über Filme hat, die wir drehen<br />
müssen. Und außerdem ich bin gerade in einem guten<br />
Alter, um Filme zu machen, mich da auszutoben und<br />
zu testen …<br />
Peschel: Deswegen auch meine Frage, das hatte<br />
ich mir schon gedacht …<br />
schweighöfer: Aber mir fehlt das ja auch. Sobald<br />
ich im Theater bin, juckt es mich wieder.<br />
Peschel: Du bist ja total begabt fürs Theater.<br />
schweighöfer: Ich spiele ja auch gerne. Du<br />
weißt ja, wie gerne ich spiele.<br />
Peschel: Glaubst du, dass du das in den Genen<br />
hast? Du hast ja auch einen ganz ähnlichen Humor<br />
wie dein Vater.<br />
schweighöfer: Ja?<br />
Peschel: Ihr seid euch da total ähnlich. Ist es nicht<br />
komisch, dass manche Leute eine ähnliche Humor lage<br />
haben? Wir haben auch einen ähnlichen Humor und<br />
Henry (Hübchen) auch. Mein Vater, der kein Schauspieler<br />
ist, der über 40 Jahre Mathe- und Physiklehrer war,<br />
hat übrigens auch unsere Humorlage.<br />
schweighöfer: Ja?<br />
Peschel: Ja, klar.<br />
schweighöfer: Das ist interessant, das wusste<br />
ich gar nicht.
“<br />
<strong>Die</strong> New York Times hat über<br />
What A Man geschrieben,<br />
und da steht, der Film habe<br />
Dialoge wie die Filme von<br />
Woody Allen in den Siebzigern<br />
”<br />
– Matthias Schweighöfer<br />
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Peschel: Das kannst du ja auch nicht wissen,<br />
du hast ihn ja noch nicht kennengelernt. Aber das ist<br />
doch lustig, dass es so ist, oder? Vielleicht entstehen<br />
deshalb Freundschaften oder Wahlverwandtschaften.<br />
Für mich bist du manchmal wie mein kleiner Bruder,<br />
also im Theater. Im Kino bist du eher mein großer<br />
Bruder, jemand, der mich auch beschützt. Ist es<br />
anders herum für dich genauso?<br />
schweighöfer: Weiß ich nicht. Eigentlich bist<br />
du für mich nicht wie ein Bruder. Du bist ein bisschen<br />
mehr. Du bist eher wie mein Spiegelbild, ich spiegele<br />
mich manchmal in dir. Du bist so unglaublich herzlich<br />
und sozial und immer darauf bedacht, dass es anderen<br />
gut geht. Und du suchst auch immer noch, in der<br />
Hinsicht bist du noch wahnsinnig jung. Da bist du ja<br />
immer noch Sandkasten …<br />
Peschel: Neugierde ist ja auch was absolut Essenzielles,<br />
um am Leben zu bleiben.<br />
schweighöfer: Ja, aber kannst du mich vielleicht<br />
trotzdem mal ausreden lassen?<br />
Peschel: Wir reden hier so, als würden wir uns<br />
den Leuten, die das lesen, gegenseitig erklären.<br />
schweighöfer: Das wusstest du doch. Das finde<br />
ich jetzt scheiße von dir, dass du es versaust.<br />
Peschel: Na, ich versau es doch nicht.<br />
schweighöfer: Aber das lesen die Leute doch.<br />
<strong>Die</strong> denken sich: Was sind das denn für Vollpfeifen?<br />
Also wirklich, seitdem du nicht mehr kiffst, bist du<br />
echt … (lacht)<br />
Peschel: Oh je, wenn meine Kinder das lesen,<br />
denken die noch, ich kiffe.<br />
schweighöfer: Sag mal, hast du die New York<br />
Times gelesen?<br />
Peschel: Nee, neulich jetzt gerade nicht.<br />
schweighöfer: Aber du weißt, wovon ich rede?<br />
Peschel: Nein, keine Ahnung.<br />
schweighöfer: <strong>Die</strong> haben über What A Man<br />
geschrieben, und da steht, der Film habe Dialoge wie<br />
die Filme von Woody Allen in den Siebzigern.<br />
Peschel: Ach, echt? Ist ja doll. Du, ich habe dir ja<br />
schon mal gesagt, Woody Allen würde in Deutschland<br />
drehen, wenn er eine Firma findet, die das Geld dafür<br />
auftreibt. Sei doch die Firma, die für Woody Allen das<br />
Geld auftreibt. Das wäre doch großartig.<br />
schweighöfer: Das wäre super.<br />
Peschel: Magst du Woody Allen?<br />
schweighöfer: Ob ich ihn mag? Mit Midnight<br />
In Paris konnte ich nicht richtig was anfangen.<br />
Peschel: Ich schon. Mich stört auch überhaupt<br />
nicht, dass der Film so weichgespült ist. Ich finde,<br />
Woody Allen hat sich das verdient. Mit seinen 77 Jahren<br />
darf der ruhig auch mal sentimental sein. Als ich<br />
neulich mit meiner Familie in Paris war, sind wir auch<br />
zu der Treppe gegangen, an der Owen Wilson immer<br />
abgeholt wurde. Ich mag den übrigens, das ist ein toller<br />
Schauspieler. Auch in der Kombination mit Ben Stiller.<br />
Wer ist denn eigentlich dein Lieblingsregisseur?<br />
schweighöfer: Ich mag Zach Braff als Regisseur.<br />
Peschel: Wen?<br />
schweighöfer: Zach Braff.<br />
Peschel: Kenn ich nicht.<br />
schweighöfer: Wie du jetzt guckst?! So habe<br />
ich dich lange nicht gucken sehen. So erwartungsvoll.<br />
Du denkst, ich sage Brian De Palma oder Martin<br />
Scorsese. Dann: Zach Braff. Und du so: Wat? Wen?<br />
Das ist der, der Garden State gedreht hat.<br />
Peschel: Ach so.<br />
schweighöfer: Hast du den gesehen?<br />
Peschel: Ja, auf deine Empfehlung hin.<br />
schweighöfer: Ich mochte das Tapetenhemd.<br />
Und Wes Anderson find ich gut. <strong>Die</strong> frühen Sachen<br />
“<br />
Okay – ich hätte<br />
gerne noch zwei<br />
Kinder, das würde mir<br />
schon reichen. Und<br />
dass wir draußen noch<br />
ein bisschen am Haus<br />
rumbauen<br />
”<br />
– Matthias Schweighöfer<br />
80<br />
von Scorsese, aber ich kann jetzt nicht sagen, dass ich<br />
einen Lieblingsregisseur habe.<br />
Peschel: Welche aktuellen Filme würdest du<br />
gern sehen?<br />
schweighöfer: Skyfall muss ich noch sehen.<br />
Peschel: Ja, Skyfall ist klasse. Das ist nicht nur<br />
der beste James Bond, sondern einfach ein guter Film.<br />
schweighöfer: Ich habe mir gestern zum Beispiel<br />
The Dark Knight Rises angeguckt, und der Film<br />
ging mir echt auf den Sack. Erstens hörte der nicht auf,<br />
und dann konnte ich es irgendwann einfach nicht mehr<br />
ertragen, wie alle immer so langsam gesprochen haben.<br />
Der Einzige, der cool war, war Tom Hardy als Baine.<br />
Der war toll, auch mit seiner Stimme und so.<br />
Peschel: Und was erwartest du noch so von der<br />
Zukunft?<br />
schweighöfer: Du bist so bescheuert (lacht).<br />
Peschel: Nee, ganz im Ernst.<br />
schweighöfer: Okay – ich hätte gerne noch<br />
zwei Kinder, das würde mir schon reichen. Und dass wir<br />
draußen noch ein bisschen am Haus rumbauen. Dass<br />
wir beide noch viel zusammen spielen und ein bisschen<br />
Theater machen. Dass wir gesund bleiben. Und dass<br />
ich mit dir noch viel Filme drehen kann und so.<br />
Peschel: Das würde ich auch gern. Das habe ich<br />
auch festgestellt: Wenn man seine Arbeit zusammen<br />
mit einem Freund machen kann und die Arbeit dann<br />
auch eine Kontinuität bekommt, dann ist das toll.<br />
schweighöfer: Und dass wir noch viel zusammen<br />
kochen und ich öfter bei dir draußen im Haus bin.<br />
Peschel: Das würde ich mir auch wünschen.<br />
schweighöfer: Wenn man sich den Schlussmacher<br />
jetzt anschaut, zum Beispiel die Szene, wo wir auf<br />
der Burgmauer sitzen, dann merkt man, wie wir beide<br />
sonst so miteinander sind. Das ist schon bezaubernd.<br />
Peschel: Und die Kernaussage des Films, „Liebe<br />
ist nichts für Feiglinge“, ist eigentlich ein ziemlich<br />
guter Satz, oder? Der klingt zwar unheimlich banal,<br />
aber andererseits stimmt er ja auch. Oft stecken in den<br />
größten Banalitäten ja die ganz großen Wahrheiten.<br />
schweighöfer: Wenn man den Kommentaren<br />
auf YouTube glaubt, ist das wohl auch ein Satz, der oft<br />
gesagt wird.<br />
Peschel: Ich finde das oft gemein, was da geschrieben<br />
wird.<br />
schweighöfer: Ist doch egal.<br />
Peschel: Ja, aber das sind so oberflächliche Bemerkungen,<br />
mit denen Sachen generell runtergemacht<br />
werden. Ist doch schade. Auch immer dieses<br />
Kategorisieren: „Der deutsche Film ist doch eine einzige<br />
Scheiße.“ Es gibt ja viele, die so reden.<br />
schweighöfer: Ja, ist gut, aber …<br />
Peschel: Aber das stimmt einfach nicht. Klar, es<br />
stimmt teilweise, aber dann gibt es auch wieder Sachen,<br />
die nicht scheiße sind. Da wird einfach nicht<br />
genau hingeguckt.<br />
schweighöfer: Alles, was einigermaßen groß<br />
aussieht, kriegt gleich was auf die Mütze.<br />
Peschel: Das ist doch furchtbar. Auch dass man<br />
gleich in Schubladen gesteckt wird. „Das ist ein Arthouse-Schauspieler!“<br />
„Der macht nur Kommerz!“<br />
Hast du damit eigentlich Erfahrungen gemacht?<br />
Wirst du von bestimmten Leuten gemieden?<br />
schweighöfer: Ja, für bestimmte Arthouse-<br />
Filme gelte ich wahrscheinlich echt schon als zu kommerziell.<br />
Allein schon, wenn mein Name draufsteht.<br />
Peschel: Aber das ist doch schade.<br />
schweighöfer: Ich finde es nicht so schlimm,<br />
dann mache ich lieber die Arthouse-Filme selbst, mit<br />
Leuten, die ich mir ranhole. Genauso wie bei dir jetzt.<br />
Da hat doch keiner nach dem deutschen Filmpreis für<br />
Halt auf freier Strecke damit gerechnet, dass du jetzt<br />
im Schlussmacher mitspielen würdest. Aber ich finde es<br />
cool von dir, dass du das machst.<br />
Peschel: Was heißt denn cool? Das ist ganz normal.<br />
Ich will doch nicht in irgendeiner Schublade stecken,<br />
das ist doch albern. Man nimmt sich dadurch<br />
doch ganz viele Möglichkeiten. Man begrenzt sich so.<br />
Ehrlich gesagt würde ich Til Schweiger gerne mal in<br />
einem Arthouse-Film sehen.<br />
schweighöfer: Das wird auch kommen.<br />
Peschel: Ich glaube auch, dass der das kann. Und<br />
der ist jetzt nur das extremste Beispiel. In Amerika ist<br />
das gang und gäbe. Da macht dann eben Ben Stiller<br />
einen Film wie Greenberg zum Beispiel.<br />
schweighöfer: Aber in Hollywood haben die<br />
auch verschiedene Genres, das haben wir in Deutschland<br />
ja nicht so.<br />
Peschel: Ja, klar. Aber die Leute, die an den Genrefilmen<br />
beteiligt sind, mischen sich immer wieder.<br />
schweighöfer: Stimmt.<br />
Peschel: Klar gibt es Leute, die mehr in Arthouse-Filmen<br />
mitspielen. Aber Mark Ruffalo, der in<br />
The Kids Are All Right mitspielt, spielt kurz darauf in<br />
The Avengers den Hulk.<br />
schweighöfer: Stimmt.<br />
Peschel: Der spielt beides großartig. Und Edward<br />
Norton hat auch den Hulk gespielt. Eric Bana<br />
spielte den Hulk. Und bald werde ich auch den Hulk<br />
spielen, wenn das hier so weitergeht.<br />
schweighöfer: Du als Hulk – das würde ich<br />
gerne sehen wollen. Du so ganz grün in einer kurzen<br />
Jeans, das fände ich cool.<br />
Peschel: Bist du eigentlich glücklich mit dem,<br />
was du so machst?<br />
schweighöfer: Ja, ich bin glücklich, ja. Ich bin<br />
zwar auch sehr müde, aber ich bin sehr froh darüber,<br />
wie das alles so läuft. Privat ist es was anderes, aber<br />
beruflich bin ich sehr, sehr froh.<br />
Peschel: Ist schon irgendwie schön, oder?<br />
schweighöfer: Ja, ist schön. Ich bin stolz auf<br />
meine Firma und uns alle und bin froh, dass der Film<br />
jetzt draußen ist und die Leute ihn sehen können.<br />
Peschel: Find ich auch toll. Und die Leute werden<br />
ihn mögen.<br />
schweighöfer: Das hoffe ich auch.<br />
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foto-Assistenz ViKTOr eBell,PhilliP ZwANZig<br />
styling-Assistenz cArOliNe leMBlÉ<br />
Produktion frANK seiDliTZ, DOrOTheA fieDler<br />
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ohrringe<br />
(durchgehend<br />
getragen, privat)<br />
cArtier<br />
Wenn ich Millionen verdienen würde,<br />
fände ich es auch chic, jemanden<br />
zu haben, der mir meine Kleider aussucht.<br />
Aber irgendwie ist mir das auch alles<br />
zu äußerlich<br />
”<br />
<strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong>
<strong>Hannelore</strong><br />
ElsnEr<br />
Manche finden sie ein bisschen<br />
melo dramatisch, dabei ist<br />
sie einfach eine Frau, die in jeder<br />
Situation eine Geschichte sieht.<br />
Manche finden, eine Frau mit<br />
70 Jahren müsse sich nicht mehr<br />
mit einem nackten Jüngling<br />
foto grafieren lassen. Doch<br />
<strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong> mag einfach<br />
Rollen, die an Grenzen stoßen.<br />
Als <strong>Die</strong> Unberührbare und<br />
<strong>Die</strong> Kommissarin hat die<br />
Schauspielerin deutsche Film- und<br />
Fernseh geschichte geschrieben,<br />
für INTERVIEW ließ sie sich<br />
kurz vor der Berlinale noch einmal<br />
in Szene setzen<br />
von<br />
Heike BLÜMNER<br />
Fotos<br />
RAlph Mecke<br />
styling<br />
klAus stockhAusen<br />
96<br />
kleid<br />
pRAdA
<strong>Die</strong> Idee war, ein Gespräch am Küchentisch zu führen.<br />
Doch kann man eine der bekanntesten Schauspielerinnen<br />
Deutschlands einfach zu sich nach Hause<br />
einladen? Wir waren uns nicht sicher. Deshalb ließen<br />
wir <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong> die Wahl: ein Treffen in einem<br />
Restaurant, an der Bar in ihrem Hotel – oder eben<br />
am Küchentisch. Gefühlte hundert Beratschlagungen<br />
später riss der Schauspielerin der Geduldsfaden: Sie<br />
habe den Eindruck, man wolle das <strong>Interview</strong> gar nicht<br />
wirklich führen. Und es sei doch klar, wo so ein Gespräch<br />
stattfinden müsse. Dort, wo montagabends bei<br />
ein paar Flaschen Wein alle guten Gespräche stattfinden<br />
– zu Hause am Küchentisch. Recht hatte sie,<br />
und es wurde eine lange Nacht im allerbesten Sinne.<br />
Denn das Leben von <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong> ist durchaus<br />
abendfüllend.<br />
<strong>Hannelore</strong> elsner: Wir planen gerade ein großes<br />
Ding zeitgleich zur Berlinale. Wissen Sie das?<br />
IntervIew: Nein, was denn?<br />
elsner: <strong>Die</strong>ser fantastische Film <strong>Die</strong> endlose Nacht<br />
von Will Tremper aus dem Jahr 1963, in dem ich auch<br />
mitspiele, wird dieses Jahr am 9. Februar wieder aufgeführt.<br />
Am Flughafen Tempelhof, dort wo er gedreht<br />
wurde und wo er damals auch in der Abflughalle mit<br />
der großen Uhr seine Premiere feierte. Ich bin von<br />
diesem Film nach wie vor begeistert. Harald Leipnitz,<br />
einer der Hauptdarsteller, spielt darin so unvorstellbar<br />
großartig wie der junge Marcello Mastroianni.<br />
IntervIew: Wann waren Sie denn das erste Mal<br />
auf der Berlinale?<br />
elsner: Es ging erst relativ spät für mich los, obwohl,<br />
ich war ja noch ganz jung, so Anfang 30. 1973<br />
hatte ich den Film <strong>Die</strong> Reise nach Wien mit Edgar<br />
Reitz gemacht und war zum ersten Mal dabei. Mein<br />
damaliger Partner, der Filmemacher Alf Brustellin,<br />
war auch dabei. Es war ganz toll damals. Das Festival<br />
war im Sommer, und oft war auch die Stimmung total<br />
aufgeheizt. Ich erinnere mich zum Beispiel daran,<br />
dass Herbert Achternbusch den damaligen Innenminister<br />
Zimmermann vor den Kopf stieß, weil er von<br />
ihm keinen Preis für Das Gespenst entgegennehmen<br />
wollte, und alle protestierten. Aber vor allem saß ich<br />
Tag und Nacht im Kino, es war ein echtes Filmfest.<br />
IntervIew: Heute sind die Events ja mehr ins<br />
Zentrum gerückt.<br />
elsner: Ja, aber es gab auch schon eine frühe<br />
BerlinaleZeit, als Schauspielerinnen wie Ruth Leuwerik<br />
berühmt waren. Da standen die Events auch<br />
mehr im Mittelpunkt, doch mich hat das damals gar<br />
nicht interessiert. Heute hat das aber alles einen ganz<br />
anderen Stellenwert. Vor allem seit der Gründung der<br />
Deutschen Filmakademie gibt es ein anderes Bewusstsein<br />
in der Öffentlichkeit. Deshalb finde ich es<br />
wichtig, dort Präsenz zu zeigen. <strong>Die</strong> Berlinale und die<br />
Veranstalter sind heute einfach großartig.<br />
IntervIew: Feiern Sie gerne?<br />
elsner: Ja, das macht Spaß. Feiern ist was Herrliches<br />
– aber nur, wenn ich nicht in einer Produktion<br />
bin. Na gut, vielleicht mal ein kleiner Unfall hier und<br />
da. Aber schau mal, es ist doch so, wenn ich in Berlin<br />
bin: <strong>Die</strong> Leute rufen an und sagen, komm doch hierhin<br />
und dahin, aber das geht einfach nicht. Ich muss ja<br />
abends arbeiten und Texte lernen. Ich kann dann<br />
nicht rausgehen und feiern. Leider.<br />
IntervIew: Was gab es noch für Highlights auf<br />
der Berlinale?<br />
elsner: Am tollsten ist es natürlich, wenn man<br />
selbst mit einem Film da ist. Dann ist man irgendwie<br />
so geschützt und getragen von dieser Euphorie. Als<br />
<strong>Die</strong> Unberührbare im Panorama lief – das war auch so<br />
“<br />
Ich habe mich<br />
immer über das<br />
Älterwerden gefreut,<br />
weil es bedeutet,<br />
dass man länger am<br />
Leben ist. Aber ich<br />
komme jetzt schon in<br />
eine andere Zeit<br />
für mich, wo ich denke,<br />
dass ich noch nicht<br />
alles in Ordnung<br />
gebracht habe<br />
”<br />
– <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong><br />
eine Sache. Das war ja die letzte schlimme Tat von<br />
Moritz de Hadeln, dass er <strong>Die</strong> Unberührbare ins Panorama<br />
steckte und nicht in den Wettbewerb. Das hat<br />
niemand verstanden. Dem hat der Film einfach nicht<br />
gefallen. Das ist doch unvorstellbar. Da sind auch die<br />
Filmjournalisten auf ihn losgegangen. Und dann wurden<br />
wir auch noch für den Oscar nominiert, das war<br />
für ihn schon ein bisschen peinlich. Unter Kosslick<br />
hätte das sicher anders ausgesehen.<br />
IntervIew: Entsprachen Ihre frühen Filme, als<br />
Sie ganz jung waren, Ihrem damaligen Lebensgefühl?<br />
elsner: Ach, diese Filme wie Lausbubengeschichten.<br />
Mein Gott, das sind gut gemachte Filme, und<br />
Theo Lingen und solche Schauspieler, das waren ja<br />
ganz tolle Leute. Mein in Anführungsstrichen berühmtester<br />
Auftritt war der, wo ich die französische<br />
Austauschschülerin Geneviève spiele. Da war ich auch<br />
gerade in Paris gewesen und konnte diesen wunderbaren<br />
französischen accent so gut. Lustige Filme, sonst<br />
nichts. Das habe ich gemacht, um Geld zu verdienen.<br />
Ich nenne das Papas Kino, aber das war nicht das<br />
Wichtige für mich, das hat auch mich nicht geprägt.<br />
IntervIew: Wen interessierte dieses Kino damals?<br />
elsner: Mich interessierte es nicht. Ich war ganz<br />
anders, und es gab ganz viele, die auch anders waren.<br />
Meine Anfänge liegen auch nicht in diesem Genre.<br />
Angefangen habe ich mit einem jungen türkischen<br />
Regisseur, Halit Refig, der mich auf der Straße entdeckt<br />
hat und mich zu Dreharbeiten in die Türkei<br />
holte. Er wurde später ein anerkannter türkischer Filmemacher.<br />
Damals, mit 16 Jahren, habe ich nicht begriffen,<br />
warum der Film schlussendlich nicht zustande<br />
kam. Erst später habe ich verstanden, dass er einen<br />
ernsthaften Film machen wollte und nicht so eine läppische<br />
Liebesgeschichte, wie es der Produzent gern<br />
gehabt hätte. Auch vor <strong>Die</strong> endlose Nacht habe ich Filme<br />
gemacht, die waren ganz düster, so Schwarz<br />
WeißFilme, wo junge Mädchen auf die schiefe Bahn<br />
geraten sind. Und dann gab es noch die berühmten<br />
StahlnetzFilme im Fernsehen, wo ich eine junge<br />
Mörderin spielen durfte. Und ich habe viele Jahre<br />
lang Theater gespielt.<br />
IntervIew: Heute spielen Sie kein Theater mehr?<br />
elsner: Ich wollte mehr Film machen, und ich<br />
wollte nicht Teil eines festen Ensembles werden. Aber<br />
ich finde Theater nach wie vor spannend, und wie<br />
zum Beispiel Nina Hoss Theater und Film miteinander<br />
verbindet, finde ich super. Theater ist lebenstechnisch<br />
gesehen sehr anstrengend. Du bist den ganzen<br />
Tag mit diesem anderen Leben beschäftigt und abends<br />
immer auf der Bühne. <strong>Die</strong>se ewige Konzentration Tag<br />
und Nacht, und dann die Tourneen. Gerade mit einem<br />
kleinen Kind war das irgend wann auch zu krass.<br />
IntervIew: Das Fernsehen hat ja in Ihrer Karriere<br />
auch eine große Rolle gespielt.<br />
elsner: Ja, da war natürlich <strong>Die</strong> Kommissarin ganz<br />
wichtig für mich.<br />
IntervIew: Das war eine sehr beliebte Serie.<br />
elsner: Absolut, und es gab viele gute Fernsehspiele<br />
und Serien.<br />
IntervIew: Ich würde aber auch sehr gerne über<br />
das heutige deutsche Fernsehen mit Ihnen lästern.<br />
Sind Sie dabei?<br />
elsner: Ich kann nicht über das deutsche Fernsehen<br />
schimpfen, denn ich schaue nur die besten Sachen.<br />
Arte, 3sat, ZDFinfo und ZDF neo, da freue ich<br />
mich immer so sehr, zum Beispiel auf die Sendung<br />
Kulturzeit. Wenn ich dann noch wunderbare Dokumentationen<br />
über Oscar Niemeyer oder die deutsche<br />
Jazzsängerin Inge Brandenburg sehe, die es ganz<br />
schwer hatte und in den 50er und 60erJahren auch<br />
dazu verdonnert wurde, blöde Schlager zu singen, obwohl<br />
sie doch Jazzmusikerin war, dann finde ich das<br />
toll. Im Übrigen hatte ich erst seit Anfang der 80er-<br />
Jahre überhaupt einen Fernseher.<br />
IntervIew: Das heißt, Sie konnten sich selbst im<br />
Fernsehen gar nicht sehen.<br />
elsner: Genau. Ich saß lieber im Kino, habe<br />
praktisch in Filmen gewohnt. Französisches und polnisches<br />
Kino, das war meine Welt.<br />
IntervIew: Und heute sitzt wahrscheinlich die<br />
junge Garde Schauspieler fassungslos vor dem Tatort<br />
und träumt davon, in einer amerikanischen TV-Serie<br />
mitspielen zu dürfen.<br />
elsner: Vielleicht, wer weiß das schon? Was mir<br />
nicht gefällt, schaue ich mir auch nicht an. Das war<br />
schon früher so. Deshalb bin ich erfüllt von guten Sachen,<br />
und ich sehe heute auch viel Gutes.<br />
IntervIew: Bei vielen Frauen, mit denen Sie damals<br />
Ihre Karriere begonnen haben, lief es auf der<br />
Langstrecke ganz anders als bei Ihnen. Elke Sommer,<br />
Barbara Valentin zum Beispiel.<br />
elsner: <strong>Die</strong> Valentin war eine wilde Frau. Ganz<br />
anders als ich, das war nicht mein Ding. Ich habe immer<br />
auf mich aufgepasst. Fassbinder habe ich natürlich<br />
immer bewundert, aber da ist der Kelch an mir<br />
vorübergegangen. Er wollte, dass ich an seinem Theater<br />
spiele, aber ich war gerade an den Kammerspielen<br />
beschäftigt und musste ihm absagen. Hätte ich<br />
Zeit gehabt, wäre ich das Wagnis sicherlich eingegangen.<br />
Aber im Nachhinein glaube ich, dass mir das<br />
nicht gutgetan hätte. Ich war nicht so ein höriges<br />
Mädchen. Obwohl ich trotzdem eine Sehnsucht hatte<br />
nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es bildeten sich<br />
ja überall Gruppen, und die waren sehr geschlossen.<br />
IntervIew: Einerseits träumten Sie vom französischen<br />
Kino, andererseits haben Sie pragmatisch und<br />
willensstark an Ihrer Karriere gearbeitet. Wie geht<br />
das zusammen?<br />
elsner: Na ja, ich wollte zum Beispiel nicht mit<br />
alten Männern ins Bett steigen wegen irgendeiner<br />
Rolle. Da war ich wirklich moralisch und habe auf<br />
mich selbst aufgepasst. Da gab es ja auch zum Beispiel<br />
diesen französischen Produzenten. Der machte mir<br />
ein eindeutiges Angebot, und da wäre bestimmt was<br />
rausgesprungen, aber dazu hatte ich keine Lust. Später<br />
habe ich dann manchmal gedacht: Ach, warum eigentlich<br />
nicht? Aber nein, so bin ich einfach nicht.<br />
IntervIew: Was ist heute für junge Schauspieler<br />
anders?<br />
elsner: Ich glaube, dass es besser geworden ist.<br />
Es gibt auch andere Stoffe. <strong>Die</strong> Bandbreite ist für junge<br />
Schauspieler größer als für uns damals.<br />
IntervIew: Und was noch?<br />
elsner: Schau mal, ich weiß doch manchmal gar<br />
nicht, wie das alles heute läuft. <strong>Die</strong> jungen Schauspieler<br />
haben alle eine Agentur, Stylisten, PR-Leute, die<br />
alle das Bild für sie nach außen tragen.<br />
IntervIew: Und Sie?<br />
elsner: Ich hatte immer mal wieder eine Agentur,<br />
aber ich habe doch keinen Stylisten und keinen<br />
Assistenten. Hach, das wär noch was. Es ist nicht so,<br />
dass ich das alles total ablehne. Das wär vielleicht<br />
schon schön, aber wer weiß. Bei einer Preisverleihung<br />
saß mal Sophia Loren vor mir und hatte so ein Spitzenkleid<br />
an. Und neben ihr saß immer so eine Frau,<br />
die ständig an ihr rumfummelte und zupfte. Das war<br />
ihre Assistentin, und ich dachte mir: Wow, das ist ja<br />
toll. Und dann dachte ich: Ach nein, das würde mir<br />
auf die Dauer auf den Wecker gehen.<br />
IntervIew: Gerüchteweise lässt sich Sophia Loren<br />
unter ihren Kleidern in Zellophanfolie einwickeln<br />
“<br />
Ich lebe mehr<br />
denn je aus<br />
Koffern und frage<br />
mich manchmal, ob<br />
ich nicht irgendwo<br />
ein Sofa haben müsste,<br />
auf das ich mich<br />
setzen und sagen<br />
kann: Jetzt bin ich<br />
hier zu Hause<br />
”<br />
– <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong><br />
und wird dann beim Fotoshooting ins Bild geschoben,<br />
weil sie so nicht mehr laufen kann.<br />
elsner: Okay, falsches Beispiel vielleicht, aber<br />
wir sind ja auch hier nicht in Hollywood. Wenn ich<br />
Millionen verdienen würde, fände ich es vielleicht<br />
auch chic, jemanden zu haben, der mir meine Kleider<br />
aussucht. Aber irgendwie ist mir das auch alles zu äußerlich.<br />
Ich finde meine Sachen selbst, und ich habe<br />
so ein paar Kleider, die ziehe ich dann auch immer<br />
wieder an. Als ich zum fünften Mal mein schönes<br />
schwarzes Kleid anhatte, wurde ich auch schon mal<br />
von einem Journalisten gefragt, wie oft ich es mir in<br />
meiner Position erlauben könne, dasselbe Kleid zu<br />
tragen. Und ich sagte, sooft es mir gefällt, natürlich.<br />
IntervIew: Es scheint, als müssten alle sich ständig<br />
umziehen.<br />
elsner: Ja, es ist doch wirklich schlimm. Selbst<br />
bei Angela Merkel heißt es dann: <strong>Die</strong> Jacke hatte sie<br />
aber schon mal da und da an. Ja, was soll sie denn machen?<br />
Sie wegschmeißen?<br />
IntervIew: Und ständig muss man drüber sprechen.<br />
elsner: Ja genau. Und wenn mir dann irgend so<br />
eine Moderatorin ihr Mikro unter die Nase hält, und<br />
ich schaue in ihre kalten Augen und sehe, wie es in<br />
ihrem Gehirn rattert, und sie schreit: „Frau <strong>Elsner</strong>,<br />
Frau <strong>Elsner</strong>, Sie sehen ja heute sehr gut aus, wie lange<br />
haben Sie dazu gebraucht, um das hinzukriegen?“ Da<br />
denke ich nur: Wie jetzt? Zum Glück sind das aber<br />
nicht DIE Medien, denn auf der Berlinale oder auf<br />
Premieren treffe ich wieder ganz tolle Menschen, das<br />
sind dann richtige Filmjournalisten, die stellen gute<br />
Fragen. <strong>Die</strong> kennen sich mit Schauspielern aus, denn<br />
sie wissen, wir müssen geliebt werden – dann ist es<br />
immer gut, dann ist es immer schön. Da können die<br />
Fragen auch kniffelig sein. Aber auf dem roten Teppich<br />
bekomme ich manchmal eine regelrechte Amnesie,<br />
mit dem Zeug, was die da wissen wollen.<br />
IntervIew: Als junge Schauspielerin hatte Sie<br />
Maria Nicklisch, der Star der Münchener Kammerspiele,<br />
die damals ungefähr in Ihrem jetzigen Alter<br />
war, so ein bisschen adoptiert.<br />
elsner: Ja, das war so.<br />
IntervIew: Sie sagen, dass zwischen Ihnen beiden<br />
eine Art „wehmütiger Vertrautheit“ bestand. Kennen<br />
Sie das Gefühl heute auch jüngeren Kolleginnen gegenüber?<br />
elsner: Absolut. Solchen Diven wie die Nicklisch<br />
eine war, denen wird ja gerne nachgesagt, dass<br />
sie junge Schauspielerinnen nicht leiden können. Dabei<br />
ging es eher darum, dass sie schlechte Schauspielerinnen<br />
nicht leiden konnte. Und so spießig sind die<br />
Leute auch heute noch, dass sie denken, eine ältere<br />
Schauspielerin kann die jüngeren nicht ausstehen. Als<br />
Kommissarin zum Beispiel hatte ich sehr viel mit jungen<br />
Schauspielerinnen zu tun und habe oft versucht,<br />
denen die Angst zu nehmen. Ich gebe doch gerne was<br />
weiter und gebe was her von mir.<br />
IntervIew: Und worin liegt die wehmütige Vertrautheit?<br />
elsner: Ich meine das sehr zärtlich. Bei Maria<br />
Nicklisch habe ich gemerkt, dass sie sich in mir gesehen<br />
hat, wie sie war, als sie jung war. Und diese Wehmut,<br />
dass sie es nun nicht mehr war und trotzdem so<br />
eine stolze, schöne Frau, das meine ich damit. Das ist<br />
eher ein kleines Gefühl, so ganz süß. „Ach, jetzt fährst<br />
du wieder nach Paris!“, sagte sie zu mir. Ich habe sie<br />
vergöttert, hatte Ehrfurcht vor ihr. Heute achte ich<br />
darauf, dass es keine Abgrenzungen gibt zwischen den<br />
Generationen. Das tut ja nicht gut. Allerdings wird<br />
man dann immer verdächtigt, dass man sich jung ma-<br />
98<br />
99
kleid<br />
miu miu
“<br />
Heute achte ich darauf,<br />
dass es es keine Abgrenzungen gibt<br />
zwischen den Generationen.<br />
Allerdings wird man dann immer verdächtigt,<br />
dass man sich jung machen will<br />
”<br />
<strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong><br />
kleid<br />
issey miyAke
chen will, deshalb bin ich vorsichtig. Aber wenn ich<br />
mich zum Beispiel mit den Freunden meines Sohnes<br />
unterhalte, bin ich doch immer wieder überrascht,<br />
wie viel wir voneinander verstehen.<br />
IntervIew: Beim Fotoshooting zu diesem <strong>Interview</strong><br />
waren Sie ja auch von jungen Männern umgeben.<br />
Wie war das?<br />
elsner: Das ist ein ganz spezielles Thema. Wir<br />
hatten mit dem Team regelrecht philosophische Gespräche<br />
während des Shootings, denn es ging ja um<br />
mich, wie ich als Frau mit diesen jungen, nackten<br />
Männern umgehe und sie als Helden irgendwie tragen<br />
muss. Als Assoziation fiel mir ein Dokumentarfilm<br />
ein über junge dänische Männer, die mit Überzeugung,<br />
Kraft und dem Willen zu helfen in den<br />
Afghanistankrieg gezogen sind. Nach einem halben<br />
Jahr waren sie alle kaputt und verzweifelt. Das Bild,<br />
das ich von mir in diesem Zusammenspiel mit dem<br />
jungen Mann hatte, war das einer mitleidenden Beschützerin.<br />
<strong>Die</strong>ser Mann, er war so ätherisch, fast wie<br />
ein Geist, und das war auch eine Metapher auf das junge<br />
Leben, das geopfert, aber auch geschützt werden<br />
muss. Es hatte für mich nichts Erotisches. Es war etwas<br />
anderes, selbst mütterlich würde zu kurz greifen.<br />
IntervIew: Entdecken Sie manchmal Verhaltensweisen<br />
an sich, die Sie an Ihre eigene Mutter erinnern?<br />
elsner: Eher nicht, sie war ein sehr konventioneller<br />
Typ. Das war ja die Zeit, wo einem nicht aus<br />
einer Überzeugung heraus etwas verboten oder erlaubt<br />
wurde, sondern weil man das einfach so tat. Wie sie<br />
reagiert hat, als ich meinen ersten Freund nach Hause<br />
gebracht habe! Ich würde einen Teufel tun und mich<br />
einmischen, wenn mein Sohn Dominik seine Freundinnen<br />
nach Hause bringt. Das ist seine Sache.<br />
IntervIew: Ihre Mutter war jung auf sich gestellt<br />
und hat ganz allein die Familie durchgebracht. Ist das<br />
vielleicht eine Parallele zu Ihrem Leben?<br />
elsner: Absolut. Meine Mutter war sehr stark.<br />
Aber trotzdem ist es schwierig, selbst diese Parallele<br />
zu sehen. Mütter und Töchter, das ist eine schwierige<br />
Sache. Außerdem bin ich zum Beispiel auch ein viel<br />
mütterlicherer Typ. Ich habe mich auch immer frei<br />
und lebendig gefühlt – trotz Einschränkungen …<br />
IntervIew: … und trotz früher Todesfälle in der<br />
Familie und des Todes Ihres Lebenspartners Alf<br />
Brustellin. Dann kam Ihr Sohn zu früh auf die Welt,<br />
und viele Jahre waren Sie alleinerziehend. Ganz schön<br />
viel zu verkraften.<br />
elsner: Ich bin schon auch traurig. Aber weinen<br />
tue ich dann woanders, also zu Hause. Grundsätzlich<br />
bin ich aber sehr dankbar und könnte die ganze Welt<br />
umarmen, dass alles so toll gelaufen ist. Wenn einem<br />
was Schlechtes passiert, könnte es immer noch<br />
schlechter sein. Es dauert ziemlich lange, bis es einem<br />
wirklich nicht mehr schlechter gehen kann, beziehungsweise<br />
es gibt immer etwas, worüber man sich<br />
freuen kann. Selbst wenn ich krank werde, kann ich<br />
mich freuen, dass ich bis dahin gesund war. Ich bin ein<br />
melancholischer Mensch, aber ich versuche immer, es<br />
mir schön zu machen.<br />
IntervIew: Ein weiterer enger Freund, den Sie<br />
verloren haben, ist Bernd Eichinger. In Ihren Memoiren<br />
schildern Sie Ihre Beziehung als sehr sexy, intensiv<br />
und schnell.<br />
elsner: In allen meinen Beziehungen ist so viel<br />
Glück und Liebe und Sexiness, und ich wollte immer<br />
jeden einzelnen der Männer lieben. <strong>Die</strong> Liebesbeziehung<br />
zwischen Bernd und mir war schon sehr speziell<br />
und auch schwierig, denn ich hatte ja ein kleines Baby,<br />
und es war nicht einfach, mit ihm die Nächte durchzumachen.<br />
Ich brauchte immer eine Babysitterin, die<br />
“<br />
Im Übrigen hatte<br />
ich erst seit Anfang der<br />
80er-Jahre überhaupt<br />
einen Fernseher. Ich<br />
saß lieber im Kino<br />
und habe praktisch in<br />
Filmen gewohnt.<br />
Franzö sisches und polnisches<br />
Kino, das war<br />
meine Welt<br />
”<br />
– <strong>Hannelore</strong> <strong>Elsner</strong><br />
104<br />
ihm übrigens sehr dankbar war, weil er so großzügig<br />
war. Aber dass es dann aufgehört hat – es sind halt<br />
Männer –, da musste ich oft konsequent sein. Ich<br />
wollte ihm das Kapitel über ihn so gerne noch zeigen.<br />
Es ist auch deswegen so kurz, weil ich ihm und seiner<br />
Frau nicht zu nahe treten wollte.<br />
IntervIew: Waren Sie von seinem Tod überrascht?<br />
elsner: Ich habe immer Angst um sein Leben gehabt,<br />
weil er so schnell gelebt hat. Aber von seiner<br />
Frau Katja wurde er auch getragen, er hat aufgehört,<br />
zu rauchen und zu viel zu trinken. Ich hatte den Eindruck,<br />
dass er ruhiger wurde. In der Zeit nach seinem<br />
Tod bin ich nirgendwo hingegangen, weil ich nicht<br />
öffentlich über ihn reden wollte. Ich bin sehr froh,<br />
dass andere es gemacht und seine Arbeit gewürdigt<br />
haben. Ich hätte es nicht gekonnt, weil er mir als<br />
Mensch so nahestand.<br />
IntervIew: Sie haben einmal gesagt, dass man<br />
Routine braucht für „das unordentliche und durcheinanderne<br />
Leben“. Sind Sie für ein geregeltes Leben<br />
auf immer verloren?<br />
elsner: Mit einem leisen Aufschrecken denke ich<br />
manchmal, dass ich ein bisschen ordent licher werden<br />
müsste. Ich habe mich immer über das Älterwerden<br />
gefreut, weil es bedeutet, dass man länger am Leben<br />
ist. Aber ich komme jetzt schon in eine andere Zeit für<br />
mich, wo ich denke, dass ich noch nicht alles in Ordnung<br />
gebracht habe. Ich lebe mehr denn je aus Koffern,<br />
meine Wohnung ist wie eine Durchgangsstation,<br />
da stehen noch Kisten von vor 20 Jahren. Ich mag das<br />
auch, einerseits. Andererseits frage ich mich manchmal,<br />
ob ich nicht irgendwo ein Sofa haben müsste, auf<br />
das ich mich setzen und sagen kann: Jetzt bin ich hier<br />
zu Hause. Ach, ich weiß es nicht. Eigentlich befürchte<br />
ich, es geht immer so weiter mit dem durcheinandernen<br />
Leben. Ich bin noch zu jung für so viel Ordnung.<br />
IntervIew: Und Müßiggang?<br />
elsner: Dauernd, immer und überall.<br />
IntervIew: Aber sind Sie nicht auch ein bisschen<br />
Workaholic?<br />
elsner: Ja, aber diesen Raum habe ich mir immer<br />
genommen. Also spazieren gehen zum Beispiel, immer,<br />
immer, immer spazieren gehen. Müßiggang<br />
heißt für mich …<br />
IntervIew: Abschalten?<br />
elsner: Nein.<br />
IntervIew: Ach.<br />
elsner: Schon ganz da sein, aber ich tue dann<br />
halt gerade nichts. Ich sag ganz oft, ich hab was zu<br />
tun, und dann gehe ich spazieren. Müßiggang heißt<br />
auch für mich, dass ich einkaufen gehe und nicht<br />
schnell wieder nach Hause rasen muss, sondern mit<br />
meinen Tüten noch ein bisschen rumstehe und hier<br />
und da reinschaue. Und dann habe ich ganz tolle Erlebnisse,<br />
dann schaut eine Frau aus irgendeinem Lokal<br />
raus und fragt mich, ob ich nicht reinkommen will.<br />
Glücklicherweise habe ich dann zwei Stunden Zeit,<br />
und dann trink ich mit ihr einen Wein. Müßiggang<br />
heißt für mich, kein Ziel zu haben. Dann nehme ich<br />
mir gar nichts vor. Das zelebriere ich richtig.<br />
IntervIew: Und Urlaub?<br />
elsner: Urlaub mache ich eigentlich nicht mehr<br />
so oft. Früher habe ich Ferien mit meinem Kind gemacht.<br />
So nenne ich das. Urlaub … ich weiß ehrlich<br />
gesagt gar nicht genau, was das ist.<br />
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105<br />
kleid<br />
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gesehen bei mytheresa.com
Vor zwölf Jahren war<br />
Bottega Veneta eine<br />
Ledermanufaktur, die ihre<br />
besten Zeiten schon sehr<br />
lange hinter sich hatte.<br />
Heute ist sie eine<br />
hochintelligent geführte<br />
Weltmarke, die unwiderstehliche<br />
Accessoires,<br />
erwachsenen Glamour und<br />
schwindelerregende<br />
Umsatzzuwächse produziert.<br />
Creative Director<br />
Tomas Maier erzählt, wie<br />
er das hingekriegt hat<br />
BOTTEGA<br />
VENETA<br />
VON<br />
ADRIANO SACK<br />
FOTOS<br />
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BOTTEGA VENETA<br />
FRÜHJAHR/SOMMER 2013
Porträt: Erwin Olaf<br />
oOhne Frage: <strong>Die</strong> Stimmung ist ungewöhnlich feierlich<br />
in der Münchner Maximilianstraße. Statt Fingerfood<br />
werden zierliche, fast asketisch wirkende<br />
Schoko laden würfel zum Champagner gereicht. Und<br />
der Ehrengast selbst hat sich in den ersten Stock<br />
zurück gezogen. Wer Tomas Maier treffen will oder<br />
sich eine Signatur des gerade erschienenen Bildbandes<br />
Bottega Veneta wünscht, muss sich bei einer Art<br />
Treppensteher anmelden. „Ich habe sogar deutsch mit<br />
ihm gesprochen“, raunt eine Moderedakteurin, die<br />
nach ihrer Audienz die Treppe wieder hinabgesegelt<br />
kommt. Tomas Maier ist in Pforzheim geboren, aber<br />
seit Jahrzehnten im internationalen Modezirkus unterwegs.<br />
Seine Weigerung, in <strong>Interview</strong>s deutsch zu<br />
sprechen, ist fast so legendär wie sein Erfolg als<br />
Creative Director von Bottega Veneta. 2001 hatte das<br />
italie nische Label seine großen Tage (Andy Warhol<br />
schwor einst auf die Lederbilderrahmen) lange hinter<br />
sich. Maier verhalf der Marke zu einem sensationellen<br />
Wiederaufstieg, den man vielleicht nur mit Tom Fords<br />
Zeit bei Gucci vergleichen kann. Obwohl er diametral<br />
entgegengesetzt vorging. Der Designer machte aus<br />
der BottegaTasche das Statussymbol für die denkende<br />
Frau. Seine vier Dogmen, die er gern mit den<br />
Pfosten eines Boxringes vergleicht: hochwertige Materialien,<br />
handwerkliche Verarbeitung, zeitgemäße<br />
Funktionalität, zeitloses Design. Weitere Bestandteile<br />
seiner Erfolgsstrategie: Verzicht auf Logos und ein<br />
Designer, der lieber arbeitet als darüber spricht.<br />
interview: Sie reisen gerade durch Europa, um Ihr<br />
Buch über Ihre Arbeit bei Bottega Veneta vorzustellen<br />
und zu signieren. Wie fühlt sich das an, plötzlich um<br />
Autogramme und Widmungen gebeten zu werden?<br />
toMas Maier: (lächelt) Ein bisschen komisch.<br />
interview: So ein Projekt ist ja auch immer ein<br />
Anlass, zurückzuschauen. Was macht Sie besonders<br />
stolz?<br />
Maier: Das Buch ist eine Liebeserklärung an die<br />
Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Design. Es<br />
fasst die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre von<br />
Bottega Veneta zusammen. Ich glaube, jeder von uns<br />
hat eine Menge, worauf er stolz sein kann.<br />
interview: Sie schreiben, dass Bottega eine runtergekommene<br />
Marke kurz vor dem Konkurs war, als<br />
Sie dort angefangen haben. Woher wussten Sie, dass<br />
Sie sie retten können?<br />
Maier: Ich wusste das, als ich das erste Mal nach<br />
Vicenza kam und die Leute traf, die dort arbeiteten:<br />
Man sah sofort, dass das sehr kompetente und geschickte<br />
Handwerker mit Riesenpotenzial waren.<br />
interview: Im Nachhinein, wie so oft, scheint Ihr<br />
Vorgehen logisch und naheliegend. Hatten Sie tatsächlich<br />
einen Masterplan, als Sie die Arbeit dort aufnahmen?<br />
Maier: Na ja, ich wusste ziemlich schnell, was ich<br />
wollte: die Firma entschlacken und zu ihren ursprünglichen<br />
Wurzeln zurückführen. <strong>Die</strong> Logos abschaffen.<br />
Den alten Slogan wieder ernst nehmen: „When your<br />
own initials are enough“. Im Jahr 2001, als ich dort<br />
anfing, hatte ich das Gefühl, die Zeit sei reif dafür.<br />
interview: Sind die Diskussionen über „no logos“<br />
ermüdend?<br />
Maier: Nicht für mich. Ich habe auch gar nichts<br />
gegen Logos oder die Tatsache, dass Menschen sie<br />
gern tragen und zeigen. Es hat nur nichts mit der<br />
DNA von Bottega Veneta zu tun. Bei uns geht es um<br />
diskreten und subtilen Luxus.<br />
interview: Haben sich unsere Welt und unsere<br />
Vorstellung von einer Luxusmarke tatsächlich geändert<br />
in den vergangenen Jahren?<br />
Maier: Ich glaube, es hat sich ein stärkeres<br />
Qualitäts bewusstsein herausgebildet. Zumindest bei<br />
unseren Kunden. Und ich behaupte ja gar nicht zu<br />
wissen, was die ganze Menschheit glücklich macht.<br />
interview: Bottega ist berühmt für Taschen,<br />
Schuhe, Gürtel aus geflochtenem Leder. <strong>Die</strong> Verarbeitungsweise<br />
nennt sich intrecciato. Ist das nicht im<br />
Grunde auch eine Art Logo? Man erkennt die Taschen,<br />
also funktionieren sie als Statussymbol.<br />
Maier: Sehe ich nicht so. Intrecciato ist eine Technik,<br />
bei der das Leder sich weich anfühlt, aber stabil<br />
und fest ist. Und es gibt sehr viele Produkte von Bottega<br />
ohne intrecciato.<br />
interview: Wenn Sie das Flechtmuster aber auf<br />
Porzellan von KPM malen lassen, wird es reines Ornament.<br />
Maier: Vielleicht.<br />
interview: Davon abgesehen gleicht das Prinzip<br />
intrecciato einer architektonischen Vorgehensweise:<br />
Indem man ein Material besonders verarbeitet, verändert<br />
man seine Eigenschaften. Ihr Vater war Architekt,<br />
Sie sind ein Bewunderer von Palladio. Was interessiert<br />
Sie an ihm?<br />
Maier: <strong>Die</strong> Proportionen und die Konzentration.<br />
Ich schätze besonders die Reinheit der Grundrisse.<br />
Und, natürlich, die Schönheit seiner Bauten.<br />
interview: <strong>Die</strong> PalladioVillen stehen im Veneto,<br />
wo auch Bottega zu Hause ist. Haben Sie sich schon<br />
alle angeschaut?<br />
Maier: Ich bin noch dabei. Viele habe ich besichtigt,<br />
in manche kommt man schwer rein, aber ich gebe<br />
nicht auf.<br />
interview: Ist Palladio besser als heutige Architekten?<br />
Glauben Sie auch, wie Prince Charles und<br />
Tom Wolfe, dass moderne Baumeister Verbrecher<br />
sind?<br />
Maier: Palladio ist einzigartig. Seine Häuser und<br />
seine Architekturtheorie wirken bis heute. Aber<br />
selbstverständlich gibt es gute lebende Architekten.<br />
Etwa Peter Zumthor, um nur einen zu nennen.<br />
interview: In Ihrem Buch beschreiben Sie Bottega<br />
als eine Art Boxring, der durch Ihre vier Grundprinzipien<br />
begrenzt wird. Wann sind Sie das letzte<br />
Mal in den Seilen gelandet? Oder am Boden?<br />
Maier: Ach, das passiert schon mal, aber das<br />
macht nichts. Man muss aus guten und schlechten Erfahrungen<br />
lernen.<br />
interview: Verstehen Sie wirklich, wirklich die<br />
Liebesgeschichte zwischen Frauen und Taschen?<br />
Maier: Irgendwie ja. Eine Frau kann ihre Tasche<br />
bequem und praktisch finden. Sie kann spüren, dass<br />
diese ihren persönlichen Stil unterstreicht. Und ja: Sie<br />
kann ihre Tasche auch lieben.<br />
interview: Haben Sie geglaubt, dass Sie elf Jahre<br />
bei Bottega bleiben würden?<br />
109<br />
“<br />
Ich finde es<br />
inspirierend und<br />
überraschend,<br />
die eigene Arbeit<br />
durch die Augen<br />
eines Künstlers<br />
noch einmal neu<br />
zu entdecken<br />
”<br />
– Tomas Maier<br />
toMas Maier, Creative DireCtor<br />
von Bottega veneta
Maier: Ich habe gar nichts erwartet. Aber es hat<br />
sicher geholfen, dass ich schon eine Weile als Modedesigner<br />
gearbeitet und einige Erfahrungen hatte.<br />
interview: Gab es in den vergangenen Jahren<br />
Angebote, die Sie gereizt hätten? Oder wollen Sie für<br />
immer bei Bottega bleiben?<br />
Maier: Ich bin hier sehr glücklich. Und wir haben<br />
immer wieder neue Projekte, es wird also nicht langweilig.<br />
An Bottega-Möbel zum Beispiel hätten wir<br />
überhaupt nicht gedacht. Aber die Kunden wollten<br />
sie …<br />
interview: Wie suchen Sie die Künstler aus, mit<br />
denen Sie für die Kampagnen zusammenarbeiten?<br />
Maier: Da folge ich meinem persönlichen Geschmack.<br />
Ich finde es inspirierend und überraschend,<br />
die eigene Arbeit durch die Augen eines Künstlers<br />
noch einmal neu zu entdecken. Aber diese Kooperationen<br />
sehen hinterher einfacher aus, als sie sind. Wir<br />
überlegen uns sehr genau, welche Kollektion zu welchem<br />
Künstler passen könnte. Dann gibt es grundsätzlich<br />
Terminprobleme. Wir müssen ziemlich hartnäckig<br />
sein.<br />
interview: War die Arbeit mit Nan Goldin einfach?<br />
“<br />
Ich habe nichts<br />
gegen Logos oder<br />
die Tatsache, dass<br />
Menschen sie tragen.<br />
Sie haben nur<br />
nichts mit der DNA<br />
von Bottega Veneta<br />
zu tun<br />
”<br />
– Tomas Maier<br />
Maier: Ja. Wieso fragen Sie?<br />
interview: Ihre nächste Kampagne wurde von<br />
der Künstlerin Collier Schorr fotografiert. Viele ihrer<br />
Arbeiten sind im Schwarzwald entstanden, wo auch<br />
Sie aufgewachsen sind. War das ein Motiv, mit Collier<br />
zusammenzuarbeiten?<br />
Maier: Überhaupt nicht. Ich mochte ihre Kunst<br />
schon länger und habe erst während der Arbeit mit<br />
Ihr rausgefunden, dass sie eine besondere Verbindung<br />
zu Südwestdeutschland hat.<br />
interview: Sie schätzen auch die deutschen Fotografen<br />
Thomas Ruff, Andreas Gursky, Thomas Struth.<br />
Wieso?<br />
Maier: Ich mag die konzeptionelle Strenge und<br />
die Schönheit ihrer Arbeiten. Und ich mochte schon<br />
ihre Lehrer, Bernd und Hilla Becher.<br />
interview: Gibt es ein Kunstwerk, das Sie lieber<br />
besitzen würden als jedes andere?<br />
Maier: Ich kaufe, was mich gerade inspiriert. Das<br />
können höchst unterschiedliche Sachen sein. Vor allem<br />
möchte ich zeitgenössische Kunst entdecken.<br />
<strong>Die</strong> alten Meister gehören der Menschheit, also ins<br />
Museum.<br />
interview: In dem Buch The Beautiful Fall über<br />
Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent in den Siebzigern<br />
geht es um eine grundsätzliche Frage: Ist ein<br />
Modedesigner in der heutigen Zeit ein Künstler oder<br />
ein Kurator?<br />
Maier: Ich glaube, weder noch …<br />
interview: Sie haben ein Haus in Florida. Das<br />
scheint das genaue Gegenteil von Bottega zu sein:<br />
laut, schmucksüchtig, manche sagen vulgär. Sind Sie<br />
wirklich nur wegen des Wetters dort?<br />
Maier: Ehrlich gesagt, ja. Wenn ich in Mailand<br />
oder New York bin, bin ich den ganzen Tag von Menschen<br />
umgeben und in geschlossenen Räumen. In<br />
meinem Haus am Strand, eine Stunde entfernt von<br />
Miami, finde ich den Ausgleich für mein hektisches<br />
Leben.<br />
interview: Wie deutsch ist Ihre Mode?<br />
Maier: Ich glaube, ich bin ganz gut organisiert.<br />
Aber ich habe Deutschland nach der Schule verlassen,<br />
um an der Syndicale de la Haute Couture in Paris zu<br />
studieren. Seitdem habe ich nicht mehr hier gelebt.<br />
Wir führen noch nicht einmal dieses <strong>Interview</strong> auf<br />
Deutsch, weil mir immer wieder Wörter nicht einfallen.<br />
interview: Lesen Sie noch Bücher auf Deutsch?<br />
Maier: Natürlich. Kein Problem.<br />
interview: Ihr Lieblingsbuch ist Thomas Manns<br />
Buddenbrooks. Wen finden Sie interessanter: Thomas,<br />
den glatten, funktionierenden Sohn? Oder den verrückten<br />
Christian?<br />
Maier: Ich finde jeden auf seine Art spannend.<br />
interview: Wenn Sie, wie heute, nach Deutschland<br />
kommen: Fällt Ihnen dann etwas auf, was Sie<br />
vermissen?<br />
Maier: Wenn Sie an einem Flughafen landen und<br />
von oben schon sehen, dass die Flugzeuge so fein säuberlich<br />
in Reihen geparkt sind, wie sonst nirgends auf<br />
der Welt – dann wissen Sie, dass Sie in Deutschland<br />
sind. Ich muss jedes Mal lächeln darüber.<br />
110<br />
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Haar-assistenz DeCLan SHeiLS<br />
Make-up-assistenz MiYUKi iSHiZUKa<br />
Produktion Mini titLe<br />
retusche Bea@winterLanD
8<br />
8Frauen<br />
PORTFOLIO<br />
<strong>Die</strong>se<br />
Schauspielerinnen<br />
werden Ihnen<br />
2013 im Kino,<br />
im Fernsehen<br />
und auf der Bühne<br />
begegnen.<br />
Vorhang auf!<br />
FOTOS<br />
SEBASTIAN MADER<br />
STYLING<br />
NIKI PAULS<br />
Pullover ALLUDE<br />
Rock PRADA<br />
Armreifen INA BEISSNER<br />
Ohrringe BULGARI<br />
Ring WEMPE<br />
112<br />
Alina Levshin<br />
Schon als Kind habe ich gerne getanzt. Bis zu meinem 15. Lebensjahr<br />
war ich Mitglied im Kinderensemble am Friedrichstadt-Palast. <strong>Die</strong><br />
Bühne gefällt mir, aber nur Ballett zu tanzen war mir auf Dauer zu<br />
wenig. Ich habe dann eine Schauspielausbildung begonnen, und als<br />
Dominik Graf nach russischsprachigen Schauspielerinnen für seine<br />
Serie gesucht hat, war ich auf meinem ersten richtigen Casting. Das<br />
war so etwas wie eine zweite Schule, die Realität eben. Als Nächstes<br />
geht es mit dem Tatort<br />
weiter. Meine Eltern wussten erst mal gar<br />
nicht, was ich da nun mache, denn die Serie zu gucken war keine<br />
Tradition bei uns.<br />
ALINA LEVSHIN DEBÜTIERTE IN DER FERNSEHPRODUKTION<br />
IM ANGESICHT DES VERBRECHENS. AB HERBST 2013 IST SIE IM<br />
TEAM DES ERFURTER TATORTS<br />
ZU SEHEN<br />
Karoline Schuch<br />
Meine erste Station war Verbotene Liebe, da war ich 18. Dort habe ich immer versucht, das Beste rauszuholen, und irgendwie ging es danach immer<br />
weiter. Mittlerweile habe ich mit so vielen tollen Leuten gedreht, zum Beispiel Til Schweiger. Es nervt mich, dass viele auf das deutsche Kino<br />
schimpfen. Trotzdem würde ich dafür sterben, mal in einem französischen Film mitzuspielen. Ich liebe das französische Kino, zum Beispiel Godards<br />
Une femme est une femme. Was man sonst über mich wissen sollte? Ich werde wahnsinnig ungern Karolin genannt, und ich liebe Eier im Glas.<br />
KAROLINE SCHUCH SPIELT DIE HAUPTROLLE IN DER DEUTSCH-ISRAELISCHEN KOPRODUKTION<br />
LOVE ISREAL, DIE IM HERBST 2013 IN DIE KINOS KOMMT<br />
113<br />
Kleid PACO RABANNE<br />
Body AMERICAN APPAREL
portfolio<br />
Lederjacke aCne<br />
Jeans g-Star raW<br />
ohrringe VerSaCe<br />
Stephanie Stremler<br />
Ich habe 27-mal an der Schauspielschule vorgesprochen, bis ich genommen wurde. Am Ende war ich wahnsinnig verzweifelt, aber ich konnte einfach<br />
nicht aufgeben. Ich habe nie wieder so viel gelernt wie bei diesen Vorsprechen. In meinem neuen Film habe ich mit Susanne Lothar gespielt.<br />
Sie war immer ein großes Vorbild für mich, weil sie es über all die Jahre geschafft hat, ihre Verwundbarkeit zu bewahren, und im Spiel immer ihr Inneres<br />
nach außen gekehrt hat. Es ist furchtbar tragisch, dass sie nicht mehr da ist. Dass ich mit ihr arbeiten konnte und wir das alles noch zusammen<br />
erleben durften, empfinde ich als riesiges Glück.<br />
Am 17. JAnuAr stArtet Staub auf unSeren Herzen<br />
mit stephAnie stremler, susAnne lothAr und michAel Kind<br />
114<br />
Kleid huGo<br />
Jacke mAnish ArorA<br />
ohrringe sÉViGnÉ<br />
Lilith<br />
Stangenberg<br />
Als Schauspielerin fühle<br />
ich mich manchmal wie in<br />
dem Märchen Von einem<br />
der auszog, das Fürchten zu<br />
lernen. Ich brenne fürs<br />
Theaterspielen. Seit dieser<br />
Saison bin ich an der<br />
Berliner Volksbühne engagiert.<br />
Hier kommt mir<br />
die Bühne manchmal eher<br />
wie eine Kampfmanege vor.<br />
Als Berlinerin gefällt<br />
mir die rohe Arbeitsweise,<br />
bei der die Leute<br />
sich nicht zu schade sind,<br />
alles zu geben.<br />
LiLith Stangenberg<br />
SpieLt 2013 in der<br />
MoLière-triLogie und<br />
bei Fucking Liberty!<br />
an der VoLkSbühne<br />
in berLin
portfoLio<br />
Carla Juri<br />
Aufgewachsen bin ich im Tessin, in<br />
der italienischen Schweiz. Berge säumen<br />
unser Dorf Ambri. Es liegt in<br />
1 000 Metern Höhe. Hockey ist ganz<br />
groß in Ambri, im Gegensatz zur Schauspielerei.<br />
Wenn es überhaupt Künstler in<br />
Ambri gab, dann Maler, Literaten und<br />
Dichter. Ich spreche fünf Sprachen<br />
fließend. Es ist fantastisch, heute<br />
in Italienisch, morgen in Englisch<br />
und nächste Woche in<br />
Deutsch zu drehen. <strong>Die</strong> wertvollsten<br />
Momente: Wenn man<br />
gemeinsam mit dem Schauspielkollegen<br />
in einer Szene<br />
fliegt. Mein letztes Projekt<br />
Feuchtgebiete war in dieser<br />
Hinsicht ein Genuss.<br />
Carla Juri spielt die<br />
Hauptrolle in der<br />
verfilmung von<br />
CHarlotte roCHes<br />
Feuchtgebieten<br />
Luisa Sappelt<br />
Bomberjacke privat<br />
rock BurBerrY prorsum<br />
armreif cÉLine<br />
ohrringe ina Beissner<br />
Nächstes Jahr mache ich Abitur. Danach gehe ich, glaube ich, erst mal auf Reisen anstatt auf<br />
die Schauspielschule. Bisher hat es ja auch ohne ganz gut geklappt. Vielleicht wirkt ja alles genau deshalb so<br />
echt, weil ich es intuitiv spiele.<br />
Luisa sappeLt war kürzLich im mehrfach ausgezeichneten<br />
kinofiLm Transpapa an der seite von devid striesow zu sehen<br />
116<br />
top g-star raW<br />
gürtel Windsor<br />
Jeans H&m<br />
uhr Bulgari
portFolio<br />
bluse cÉline<br />
bH cAlVin klein unDerweAr<br />
Hose fenDi<br />
ohrringe tiffAny & co.<br />
strümpfe item m6<br />
schuhe fenDi<br />
styling niki pAuls/sHotView<br />
Haare tAn Vuong/bAllsAAl<br />
make-up cAtrin kreyss<br />
foto-Assistenz kristinA weinHolD<br />
Digital operator micHAel breyer<br />
styling-Assistenz kAmillA ricHter<br />
produktion frAnk seiDlitz, DorotHeA fieDler<br />
Dank an mirADor liVing<br />
AnD eXterior berlin, stuDio berlin<br />
portfolio<br />
Vicky<br />
Krieps<br />
Ich erzähle zwar oft, dass ich<br />
nie Schauspielerin werden<br />
wollte, aber eigentlich bin ich<br />
schon immer viel ins Kino<br />
gegangen. Nach der Schauspielschule<br />
war ich erst mal<br />
ziemlich genervt. Ich konnte<br />
mir nicht vorstellen, am<br />
Theater zu arbeiten, weil es<br />
da oft so hierarchisch zugeht.<br />
Ich brauche das Gefühl, frei<br />
zu sein. Richtig Blut geleckt<br />
habe ich erst, als ich in einem<br />
Schwarz-Weiß-Stummfilm<br />
von einem Freund mitgespielt<br />
habe, er heißt Schläfer. Das<br />
war eine meiner schönsten<br />
Rollen – bisher. Letztens beim<br />
Einschlafen hat mein Freund<br />
mich gefragt: „Würdest du<br />
eigentlich nach Hollywood<br />
gehen?“ Ich habe gerade mit<br />
Detlev Buck <strong>Die</strong> Vermessung<br />
der Welt gedreht und unter der<br />
Regie von Anton Corbijn<br />
A Most Wanted Man.<br />
Hollywood ist hier!<br />
Vicky krieps ist im Herbst<br />
2013 in Anton corbijns<br />
A most wAnted mAn<br />
zu seHen<br />
pullover aCne<br />
rock allude<br />
Gürtel VersaCe<br />
Natalie Krane<br />
Als Kind war ich beim Zirkus und bin dann mit zwölf am Theater gelandet. Ich mag Rollen, die mich überraschen und<br />
herausfordern, vielleicht auch erst mal vor den Kopf stoßen, das spornt mich an. Und ich mag es, wenn die Figur ihr Geheimnis<br />
behält, ein As im Ärmel, das mich wie den Zuschauer immer wieder auf die Suche nach ihr schickt.<br />
Das schlafenDe MäDchen, in dem natalie Krane mit JaKob diehl<br />
und Christoph baCh zu sehen ist, startet am 17. Januar<br />
armreife tiFFanY & Co.<br />
Gliederkette & ringe bulGari<br />
Kette mit anhänger sÉViGnÉ<br />
118<br />
119
Aufhören wolle er, hatte MAurizio CAttelAn<br />
verkündet, wenige Wochen, bevor das new Yorker<br />
Museum Guggenheim ihn mit einer großen<br />
retrospektive ehrte, sich endgültig vom Kunstbetrieb<br />
verabschieden, den Stecker ziehen und dem Wahnsinn<br />
entfliehen. <strong>Die</strong> Gemeinde lächelte milde, schließlich<br />
war es nicht das erste Mal, dass sich der Mann aus<br />
Padua, der nie eine Kunsthochschule besucht hat, den<br />
Regeln entzog. Während andere Künstler eine<br />
einzelausstellung im Guggenheim als Krönung der<br />
Weltkarriere feiern würden, verkaufte Cattelan sie als<br />
das Ende derselben. Er sei gerade nur sporadisch<br />
erreichbar, schrieb er uns vor einem Jahr, er weile auf<br />
einer Südseeinsel. Später dann, wieder per Mail,<br />
verkündete er, dass er sich nun erst einmal um<br />
Toiletpaper kümmern wolle, sein, nun ja, Kunstmagazin,<br />
das er gemeinsam mit dem Fotografen PierPAolo<br />
FerrAri verlegt und bespielt. <strong>Die</strong>ses Versprechen<br />
hat der 52-jährige Künstler nun wahr gemacht:<br />
entstanden ist ein Sammelband der ersten Ausgaben<br />
von Toiletpaper, die wir hier als Portfolio präsentieren.<br />
es sind Bilder, die wehtun, surrealistischer ungehorsam,<br />
visuelle Ausrufezeichen. Cattelan eben, der große<br />
Trickser, wie man ihn kennt.<br />
Alle Fotos: Concept and images by Maurizio Cattelan and Pierpaolo Ferrari, Published by Freedman|Damiani, www.damianieditore.com, 232 pages<br />
120<br />
ToileTpaper von Maurizio Cattelan<br />
und PierPaolo Ferrari ist bei FreedMan/daMiani<br />
ersChienen. der verlag wird in zukunFt<br />
auCh das gleiChnaMige Magazin herausbringen
Vor 17 Jahren sang er,<br />
dass er Teil einer<br />
Jugendbewegung sein möchte,<br />
jetzt veröffentlicht er das<br />
bereits zehnte Album mit<br />
seiner Band TocoTronic.<br />
Er hat Genera tionen die<br />
schönsten Zitate ihrer Jugend<br />
geschenkt, hat Emo-Musik<br />
und alter Sportkleidung<br />
einen Sinn gegeben und ist<br />
bis heute Feminist und<br />
Vegetarier geblieben.<br />
Dirk<br />
Mittlerweile schreibt er Texte<br />
zur Kunst, parliert über<br />
raf Simons genauso charmant<br />
wie über Satanismus,<br />
identität oder rockmusik<br />
und bleibt so eine Ausnahme<br />
unter Deutschlands<br />
Pop-intellektuellen<br />
von<br />
LoWtzoW<br />
von<br />
Katharina<br />
SCHÜTTLER<br />
Fotos<br />
steFAn milev<br />
styling<br />
niki PAuls<br />
130<br />
mantel<br />
Comme Des gArçons<br />
Pullover (Privat)<br />
Dries vAn noten<br />
131
hoSe<br />
LAnvin<br />
ManteL<br />
rAf SiMonS<br />
Schuhe (Privat)<br />
dr. MArtenS<br />
dirk von Lowtzow: Das letzte Mal haben wir uns<br />
am Flughafen gesehen. Woher kamst du da noch mal?<br />
katharina SchüttLer: London oder Stuttgart,<br />
glaube ich. Gerade komme ich aus Zürich, nächste<br />
Woche muss ich schon wieder nach Paris.<br />
Lowtzow: <strong>Die</strong>ses ganze Reisen würde mich<br />
wahnsinnig machen! Ich muss nur etwa alle drei Jahre<br />
auf Tour, das geht noch. Und weil wir unsere Texte<br />
auf Deutsch singen, spielen wir nur in Deutschland,<br />
Öster reich und einem Drittel der Schweiz, schon im<br />
Tessin ist Schluss (lacht).<br />
SchüttLer: Ihr könnt vermutlich eher schlecht<br />
mit Untertiteln spielen.<br />
Lowtzow: Da könnte man zumindest drüber<br />
nachdenken. Du spielst öfter in internationalen Produktionen<br />
mit, oder?<br />
SchüttLer: Ja, ich hatte schon immer eine Sehnsucht,<br />
dieses Land zu verlassen.<br />
Lowtzow: Verständlich.<br />
SchüttLer: Englisch ist eine schöne Sprache<br />
zum Schauspielern. Deutsch muss immer erst in den<br />
Kopf, und dann kommt es raus. Im Englischen kannst<br />
du es einfach raushauen, Gefühle können direkter in<br />
Sprache gebracht werden.<br />
Lowtzow: Als ich mit 17 oder 18 anfing, Texte<br />
zu schreiben, wäre ich nie auf die Idee gekommen, das<br />
auf Deutsch zu machen. Ich war durch angloamerikanische<br />
Popmusik sozialisiert. Nur meine Bandkollegen<br />
hatten aus irgendeinem Grund eine Affinität zu<br />
deutschsprachiger Musik, zu Deutschpunk und den<br />
Liedermachern. Also musste ich die Lieder, die ich<br />
schon auf Englisch geschrieben hatte, übersetzen.<br />
SchüttLer: Welche waren das?<br />
Lowtzow: <strong>Die</strong> Idee ist gut, doch die Welt noch nicht<br />
bereit zum Beispiel.<br />
SchüttLer: The idea is good, but the world isn’t<br />
ready yet (lacht). Ich finde es super, dass man mit jeder<br />
Sprache eine neue Identität bekommt.<br />
Lowtzow: Eine gute Vorstellung, dass man in<br />
einer anderen Stadt neu anfangen kann. In Deutschland<br />
kommt ja nach Berlin irgendwie nichts mehr.<br />
SchüttLer: Kennst du dieses tolle Lied von Fraktus?<br />
„In Heidelberg, in Überlingen, dadada“ – sie zählen<br />
so deutsche Städte auf – „überall da leben Menschen“,<br />
und dann der Refrain: „Warum tun die das?“<br />
Lowtzow: (lacht)<br />
SchüttLer: Ich frage mich oft, warum man der<br />
ist, der man ist, und wie variabel das Sein ist.<br />
Lowtzow: Das Konzept der Identität ist schon<br />
sehr beengt. Es gibt ja viele Menschen, die mit großer<br />
Bestimmtheit von sich behaupten: „Ich bin eben so“,<br />
– habe ich nie verstanden, kann ich von mir nicht sagen.<br />
Warum sollte es nur eine Identität geben?<br />
SchüttLer: Ist es nicht so, dass sich auch alle sieben<br />
Jahre die Zellen einmal komplett erneuert haben?<br />
Lowtzow: Möglicherweise. Habe ich jetzt noch<br />
nie gehört, aber kann doch sein. Man ist permanent in<br />
Bewegung, man ist porös oder gar löchrig, da kommt<br />
immer was rein und raus. So wenig wie das Konzept<br />
einer Identität verstehe ich solche Begriffe wie Innerlichkeit,<br />
Äußerlichkeit, Oberfläche oder Innenleben.<br />
Vielleicht ist die Seele ja auch dort draußen?<br />
SchüttLer: Ich bin immer davon ausgegangen,<br />
dass ich einen Körper habe, bis ich gelesen habe, dass<br />
es vielleicht richtiger sei zu sagen: Ich bin der Körper.<br />
Lowtzow: Genau, der Körper ist einem oft so<br />
fremd, und doch ist man an ihn gekettet. In dieser Erkenntnis<br />
liegt aber auch eine mögliche Befreiung.<br />
Wie etwa in der Schauspielerei, wo man Rollen tatsächlich<br />
verkörpern muss. In der Musik wird dagegen<br />
immer Authentizität eingefordert, totaler Schmarrn.<br />
SchüttLer: Großer Quatsch, ja.<br />
Lowtzow: Es geht viel mehr darum, ob etwas<br />
gut erzählt ist oder den Rezipienten berührt.<br />
SchüttLer: Ich glaube, die Qualität wird immer<br />
größer, je mehr man von sich selbst absieht. Man muss<br />
sich schlicht zur Verfügung stellen.<br />
Lowtzow: Wie ein Gefäß.<br />
SchüttLer: Ich lasse etwas reinfließen und versuche,<br />
es rauszulassen, aber jeder darf auch etwas in<br />
dieses Gefäß geben.<br />
Lowtzow: Finde ich sehr schön, den Gedanken.<br />
SchüttLer: Du, ich habe hier auch Zettel mit<br />
Fragen vorbereitet, soll ich einfach mal?<br />
Lowtzow: Ja, gern.<br />
SchüttLer: Herr von Lowtzow, haben Sie bei<br />
Tocotronic Teufelsbotschaften versteckt, wenn man<br />
die Lieder rückwärts abspielt?<br />
Lowtzow: Das ist aber eine gute Frage! Nächste<br />
Woche müssen wir zwei Tage lang <strong>Interview</strong>s geben.<br />
Hinterher fühlt man sich meist, als hätte man zwölf<br />
Stunden in den Spiegel geguckt. Neurotisierend! Als<br />
ich mich als Jugendlicher in das Rockstarleben hinein<br />
geträumt habe, habe ich immer <strong>Interview</strong>s mit<br />
mir selbst geführt. Ich habe mir das alles besser vorgestellt<br />
(lacht).<br />
SchüttLer: Mir hat mal jemand von einer Schauspielerin<br />
erzählt, die am Ende der Spielzeit in der<br />
Kantine saß und gesagt hat: „Gut, dass das jetzt bald<br />
vorbei ist, langsam bin ich auch echt leer geglotzt.“<br />
Lowtzow: Kannst du das Publikum denn sehen?<br />
SchüttLer: Kommt auf das Stück an, eher selten.<br />
Man will ja auch angeguckt werden, trotzdem ist es<br />
irgendwie auch eine unnatürliche Situation.<br />
Lowtzow: Aber satanische Botschaften, nein, die<br />
haben wir nicht versteckt, obwohl ich ein Faible für<br />
Satanismus habe, für seine romantische Konnotation.<br />
SchüttLer: Hast du mal eine Séance gemacht?<br />
Lowtzow: Nein, dieser ganze Kram interessiert<br />
mich nicht. Aber es gibt diese literarische Beschäftigung<br />
damit. In dem Standardwerk zum Einfluss von<br />
Satanismus in Kunst und Literatur von Mario Praz<br />
etwa werden verschiedene Satansdarstellungen in der<br />
manieristischen Kunst oder der Dekadenzliteratur<br />
beschrieben. Der Teufel wird da als melancholisch<br />
und traurig, gleichzeitig aber als Rebell dargestellt.<br />
Das wurde dann später mit dem Archetyp des Rock<br />
assoziiert.<br />
SchüttLer: Träumst du manchmal deine Texte?<br />
Lowtzow: Das passiert auch. Aber das Texten ist<br />
eher handwerklich und fummelig. So wie andere Leute<br />
Sudoku lösen, schreibe ich Liedtexte, wie ein Puzzle<br />
oder eine Denksportaufgabe, es muss am Ende<br />
aufgehen. Und außerdem ist es viel Schummelei.<br />
SchüttLer: Dein Job ist aber schon ein Traum,<br />
oder? Da, wo ihr steht, die Freiheit, die ihr habt?<br />
Lowtzow: Freiheit in dem Sinne, dass wir machen<br />
können, was wir wollen?<br />
SchüttLer: Ich habe das Gefühl, dass viele bereit<br />
sind, verschiedene Pfade mit euch zu gehen.<br />
Lowtzow: Wir haben die einfach nur schon so<br />
lange gequält. 20 Jahre. Wenn man so beharrlich ist,<br />
sind die irgendwann mürbe. Ich weiß es nicht genau,<br />
ist es ein Traum? Es ist definitiv sehr schön. Das ganze<br />
Team, das dich jahrelang begleitet, bildet eine Blase,<br />
und in der fühlt man sich sehr sicher.<br />
SchüttLer: Das ist am Theater auch so.<br />
Lowtzow: Ich bin nicht so mutig, ehrlich gesagt.<br />
Ich bin eher ängstlich und zaudere. Das ist nicht immer<br />
so. Ich habe zum Beispiel keine Angst, nachts allein<br />
im Park zu sein, aber Angst vor Entscheidungen.<br />
Bist du ängstlich?<br />
SchüttLer: Ich empfinde mich als eine komische<br />
Ansammlung von Widersprüchlichkeiten, deswegen<br />
kann ich das gar nicht so sagen.<br />
Lowtzow: Erfordert es denn Mut, in Rollen zu<br />
schlüpfen?<br />
SchüttLer: Ich empfinde Rollen als Schutz, da<br />
habe ich keine Angst. Aber wenn ich auf der Hochzeit<br />
einer Freundin allein ein Lied singen muss, bin ich<br />
krass aufgeregt. Oder ich als „ich“, das ist auch aufregend.<br />
Stehst du als „du“ auf der Bühne?<br />
Lowtzow: Als eine Mischung. Als Jugendlicher<br />
wollte ich auch mal Schauspieler werden, ich habe sogar<br />
mal vorgesprochen. Aber ich bin schon nach der<br />
ersten Runde rausgeflogen. Vielleicht ist die Musik<br />
gut für mich, weil es eine Mischform ist. Ich habe keine<br />
so gute Körperbeherrschung. <strong>Die</strong> Schauspielerei<br />
kommt dann doch eher dem Sport nahe.<br />
SchüttLer: Manchmal schon.<br />
Lowtzow: Wenn du jetzt zum Beispiel eine<br />
Überlebende der Schoah spielen würdest, müsstest du<br />
dann mutiger sein als in einer Komödie?<br />
SchüttLer: Eine Komödie ist vielleicht das<br />
Schwierigste überhaupt, da braucht man den Mut,<br />
nicht lustig sein zu wollen.<br />
Lowtzow: Stimmt, deutsche Komödien sind<br />
auch nicht lustig, weil Schauspieler lustig sein wollen.<br />
SchüttLer: Aber auch wenn man Angst hat vor<br />
einer Rolle, heißt es noch nicht, dass sie Mut erfordert.<br />
Den meisten Mut brauche ich dafür, gar<br />
nichts zu machen oder nicht zu viel zu machen.<br />
Lowtzow: Nicht herumfuchteln, da ist man wieder<br />
beim Körper. Mir gelingt das oft nicht, weil ich zu<br />
nervös bin. Da spielt mir der Körper einen Streich.<br />
SchüttLer: Das kenne ich auch. Aber das Problem<br />
ist nicht der Körper, sondern der Kopf, der die<br />
Situation bewertet. Vor Auftritten bin ich oft damit<br />
beschäftigt, meinen Kopf loszulassen.<br />
Lowtzow: Gibt es da Techniken?<br />
SchüttLer: Ja, aber die klappen nicht immer.<br />
Lowtzow: (lacht) So Atemübungen?<br />
SchüttLer: Mir hilft es, mich auf den Bauch zu<br />
legen. Es gibt die Theorie, dass es Einatmer sowie<br />
Ausatmer gibt. Und ihnen unterschiedliche Sachen<br />
guttun. Das hat was – Achtung, Esoterik! – mit dem<br />
Mondeinfluss bei der Geburt zu tun.<br />
Lowtzow: Ah, okay.<br />
SchüttLer: Den Ausatmern tut es gut, sich auf<br />
den Bauch zu legen und loszulassen.<br />
Anzug<br />
DrieS vAn noten<br />
“<br />
hemD<br />
FenDi<br />
gürteL (privAt)<br />
comme DeS gArçonS<br />
ArmbAnD (privAt)<br />
hermèS<br />
Kunst sollte –<br />
ganz im Gegensatz<br />
zur Küche –<br />
nicht bodenständig<br />
sein<br />
”<br />
– Dirk von Lowtzow<br />
Lowtzow: Das ist der Vorteil an Musik, die ja<br />
nicht ohne Grund eingesetzt wird, um Trance zustände<br />
zu erreichen. Man tritt aus sich heraus in einen<br />
anderen Zustand. Das ist sehr beglückend.<br />
SchüttLer: Wäre ich Journalistin, würde ich<br />
jetzt sagen: „Vielen Dank für das Gespräch.“ Ich habe<br />
aber noch so ein paar MoritzvonUslarFragen, was<br />
bedeutet, auf kurze und banale Fragen schnell zu antworten.<br />
Lowtzow: Da bin ich schlecht drin.<br />
SchüttLer: Lieblingsbuch?<br />
Lowtzow: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.<br />
SchüttLer: Inspiration für die neue Platte?<br />
Lowtzow: Ach, da gibt es immer viele.<br />
SchüttLer: Ist dir übrigens mal der Zusammenhang<br />
aufgefallen zwischen inspirare, also Inspiration,<br />
und spirare, was Einatmen bedeutet?<br />
Lowtzow: Man atmet alles ein. Gut, das ist mir<br />
nie aufgefallen.<br />
SchüttLer: Und was ich auch total super finde:<br />
der Eindruck. Etwas drückt sich ein, und das kann<br />
man dann wieder ausdrücken.<br />
Lowtzow: Ha, stimmt.<br />
SchüttLer: Lieblingsintellektueller?<br />
132<br />
133
Lowtzow: (lacht) Mit dem Begriff „intellektuell“<br />
kann ich nichts anfangen.<br />
SchüttLer: Gut, reicht mir als Antwort. Ist das<br />
Leben Musik, Musik, Musik?<br />
Lowtzow: Nein, Gott sei Dank nicht.<br />
SchüttLer: Ist das Leben Arbeit, Arbeit, Arbeit?<br />
Lowtzow: Nein, auch nicht.<br />
SchüttLer: Ist das Leben ein Geschenk?<br />
Lowtzow: Ähm …<br />
SchüttLer: Eine Bürde?<br />
Lowtzow: Ich weiß es doch nicht.<br />
SchüttLer: Okay, weiter. Wovor hast du Angst?<br />
Lowtzow: Am ehesten vor dem Alleinsein.<br />
SchüttLer: Ah ja. Was würdest du tun, wenn dir<br />
die Haare ausfielen? Abschneiden, Toupet oder<br />
drüber kämmen?<br />
Lowtzow: (lacht) Ich bin ja nur grau geworden.<br />
SchüttLer: Das trägst du aber gut!<br />
Lowtzow: (lacht) Toupet vielleicht? Das ist doch<br />
schrecklich. Aber ich habe abstehende Ohren, ohne<br />
Haare sähe ich beknackt aus.<br />
SchüttLer: Das ist schon wahnsinnig, was da an<br />
Identität verloren geht. Stell dir vor, du wärst plötzlich<br />
ein Glatzkopfmann!<br />
Lowtzow: Du hast das ja schon erlebt, du musstest<br />
für eine Rolle die Haare abschneiden.<br />
SchüttLer: Ich bereue bis heute, dass ich mir als<br />
Zwischenstufe nicht einen Vokuhila hab schneiden<br />
lassen. Einmal schauen, wie das aussehen würde. Wovon<br />
würdest du dich gern befreien?<br />
Lowtzow: Von innerer Unruhe. Das wäre schön.<br />
SchüttLer: Glaubst du an den Zufall?<br />
Lowtzow: Jedenfalls mehr als an das Schicksal.<br />
Ich glaube, dass man den Zufall fixieren kann.<br />
SchüttLer: Wunschduettpartner?<br />
Lowtzow: Ich mag Terry Hall, den Sänger von<br />
den Specials, sehr gern. Ich mag viele Leute. Duette<br />
sind was Gutes.<br />
SchüttLer: Es ist ja mein heimlicher Traum zu<br />
singen, aber singende Schauspieler sind immer etwas<br />
schwierig.<br />
Lowtzow: Ich habe schauspielernde Sänger in<br />
schlechterer Erinnerung.<br />
SchüttLer: Ich bringe mir zumindest schon Gitarre<br />
bei. Mit YouTube. Aber ich habe als Kind acht<br />
Jahre lang Klavier- und Cellounterricht gehabt, und<br />
deswegen ist das Musizieren für mich immer mit<br />
Falsch und Richtig verbunden.<br />
Lowtzow: Interessant, bei mir ist es umgekehrt.<br />
Ich kann nicht mal Noten lesen. Und ich entdecke<br />
erst jetzt die Klassik. Ich gehe sehr gerne in die Philharmonie,<br />
Rockkonzerte besuche ich ehrlich gesagt<br />
kaum noch. <strong>Die</strong> Philharmonie ist der beste Ort überhaupt.<br />
Viele haben ja Schwellenangst, denken, es sei<br />
so formell, aber die Reglementierung bei einem<br />
Rockkonzert ist doch viel ausgeprägter.<br />
SchüttLer: Weiter: Was ist eine Haubitze?<br />
Lowtzow: <strong>Die</strong> ist aus dem Ersten Weltkrieg, so<br />
eine Art Bombe. Ich komme nicht auf das Wort.<br />
SchüttLer: Menschenfeind oder -freund?<br />
Lowtzow: Ich bin Menschenfreund. Eher, ja.<br />
SchüttLer: Hund oder Katze?<br />
Lowtzow: Hund, ich finde Hunde niedlich.<br />
SchüttLer: Kind oder Karriere?<br />
Lowtzow: Da ich keine Kinder habe, muss ich<br />
Karriere sagen, aber auch mit dem Wort Karriere<br />
habe ich so …<br />
SchüttLer: London oder New York?<br />
Lowtzow: Oh. Wenn schon, dann eher New<br />
York. Das finde ich übersichtlicher. London finde ich<br />
immer etwas anstrengend.<br />
“<br />
Im Kino weine<br />
ich recht häufig, aber<br />
man ist deswegen nicht<br />
automatisch ein guter<br />
Mensch. Ich glaube,<br />
auch Goebbels hat im<br />
Kino geweint<br />
”<br />
– Dirk von Lowtzow<br />
SchüttLer: Beatles oder Stones?<br />
Lowtzow: Ach, das kann ich irgendwie auch immer<br />
nicht so richtig sagen. Weder noch (lacht).<br />
SchüttLer: Ist „Esoteriker“ ein Schimpfwort?<br />
Ich frage, weil das während meiner Sozialisation in<br />
einem Alt-68er-Haushalt ein wenig so war. Jetzt aber<br />
fasziniert mich vieles aus dem Bereich, und ich empfinde<br />
deswegen fast so was wie Scham.<br />
Lowtzow: Ich kann mit vielem, was unter dem<br />
Begriff Esoterik firmiert, nichts anfangen. Aber ich finde<br />
– und das ist wohl das, was man unter Dialektik versteht<br />
– die Leute, die meinen, sie hätten die Blödheit<br />
von Esoterikern durchschaut, noch blöder. <strong>Die</strong>ser unbedingte<br />
Glaube an die Realität ist ein größeres Problem<br />
als der Eskapismus. Im politisierten Milieu ist ja<br />
auch Eskapismus ein Schimpfwort. Ich denke allerdings,<br />
dass das heute nicht mehr so greift, da die neue Ökonomie<br />
ja nicht gekennzeichnet ist von dieser Flucht ins Irrationale,<br />
sondern von der Flucht in die totale Realität.<br />
SchüttLer: <strong>Die</strong>ses ständige Bedürfnis, alles bis<br />
auf das Skelett erklären zu müssen. Das empfinde ich<br />
als große Armut und als den Feind der Kunst.<br />
Lowtzow: Genau. Oft wird man ganz direkt gefragt:<br />
Was bedeutet es, was ihr da singt? Als Autor<br />
sollte man nie auch die Erklärung mitliefern, und ich<br />
finde bei Kunst eben interessant, dass es ein Geheimnis<br />
gibt. Doch alles soll immer nur erklärbar sein.<br />
SchüttLer: Vielleicht ist das etwas Deutsches.<br />
Lowtzow: Ich bin mir nicht sicher, nicht umsonst<br />
gibt es ja so Aufsätze wie Against Interpretation<br />
von Susan Sontag.<br />
134<br />
SchüttLer: In der Musik habt ihr eine größere<br />
Freiheit. Beim Film musst du schon vor dem Dreh<br />
alles erklären können.<br />
Lowtzow: Das liegt daran, dass viele Menschen<br />
an einem Film beteiligt sind und die Projekte vorher<br />
von der Filmförderung geprüft werden. Leute denken<br />
eben von anderen, dass sie blöd sind und nichts verstehen.<br />
Schrecklich. So wird man auch immer gefragt:<br />
„Glaubt ihr, dass eure Hörer das verstehen?“<br />
SchüttLer: Man stellt sich über seine Umwelt.<br />
Gleichzeitig hat man Angst, seine Meinung zu äußern.<br />
Lowtzow: Das macht es so öde. <strong>Die</strong>se Nachvollziehbarkeit.<br />
Und es gibt Angst davor, elitär zu erscheinen<br />
und nicht bodenständig. Dabei soll Kunst – ganz<br />
im Gegensatz zur Küche – nicht bodenständig sein.<br />
SchüttLer: Schon mal meditiert?<br />
Lowtzow: Nee, aber ich mache Pilates.<br />
SchüttLer: Wann hast du das letzte Mal vor Lachen<br />
geweint? Eigentlich wollte ich fragen, wann du<br />
das letzte Mal geweint hast.<br />
Lowtzow: Ach, das passiert mir ziemlich häufig,<br />
im Kino zum Beispiel. Aber man ist deswegen nicht<br />
automatisch ein guter Mensch. Ich glaube, auch Goebbels<br />
hat im Kino geweint (lacht). Geweint vor Lachen<br />
… Ich bin nicht so leicht zum Lachen zu bringen.<br />
SchüttLer: Hast du Angst vorm Tod?<br />
Lowtzow: Puh, ich finde, er sollte abgeschafft<br />
werden. Das ist die Voraussetzung für Utopie. Ich<br />
mag den Glauben an die Unabwendbarkeit des Todes<br />
nicht. Das ist die Keimzelle des reaktionären Denkens.<br />
<strong>Die</strong>se „Das ist eben so“-Einstellung.<br />
SchüttLer: Sind das deine Plüschtiere hier? Bist<br />
du plüschophil?<br />
Lowtzow: Ich liebe Plüschtiere, finde ich super.<br />
SchüttLer: Haben die auch einen Namen?<br />
Lowtzow: Teilweise ja. Der Hund hier zum Beispiel<br />
heißt Spencer.<br />
SchüttLer: Bist du paranoid?<br />
Lowtzow: Nein. Ich hasse Paranoia. Verschwörungstheorien<br />
kann ich auch nicht ausstehen, weil<br />
man die Uhr danach stellen kann, wann die jüdische<br />
Weltverschwörung herbeigeredet wird. <strong>Die</strong> antisemitische<br />
Hetzschrift <strong>Die</strong> Protokolle der Weisen von Zion ist<br />
die Urform der Verschwörungstheorie.<br />
SchüttLer: Hast du manchmal das Gefühl, dass<br />
du politisch korrekter leben musst als andere, weil du<br />
der Sänger von Tocotronic bist?<br />
Lowtzow: Kommt darauf an, was man unter politisch<br />
korrekt versteht. Ich habe Political Correctness<br />
nie als Bürde empfunden, es hat mit Anstand zu tun.<br />
Gerade in Deutschland wird sie so gehandelt, als sei es<br />
eine Unfreiheit, wenn man nun „people of color“ anstatt<br />
„Neger“ sagt.<br />
SchüttLer: Und wenn dir – sagen wir mal – Audi<br />
ein Auto schenken wollen würde?<br />
Lowtzow: Kommt drauf an, was ich dafür tun<br />
müsste. Schenken kann man mir erst mal gerne etwas.<br />
SchüttLer: Magst du Erdbeeren?<br />
Lowtzow: Ja. Du fragst wegen unserer Textzeile,<br />
oder? Es gibt doch diesen sehr guten Film Toy Story 3,<br />
und da gibt es einen Bösewicht mit einem sehr<br />
schlechten Charakter. Das ist ein Erdbeerbär, der so<br />
nach Erdbeeraroma riecht. Er heißt Lotso, also ähnlich<br />
wie ich. Meine Bandkollegen sagen manchmal,<br />
wenn wir auf Tour sind und ich vielleicht gerade etwas<br />
zickig bin: „Hier riecht es aber schon wieder verdächtig<br />
nach Erdbeere!“ (lacht)<br />
SchüttLer: Heute hat es nicht nach Erdbeere gerochen,<br />
Herr Lowtzow. Ich danke dir für das Gespräch.<br />
Grooming ute Hildenbeutel<br />
styling niki PAuls/sHotview<br />
Foto-Assistenz dunjA Antić,<br />
Lowtzow: Ich danke dir!<br />
mArkus erPel<br />
styling-Assistenz biAncA FleiscH,<br />
kAmillA ricHter<br />
daS aLbum wie wir leben wollen<br />
Produktion FrAnk seidlitZ, dorotHeA Fiedler<br />
erScheint am 25. januar dank an tHe APArtment berlin<br />
135<br />
Hemd & Hose<br />
PrAdA<br />
ArmbAnd (PrivAt)<br />
Hermès
Valeria Napoleone<br />
136<br />
<strong>Die</strong>se seite:<br />
<strong>Die</strong> Kunstsammlerin Valeria<br />
napoleone zu Hause. Hinter iHr<br />
<strong>Die</strong> arbeit EndlEss Column<br />
(AltErnAting CurrEnt for twElvE<br />
ElECtriC fAns) Von nina Canell<br />
unD <strong>Die</strong> liCHtsKulptur up<br />
And down BEtwEEn twins Von<br />
Haegue Yang<br />
reCHte seite:<br />
lA tEntAtion dE st AntoinE<br />
(tEA timE) Von ViDYa gastalDon<br />
Foto (rechte Seite): Vidya Gastaldon, La Tentation de St Antoine (Tea Time), 2009, Courtesy of Mark L Brock, Concord, Massachusetts<br />
Weil sie gleichermaßen berühmt ist für ihre Dinnerpartys<br />
(nur lombardische Spezialitäten) und ihre Kunstsammlung (nur Frauen),<br />
machte Valeria NapoleoNe das Beste aus ihrer Doppelbegabung:<br />
ein Koch-Kunstbuch. <strong>Die</strong> rezepte ihrer Mutter und Großmutter neben<br />
Werken zeitgenössischer Künstlerinnen, die sich mit essen beschäftigen.<br />
Ihr sehnlichster Wunsch:<br />
Fett- und Soßenflecken auf den hübsch gestalteten Seiten<br />
Porträts<br />
robi rodriquez<br />
von<br />
Adriano sAck<br />
137
Dualität zwischen kunst unD kochen: collage Der künstlerin<br />
Vielleicht die luxuriöseste Straße Londons. Direkt am<br />
Hyde Park, eine Botschaft neben der anderen, das<br />
Ehepaar Prinz William und Kate wird hier wohnen,<br />
der Roman <strong>Die</strong> Schönheitslinie von Alan Holling hurst<br />
über den moralischen Zerfall der britischen Upperclass<br />
während der ThatcherJahre spielt hier. Im Eingangsbereich<br />
wird man von einer Skulptur der Künstlerin<br />
Martha Friedman begrüßt: zwei riesige Zungen,<br />
verbunden durch eine grüne Olive. Das kann man<br />
durchaus programmatisch verstehen. Essen und Kunst<br />
sind die Themen von Valeria Napoleone. Sie lebt hier<br />
mit ihren drei Kindern, ihrem Ehemann und hat, auf<br />
etwas anderem Niveau, die gleichen Probleme wie viele:<br />
<strong>Die</strong> Küche ist zu klein, die Familie zu groß, das<br />
Schlangenterrarium ihres früh pubertären Sohnes ist<br />
ihr nicht ganz geheuer. Ihre Kunstsammlung, zumindest<br />
der Teil, der nicht im Lager ist, mischt sich mit<br />
exquisit ausgesuchten Möbeln. Zwingender Eindruck<br />
beim Erstbesuch: Man will hier nicht mehr weg.<br />
IntervIew: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem ersten<br />
Kochbuch. Warum sieht man keine Bilder von<br />
den Gerichten?<br />
valerIa napoleone: Das wollte ich nicht.<br />
Mein Beitrag sind die Rezepte. Es sind traditionelle<br />
Gerichte der lombardischen Küche, die ich von meiner<br />
Mutter und Großmutter gelernt habe. Ansonsten<br />
wollte ich nur die Arbeiten der Künstlerinnen<br />
zeigen. Mich interessierte die Dualität zwischen<br />
Kunst und Kochen. Abgesehen davon sind die Rezepte<br />
simpel: traditionelle italienische Gerichte. Jeder<br />
weiß, wie ein Kalbsbraten oder ein Risotto Milanese<br />
aussieht. Und wenn nicht, kann man es googeln.<br />
Viele Kochbücher bemühen sich um besonders ausgefallene<br />
Kreationen. Aber wenn man kochen lernen<br />
will, muss man als Allererstes eine Fleischsoße,<br />
eine Tomatensoße, eine Pestosoße herstellen können.<br />
Oder eine handgemachte Mayonnaise. Dann<br />
erst sollte man den ersten Schritt wagen. Was das<br />
Kuratieren des Buches kompliziert gemacht hat: Ich<br />
wollte gerade keinen direkten Zusammenhang zwischen<br />
den Bildern und den Rezepten. Auch wenn<br />
sich einige der Künstlerinnen von einigen Rezepten<br />
inspirieren ließen.<br />
IntervIew: Gab es Künstlerinnen, die das Konzept<br />
zu frivol fanden?<br />
napoleone: Eine meiner Lieblingskünstlerinnen<br />
hat höflich abgesagt. Aber wirklich nur eine. <strong>Die</strong><br />
allermeisten fanden die Idee großartig.<br />
IntervIew: Wissen Sie noch, was Sie an dem<br />
Abend serviert haben, als Ihnen die Idee kam?<br />
napoleone: Ah. Hm. Also nein. Aber wissen<br />
Sie: Bei diesen großen Dinnerpartys, wenn 80 oder<br />
120 Gäste kommen, habe ich ein paar Standardrezepte.<br />
Mit Sicherheit gab es Kalbsbraten mit Weißwein<br />
und Milch. Oder mit Rotwein. Das ist bei mir<br />
stimmungsabhängig.<br />
IntervIew: Sie kochen vermutlich nicht alleine<br />
für 120 Gäste?<br />
napoleone: Ich mache das mit unserer Haushälterin.<br />
Sie ist seit 17 Jahren bei uns und beherrscht<br />
unsere Familienrezepte. Sie ist Portugiesin, das ist<br />
nicht so weit weg von Italien. Unsere Küche ist<br />
schrecklich klein, aber wir haben ein System, bei<br />
dem wir schon zwei Wochen vorher anfangen und<br />
die Gänge einfrieren, bei denen das problemlos geht.<br />
Nur den Nachtisch mache ich selbst.<br />
IntervIew: Was ist Ihr Lieblingsnachtisch?<br />
napoleone: Natürlich Tiramisu.<br />
IntervIew: Welchen Likör oder Schnaps verwenden<br />
Sie?<br />
“<br />
In meinem Buch<br />
wollte ich die Gerichte<br />
nicht zeigen. Jeder<br />
weiß, wie ein Risotto<br />
Milanese oder ein<br />
Kalbsbraten aussieht.<br />
Und wenn nicht, kann<br />
man es googeln<br />
”<br />
– Valeria Napoleone<br />
napoleone: Gar keinen. Ich benutze entkoffeinierten<br />
Kaffee, und anstatt der relativ fetten und<br />
schweren SavoiardiKekse verwende ich Pavesini –<br />
dünne Biskuitkekse. Ich finde das raffinierter.<br />
IntervIew: Sind Sie eher eine Köchin oder eine<br />
Bäckerin?<br />
napoleone: Backen ist eine ganz eigene Kunst.<br />
Es erfordert Präzision und Rezepttreue. Und bei Kuchen<br />
und Nachtisch kann man sich austoben, was die<br />
Dekoration betrifft. Ich liebe beides …<br />
IntervIew: Welche Gästezahl kann man allein,<br />
also ohne Haushälterin, mühelos bewältigen?<br />
napoleone: Ein komplettes Essen für zehn,<br />
würde ich sagen. Aber wissen Sie was? Wenn man für<br />
zehn Leute kocht, kann man auch für fünfzehn kochen.<br />
Man macht einfach eine Schüssel Pasta mehr.<br />
IntervIew: Das Schwierigste am Kochen ist<br />
meiner Erfahrung nach das Timing. Was man wann<br />
schneiden, anbraten, warmhalten muss. Haben Sie<br />
das im Kopf, oder machen Sie einen Plan?<br />
napoleone: Das ist Instinktsache. Ich bin<br />
ziemlich gut organisiert. Und mache das schon sehr<br />
lange. Erfahrung ist viel wichtiger als eine Riesenküche<br />
mit tausend Geräten.<br />
IntervIew: Sie kommen aus einer wohlhabenden<br />
Familie. Hat tatsächlich Ihre Mutter gekocht?<br />
linDer sterling, <strong>Die</strong> sich meist nur „linDer” nennt 138<br />
139<br />
Foto (linke Seite): Linder, Untitled, 1977, Photomontage on paper (framed), 41.5 x 33.5cm, Photography by Todd White & Son, Courtesy Stuart Shave/Modern Art<br />
napoleone: Meine Mutter und meine Großmutter.<br />
Und zwar jeden Tag. <strong>Die</strong> Küche war ein<br />
wichtiger Teil meiner Kindheit. Ich habe die beiden<br />
beobachtet, und dabei habe ich gelernt.<br />
IntervIew: Sind Sie direkt in Mailand aufgewachsen?<br />
napoleone: Ich komme aus Varese, das ist<br />
nördlich von Mailand in der Lombardei. Daher<br />
stammen auch die Rezepte. Nur die Fischgerichte<br />
habe ich von meiner Schwiegermutter, die aus Sardinien<br />
kommt. Meine Mutter hat nie Fisch gekocht.<br />
IntervIew: Vor Fisch hat man immer ein bisschen<br />
mehr Respekt, oder?<br />
napoleone: Absolut. <strong>Die</strong> Garzeit ist viel wichtiger<br />
als bei Fleisch. Und die Zubereitung. Ein Seebarsch<br />
geht nur gegrillt mit Olivenöl und Kräutern.<br />
Mit Tomaten funktioniert der gar nicht.<br />
IntervIew: Ist italienisches Essen das beste der<br />
Welt?<br />
napoleone: Auf jeden Fall das beliebteste. Italienisches<br />
Essen ist einfach und basiert auf einem<br />
sehr respektvollen Umgang mit den Zutaten. Man<br />
überschüttet Fleisch nicht mit irgendwelchen komplizierten<br />
Soßen, sondern arbeitet den Eigengeschmack<br />
heraus. Es ist eine sehr demokratische Küche:<br />
schnell, ehrlich, jeder kann sie jeden Tag essen.<br />
IntervIew: Sammeln Sie Kochbücher?<br />
napoleone: Das einzige, das man braucht, ist<br />
Der Silberlöffel, ein Klassiker der italienischen Küche.<br />
Da steht alles drin.<br />
IntervIew: Wann haben Sie angefangen, selbst<br />
zu kochen?<br />
napoleone: In New York, nachdem ich geheiratet<br />
hatte. Davor hat es mich nicht interessiert. Aber<br />
sobald ich einmal damit angefangen habe, flog es mir<br />
zu.<br />
IntervIew: Warum nicht vorher? Wollten Sie<br />
anders leben als Ihre Mutter?<br />
napoleone: Gar nicht. Ich habe studiert, ich<br />
war die ganze Nacht unterwegs und habe irgendwo<br />
irgendwas gegessen.<br />
IntervIew: Meine Mutter, die eine sehr gute Köchin<br />
ist, hat mir mal gesagt, dass es sehr anstrengend<br />
sei, jeden Tag für die Familie zu kochen.<br />
napoleone: Bei uns ist es komischerweise immer<br />
mein Mann, der gerade auf Diät ist, und deswegen<br />
keine Pasta will. Was die Kinder betrifft: Der<br />
Trick sind möglichst simple Gerichte. <strong>Die</strong> mögen sie<br />
einfach am liebsten.<br />
IntervIew: Kinder sind schwierig zu bekochen,<br />
habe ich das Gefühl.<br />
napoleone: Oh Gott. <strong>Die</strong> wollen eigentlich<br />
nur Junkfood. Immerhin mögen sie mein Tiramisu.<br />
IntervIew: Zucker funktioniert immer?<br />
napoleone: Ja, klar. Meine Zwillinge sind jetzt<br />
neuneinhalb Jahre alt. <strong>Die</strong> sind inzwischen richtig<br />
gute Esser. Mein Sohn ist zwölf. Er will eigentlich<br />
nur Hotdogs, Pommes frites, Hamburger und Würste<br />
essen. Ging mir genauso, als ich Studentin war.<br />
Aber wenn man mit Gemüse und Salat aufgewachsen<br />
ist, wird man es wiederentdecken. Der Körper hat<br />
ein Gedächtnis.<br />
IntervIew: Hat Ihre Mutter das Buch schon gelesen?<br />
Hat Sie irgendwelche Fehler gefunden?<br />
napoleone: Bisher nicht. Noch liebt sie das<br />
Buch. Aber man sagt ja, man kann keinen Kuchen<br />
backen, ohne Eier zu zerschlagen. Irgendwelche Ungenauigkeiten<br />
werden schon drin sein. Es war wirklich<br />
schwierig, die Rezepte zu übersetzen. Vor allem<br />
beim Fleisch, weil in Italien eine Kuh ganz anders<br />
zerteilt wird als in England. Total verwirrend.
zum nachkochen<br />
Großmutter Albas Spezialsoße<br />
250 Gramm ungesalzene Butter<br />
250 Gramm Margarine<br />
4–5 Esslöffel Olivenöl Extra Vergine<br />
1 halbe große Zwiebel, gehackt<br />
3 Dosen (400 Gramm) geschälte Tomaten<br />
4 Rumpsteaks (à 200 Gramm)<br />
Tomatenmark (dreifach konzentriert)<br />
1–2 Würfel Rinderbrühe<br />
Butter, Margarine und Öl schmelzen und die Zwiebel<br />
braten, bis sie golden und weich ist. Tomaten,<br />
Steaks, Tomatenmark, Brühwürfel und Salz dazugeben.<br />
Auf mittlerer Hitze zwei Stunden lang<br />
schmoren lassen und gelegentlich rühren, damit die<br />
Soße nicht ansetzt. Kurz vor Ende der Kochzeit<br />
die Steaks herausnehmen, in kleine Stücke hacken<br />
und zurück in die Soße geben. Zu Ende kochen.<br />
<strong>Die</strong>se Soße ist perfekt mit jeder Art von Pasta.<br />
Kalbsbraten mit Milch<br />
1 kg Kalbsschulter oder -keule<br />
4 Gläser Weißwein<br />
2 Gläser Milch<br />
80 Gramm ungesalzene Butter, in Würfel<br />
geschnitten<br />
Salbei<br />
Rosmarin<br />
2 Würfel Rinderbrühe<br />
Ofen auf 250 Grad vorheizen. Das Fleisch in einem<br />
Bräter von beiden Seiten anbraten. <strong>Die</strong> Form rausnehmen,<br />
und die Temperatur auf 180 Grad reduzieren.<br />
Den Weißwein und die Milch über das Fleisch<br />
gießen, Butterwürfel, Salbei, Rosmarin und die<br />
zerbröckelten Brühwürfel hinzugeben und salzen.<br />
Ein Stück Alufolie mit einer Gabel durchlöchern<br />
und den Braten damit bedecken, sodass der Dampf<br />
während des Garens entweichen kann. Drei Stunden<br />
lang im Ofen braten. Wenn man mit einem<br />
Spieß ins Fleisch sticht und der Saft klar ist, ist es<br />
gar. Aus dem Ofen nehmen, ruhen lassen und in ½<br />
Zentimeter dicke Scheiben schneiden. Rosmarin<br />
und Salbei aus dem Bratensaft nehmen. Wenn er zu<br />
dünn ist, in einer Pfanne reduzieren. Das Fleisch<br />
mit frischem Salbei und Rosmarin servieren.<br />
Gefüllte Tomaten<br />
6 große Tomaten<br />
frische Petersilie<br />
2 Anchovis<br />
½ Knoblauchzehe, fein gehackt<br />
4 Esslöffel Semmelbrösel<br />
4 Esslöffel Parmesan, gerieben<br />
1 Ei<br />
Olivenöl Extra Vergine<br />
Ofen auf 180 Grad vorheizen. Oberstes Stück der<br />
Tomaten abschneiden (kann als „Deckel“ benutzt<br />
werden), die Kerne rausschaben. Petersilie, Anchovis<br />
und Knoblauch mischen. Semmelbrösel, Parmesan<br />
und Ei dazugeben, mit Pfeffer und Salz mischen.<br />
<strong>Die</strong> Tomaten mit dieser Paste füllen und,<br />
falls gewünscht, den „Deckel“ draufsetzen. In eine<br />
Backform geben, großzügig Olivenöl darüber gießen<br />
und eine Stunde lang backen. Heiß servieren.<br />
140<br />
IntervIew: Wird die Qualität der Zutaten und<br />
Nahrungsmittel ständig schlechter?<br />
napoleone: Das auch, vor allem ist uns das<br />
Gefühl für die Jahreszeiten abhandengekommen. Als<br />
ich aufwuchs, wusste man genau, welches Gemüse<br />
gerade Saison hatte. In New York oder London kann<br />
man immer alles kaufen. Und dann wundert man<br />
sich, dass die wunderschönen, riesigen Tomaten weniger<br />
Aroma haben. Ich weiß nicht mehr genau,<br />
wann Spargelsaison ist …<br />
IntervIew: Okay, dass Sie ein Kochbuch geschrieben<br />
haben, leuchtet ein. Sind Sie auch mit<br />
Kunst aufgewachsen?<br />
napoleone: Ja. Aber meine Eltern haben sich<br />
nicht für zeitgenössische Kunst interessiert. Sie kauften<br />
italienische Arbeiten aus dem 15. oder 16. Jahrhundert.<br />
Objekte, Teppiche, Möbel, auch ein paar<br />
Gemälde. Das trainiert das Auge, weil es an Schönheit<br />
gewöhnt wird. Aber wenn man Antiquitäten und<br />
alte Kunst sammelt, geht es nur um das Objekt selbst.<br />
Als ich anfing zu sammeln, entdeckte ich eine ganz<br />
neue Dimension. Ich konnte die Künstler treffen,<br />
mit ihnen diskutieren, ihre Konzepte verstehen, die<br />
Vielschichtigkeit sehen. Ich kenne 99,9 Prozent der<br />
Künstlerinnen, die ich sammle, persönlich. Darauf<br />
könnte ich nicht verzichten.<br />
IntervIew: Als Kind habe ich ein paar Bilder in<br />
unserer Wohnung immer und immer wieder angestarrt,<br />
weil sie mich interessierten. Gab es Dinge bei<br />
Ihnen zu Hause, die eine besondere Bedeutung für<br />
Sie hatten?<br />
napoleone: Ich mochte die Wandteppiche mit<br />
den Kriegsszenen. Und es gab eine reich verzierte<br />
Truhe aus geschnitztem Holz, die den Medici gehört<br />
hatte. Sie bewahrten dort die Aussteuer auf. Es waren<br />
kleine Engel drauf, und meine Eltern lagerten unsere<br />
Fotoalben darin. Sie waren aber im Grunde keine<br />
Sammler. Als unser Haus voll war, hörten sie auf zu<br />
kaufen. Bei mir dagegen ist ein Großteil der Sammlung<br />
im Lager.<br />
IntervIew: Wie wurden Sie Kunstsammlerin?<br />
napoleone: Ich hatte in Italien Journalismus<br />
studiert. Als ich mit meinem Mann nach New York<br />
zog, schrieb ich mich am FIT für den Studiengang<br />
Art Gallery Administration ein. Bis dahin war ich<br />
nur so weit an Kunst interessiert, wie es in New York<br />
unvermeidlich ist. An der Schule traf ich Galeristen,<br />
Kuratoren, Künstler und fing Feuer. Aber erst nach<br />
dem zweijährigen Studium begann ich zu kaufen.<br />
Das war 1997, und die Kunstwelt war eine ganz andere<br />
als heute. <strong>Die</strong> Galerien waren noch in SoHo. Und<br />
meistens total leer. <strong>Die</strong> erste Arbeit, die ich gekauft<br />
habe, war die Fotografie Narcissus von Carol Shadford<br />
in der Pierogi Gallery in Williamsburg. Ich habe<br />
sie total aus den Augen verloren, aber die Arbeit ist<br />
mir immer noch wichtig: ein kleines Schwarz-Weiß-<br />
Foto mit Seifenblasen drauf. Erst von Nahem erkennt<br />
man Frauen in vielen der Blasen. Ich sah meine eigene<br />
Situation und die von vielen Frauen in dieser Arbeit:<br />
abgeschnitten von der Außenwelt, gefangen in<br />
der Blase von Haushalt und Ehe. Ich brauchte den<br />
Kontakt zu anderen Menschen, zu unserer Kultur,<br />
zur Welt. Und den bekam ich durch die Kunst. Damals<br />
merkte ich: Ich interessiere mich auch für Design<br />
und Mode, aber das sind Themen, die ich im<br />
Griff habe. <strong>Die</strong> Kunst aber hat mich im Griff.<br />
IntervIew: Dafür gehen Sie als Sammlerin relativ<br />
kontrolliert vor. Sie geben nie mehr als 30 000<br />
Euro für eine Arbeit aus.<br />
napoleone: Es gibt Ausnahmen, aber dieses<br />
Limit hat sich als extrem sinnvoll erwiesen. Es diszipliniert<br />
mich. Wenn alles möglich ist, kommt nichts<br />
dabei raus. Grenzen fördern die Kreativität. Natürlich<br />
bin ich oft an meinem selbst gesetzten Budget<br />
verzweifelt. Aber im Nachhinein hat es mir geholfen,<br />
mich zu konzentrieren und nur das zu kaufen, was<br />
mir wirklich wichtig war. Künstler, von denen ich<br />
nicht ganz überzeugt war, Arbeiten, die nur zweitrangig<br />
waren, habe ich damit umgangen. In meiner<br />
Sammlung geht es nicht um Namen, sondern um<br />
meine persönliche Reise mit diesen Künstlerinnen.<br />
Würde ich 70 oder 80 000 Euro für eine Arbeit ausgeben,<br />
würde sie zum Investment.<br />
IntervIew: Sie wissen auch nicht, ob Ihre Sammlung<br />
im Wert steigt?<br />
napoleone: Natürlich kenne ich die Preisentwicklung<br />
jeder einzelnen Künstlerin, die ich sammle.<br />
Und natürlich verfolge ich die Auktionen. Auch<br />
wenn ich da bisher noch nicht gekauft habe. Das gehört<br />
genauso dazu wie das persönliche Gespräch mit<br />
einem Künstler und die Recherche über ihn.<br />
IntervIew: Wieso sind Sie gerade nicht bei der<br />
Art Basel in Miami?<br />
napoleone: Für eine Mutter von drei Kindern<br />
ist kurz vor Weihnachten ein ungünstiger Zeitpunkt<br />
für eine Kunstmesse. Und die Art Basel besuche ich<br />
lieber in Basel. Und ich gehe nur auf die wichtigsten<br />
Messen. Sie verwirren mich. Ich kaufe sowieso<br />
nichts, was ich zum ersten Mal auf einer Messe sehe.<br />
Ich brauche mehr Zeit und kaufe nicht, nur damit<br />
mir niemand die Arbeit wegschnappt. Sondern ausschließlich,<br />
wenn ich Qualität darin erkenne.<br />
IntervIew: Wie definieren Sie Qualität?<br />
napoleone: Hm. Okay. Ja. Ein guter Künstler<br />
verfolgt seine eigene Richtung, entwickelt seine eigene<br />
Sprache. Eine gute Arbeit funktioniert auf mehreren<br />
Ebenen. Ich hasse Kunst, die einfach nur gut<br />
aussieht. Und genauso hasse ich Kunst, für die man<br />
erst mal zehn Bücher lesen muss, um sie zu mögen.<br />
Und ich mag keine Kunst, die aufgeblasen und überproduziert<br />
ist. Wenn eine Galerie einem sehr jungen<br />
Künstler 100 000 Pfund gibt, die er einfach so verbläst,<br />
ohne dass er schon genug Substanz hätte …<br />
IntervIew: Das Aaron-Young-Syndrom? (Aaron<br />
Young ist ein amerikanischer Künstler. Sein Durchbruch<br />
war eine Performance, bei der er in einer riesigen Halle<br />
Motorräder über lackierte Holzplatten fahren ließ. <strong>Die</strong> Besucher<br />
trugen Gasmasken wegen der Abgase. <strong>Die</strong> Platten<br />
mit den Abriebspuren wurden zuerst in einer Luxusboutique<br />
ausgestellt. Heute wird Young von der Gagosian<br />
Gallery repräsentiert.)<br />
napoleone: Ganz genau. Und es gibt noch<br />
tausend andere Beispiele für den Riesenaufwand um<br />
hohle Kunst. Das liegt natürlich auch an einem vor<br />
Gesundheit strotzenden Kunstmarkt. Der Ruhm<br />
kommt früh, die Preise steigen schnell. Es ist nicht<br />
leicht für Künstler, erwachsen zu werden. Sie brauchen<br />
Zeit, sie müssen kämpfen.<br />
IntervIew: Das kann ein Galerist einem jungen<br />
Künstler schlecht vermitteln, wenn er selbst in einem<br />
Multimillionen-Dollar-Space residiert.<br />
napoleone: Deswegen sind bestimmte Galerien<br />
auch tödlich für junge Künstler. Das sind Maschinen<br />
oder Supermärkte, wo es einfach nur um möglichst<br />
viel Abverkauf geht. Viel wichtiger ist die<br />
Arbeit mit Kuratoren, sind Gruppenausstellungen<br />
und Museumsshows. Und eine langsame Preisentwicklung.<br />
Ein Künstler wird immer fragen, warum<br />
sein Kollege teurer ist als er selbst. Aber rasante<br />
Preisentwicklungen sind hochriskant. Wenn die<br />
nächste Rezession kommt, kann man die Preise nicht<br />
wieder runterschrauben.<br />
napoleone vor dem gemälde<br />
BrooklyN BiergarteN ii von<br />
nIcole eIsenman<br />
IntervIew: Haben Sie Fehler gemacht beim<br />
Sammeln?<br />
napoleone: Kommt drauf an, was Sie Fehler<br />
nennen. Manche Künstlerinnen haben mich enttäuscht.<br />
Eine abstrakte Malerin, die ich sehr schätze,<br />
hat vor zehn Jahren praktisch aufgehört zu malen<br />
und ist mit ihrer Familie nach Colorado gezogen. Ich<br />
habe sie neulich in New York getroffen und gesagt:<br />
„<strong>Die</strong> Pause war lang genug. Jetzt musst du wieder full<br />
speed an die Arbeit.“ Manchmal bin ich eben ein bisschen<br />
pushy.<br />
IntervIew: <strong>Die</strong> Midlife-Crisis trifft auch …<br />
napoleone: Na klar. Man hat schon 20 Jahre<br />
gearbeitet, ist nicht mehr jung und heiß, aber auch<br />
noch nicht total etabliert und abgesichert. <strong>Die</strong><br />
Sammler warten, ob da noch was kommt. Und die<br />
Künstler wissen es manchmal selbst nicht genau. Das<br />
ist hart.<br />
IntervIew: Tun Ihnen Künstler leid wegen der<br />
Berufskrankheit Zweifel?<br />
napoleone: Überhaupt nicht. Sie sind die<br />
glücklichsten Menschen auf der Welt. Alles, was sie<br />
brauchen, steckt in ihnen selbst. Was brauchen sie?<br />
Einen Bleistift, eine Mülltüte, sonst nichts. Meine<br />
Bewunderung für Künstler kennt keine Grenzen.<br />
“<br />
Ich mag keine<br />
Kunst, die einfach<br />
nur gut aussieht. Oder<br />
wenn eine Galerie<br />
einem jungen Künstler<br />
100 000 Pfund gibt,<br />
die er einfach<br />
verbläst, ohne dass er<br />
schon genug Substanz<br />
hätte …<br />
”<br />
– Valeria Napoleone<br />
141<br />
Und ich bin dankbar für die Beziehung, die ich zu<br />
ihnen haben darf.<br />
IntervIew: Ist die Beziehung zwischen Künstler<br />
und Sammler nicht immer ein bisschen vergiftet?<br />
napoleone: Für mich ist da kein Gift. Das ist<br />
purer, süßer Honig. Manche Künstler sind sozial ein<br />
bisschen gewandter, mit einigen bin ich besser befreundet<br />
als mit anderen. Aber ich will als Sammlerin<br />
wachsen; das kann ich nur durch den Dialog mit den<br />
Künstlern. Und umgekehrt.<br />
IntervIew: Muss ein Sammler gierig sein?<br />
napoleone: Es gibt eine gesunde Gier, bei der<br />
man seinen Verstand nicht ausschaltet und auf sein<br />
Herz hört. <strong>Die</strong> andere Gier hört auf das, was andere<br />
sagen, was der Markt diktiert. Gier ist gut. Aber nur,<br />
wenn sie mit wirklicher Leidenschaft verbunden ist.<br />
IntervIew: Sie sammeln ausschließlich die Arbeiten<br />
von Frauen. Inwieweit überlegen Sie, welche<br />
Künstlerinnen vertreten sein müssen? Fehlen Ihnen<br />
noch Isa Genzken oder Cindy Sherman?<br />
napoleone: Darüber denke ich permanent<br />
nach: Wie weit muss ich in die Kunstgeschichte zurückgehen?<br />
Warum ich das bisher noch nicht getan<br />
habe: Es geht mir um junge Künstlerinnen und meine<br />
persönliche Beziehung zur Kunst. <strong>Die</strong> Sammlung<br />
folgt meinem Leben und meinen Möglichkeiten. Zu<br />
manchen großartigen Künstlerinnen habe ich einfach<br />
keinen Bezug, andere kann ich mir nicht mehr<br />
leisten. Aber ich habe auch nicht den Ehrgeiz, einen<br />
repräsentativen Überblick zu bieten. Trotzdem bewundere<br />
ich Meisterinnen der Müttergeneration,<br />
wenn Sie so wollen. Isa Genzken ist alive and kicking.<br />
Oder die wunderbare Rosemarie Trockel, die im Januar<br />
in der Serpentine Gallery ausstellt. Eigentlich<br />
hätte ich sie heute treffen sollen, aber dann kam dieses<br />
<strong>Interview</strong> dazwischen.<br />
IntervIew: Oh, das ist mir wirklich unangenehm.<br />
napoleone: Kein Problem. Das holen wir<br />
nach.<br />
IntervIew: Welche Künstlerin ist der beste<br />
Dinnergast?<br />
napoleone: Als gute Sammlerin kann ich da<br />
keine Namen nennen. Das abstrakte Ideal ist eine<br />
Person, die über verschiedene Themen sprechen<br />
kann, die sich für ihr Gegenüber interessiert …<br />
IntervIew: Klingt nicht nach Künstlerin.<br />
napoleone: Oh, Sie wären überrascht. Künstlerinnen<br />
sind vielleicht ruhig oder schwierig, aber sie<br />
sind neugierig.<br />
IntervIew: Ihr Mann arbeitet im Private-Equity-Banking.<br />
Versteht er Ihre Sammlung?<br />
napoleone: Total. Ich habe gerade unseren<br />
Weihnachtsbaum mit Arbeiten von Julie Verhoeven<br />
dekoriert. Er liebt das. Was die Kunst betrifft, sitze<br />
ich am Lenkrad und entscheide, wo wir uns engagieren,<br />
welche Kunstvereine und Projekte wir unterstützen,<br />
was gekauft und was gehängt wird. Aber er<br />
ist ein hervorragender Kopilot.<br />
Valeria NapoleoNe’s<br />
Catalogue of exquisite reCipes<br />
Ist beI walther KönIg erschIenen.<br />
er beInhaltet KlassIsche rezepte aus<br />
der lombardeI und arbeIten (oft spezIell<br />
für das buch angefertIgt)<br />
von KünstlerInnen wIe aleKsandra mIr,<br />
monIca bonvIcInI, JulIe verhoeven<br />
und lIsa YusKavage
STANLEY<br />
KUBRICK<br />
HOOLIGANS, die Milch trinken (Clockwork Orange),<br />
RAUMSCHIFFE, die Walzer tanzen (2001: Odyssee<br />
im Weltraum), JACK NICHOLSON, der durchdreht<br />
(Shining): <strong>Die</strong> Welten, in die uns der REGISSEUR<br />
STANLEY KUBRICK in seinen Filmen entführte,<br />
oszillieren zwischen Traum und Albtraum, Realem<br />
und Surrealem. Anlässlich der Kubrick-Weltausstellung<br />
in Los Angeles erinnern TOM CRUISE<br />
(Kubricks Lieblingsschauspieler) und TERRY SEMEL<br />
(Kubricks Studioboss) an den wohl bildgewaltigsten,<br />
detailversessensten und schrulligsten Regisseur des<br />
20. Jahrhunderts<br />
Fotos: WARNER BROTHERS (©) Copyright 1980 by WARNER BROTHERS; WARNER BROS / Kobal Collection; Corbis<br />
VON<br />
TOM CRUISE UND<br />
TERRY SEMEL<br />
MODERIERT VON<br />
ANNETTE INSDORF<br />
142<br />
BIS ZUM 30. JUNI 2013 IM LOS ANGELES<br />
COUNTY MUSEUM OF ART (LACMA)
Fotos: Keith Hamshere/Getty Images; Warner Bros. Entertainment Inc./LACMA (2); MGM /<br />
Kobal Collection; Warner Bros. Entertainment Inc./LACMA; Sony/Columbia Pictures Industries<br />
Inc./LACMA; WARNER BROS / Kobal Collection; Corbis; dpa Picture-Alliance; WARNER<br />
BROTHERS(©) Copyright 1980 by WARNER BROTHERS; Corbis; Warner Bros. Entertainment<br />
Inc./LACMA; MGM / Kobal Collection; WARNER BROS / Kobal Collection; WARNER BROS /<br />
Kobal Collection; Corbis<br />
Obere Hälfte:<br />
Szenen vOn den dreHarbeiten<br />
zu 2001: Odyssee im Weltraum<br />
(1968). äStHetiScH wegweiSend,<br />
dramaturgiScH zur<br />
damaligen zeit eine HerauSfOrderung.<br />
untere Hälfte (im uHrzeiger-<br />
Sinn): Szenen auS dr. seltsam,<br />
Oder Wie ich lernte die BOmBe<br />
zu lieBen (1964), auS Full metal<br />
Jacket (1987), Barry lyndOn<br />
(1975), KubricK bei dreHarbeiten<br />
(1974)<br />
144<br />
IM UHRZEIGERSINN: DIE BADEZIMMERSZENE UND DIE<br />
FIESEN ZWILLINGE AUS SHINING (1980), KUBRICK BEI<br />
DEN DREHARBEITEN ZU CLOCKWORK ORANGE (1971),<br />
MALCOLM McDOWELL ALS ALEX IN CLOCKWORK<br />
ORANGE, CRUISE UND KIDMAN IN EYES WIDE SHUT<br />
(1999), DAS PAAR MIT STANLEY KUBRICK UND JAN<br />
HARLAN (1998), LOLITA (1962)
Annette Insdorf: Stanley Kubrick eilt nach wie<br />
vor der Ruf voraus, ein Meister seines Fachs gewesen<br />
zu sein. Worin liegt das begründet? Waren es die<br />
künstlerischen oder technischen Fähigkeiten, die er<br />
zweifelsohne besaß – oder beruht sein Ruf vor allem<br />
auf seiner visionären Gabe?<br />
terry semel: Letzteres, denke ich. Tom und ich<br />
können beide bezeugen, dass jeder, der Stanley treffen<br />
und mit ihm arbeiten durfte, ihn verehrte. Er war ein<br />
Juwel, sehr smart, sehr wortgewandt …<br />
tom CruIse: … und sehr lustig!<br />
semel: Ja, ein großartiger Sinn für Humor.<br />
Gleichzeitig gab es keine Möglichkeit, ihn zu kontrollieren.<br />
Ich merkte sofort, dass wir als Studio nicht den<br />
geringsten Einfluss auf ihn hatten. Das sagte ich auch<br />
meinen Kollegen bei Warner Bros. Er entschied, was<br />
wann wo und wie passierte und gefilmt wurde. Er<br />
machte die Ansagen. Zumal er nichts aus der Hand<br />
gegeben hat. Er kümmerte sich selbst um die Dinge,<br />
um alle Dinge. Deshalb gab es auch so gut wie keine<br />
Crew am Set. Nur Stanley und die wichtigsten Schauspieler.<br />
Für uns als Studio war das ziemlich riskant.<br />
CruIse: Ihr hattet ein festes Ritual, wenn es darum<br />
ging, ein neues Projekt anzugehen. Ich liebe das<br />
Ritual. Willst du es mit den Lesern teilen?<br />
semel: Das Ritual war immer dasselbe: Da ich<br />
Chef des Studios war, konnte ich durchsetzen, dass niemand<br />
Stanley an die Leine nehmen würde. <strong>Die</strong> Routine<br />
lief wie folgt: Stanley arbeitete immer an mehreren<br />
Drehbüchern gleichzeitig, und wenn er dachte, eins sei<br />
gut genug, um als nächster Film infrage zu kommen,<br />
rief er an und sagte: „Wie schnell kannst du nach London<br />
kommen?“ Er hätte nie ein Drehbuch nach Kalifornien<br />
geschickt, niemals. Und da er nach Clockwork<br />
Orange so viele Todesdrohungen erhalten hatte, verließ<br />
er selbst auch den Großraum London nicht. Also flog<br />
ich nach London. Dort empfing mich sein Schwager,<br />
der mich jedes Mal im selben Zimmer des gleichen<br />
Hotels unterbrachte. Dort rief mich Stanley dann an<br />
und sagte: „Bitte geh heute früh zu Bett, Terry. Ruh<br />
dich aus, schlaf gut, geh bitte nicht aus, bleib einfach in<br />
deinem Zimmer – und wenn du morgen früh aufwachst,<br />
wirst du das Drehbuch finden, das mein Schwager<br />
in einem Umschlag für dich unter der Tür durchschiebt.“<br />
(Cruise lacht) Ich sagte dann immer: „Stanley,<br />
ich würde das Drehbuch wirklich gerne mit ein paar<br />
A HAppy endIng: tom CruIse, nICole KIdmAn und stAnley KubrICK<br />
bereIten dIe letzte szene von EyEs WidE shut vor<br />
Kollegen bei Warner Bros. besprechen.“ Woraufhin er<br />
nur aufheulte: „Nein, nein, lass niemanden das Drehbuch<br />
lesen! Deshalb bist du doch extra hergeflogen. Du<br />
liest es.“ Was ich dann auch tat. Wenn ich fertig war,<br />
rief ich in seinem Haus auf dem Land an, woraufhin er<br />
mir einen Fahrer schickte. So spielte es sich jedes Mal<br />
ab. Ohne die kleinste Abweichung. Wenn Stanley<br />
dachte, dass das Drehbuch fertig sei und alle Charaktere<br />
weit genug entwickelt, war es meine Rolle, rüberzufliegen,<br />
zu lesen, um dann zu allen wichtigen Details<br />
des Projekts sagen zu können: „Nein, das ist viel zu<br />
teuer.“ Oder: „Ja, das geht gerade noch.“<br />
Insdorf: Gehörte zu den Detailfragen auch das<br />
Casting des Films?<br />
semel: Na ja, als wir Shining drehten, war Jack<br />
Nicholson eine seiner Hauptsorgen. Das Problem<br />
war, dass Jack zwar ein herausragender Schauspieler<br />
und großer Hollywoodstar ist, doch er ging einfach<br />
nie rechtzeitig zu Bett. Er war ständig unterwegs,<br />
hatte Spaß. Stanley fand das furchtbar. Er fand, ein<br />
Schauspieler gehöre früh ins Bett, brauche ausreichend<br />
Schlaf und müsse morgens ausgeschlafen am<br />
Set erscheinen. Als wir mit Shining fertig waren, verkündete<br />
Stanley. „Ich werde nie wieder mit Stars in<br />
meinen Filmen arbeiten. Jack Nicholson war großartig,<br />
aber er war ständig am Feiern.“ Er sagte dies<br />
übrigens auch über dich, Tom, als ich dich für Eyes<br />
Wide Shut vorschlug. Ich sagte zu ihm: „Aber Stanley,<br />
ich möchte einen Star in Eyes Wide Shut, und Shining<br />
ist doch schon sehr lange her.“ Er antwortete: „Nein.<br />
Sie haben einfach zu viele Möglichkeiten.“<br />
CruIse: Zu viele Möglichkeiten (lacht). Das<br />
mochte er nicht.<br />
semel: Zumindest so lange nicht, bis er einer<br />
Person vertraute und dachte, dass die Person etwas<br />
Positives zum Film beisteuere. Ich sagte daraufhin:<br />
„Ich will Tom Cruise“, und Stanley suchte Ausflüchte<br />
und meinte nur: „Der würde doch gar nicht herfliegen,<br />
weil es viel zu weit weg ist.“ Daraufhin ließ ich<br />
mir das Telefon geben, rief dich an und sagte: „Tom,<br />
ich sitze hier mit Stanley Kubrick. Der Film passt perfekt<br />
zu dir, er wird großartig. Kannst du nach London<br />
kommen, um Stanley zu treffen und über Eyes Wide<br />
Shut zu sprechen?“ Am nächsten Morgen warst du da,<br />
und du und Stanley wurdet zu Brüdern – oder vielmehr<br />
Vater und Sohn.<br />
146<br />
CruIse: Ich kann mich noch sehr gut an unser<br />
erstes Treffen erinnern: Ich landete mit dem Helikopter<br />
im Garten seines Landsitzes, und er war überaus<br />
charmant. Ich las das Drehbuch, das 95 Seiten lang<br />
war, und danach saßen wir in seiner Küche und redeten<br />
stundenlang über den Film, wo man drehen würde,<br />
über die Geschichte, meine Rolle. Stanley meinte,<br />
er wolle noch im Sommer anfangen zu drehen, da er<br />
an Weihnachten fertig sein wolle – was absurd klang,<br />
da ich mir seine anderen Filme genau angeschaut hatte<br />
und mit vielen Leuten über seine Arbeitsweise gesprochen<br />
hatte. Ich wusste, dass wir mindestens ein<br />
Jahr am Werk sein würden. Dennoch sagte ich: „Okay,<br />
lass uns anfangen.“ Daraufhin sprachen wir über die<br />
weibliche Hauptrolle, ich fragte ihn, ob er mit der<br />
Arbeit von Nicole Kidman vertraut sei, und auch<br />
darüber, dass ich sie für eine großartige Schauspielerin<br />
halte. Und wir sprachen über Baseball. Er liebte<br />
Baseball.<br />
semel: Das stimmt.<br />
CruIse: Er hat ja als Fotograf bei dem Magazin<br />
Look angefangen und war großer YankeesFan, was ich<br />
auch bin. Später dann, als wir uns mehr und mehr anfreundeten,<br />
fing er an, mir seine ganzen Filme zu erklären,<br />
angefangen bei 2001. Er erklärte, warum er<br />
diese oder jene Szene gedreht hatte, wie er versuchte,<br />
mit einfachen Mitteln immer unter die Haut der Zuschauer<br />
zu kriechen. Ich habe so unglaublich viel von<br />
ihm lernen können. Ihn interessierte immer die Frage:<br />
Wie kann ich das mit nur einer Kamera erzählen?<br />
Er und Sydney Pollack hatten eine Art Pingpongspiel,<br />
sie schickten sich ständig irgendwelche Werbeschnipsel<br />
zu. Es ging darum, wer am meisten Dialoge aus<br />
Werbungen rausschneiden konnte, ohne dass die<br />
Werbung ihre Botschaft verliert. Wenn man sich Eyes<br />
Wide Shut ansieht, fragt man sich ständig: Ist das ein<br />
Traum oder ein Albtraum? Und wie man die Geschichte<br />
erzählen und darstellen kann – ohne auf altbackene<br />
Klischees auszuweichen, die dem Publikum<br />
suggerieren, dass es ein Albtraum ist.<br />
Insdorf: Kubrick spielte mit der Auflösung formeller<br />
Strukturen.<br />
CruIse: Er ging hart an die Grenzen. Bei Barry<br />
Lyndon beispielsweise filmte er mit ApolloLinsen, die<br />
eigentlich für die NASA entwickelt worden waren.<br />
<strong>Die</strong> Geschwindigkeit dieser Linsen ist erschreckend.<br />
Dank ihnen konnte er bei Kerzenschein filmen, was<br />
dem Film diese unglaubliche Tiefe verleiht, für die<br />
Kubrick bekannt ist. Er mochte Weitwinkellinsen und<br />
modifizierte oftmals die Möbel oder Bilder an den<br />
Wänden des Sets, um sie einsetzen zu können. Denn<br />
Weitwinkellinsen verzerren das Bild ja eigentlich.<br />
Aber Kubrick verstand sie durch und durch, er war ein<br />
absoluter Meister seines Handwerks. Das war seine<br />
eigentliche Brillanz: Stanley wusste, wie er mit dem<br />
Medium Film umgehen musste, wie mit Kamera, Ton<br />
und Linsen. Er hatte die totale Kontrolle. Immer. In<br />
jeder Szene. In jeder Einstellung.<br />
semel: Tom, hat es dich auch so fasziniert, wie<br />
wenig Leute an einem Set von Kubrick waren?<br />
CruIse: So wenig wie nur irgend möglich. Das<br />
Set sollte abgeriegelt sein, sehr intim, sehr persönlich.<br />
Ich kann mich an kein Set erinnern, an dem so wenige<br />
Menschen zugange waren wie bei Eyes Wide Shut.<br />
Stanley wollte es so einfach wie möglich halten. Er<br />
dachte immer auch ökonomisch. Wobei er vor allem<br />
Zeit benötigte – für das Filmen an sich genauso wie<br />
für das Nachdenken über den Film. Das Drehbuch<br />
war immer nur eine Blaupause. Für Eyes Wide Shut<br />
hatten wir 65 Millionen Dollar Budget – und jeder<br />
denkt, wir hätten zwei Jahre lang gedreht. In Wirk<br />
Fotos: Warner Bros. Entertainment Inc. Photo: Manuel Harlan/LACMA; John Springer Collection/CORBIS<br />
“<br />
Er hätte nie ein<br />
Drehbuch nach<br />
Kalifornien geschickt.<br />
Und da er nach<br />
Clockwork Orange so<br />
viele Todesdrohungen<br />
erhalten hatte,<br />
verließ er London<br />
nicht”– Terry Semel<br />
147<br />
lichkeit waren es eher eineinhalb Jahre, und auch in<br />
dieser Zeit gab uns Stanley ständig frei, da er über den<br />
Film nachdenken, das Material sichten und Details<br />
am Set korrigieren wollte. Er wusste sehr genau, mit<br />
wem er arbeiten wollte. Sein Umgang mit Geld war<br />
sehr smart. Er holte alles aus jedem einzelnen Dollar<br />
raus – und musste nie das Studio anbetteln, um einen<br />
Cent mehr zu bekommen.<br />
Semel: Man kann zudem nicht genug betonen,<br />
wie sehr sich Stanley um jedes Detail seiner Filme<br />
selbst gekümmert hat. Und auch danach wollte er volle<br />
Kontrolle. Ich erinnere mich daran, wie er nach einem<br />
abgeschlossenen Film zu mir kam und verlangte:<br />
„Ich, Stanley, werde die Werbekampagne zu meinem<br />
Film selbst gestalten. Ich will alle PR-Aktivitäten<br />
selbst kontrollieren. Ich will mit jedem Detail, das mit<br />
meinem Film zusammenhängt, vertraut sein.“ So geschah<br />
es dann auch. Er arbeitete an jedem Zentimeter<br />
mit, wie der Film beworben wurde. Er schnitt alle<br />
Trailer selbst. Er bestimmte, wann der Film anlief, in<br />
welcher Stadt die Premiere stattfand. Und all das vor<br />
dem Hintergrund: „Nein, ich kann und werde den<br />
Großraum London nicht verlassen.“<br />
CruiSe: <strong>Die</strong> Trailer für Shining und Eyes Wide<br />
Shut sind atemberaubend!<br />
inSdorf: François Truffaut erzählte mir vor<br />
mehr als 30 Jahren, Kubrick habe eine Apparatur in<br />
seinem Haus bei London, die Alarm schlage, wenn<br />
eine Lampe in einem Projektor in einem Kino in New<br />
York ausfällt, in dem gerade einer seiner Filme läuft.<br />
Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man sagt, Stanley<br />
Kubrick sei der größte Perfektionist, mit dem ihr jemals<br />
gearbeitet habt.<br />
Semel: Zweifelsohne! Wenn er die Liste der Kinos<br />
bekam, in denen sein Film gezeigt wurde, schickte<br />
er seinen Schwager Jan Harlan los, der jedes Kino fotografierte.<br />
Stanley wollte wissen, wie viele Menschen<br />
zur Vorführung kamen. Der Schwager musste sie<br />
beim Betreten und beim Verlassen des Kinos fotografieren.<br />
Stanley wusste viel mehr über das Tagesgeschäft<br />
als ich. Er rief an und sagte: „Das eine Kino<br />
hier bietet nicht ausreichend Parkmöglichkeiten. Außerdem<br />
ist die Leinwand bei einem der Kinos in Denver<br />
zu klein.“ Ich konnte es nicht fassen. Woher wusste<br />
Stanley solche Sachen? Er verließ ja London nicht<br />
– und beschwerte sich über die Parkmöglichkeiten in<br />
Denver. Für ihn ging es immer um mehr als nur darum,<br />
einen Film zu drehen. Deswegen ist es auch so<br />
traurig, dass er die Premiere von Eyes Wide Shut nicht<br />
mehr erleben durfte. Er starb ein oder zwei Wochen<br />
vorher – und in der Nacht, bevor er starb, arbeitete er<br />
en détail noch an den Trailern und der Werbekampagne.<br />
Er war so gut darin, die Werbemaßnahmen zu<br />
seinen Filmen festzulegen. Wobei er sich immer darüber<br />
aufregte, wenn er andere Regisseure in irgendwelchen<br />
Talkshows sitzen und über ihre Filme reden<br />
sah. Dann fragte er immer: „Warum gehen die da hin?<br />
Merken sie nicht, dass sie keine Celebritys sind, sondern<br />
Regisseure? Macht Filme!“<br />
CruiSe: Stanley wollte nicht berühmt sein.<br />
Semel: Er konnte es nicht einmal ertragen, fotografiert<br />
zu werden. Meine Frau Jane durfte ihn zwar<br />
fotografieren, was vielleicht daran liegen könnte, dass<br />
Jane Britin ist …<br />
CruiSe: … und er Jane liebte.<br />
Semel: Trotzdem hatte er immer dieselben alten<br />
Klamotten an und sah total zerzaust aus.<br />
CruiSe: Er trug auch jeden Tag am Set dasselbe.<br />
Semel: Das Schöne war jedoch, dass es, wenn er<br />
denn jemanden in sein Haus, in sein Heiligtum, ließ,<br />
kein Halten gab. Dann bekam man Stanley. Und verbrachte<br />
ein, zwei, drei Tage in der riesigen Küche und<br />
musste immerfort essen.<br />
inSdorf: Tom, du hast Kubricks Fähigkeit erwähnt,<br />
dem Publikum unter die Haut zu gehen. Im<br />
Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Filmemachern<br />
war seine Vision weder optimistisch noch tröstend.<br />
Sie war mit all den Weitwinkeln oft geradezu entmenschlichend.<br />
Das Herrenhaus in Eyes Wide Shut<br />
beispielsweise ist ein Ort, an dem kalte Kopulation die<br />
Norm und Anonymität die Bedingung ist. War Trostlosigkeit<br />
ein integraler Bestandteil seiner Vision?<br />
Semel: Er hatte einen großartigen Sinn für Humor,<br />
und ich glaube nicht, dass er irgendetwas davon<br />
als trostlos angesehen hat.<br />
CruiSe: Und die Orgienszene sollte sich so anfühlen,<br />
das war Stanleys Absicht. Es geht um einen<br />
Kerl, der auf die dunkle Seite seines Lebens überwechselt.<br />
Eines der zentralen Themen, die der Film<br />
behandelt, ist Eifersucht. Wobei die Frau ihre Fantasien,<br />
die sie hat, nie auslebt – und der Mann sich auf<br />
eine Reise begibt und denkt, dass etwas geschieht, was<br />
jedoch nicht der Fall ist. Er schläft nicht mit der Frau,<br />
deren Vater gerade gestorben ist. Am Ende nimmt er<br />
an der Orgie nicht teil. Sie ist dunkel – aber nicht befriedigend.<br />
Ich habe viel mit Stanley über meine Rolle<br />
gesprochen, darüber, dass meine Figur ihren Titel als<br />
Doktor benutzt, um Türen zu öffnen, und als Waffe.<br />
Stanleys Vater war Doktor. Vielleicht war Stanley deshalb<br />
so zynisch gegenüber Menschen, die Macht und<br />
Titel gebrauchen, um an bestimmte Orte zu gelangen<br />
und Menschen und Situationen auszunutzen. Ja, Eyes<br />
Wide Shut ist ein verstörender Film. Aber als wir das<br />
Ende drehten, meinte Stanley nur: „Das ist ein happy<br />
ending.“ <strong>Die</strong> Szene spielt in einem Spielzeugladen.<br />
Sein Humor war wirklich großartig.<br />
inSdorf: Terry, habt ihr jemals darüber nachgedacht,<br />
Eyes Wide Shut in voller Nacktheit zu zeigen<br />
– und dafür auf eine Jugendfreigabe zu verzichten?<br />
Semel: Zwischen Stanleys Tod und der Premiere<br />
war so wenig Zeit. Und ich wollte unbedingt vermeiden,<br />
dass das Studio in irgendeiner Weise Stanleys<br />
Vision ändert oder etwas hinzufügt, was er nicht gewollt<br />
hätte. Es war sein Film. Niemand sonst sollte<br />
daran rumwerkeln. Stanley war es wichtig, dass der<br />
Film in so vielen Kinos wie nur irgend möglich zu sehen<br />
war – für so viele Zuschauer wie möglich.<br />
CruiSe: Er wollte, dass der Film ein großer Erfolg<br />
wird. Deshalb war es ihm auch so wichtig, dass es ein<br />
jugendfreier Film bleibt.<br />
Semel: Deshalb rief er auch ständig an (lacht). Ich<br />
musste auf sein Geheiß wieder und wieder bei der<br />
Filmkommission vorsprechen, um das sicherzustellen.<br />
Tom, möchtest du über die letzten Nächte sprechen,<br />
bevor Stanley starb?<br />
CruiSe: Stanley schickte die finale Fassung nach<br />
New York, wo Terry, Jane, Nicole und ich den Film<br />
ansahen. Wir sahen ihn zweimal hintereinander und<br />
sind dann essen gegangen. Danach musste ich nach<br />
Australien, um Mission: Impossible 2 anzufangen. Du<br />
warst den ganzen Abend am Telefon mit Stanley, der<br />
mit dir über jedes Detail, jede Einstellung, jeden<br />
Schnitt sprechen wollte.<br />
Semel: Stimmt. Zudem bestand Stanley darauf,<br />
dass nur wir vier den Film zu sehen bekommen. Er<br />
schickte seinen Neffen extra nach New York, um den<br />
Film für uns einzulegen. Nachdem ich den Film gesehen<br />
hatte, rief Stanley an und wollte über alles sprechen.<br />
Irgendwann musste ich ihn unterbrechen und<br />
sagen, dass ich jetzt nach Los Angeles fliegen musste,<br />
da ich dort wohne. Stanley rief am nächsten Tag an,<br />
wir sprachen über Stunden, verglichen Eindrücke,<br />
machten Notizen, diskutierten darüber, wie wo und<br />
wann der Film veröffentlicht werden würde. Irgendwann<br />
war es vier Uhr in der Früh, und ich sagte:<br />
„Stanley, ich bin wirklich müde, ich muss ins Bett.<br />
Lass uns morgen weiterreden.“ Daraufhin legte ich<br />
mich schlafen – und als ich aufwachte, war unser<br />
Anruf beantworter voller Nachrichten. <strong>Die</strong> meisten<br />
davon waren von Stanleys Frau. Stanley war in der<br />
Nacht gestorben. Als ich sie zurückrief, fragte sie<br />
mich: „Worüber habt ihr geredet? Habt ihr gestritten?“<br />
Woraufhin ich sagte: „Nein, wir haben eigentlich<br />
die meiste Zeit gelacht.“ Selbstverständlich waren<br />
wir alle total geschockt. Aber gleichzeitig freut es<br />
mich, dass er mit dem Bewusstsein, einen großartigen<br />
Film gedreht zu haben, gehen durfte. Unser letztes<br />
Telefonat war geradezu feierlich, wir waren fast hysterisch<br />
und redeten über den Film bis in den Sonnenaufgang<br />
hinein. Später, als der Film in Los Angeles<br />
gezeigt wurde, sagte ich: „Das ist mein letzter Film<br />
bei Warner Bros.“ Meine Kollegen waren schockiert.<br />
Aber ich wusste, dass keine zukünftige Erfahrung das<br />
überbieten kann, was ich mit Stanley erleben durfte.<br />
Danach sind wir alle zur Beerdigung nach England<br />
geflogen. Er wurde in seinem Garten beigesetzt.
Fotoalbum<br />
fotoalbum<br />
Tim<br />
burton<br />
Batman, 1989<br />
von<br />
Jörg HArlAn roHleder<br />
Seine Filme Sind auFregend Surreal und<br />
oFtmalS So düSter wie der Himmel über<br />
gotHam City. der regiSSeur tim burton gilt<br />
alS meiSter deS FantaStiSCHen gruSelkinoS.<br />
naCH drei JaHrzeHnten erweCkt burton<br />
nun Seinen alten kurzFilm Frankenweenie<br />
erneut zum leben. wir traFen den<br />
amerikaner in pariS und SpraCHen mit iHm<br />
über einige Seiner wiCHtigSten werke<br />
burton und daS batmobil, 1989: „SCHauen Sie nur, waS Für ein bieSt daS iSt: SCHnell, SCHwarz,<br />
eS SpuCkt Feuer, ein groSSartigeS auto. leider war daS batmobil zu groSS Für meine garage,<br />
SonSt würde iCH Heute noCH damit rumFaHren. auCH wenn meine Frau eS HaSSen würde.”<br />
148<br />
Fotos: Terry O'Neill/Getty Images; Picture-Alliance<br />
batman war immer mein liebster Comic-Held, ich konnte also gar nicht ablehnen, diesen Film zu drehen.<br />
Gleichzeitig war Batman meine erste große Hollywoodproduktion, was nicht gerade wenige Probleme mit<br />
sich brachte. <strong>Die</strong> Produzenten hatten mich ausgesucht, weil ich bewiesen hatte, dass ich eigene Welten erschaffen<br />
kann, düster und fantastisch. Dennoch wollten die die ganze Zeit reinreden. Bei allem! Vor allem<br />
beim Cast: Jack Nicholson als Joker kam gut an, aber Michael Keaton als Batman passte ihnen gar nicht. Sie behaupteten,<br />
Keaton sei zu schmächtig und nicht maskulin genug<br />
Dabei zieht der reiche Rächer doch erst seinen Anzug an und das Cape, um Batman zu werden.<br />
Er braucht, anders als Superman, ein Kostüm für sein Heldendasein, während Superman sich kostümieren muss,<br />
um als Normalo durchzugehen.<br />
Ganz genau. Das verstanden diese Studiohonks jedoch nicht.<br />
Als ich Jack Nicholson zum ersten Mal als Joker gesehen habe, fürchtete ich mich vor ihm.<br />
Allerdings habe ich auch Angst vor Clowns.<br />
Sie auch? Clowns sind das Einzige, vor dem ich wirklich Panik habe. Clowns sind bösartige Gesellen, sie sind ein totales<br />
Spaßsymbol des Heile-Welt-Nuklear-Family-Value-Amerikas. Wahrscheinlich finde ich sie deshalb auch so schrecklich.<br />
Warum haben Sie eigentlich nach den Abenteuern mit Batman keine Superheldenfilme mehr gedreht?<br />
Wegen der in Hollywood grassierenden Muskelmanie?<br />
Dafür gab es ein paar Gründe, aber einer davon ist mit Sicherheit dieser Muckizauber, der heute abverlangt wird und der in<br />
meinen Augen überhaupt keinen Sinn ergibt. Superhelden sind keine Wrestler, sie sind nicht Arnold Schwarzenegger, sondern<br />
Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Nur weil Spielzeugfiguren heute so aufgepumpt aussehen müssen, heißt<br />
das nicht, dass sämtliche Comic-Helden das auch tun sollten. Außerdem hasse ich diese ganzen schwachsinnigen Titel. Namen<br />
wie Batman Forever klingen doch, als habe sich das jemand ausgedacht, der total auf Drogen ist. So ein Titel klingt wie<br />
ein schlechtes Tattoo.<br />
149
fotoalbum<br />
fotoalbum<br />
Frankenweenie, 2012<br />
1996<br />
Hier sieht man Frankenweenie 2012 und Frankenweenie 1984, zwischen den beiden Filmen liegen fast 30 Jahre,<br />
verrückt, oder? Es geht um den Jungen Victor, der seinen geliebten Hund wie Frankensteins Monster zurück<br />
ins Leben holt. Es blitzt und donnert, und schwupps ist der Hund wieder da. Tod, Wiedergeburt, Untote, all<br />
das fasziniert mich. Ich wollte Frankenweenie noch einmal aufgreifen, da der alte Film lediglich ein Kurzfilm<br />
war. Der neue ist Stop-Motion, zudem in 3-D.<br />
Stop-Motion ist eigentlich die ursprünglichste Form des Filmhandwerks.<br />
Ich liebe Stop-Motion-Filme. Man geht so taktisch vor. Das Set wird ständig umgebaut, man schießt Bild um Bild, wie früher in<br />
den Anfangstagen des Kinos. Bei Dreharbeiten wie diesen merke ich wieder, warum ich es so sehr liebe, Filme zu drehen.<br />
Hätten Sie den Film auch gemacht, wenn Disney darauf bestanden hätte, dass Sie in Farbe drehen?<br />
Niemals. Als ich über das Projekt nachdachte, saß ich mit meinen alten Zeichnungen da, dachte an den Hund, den wir hatten, als<br />
ich ein Kind war, und schon kamen all die alten Erinnerungen wieder hoch: an die Kids aus der Nachbarschaft, die Schule, irgendwelche<br />
Lehrer. Victor leidet unter denselben Dingen und Umständen, unter denen ich als Kind gelitten habe.<br />
Sie sind in Burbank/Kalifornien aufgewachsen, wenige Straßen von den Disney Studios entfernt.<br />
Waren Sie schon mal in Burbank? Man könnte es als die klassische amerikanische Vorstadt bezeichnen, in Wirklichkeit ist es jedoch<br />
wie eine Vorhölle aus Dantes Inferno. Deswegen fühlte ich mich dort auch so fremd. Das einzige Museum, das ich als Kind<br />
zu sehen bekam, war das Wachsfigurenkabinett in Hollywood. Immerhin gab es Frankenstein dort.<br />
Wie muss man sich Tim Burton als Kind vorstellen?<br />
Als Einzelgänger, schüchtern, ruhig, verträumt, leicht depressiv, eher traurig. Ich habe meine Tage damit verbracht, zu zeichnen,<br />
Horrorfilme anzusehen und auf dem Friedhof rumzuhängen.<br />
Der Friedhof spielt ja auch in „Frankenweenie“ eine wichtige Rolle. Was fasziniert Sie denn so an Friedhöfen?<br />
Ich finde sie inspirierend. Friedhöfe besitzen diese besondere Stimmung, die nicht<br />
morbide, sondern sehr friedlich ist. Und der Friedhof meiner Kindheit lag am Ende<br />
meiner Straße, also spielte ich dort. Es war eigentlich ein Park mit ein paar Grabplatten.<br />
Im Film plagt die Eltern die Sorge, ihr Sohn Victor könne ein Nerd werden.<br />
Erinnern Sie sich daran, wann Sie das erste Mal als Nerd bezeichnet wurden?<br />
Das ist sehr lange her – und hat nie aufgehört. Ich war vielleicht vier oder fünf.<br />
Davor nannten sie mich allerdings schon Spasti (lacht).<br />
Was würde der 14-jährige Tim Burton über den Mann sagen, der heute hier sitzt?<br />
Er wäre geschockt, wie alt er geworden ist.<br />
Frankenweenie, 1984<br />
150<br />
151<br />
Fotos: Disney Enterprises. All Rights Reserved, Warner Bros. Pictures/Sunset Boulevard/Corbis<br />
Ein Alien aus Mars Attacks! <strong>Die</strong> Dreharbeiten waren der Wahnsinn, totale Anarchie am Set. Wenn ich mir<br />
dieses Bild ansehe, spüre ich sofort meinen alten Groll gegen Amerika, der mich antrieb, diesen Film zu drehen.<br />
Ich wollte mich über all die Inkompetenz in Amerika lustig machen, über all die dummen Politiker, die<br />
dummen Medienvertreter, all die dummen Schwätzer und Heilsversprecher. Schauen Sie sich diese Augen an!<br />
Total durchgeballert. Ich stehe dazu: Meine Aliens sind nach wie vor die coolsten Aliens der Filmgeschichte.<br />
Jack Nicholson, Glenn Close, Annette Bening, Danny DeVito, Pierce Brosnan, Michael J. Fox,<br />
Natalie Portman, Sarah Jessica Parker – der Cast war ebenfalls ziemlich beeindruckend.<br />
Ja, und es hat mir großen Spaß bereitet, einen Superstar nach dem anderen von den Aliens abmurksen zu lassen.<br />
Fürchten sich eigentlich Ihre Kinder vor den Filmen des Vaters?<br />
Meine Filme sind eigentlich gar nicht gruselig. Außerdem besitzen meine Kids meine Gene. Und ich habe früher Horrorfilm-<br />
Marathons abgehalten – das ganze Wochenende nur Monsterfilme. Immer dann, wenn meine Eltern nicht da waren. Der<br />
Fernseher war mein bester Freund.<br />
Haben Sie denn nie Albträume davon bekommen?<br />
Nein, nie. Mein Vater behauptet gerne, er könne sich daran erinnern, wie ich als ganz kleiner Junge vor irgendeinem Monster,<br />
das ich im Fernsehen sah, Angst gehabt hätte. Aber das stimmt nicht. Daran könnte ich mich erinnern. Wenn ich als Kind<br />
Albträume hatte, dann wegen Dingen aus dem echten Leben, wegen meiner Eltern, die verlangten, dass ich mein Frühstück<br />
aufesse, und mich zwangen, in die Kinderkirche zu gehen.<br />
Es muss doch einen Film geben, der Tim Burton gruselt.<br />
Okay, okay. Der Exorzist fand ich beim ersten Mal ziemlich gruselig. Ansonsten bringt mich wenig aus der Ruhe. Und wenn,<br />
sind dies meistens Grausamkeiten, die der Mensch sich selber zufügt.<br />
Glauben Sie eigentlich an Geister?<br />
Egal wie das jetzt klingen mag: Ja, ich, Tim Burton, glaube an Geister. Ich habe schon Dinge mit meinen eigenen Augen gesehen,<br />
die ich anders nicht erklären kann. Es waren entweder Erscheinungen oder Geister. Ich habe zudem meinen dreijährigen<br />
Sohn durch Zufall eines Nachmittags dabei beobachtet, wie er einen Geist gesehen hat. Erst hat er sich erschreckt, später,<br />
als wir darüber redeten, fand er es aber überhaupt nicht schlimm. Das nenne ich mal ein Vater-Sohn-Erlebnis!
fotoalbum<br />
FOTOALBUM<br />
Sleepy Hollow, 1999<br />
Ach, Johnny in Sleepy Hollow, ohne ihn wäre der Film nie so gut geworden. Er ist einfach der perfekte Schauspieler<br />
für meine Art von Filmen. Wussten Sie eigentlich, dass Sleepy Hollow in Amerika Teil des Schulkanons<br />
ist? Amerika ist so arm an Mythen und Märchen! Wobei ich mich nicht beschweren will, denn dieser Armut<br />
verdanke ich meine Fantasie – und auch diese Geschichte.<br />
Zeichnen Sie eigentlich alle Storyboards selbst?<br />
Nein, nur bestimmte Schlüsselszenen. Eigentlich bin ich auch kein guter Zeichner, weswegen ich froh bin, dass ich Mitarbeiter<br />
habe, die meinen kruden Stil lesen können.<br />
Wie sahen denn die Stillleben aus, die Sie als Student an der CalArts abgaben?<br />
Hatten die Trauben auf den Stillleben Spinnenweben und die Damen in den Aktzeichnungen Spinnenbeine?<br />
Leider nicht (lacht). Deshalb war ich als Student und später bei Disney auch so frustriert. Ich konnte einfach nicht so zeichnen,<br />
wie man es von mir verlangte. Irgendwann dachte ich mir: Fuck that, ich mach das jetzt, wie es mir passt. Ein befreiender<br />
Gedanke!<br />
Dabei gibt es Menschen, die behaupten, Tim Burton wäre der Walt Disney unserer Zeit.<br />
Das klingt nett. Aber ich kann nicht so süßlich zeichnen. Vor allem nicht die ganzen Enten und Füchse, das hat mich wahnsinnig<br />
gemacht. Zumal ich nicht dafür geschaffen bin, in einer Zeichenfabrik als Arbeitszombie zu sitzen. Das passt nicht zu<br />
mir.<br />
In „Sleepy Hollow“ spielte Johnny Depp mal wieder die Hauptrolle. Davor war er schon Edward mit den Scherenhänden,<br />
später dann Willy Wonka aus „Charlie und die Schokoladenfabrik“.<br />
Ich arbeite einfach gerne mit den Menschen zusammen, denen ich vertraue, Menschen, mit denen ich eine Vision teile. Und<br />
Johnny versteht mich voll und ganz. Außerdem fällt es mir nicht gerade leicht, mich auf neue Leute einzustellen. Deshalb<br />
arbeite ich lieber mit denen, die ich kenne, die sich bewährt haben.<br />
In früheren <strong>Interview</strong>s sagten Sie, in „Edward mit den Scherenhänden“ stecke sehr viel Tim Burton.<br />
Dafür sehen Ihre Hände heute ziemlich gut aus.<br />
Ein Glück! (lacht) Nein, das war natürlich symbolisch gemeint. In unserer Familie gab es kaum Körperkontakt, allzu viel<br />
körperliche Nähe war lange ein Problem für mich. Und Edward verletzt die Leute, wenn er ihnen zu nahe kommt.<br />
Stimmen die Gerüchte, dass Herr Depp das Pferd aus „Sleepy Hollow“ nach den Dreharbeiten adoptiert hat?<br />
Ja, ich glaube, Sie haben recht. Allerdings weiß ich gar nicht, warum. Anfangs mochte er das Pferd nämlich gar nicht. Wahrscheinlich<br />
wiehert es jetzt gerade seinem Lebensabend auf Johnnys Anwesen in Südfrankreich entgegen.<br />
152<br />
Fotos: Michel Tsuni/face to face / United Archives/IFTN; WALT DISNEY PICTURES / Kobal Collection<br />
ALICE IM WUNDERLAND, 2010<br />
Alice zu drehen war sehr schwierig, eigentlich unmöglich. Mit diesem Film stieß ich wirklich an meine Grenzen.<br />
Ich konnte keine Szene am Stück drehen, alles musste in Mini-Häppchen entstehen, die erst ganz am<br />
Schluss irgendwie zusammengepuzzelt wurden. Ein Albtraum! Meine Laune war sehr, sehr schlecht. Dabei<br />
ist Lewis Carrolls Geschichte einfach wunderbar, so simpel wie fantasiereich. Eigentlich eine Coming-of-<br />
Age-Geschichte eines Mädchens, das sich auf eine Reise begibt, um sich selbst zu finden. Träume und Fantasie als Gegenmittel,<br />
um mit der Realität fertigzuwerden.<br />
Ist Fantasie mächtiger als Realität?<br />
Eigentlich sind sie dasselbe. Denken Sie an die Nachrichten: Viele Meldungen sind surrealer als manche Märchengeschichten<br />
– und Märchen und Mythen enthalten eigentlich immer emotionale Wahrheiten. Oftmals ist die Realität viel klaustrophobischer<br />
als irgendwelche Fantasiegebilde. Zumindest in meiner Wahrnehmung der Welt.<br />
Welcher Ort ist den der fantastischste in der realen Welt?<br />
Los Angeles! Eine Stadt ohne Jahreszeiten, ohne Wetter. Es gibt kaum echtes Leben dort. Eigentlich ist die Stadt unerträglich.<br />
Deswegen lebe ich ja auch in England, so weit weg von Hollywood und Burbank wie möglich.<br />
Wie erklären Sie sich, dass Hollywood Ihnen all die Freiheiten lässt, die Sie für sich beanspruchen?<br />
Weil es Hollywood eigentlich gar nicht gibt. Es gibt einen Ortsteil, der so heißt, und ein paar Studios, die sich darauf berufen.<br />
Aber zurück zu Ihrer Frage: Der Grund, warum ich machen darf, was ich mache, ist ziemlich banal – ich kann nicht anders.<br />
Das ist wie bei meinem Zeichenstil: entweder so oder gar nicht.<br />
Ihre Frau Helena Bonham Carter verriet in einem Gespräch, das Daniel Radcliffe für „<strong>Interview</strong>“ mit ihr führte,<br />
dass Sie in getrennten Häusern leben. Wie muss man sich das vorstellen?<br />
Mann, das klingt schrecklich, wenn man es so sagt. Helena hätte das nicht erzählen dürfen. Es ist so: Wir wohnen in zwei<br />
Häusern, die nebeneinander stehen und miteinander verbunden sind. Wir haben einfach sehr unterschiedliche Geschmäcker<br />
…<br />
… Sie wohnen in der Batcave, der düsteren Höhle von Batman …<br />
… mit all meinen Spielzeugen, Puppen und Büchern. Und Helena wohnt drüben in ihrer beschaulichen Laura-Ashley-Blümchenwelt<br />
(lacht). Das funktioniert wirklich hervorragend. Ich weiß gar nicht, warum das andere Paare nicht auch so machen.<br />
153
Auch<br />
IT-GIRLS<br />
werden<br />
ÄLTER<br />
FOTOS<br />
MAXIME BALLESTEROS<br />
Sie kommt dem, was man ein<br />
It-Girl nennt, in Berlin<br />
ziemlich nahe. Nur folgerichtig,<br />
dass Shermine Shahrivar<br />
ihren Geburtstag mit lebendiger<br />
Würgeschlange feierte<br />
Terry Richardson<br />
PARTY<br />
Pharrell Williams und<br />
Helen Lasichanh<br />
Neonbotschaft<br />
von Tracey Emin<br />
Partycity<br />
ART BASEL<br />
MIAMI BEACH<br />
FOTOS<br />
HADLEY HUDSON<br />
Ist es nun die beste Party<br />
an der East Coast südlich<br />
von New York – oder die<br />
meistüberschätzte Kunstmesse<br />
der Welt? Hat Tom Wolfe<br />
recht, wenn er die Art Basel<br />
Miami Beach als eine Art<br />
Springbreak-Event für<br />
Superreiche beschreibt?<br />
Ganz klar: ja. Und nein.<br />
Hannah Bhuiya<br />
Paz de la Huerta<br />
Yung Hee Kim
PARTY<br />
PARTY<br />
Barkeeper im Heart-Club<br />
FOTOS<br />
KARL ANTON KOENIGS<br />
SABINE BRAUER<br />
INTERVIEW-<br />
PARTY,<br />
MÜNCHEN<br />
Konstantin Grcic, Joerg Koch,<br />
Clemens Weisshaar<br />
Alexa Agnelli DJ Nino Schmidbauer Minzi zu Hohenlohe Nancy <strong>Die</strong>trich<br />
Oliver Berben, Katrin Kraus<br />
Jörg Bernicken und Begleitung<br />
Natascha Grün, Bernd Runge, Marie Bäumer<br />
In den Heart-Club lud <strong>Interview</strong> zur<br />
Party, um die Dezemberausgabe mit<br />
Kate Moss und Naomi Campbell auf<br />
dem Cover zu feiern. <strong>Die</strong> Stimmung<br />
war erfreulich münchnerisch: heiter<br />
bis hysterisch und irgendwann wurde<br />
einfach getanzt. Unterstützt wurde<br />
die Party von Moët & Chandon,<br />
Belvedere Vodka und Range Rover<br />
Blanca Bernheimer<br />
DJ Nikias Hofmann<br />
156<br />
Albe Hamiti<br />
Eingang mit dem Dezember-Cover in XXL<br />
Girls Estée Lauder Companies
PARTY<br />
NUR<br />
Philipp Wolff, Andrea Schöller<br />
PROBE-<br />
ABONNEMENT<br />
20€*<br />
33% gespart!<br />
*5 AUSGABEN<br />
Michi Braade, Holger Schmidt<br />
Rüdiger Glatz, Marie Bäumer<br />
Range Rover vor dem Heart-Club<br />
Andrej Henkler und Begleitung<br />
Inga Ganjon,<br />
Katja Bärenwald<br />
Papis Loveday, Natascha Grün<br />
IHR GESCHENK!<br />
KOPFHÖRER URBANEARS TANTO<br />
Als Tribut an die mobile Musikrevolution der 80er- Jahre sorgt bei Tanto<br />
neueste Technik für größte Mobilität ohne Kompromisse bei der Klang-<br />
wiedergabe. Der für den täglichen Gebrauch entworfene Kopfhörer<br />
entführt den Benutzer zurück in die Geburtszeit des Kopfhörers und<br />
zeigt gleichzeitig, was technisch mittlerweile machbar ist.<br />
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Anja Schwing, Bernd Runge<br />
Jens Schwing
PARTY<br />
Jannico Meyer<br />
Christophe Charon und<br />
Niki Pauls<br />
FOTOS<br />
MAXIME BALLESTEROS<br />
SUPREME<br />
BEI 032C,<br />
BERLIN<br />
Merle Winter<br />
Marie-Lois Abiol, Angelo Baque,<br />
Guillome „Gee“ Schmidt<br />
Bianca Richter und Klaudia Cloud<br />
RONAN & ERWAN BOUROULLEC . DIE VIERHÄNDIGE GESTALTUNG<br />
<strong>Die</strong> bretonischen Brüder Ronan (*1971) und Erwan (*1976) Bouroullec sind die „A&W-Designer des Jahres 2013“. Sie haben<br />
bereits in jungen Jahren ein bemerkenswertes Gesamtwerk geschaffen und viele ihrer Produkte sind schon heute Design-Ikonen.<br />
<strong>Die</strong> Brüder Bouroullec gelten als vierhändige Gestalter, da sie stets ihre Objekte gemeinsam in ihrem Pariser Atelier erarbeiten.<br />
<strong>Die</strong> Reportage über sie ist nachzulesen in der A&W-Ausgabe 1/2013 - jetzt im Zeitschriftenhandel!<br />
Franca Gelfort<br />
In der Vitrine waren Skateboards u.a. von<br />
Jeff Koons, Larry Clark und Damien Hirst<br />
ausgestellt. <strong>Die</strong> Künstler waren nicht<br />
anwesend, dafür Verleger, Musiker, Designer<br />
und Fans des New Yorker Labels Supreme.<br />
Auffallend: die hohe Dichte an<br />
Baseballkappen und Vollbärten<br />
Mode 2, Lukas Gansterer<br />
erlerskibbetoensmann.com<br />
Malakoff Kowalski, Helge Malchow<br />
Bilgen Coskun, Sampo Hänninen<br />
DJ Kaos
heRstelleRnachweiS<br />
Foto Robi RodRiguez<br />
Styling KlauS StocKhauSen<br />
Komplettlook bottega veneta<br />
FRühjahR/SommeR 2013<br />
Acne www.acnestudios.com<br />
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Allude www.allude-cashmere.com<br />
AMericAn AppArel www.americanapparel.net<br />
BAlenciAgA By nicolAs ghesQuière<br />
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BAlly www.bally.com<br />
BArBArA Bui www.barbarabui.com<br />
BernhArd WillhelM www.bernhard-willhelm.com<br />
BottegA VenetA www.bottegaveneta.com<br />
BulgAri www.bulgari.com<br />
BurBerry prorsuM www.burberry.com<br />
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cAlVin Klein collection www.calvinklein.com<br />
cAlVin Klein underWeAr www.cku.com<br />
cArtier www.cartier.de<br />
céline www.celine.com<br />
chAingAng www.chaingang.de<br />
chAnel www.chanel.com<br />
chloé www.chloe.com<br />
coMMe des gArçons www.comme-des-garcons.com<br />
dezso www.dezsosara.com<br />
diesel www.diesel.com<br />
dior www.dior.com<br />
dolce & gABBAnA www.dolcegabbana.de<br />
dries VAn noten www.driesvannoten.be<br />
dr. MArtens www.drmartens.com<br />
eMporio ArMAni www.armani.com<br />
FAlKe www.falke.com<br />
Fendi www.fendi.com<br />
FreeMAn t.porter www.freemantporter.com<br />
giorgio ArMAni www.armani.com<br />
giVenchy www.givenchy.com<br />
g-stAr rAW www.g-star.com<br />
gucci www.gucci.com<br />
herMès www.hermes.com<br />
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ricK oWens www.rickowens.eu<br />
roecKl www.roeckl.de<br />
sABrinA dehoFF www.sabrinadehoff.com<br />
sAint lAurent By hedi sliMAne www.ysl.com<br />
sAlVAtore FerrAgAMo www.ferragamo.com<br />
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162
Nastassja<br />
KINSKI<br />
Keine Frage: Sie ist die Tochter ihrer Eltern, eine<br />
echte Kinski. Mit all dem Wahn gerüstet, der dem<br />
Vater im Gesicht geschrieben stand. Ein Auszug<br />
aus dem Gespräch mit JODIE FOSTER, das vor<br />
30 Jahren in INTERVIEW erschien<br />
DIE NÄCHSTE AUSGABE<br />
VON INTERVIEW<br />
ERSCHEINT AM<br />
20. FEBRUAR 2013<br />
FLASHBACK, FEBRUAR 1983<br />
JODIE FOSTER: Dein Vater ist ein besonderer Mann.<br />
NASTASSJA KINSKI: Ich habe nie einen Mann wie<br />
meinen Vater getroffen. Er ist verrückt, furchtbar<br />
und gleichzeitig voller Leidenschaft. Ihm verdanke<br />
ich, dass ich nie etwas anderes als Leidenschaft<br />
kennen gelernt habe. Gefühle sind normal für mich.<br />
Ich beginne jetzt erst zu begreifen, dass das nicht der<br />
Regelfall auf dieser Welt ist.<br />
(…)<br />
FOSTER: Was magst du denn an dir selbst nicht?<br />
KINSKI: Hm, also … Ich finde es furchtbar, dass<br />
ich mich nie für einen Menschen entscheiden kann.<br />
Ich renne immer weg, fliehe.<br />
FOSTER: Du sprichst von Partnerschaften,<br />
Freundschaften, der Beziehung zu den Eltern?<br />
KINSKI: Von allen Beziehungen. Immer dann,<br />
wenn Gefühle im Spiel sind. Manchmal sage ich<br />
Dinge zu Leuten, die ich auch so meine, und vergesse<br />
später, dass ich überhaupt mit der Person geredet<br />
habe. Was wie gesagt nicht heißen soll, dass ich die<br />
Dinge nicht so gemeint habe!<br />
FOSTER:<br />
Wie meinst du das?<br />
KINSKI:<br />
Man sagt Nettes, um sich nett zu fühlen.<br />
FOSTER:<br />
Rührt das aus einer Sehnsucht her nach<br />
dem Gefühl, geliebt zu werden? Zu lieben?<br />
KINSKI:<br />
Ich denke schon, dass ich immer lieben<br />
will. Dabei kann ich in Wirklichkeit nur meine Mutter<br />
lieben. Alle anderen stehen nur im Weg. Ich habe<br />
zwar meinen Vater sehr geliebt, als ich ein Kind war,<br />
heute habe ich kaum Kontakt zu ihm. Ich fürchte<br />
mich wirklich davor, allzu viele Charakter ei genschaften<br />
von ihm geerbt zu haben. Ich wünschte, es<br />
wäre nicht so! Als sich meine Eltern scheiden ließen,<br />
schrieb er zwei Jahre lang Briefe an uns. Darin stand:<br />
„Nur weil wir geschieden sind, heißt das nicht, dass<br />
ich dich nicht liebe.“ Solche Sachen halt. Dabei hatte<br />
meine Mutter ein gutes Verhältnis zu ihm und der<br />
neuen Frau. Und dann? Funkstille! Keine Briefe.<br />
Keine Anrufe. Nichts. Auf einen Schlag. Als hätte<br />
er nie eine Tochter gehabt.<br />
(…)<br />
FOSTER: Du magst Romy Schneider, oder?<br />
KINSKI: Ja, für mich ist sie die ultimative Frau.<br />
Sie ist Schmerz, Stärke, Schönheit, Magie, Einsamkeit,<br />
Leidenschaft, einfach alles.<br />
FOSTER: Meinst du, dass auch in dir diese Art<br />
von Einsamkeit und Schmerz steckt?<br />
KINSKI: Manchmal wünschte ich, ich hätte bes-<br />
sere Anlässe für Schmerz. Stattdessen leide ich,<br />
weil ich nicht wirklich leide, verstehst du?<br />
FOSTER: Was ist mit deinen Beziehungen zu<br />
Männern? Leidest du an ihnen?<br />
KINSKI: Manchmal gibt es die eine oder andere<br />
Person, wegen der ich weine. Du weißt, diese kleineren<br />
Zusammenbrüche, die wir alle haben.<br />
FOSTER: Dass du dich mehr zu älteren Män-<br />
nern hingezogen fühlst, hat mich immer überrascht.<br />
Wenn man jemanden sucht, der einfühlsam<br />
ist, romantisch, voller Energie und intensiv,<br />
dann ist man doch mit jemandem, der all das noch<br />
nicht kennt, viel besser bedient.<br />
KINSKI: Es gibt einen großen Unterschied<br />
zwischen jüngeren und älteren Männern. Ältere<br />
haben die meisten Dinge schon einmal durchgemacht.<br />
Für sie ist man wie ein Auto, von dem<br />
sie Benzin stehlen. Deswegen ist es so toll, mit<br />
jemandem Dinge zu erleben, die für beide Beteiligten<br />
neu sind. Ältere Männer denken: Das<br />
habe ich schon 20-mal gemacht. Ich könnte es<br />
allerdings noch mal machen.<br />
Fotos: Jean Pagliuso für <strong>Interview</strong> Magazine, Februar 1983<br />
YOKO ONO, WALKING ON THIN ICE, VIDEO STILL, 1981, © YOKO ONO<br />
YOKO ONO, WALKING ON THIN ICE, VIDEO STILL, 1981, © YOKO ONO<br />
YOKO ONO, WALKING ON THIN ICE, VIDEO STILL, 1981, © YOKO ONO<br />
YOKO ONO<br />
HALF-A-WIND SHOW<br />
EINE RETROSPEKTIVE<br />
15. FEB. – 12. MAI 2013<br />
<strong>Interview</strong>- Cover, Februar 1983<br />
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