Interview Heidi! (Vorschau)
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INHALT<br />
MÄRZ 2013<br />
START<br />
SMALL TALK<br />
Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />
RYAN McGINLEY, DAPHNE GUINNESS, NORA<br />
TSCHIRNER, KERRY WASHINGTON & JAMIE FOXX<br />
Seite 43<br />
Foto GIAMPAOLO SGURA<br />
Styling KLAUS STOCKHAUSEN<br />
Komplettlook mit Accessoires & Schmuck<br />
GIORGIO ARMANI FRÜHJAHR/SOMMER 2013<br />
ITALIENISCHER EXPRESSIONISMUS:<br />
ARMANI SOMMER 2013<br />
SUPERSTARS<br />
Auf dem Weg nach vorn: Die Schauspielerin MARIA EHRICH<br />
& der Künstler ARTIE VIERKANT<br />
Seite 46<br />
NAOMI CAMPBELL<br />
trifft die Schauspielerin CAMERON DIAZ<br />
Seite 50<br />
WOW!<br />
Schöne Dinge, komplizierte Uhren, Antonio Lopez und die zwei<br />
meistbeschäftigten Models der Saison – die Gebrauchs anweisung<br />
für den März<br />
Seite 54<br />
JEANS<br />
Blaues tragen wie die Supermodels in den Neunzigern<br />
Seite 64<br />
HELENE HEGEMANN<br />
CLASSICS: Die Kolumne über das, was bleibt<br />
Seite 68<br />
DIE PANZERKNACKERINNEN<br />
Nachts im KaDeWe: Neue Mode als Comic<br />
Seite 75<br />
JOHN IRVING<br />
Eine Zugfahrt mit dem großen amerikanischen Literaten<br />
Seite 78<br />
NOW!<br />
Neue Musik, gute Filme, interessante Ausstellungen und die<br />
Formel Beyoncé Knowles<br />
Seite 82<br />
<strong>Heidi</strong> Klum<br />
Foto RANKIN<br />
Styling MARYAM MALAKPOUR<br />
Haare MICHEL ALEMAN/<br />
BRYAN BANTRY<br />
Make-up LINDA HAY/WALL GROUP<br />
MIT PRODUKTEN VON ASTOR<br />
Body JEREMY SCOTT<br />
Strumpfhose WOLFORD<br />
27<br />
BEAUTY<br />
NEWS:<br />
Make-up, Düfte, Beauty-Beichten<br />
Seite 84<br />
KOLUMNE:<br />
Basisarbeit für die Haut<br />
Seite 86<br />
INSPIRATION:<br />
Back to BLACK<br />
Seite 87
STORIES<br />
inhalt<br />
Illustration: Grace Coddington, Grace. A Memoir/Random House<br />
HEIdI Klum<br />
Am 29. April 1992 schrieb ein Moderator Fernsehgeschichte:<br />
Thomas Gottschalk kürte aus 25 000 Mädchen das „Model 92“.<br />
20 Jahre später baten wir den blonden Entertainer,<br />
seine größte Entdeckung noch einmal zu treffen<br />
Von THOMAS GOTTSCHALK<br />
Seite 92<br />
AGYNESS dEYN<br />
Von den Laufstegen in Paris auf die Boulevards von Hollywood:<br />
In ihrem neuen Film spielt das Exmodel eine Stripperin<br />
Von DAVID AMSDEN<br />
Seite 104<br />
KENNETH ANGER<br />
Seine Filme beeinflussten Generationen von Regisseuren und<br />
Künstlern. Bekannt wurde der Avantgarde-Regisseur jedoch erst<br />
mit seinem Skandalbestseller Hollywood Babylon. In den<br />
Neben rollen: Tom Cruise, Charles Manson und der Leibhaftige<br />
Von JÖRG HARLAN ROHLEDER<br />
Seite 110<br />
lENA duNHAm<br />
Sex? Peinlich bis normal. Aussehen? Unterdurchschnittlich<br />
bis okay. Mit ihrer Serie Girls wurde die 26-jährige Amerikanerin<br />
zur Stimme einer neuen Frauengeneration<br />
Von MIRANDA JULY<br />
Seite 116<br />
GRACE COddINGTON<br />
Der Teufel trägt vielleicht Prada, doch Grace Coddington<br />
ist die Seele der amerikanischen Vogue.<br />
Ein Gespräch mit der einzigen Frau, die keine Schnappatmung<br />
bekommt, wenn Anna Wintour den Raum betritt<br />
Von NICOLAS GHESQUIÈRE<br />
Seite 124<br />
ARmANI<br />
Ein leicht verhangener Blick auf die aktuelle Kollektion<br />
des Großmeisters italienischer Eleganz<br />
Fotografiert von GIAMPAOLO SGURA<br />
Seite 132<br />
OSKAR ROEHlER<br />
Provinzflüchtling, Punk, Regisseur: Die Filme dieses Mannes<br />
sind das Gegengift zur neuen deutschen Volkskomödie<br />
Von LAURA EWERT<br />
Seite 140<br />
FASHION I<br />
Der letzte Tango<br />
Fotografiert von HORST DIEKGERDES<br />
Seite 146<br />
JOAQuIN PHOENIX<br />
Die Dokumentation I’m Still Here war der goldene Airbag für die<br />
implodierte Karriere des amerikanischen Schauspielers.<br />
Seine neue Rolle ist nicht weniger exzentrisch: The Master erzählt<br />
lose das Leben des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard<br />
Von ELVIS MITCHELL<br />
Seite 158<br />
FASHION II<br />
Haute Couture Frühjahr/Sommer 2013<br />
Fotografiert von MARKUS JANS<br />
Seite 164<br />
Foto rankin, styling MaryaM MalakPoUr,<br />
Make-up linda hay/Wall groUP Mit ProdUkten Von astor<br />
haare Michel aleMan/bryan bantry<br />
kleid t by alexander Wang, Jacke kenzo,<br />
strumpfhose WolFord, kette & armband (rechts oben)<br />
delFina delettrez, armband (rechts unten) a Peace treaty,<br />
Manschette (links) Maiyet, schuhe gUcci<br />
Fashion Police: anna WintoUr,<br />
Marc Jacobs & grace coddington<br />
29<br />
Uns heidi,<br />
los angeles, 2013<br />
PS<br />
KuRzGESCHICHTE<br />
Die öffentliche Ordnung<br />
Von OLGA GRJASNOWA<br />
Seite 176<br />
PARTY<br />
Fashion Week Berlin,<br />
backstage bei Hugo Boss,<br />
Pret a Diner<br />
Seite 178<br />
FlASHBACK<br />
London swingt, Twiggy tanzt<br />
Seite 186<br />
editoriAl s. 33<br />
iMPressUM s. 36<br />
MitArbeiter s. 40<br />
AbonneMent s. 181<br />
herstellernachWeis s. 184
editoriAl<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
anlässlich unserer Modeausgabe<br />
zur neuen Saison hier nun die ewigen<br />
Weisheiten von MADONNA.<br />
Dress You Up, leicht modifiziert:<br />
You’ve got style, that’s what people say<br />
Satin sheets and luxuries so fine<br />
All your suits are custom made in London<br />
But we’ve got something that you’ll really like<br />
Gonna dress you up in our love<br />
All over, all over<br />
We gonna dress you up with love<br />
All over your body<br />
Feel the silky touch of the caresses<br />
They will keep you looking so brand new<br />
Let’s cover you with velvet kisses<br />
We’ll create a look that’s made for you<br />
Gonna dress you up in our love, in love<br />
All over your body, all over your body<br />
with love<br />
All over, all over<br />
From your head down to your toes<br />
Foto: Oliver Helbig<br />
Herzlichst<br />
Ihr Joerg Koch<br />
33
ITALSERVICES S.p.A. www.cycleonweb.com<br />
ITALSERVICES S.p.A. www.cycleonweb.com
Editor in Chief Joerg Koch<br />
HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940<br />
Executive Editors Jörg harlan RohledeR, Adriano SAcK<br />
Art Director Mike MeiRé<br />
Fashion Director Klaus StocKhAuSen<br />
Photography Director Frank Seidlitz<br />
Redaktion<br />
Editors laura eweRt, harald PeteRS, Beauty Editor Bettina BRenn<br />
Assistant Photography dorothea FiedleR, Assistant Fashion caroline leMBlé<br />
Assistant Redaktion Rebecca hoFFMAnn, Praktikant Fashion Adrian FeKete<br />
digital<br />
Editor nina Scholz<br />
International Editor Aliona doletSKAyA<br />
International Editor at Large naomi cAMPBell<br />
Art<br />
tim GieSen<br />
hannes AechteR, Agnes GRüB<br />
Managing Editor und Chef vom Dienst Silke Menzel<br />
Textchefin elisabeth SchMidt<br />
Schlussredaktion ulrike MAtteRn, Ralph SchünGel<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe<br />
david AMSden, Bendix BAueR, heike BlüMneR, Katharina BÖhM, ludger BooMS,<br />
Jan BRAndt, Gro cuRtiS, nicolas GheSquièRe, thomas GottSchAlK,<br />
olga GRJASnowA, Sönke hAllMAnn, helene heGeMAnn,<br />
Miranda July, Setsuko KloSSowSKA de RolA, Maryam MAlAKPouR,<br />
elvis Mitchell, ingo nAhRwold, niki PAulS, elin SvAhn,<br />
Karl teMPleR, christina vAciRcA, Patti wilSon<br />
Fotografen dieser Ausgabe<br />
Maxime BAlleSteRoS, dAniele + iAnGo, Amanda deMMe,<br />
horst dieKGeRdeS, christian FeRRetti, Amos FRicKe, Gregory hARRiS, Markus JAnS,<br />
Bella lieBeRBeRG, Jonas lindStRÖM, Michael MAnn, craig McdeAn,<br />
Stefan Milev, RAnKin, Giampaolo SGuRA, Alexander StRAulino<br />
Produktion<br />
Lithografie MAx-coloR, wrangelstraße 64, 10997 Berlin<br />
Druck Mohn MediA MohndRucK GMBh, carl-Bertelsmann-Straße 161 M, 33311 Gütersloh<br />
Manufacturing Director oleg noviKov<br />
verantwortlich für den redaktionellen inhalt<br />
Joerg Koch<br />
Board of directors interview Publishing house Germany<br />
vladislav doRonin, Bernd RunGe<br />
BMP Media holdings, llc<br />
Chairman Peter M. BRAnt<br />
www.iNterview.De<br />
36<br />
SHOP ONLINE HUGOBOSS.COM
Herausgeber und Geschäftsführer Bernd Runge<br />
Publishing Director Anja Schwing<br />
Anzeigen<br />
Sales Director (Nielsen I, II, IIIa, V, VI, VII) iris gRäBneR<br />
Tel.: 030/2000 89-120, iris.graebner@atelier-publications.de<br />
Sales Director (Nielsen II, IIIb, IV, Österreich) Tanja SchRADeR<br />
Tel.: 089/35 63 77 44, tanja.schrader@atelier-publications.de<br />
Frankreich Valérie DeSchAMPS-wRighT<br />
escalier D, 2 étage gauche, 25–27 rue Danielle casanova, 75001 Paris<br />
Tel.: 00 33/6/04 65 26 51, valerie.deschamps-wright@interviewint.com<br />
Italien Fabio MonToBBio<br />
Rock Media, Largo cairoli, 2, 20121 Mailand<br />
Tel.: 00 39/02/78 26 08, info@rockmedia.it<br />
Advertising Service Manager Jacqueline ZioB (Ltg.), Susann BuchRoTh<br />
Tel.: 030/2000 89-121, jacqueline.ziob@atelier-publications.de<br />
Director of Marketing & Communications Stephanie FReSLe<br />
Project Manager Marketing & Special Projects charlotte wieDeMAnn<br />
Project Manager Sales wilkin SchRÖDeR, Interns eva BAuReiS, Kara woLF<br />
Assistenz Rafael hAyMAnn, Tel.: 030/2000 89-122,<br />
Kathleen MASSieReR, Tel.: 030/2000 89-165<br />
Cagol Fashion Company Düsseldorf, t. +49 211 458 22 00 * www.blumarine.com<br />
IT Manager Patrick hARTwig<br />
Office Manager hilko RenTeL<br />
Verantwortlich für Anzeigen<br />
Atelier Publications Deutschland gmbh & co. Kg<br />
Mommsenstraße 57, 10629 Berlin<br />
Tel.: 030/2000 89-0, Fax: 030/2000 89-112<br />
Geschäftsführer Anja Schwing<br />
Vertrieb<br />
Pressup gmbh, Postfach 701311, 22013 hamburg<br />
vertrieb@pressup.de<br />
einzelheftbestellungen<br />
Preise, Verfügbarkeit und Bestellungen unter www.interview.de/einzelheft,<br />
bei weiteren Fragen Tel.: 030/2000 89-164<br />
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abo@interview.de, Tel.: 0 40/41 448-480<br />
interview erscheint zehnmal im Jahr in der interview Ph gmbh.<br />
Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste vom 1. Januar 2013.<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird<br />
keine haftung übernommen.<br />
Andy warhol’s interview (TM). All rights reserved.<br />
interview germany is published under a sublicense from LLc Publishing house interview;<br />
interview is a registered trademark of interview inc.<br />
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without prior written permission is prohibited.<br />
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38
MITARBEITER<br />
Thomas GOTTSCHALK<br />
„Mein Name ist Thomas Rottschalk, ich möchte zu<br />
meinem Bruder Gregor“, meldet ein Schlaks auf Klassenfahrt<br />
dem Pförtner des Radiosenders RIAS. Minuten<br />
später steht der sehr junge Thomas Gottschalk<br />
einem staunenden Starmoderator Gregor Rottschalk<br />
im Studio gegenüber. Wie Millionen andere Menschen<br />
nach ihm muss der echte Rottschalk über die<br />
Chuzpe von Gottschalk einfach nur lachen. Der Rest<br />
ist Geschichte. Dass Thomas Gottschalk, 62, in dieser<br />
Ausgabe das Gespräch mit der anderen berühmtesten<br />
Blondine Deutschlands, <strong>Heidi</strong> Klum, führt, ist kein<br />
Zufall. 1992 orakelte Thomas Gottschalk das Model<br />
mit einem „Dein Leben wird sich jetzt beträchtlich<br />
verändern“ von der Bühne, nachdem die 19-Jährige<br />
gerade den Modelwettbewerb der Sendung Gottschalk<br />
Late Night gewonnen hatte. Deshalb ist niemand besser<br />
geeignet, um in Los Angeles bei <strong>Heidi</strong> Klum nach<br />
einem turbulenten Jahr den aktuellen Stand der Dinge<br />
zu erfragen.<br />
Seite 92<br />
Nicolas GHESQUIÈRE<br />
Für Nicolas Ghesquière ist Grace Coddington, die<br />
Kreativdirektorin der amerikanischen Vogue, das Beste,<br />
was einem Designer passieren kann. „Eine respektvollere<br />
Zusammenarbeit kann man sich eigentlich gar<br />
nicht vorstellen“, sagt der Modeschöpfer, der Coddington<br />
in Paris im Rahmen der Fashion Week gesprochen<br />
hat. Ghesquière spricht aus eigener Erfahrung.<br />
Beide hatten bereits oft miteinander zu tun,<br />
unter anderem bei der Arbeit an einer Taschen- und<br />
Schalkollektion, die nach Grace Coddingtons Katze<br />
benannt war und folglich den Namen Pumpkin, also<br />
Kürbis, trug. „Es geht ihr dabei nicht nur um die Geschichte“,<br />
sagt Ghesquière, „sie interessiert sich auch<br />
für das Design und den Herstellungsprozess.“ Anderthalb<br />
Jahrzehnte war Ghesquière der gefeierte Kreativdirektor<br />
von Balenciaga. Zurzeit wartet die Modewelt<br />
auf seinen nächsten Karriereschritt.<br />
Seite 124<br />
Miranda JULY<br />
Filmemacherin, Schauspielerin, Künstlerin, Musikerin,<br />
Schriftstellerin, Feministin, Modeliebhaberin,<br />
Sockenmodel und rundherum aparte Erscheinung.<br />
Die Amerikanerin Miranda July, die auch mal ganz<br />
kurz in Berlin-Kreuzberg wohnte, ist 1974 geboren<br />
und sozusagen ein Allroundtalent. Eine ihrer letzten<br />
Großtaten war der Film The Future, der die problematische<br />
Geschichte eines Liebespaares vor dem<br />
Hintergrund einer sprechenden Katze erzählt, die mit<br />
dem Tod kämpft. Für <strong>Interview</strong> hat sich July mit der<br />
ebenfalls vielseitigen Regisseurin, Schauspielerin und<br />
Autorin Lena Dunham unterhalten, seit dem durchschlagenden<br />
Erfolg ihrer Serie Girls dem unwahrscheinlichsten<br />
Darling unserer Zeit.<br />
Seite 116<br />
vtwob.com<br />
RANKIN<br />
Es ist nicht möglich, die Arbeit des Fotografen Rankin,<br />
46, zu beschreiben, ohne dass es wie ein angeberischer<br />
Wikipedia-Eintrag klingt: Nach seinem Studium<br />
in London gründete er 1991 zusammen mit<br />
Jefferson Hack das Magazin Dazed & Confused. Er ist<br />
Herausgeber von Another Magazine und außerdem<br />
seines eigenen Fashion-Magazins Rank. Das hält ihn<br />
natürlich nicht davon ab, auch noch die schönsten<br />
und berühmtesten Menschen der Welt zu fotografieren,<br />
von Kate Moss über Damien Hirst, Queen Elizabeth,<br />
Madonna, David Bowie bis Cate Blanchett,<br />
um nur einige zu nennen. Für uns fotografierte er in<br />
dieser Ausgabe <strong>Heidi</strong> Klum, die seine Bilder so sehr<br />
liebt, dass sie sich mit ihm schon in ihrem Coffee-<br />
Table-Buch <strong>Heidi</strong>licious verewigt hat.<br />
Seite 92<br />
Olga GRJASNOWA<br />
Mit ihrem Debütroman Der Russe ist einer, der Birken<br />
liebt war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert,<br />
für uns schrieb sie jetzt exklusiv eine Kurzgeschichte.<br />
Grjasnowa ist 1984 in Aserbaidschan geboren, studierte<br />
in Polen, Russland und Israel, besuchte das Literaturinstitut<br />
in Leipzig, mag Bernhardiner-Hunde<br />
und sagt, sie habe eine langweilige Biografie. Ihr<br />
schriftstellerisches Werk zumindest kann nicht als<br />
langweilig bezeichnet werden.<br />
Seite 176<br />
Bendix BAUER<br />
Er kam in München zur Welt, wuchs in St. Peter-<br />
Ording auf, studierte in Hamburg und lebt heute in<br />
Berlin. Der Illustrator Bendix Bauer, Jahrgang 1972,<br />
war sozusagen an allen gesellschaftlichen Knotenpunkten<br />
des Landes aktiv. Hinsichtlich seiner Arbeit ist<br />
Bendix ähnlich breit aufgestellt. Ob nun Mode, Werbung<br />
und Magazine oder Zeichnung, Scherenschnitt<br />
oder Drucke. Neben dem Comic über modebewusste<br />
Kaufhausräuberinnen, das er exklusiv für <strong>Interview</strong> gezeichnet<br />
hat, nennt er die Tom Of Sinland-Reihe für das<br />
Horst-Magazin als einen Höhepunkt seines Schaffens.<br />
Dafür hat er Modemacher als nackig-muskulöse Pornokerls<br />
gezeichnet. Jean Paul Gaultier fand sich derart<br />
gut getroffen, dass er sein Porträt prompt kaufte.<br />
Seite 75<br />
Fotos: Michael Kovac/Getty Images; Getty Images; David Livingston/Getty Images; René Fietzek; Oliver Mark<br />
Yvonne Catterfeld<br />
for<br />
semi-couture.it<br />
40
henrycottons.it<br />
Spring / Summer 2013<br />
pEopLE<br />
SmallTaLK<br />
Kleine Gespräche mit großen Leuten:<br />
Ryan McGINLEY, Daphne GUINNESS, Nora TSCHIRNER,<br />
Kerry waSHINGToN & Jamie foxx<br />
„tRäuMen<br />
leMuRen<br />
von<br />
eineR ModelkaRRieRe?”<br />
Der Künstler RYaN<br />
McGINLEY erklärt,<br />
warum Tiere Menschen<br />
interessanter machen<br />
a<br />
at the<br />
HolIDaY Il PellIcano DIaRY<br />
Monte argentario<br />
Porto ercole<br />
Italy<br />
Foto: Ryan McGinley, Lemur (Carolina Blue), 2012, c-print, 24 x 16 inches, 61 x 40.6 cm, courtesy of the artist and Team Gallery, New York<br />
Je unheiMlicheR, desto besseR:<br />
Lemur (CaroLina BLue) aus deR seRie animaLs<br />
43<br />
Foto Ryan McGinley<br />
inteRview: Ich würde gern mit Ihnen über Tiere reden.<br />
Betreiben Sie eigentlich immer noch Ihre Party<br />
Beast in dem New Yorker Restaurant Broadway East?<br />
Ryan McGinley: Ach, waren Sie mal da?<br />
inteRview: Ziemlich oft. Ich wohnte eine Zeit lang<br />
um die Ecke.<br />
McGinley: Das freut mich zu hören. Mochten Sie<br />
die Party?<br />
inteRview: Na ja. Ich war nie ein großer Fan des Ladens.<br />
Komische Architektur und schlechtes Essen.<br />
Aber bei den Beast-Partys waren so angenehm viele<br />
Kunststudenten. Außerdem wohnte Terence Koh um<br />
die Ecke und kam oft im Pelzmantel vorbei – und ich<br />
konnte zu Fuß nach Hause gehen. Also ja.<br />
McGinley: Wir haben irgendwann damit aufgehört.<br />
Eigentlich wollten wir nur eine Party für Freunde<br />
machen, aber irgendwann wurde das wie ein zweiter<br />
Job.<br />
inteRview: Wie heißt das Pferd auf dem Foto, das Sie<br />
für die Mercedes-Benz Fashion Week gemacht haben?<br />
Und warum musste es ein weißer Hengst sein?<br />
McGinley: Der Hengst heißt Ice. Es ist ein Andalusier.<br />
Ich fand, dass der die Dynamik und Kraft der<br />
Marke verkörpert. Und die Eleganz der Mode. Oder<br />
umgekehrt.<br />
inteRview: Wie haben Sie ihn dazu gebracht, mit<br />
den Vorderfüßen in die Luft zu steigen?<br />
McGinley: Gar nicht. Dafür gab es einen Fachmann.<br />
inteRview: Auf dem Bild sieht man das Supermodel<br />
Karlie Kloss, einen Mercedes CLA und das Pferd.<br />
Aus wie vielen Fotos ist das Bild komponiert?<br />
McGinley: Oh, das ist tatsächlich nur ein einziges<br />
Foto.<br />
inteRview: Sind Sie selbst ein guter Reiter?<br />
McGinley: Nein. Habe ich auch noch nie versucht.<br />
inteRview: Mit welchen anderen Tieren, echten<br />
oder erfundenen, sind Sie aufgewachsen?
PEOPLE/SmallTALK<br />
K<br />
RYAN McGINLEY (O.), KARLIE KLOSS,<br />
MERCEDES-BENZ CLA UND ANDALUSIERHENGST ICE<br />
McGINLEY: Ich hatte leider gar keine Tiere, als ich<br />
ein Kind war. Vor einiger Zeit ist mir eine Katze zugelaufen.<br />
Die lebt jetzt bei mir.<br />
INTERVIEW: Sie haben vergangenes Jahr eine Serie<br />
gezeigt, die Animals heißt. Darunter sind wunderschöne<br />
Bilder wie das nackte Mädchen mit dem Kojoten<br />
über den Schultern, aber auch etwas unheimliche<br />
wie der Leguan, dessen fleischige Zunge das<br />
Gesicht eines liegenden Models erforscht. Wie haben<br />
Sie die Tiere ausgesucht?<br />
McGINLEY: Wir haben genommen, was wir gekriegt<br />
haben. Aber je seltsamer und unheimlicher die Tiere<br />
waren, desto lieber war es mir. Die Tieragenturen,<br />
mit denen ich gearbeitet habe, brachten häufig Arten<br />
mit, die ich gar nicht kannte. Diese Zufälle finde ich<br />
interessant.<br />
INTERVIEW: Sind Menschen dabei verletzt worden?<br />
McGINLEY: Nein. Schauen Sie sich die Bilder an:<br />
Genau da, wo das Foto aufhört, saß der Tiertrainer<br />
und hat aufgepasst, dass nichts passiert.<br />
INTERVIEW: Hm. Auf den Körpern der Menschen,<br />
die mit den Tieren posieren, sind viele Kratzer und<br />
Narben zu sehen …<br />
McGINLEY: Dafür können die Tiere nichts. Die<br />
Haut der Models war schon vorher so, und ich habe<br />
die Spuren bei der Nachbearbeitung verstärkt.<br />
INTERVIEW: Die Tiere auf den Fotos umarmen die<br />
Menschen, liegen auf ihnen oder scheinen in sie reinzukriechen.<br />
Lässt auch ein kleines Tier den Menschen<br />
schwach und verletzlich aussehen?<br />
McGINLEY: Genau. Und ich wollte, dass die nackten<br />
Körper wie Landschaften für die Tiere sind, die sie<br />
erkunden. Außerdem lässt ein kleiner Affe oder ein<br />
Pfau die Menschen anders vor der Kamera agieren.<br />
Sie sind gewissermaßen abgelenkt. Deswegen habe<br />
ich auch so oft Leute in der Natur fotografiert. Sie<br />
verstellen sich weniger, und man kommt der Wahrheit<br />
näher.<br />
INTERVIEW: Was also die Höhlen, in denen Sie viel<br />
fotografiert haben, für die Menschen waren, waren<br />
die Menschen für die Tiere?<br />
McGINLEY: Nicht ganz. Aber was stört, hilft.<br />
INTERVIEW: Merken Tiere, dass sie<br />
fotografiert werden?<br />
McGINLEY: Sie merken auf jeden<br />
Fall, dass sie in einer besonderen<br />
Situation sind. Ich glaube nicht,<br />
dass sie wirklich posieren.<br />
INTERVIEW: Ist ein Affe spürbar<br />
intelligenter als ein Pfau?<br />
McGINLEY: Oh ja. Die sind beängstigend<br />
schlau.<br />
INTERVIEW: Mit welchem Tier haben<br />
Sie am liebsten gearbeitet?<br />
McGINLEY: Mit dem kleinen Lemuren vor<br />
dem lila Hintergrund. Ein großer Komiker.<br />
INTERVIEW: Wie unterscheiden Sie zwischen<br />
Ihrer Kunst und kommerziellen Aufträgen?<br />
McGINLEY: Eigentlich gar nicht. Ich versuche,<br />
bei allen Projekten etwas zu lernen. Einer<br />
meiner Lieblingsfilme ist The Shining<br />
von Stanley Kubrick. Ganz am Anfang gibt<br />
es eine unglaubliche Kamerafahrt in den<br />
Bergen von Colorado. Bei dem Film, den ich<br />
für Mercedes gemacht habe, konnten wir<br />
auch mit einem Helikopter arbeiten. Wer<br />
weiß, wofür ich die Erfahrung noch mal brauchen kann.<br />
ge-<br />
<strong>Interview</strong> ADRIANO SACK<br />
RYAN McGINLEY WIRD<br />
VON DER TEAM GALLERY/NEW YORK<br />
REPRÄSENTIERT<br />
„SIND SIE<br />
LINKSTRÄGERIN?”<br />
Mode-Ikone DAPHNE<br />
GUINNESS über Jagen<br />
mit Adlern und ihre Liebe<br />
zu Uhren und Rüstungen<br />
INTERVIEW: Hallo, Daphne, wir haben uns zuletzt bei<br />
der Uhrenmesse in Genf gesehen. Wie war der Rückweg<br />
nach London?<br />
DAPHNE GUINNESS: Horror! Ich hatte Riesenprobleme<br />
an der Grenze, weil ich eine Uhr von Roger Dubuis<br />
dabei hatte. Die Schweizer lassen einen nicht raus,<br />
wenn man eine Uhr im Gepäck hat. Ausgerechnet!<br />
INTERVIEW: Sie sind die Markenbotschafterin für die<br />
Damenlinie „Velvet“ von Roger Dubuis. Wie kam es<br />
dazu?<br />
GUINNESS: Klingt jetzt vielleicht komisch, aber ich<br />
war schon immer ein Uhrenmensch. Als kleines<br />
Mädchen wollte ich unbedingt wissen, wie die funktionieren.<br />
Einer meiner Großonkel hatte die weltweit<br />
größte … oder jedenfalls eine sehr bedeutende Sammlung<br />
von Spieluhren und anderer Kleinmechanik.<br />
Die hat mich unendlich fasziniert. Als Roger Dubuis<br />
auf mich zukam, war meine erste Forderung: Ich will<br />
die Manufaktur sehen. Von A bis Z.<br />
INTERVIEW: Ach so. Ich dachte, es sei vielleicht das<br />
mittelalterliche Thema der „Excalibur“-Serie von<br />
Roger Dubuis gewesen.<br />
GUINNESS: Wo denken Sie hin? Allerdings interessiere<br />
ich mich sehr für Rüstungen.<br />
INTERVIEW: Vielleicht ist das naiv, aber<br />
man stellt sich vor, dass Sie in Häusern voller<br />
Rüstungen aufgewachsen sind …<br />
GUINNESS: Das war auch so. Die standen<br />
überall herum. Nicht unbedingt immer im<br />
besten Zustand, weil wir sie nicht alle fünf Minuten<br />
poliert haben. Ich habe schon mit meinem<br />
Analytiker darüber gesprochen: Persönlich<br />
mag ich es einfach, eine Schutzhülle<br />
zu haben. Deswegen habe ich mir auch<br />
eine Rüstung selbst gebaut. Gar nicht<br />
so einfach heutzutage – die Handwerker<br />
müssen Sie erst mal finden.<br />
INTERVIEW: Sie behaupten, dass<br />
Mode Sie nicht interessiert. Klingt<br />
komisch aus dem Mund einer sogenannten<br />
Mode-Ikone.<br />
GUINNESS: Ich glaube, dass Kleidung<br />
und Kostüme ein wichtiger<br />
Teil der menschlichen Zivilisation<br />
sind. Was ich nicht verstehe, ist die<br />
Modeindustrie, sind die Trends, die<br />
Zeitschriften. Modemagazine deprimieren<br />
mich. Ich habe ein Jahrzehnt<br />
verpasst, als meine drei Kinder da waren.<br />
Meine Weltsicht, was Mode betrifft,<br />
stammt aus den Siebzigern und<br />
Achtzigern. Da war es normal, sich<br />
selbst auszudrücken – als Punk oder<br />
Hippie oder Dragqueen oder alles gleichzeitig.<br />
Meine Erfahrung ist: Je extremer<br />
die Menschen aussehen, desto feinsinniger<br />
sind sie. Es sind die Menschen in<br />
Anzügen, vor denen man sich in Acht<br />
nehmen muss.<br />
INTERVIEW: Das American Psycho-Syndrom?<br />
GUINNESS: Ganz genau. Ich bin dazu übergegangen,<br />
einen Großteil meiner Garderobe selbst zu<br />
schneidern.<br />
INTERVIEW: Muss man sich selbst gut kennen, um für<br />
sich selbst zu entwerfen?<br />
GUINNESS: Man sollte seine Größe kennen.<br />
INTERVIEW: Bei unserem Abendessen in Genf flog<br />
ein Mietadler durch den Bankettsaal. Hatten Sie vor<br />
dem Angst?<br />
GUINNESS: Machen Sie Witze? Ich habe mit Adlern<br />
gejagt, ich hatte zwei Falken, ich habe mit Eulen gearbeitet.<br />
INTERVIEW: Haben Sie mit den Falken auch gejagt?<br />
GUINNESS: Nein. Meine Mutter hatte die gekauft,<br />
und die waren ein bisschen verwahrlost. Als ich endlich<br />
an die rankam, waren die untrainierbar. Mit den<br />
Adlern habe ich in Kasachstan gejagt. Das ist wahnsinnig<br />
anstrengend, weil man eine Eisenstange halten<br />
muss, auf denen die landen, und sie sind wirklich<br />
schwer. Das war aber unsere einzige Möglichkeit,<br />
etwas zu essen zu finden damals. Hatten Sie denn<br />
Angst vor dem Adler?<br />
INTERVIEW: Nicht direkt. Aber als man den Wind<br />
unter seinen Schwingen auf dem Gesicht spürte, war<br />
das sehr poetisch.<br />
GUINNESS: Das stimmt. Ich hätte mir gewünscht,<br />
dass er während des gesamten Abendessens über uns<br />
kreist, aber der war sehr wohlerzogen.<br />
INTERVIEW: Letzte Uhrenfrage: Sind Sie Links- oder<br />
Rechtsträgerin?<br />
GUINNESS: Beides. Ich habe Rechts-links-Schwierigkeiten.<br />
Beim Malen ist das sehr praktisch. Aber<br />
ich fahre nicht gern Auto. Ich habe immer das Gefühl,<br />
auf der falschen Spur zu sein.<br />
Fotos: Mercedes-Benz Fashion; Maxime Ballesteros; Wire Image/Getty Images; © 2013 Sony Pictures Releasing GmbH; Victoria Lindt/WENN.com<br />
INTERVIEW: Zuletzt: Worin genau besteht Ihre Arbeit<br />
bei der Isabella Blow Foundation?<br />
GUINNESS: Uns geht es darum, jungen Kreativen<br />
Stipendien bereitzustellen. Und die unglaubliche<br />
Kleidersammlung von Isabella zu erhalten und der<br />
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich habe dafür<br />
2012 meine eigene Sammlung bei Christie’s versteigern<br />
lassen. Natürlich wäre es mir lieber, wenn Isabella<br />
noch am Leben wäre, aber ich bin froh, dass wir<br />
mit dieser Arbeit vorankommen. Auch wenn ich auf<br />
keinen Fall die große Klagefrau meiner toten Freunde<br />
aus der Modewelt sein will.<br />
<strong>Interview</strong> ADRIANO SACK<br />
DAPHNE GUINNESS IST MARKENBOTSCHAFTERIN<br />
DER DAMENLINIE „VELVET” VON<br />
ROGER DUBUIS UND AKTIV<br />
BEI ISABELLABLOWFOUNDATION.COM<br />
„WAS IST<br />
DAS GRÖSSTE<br />
VORURTEIL<br />
ÜBER SIE?”<br />
NORA TSCHIRNER<br />
hat großen Respekt<br />
vor romantischen<br />
Komödien<br />
INTERVIEW: Wie oft sind Sie schon darauf angesprochen<br />
worden, dass Sie in Ihrem neuen Film blonde<br />
Haare haben?<br />
NORA TSCHIRNER: Wie? Was meinen Sie?!<br />
INTERVIEW: Verstehe. Wie gehen Sie mit Langeweile<br />
um?<br />
TSCHIRNER: Manchmal fange ich<br />
schon an, mir in <strong>Interview</strong>s Quatsch<br />
auszudenken. Wenn ich mit Christian<br />
Ulmen zusammensitze, ist es am<br />
schlimmsten. Dann stimmt kaum noch<br />
ein Wort. Das ist immer ganz schwer<br />
für die Presseleute.<br />
INTERVIEW: Ist man darauf nicht<br />
ein gestellt, wenn man Sie interviewt?<br />
TSCHIRNER: Das könnte man denken,<br />
aber es gibt einfach Leute<br />
ohne Humor.<br />
INTERVIEW: Wie war das, als<br />
Sie selbst noch <strong>Interview</strong>s<br />
geführt haben?<br />
TSCHIRNER: Gavin<br />
Ross dale fand mich<br />
scheiße, und das war<br />
so ziemlich das<br />
Letzte, was ich<br />
damals wollte. Ich<br />
hatte eigentlich<br />
gehofft, dass er<br />
nach unserem<br />
Gespräch<br />
denkt, er<br />
könne nie wieder ohne mich leben. Leider<br />
hatte ich irgendeine Fehlinformation<br />
und habe eine falsche Frage gestellt.<br />
Er hat ziemlich doof reagiert.<br />
INTERVIEW: Mittlerweile drehen Sie<br />
ohnehin lieber romantische Komödien.<br />
TSCHIRNER: Zumindest sind das die Filme,<br />
mit denen man mich am stärksten<br />
assoziiert, weil sie am breitesten vermarktet<br />
werden. Ich mache aber auch ganz andere<br />
Sachen, zum Beispiel synchronisiere<br />
ich Lara Croft. Trotzdem, ich liebe romantische<br />
Komödien und habe größten<br />
Respekt vor dem Genre.<br />
INTERVIEW: Da fällt mir ein, dass ich Ihnen<br />
unser neues Heft mitgebracht habe.<br />
TSCHIRNER: Wow, ist das Ryan Gosling<br />
auf dem Titelblatt?<br />
INTERVIEW: Das ist Matthias Schweighöfer,<br />
ihr Kollege oder Freund? Je<br />
nachdem, wie Sie ihn bezeichnen<br />
würden.<br />
TSCHIRNER: Wenn ich mir das so<br />
ansehe: als meinen zukünftigen<br />
Ehemann! Matze! Es ist ja schon<br />
immer etwas amüsant, jemanden,<br />
den man so gut kennt, plötzlich<br />
in einem völlig anderen<br />
Licht zu sehen.<br />
INTERVIEW: Sie sind nicht die Erste, die ihn zunächst<br />
für Ryan Gosling gehalten hat.<br />
TSCHIRNER: Ich glaube, es liegt an diesem typischen<br />
Ryan-Gosling-Beleuchtungsszenario. Es ist immer<br />
ein emotionaler Zugewinn, wenn dieser Mann irgendwo<br />
abgelichtet ist.<br />
INTERVIEW: Wohl wahr. Welches ist eigentlich das<br />
größte Vorurteil, das über Sie kursiert?<br />
TSCHIRNER: Hm. Ich wollte gerade sagen, dass ich<br />
arrogant sei. Aber das stimmt tatsächlich (lacht).<br />
<strong>Interview</strong> KATHARINA BÖHM<br />
NORA TSCHIRNER IST AB DEM 7. MÄRZ<br />
IN DEM FILM LIEBE UND<br />
ANDERE TURBULENZEN ZU SEHEN<br />
„HAT IHRE<br />
STUTE SCHON<br />
STARALLÜREN?”<br />
KERRY WASHINGTON<br />
und JAMIE FOXX<br />
drehten Django Unchained<br />
mit eigenem Pferd<br />
INTERVIEW: Nach Ray spielen Sie beide ein zweites<br />
Mal ein Ehepaar. Hat Ihnen das beim Dreh von<br />
Django Unchained geholfen?<br />
KERRY WASHINGTON: Ich würde sogar sagen, dass es<br />
überlebensnotwendig war. Quentins Darstellung der<br />
Sklaverei hat mich physisch und psychisch derart<br />
mitgenommen, dass ich Jamie noch bis zum Rest<br />
meines Lebens für seine Unterstützung danke.<br />
AMIE FOX<br />
KERRY WASHINGTON UND JAMIE FOXX<br />
INTERVIEW: Was<br />
wussten Sie über die<br />
Geschichte der Sklaverei?<br />
JAMIE FOXX: Mein Stiefvater<br />
war Geschichtslehrer. Seit ich<br />
14, 15 Jahre alt bin, hat er mir<br />
davon erzählt. Allein die<br />
Zahlen sprengen das Vorstellungsvermögen:<br />
80 Millionen Sklaven sind getötet<br />
worden, und das sind nur die, die dokumentiert<br />
worden sind.<br />
WASHINGTON: Man fragt sich: Wie stark muss eine<br />
schwarze Frau sein, um den Horror auf einer Plantage<br />
zu überleben?<br />
FOXX: Die Plantagenbesitzer sind nach Afrika gereist,<br />
haben sich 120 Sklaven ausgesucht und auf ein<br />
Schiff gepackt. Unendlich viele sind schon bei der<br />
Überfahrt gestorben. Wenn es 13 oder 14 schafften,<br />
wurde das als „gute Ernte“ angesehen. Alles, was die<br />
Schwarzen in Amerika gelernt haben, wurde Ihnen<br />
durch Schmerz beigebracht.<br />
INTERVIEW: Und wie sah es mit dem Schießen und<br />
Reiten aus?<br />
FOXX: Schießen ist mir leichtgefallen. Ich komme<br />
schließlich aus Texas. Vorm Reiten hatte ich Respekt.<br />
Ich kann zwar reiten, aber so selbstverständlich<br />
wie bei einem Cowboy sieht es bei mir natürlich<br />
nicht aus. Also habe ich Quentin gefragt, ob ich mein<br />
eigenes Pferd mitbringen kann.<br />
INTERVIEW: Sie haben ein Pferd?<br />
FOXX: 2008 ging es mir sehr schlecht, also habe ich<br />
mir ein Pferd gekauft. Von meinem Haus aus kann<br />
man bis zum Strand reiten. Ich bin einfach nur geritten.<br />
Jeden Tag.<br />
INTERVIEW: Wie heißt Ihr Pferd?<br />
FOXX: Cheetah. Sie ist ein Mädchen.<br />
INTERVIEW: Wie ist Cheetah mit den Explosionen<br />
beim Django-Dreh klargekommen?<br />
FOXX: Wir haben sie langsam dran gewöhnt. Erst<br />
haben wir kleine Sachen vor ihr in Brand gesteckt<br />
und haben uns dann langsam bis hin zu großen Explosionen<br />
gesteigert. Am Ende konnte sie nichts<br />
mehr erschrecken. Erinnern Sie sich an die Dressurkunststücke,<br />
die sie in der letzten Szene aufführt?<br />
INTERVIEW: Natürlich.<br />
FOXX: Nichts davon konnte sie zu Beginn des Drehs.<br />
INTERVIEW: Und hat sie schon Starallüren?<br />
WASHINGTON: Cheetah ist jetzt eine Diva und lässt<br />
sich von keinem was sagen. Sie lässt sich vertraglich<br />
zusichern, dass niemand ihr in die Augen schauen<br />
darf. Sie verlangt bestimmtes Essen und weiße Lilien.<br />
OX<br />
O<br />
<strong>Interview</strong> NINA SCHOLZ<br />
X<br />
44<br />
45
SUPERSTAR<br />
Spring / Summer 2013<br />
MARIA EHRICH<br />
henrycottons.it<br />
DIE DURCH<br />
DIE ZEIT<br />
SPRINGT:<br />
MARIA EHRICH<br />
SPIELT<br />
IN RUBINROT<br />
Bluse DRYKORN, Jeans & Lederjacke (in der Hand gehalten) FREEMAN T. PORTER<br />
Mittlerweile wird sie schon von Fremden nen Kinofilm wurde eine Kinderhauptdarstellerin baden ging, was die Bild-Zeitung zu der sensiblen<br />
erkannt. Neulich etwa, am Flughafen, gesucht. Für ihre Rolle in Mein Bruder ist ein Hund Schlagzeile „Heiße Lesbenspiele“ inspirierte – dabei<br />
war Maria Ehrich plötzlich von einer wurde sie prompt für den Undine Award als beste war das Wasser bestimmt ziemlich kalt.<br />
Horde Teenager umringt, die sie mühelos<br />
als Gwendolyn Sheperd identifizierten, der zeitsagt,<br />
dass ich Schauspielerin werden will, ich habe in sich hinein: „Als ich die Zeitung aufgeschlagen<br />
Filmdebütantin nominiert. „Dabei habe ich nie ge-<br />
Maria Ehrich verdreht die Augen und seufzt leise<br />
a<br />
reisenden Heldin aus der weltbekannten Rubinrot- bloß immer viel gespielt und erzählt“, sagt Ehrich. habe, dachte ich nur, oh Gott, warum ich? Aber da<br />
Trilogie von Kerstin Gier. Bislang gibt es Rubinrot nur Und so erzählte und spielte at sie the immer weiter, und irgendwann,<br />
so nach dem fünften oder sechsten Film, man wahrscheinlich. Denn die Zeit, in der sie ihrer<br />
muss man wohl anscheinend durch.“ Ja, das muss<br />
als Buch, demnächst aber auch als Film – aber eben<br />
HolIDaY<br />
erst demnächst (Start 14. März). Doch die zu allem dachte<br />
Il<br />
sie, na<br />
PellIcano DIaRY<br />
ja, das läuft ja ganz gut, vielleicht kann Arbeit zwar erfolgreich, aber von der Öffentlichkeit<br />
entschlossene Zielgruppe war bereits informiert, und ich ja dabei bleiben.<br />
weitgehend unbemerkt nachgehen konnte, ist offenbar<br />
vorbei. Maria Ehrich scheint bestens darauf vor-<br />
da es bei der Begegnung zu keinen Ausschreitungen Inzwischen hat die knapp 20-jährige Erfurterin in<br />
gekommen ist, kann man wohl sagen, dass man sie als über 20 Filmen und Serien mitgewirkt und damit bereitet zu sein.<br />
Gwendolyn akzeptiert.<br />
auch den alles<br />
Monte<br />
entscheidenden<br />
argentario<br />
Übergang von der<br />
Das erste Mal stand sie 2003 vor der Kamera, damals<br />
war sie zehn. Sie hatte sich auf einen Zeitungs-<br />
Zuletzt war sie zum Porto Beispiel ercole in dem TV-Mehrteiler<br />
Kinder- zur Erwachsenenschauspielerin geschafft.<br />
Von HARALD PETERS<br />
Foto BELLA LIEBERBERG<br />
Styling CAROLINE LEMBLÉ<br />
artikel in der Thüringer Allgemeinen beworben, für ei-<br />
Das Adlon zu sehen, wo sie nackt mit Christiane Paul<br />
Haare & Make-up SORAYA AURAD<br />
Italy<br />
46<br />
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SUPERSTAR<br />
ARTIE<br />
VIERKANT<br />
JEDE VERSION<br />
EINES WERKES<br />
TRÄGT DEN<br />
TIMECODE IM TITEL:<br />
DER KÜNSTLER<br />
ARTIE VIERKANT<br />
Digitaler Verwirrspieler und trotzdem Produzent von Unikaten: Mr Vierkant aus Brooklyn<br />
Das Ikea-Preisschild hätte er doch wenigstens<br />
abmachen können“, monierte ein<br />
Gast der Vernissage anschließend. Den<br />
Künstler Artie Vierkant – freundlich, gemütlich,<br />
nur ein bisschen verkatert von der Vornacht<br />
– freut diese Kritik. Für seine Ausstellung in der Berliner<br />
Exile Galerie baute er einen Stuhl des schwedischen<br />
Möbelhauses absichtlich falsch zusammen.<br />
„Ikea ist eine total globalisierte Marke. Indem ich das<br />
als Rohstoff für meine Arbeit verwende, unterlaufe ich<br />
die großartige Künstlergeste.“ Das Unterlaufen von<br />
Erwartungen und Gewissheiten ist genau das, worum<br />
es ihm geht. Neben der Ikeaskulptur hingen in der<br />
Galerie noch kleine, digital verwischte Farbabgleichstabellen.<br />
Vierkant, Jahrgang 1986, zählt vom Alter und<br />
der Interessenlage zur Gruppe der sogenannten Post-<br />
Internet-Generation. Jenen Künstlern also, die eine<br />
nicht digitale Welt nie erlebt haben und die Frage<br />
nach Autorschaft, Authentizität und Original noch<br />
einmal neu bearbeiten. Er hat die Filme Daylight und<br />
Twilight (inhaltlich durchaus unterschiedliche Werke)<br />
jeweils Bild für Bild nach Helligkeit sortiert und das<br />
Ergebnis in umgekehrter Reihenfolge nebeneinander<br />
abgespielt – mit gesunder Freude an der Zersetzung<br />
formelhafter Kulturprodukte. In seinen Augen sind<br />
diese Arbeiten zwei Jahre und damit unendlich alt.<br />
Den unbedarften Besucher wird seine Website,<br />
das selbstverständlichste Spielfeld des Künstlers, verwirren,<br />
denn das Wesen der Bilder ist hier zweifelhaft:<br />
Was ist hier Foto, was ist Simulation, was ist Website,<br />
was ist Materie? „Wichtiger Bestandteil eines Werkes<br />
ist dessen Dokumentation“, sagt Vierkant. Und bei<br />
48<br />
ihm heißt das auch: Jede neue Abbildung ist eine Variation,<br />
ergänzt um digitale Schlieren, Fotos im Foto<br />
oder andere visuelle Schichten. Diese Variationen tragen<br />
jeweils Datum und Uhrzeit im Titel. Kein Werk<br />
ist jemals fertig. Die Kunst von Artie Vierkant ist ein<br />
digitales, ästhetisches und intellektuelles Spiegelkabinett<br />
mit unendlichem Potenzial.<br />
Zum konsequenten Spiel mit Gewissheiten gehören<br />
allerdings zwingend auch echte Werke an echten<br />
Galeriewänden. Die Arbeit Color Rendition Chart<br />
Tuesday 4 December 2012 3:57pm – schon der Titel ist<br />
pure Poesie – ist selbstverständlich ein Unikat.<br />
Von ADRIANO SACK<br />
Foto AMOS FRICKE<br />
Hintergrund gestaltet von ARTIE VIERKANT<br />
HAVE YOU SEEN PEPE?<br />
SHOP THE FILM AT PEPEJEANS.COM
Naomi<br />
Campbell<br />
trifft<br />
CameroN<br />
diaz<br />
Sie bekam zwar nur<br />
eine auszeichnung für<br />
den besten Filmrülpser,<br />
dennoch hat<br />
CameroN diaz<br />
eigentlich alles erreicht:<br />
Sie stand für<br />
Martin SCorSeSe<br />
vor der Kamera, drehte<br />
mit Tom CruiSe<br />
und ist neben Justin<br />
TimberlaKe<br />
aufgewacht<br />
Fotos<br />
DANiele + iANgo<br />
styliNg<br />
pAtti WilsoN<br />
people<br />
Naomi Campbell: Hi, Cameron!<br />
CameroN Diaz: Hi, Naomi!<br />
Campbell: Du hast wie ich als Model angefangen.<br />
Diaz: Ja, und ich verdanke dem Modeln alles: Es<br />
hat mich aus Long Beach rausgeholt, ich konnte damit<br />
mein erstes Geld verdienen, und eigentlich hat es<br />
mich auch zur Schauspielerei gebracht. Deshalb finde<br />
ich es rückblickend toll. Allerdings wäre ich als Model<br />
nie auf dem Cover der Vogue gelandet. Der Wettbewerb<br />
ist unglaublich hart!<br />
Campbell: Deine erste Rolle beim Film hattest du<br />
an der Seite von Jim Carrey in Die Maske. Ein wahnsinnig<br />
komischer Film! Stimmt das Gerücht, dass du<br />
nie eine Stunde Schauspielunterricht besucht hattest?<br />
Diaz: Nein, nie. Deshalb ließen sie mich auch<br />
zehn oder zwölf Mal vorsprechen.<br />
Campbell: Wie bitte?<br />
Diaz: Ich war mit Sicherheit zehnmal im Studio.<br />
Damals war Jim noch kein Kassengarant, die Produktion<br />
war überschaubar, sie wollten sich einfach absichern.<br />
Dafür habe ich die Rolle von der ersten Sekunde<br />
an geliebt – wie eigentlich alle meine Rollen, die ich<br />
bislang spielen durfte. Ich wünschte, ich könnte noch<br />
einmal in sie hineinschlüpfen. Lotte aus Being John<br />
Malkovich liebe ich besonders …<br />
Campbell: Die Frau aus dem 7 1/2 Stock!<br />
Diaz: Ganz genau. Die Geschichte des Stockwerks<br />
geht so: Der Mann, dem das Gebäude ursprünglich gehörte,<br />
heiratete eine Kleinwüchsige. Und da er wollte,<br />
dass sie sich ganz normal fühlt, baute er für sie dieses<br />
Zwischengeschoss ein. Ist das nicht romantisch?<br />
Campbell: Er hat sie wirklich geliebt!<br />
Diaz: Ja!<br />
Campbell: Welche andere Rolle ist dir wichtig?<br />
Diaz: Natalie aus 3 Engel für Charlie. Was für eine<br />
coole Frau! Vor den Dreharbeiten wurden wir über<br />
Monate von einem KungFuMeister trainiert. Acht<br />
Stunden am Tag, fünf Tage pro Woche.<br />
Campbell: Eure Gang war unglaublich: du, Drew<br />
und Lucy Liu. Im zweiten Teil kam dann noch Demi<br />
Moore dazu …<br />
Diaz: … und der Titelsong war von Destiny’s Child.<br />
Campbell: So toll!<br />
Diaz: Im Song hieß es: „Lucy Liu, with my girl,<br />
Drew, Cameron D. and Destiny“ – mehr geht eigentlich<br />
nicht.<br />
Campbell: In deiner Welt sind Superlative ja irgendwie<br />
normal: Du darfst auch neben den tollsten<br />
50<br />
Männern des Planeten spielen: Matt Dillon, Leonardo<br />
DiCaprio, Tom Cruise, Keanu Reeves …<br />
Diaz: Jude Law!<br />
Campbell: Daniel DayLewis. Und alle Männer<br />
finden dich toll. Du bist eher ein JungsMädchen, oder?<br />
Diaz: Irgendwie schon. Ich mag Jungs lieber.<br />
Campbell: Fällt es dir eigentlich schwer, nach<br />
einem Dreh die eigenen Filme anzuschauen?<br />
Diaz: Manchmal gelingt es gut, meistens ist es<br />
aber schrecklich. Oder therapeutisch und reinigend,<br />
je nachdem. Nein, eigentlich ist es bei 99,9 Prozent<br />
schlimm. So schlimm, dass ich depressiv werde.<br />
Campbell: Wirklich?<br />
Diaz: Dann wünsche ich mir immer eine Zeitmaschine,<br />
um alles noch einmal drehen zu können. Die<br />
Schauspielerei ist merkwürdig, man ist nie von Anfang<br />
an wirklich in der Rolle. Und da fast alle Filme<br />
nicht chronologisch gedreht werden, kann man nie<br />
sagen, was man gerade genau fühlt und wie die Figur<br />
jetzt genau sein muss.<br />
Campbell: Viele Schauspieler versuchen sich irgendwo<br />
auf der Theaterbühne oder dem Broadway –<br />
wäre das etwas für dich?<br />
Diaz: Oh, ich weiß nicht. Erstens fehlt mir das<br />
Handwerk, da ich ja keine Ausbildung habe. Zweitens<br />
tue ich mich wirklich schwer damit, mir meinen Text zu<br />
merken. Schon der Gedanke an die Bühne gruselt mich.<br />
Campbell: Dafür gibt es dort Zuschauer, die reagieren<br />
und die dich antreiben.<br />
Diaz: Das ist auch merkwürdig beim Film: Man<br />
erfährt meist erst ein Jahr später, ob der Film den<br />
Leuten wirklich gefällt. Die Crew applaudiert ja nicht.<br />
Und das große Ganze kennt auch keiner, da man ja<br />
immer nur kleine Schnipsel dreht.<br />
Campbell: Jetzt ist ja gerade die Zeit der großen<br />
Auszeichnungen, Oscars, Emmys, Golden Globes –<br />
die meisten Schauspieler behaupten immer, sie würden<br />
keine Reden vorbereiten …<br />
Diaz: … dazu kann ich gar nichts sagen, weil ich ja<br />
nie einen Award gewonnen habe (lacht). Außer irgendwelche<br />
MTV Awards und so. Moment, stimmt<br />
gar nicht, ich habe einmal einen Preis bei Nickelodeon<br />
für den „Besten Rülpser“ gewonnen (lacht).<br />
Campbell: (lacht) Wie hat dir Django Unchained<br />
gefallen? Ich fand den Film super.<br />
Diaz: Ich auch. Er ist genial.<br />
Campbell: Als farbige Frau verstehe ich überhaupt<br />
nicht, warum sich die Leute darüber aufregen.<br />
Diaz: Kann ich auch nicht nachvollziehen.<br />
Campbell: Der Film ist lustig. Und er erzählt<br />
eine großartige Liebesgeschichte.<br />
Diaz: Zudem erfüllt er doch alle Wünsche, die damals<br />
ein schwarzer Mann hatte: endlich mal den ganzen<br />
Laden in die Luft sprengen. Weg mit der Plantage.<br />
Campbell: Genau! Sag mal Cameron, liest du<br />
eigentlich über dich selbst im Internet oder in den<br />
GossipMagazinen? Als Superstar bekommst du ja<br />
doch etliche Schlagzeilen ab.<br />
Diaz: Nur bei der Maniküre. Ins Internet gehe ich<br />
nie, und auch sonst schaue ich mir nichts an. Ich bekomme<br />
lediglich mit, dass eine Geschichte über mich<br />
geplant wird, wenn jemand mich direkt kontaktiert,<br />
weil er das muss. Dann kann ich reagieren und sagen:<br />
„Wenn ihr das schreibt, verklage ich euch.“ Dann hetze<br />
ich meine Anwälte los. Da fackel ich auch nicht<br />
lange. Einfach, weil es mich nervt, wenn Lügen über<br />
mich verbreitet werden.<br />
Campbell: Du schützt eben deine Privatsphäre.<br />
Diaz: All die Mädchen, die heute Schauspielerinnen<br />
werden wollen, wissen und akzeptieren, wie das Spiel<br />
heute läuft. All dieses CelebrityGehabe. Sie wissen es.<br />
Foto links: Kevin Mazur/WireImage/Getty Images<br />
top & shorts<br />
versAce<br />
ringe<br />
chrishAbAnA<br />
51
ustier & rock<br />
miu miu<br />
strumpfhose<br />
cAvAllini<br />
ringe<br />
chrishAbAnA<br />
people<br />
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make-up kabuki (www.kabukimagic.com)<br />
for mac cosmetics<br />
tailor susan b/lars nord<br />
manicure bernadette thompson<br />
casting piergiogio del moro/streeters<br />
photography assistants matt roady,<br />
dean dodos, manfredi gioacchini<br />
digital operator James needham/d touch ny<br />
retouching lorenzo irico/babygrand studios<br />
styling assistant taryn shumway<br />
hair assistants mari watase,<br />
gonn kinoshita<br />
make-up assistant alexis williams<br />
production rebecca lovern/north six<br />
production assistant david morett<br />
Meine Karriere hat jedoch nicht in der Boulevardpresse<br />
begonnen. Ich habe dafür gearbeitet. Deswegen ärgert<br />
es mich auch, wenn die Leute sagen: „Ach, du<br />
wusstest doch, auf was du dich da einlässt.“ Es stimmt<br />
einfach nicht. Früher wurden Karrieren nicht in Boulevardschlagzeilen<br />
geboren. Man wurde bekannt wegen<br />
eines Films, nicht wegen irgendeiner Paparazzi-Geschichte.<br />
Früher wurdest du eine Berühmtheit, weil du<br />
für etwas berühmt warst. Heute benutzen die Leute die<br />
Schundblätter, um berühmt zu werden, und versuchen,<br />
daraus dann eine Karriere zu stricken.<br />
Campbell: Du hast einmal gegen den National<br />
Enquirer geklagt. Haben Medien heute zu viel Macht?<br />
Diaz: Der Appetit der Menschen, Dinge aus anderer<br />
Leute Leben zu erfahren, ist ungleich höher als<br />
früher. Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen,<br />
wie schrecklich es ist, wenn ständig dein Privatleben<br />
in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Das merken<br />
sie erst, wenn sie mitbekommen, dass Facebook<br />
und Instagram ihre privaten Bilder verkaufen. Dann<br />
kapieren sie, dass das ein nerviges Problem sein kann.<br />
Plötzlich stört es, wenn jemand ein Geschäft aus deinem<br />
Leben macht. Dabei ist das doch klar: Facebook<br />
hat Instagram für eine Milliarde gekauft – ohne wirkliches<br />
Geschäftsmodell, also verkaufen sie irgendwann<br />
die Bilder der User.<br />
Campbell: Wir hatten beide unsere Zusammenstöße<br />
mit Paparazzi. Man steigt irgendwo aus dem<br />
Flieger, Brasilien, London, ist gerade aufgewacht,<br />
plötzlich hält dir jemand eine Kamera ins Gesicht,<br />
was nichts anderes ist als ein Angriff auf die Privatsphäre.<br />
Die Schlagzeile lautet: „Naomi tobt wieder!“<br />
Diaz: Ein ganz normaler Abwehrmechanismus.<br />
Mich haben sie nach Mitternacht direkt vor meiner<br />
Haustüre abgefangen. Dort lagen sie in den Büschen.<br />
Campbell: Deswegen könnte ich nicht in Los<br />
Angeles leben. Ich mag die Stadt, aber …<br />
Diaz: Früher konnte ich meinen Müll selbst rausbringen,<br />
einkaufen gehen, all das. Den Leuten war es<br />
scheißegal, wer wann wo was macht. Denen ging es<br />
darum, gerade nicht beeindruckt von dir zu sein. Das<br />
hat sich leider geändert, seit in Hollywood keine Filme<br />
mehr gedreht werden.<br />
Campbell: Wie meinst du das?<br />
Diaz: Es ist mittlerweile zu teuer, in Los Angeles<br />
und Kalifornien zu drehen. In anderen Städten oder<br />
Ländern gibt es Zuschüsse, Steuererleichterungen,<br />
flexiblere Lohn- und Arbeitsstrukturen. Deswegen ist<br />
der Celebrity-Tourismus das einzige Geschäft, was<br />
der Stadt von Hollywood geblieben ist.<br />
Campbell: Du hast kürzlich in einem <strong>Interview</strong><br />
gesagt, dass du dich mit 40 besser fühlst als mit 25.<br />
Diaz: Ja.<br />
Campbell: Du hast also keine Angst davor, älter<br />
zu werden?<br />
Diaz: Nein, überhaupt nicht. Ich denke, die Welt<br />
zollt dem Älterwerden nicht genug Respekt. Es wird<br />
oberflächlich abgetan als ein rein ästhetischer Prozess.<br />
So bescheuert es klingen mag: älter werden bedarf<br />
Zeit. Man muss sich daran gewöhnen, daran, sich<br />
selbst anders zu sehen. Angefangen mit dem eigenen<br />
Spiegelbild: Man läuft an einem Spiegel, einer Scheibe<br />
vorbei und sieht aus dem Augenwinkel die eigene<br />
Reflexion. Anfangs fragt man sich: Wer ist das? Bin<br />
ich das? Kann ich das sein? Mit der Zeit schließt man<br />
jedoch damit Frieden und kann die Reflexion als Teil<br />
seiner selbst anerkennen.<br />
Campbell: Du hast leicht reden. Dein Körper ist<br />
perfekt! Was ist dein Geheimnis?<br />
Diaz: Der Quell der Jugend ist sportliche Ertüchtigung<br />
und gute Ernährung. Alles andere bringt nichts.<br />
“<br />
Im Song zu<br />
3 Engel für Charlie<br />
hieß es: ,Lucy Liu,<br />
with my girl, Drew,<br />
Cameron D. and<br />
Destiny‘ – mehr geht<br />
eigentlich nicht!<br />
”<br />
– Cameron Diaz<br />
Campbell: Bevor ich meinen Mann Vlad getroffen<br />
habe, war mir nicht bewusst, wie wichtig es eigentlich<br />
ist, auf den Körper zu achten. Ich habe meinen<br />
Körper irgendwie immer als gegeben angesehen.<br />
Diaz: So geht es uns allen (lacht).<br />
Campbell: Verrätst du mir, wie viel du tatsächlich<br />
trainierst, um so blendend auszusehen?<br />
Diaz: Eigentlich trainiere ich jeden Tag, mindestens<br />
jedoch fünf Tage die Woche.<br />
Campbell: Surfst du noch?<br />
Diaz: Klar! Allerdings nicht so viel wie früher.<br />
Dafür snowboarde ich viel. Letztendlich geht es nie<br />
darum, wahnsinnig viel für den Körper zu machen,<br />
sondern immer darum, regelmäßig Sport zu treiben.<br />
Campbell: Gibt es Dinge in deiner Vergangenheit,<br />
die du bereust?<br />
Diaz: Ich bau allerlei Mist, wenn du das meinst<br />
(lacht). Nein, ansonsten bereue ich nicht viel. Es gibt<br />
Dinge, die hätten rückblickend sicher anders laufen<br />
können, grundsätzlich denke ich jedoch, es macht keinen<br />
Sinn, Dinge zu bereuen. Ich halte bereuen für<br />
eine zu einfache Ausrede.<br />
Campbell: Du hast vorhin gesagt, dass Rollen<br />
eine therapeutische Funktion für dich haben können.<br />
Einer deiner letzten Filme war What To Expect When<br />
You’re Expecting. Hat dieser Film deine mütterlichen<br />
Instinkte geweckt?<br />
Diaz: Er hat mich in meinem Wunsch bestärkt,<br />
eine Familie zu wollen. Und ich werde diese in jeglicher<br />
Form, die es gibt, annehmen.<br />
Campbell: Glaubst du an die ewige Liebe?<br />
Diaz: Ich glaube an Seelenverwandtschaft. Und<br />
ich denke, es gibt mehr als nur eine. Deshalb kann<br />
man auch mehr als einmal lieben – wenn auch auf unterschiedliche<br />
Weise.<br />
Campbell: Was macht den perfekten Mann aus?<br />
special thanks pier 59 studios<br />
53<br />
Diaz: Wenn ich eine Antwort wüsste, dann wäre ich<br />
jetzt bei ihm. Aber derzeit weiß ich die Antwort nicht.<br />
Campbell: Wie schätzt du dein Leben selbst ein?<br />
Diaz: Einfach, unkompliziert, praktisch.<br />
Campbell: Wollen wir zum Abschluss noch ein<br />
paar schnelle Fragen durchpeitschen?<br />
Diaz: Schieß los!<br />
Campbell: Dein Kühlschrank ist leer ohne …<br />
Diaz: … Quinoa, braunen Reis, Kohl, Hühnerbrust,<br />
Hühnerbrühe. Ansonsten nur Grünzeug. Und<br />
zwar so viel, wie irgend reinpasst.<br />
Campbell: Was würde man niemals in deinem<br />
Kühlschrank finden?<br />
Diaz: Plätzchenteig!<br />
Campbell: (lacht)<br />
Diaz: Würde ich sofort aufessen.<br />
Campbell: Dein Lieblingsgeruch in der Küche?<br />
Diaz: Knoblauch!<br />
Campbell: Was kannst du besonders gut kochen?<br />
Diaz: Hühnchen! Habe ich das nie für dich auf<br />
Hawaii gekocht?<br />
Campbell: Nein!<br />
Diaz: Holen wir nach.<br />
Campbell: Letztes Mahl oder letzter Drink?<br />
Diaz: Letztes Mahl.<br />
Campbell: Was würdest du an die Wand sprühen,<br />
wenn ich dir eine Sprühdose geben würde?<br />
Diaz: Faith (Glaube, Treue, Zuversicht).<br />
Campbell: Champagner oder Wodka?<br />
Diaz: Ich liebe Champagner!<br />
Campbell: Fenster oder Gang?<br />
Diaz: Fenster.<br />
Campbell: HipHop oder Rock?<br />
Diaz: Beides.<br />
Campbell: Welche Superhelden-Fähigkeit hättest<br />
du gerne?<br />
Diaz: Ich fände es chic, unsichtbar zu sein.<br />
Campbell: Wo kaufst du all die schönen Kleider,<br />
die du immer bei öffentlichen Anlässen trägst?<br />
Diaz: Du kennst mich doch! Ich trage Jeans und<br />
Sweatshirt!<br />
Campbell: Ich finde, wir sollten heute Abend das<br />
kleine Schwarze rausholen.<br />
Diaz: So etwas besitze ich doch gar nicht.<br />
Campbell: Dafür hattest du mal ein T-Shirt, auf<br />
dem stand: „I won’t vote for a son of a Bush.“<br />
Diaz: Ja! Irgendwo habe ich das auch noch.<br />
Campbell: Denkst du, Hillary könnte die erste<br />
Präsidentin der Vereinigten Staaten werden?<br />
Diaz: Ich würde es lieben! Erst der erste schwarze<br />
Präsident, dann die erste Frau im Amt!<br />
Campbell: Du bist sehr engagiert, wenn es darum<br />
geht, Spenden für die Veteranen der Kriege im<br />
Irak und in Afghanistan zu sammeln. Machst du das,<br />
weil du denkst, dass die Gesellschaft ihre Verdienste<br />
übersieht und die Soldaten nach ihrer Rückkehr zu<br />
wenig unterstützt?<br />
Diaz: Zu 100 Prozent!<br />
Campbell: Obwohl die Kriege an sich teilweise<br />
zu Unrecht geführt werden?<br />
Diaz: Was keineswegs die Schuld der Soldaten ist!<br />
Campbell: Die verrichten ihren Dienst, folgen<br />
einem Befehl. Und stehen für uns in der Schusslinie.<br />
Diaz: Wir brauchen eine Armee. Wir brauchen unsere<br />
Marines, unsere Soldaten, unsere Navy, unsere Air<br />
Force. Das ist Teil unseres Selbstverständnisses als Nation.<br />
Wir haben uns die vergangenen 150 Jahre imperial<br />
verhalten. Das ist jedoch nicht die Schuld der Soldaten.<br />
Sie bezahlen den Preis. Mit ihrem Leben. Und das<br />
selbst, wenn sie überleben. Wenn sie nach Hause kommen,<br />
wird ihr Leben nie wieder so sein wie zuvor.
WOW!<br />
WOW!<br />
WIE DIE GASSENHAUER<br />
VON DAFT PUNK:<br />
HELME AUS DER<br />
„LAB”-SERIE VON LACOSTE<br />
ZUKUNFT plus<br />
bisher unbekannter FETISCH<br />
Es ist schlichtweg unmöglich, diese Helme aus der neuen Lacoste-<br />
„Lab“-Kollektion zu betrachten, ohne die elektronischen Gassenhauer<br />
von Daft Punk auf dem inneren iPod krächzen zu hören.<br />
Das französische Duo ließ sich mit Vorliebe (oder war es<br />
ausschließlich?) mit Motorradhelmen auf dem Kopf fotografieren,<br />
natürlich mit Visieren, deren schillernde Oberflächen wie Insektenaugen<br />
aussahen. Zukunft plus bisher unbekannter sexueller<br />
Fetisch lautete die Erfolgsformel. Für seine „Lab“-Serie hat sich<br />
Lacoste ein paar Klassiker der internationalen Jugend- und<br />
Sportkulturen vorgenommen. Den American Football, das Skateboard,<br />
das Surfbrett. Nur mit Polohemden, auch wenn sie zu den<br />
bewährtesten ihres Genres gehören, kommt man eben nur so<br />
und so weit. Am gelungensten aber sind diese Schutzhelme, mit<br />
denen jeder Snowboard-Trip zu eben genau dem wird.<br />
PSYCHO-POP<br />
AUS JAPAN<br />
Die putzig-bizarren Holzskulpturen des<br />
Künstlers Keiichi Tanaami, bis zum<br />
3. März im Schinkel Pavillon/Berlin.<br />
In dieser Ausgabe pflegen wir eine gewisse Obsession mit dem ewig jungen<br />
Thema Jeans. Die einen wollen Denim-Couture, die anderen einfach nur die perfekte<br />
Hose. Wie die beiden Schweden Jens Grede und Erik Torstensson, die von London<br />
aus das Superinsider-Modemagazin Industry verantworten und nun in Kalifornien<br />
das Jeans-Label Frame gründeten. Klingt kompliziert? Das End ergebnis ist es nicht.<br />
Richtig geschnitten, perfekt gewaschen – und natürlich wissen die beiden auch,<br />
wen sie darin fotografieren lassen müssen.<br />
54<br />
IN PERFEKTER WASCHUNG, DAS MODEL JESSICA MILLER<br />
Foto ERIK TORSTENSSON<br />
DIE PERFEKTE<br />
Jeans (MAL WIEDER)<br />
Fotos: Photographer: Erik Torstensson, Model: Jessica Miller; Courtesy Nanzuka Gallery; Lacoste copyright Frederic Jacquet; Gucci(2); Karim Sadli; Julian Zigerli, Foto: Amanda Camenisch<br />
STIL plus ST. GALLEN<br />
Außer einer Kunstgießerei von Weltrang beherbergt St. Gallen vor<br />
allem das Modelabel Akris, dessen Creative Director Albert Kriemler<br />
mit einer völlig unschweizerischen Verve – und einer sehr<br />
schweizerischen Materialbesessenheit – am Werk ist. Für Freunde<br />
der Auf-die-Zwölf-Mode (think: Roberto Cavalli) sind die strengverspielten<br />
Entwürfe eher nichts, für Kennerinnen ein unverwüstlicher<br />
Geheimtipp (auch Charlène von Monaco zählt seit Jahren<br />
zu den Hardcore-Fans). Zum 90. Geburtstag ist jetzt ein Feierbuch<br />
erschienen: 1922–2012 (Assouline) – so viel Präzision muss sein.<br />
JODIE FOSTER<br />
(CA. TAXI DRIVER)<br />
MIT SKATEBOARD<br />
UND<br />
GUCCI-LOAFERN<br />
BEQUEMLICHKEIT<br />
plus REITSPORTZITAT<br />
Wer will schon als Klassiker durchs Leben latschen?<br />
Mode sollte idealerweise genau das Gegenteil sein:<br />
Wagnis, Wahnsinn, Wechselspiel. 60 Jahre lang<br />
überleben und dabei gut aussehen kann nur, wer sich<br />
intelligent erneuert und dabei dem eigenen Wesenskern<br />
treu bleibt. Vorbildlich hat das der Gucci-Horse bit-<br />
Loafer erledigt. Die Kombination „Bequemlichkeit plus<br />
Reitsportzitat“ verzückte schon die alte Hollywood-<br />
Garde (Gable, Wayne, Astaire), die nächste Generation<br />
ebenso, und heute ist jeder Schuhschrank zu bedauern,<br />
der Loafer-los sein Dasein fristet. Obwohl ursprünglich<br />
unisex, ist der Loafer ein Frauentyp – und die Palette,<br />
die Gucci-Designerin Frida Giannini fürs Geburtstagsjahr<br />
vorschlägt, ist pure joy!<br />
55<br />
Post-Rave-Mode<br />
Vielleicht eine komische Pose fürs<br />
Lookbook, aber die neue Kollektion<br />
des Schwei zer Designers Julian<br />
Zigerli überzeugt.
ZIEMLICH NEU UND<br />
GUT: LIEBLINGSLABELS,<br />
GESEHEN IN BERLIN<br />
MICHAEL SONTAG<br />
Die Models wurden von<br />
ihren Kleidern umschmiegt,<br />
als handele<br />
es sich um besonders<br />
weiches Wasser – noch<br />
dazu in einer wunderbar<br />
abgeschmeckten Palette<br />
zwischen Kupfer und<br />
Greige. Brillanter<br />
Kontra punkt: die runtergekrempelten<br />
Stiefel aus<br />
diversen Materialien.<br />
Sehr gelungen war die Glitter-Variante,<br />
die beim Gehen<br />
Schleifgeräusche macht.<br />
ACHTLAND<br />
Würde Kleopatra heute in<br />
Berlin-Tiergarten eine<br />
Galerie betreiben, dann<br />
würde sie die dritte<br />
Kollektion von Achtland<br />
tragen. Die raffiniert einfachen<br />
Silhouetten, die<br />
pudrigen, aber nie blassen<br />
Farben, die futuristischen<br />
Details und natürlich die<br />
luxuriöse Ausstattung, die<br />
nicht „Hier!“ schreit und<br />
trotzdem nicht zu übersehen<br />
ist. Erfreulich klare Mode mit<br />
Wachstumspotenzial.<br />
ÉTUDES<br />
Wenn man nach den<br />
Sternen greifen will, und<br />
das tun die beiden Herrenmodedesigner<br />
Aurélien<br />
Arbet und Jérémie Egry,<br />
dann könnte man sagen:<br />
Givenchy-Streetstyle plus<br />
das Understatement von<br />
A.P.C. Die ganze Kollektion<br />
basiert auf dem<br />
legendären Blau von Yves<br />
Klein, die Bomberjacke aus<br />
Velours ist fast unwiderstehlich,<br />
und die Hüte – bei<br />
Männern fast immer ein Stolperstein<br />
– waren auch gelungen:<br />
irgend wo zwischen<br />
Wandergeselle und Saint Laurent.<br />
1<br />
WOW!<br />
HERMÈS & COMME DE GARÇONS:<br />
seidenweiche Spiele zwischen<br />
HOMMAGE und DEKONSTRUKTION<br />
Eine klitzekleine Ermüdung stellt sich ein, wenn es eine weitere Kooperation zwischen Designer und Traditionsmarke<br />
zu vermelden gilt. In geradezu Schnitzler’schem Furor erleben wir seit Jahren einen Reigen an immer neuen Paarungen.<br />
In diesem Fall jedoch merkt man auf: Comme des Garçons und Hermès ist tatsächlich ein Gipfeltreffen von Avantgarde und<br />
Luxus. Insgesamt elf Seidentücher hat Rei Kawakubo entworfen (radikalerweise in die Produktgruppen „Black and White“<br />
und „Color“ geteilt). Wie es ihre Art ist, hat sie den ästhetischen Markenkern – Pferde, Zaumzeug, Uniformen, historisierendes<br />
Dekor – mit ironischen Interventionen umgedeutet. Das abgebildete Carré etwa setzt sich aus sieben anderen<br />
zusammen, als sei es ein seidenweiches Origami-Spiel: eine Mischung aus Hommage und Dekonstruktion.<br />
NUTZFREI-EXQUISIT<br />
Wenn eine Marke schon Nymphenburg heißt,<br />
muss sie eigentlich nur noch entsprechend<br />
poetische Produkte ersinnen. Der Münchner<br />
Porzellanmanufaktur gelingt dies (mithilfe von<br />
Experimentierfreude) regelmäßig. Die Koi-Karpfen-<br />
Amulette von Patrik Muff sind so nutzfrei und<br />
exquisit wie der echte Fisch.<br />
56<br />
Auf schnellem Fuß<br />
KOI-KARPFEN<br />
VON<br />
NYMPHENBURG<br />
Welche Zeitmanagementtechnik der Designer Raf Simons anwendet, ist nicht<br />
verbürgt. Vermutlich ist er einer von den Menschen, die mit drei Stunden Schlaf<br />
auskommen. Neben seinem umfassenden und vorerst absolut gelungenen<br />
Relaunch von Dior hat er noch schnell ein paar Sneakers für adidas entworfen.<br />
Eine extraskelettale Optik, eine nuancenreich-sportliche Farbpalette – Couture<br />
für Transformer-Fans. Ab Juli erhältlich, unbedingt jetzt schon bestellen.<br />
Fotos: Michael Sontag, Corina Lecca; Achtland; Études; Hermès/Comme des Garçons; Nymphenburg/Patrik Muff; Raf Simons x Adidas; Alexander McQueen/ Thomas Larcher; Proenza Schouler;<br />
Copyright LOC, LC-DIG-prokc-21887, Nostalgia, Gestalten; Lady Arpels Ballerine Enchantée watch - Van Cleef & Arpels; Piaget 2012; Vacheron Constantin; Jaeger-LeCoultre; Cartier<br />
VERGANGENHEITSGETRÄNKTE ZUKUNFT: McQUEEN 2013<br />
WOW!<br />
KRASSE ANSAGE<br />
Dass Sarah Burton als Chefdesignerin bei Alexander McQueen einen hervorragenden Job<br />
macht, hat sich inzwischen herumgesprochen. Derzeit scheint es, als eile die eher zurückhaltende<br />
Modeschöpferin von einem Highlight zum nächsten. Ihre Kollektion für diesen<br />
Sommer knüpft an die rigiden Schnitte und die düsteren Fantasien des Markengründers an –<br />
und doch schafft es Burton, eine weniger makabere Note einzuarbeiten. Laienhafte<br />
Psychoanalyse verbietet sich hier (es ist ja nur Kleidung …), aber diese Mode scheint<br />
für Frauen geschaffen, die in einer vergangenheitsgetränkten Zukunft leben.<br />
McQueen 2013 ist eine krasse Ansage, aber viel besser geht es derzeit nicht.<br />
Ganz neu: die ME-BAG<br />
Für diese Handtasche des New Yorker Duos Proenza Schouler muss eigentlich<br />
ein neuer Begriff gefunden werden. Eine It-Bag ist es nicht, denn dafür ist<br />
die Metall-Kettelung am Rand ein bisschen zu rabiat und der Photoshop-Druck<br />
nicht lieblich oder sexy genug. Es handelt sich eher um eine Me-Bag –<br />
für ausgesuchte Radikalindividualistinnen.<br />
Russische<br />
NOSTALGIE<br />
Für den russischen Zaren Nikolaus<br />
II. dokumentierte Sergei<br />
Michailowitsch Prokudin-Gorski<br />
zwischen 1909 und 1915<br />
dessen Reich und seine Bewohner.<br />
Da die Farbfotografie noch<br />
nicht erfunden war, musste jede<br />
Aufnahme mit drei verschiedenen<br />
Filtern angefertigt werden.<br />
Der Herr mit dem Lilienkostüm<br />
(links) muss also lange stillgehalten<br />
haben. Der Titel des<br />
Bildbands Nostalgia (Gestalten<br />
Verlag) stimmt doppelt: fototechnisch<br />
und was ein versunkenes<br />
Reich betrifft.<br />
57<br />
VACHERON<br />
CONSTANTIN<br />
Minimalinvasiv:<br />
Das Model „Queen”<br />
aus der Serie<br />
„Florilège” mit<br />
aufwendig bemaltem<br />
Zifferblatt<br />
auf Goldgrund.<br />
VAN CLEEFS &<br />
ARPELS<br />
Die Flügel der Elfe<br />
heben sich bei<br />
der „Lady Arpels<br />
Ballerine Enchantée<br />
Poetic Complication”<br />
im Zeitlupentempo.<br />
BLING WITH A TWIST<br />
NEUE<br />
Frauen-UHREN<br />
Frisch von der Uhrenmesse in Genf:<br />
Modelle, die uns wegen handwerklicher,<br />
technischer oder optischer Raffinesse<br />
begeistert haben (nächsten Monat<br />
sind die Männer dran)<br />
JAEGER-<br />
LECOULTRE<br />
Die „Rendez-Vous<br />
Celestial”: Himmelsscheibe<br />
mit Sternzeichenanzeige<br />
und<br />
Extrazeiger, um die<br />
Uhrzeit einer Verabredung<br />
einzustellen.<br />
Für technoide<br />
Romantikerinnen.<br />
CARTIER<br />
Die „Crash” gibt es<br />
bereits seit 1967,<br />
nun zum ersten Mal<br />
mit Armband aus<br />
Rotgoldtropfen. Der<br />
Autounfall-Look ist<br />
zeitlos brillant.<br />
PIAGET<br />
Aus der Serie<br />
„Limelight Gala”<br />
mit Satinband und<br />
62 Diamanten.<br />
Was die „Beine”<br />
können? Sie sehen<br />
gut aus! Reicht ja.
LOUIS VUITTON<br />
VERSUS<br />
VIKTOR & ROLF<br />
CARA<br />
DELEVINGNE<br />
HEIMAT: London<br />
ALTER: 20<br />
WISSENSWERT: Der Vater ist<br />
Immobilienmogul, die Schwester<br />
Poppy ist ebenfalls Model,<br />
die Augenbrauen von Cara sind<br />
weltberühmt.<br />
WOW!<br />
CARA vs. MARIE*<br />
Die zwei MÄDCHEN der Saison!<br />
Und wo sie überall gelaufen sind<br />
*CARA DELEVINGNE<br />
(38 FASHION SHOWS) UND<br />
MARIE PIOVESAN (58)<br />
ACNE<br />
ANTHONY<br />
VACCARELLO<br />
BURBERRY<br />
CACHAREL<br />
CAROLINA<br />
HERRERA<br />
CHANEL<br />
COSTUME<br />
NATIONAL<br />
DKNY<br />
DOLCE &<br />
GABBANA<br />
FENDI<br />
GABRIELE<br />
COLANGELO<br />
GILES<br />
DSQUARED<br />
LOUIS<br />
VUITTON<br />
VALENTINO<br />
ISSA<br />
THAKOON<br />
JASON WU<br />
SPORTMAX<br />
JUST CAVALLI<br />
SALVATORE<br />
FERRAGAMO<br />
MARCHESA<br />
ROBERTO<br />
CAVALLI<br />
MARY<br />
KATRANTZOU<br />
PROENZA<br />
SCHOULER<br />
MATTHEW<br />
WILLIAMSON<br />
NARCISO<br />
RODRIGUEZ<br />
MISSONI<br />
MARC<br />
JACOBS<br />
MARC<br />
JACOBS<br />
MOSCHINO<br />
MAX MARA<br />
MARNI<br />
OSCAR<br />
DE LA RENTA<br />
PAUL & JOE<br />
JASON WU<br />
PREEN<br />
HAIDER<br />
ACKERMANN<br />
GILES<br />
FENDI<br />
GAR NICHT VERKOPFT<br />
Ach, die schöne Welt der cross-references und collaborations! Der in Mailand lebende Fotograf<br />
Hugh Findletar ließ von dem venezianischen Glaskünstler Oscar Zanetti Vasen in Form<br />
von gemalten Köpfen blasen – und die Designerin Michelle Elie kuratierte damit eine Ausstellung<br />
in der Kölner Modeboutique Heimat. Verwirrend? Die Kopfvasen sind es nicht –<br />
einfach nur charmant und schlau.<br />
TOPSHOP<br />
UNIQUE<br />
TRUSSARDI<br />
ETRO<br />
BOTTEGA<br />
VENETA<br />
DIOR<br />
DEREK<br />
LAM<br />
COSTUME<br />
NATIONAL<br />
KANE<br />
CHRISTOPHER<br />
ANN DEMEULEMEESTER<br />
DONNA<br />
KARAN<br />
BLUMARINE<br />
ANTHONY<br />
VACCARELLO<br />
ACNE<br />
MARIE<br />
PIOVESAN<br />
HEIMAT: Paris<br />
ALTER: 26<br />
WISSENSWERT: Raf Simons<br />
liebt sie (aktuelle Dior-<br />
Kampagne!), ihre<br />
Wangenknochen sind<br />
derzeit einzigartig.<br />
Fotos: Costume National; Blumarine<br />
58
2<br />
RETROMANIA.<br />
DINGE<br />
VON GESTERN<br />
FÜR HEUTE<br />
HINTEN IM BUS SITZEN<br />
Warum wollte man eigentlich<br />
früher immer hinten im Bus sitzen?<br />
Weil man mit den anderen nichts zu tun<br />
haben wollte. Weil es cooler war. Weil<br />
hinten aussteigen viel besser war. Weil<br />
man Quatsch machen konnte. Weil der<br />
strenge Busfahrer so weit wie möglich<br />
entfernt saß. Zwischenzeitlich dachten wir,<br />
dass sei gar nicht so wichtig. Ganz großer<br />
Irrtum.<br />
TOLL:<br />
SOMMER-<br />
PELZ<br />
WOW!<br />
KOMPRESSIONSSTRÜMPFE<br />
Außen knackig, innen pulsierend. Haben Sie<br />
die mal probiert? Man hat das Gefühl, es<br />
kommt endlich wieder Blut in den Kopf, und<br />
dass man die Beine nicht mehr selbstständig<br />
tragen muss. Somit besser als jede Droge.<br />
WOHNLANDSCHAFTEN<br />
Faszination Sofakauf: Braucht man einen<br />
Zweisitzer oder einen Dreisitzer? Wie viele<br />
Leute müssen darauf Platz haben? Und was<br />
ist, wenn mal mehr Besuch kommt? Die<br />
Wohnlandschaft, deren Erfindung wir in den<br />
70er-Jahren vermuten, liefert die passende<br />
Antwort für alle Leute, die keine Antwort<br />
haben, und ist insofern im Zeitalter der<br />
Unentschlossenheit und Unwägbarkeiten<br />
das perfekte Möbelstück. Schatz, schiebst du<br />
mir mal den Quader rüber? Ich würd’ so<br />
gern die Beine hochlegen.<br />
FLANELLHEMDEN<br />
Sie sind bunt, sie sind weich, man kann sie<br />
auch ungebügelt tragen. Man könnte sagen,<br />
dass sie das flamboyanteste Kleidungsstück<br />
sind, das unter der Grundvoraussetzung<br />
von Bodenständigkeit denkbar ist. Und<br />
John Irving, seit 70 Jahren ganz weit vorn,<br />
trägt es auch.<br />
ZIRKELTRAINING<br />
In diesem Jahr feiert das Zirkeltraining 60.<br />
Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch,<br />
denn in Zeiten von EMS, Speed-Fit und<br />
anderen Schaufenstersportarten erfreuen<br />
sich diese 24 im Kreis angelegten Übungen<br />
bleibender Beliebtheit. Kein Wunder, Liegestütz,<br />
Kniebeuge, Strecksprung oder<br />
Durchstützeln am Barren werden für immer<br />
cooler sein als Spinning!<br />
RECYCLING<br />
Die kalte Jahreszeit ist vorbei, das Recyceln<br />
kann wieder beginnen. Wir wissen nicht,<br />
wie es Ihnen geht, aber wir trennen im<br />
Winter nie den Müll.<br />
MUSICALS<br />
Seit wir Anne Hathaway in Les Miserables<br />
als singenden Tod (so kam es uns jedenfalls<br />
vor) auf der Leinwand gesehen haben,<br />
wissen wir: Das Genre lebt.<br />
PRALINEN<br />
Noch mal schnell,<br />
bevor’s warm wird.<br />
FENDI<br />
Eines der ältesten Schönheitsideale<br />
der Welt: der Kubus. Fendi hat ihn<br />
diese Saison durch diverse Farben<br />
und Stoffe dekliniert, hier als Nerz-<br />
Taschenanhänger.<br />
Prada<br />
Ob schwarz oder weiß, die mit<br />
stili sierten Sonnenblümchen<br />
verzierten Taschen sind auch aus<br />
Nerz gefertigt.<br />
60<br />
JAPANISCHER PELZ? DIE NEUE KOLLEKTION VON PRADA<br />
WAR EIN MASH-UP, DEN MAN SEHEN MUSSTE, UM IHN ZU VERSTEHEN<br />
Wie ein Powerlunch zwischen Peta-<br />
Funktionär (kontra) und Anna Wintour (pro):<br />
Birkenstock-Sandalen mit Nerzsohle. Der High Heel<br />
wiederum, es gibt ihn auch in anderen Farbvarianten, ist<br />
ein zärtliches Meret-Oppenheim-Zitat. Über<br />
Alltags- und Straßentauglichkeit reden wir<br />
ein andermal.<br />
So unverzichtbar wie<br />
die eigene PERÜCKE<br />
CÉLINE<br />
Wahnsinn: eine Kamera, die das Ergebnis des Auslöserdrucks relativ unmittelbar<br />
danach ausspuckt! Jeder nach 1980 Geborene muss sich in die<br />
Faszination, die Polaroidkameras einmal ausgeübt haben, wohl erst mal<br />
reindenken. Dass die Schnelligkeit meist mit dürftiger Optik erkauft<br />
werden musste, machte das Ergebnis nur interessanter. From Polaroid to<br />
Impossible. Masterpieces of Instant Photography – The WestLicht Collection<br />
(Hatje Cantz) zeigt Bilder aus der Sammlung des Wiener WestLicht<br />
Museums. Vertreten sind Großmeister der klassischen Fotografie wie<br />
Ansel Adams oder Aaron Siskind, aber auch Künstler, deren Werk<br />
ohne Polaroidkamera ein ganz anderes gewesen wäre: Oliviero Toscani,<br />
Robert Mapplethorpe und natürlich Andy Warhol, für den die<br />
Sofortbildkamera jahrelang genauso unverzichtbar war wie die eigene<br />
Perücke. Wie man die Technik optimal nutzte, zeigt zum Beispiel<br />
die wunderbar-ökonomische, nachträglich kolorierte Aktstudie<br />
von Sahin Kaygun (links).<br />
Fotos: Fendi; Prada(3); Céline (2); Sahin Kaygun, Nude, 1983, Polaroid 600 HS, Hand-colored, © Burçak Kaygun<br />
Vision Von Multimedia bis Multifunktion –<br />
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DER<br />
GRÜNE STOFF<br />
Miuccia Prada hält sich normalerweise zurück,<br />
wenn es um die Ausstattung von Filmen<br />
geht. Aber zu Der große Gatsby (Filmstart:<br />
16. Mai) von Baz Luhrmann konnte selbst sie<br />
nicht Nein sagen und kleidete Leonardo<br />
DiCaprio, Tobey Maguire und vor allem<br />
natür lich Carey Mulligan ein. Was auch<br />
immer der etwas unberechenbare Regisseur<br />
mit dem Stoff angestellt hat: Alles,<br />
was man bisher gesehen hat, sieht so<br />
traumhaft und schrecklich aus, wie es<br />
F. Scott Fitzgerald gewünscht hätte.<br />
LILIANA DE LA BARBARA,<br />
NEW YORK CITY 1978,<br />
EINE DER INSTAMATIC-SERIEN DES<br />
ILLUSTRATORS UND FOTOGRAFEN<br />
ANTONIO LOPEZ<br />
SEX mit der<br />
SUPERMARKT-<br />
KAMERA<br />
Der Modeillustrator Antonio Lopez ist 26<br />
Jahre nach seinem Tod noch immer Inspiration<br />
für Designer, Fotografen und Stylisten.<br />
Nun sind gleich zwei Bücher erschienen, die<br />
Beleg sind für die Kraft und den Glamour, die<br />
er wie aus dem Ärmel zu schütteln schien. Vor<br />
allem seine mit einer Kodak Instamatic 100<br />
(also einer totalen Schrottkamera) produzierten<br />
Fotos fühlen sich heute noch so frisch an<br />
wie in jenen Tagen, als Jerry Hall, Grace<br />
Jones, Jessica Lange und ein Haufen begnadet<br />
hübscher Männer für ihn posierten. „Er holte<br />
mehr Sex aus einem Schuh und einer Supermarktkamera<br />
als die meisten Modefotografen<br />
aus Aktaufnahmen in einem Millionen-Dollar-<br />
Studio“, heißt es im Nachwort von Instamatics<br />
(Twin Palms Publishers). Stimmt.<br />
62<br />
Fotos: Prada; Liliana De La Barbara, New York City, 1978, Antonio Lopez, Instamatics, Twin Palms Publishers, www.twinpalms.com<br />
IHR GESCHENK!<br />
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kultur<br />
FASHion<br />
Die AbschAffung der Geschlechter<br />
ist schlechterdings nicht möglich<br />
Menschen sind soziale Wesen und auf Geschichten über<br />
sich und ihre Beziehungen angewiesen, wir ahmen<br />
nach, wir brauchen die abgebildete Fantasie eines<br />
anderen, um nach ihrem Muster handeln zu können.<br />
Wir brauchen Bilder, die unsere Bedürfnisse<br />
konkretisieren. Ein Mensch, der sein Leben<br />
“<br />
Die Kolumne von helene hegemann<br />
Und jetzt zum<br />
eigentlichen Thema,<br />
das, wenn dieser Text<br />
in absehbarer Zeit<br />
erscheint, hoffentlich schon<br />
abgearbeitet und einer<br />
,Debatte‘ über<br />
Gewürzgurken gewichen ist:<br />
lang von hetero normativen Bebilderungen von<br />
Liebe (also Disney, eternal love-Ansätzen und<br />
Hochzeit im Prinzessinnenkostüm) fern gehalten<br />
wird und stattdessen nur Kran kenhausserien<br />
zu sehen kriegt, wird eine Blinddarm<br />
entzündung zwangsläufig für ro man tisch<br />
halten. Ein Mensch, dem der Wehrdienst<br />
aufgrund körperlicher Einschränkungen zu<br />
einer Zeit verwehrt wurde, in der es als angemessen<br />
galt, sein Land mit seinem Leben<br />
zu verteidigen, wird, wenn seine Persönlichkeit<br />
das zulässt, aus dieser Entsagung heraus<br />
”<br />
ver suchen, seine Fantasien auf eine andere<br />
Weise auszuleben, und Kriegsfilme drehen:<br />
als oberer Feldherr choreografieren, wie sich<br />
gegenseitig abgeballert wird, also seine Idealvorstellung<br />
von Helden haftigkeit im Krieg ab bilden,<br />
möglichst so ergreifend, dass man sich ihr<br />
nicht entziehen kann, diesen Vorgang als Kritik<br />
an Gewalt tarnen und damit trotzdem nur einen<br />
weiteren, nachzuahmenden Standard etablieren.<br />
Wenn in der als wertvoll, weil hochrealistisch geadelten<br />
Teenieserie Skins die von allen Parteien am meisten<br />
begehrte Figur, eine 14jährige Nymphomanin namens<br />
Effy, eine ernsthafte schizophrene Störung und mehrere<br />
Selbstmordversuche hinter sich hat, werden das 14jährige<br />
Mädchen in OerErkenschwick nicht als traurige Analyse eines<br />
verkorksten Innenlebens verstehen, sondern sich als eine Art Versprechen<br />
auf Intensität Prospekte über Schizo phrenie durchlesen<br />
und die dort beschriebenen Verhaltensmuster nachzuahmen versuchen.<br />
So. Und jetzt zum eigentlichen Thema, das, wenn dieser Text in absehbarer<br />
Zeit erscheint, hoffentlich schon abgearbeitet und einer „Debatte“ über<br />
Gewürzgurken gewichen ist: Wenn in Deutschland ein 67jähriger<br />
Mann zu einer Frau, die ihm gewissermaßen sogar körperlich überlegen<br />
und deshalb nicht direkter Gefahr ausgesetzt ist, nach einer<br />
dreistündigen politischen Diskussion, also schlicht im falschen<br />
Kontext, etwas sagt, was darauf anspielt, dass sie eine Frau ist, und<br />
dieser Fauxpas dann in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer absolut<br />
falsch geführten Debatte darüber wird, was Männer Frauen antun,<br />
ist das nicht nur eine Bankrotterklärung sämtlicher an der Diskussion Beteiligter,<br />
und auch nicht nur ein harmloser Ausläufer dieser pedantischen deutschen<br />
Neotugendhaftigkeit. Es ist ein subtiler antifeminis tischer, gefährlicher Unterdrückungsmechanismus,<br />
der wirkt, als wäre er von Männern ausgedacht worden, um<br />
Frauen schwächer zu machen, als sie sind.<br />
Wenn in Deutschland<br />
ein 67-jähriger Mann<br />
zu einer Frau …<br />
So werden Abertausende Mädchen, die im<br />
Gegensatz zu ihren Müttern oder Großmüttern<br />
nie auch nur im Ansatz vermittelt<br />
gekriegt haben, sie seien weniger<br />
wert als Männer, in ein Konstrukt gezwängt,<br />
in dem sie auf Altherrenwitze<br />
reagieren müssen wie auf einen Vergewaltigungsversuch.<br />
Wenn ein Mann<br />
den Inhalt einer mit einer Frau geführten<br />
Diskussion nach ein paar Stunden<br />
entkräftet, weil auf Sex reduziert, indem er<br />
sagt: „Wenn Sie so weitermachen, ejakuliere<br />
ich gleich in Ihren Ausschnitt“, sollte diese<br />
Frau möglichst antworten: „Und wissen Sie, wie<br />
Sie besser aussähen? Mit meinem Schwanz in Ihrem<br />
Mund.“ Vielleicht ist man als jahrtausendelang unterdrücktes<br />
Geschlecht dazu aufgefordert, Kultur techniken zu<br />
entwickeln, die unangenehme Situationen entschärfen, aber<br />
bestimmt nicht dazu, die Polizei zu rufen, sobald man nicht mehr<br />
nur als Kopf auf zwei Beinen verstanden wird. Wenn Patrick Nuo im<br />
Dschungelcamp zehn Minuten lang seine Fresse halten und der Kamera<br />
seinen nackten Oberkörper zeigen muss, gilt das als okay und lustig, weil es<br />
mal kurz die in jeder Form zwischenmenschlicher Beziehungen mitschwingenden<br />
Gedanken über Verführungsstrategien offenlegt. Völlig okay auch, wenn ein<br />
Chefredakteur nur blonde Frauen einstellt, weil er nicht auf Dunkelhaarige steht,<br />
selber schuld. Völlig okay auch, wenn ein Chefredakteur nur Frauen einstellt, die<br />
nicht im Geringsten sein Typ sind, damit er nicht Gefahr läuft, sich an seinem<br />
Arbeitsplatz zu verlieben, auch selber schuld. Eine Abschaffung der Geschlechter<br />
ist schlechterdings nicht möglich, es sei denn, alle äußeren Geschlechtsmerkmale<br />
werden außer Acht gelassen und die von der GenderTheoretikerin Beatriz<br />
Preciado erfundene Dildokratie bricht aus: keine Penetration, also kein gewalttätiger<br />
Akt mehr jenseits von Dildo und Anus. Für Frauen wäre das nicht<br />
sonderlich gewinnbringend, aber ich schweife ab.<br />
Die BrüderleDebatte jedenfalls ist keine Sexismusdebatte, sondern<br />
eine Debatte darüber, dass sich ein Mensch nicht adäquat und der Situation<br />
entsprechend verhalten konnte. Unterdrückung durch Männer<br />
68<br />
ist in unserer Gesellschaft aufgrund verbliebener biologischer<br />
Voraus setzungen auf zwei Ebenen möglich. Einige, also ehrlich<br />
gesagt, die meisten Männer können Frauen 1. körperlich unterdrücken,<br />
also einer Gewalt aussetzen, gegen die sie sich ohne<br />
Selbstvertei digungskurs nicht wehren können, und 2. sehr viel problem<br />
loser als eine Frau ihr Kind beziehungsweise ihre Familie verlassen.<br />
Wenn eine Mutter abends ausgeht, wird sie grundsätzlich<br />
gefragt, WO ihr Kind ist; wenn ein Vater abends ausgeht, wird er<br />
im äußersten Fall gefragt, wie es dem Kind denn so geht. Anstatt<br />
mit der Stillosigkeit eines alten schwächlichen Mannes sollte man<br />
sich also eher mal mit der Abschaffung diskursiv erzeugter, unangreifbarer<br />
und über allem stehender Mutterliebe auseinandersetzen,<br />
aber dazu später mehr.<br />
Illustration: Sandra Buergel<br />
Die Girls tragen durchgehend (von links nach rechts): LOUIS VUITTON, MARC JACOBS und DOLCE & GABBANA. Alle Schuhe von BOTTEGA VENETA.<br />
75
Fashion<br />
FASHion<br />
Bild unten rechts: LV-2013 trägt Hut sowie Tasche (links am Arm) von SAINT LAURENT, die Tasche am rechten Arm ist von MARNI. Auf dem kleinen<br />
Präsen tiertisch vorne (von oben nach unten): Schuh von SAINT LAURENT, Brille von MOSCHINO und Tasche von HOGAN. MJ-2013 trägt eine Tasche<br />
von MARC JACOBS und Schuhe von CHANEL. An dem Haken im Hintergrund hängt eine Tasche von CHLOÉ.<br />
Bild o. l.: Kleid BALMAIN, Schuhe MARC JACOBS, Stiefelette (vorne) BALMAIN, Sandalette neben Spiegel (auf Schuh karton) TOD’S. Bild o. r.: Kette auf<br />
Schmuckständer GUCCI, Minikleid, Tasche, Kette & Armband CHANEL, Kleid mit Volants BALENCIAGA. Mitte: Beute von DG-2013 sind je eine Tasche von<br />
PRADA (mit Blumenmotiv) und LOUIS VUITTON, von MJ-2013 eine Tasche von MARC JACOBS und Schuhe von CHANEL. Die Taschen im Vordergrund<br />
sind von OLYMPIA LE-TAN (l.) und HERMÈS (r.). Die Schaufenster puppen im Hintergrund tragen (v. l. n. r.): LOUIS VUITTON, DIOR und DOLCE & GABBANA.
John Irving duckt sich über seine Notizen.<br />
Mit der Brille auf der Nase und dem Stift<br />
in der Hand ist er mit den Gedanken gerade<br />
irgendwo, nur nicht in diesem Abteil,<br />
in diesem Zug, der langsam Fahrt aufnimmt<br />
und ihn in den nächsten drei Stunden von<br />
München nach Frankfurt bringen wird. Kurz schaut<br />
er zur Begrüßung auf, dann taucht er wieder in seine<br />
Aufzeichnungen ab.<br />
Ihm gegenüber hat seine Gattin und Agentin Janet<br />
Turnbull Platz genommen, neben ihr die Pressechefin<br />
vom DiogenesVerlag, gewissermaßen seine<br />
Entourage, die ihn auf seiner kleinen Lesereise begleitet.<br />
Anlass ist sein neuer Roman In einer Person, in<br />
dem der 70jährige Schriftsteller Irving den fast<br />
70jährigen Schriftsteller Billy Abbott sein Leben als<br />
bisexueller Mann rekapitulieren lässt. Die Erzählung<br />
beginnt in den 50erJahren in First Sister, einer über<br />
alle Maßen theaterbegeisterten Kleinstadt in Vermont.<br />
Dort wächst Billy Abbott auf und erlebt sein<br />
sexuelles Erwachen, als er der deutlich älteren Bibliothekarin<br />
Miss Frost begegnet, einer Transsexuellen,<br />
die in ihrem früheren Leben einmal der beste Ringer<br />
des örtlichen Jungeninternats gewesen ist.<br />
John<br />
IrvIng<br />
78<br />
MaN trägt wieder FlaNell: aus deM dOkuMeNtarFilM John IrvIng<br />
und wIe er dIe welt sIeht VON aNdré schäFer (IrvIng.wfIlm.de)<br />
VON<br />
hArAld peters<br />
Fotos: Florianfilm GmbH/André Schäfer<br />
Seine Bücher sind so weit und so<br />
freiheitlich wie das große Versprechen<br />
Amerika. Doch wie das Land verzetteln<br />
sich auch seine Helden in den<br />
Verhältnissen. In seinem neuen Roman<br />
„In einer Person“ erzählt John Irving<br />
eine Geschichte zwischen sexueller<br />
Befreiung und dem Ausbruch von Aids.<br />
Eine Zugfahrt mit dem großen<br />
amerikanischen Schriftsteller<br />
79<br />
IntervIew: Herr Irving, kann es sein, dass in dem<br />
Städtchen First Sister, in dem Ihr neuer Roman<br />
spielt, vornehmlich Radikalindividualisten und sexuelle<br />
Außen seiter leben? Die Bibliothekarin ist transsexuell,<br />
der Erzähler bi, sein Vater schwul, die Cousine<br />
lesbisch und der Großvater ein Crossdresser.<br />
John IrvIng: Man muss dazu wissen, dass die<br />
Kleinstädte New Englands nicht mit jenen in Mississippi<br />
oder im Mittleren Westen vergleichbar sind.<br />
New England war immer von einem libertären Geist<br />
beseelt. Hinzu kamen die vielen Internate, die es vor<br />
allem in ziemlich abgelegenen Kleinstädten gab.<br />
Dank der Internate waren die Städte von 16, 17 Jahre<br />
alten Jungen bevölkert, die aus der ganzen Welt kamen,<br />
aus Paris, aus New York, aus Beirut …<br />
IntervIew: Warum? Warum schicken Eltern aus<br />
Frankreich ihren Sohn auf ein Internat in New England?<br />
IrvIng: Diplomatenfamilien! Vielleicht machten<br />
die Väter Bankgeschäfte, arbeiteten im internationalen<br />
Recht, so etwas in der Art. Als ich Ende der Fünfziger,<br />
Anfang der Sechziger auf einem dieser Internate<br />
war, habe ich dort jedenfalls Jungs getroffen, die<br />
sexuell erfahrener waren als alle anderen Menschen,<br />
die ich kannte. Das waren exotische Geschöpfe, wie<br />
sie mir erst wieder in New York in den Achtzigern<br />
begegnet sind – und ich hatte zwischenzeitlich in<br />
Pittsburgh gelebt und in Europa studiert. Aber bis zu<br />
meiner Zeit in New York habe ich nie wieder Leute<br />
getroffen, die es mit den Jungs, die ich in den Fünfzigern<br />
gekannt habe, hätten aufnehmen können.<br />
IntervIew: Verstehe. Ich hatte mich nämlich gewundert,<br />
wie weltoffen und liberal die Kleinstadt First<br />
Sister doch wirkt.<br />
IrvIng: Noch einmal: Eine Kleinstadt im New<br />
England der 50erJahre war ungefähr 90mal liberaler<br />
als eine ähnlich große Stadt irgendwo sonst in den<br />
USA. Es gab im New Yorker eine Rezension, die von<br />
jemandem geschrieben wurde, der zu der Zeit, als Billy<br />
das Internat in First Sister besuchte, vielleicht acht<br />
oder neun Jahre alt war. Dieser Autor ist in der<br />
Gegend von Washington D.C. aufgewachsen, also<br />
eigentlich in den Südstaaten. Ich meine, in direkter<br />
Umgebung von Maryland und Virginia wächst man<br />
zwangsläufig in einer eher konservativen Umgebung
KULTUR/John Irving<br />
KULTUR/John Irving<br />
auf. Heute lebt dieser Autor übrigens immer noch<br />
dort. Er war also noch gar nicht alt genug, um die<br />
Situation in New England in den Fünfzigern zu<br />
kennen.<br />
IntervIew: Ich glaube, ich habe den Text gelesen.<br />
IrvIng: Wissen Sie, wer dieser Autor ist?<br />
IntervIew: Nein.<br />
IrvIng: Er ist ein Log Cabin Republican. Wissen<br />
Sie, was ein Log Cabin Republican ist?<br />
IntervIew: Nein, aber ich glaube, ich kann es mir<br />
vorstellen.<br />
IrvIng: Können Sie?<br />
IntervIew: Okay, wahrscheinlich kann ich es<br />
nicht. Erklären Sie es mir.<br />
IrvIng: Ein Log Cabin Republican ist ein schwuler<br />
Mann, der die Republikaner wählt, oder mit anderen<br />
Worten: ein Schwuler, der sich mehr um sein<br />
Geld sorgt als um die sexuelle Minderheit, der er angehört.<br />
Er war jedenfalls einer der Ersten, die behauptet<br />
haben, dass jemand wie Billy in den Fünfzigern gar<br />
nicht in Vermont habe existieren können. Daraus<br />
kann ich nur den Schluss ziehen, dass er niemals dort<br />
war und dass er nicht auf ein Internat gegangen ist.<br />
John Irving kommt 1942 als John Wallace<br />
Blunt Jr. in Exeter/New Hampshire zur<br />
Welt, die Mutter ist Krankenschwester,<br />
den Vater lernt er nie kennen. Als Teenager<br />
entwickelt Irving ein Interesse am<br />
Schreiben und Ringen, weshalb in seinen Romanen<br />
häufig Schriftsteller auftauchen, die nebenbei Ringkämpfer<br />
sind. Auch kommen des Öfteren alleinerziehende<br />
Mütter und Krankenschwestern vor, während<br />
Väter wiederum oft tot sind, niemals da waren oder so<br />
schwach sind, dass man sie nicht weiter bemerkt.<br />
Mit 26 veröffentlicht Irving seinen ersten Roman<br />
Lasst die Bären los!, der angeblich von Günter<br />
Grass’ Blechtrommel inspiriert ist, was man zum<br />
Glück aber nicht merkt. Der Roman bleibt ein überschaubarer<br />
Erfolg, ebenso die beiden Nachfolger<br />
Die wilde Geschichte vom Wassertrinker und Eine Mittelgewichts-Ehe.<br />
Der große Durchbruch kommt dann<br />
1978 mit Garp und wie er die Welt sah, seither ist Irving<br />
einer der erfolgreichsten amerikanischen Gegenwartsautoren.<br />
IntervIew: Sie lesen also die Kritiken Ihrer Bücher …<br />
IrvIng: Ja, aber ich lese nicht alle. Und lese sie<br />
auch nicht dann, wenn sie erscheinen, außer es weist<br />
mich jemand gezielt darauf hin. Meistens bekomme<br />
ich sie gesammelt vom Verlag, und dann sehe ich sie<br />
durch. Das ist interessant, weil man merkt, wer bei<br />
wem abgeschrieben hat.<br />
IntervIew: Lustig.<br />
IrvIng: Ich bekomme vielleicht 50 Rezensionen,<br />
aber nur die Hälfte davon ist originell, und der Rest<br />
besteht aus Versatzstücken anderer Rezensionen.<br />
IntervIew: Ein Satz, der schon seit Jahrzehnten<br />
immer wieder in den Rezensionen steht, geht etwa so:<br />
„Gutes Buch, aber längst nicht so gut wie die frühen<br />
Bücher.“<br />
IrvIng: In der Regel handelt es sich dabei um<br />
Lügen. Die meisten Leute, die das schreiben, mochten<br />
nicht einmal die Bücher, die sie angeblich besser<br />
fanden. Es gibt einen Fall, wo der Kritiker geschrieben<br />
hat, dass das Buch zwar ganz in Ordnung sei,<br />
aber längst nicht so perfekt wie Gottes Werk und Teufels<br />
Beitrag. Wobei ausgerechnet dieser Kritiker damals<br />
über Gottes Werk und Teufels Beitrag meinte, es<br />
sei ein schlechtes Buch. Es wäre ja okay, wenn einer<br />
schreiben würde: „Ich kann John Irving nicht ausstehen,<br />
und ich hasse alles, was er macht.“ Das passiert<br />
aber nicht.<br />
IntervIew: Warum nicht?<br />
IrvIng: Weil die Leser, die das eine oder andere<br />
meiner Bücher mögen, die Texte des Rezensenten<br />
fortan nicht mehr ernst nehmen würden – schon deshalb,<br />
weil sie einen ganz anderen Geschmack haben.<br />
Also steht in den Texten immer: „Ich kann sein neues<br />
Buch nicht leiden, aber denken Sie ja nicht, dass ich<br />
etwas gegen John Irving habe. Tatsächlich fand ich<br />
dieses frühe Werk von ihm ganz wunderbar.“<br />
IntervIew: Und solche Sachen merken Sie sich?<br />
IrvIng: Wissen Sie, es gibt Dinge, an die man<br />
sich zwar nicht erinnern will, die man aber doch nicht<br />
vergisst. Es ist nicht so, dass ich nachts wach liege und<br />
schlechte Rezensionen abrufe, aber ich kenne sie. Ich<br />
kenne die Leute, die meine Bücher nicht nur einmal<br />
oder zweimal verrissen haben, sondern fünf- und<br />
sechs mal. Ich kenne sie.<br />
IntervIew: Es wird sich auch gerne darüber beschwert,<br />
dass Sie mit wiederkehrenden Motiven arbeiten:<br />
Die Hauptfiguren sind meist Schriftsteller,<br />
Ringer tauchen auf, Bären kommen vor.<br />
IrvIng: Man fragt sich, was diese Leute über König<br />
Ödipus oder Antigone schreiben würden: „Herrgott,<br />
schon wieder ein Stück über Inzest!“ Oder Richard<br />
III.: „Nicht schon wieder ein fieser König. Wie<br />
viele Stücke über fiese Monarchen kann man ertragen?“<br />
Haben Sie jemals solch einen Text über Shakespeare<br />
gelesen?<br />
IntervIew: Nein, aber ich glaube, so ein Text<br />
würde mich amüsieren.<br />
IrvIng: Wirklich?<br />
„Mir war es wichtig,<br />
dass Miss Frost<br />
nicht an Aids<br />
stirbt. Sie musste<br />
ermordet werden.<br />
Von jemandem, der<br />
sie hasst. Davon<br />
handelt das Buch:<br />
vom Hass auf<br />
sexuelle Außenseiter“<br />
– John Irving<br />
John Irvings Frau schaut bereits seit einer<br />
Weile verstimmt aus dem Zugfenster und<br />
schnaubt. Vielleicht kann sie die immer<br />
gleichen Fragen an ihren Mann nicht<br />
mehr ertragen, vielleicht sind es auch seine<br />
Antworten. Doch wie sich herausstellt, ist es nicht<br />
das Gespräch, sondern ein Hörbuch, das ihr den Nerv<br />
raubt. Entschlossen rupft sie sich die Kopfhörer aus<br />
dem Ohr und tut laut ihren Unmut kund. Von wem<br />
denn das beklagenswerte Hörbuch sei? Das könne sie<br />
leider nicht verraten, sagt sie, sonst schreibe man<br />
80<br />
noch: „John Irvings Frau hasst das Buch von XY.“ Nur<br />
so viel: Es sei überall gelobt worden, überall. Wie nebenbei<br />
verrät Irving dann den Namen des Kollegen.<br />
Großes Geschrei im Zug von München nach Frankfurt.<br />
Irvings Gattin und die Dame vom Verlag werfen<br />
aufgeregt die Arme in die Luft und verlangen einen<br />
Schwur darauf, dass der Name für immer ein Geheimnis<br />
bleibe.<br />
IntervIew: Ein anderes wiederkehrendes Motiv in<br />
Ihren Romanen sind sexuelle Außenseiter.<br />
IrvIng: Stimmt, Billy hat eine Reihe von Vorläufern.<br />
Garps Mutter hatte zum Beispiel nur einmal<br />
in ihrem gesamten Leben Sex, ebenso Dr. Larch aus<br />
Gottes Werk und Teufels Beitrag – nur einziges Mal.<br />
Also für mich sind diese Figuren sogar weitaus größere<br />
Außen seiter. Mir fiel es jedenfalls leichter, mich in<br />
die Figur eines bisexuellen Mannes hineinzudenken,<br />
der mit allen schlafen will, als in jene Figuren, die nie<br />
Sex haben. Solche Figuren sind viel extremer.<br />
IntervIew: In einer Person war also kein besonders<br />
schwieriges Buch für Sie?<br />
IrvIng: Ja, es war jedenfalls einfacher als manch<br />
anderes meiner Bücher. Oft muss ich 18 Monate oder<br />
noch länger auf Recherche gehen und mir Dinge aneignen,<br />
von denen ich sonst nicht viel weiß. Aber dieses<br />
Mal war es anders. Ich bin Ende der Fünfziger auf<br />
einem Internat in New England gewesen, und als in<br />
den frühen Achtzigern Aids zugeschlagen hat, habe<br />
ich in New York gelebt. Das Thema der sexuellen Intoleranz<br />
gab es schon in Garp, und einen vergleichbaren<br />
Ich-Erzähler gab es in Owen Meany. Vieles in<br />
dem neuen Roman war in meinen vorherigen Werken<br />
bereits angelegt.<br />
IntervIew: Mir hat gefallen, wie Sie den Coming-out-Prozess<br />
beschrieben haben, die Selbstverleugnung,<br />
die Vermeidungsstrategien …<br />
IrvIng: Wissen Sie, manchmal muss ich mich<br />
sehr über meine alten schwulen Freunde wundern. Es<br />
kommt mir so vor, als könnten sie es gar nicht fassen,<br />
wie leicht es Schwule heute angeblich haben. Mitunter<br />
erinnern sie mich an die Generation meines Großvaters:<br />
„Als ich zur Schule gegangen bin, musste ich<br />
jeden Tag drei Stunden lang zu Fuß durch den Schnee<br />
gehen“, solche Sachen. Und ja, es mag heute für einen<br />
Teenager leichter sein, sein Coming-out zu haben,<br />
keine Frage. Aber ich kann es nur schwer ertragen,<br />
wenn man mir erzählen will, dass es heute überhaupt<br />
kein Problem sei. Das wird wahrscheinlich niemals<br />
einfach sein, schon deshalb, weil kein pubertierender<br />
Teenager anders sein will. Wer 13, 14 Jahre alt ist, will<br />
so sein wie seine gleichaltrigen Freunde und nicht als<br />
Außenseiter gelten.<br />
IntervIew: Sie meinen: Nur weil der Umgang<br />
offener ist, heißt es nicht, dass es dadurch automatisch<br />
kinderleicht geworden ist.<br />
IrvIng: Ja, und das war ja auch eines der vielen<br />
erschütternden Dinge am Ausbruch von Aids. Endlich<br />
hatten viele junge Männer den Mut gefunden, die<br />
klaustrophobischen Kleinstädte hinter sich zu lassen<br />
und nach New York zu gehen – und dann schlug der<br />
Tod zu. Diese jungen Männer hatten gerade erst die<br />
Schwelle zu dem Leben überschritten, das sie eigentlich<br />
führen wollten, und in der Sekunde, in der sie<br />
angekommen waren, war es schon wieder vorbei. Dieser<br />
Teil des Buches war einer der Hauptgründe, warum<br />
ich es geschrieben habe, aber es war auch der Teil<br />
des Buches, den ich am wenigsten schreiben wollte.<br />
Da kamen all die Dinge wieder hoch, an die ich mich<br />
lieber nicht erinnert hätte. Allerdings war es mir<br />
wichtig, dass Miss Frost, das emotionale Zentrum des<br />
Buches, nicht an Aids stirbt. Sie musste ermordet werden.<br />
Von jemandem, der sie hasst. Davon handelt das<br />
Buch: vom Hass auf sexuelle Außenseiter.<br />
Essenszeit. Die Dame von Diogenes<br />
sagt, dass die Irvings bei Lesereisen<br />
gern die Bahn nähmen, nur gebe es im<br />
Zug nie etwas Anständiges zu essen,<br />
jedenfalls nicht in Deutschland. Eindringlich<br />
und mit wachsender Fassungslosigkeit wird<br />
die Speisekarte angestarrt, aber das Angebot wird<br />
nicht besser. Irving wählt eine Erbsensuppe, seine<br />
Frau ein Sandwich. Beim Essen erzählt er, dass er seit<br />
über einem Jahr eigentlich keinen Alkohol mehr anrühre,<br />
aber seit wenigen Monaten trinke er hin und<br />
wieder ein Bier. Das finde sie gut, sagt seine Frau, er<br />
sei einfach viel lustiger, wenn er was getrunken habe.<br />
Und sonst sei er nicht lustig? Doch, na klar, aber nach<br />
einem Bier sei er eben noch viel, viel lustiger.<br />
Fängt seIne romane von hInten an: John IrvIng beI Der arbeIt<br />
„Mir fiel es leichter,<br />
mich in die Figur<br />
eines bisexuellen<br />
Mannes hineinzudenken,<br />
der mit allen<br />
schlafen will, als<br />
in jene Figuren, die<br />
nie Sex haben. Die<br />
sind viel extremer“<br />
– John Irving<br />
IntervIew: Der letzte Satz eines Romans ist bei Ihnen<br />
immer der erste, den Sie schreiben. Wie detailliert<br />
ist die Handlung eigentlich festgelegt, bevor Sie<br />
mit dem eigentlichen Schreiben beginnen?<br />
IrvIng: Ziemlich detailliert. Die ersten Notizen<br />
zu In einer Person habe ich im Dezember 2000, Januar<br />
2001 gemacht, aber den ersten Satz habe ich erst im<br />
Juni 2009 geschrieben. Da liegen also immerhin acht,<br />
neun Jahre dazwischen.<br />
IntervIew: Und in der Zeit haben Sie sich vor<br />
allem Gedanken und Notizen gemacht.<br />
IrvIng: Nur Notizen. Die Notizen sind der Straßenplan.<br />
Aber diese Notizen beinhalten auch Dia loge<br />
und Szenen, die später im Roman auftauchen. Es gibt<br />
Dinge, Szenen, Vorfälle, von denen ich weiß, dass sie<br />
für die Handlung wichtig sind, nur weiß ich oft nicht,<br />
an welcher Stelle der Handlung ich sie einbauen soll.<br />
Muss diese eine Fotografie schon im dritten Kapitel<br />
auftauchen oder besser erst im neunten oder zehnten?<br />
Was die Feinheiten angeht, ändere ich also oft meine<br />
Meinung, den großen Plan habe ich allerdings fertig,<br />
be vor ich mit dem Buch beginne. Anders geht es<br />
nicht.<br />
IntervIew: Und wenn Sie dann einmal angefangen<br />
haben, wie lange schreiben Sie dann an einem Buch?<br />
IrvIng: Zunächst einmal habe ich es mir angewöhnt,<br />
sieben, acht Jahre zu warten, bevor ich überhaupt<br />
mit dem Schreiben anfange, manchmal sind es<br />
sogar 15 Jahre. Ein Grund dafür ist, dass ich die erste<br />
Fassung so schnell wie möglich schreiben möchte.<br />
Hätte ich nicht bereits alles fertig im Kopf, müsste<br />
ich oft innehalten, um nachzudenken, wie es eigentlich<br />
mit der Handlung weitergeht. Das würde den<br />
Schreibprozess erheblich verlangsamen. Denn was<br />
die Architektur eines Romans angeht, bin ich nicht<br />
besonders schnell. Deswegen schreibe ich also lieber<br />
in einem Zug. Hinterher drossele ich dann das Tempo<br />
und mache mich ans Feintuning. Mit der ersten<br />
Fassung habe ich im Juni 2009 angefangen und war<br />
damit im Dezember 2010 fertig. Das ist ziemlich<br />
schnell. Dann habe ich aber noch mal so lange für<br />
die Kleinigkeiten gebraucht.<br />
IntervIew: Werden die Kleinigkeiten in so einem<br />
Notizbuch, wie Sie es bei sich haben, vermerkt?<br />
IrvIng: Ja, das ist das Notizbuch, das ich mit auf<br />
Reisen nehme. Wenn ich morgens aufwache und denke:<br />
Ich sollte dieses Detail in Kapitel drei erwähnen<br />
und jenen Sachverhalt in Kapitel vier anschneiden,<br />
um ihn in Kapitel acht zu wiederholen, dann brauche<br />
ich so ein Notizbuch, um hinterher die Punkte zu verbinden.<br />
Für jeden Roman brauche ich im Durchschnitt<br />
ungefähr drei bis vier. Dieses hier ist ganz neu,<br />
das habe ich extra für die Reise mitgenommen. Sie<br />
können es sich ruhig mal ansehen.<br />
81<br />
Irving reicht sein Notizbuch rüber, ein etwa<br />
DIN A4 großes Heft mit verstärkten Pappdeckeln.<br />
Die rechten Seiten sind jeweils vollgeschrieben<br />
mit Regieanweisungen an sich<br />
selbst, die linke Seiten sind frei, damit Platz<br />
ist, um die Regieanweisungen mit weiteren Regieanweisungen<br />
zu ergänzen. Ich könne ruhig darin lesen,<br />
ich würde es sowieso nicht verstehen. Ich lese und<br />
verstehe nichts. Irving nickt zufrieden und nimmt das<br />
Buch wieder an sich.<br />
IntervIew: Beim Lesen von In einer Person dachte<br />
ich, dass mit einer Figur wie Billy Zuschreibungen<br />
wie hetero, schwul oder bi im Grunde überflüssig<br />
sind. Im Prinzip ist Billy doch eigentlich alles, oder?<br />
IrvIng: Ja, aber je mehr einem das Umfeld zu<br />
verstehen gibt, dass man zu einer Minderheit gehört,<br />
desto mehr fühlt man sich auch dieser Minderheit zugehörig,<br />
ob nun in sexueller oder einer anderen Hinsicht.<br />
Wenn man Teil einer Minderheit ist, muss man<br />
seinen Status, wer oder was man ist, erkämpfen, behaupten<br />
und verteidigen. Aber das heißt nicht, dass<br />
andere deswegen das Recht haben, einen als was auch<br />
immer zu bezeichnen. Keiner darf sagen: „Oh, sie ist<br />
eine Lesbe!“, so als würde diese Kategorie alles erklären,<br />
was es über diese Person zu sagen gibt. Man<br />
macht sie dadurch kleiner, wenn man versucht, ihre<br />
Persönlichkeit mit einem einzigen Aspekt zu erklären.<br />
Miss Frost kann über sich sagen: „Ich bin eine TransgenderFrau!“<br />
Aber wenn man über sie sagen würde,<br />
dass sie eine TransgenderFrau sei, wird sie sich das<br />
nicht gefallen lassen. Weil es da einen Unterschied<br />
gibt.<br />
IntervIew: Das dürfte allerdings für viele Leute<br />
schwer verständlich sein.<br />
IrvIng: Natürlich. Aber nehmen wir das Beispiel<br />
der jüngeren schwulen Schriftstellerkollegen, mit denen<br />
ich befreundet bin. Die können es nicht leiden,<br />
wenn man sie als schwule Schriftsteller bezeichnet.<br />
IntervIew: Natürlich nicht.<br />
IrvIng: Während hingegen Edmund White, einer<br />
meiner ältesten schwulen Freunde, darauf besteht,<br />
dass man ihn als schwulen Autoren bezeichnet. Das ist<br />
auch eine Generationenfrage. Beide haben recht mit<br />
ihren Positionen. Edmund ist zwei Jahre älter als ich<br />
und hat allen Leuten stets sehr kämpferisch zu verstehen<br />
gegeben: Das bin ich. Während seine jungen<br />
Kollegen sagen: Klar sind wir schwul, aber das steht<br />
jetzt nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit<br />
unseren Texten.<br />
Bahnhof Frankfurt. Die Koffer werden<br />
aus der Ablage gewuchtet. Irvings Frau<br />
zieht ihr raumgreifendes Gepäck durch<br />
den Gang und stellt ernüchtert fest,<br />
dass es keinen Sinn mehr mache, shoppen<br />
zu gehen: In die Koffer bekomme man nichts<br />
mehr rein. Irving sagt, ihm gehe es ganz anders. Zu<br />
Beginn einer Reise stopfe er sein Gepäck bis zum Anschlag<br />
voll, und wenn er dann irgendwo haltmache,<br />
falle ihm auf, dass er diese Hose nicht mehr mag und<br />
jenes Hemd erst recht nicht. Dann werde aussortiert.<br />
Und wenn der Mann, der seine Romane vom Ende<br />
her schreibt, dann wieder zu Hause ist, sind seine<br />
Koffer ziemlich leer.<br />
In eIner Person Ist<br />
beI DIogenes erschIenen
:<br />
KULTUR<br />
1Katharina Grosse<br />
Die wunderbare und eigensinnige Künstlerin zeigt großformatige, fast abstrakte Malerei und installiert<br />
einen Parcours aus Styropor-Objekten und traubenförmig gehängten, riesigen Ballons. Der Betrachter<br />
wird zu Stellungswechseln genötigt, denn frontal lassen sich die Arbeiten nicht erfassen. Und gäbe es<br />
eine Goldmedaille für den besten Ausstellungsnamen, wäre hier ein Anwärter. Two Younger Women Come<br />
In And Pull Out A Table, bis 9. Juni im De Pont Museum of Contemporary Art/Tilburg (Niederlande).<br />
INSTALLATIONS -<br />
P LAN FIFTEEN<br />
MINUTES OF<br />
FAME<br />
IM KUNSTHAUS<br />
BREGENZ<br />
GRUNDRISS<br />
2<br />
Kein Medium faszinierte Warhol stärker als der<br />
große Gleichmacher Fernsehen. Fifteen Minutes of<br />
Fame heißt die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz<br />
(bis 14. April), in der die Versuche des<br />
Künstlers als Moderator und Produzent gezeigt<br />
werden: unvorteilhaftes Studiolicht, begnadetes<br />
Gestammel, berühmte Freunde. Ganz klar ein<br />
Kunsthighlight dieses Frühjahrs. Die Installation<br />
der Monitore erledigten, wie immer makellos<br />
und stimmig, Oda Pälmke und Etienne Descloux<br />
vom Berliner Architekturbüro PE-P.<br />
DIE FORMEL BEYONCÉ Die Komponenten, aus denen die Sängerin zusammengesetzt ist<br />
TINA TURNER<br />
(ZIRKUSPFERD)<br />
MILLI VANILLI<br />
(PLAYBACK-VIRTUOSEN)<br />
James Franco<br />
Entschlossen, wirklich jede Tätigkeit<br />
auszuüben, zeigt sich der<br />
Schauspieler in seiner Ausstellung<br />
Gay Town als selbstverständlich<br />
hervorragender Maler. Bis 9.<br />
März bei Peres Projects/Berlin.<br />
+ x =<br />
IPOD<br />
(PERFEKTES PRODUKT)<br />
82<br />
Anschauen!<br />
FILME<br />
„LES MISÉRABLES“<br />
Frankreich: Entlassener Häftling verletzt Bewährungsauflagen<br />
und wird Bürgermeister einer mittelgroßen<br />
Stadt, wo er sich um das Schicksal einer<br />
Pros tituierten sorgt, die von Anne Hathaway gespielt<br />
wird. Alle haben schlechte Zähne und schmutzige<br />
Füße, alle haben ein trauriges Lied auf den Lippen.<br />
Stimmungsvoll (ab 21. Februar).<br />
„SIGHTSEERS“<br />
England: Tina und Chris machen mit dem Wohnwagen<br />
eine Fahrt zu allen Sehenswürdigkeiten des Landes<br />
und killen auf dem Weg Leute, die nerven. Das<br />
schweißt einerseits zusammen, sorgt aber auch für<br />
Verstimmungen. Lustig (ab 28. Februar).<br />
„HÄNSEL & GRETEL: HEXENJÄGER“<br />
Deutschland: Geschwisterpaar rächt sich mit Waffengewalt<br />
für eine schlimme Kindheit im Märchenwald.<br />
Killer (ab 28. Februar).<br />
RICHTIG SAUER: JEREMY RENNER UND<br />
GEMMA ARTERTON IN HÄNSEL & GRETEL<br />
„DIE FANTASTISCHE WELT VON OZ“<br />
Kansas: Ein fahrender Magier gerät im Mittleren<br />
Westen der USA in einen Wirbelsturm, der ihn nach<br />
Oz transportiert, wo er es mit ein paar eigensinnigen<br />
Hexen zu tun bekommt, die Hänsel und Gretel<br />
durch die Lappen gegangen sind. Wird er sich<br />
durchsetzen können? Beziehungsreich (ab 7. März).<br />
„HAI-ALARM AM MÜGGELSEE“<br />
Brandenburg: Bewegendes Drama um den Hai-Jäger<br />
Snake Müller, der nach langen Jahren nach Friedrichshagen<br />
zurückkehrt, um einem blutrünstigen<br />
Süßwasserfisch das Handwerk zu legen, der sich an<br />
dem Bademeister der Touristenhochburg vergriffen<br />
hat. Spannend (ab. 14. März).<br />
DONALD TRUMP<br />
(TYCOON)<br />
BEYONCÉ<br />
KNOWLES<br />
Fotos: Olaf Bergmann, Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn, 2013; David Appleby/2012 Paramount Pictures Corporation and Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved; James Franco, White Snow (2012), courtesy of Peres Projects; GAB Archive/Redferns/Getty Images; action press; Jim Spellman/WireImage/Getty Images;<br />
Bryan Bedder/Getty Images; Martin Kippenberger und Elfie Semotan, Venedig 1996 © Elfie Semotan, courtesy Distanz Verlag Berlin; Kiepenheuer & Witsch; mute; Ulrike Ottinger, Landkartenobjekt mit Zeichnungen und applizierten Postkarten III, 2011©Ulrike Ottinger<br />
Anmachen!<br />
PlAtteN<br />
CRiMe & THe CiTy SOLUTiOn<br />
„AMeRiCAn TwiLigHT“ (MUTe)<br />
Herausragend lichtscheuer Heroinrock<br />
der großen alten australischen Post-<br />
Punk-Band, die sich nach rund 22-jähriger<br />
Kreativpause in der Besetzung<br />
ihrer Berlin-Phase wieder zusammengerauft<br />
hat. Die Songs heißen Goddess und Domina, der<br />
Sound ist entsprechend.<br />
JOHn gRAnT<br />
„PALe gReen gHOSTS“ (COOPeRATive)<br />
Der tollste, melancholischste und bärtigste Sänger<br />
unserer Zeit hat bei einer Stippvisite in island seine<br />
Liebe zur elektronischen Musik entdeckt, weshalb<br />
Pale Green Ghosts zwar ganz anders als sein Comingout-Album<br />
The Queen of Denmark klingt, aber genauso<br />
wunderbar.<br />
COHeeD AnD CAMBRiA<br />
„THe AFTeRMAn: DeSCenSiOn“<br />
(COOPeRATive)<br />
Zweiter Teil des herausragend überspannten Konzeptwerks<br />
der new yorker Progressive-Rock-Band<br />
Coheed and Cambria, die von der schwierigen<br />
Heimkehr des Kosmonauten Sirius Amory nach einer<br />
expeditionsreise durch ferne galaxien erzählt.<br />
DePTFORD gOTH<br />
„LiFe AFTeR DeFO“<br />
(COOPeRATive)<br />
So ein welthingewandtes gothic-Album bekommt<br />
man nicht oft zu hören, ein glück, dass der Urheber<br />
seinen Lehrerjob aufgegeben hat und sehr bald der<br />
neue UK-Hype nach James Blake sein wird.<br />
Mitgeschrieben<br />
kultur<br />
“Nicht der<br />
einzelne blöde Witz”<br />
Kollegen und Weggefährten über den<br />
Künstler martin kiPPeNBerger<br />
„1978 sprach ich (oder war es umgekehrt?) seine damalige Freundin mit offenkundig lüsternen Absichten in<br />
einer tadellos verkommenen Kneipe namens gans in Hamburg an.“<br />
Werner büttner, Künstler<br />
„Kippenberger konnte einen motivieren, riskante oder folgenreiche entscheidungen zu treffen. wesentlich<br />
bei allem, was man mit ihm unternahm, war die hundertprozentige Konzentration und intensität, die man<br />
seiner und der eigenen Sache zu widmen hatte. Lauwarm war verboten.“<br />
gisela capitain, galeristin<br />
„Denn was Kippenberger ausmacht, ist nicht die einzelne Story oder der einzelne blöde witz, sondern seine<br />
Fähigkeit, sich zu öffnen, die welt abzutasten und zu kommentieren, sich in mäandernder weise damit zu<br />
befassen und dabei auch mal aggressiv oder konkret zu werden.“<br />
Jutta Koether, Künstlerin<br />
„Profitiert habe ich von der Freiheit seiner einfälle, die durchaus auch konzeptueller Art sein konnten.<br />
Da trafen wir uns.“<br />
albert oehlen, Künstler<br />
„Die Kippenberger-Party war ja in ihrer radikalen Attacke gegen alles trotzdem so etwas wie eine warme,<br />
herzliche Liebesbeziehung und nicht wie die witzfreie Kälte der in den neunzigern folgenden wiederkehr<br />
der institutionskritik.“<br />
heiMo Zobernig, Künstler<br />
Kippenberger & Friends,<br />
herausgegeben von Josephine von<br />
perfall, ist bei DistanZ erschienen<br />
LiCHTSCHeUeR<br />
HeROinROCK<br />
aus Australien:<br />
Crime & the City<br />
Solution<br />
Ulrike Ottinger<br />
3Umfassende Retrospektive: verzierte<br />
Landkarten, gefundene Objekte,<br />
Fotografie und ein Teil-<br />
Screening des rätselhaften<br />
Meisterwerkes<br />
Taiga. Ottinger<br />
schlingert souverän<br />
zwischen Fiktion und<br />
Dokumentation. Ab<br />
22. Februar in der<br />
Kestnergesellschaft,<br />
Hannover.<br />
Zitat<br />
Duchamp hatte gewiss viele Facetten. Nebenbei<br />
war er auch ein Schachspieler, ein käsehändler,<br />
ein Erfinder, ein Kunsthändler, ein Theoretiker,<br />
er sprach von sich selbst als AtmeNDer, als<br />
Bricoleur oder als der berüchtigte AN-ArtiSt.<br />
83<br />
Aufschlagen!<br />
Bücher<br />
RAineR MeRKeL<br />
„BO“<br />
S. Fischer, März<br />
ein blinder Junge, ein Held ohne eigenschaften, ein<br />
unerträglich verzogenes gör – klingt nach einer eher<br />
bescheidenen Besetzung, ist allerdings die denkbar<br />
beste gang für diesen afrikanischen Abenteuerurlaub<br />
entlang an irrenhäusern und Millionärsjachten.<br />
MADiSOn SMARTT BeLL<br />
„Die FARBe DeR nACHT“<br />
Liebeskind, Februar<br />
Dieses Buch knuspert im Kopf beim Lesen – schöner<br />
sind die Turmeinstürze des 11. Septembers nie beschrieben<br />
worden. Der inhalt ist ein andauernder<br />
einsatz von vereisungsspray am offenen Herzen:<br />
ground Zero, Helter Skelter, Kojoten und gewehre<br />
– geschichten aus den schaurig-schönen USA eben.<br />
evA MenASSe<br />
„QUASiKRiSTALLe“<br />
Kiepenheuer & Witsch, Februar<br />
Die überflüssige Hommage an<br />
Sally Bowles und das berechenbare<br />
Berlin sind schnell weggelesen:<br />
Die Autorin erzählt die geschichte<br />
einer Frau aus Sicht von Menschen,<br />
die ihr im Laufe des Lebens<br />
begegnen, mit der Präzision einer Samsung-entwicklerin,<br />
mit unkorrumpierbarem einfühlungsvermögen<br />
– und eisernem willen zur Unterhaltung.<br />
Thomas girst in seinem neuen Buch The Indefinite Duchamp (Hatje Cantz)
LES EXCLUSIFS<br />
1932: das Jahr von<br />
CHANELS erster<br />
Schmuckkollektion.<br />
Jetzt als DUFT!<br />
Ab 75 ml, um 130 Euro<br />
WIMPERN BIS ZUM HIMMEL? KEIN PROBLEM<br />
BEAUTY<br />
STREETART<br />
NAGELLACK<br />
& SPRAYDOSE<br />
Die Produkte des Berliner Labels Uslu<br />
Airlines um Make-up-Artist Feride Uslu<br />
und ihren Partner Jan Mihm standen von<br />
Beginn an in den weltweit richtigsten<br />
Fashion- und Design-Stores. Begehrt<br />
sind nicht nur die Nagellacke (benannt<br />
nach internationalen Flughafenkürzeln)<br />
und das Airbrush-Make-up, sondern<br />
auch die Sondereditionen mit Sammlerwert.<br />
Die aktuelle capsule collection entstand<br />
mit dem Graffitikünstler Superblast<br />
und dem Spraydosenhersteller Montana.<br />
Mit den Farben des Heidelberger Unternehmens<br />
hat nicht nur Superblast seine<br />
Tags auf der ganzen Welt hinterlassen. LACK FÜR JEDE STRASSENLAGE VON USLU AIRLINES<br />
1Powder-Clutch<br />
Rosa, Pink und ein Hauch Golden Glow – das sind die<br />
Farben des Frühlings. Ob Sisleys Multicolour Blush<br />
„Palette L’Orchidée“ (um 77 Euro) aus der California<br />
Soul Collection oder Diors „Palette Chérie Bow“<br />
(limitiert, in zwei Nuancen, um 80 Euro) aus der<br />
gleichnamigen Edition – beide Looks vereinen das<br />
Mädchen hafte. Die Powder-Clutch in Form einer adaptierten<br />
Dior-Schleife gestaltete das Team rund um Camille Miceli,<br />
Diors Creative Director of Accessories.<br />
OBEN: EIN SEIDIGES ROUGE<br />
IN FORM EINER ORCHIDEE.<br />
RECHTS: DREI LIDSCHATTEN,<br />
EYELINER UND EIN LIPGLOSS<br />
IN EINER CLUTCH<br />
2Neue<br />
Mascaras<br />
Niemals ohne<br />
meine Wimperntusche!<br />
Das sind<br />
unsere derzeitigen<br />
Favoriten: „Surrealist<br />
Everfresh Mascara“ mit<br />
einer tropfenförmigen Bürste<br />
für den perfekten Farbauftrag.<br />
Von Helena Rubinstein, um<br />
40 Euro. Bei „Le Volume de<br />
Chanel“ verspricht das patentierte<br />
Snowflakes-Bürstchen<br />
XL-Volumen. Von Chanel, um<br />
30 Euro. „Dior show Iconic<br />
Overcurl“ sorgt mit einer<br />
extrem geschwungenen Bürste<br />
und Polymer-Formel für<br />
maximalen Wimpernschwung.<br />
Von Dior, um 32 Euro.<br />
84<br />
DIE NEUEN<br />
TUSCHEN DER<br />
LUXUSKLASSE:<br />
HELENA<br />
RUBINSTEIN,<br />
CHANEL, DIOR<br />
Porträt: Marni<br />
NELKE & MINZE<br />
Dieses Mouthwash/Bain<br />
de Bouche<br />
erfrischt den Atem<br />
mit Nelke, Anissamen<br />
und Minze<br />
und sieht aus, als<br />
habe man es in<br />
einer altmodischen<br />
Apotheke von<br />
Hand abgefüllt.<br />
Perfekt für<br />
Designerbad und<br />
Landhaus.<br />
BEAUTY-TALK<br />
VON AESOP. IN EDLER 500-ML-GLASFLASCHE,<br />
UM 20 EURO<br />
CAROLINA CASTIGLIONI<br />
HAUTE BEAUTÉ<br />
HYALURON &<br />
NAPPALEDER<br />
Frühjahrsduft<br />
Die Tochter von Marni-Chefin Consuelo Castiglioni ist verantwortlich für das<br />
Online-Business der italienischen Marke. Zum Launch des ersten Marni-Duftes<br />
sprach sie über echte und falsche Schönheit<br />
INTERVIEW: Wie lange brauchen Sie morgens im Bad?<br />
CAROLINA CASTIGLIONI: Nicht länger als 15 Minuten. Duschen,<br />
Feuchtigkeitscreme, ein Hauch Rouge, fertig.<br />
INTERVIEW:<br />
Und welche sind Ihre Lieblingsprodukte?<br />
CASTIGLIONI:<br />
Die „Calendula“-Gesichtscreme von Weleda, die<br />
hatte ich eigentlich für meinen Sohn gekauft<br />
(Filippo, 14 Monate).<br />
Aber sie riecht so lecker, dass ich sie jetzt selbst benutze. Mein<br />
pinkfarbenes Rouge ist von MAC und lässt meinen olivefarbenen<br />
Teint frischer wirken. Dann habe ich noch einen klassischen<br />
Labello und vielleicht eine wasserfeste Mascara – mehr brauche<br />
ich nicht.<br />
INTERVIEW: Erinnern Sie sich an den ersten Duft, den Sie be-<br />
wusst wahrgenommen haben?<br />
CASTIGLIONI: „Caron pour homme“! Dieser Duft erinnert mich an<br />
meinen Vater – und er benutzt ihn heute noch!<br />
BEAUTY<br />
Edle Chypreakkorde, kräftige Blumenbouquets<br />
oder warme Holznoten – die Kreationen der<br />
französischen Modehäuser vereinen die zarten<br />
Pudernuancen der Düfte. „Bottega Veneta Eau<br />
3Légère“ in einer frischen Neuinterpretation<br />
und mit einem Hauch Gardenie, ab 47 Euro.<br />
Bei „L’Eau Rose“ von<br />
Balenciaga gesellt sich<br />
zur eleganten Veilchennote<br />
eine moderne Rose,<br />
64 Euro. Mit welchen<br />
Blütenaromen sich „ME“<br />
von Lanvin umgibt,<br />
bleibt vorerst noch ein<br />
Geheimnis. Ab Mai im<br />
Handel, ab 40 Euro.<br />
BOTTEGA<br />
85<br />
Das französische Modehaus mit der langen Haute-Couture-Tradition setzt nun<br />
neue Maßstäbe der Handwerkskunst im Make-up-Bereich. Riccardo Tisci,<br />
kreativer Kopf von Givenchy, verwendete zum ersten Mal sein Lieblingsmaterial<br />
für ein Beautyprodukt: Schwarzes Nappaleder ziert die silberne Verschlusskappe<br />
von „Le Rouge“, dem neuen Lippenstift der Marke. Das very fashionable<br />
Beauty-Must-have gibt es in zwölf Couture-Nuancen, es spendet Feuchtigkeit<br />
durch einen Hyaluronsäure-Komplex und duftet nach dem Aroma von Schwarzen<br />
Johannisbeeren. Um 35 Euro.<br />
BALENCIAGA LANVIN<br />
INTERVIEW: Was war Ihr erstes Parfüm?<br />
CASTIGLIONI: (lacht) Das verrate ich nicht! Ich finde es heute schrecklich.<br />
INTERVIEW: Was benutzen Sie dann heute?<br />
CASTIGLIONI: Unseren neuen Duft „Marni“ natürlich (lacht). Nein, im Ernst:<br />
Ich mag würzige Düfte, auf keinen Fall blumig und süß, da bin ich meiner<br />
Mutter sehr ähnlich. Ich liebe auch die würzigen Duftkerzen von Mizensir –<br />
die erinnern mich an zu Hause, weil immer irgendwo eine brennt.<br />
INTERVIEW: Was tun Sie für Ihre Haare?<br />
CASTIGLIONI: Ich gehe schon ewig zu Di Luca<br />
(www.dilucamilano.com), dort gibt<br />
es spezielle Kopfhaut-Treatments, Massagen<br />
und die eigene Produktlinie zum Mitnehmen.<br />
INTERVIEW: Was ist die größte Beautysünde,<br />
die eine Frau begehen kann?<br />
CASTIGLIONI: Zu viel Make-up, zu viel<br />
surgery! Als ich auf der Art Basel Miami war,<br />
war ich schockiert – weil alle gleich aussahen.<br />
Gleich schlimm!<br />
LINKS: MARKENBOTSCHAFTERIN DES<br />
MARNI-DUFTES – EINE PUPPE<br />
RECHTS: CAROLINA CASTIGLIONI
Beauty<br />
Man hat ja schließlich nicht<br />
nur ein Paar SCHUHE<br />
Diskutiert werDen:<br />
Markentreue, Hautstruktur unD Die<br />
founDation fürs leBen<br />
Daywear BB anti OxiDant Beauty<br />
Benefit CreaM LSf 35<br />
von ESTÉE LAUDER, um 35 Euro<br />
LeS BeigeS HeaLtHy gLOw SHeer<br />
POwDer SPf 15 in sieben natürlichen<br />
Nuancen. Von CHANEL, um 48 Euro,<br />
ab Mitte März im Handel<br />
MaeStrO fuSiOn Make uP SPf 15<br />
von GIORGIO ARMANI, um 60 Euro<br />
foto MicHael Mann<br />
PerfeCt HyDrating BB CreaM SPf 30<br />
von SHISEIDO, um 34 Euro<br />
DiOrSkin nuDe BB CreaM SPf 10<br />
mit einem Rosy-Glow-Pigmentkomplex,<br />
in drei Nuancen. Von DIOR, um 41 Euro<br />
BB VenOM Skin tint mit dem<br />
hautstraffenden Peptid-Komplex Syn-Ake,<br />
in den Nuancen Capri, Hamptons und<br />
St. Barth. Von RODIAL, um 38 Euro<br />
86<br />
eine kolumne von Bettina Brenn<br />
Ist da nicht eins wie das andere, irgendwie hautfarben und<br />
hoffentlich deckend? Wer bei Make-up beziehungsweise<br />
Foundations so etwas denkt, liegt völlig falsch. Denn<br />
kaum ein anderer Bereich der Beautybranche hat in den<br />
vergangenen Jahren so viel Neues entwickelt. Ein Puder ist nicht<br />
unbedingt mattierend, und ein cremiges Fluid kann ebenso ein<br />
pudriges Er gebnis erzielen. Wahre Hybride an Texturen und<br />
komplex ummantelte Farbpigmente sind dabei entstanden. Da<br />
ist es wohl an der Zeit, seinen eigenen, vielleicht schon etwas in<br />
die Jahre gekommenen nudefarbenen Dauerbrenner zu überdenken.<br />
Zugegebenermaßen war auch ich eine treu ergebene<br />
Verwenderin meines Lieblingsprodukts. Rund zehn Jahre lang<br />
begleitete mich einzig und allein Diors „Diorskin Forever Compact“<br />
in der Farbe 300. Regelmäßig griff ich blind ins Regal, um<br />
für die nächsten Monate hauttechnisch wieder safe zu sein. Die<br />
Farbe entsprach rund zehn Monate im Jahr meinem Hautton,<br />
die Textur vertrug sich gut mit meinem nicht ganz unkomplizierten<br />
Teint, und kleine Makel verschwanden besonders lange unter<br />
der cremigen Puderschicht. Doch plötzlich änderte sich meine<br />
Hautstruktur, und ich probierte etwas Neues aus. Eine bis dato<br />
für mich undenkbare Textur passte zur neuen Situation: „Vitalumière<br />
Aqua Teint Compact Crème Frais Hydratant“. Das Produkt<br />
mit dem unendlich langen Namen ist von Chanel und fühlt<br />
sich auf der Haut kühl und frisch an – ich fand es herrlich. Seitdem<br />
war ich wie angefixt vom Neuen und wartete sehnsüchtig<br />
auf die lange angekün digte Foundation von YSL, die das Pendant<br />
zu „Touche Éclat“ sein soll. Endlich war „Le Teint Touche<br />
Éclat“ da und wanderte mit gleich zwei Nuancen in mein Bad –<br />
denn meinen exakten Hautton fand ich nur in meiner persönlichen<br />
Mischung. Das nächste Highlight ließ nicht lange auf sich<br />
warten. Linda Cantello, Giorgio Armanis International Make-up<br />
Artist, kündigte es mir backstage an und prophezeite, dass ich<br />
sofort „in love“ sein würde. „Maestro Fusion Make up“ fühlt<br />
sich an wie ein Öl, legt sich federleicht aufs Gesicht, ist transparent,<br />
aber trotzdem deckend und passt sich hundert Prozent<br />
meinem Hautton an.<br />
Aber nicht nur Foundations sind die neuen Lieblinge der<br />
Beautybranche, sondern ebenso nudefarbene BB Cremes. Was<br />
vor geraumer Zeit noch als Hype erschien, mausert sich zum<br />
Dauerbrennerthema, ganz egal, ob bei Kiehl’s, Clarins oder Clinique.<br />
Die Geschichte um die Wundercreme, die in den Sechzigern<br />
von der deutschen Dermatologin Dr. Christine Schrammek<br />
entwickelt wurde, haben wir hier ja bereits erzählt. Doch die heutigen<br />
Beauty Balms sind wahre Multitalente – Serum, Moisturizer,<br />
Foundation und Sunblock stecken jetzt in jeder Tube. Zu<br />
meinem Bedauern muss ich zugeben: Ich habe bisher noch keine<br />
BB Creme ausprobiert (und das, obwohl sie sogar meine Initialen<br />
trägt). Aber lange wird es nicht dauern – ich bin ja offenbar gerade<br />
im tried & tested-Modus. Denn in meinem Beautyschrank, in<br />
dem jahrelang nur ein Produkt stand, steht jetzt bereits eine kleine,<br />
feine Sammlung hautfarbener Highlights. Und mal ehrlich:<br />
Man hat ja schließlich auch nicht nur ein Paar Schuhe, oder?<br />
Und ja: LOVE*<br />
BEAUTY<br />
BACK<br />
TO<br />
BLACK<br />
DAS KLEINE SCHWARZE IST IN DER MODE EIN<br />
KLASSIKER – UND AUCH BEIM MAKE-UP<br />
IST ES IN DIESER SAISON FAST UNVERMEIDLICH.<br />
EINE GEBRAUCHSANLEITUNG IN VIER<br />
SCHWIERIGKEITSGRADEN<br />
FOTOS<br />
ALEXANDER STRAULINO<br />
ASIAN TALES<br />
Der Gel-Eyeliner „Fluidline” in der Farbe Blacktrack wurde mit<br />
dem Pinsel No. 266 aufgetragen. Etwas beigefarbener Lidschatten<br />
in der Nuance „Vapour” unterstützt den Look. Auf Mascara<br />
wird verzichtet. Die Lippen wurden mit „Lipstick” in Up The Amp betont.<br />
Nägel mit „Nail Lacquer” in Nocturnelle. Alle Produkte von MAC<br />
87
BEAUTY<br />
NEW DOLL<br />
Fake Lashes No. 35 mit viel „Studio Fix Lash”-Mascara<br />
in Schwarz. Zudem weißer „Eye Khol” in der Nuance<br />
Fascinating auf die Wasserlinie des Auges auft ragen.<br />
Auf das Unterlid ebenfalls viel Mascara geben und kräft ig<br />
verwischen. Auf den Wangen leuchtet das „Blush” in<br />
Sunbasque. Die Lippen wurden lediglich mit „Lipstick”<br />
in Shy Girl betupft. Alle Produkte von MAC<br />
88<br />
FREESTYLE<br />
Auf dem Auge: Gel-Eyeliner „Fluidline” in der Farbe Blacktrack.<br />
Auf der Wasserlinie des Auges wurde „Eye Khol” in<br />
Smolder aufgetragen. Unter dem Auge ein Lidschatten-<br />
Mix „Eye Shadow” in den Farben Stars ’N Rockets und Parfait Amour.<br />
Darüber ein Mix mit „Chromacake” in Black und Purple.<br />
Für den Glosseffekt: „Gloss Crème Brillance”. Auf den Lippen ein Mix<br />
aus „Lipstick” in Crème Cup und Freckletone.<br />
Alle Produkte von MAC
PoP-Art<br />
die Augen wurden komplett mit dem gel-eyeliner „Fluidline” in der Farbe Blacktrack umrandet. den inneren Augenwinkel betont der<br />
nachtschwarze „eye Shadow” in deep truth. das highlight: „neon Pigment” in magenta madness – es wird sowohl unter der<br />
Augenbraue, entlang der schwarzen eyeliner-kontur als auch auf die Schläfen aufgetragen. die lippenstiftfarbe ist ein mix aus<br />
„neon Pigment” in magenta madness und neo orange plus „lipstick” in lady danger. Alle Produkte von mAC<br />
StoriES<br />
90<br />
Fotos AlexAnder StrAulino/Shotview<br />
haare hAuke krAuSe/klAuS Stiegemeyer<br />
make-up ChriStinA vACirCA Für mAC<br />
model AlexAndrA tretter/m4 modelS<br />
Foto-Assistenz ClemenS PorikyS<br />
Produktion BettinA Brenn<br />
retusche mit bestem dank an<br />
www.elektroniSCheSChoenheit.de<br />
Project <strong>Heidi</strong><br />
Dass diese Dame – Frau HeiDi Klum aus Bergisch Gladbach, derzeit in los Angeles ansässig – ein Vollprofi ist, hat sich<br />
inzwischen herumgesprochen. Dass sie gleichzeitig sexy, glamourös und selbstironisch aussehen kann, zeigt sie auf den nächsten Seiten.<br />
ihr entdecker THomAS GoTTScHAlK traf die entertainerin zum Gespräch über Job und die Welt. Außerdem in dieser Ausgabe:<br />
Das model AGyneSS Deyn über sich selbst. Die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin lenA DunHAm über ihre<br />
bahnbrechende Serie Girls. Die Fashion-ikone GRAce coDDinGTon im Gespräch mit dem Designer nicolAS GHeSquièRe.<br />
Der underground-Filmemacher KenneTH AnGeR über den Teufel und seine Freunde.<br />
und wahnsinnig viel mode zum mitträumen.<br />
Foto rAnkin<br />
Styling MaryaM Malakpour<br />
Haare MiCHEl alEMan/Bryan BanTry<br />
Make-up linDa Hay/Wall Group<br />
MiT proDukTEn Von aSTor<br />
91<br />
Top & Hose ManiSH arora,<br />
Strumpfhose WolForD, Manschette roBErT lEE MorriS,<br />
ringe (rechts) rEpoSSi, ring (links) laDy GrEy,<br />
Schuhe GiuSEppE ZanoTTi
<strong>Heidi</strong>!<br />
von<br />
Thomas gottscHalk<br />
Fotos<br />
rAnkin<br />
styling<br />
MAryAM MAlAkpour<br />
92<br />
choker<br />
robert lee Morris<br />
kette & ringe<br />
delFinA delettrez
Es gab tatsächlich eine Zeit,<br />
in der deutsches Fernsehen<br />
ohne HEidi Klum auskommen<br />
musste. das änderte sich<br />
jedoch am 29. April 1992, als<br />
THomAs GoTTscHAlK<br />
in seiner sendung nach<br />
“Germany’s first Top model”<br />
suchte: Gegen 25 000 Bewerberinnen<br />
setzte sich am Ende<br />
ein brünettes mädchen aus<br />
Bergisch Gladbach durch,<br />
“die <strong>Heidi</strong>”, wie Gottschalk<br />
sie bereits damals taufte.<br />
Als Prämie erhielt das mädchen,<br />
das mit der ganzen<br />
schüchternheit einer 18-Jährigen<br />
in die Kameras lächelte,<br />
einen modelvertrag und zwei<br />
schmatzende sieger küsse vom<br />
blonden Gastgeber. 20 Jahre<br />
später baten wir Thomas<br />
Gottschalk, seine größte<br />
Entdeckung noch einmal<br />
zu besuchen<br />
kleid<br />
michAel kors<br />
armband<br />
delfinA delettrez<br />
kette<br />
lAdy grey<br />
choker<br />
AnndrA neen
“<br />
Der Einstieg<br />
war eher holprig<br />
und der Weg von<br />
Bergisch Gladbach<br />
nach New York<br />
keine Schnellstraße<br />
”– <strong>Heidi</strong> Klum<br />
kleid<br />
gucci<br />
strumpfhose<br />
wolford<br />
kette & choker<br />
delfinA delettrez<br />
manschetten<br />
lAdy grey<br />
ohrringe<br />
A peAce treAty
<strong>Interview</strong>. Eine schöne Idee. Menschen unterhalten<br />
sich miteinander. Ohne die lauernden Blicke eines<br />
Journalisten, der vor allem auf den Satz wartet, den<br />
er zum Promoten des Gespräches schon vorab in den<br />
Umlauferhitzer der öffentlichen Erregungsspirale<br />
ein speisen kann. Also, die Gottschalks machen mit den Klums<br />
ungestört ein gemütliches Dinner “bei uns oder bei euch”,<br />
und wenn <strong>Heidi</strong>s Martin dann was sagt, was er lieber nicht<br />
gesagt hätte (was weiß man schon als Neuer über die Tretminen<br />
in diesem Geschäft), dann lassen wir’s halt am Ende<br />
weg. <strong>Heidi</strong>s Terminkalender und meine Frau, die nicht so neu<br />
ist in diesem Geschäft, machen diesen Plan zunichte: “Also,<br />
ich sag da nix!” So wird aus dem Dinner<br />
“<br />
zu viert, das wir<br />
demnächst “bei uns oder bei euch” nachholen, ein Besuch<br />
von mir in <strong>Heidi</strong>s Trailer auf dem Set von Germany’s next<br />
Top model am kalifornischen Venice Beach. <strong>Heidi</strong> freut sich:<br />
“Hättest du gedacht, dass ich mal in deine Fußstapfen<br />
treten würde? Als ich da vor 20 Jahren<br />
bei dir auf dem Sofa saß, wäre es mir<br />
nicht im Traum eingefallen, dass ich selber<br />
mal im Fernsehen moderieren würde.<br />
Obwohl mich bei den großen Shows dieser<br />
Teleprompter immer noch verrückt<br />
macht. Ich hab jedes Mal Herzklopfen<br />
und keine Spucke mehr im Mund, bevor<br />
es losgeht!”<br />
Nein, das hätte ich nicht gedacht.<br />
Und schon gar nicht, dass <strong>Heidi</strong> Klums<br />
Biografie eine der wenigen Chancen ist,<br />
mich selbst im amerikanischen TV zu<br />
sehen. Ich werde dort, völlig zu Recht,<br />
als der Mensch interviewt, der sie entdeckt<br />
hat. Vor allen Castingformaten<br />
hatte ich, Anfang der Neunziger, in meiner<br />
Fernsehshow sozusagen “Germany’s<br />
first Topmodel” gesucht und <strong>Heidi</strong> Klum<br />
gefunden.<br />
“Mein Gott, war das alles aufregend. Und ein Raketenstart<br />
war das keineswegs. Der Einstieg war eher holprig<br />
und der Weg von Bergisch Gladbach nach New York keine<br />
Schnellstraße. Ich versuche, das den Mädchen in meiner<br />
Show auch immer klarzumachen, wenn ich sehe, was die für<br />
lange Gesichter machen, wenn’s mal nicht so läuft, wie sie<br />
sich das vorstellen. Die gucken sich alle Staffeln an und denken<br />
dann, es wird immer ein bisschen leichter. Das Gegenteil<br />
ist der Fall. Im Modelgeschäft wird niemand auf Rosen gebettet.<br />
Aber die Mädchen begreifen nicht, dass das hier nur<br />
der erste Schritt ist. Ich kann sie nur auf einen Weg stellen,<br />
den sie dann alleine weitergehen müssen. Trotzdem fragen<br />
einige immer wieder, wann’s denn mal wieder was geschenkt<br />
gibt, oder beschweren sich, wie schlimm das alles ist, wenn<br />
sie interviewt werden.”<br />
Trotzdem merke<br />
ich, dass der Gegenwind,<br />
vor allem in<br />
Deutschland, stärker<br />
wird. Vor vielen<br />
Jahren konnte ich<br />
dort nichts falsch<br />
machen, inzwischen<br />
hat sich das Blatt<br />
gewendet<br />
98<br />
Das <strong>Interview</strong> als Beschwerdestelle. Seit ich gemerkt<br />
habe, dass das nicht funktioniert, habe ich aufgehört, welche<br />
zu geben. Der Versuch, sich einem Menschen zu erklären, damit<br />
dieser dann dem Rest der Welt vermittelt, wie großartig<br />
man ist, muss scheitern. Warum sollte ein Journalist sich<br />
selbst zum Fanclubleiter degradieren? Und das hauptberuflich<br />
und immer wieder für jemand anderen? Also lässt man<br />
es irgendwann bleiben. Jedes <strong>Interview</strong>, das ich gebe, ist definitiv<br />
mein letztes. Und wie weit ist <strong>Heidi</strong> auf diesem Weg?<br />
“Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. <strong>Interview</strong>s<br />
zu geben gehört ja auch zu unserer Arbeit, und deswegen<br />
ist das Ganze irgendwie ein Teufelskreis. Ich nutze solche<br />
Gespräche dazu, ein Bild von mir in die Öffentlichkeit zu<br />
bringen, das den Tatsachen entspricht. Leider sind die wenigsten<br />
Journalisten an Fakten interessiert. Die haben ihre<br />
Geschichte schon geschrieben, bevor sie dich treffen. Und<br />
manchmal merkst du ihnen sogar die Enttäuschung an,<br />
wenn du ihnen ihre schöne Story kaputtmachst,<br />
weil deine Geschichte eine andere<br />
ist als die, die sie wollen.”<br />
Die Geschichte ist immer eine andere<br />
als die, die man über sich lesen möchte,<br />
und man lebt im öffentlichen Dienst in<br />
ständiger Besorgnis, dass die letzte Story<br />
über privates oder öffentliches Versagen<br />
einem beim Publikum nun endgültig das<br />
Genick brechen könnte, wo doch die vorletzte<br />
gerade mal erst in Vergessenheit<br />
geraten ist. Hat man aber genügend dieser<br />
Panikattacken überlebt und begriffen,<br />
dass sich die Menschen ihr Weltbild<br />
doch nicht nur aus dem Internet und<br />
den Zeitungen zusammenklauben, ist die<br />
Gefahr groß, dass man darüber zur misslaunigen<br />
oder misstrauischen Diva verkommen<br />
ist. Aber wir beide doch nicht.<br />
Wir sind unerschütterliche Frohnaturen<br />
und obendrein blond …<br />
“… aber ich bin nicht blauäugig, auch wenn das mit der<br />
Frohnatur stimmt, das ist Teil meiner Persönlichkeit. Deswegen<br />
suche ich auch, wo es geht, den direkten Kontakt zu den<br />
Menschen. Ich bin immer gerne ,live‘. Da stehe ich dann auch<br />
Rede und Antwort, und jeder kann sich selber ein Bild von<br />
mir und dem, was ich sage, machen. Ich habe keine Leichen<br />
im Keller, es gibt keine Fragen, vor denen ich mich fürchte,<br />
und ich muss mich vor niemandem verstecken. Trotzdem<br />
merke ich natürlich, dass der Gegenwind, vor allem in<br />
Deutschland, stärker wird. Vor vielen Jahren konnte ich dort<br />
nichts falsch machen, inzwischen hat sich das Blatt gewendet.<br />
Manchmal werde ich da total zerfleischt!”<br />
Vorsicht! Es gibt keine größere Gefahr für mehr oder weniger<br />
beliebte Deutsche, als sich unter kalifornischer Sonne<br />
”<br />
– <strong>Heidi</strong> Klum<br />
kleid<br />
roberto cAvAlli<br />
armreife (links)<br />
cArA croninger<br />
manschette (rechts)<br />
delfinA delettrez
“<br />
Ich habe keine Leichen im Keller,<br />
es gibt keine Fragen,<br />
vor denen ich mich fürchte<br />
”<br />
– <strong>Heidi</strong> Klum<br />
top<br />
jeremy scott<br />
strumpfhose<br />
wolford<br />
hut<br />
thomAs wylde<br />
vintage<br />
kette mit blume<br />
gucci<br />
kette & armband<br />
A peAce treAty<br />
ring<br />
repossi<br />
schuhe<br />
nicholAs<br />
kirkwood
darüber zu beklagen, dass man in der Heimat gerade mehr<br />
oder weniger beliebt ist. In Deutschland frieren sich derzeit<br />
Millionen Menschen unter einem grauen Himmel den Arsch<br />
ab. Und die haben alle andere Sorgen, als sich darüber den<br />
Kopf zu zerbrechen, ob sich <strong>Heidi</strong> oder Thommy nun gerade<br />
von der Welt verstanden fühlen oder nicht. Trotzdem rede<br />
auch ich mir manchmal ein, dass Medien und Publikum in<br />
den USA sehr viel schneller applaudieren, sehr viel weniger<br />
mäkeln, und wenn sie überhaupt etwas infrage stellen, dann<br />
zuallerletzt ihre Publikumslieblinge. Aber was weiß ich denn.<br />
Mich kennt in den USA kaum einer, <strong>Heidi</strong> kennen sie alle.<br />
“Da muss man die professionelle und die private Seite<br />
auseinanderhalten. In meiner US-Show<br />
“<br />
Project Runway<br />
stelle ich junge Designer vor, die unglaublich heiß sind. Die<br />
hängen sich mit aller Kraft rein, die begreifen einerseits, welche<br />
Chance sie haben, aber sehen auch, dass sie gleichzeitig<br />
Teil eines Unterhaltungsformates sind, das gefüttert werden<br />
muss. Also liefern sie, indem sie mitspielen.<br />
Meinen Mädchen in der deutschen<br />
Show muss ich manchmal regelrecht in<br />
den Hintern treten, damit sie begreifen,<br />
worum es geht. Und die erwarten sich<br />
vom Fernsehen eine Traumwelt, die ich<br />
ihnen einfach nicht bieten kann. Privat<br />
lebt es sich in meiner Situation natürlich<br />
in den USA leichter. Klar, an meinem<br />
Leben wollen sie hier auch alle teilhaben,<br />
das ist nicht immer leicht, aber<br />
man gewöhnt sich dran. That’s the price<br />
you pay! Was hier in den Medien und<br />
bei den Menschen, die ich auf der Straße<br />
treffe, völlig wegfällt, ist der Neidfaktor.<br />
Und man wird hier auch nicht<br />
dauernd in andere Zusammenhänge<br />
gestellt oder mit anderen verglichen.<br />
In Deutschland wird ein Erfolg von Bar<br />
Refaeli sofort auch zu einem Misserfolg für mich umgedeutet.<br />
Ich sehe das überhaupt nicht so, wir sind Freundinnen,<br />
ich gönn ihr alles.”<br />
Na klar, menschlich gönne ich meinen Kollegen auch alles,<br />
deswegen müssen sie ja nicht gleich eine höhere Einschaltquote<br />
haben. Qualität ist ohnehin nichts mehr, über das<br />
man heute noch streiten könnte, abgerechnet wird in Zahlen<br />
– Marktanteilen, Umfrageergebnissen, Zielgruppen. Ich mach<br />
das knappe 20 Jahre länger als <strong>Heidi</strong> und so toll, wie’s mal<br />
war, kann’s nicht mehr werden. Nichts ist schöner, als zur<br />
richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, ein Medium<br />
auf der Höhe seiner Möglichkeiten erlebt zu haben. Zu wissen,<br />
in dieser Phase dabei gewesen zu sein, führt zu großer<br />
Entspannung. Vielleicht sogar zu einer gewissen Wurstigkeit,<br />
die in Lethargie enden könnte. Ich weiß das, weiß <strong>Heidi</strong><br />
es auch?<br />
Ich bin zu 100<br />
Prozent Kontrollfreak<br />
und habe überall<br />
meinen Daumen drauf.<br />
Die Konkurrenz,<br />
gegen die ich antrete,<br />
ist gewaltig, das ist<br />
aber auch Teil des<br />
Ansporns<br />
102<br />
“Ich habe einen irren Drive und bin jemand, dem nichts<br />
entgeht, was am Set passiert. Ich bin zu 100 Prozent Kontrollfreak<br />
und habe überall meinen Daumen drauf. Ich will<br />
immer das Beste aus allem machen. Auf jeden Fall einen guten<br />
Job. Wenn ich merke, dass irgendwas verschlampt wird<br />
oder die Produktion wieder mal auf den Geldbeutel schielt<br />
und dadurch Sachen nicht so gut werden, wie ich sie gerne<br />
hätte, dann ärgert mich das. Mein Job und meine Show sind<br />
ja irgendwie auch meine Fantasiewelt. Und wenn das nicht<br />
rüberkommt, dann hab ich nicht das Optimale abgeliefert.<br />
Die Konkurrenz, gegen die ich antrete, ist gewaltig, das ist<br />
vielleicht auch ein Teil des Ansporns. Aber ich nehme das<br />
nicht persönlich, sondern als Motivation für meine Sache.”<br />
Sollte ich von <strong>Heidi</strong> noch was lernen können? In den Medien<br />
werde ich inzwischen eher als Showfossil wahrgenommen,<br />
als Relikt des guten alten Familienfernsehens, das keiner<br />
mehr so recht braucht. Ich tröste mich damit, dass Kuli,<br />
Carrell und Rosenthal mein Leben lang<br />
graue Haare hatten. Und richtige Sorgen<br />
macht mir das nicht, ich habe früh<br />
genug angefangen. Aber als Model spielst<br />
du ja mit 30 schon in der Seni orenliga.<br />
Wird’s da für <strong>Heidi</strong> langsam Zeit, sich<br />
neu zu orientieren?<br />
“Ich mache zwar noch verschiedene<br />
Kampagnen und Modestrecken, aber<br />
inzwischen nicht mehr als Model, sondern<br />
als Person. Mein Gesicht und mein<br />
Körper sind zu einer Marke geworden.<br />
Ich merke, wie sich mein Aufgabenfeld<br />
langsam verändert. Ich möchte gerne<br />
mehr hinter der Kamera machen und<br />
im Designbereich aktiver werden und<br />
bin sehr glücklich, dass Amerika mich<br />
mit so offenen Armen empfangen hat.<br />
Mein Abschiedsgruß ,Auf Wiedersehen‘,<br />
mit dem ich Kandidaten bei Project Runway verabschiede,<br />
ist hier Kult geworden, die Leute auf der Straße kennen und<br />
mögen mich.”<br />
Das stimmt, als ich mit <strong>Heidi</strong> den Trailer verlasse, knipsen<br />
auch die amerikanischen Fotografen. Als <strong>Heidi</strong> zum Set abbiegt,<br />
biegen sie mit ab. Ich bin unsichtbar geworden. Nicht<br />
ganz. “Thommy, Thommy, ich bin aus Bautzen und mach<br />
hier Urlaub. Krieg ich ein Foto mit dir?”<br />
“Kriegst du!”<br />
”<br />
– <strong>Heidi</strong> Klum<br />
Styling MaryaM Malakpour/ClM<br />
Haare MICHEl alEMaN/BryaN BaNTry<br />
Make-up lINDa Hay/Wall Group MIT proDukTEN VoN aSTor<br />
Maniküre MICHEllE SauNDErS/CElESTINE<br />
Digital operator JIMMy DoNElaN<br />
Foto-assistenz MaX MoNTGoMEry, roB oaDES,<br />
TrISHa WarD, NICo TErraNEo<br />
Styling-assistenz CaTlIN MyErS, EMIly Mazur<br />
produktion NINa raSSaBy-lEWIS, aNDrEW DaVIES<br />
Dank an HollyWooD loFT STuDIoS<br />
kleid<br />
louis vuitton<br />
strumpfhose<br />
wolford<br />
ringe<br />
repossi<br />
ohrringe<br />
delfinA delettrez
top<br />
reed krAkoFF<br />
höschen<br />
cAlvin klein<br />
underwear<br />
strumpFhose<br />
FogAl<br />
kette<br />
(durchgehend getragen)<br />
Ariel gordon<br />
104<br />
Agyness<br />
Fotos<br />
crAig mcdeAn<br />
styling<br />
kArl templer<br />
deyn<br />
Als model gelang es der<br />
engländerin Agyness deyn,<br />
innerhalb kürzester Zeit einen<br />
eigenen Look zu etablieren.<br />
doch nun will die 30-Jährige<br />
die Laufstege in Paris und<br />
mailand gegen die Boulevards<br />
von Hollywood eintauschen<br />
und schauspielerin werden.<br />
Bon voyAge!<br />
von<br />
david Amsden<br />
top<br />
chloé<br />
höschen<br />
cAlvin klein<br />
underwear<br />
strumpfhose<br />
fogAl
“<br />
Eine Frau muss<br />
dies, eine Frau muss<br />
das … All diese Projektionen,<br />
die nirgendwo<br />
hinführen. Damit ist<br />
mit 30 Schluss. Ich<br />
dachte: Fuck yeah,<br />
jetzt kann ich einfach<br />
nur ich selbst sein<br />
– Agyness Deyn”<br />
bluse & bH<br />
mArc jAcobs<br />
HöscHen<br />
AmericAn AppArel<br />
strumpfHose<br />
fogAl<br />
scHuHe<br />
tHeory
DaviD amsDen: Eigentlich wollten wir um zehn<br />
Uhr morgens miteinander sprechen, aber da dachte<br />
ich: Das geht ja gar nicht. Das widerspricht doch jedem<br />
Klischee, das ich über den dekadenten Lebensstil<br />
von Leuten wie dir habe, du stehst doch nie vor<br />
15 Uhr auf!<br />
agnes Deyn: Ich wünschte, es wäre so. Leider<br />
weckt mich meine innere Uhr jeden Morgen zwischen<br />
6.30 und 7.30 Uhr. Dementsprechend muss<br />
ich, wenn ich wirklich genug Schlaf bekommen will,<br />
eigentlich um 22 Uhr ins Bett. Wie sich das für eine<br />
Oma wie mich gehört.<br />
amsDen: Als Model hast du Dinge erreicht, von<br />
denen sehr viele nur träumen können. Du warst ganz<br />
oben. Hast du denn keine Angst, als Schauspielerin<br />
noch einmal von ganz unten anzufangen?<br />
Deyn: Als ich anfing zu modeln, hatte ich keinen<br />
Schimmer, was ich eigentlich mache. Ich fragte ständig<br />
nach, ob das, was ich tue, irgendwie okay ist. Und<br />
so halte ich es jetzt als Schauspielerin.<br />
amsDen: Stimmen die Gerüchte, dass du mit<br />
dem Modeln aufhören willst? Für immer?<br />
Deyn: Ach, ganz so eng sehe ich das nicht. Ich<br />
wurde beispielsweise gerade für <strong>Interview</strong> fotografiert.<br />
Und das war toll!<br />
top<br />
reeD krAkoff<br />
höschen<br />
cosAbellA<br />
amsDen: Das musst du ja jetzt sagen.<br />
Deyn: Nein, es war großartig. Dennoch fragte<br />
ich mich auf dem Weg ins Studio, ob ich überhaupt<br />
noch modeln kann.<br />
amsDen: Gab es denn einen Punkt in deiner<br />
Karriere als Model, an dem du gemerkt hast, dass es<br />
dich nicht mehr so interessiert?<br />
Deyn: Ja, den gab es. Auf einmal war der Funke<br />
weg. Und selbst das war mir egal. Letztendlich wollte<br />
ich nie Model werden. Ich wurde auf der Straße angequatscht,<br />
habe das ein paar Jahre gemacht und gut.<br />
Ich habe keine Lust, mir einzureden, dass der Funke<br />
noch da ist. Ich will auch nicht behaupten: „Yeah, this<br />
is so great“, wenn es das nicht ist. Die Fähigkeit, so zu<br />
tun, als sei alles okay, habe ich verloren.<br />
amsDen: Ich habe mir Pusher angeschaut, den<br />
Film, in dem du eine Stripperin spielst. Wie hast du<br />
dich auf die Rolle vorbereitet?<br />
Deyn: Oh, zuerst habe ich alles gelesen, was ich<br />
zu diesem Thema finden konnte, unendlich viele<br />
Biografien von Strippern und Süchtigen. Das eigentliche<br />
Tanzen lernte ich bei einem Mädchen aus der<br />
Londoner Stripper-Szene, eine unglaubliche Frau.<br />
amsDen: Hingst du früher in Strip-Clubs rum?<br />
Deyn: Nicht wirklich. Aber plötzlich war es das<br />
Spannendste überhaupt. Ich konnte nicht genug davon<br />
bekommen und lief nur noch rum und überredete<br />
alle, mit mir in Strip-Clubs zu gehen. Frauen,<br />
Sex, Sinnlichkeit, alles da.<br />
amsDen: Als Model hast du einen eigenen, einen<br />
signifikanten Look. Wenn die Leute deinen Namen<br />
hören, geht sofort das Kopfkino los. Hilft das<br />
bei der Schauspielerei, wo generell ja eher chamäleonartige<br />
Fähigkeiten gefragt sind?<br />
Deyn: Weder noch. Es hilft nicht, schaden wird<br />
es aber auch nicht. Außerdem bin ich gerade mal 30.<br />
amsDen: Das stimmt! Wie fühlen sich die 30<br />
eigentlich an für jemanden, der lange in einem so von<br />
Jugend besessenen Gewerbe gearbeitet hat?<br />
Deyn: Vor allem aufregend. Ich habe mich als<br />
Frau gefunden. Jeder sagt und denkt etwas anderes<br />
darüber, wer wie was sein soll und muss. Eine Frau<br />
muss dies, eine Frau muss das … All die Projek tionen,<br />
die nirgendwo hinführen. Damit ist mit 30 Schluss.<br />
Ich habe meinen Platz gefunden. Als plötzlich die 30<br />
da waren, wusste ich: Fuck yeah, jetzt kann ich einfach<br />
nur ich selbst sein.<br />
amsDen: Deshalb auch Los Angeles?<br />
Deyn: Viele meiner Freunde wohnen hier, ich<br />
habe sechs Jahre in New York gelebt und wollte einfach<br />
mal wieder eine Veränderung. Außerdem hätte<br />
ich keinen weiteren Winter in New York überlebt.<br />
amsDen: Vermisst du New York?<br />
Deyn: Nicht den Winter. Aber ich war vergangene<br />
Woche da, und es war toll. Ein wenig fühlte es<br />
sich an, wie einen Exfreund wieder zu treffen.<br />
amsDen: Wo wir schon von älter und erwachsen<br />
werden sprechen: Du hast im vergangenen Jahr geheiratet!<br />
Erzählst du mir von eurer Hochzeit?<br />
Deyn: Der Tag war fantastisch, toll, aber ich<br />
möchte mein Privatleben lieber privat halten. Ich<br />
hoffe, du verstehst das.<br />
amsDen: Absolut. Allerdings frage ich mich,<br />
wie du dann mit der öffentlichen Inszenierung deines<br />
Privatlebens umgehst, die in den vergangenen<br />
Jahren stattfand. Die Vogue druckte beispielsweise<br />
mal eine Geschichte mit dir und deinem Exfreund,<br />
dem The-Strokes-Gitarristen Albert Hammond Jr.,<br />
die jetzt für immer da sein wird.<br />
Deyn: Ja, manchmal nervt es eben, wenn dein<br />
Leben öffentlich dokumentiert wird. Aber irgendwie<br />
ist es auch okay, ich will mich nicht beschweren. Und<br />
schämen muss ich mich dafür nicht.<br />
amsDen: Ein Detail zu deinem Ehemann schlug<br />
ziemlich hohe Wellen in der Presse: Er ist Scientologe.<br />
Die Medienvertreter spekulierten, ob auch du<br />
nun konvertierst?<br />
Deyn: Es ist wirklich erstaunlich: Früher hat<br />
mich nie jemand nach meiner Religion gefragt. Und<br />
auch nicht: „Wie ist es so, mit einem Christen zusammen<br />
zu sein?“<br />
amsDen: Zum Abschluss noch einmal eine<br />
leichte Frage zu einem schweren Anliegen: Hast du<br />
in L.A. endlich aufgehört zu rauchen? Ich habe immer<br />
das Gefühl, die Stadt sei eigentlich ideal dafür.<br />
Deyn: Yeah. Ich rauche seit fast einem Jahr nicht<br />
mehr. Als ich am West End in einem Stück spielte und<br />
wie ein Schornstein qualmte, meinte irgendwann der<br />
Regisseur zu mir, dass es nicht gerade förderlich für<br />
mein Bühnendasein sei. Also habe ich aufgehört.<br />
amsDen: Glückwunsch!<br />
Deyn: (lacht) Vielen Dank! Dennoch schaue ich<br />
immer sehnsüchtig drein, wenn ich irgendwo ein<br />
paar Raucher stehen sehe. Dann denke ich immer:<br />
Ach, ich war mal eine von euch. Und ich habe es<br />
geliebt.<br />
Alle Fotos: Craig McDean/Art+Commerce<br />
BH & HöSCHEN<br />
AMERICAN APPAREL<br />
ROCK<br />
ALBERTA fERRETTI<br />
109<br />
Hair ESTHER LANGHAM<br />
Make-up MARK CARRASQUILLO<br />
Manicure ALICIA TORELLO/THE WALL GROUP<br />
Casting MICHLLE LEE/KCD, INC.<br />
Set Design PIERS HANMER<br />
Retouching GLOSS STUDIO NEW yORK<br />
Digital Technician NICHOLAS ONG<br />
Photography Assistants SIMON ROBERTS,<br />
HUAN NGUyEN, MARU TEPPEI<br />
Styling Assistants JOSHUA COURTNEy,<br />
MATTHEW TAUGER<br />
Hair Assistant DAVID COLVIN<br />
Make-up Assistant EMI KANEKO<br />
Set Assistants LOUIS SAROWSKy, SEAN BARTH<br />
Special thanks INDUSTRIA SUPER STUDIOS,<br />
ELITE MODELS Ny
Wer<br />
hat<br />
angst<br />
vor<br />
Kenneth<br />
anger?<br />
Seine Filme beeinflussten Generationen von Regisseuren und Künstlern.<br />
Wirklich bekannt wurde der Avantgarde-Filmemacher Kenneth Anger<br />
jedoch erst mit seinem Skandalbuch Hollywood Babylon.<br />
Während in Berlin eine Ausstellung Leben und Werk Angers feiert,<br />
empfing uns der 83 – 86-jährige Amerikaner in den Privaträumen<br />
der Galerie Sprüth Magers. In den Nebenrollen: JAyNe MANSFIeLd,<br />
ChARLeS MANSoN, MARIANNe FAIthFuLL, der teuFeL<br />
und andere Weggefährten<br />
von<br />
Jörg HArlAn roHleder<br />
porträt<br />
MAxiMe bAllesteros<br />
110<br />
KennetH Anger, der leibHAftige,<br />
berlin, JAnuAr 2013
IntervIew: Herr Anger, Sie halten vehement daran<br />
fest, am 3. Februar um Mitternacht im Jahr 1930 geboren<br />
zu sein. Etliche Quellen behaupten indes, Sie<br />
wären am 3. Februar 1927 zur Welt gekommen. Bitte<br />
klären Sie uns auf.<br />
kenneth Anger: Ich bin 1930 geboren. Das<br />
sieht man mir doch an.<br />
IntervIew: Ich dachte, Sie hätten vielleicht das<br />
Jahr verändert, weil die Sterne im Jahr 1930 an Mitternacht<br />
günstiger standen.<br />
Anger: Das ist Unfug. Ich glaube an viel, aber<br />
nicht an Horoskope. Horoskope sind etwas für Lutscher.<br />
Allerdings liebe ich es, derlei Verwirrung zu<br />
stiften. Das ist eine meiner Spezialitäten.<br />
IntervIew: Ebenso fraglich scheint Ihr erstes Engagement<br />
in Hollywood: Haben Sie als kleiner Junge<br />
in Max Reinhardts Verfilmung des Sommernachtstraums<br />
mitgespielt – oder war der Prinz in Wirklichkeit<br />
ein kleines Mädchen namens Sheila Brown?<br />
Anger: Nein, das war ich! Ich war der Changeling<br />
Prince! Ich ritt allerdings auf einem Hund, nicht<br />
auf einem Pferd. Der große deutsche Regisseur Max<br />
Reinhardt war ein Freund meiner Großmutter Bertha,<br />
so kam ich an die Rolle. Und bevor Sie jetzt nachfragen:<br />
Ich war vier oder fünf Jahre alt, nicht sieben<br />
oder acht!<br />
IntervIew: Ihren ersten eigenen Film haben Sie<br />
mit elf gedreht.<br />
Anger: Leider ist Who Has Been Rocking My<br />
Dreamboat verloren gegangen. Er war sieben Minuten<br />
lang, gedreht im Sommer 1941, kurz vor dem Angriff<br />
auf Pearl Harbor – im Film schwingt das drohende<br />
Engagement Amerikas im Zweiten Weltkrieg mit.<br />
Ich hatte die Furcht, dass Giftgas eingesetzt werden<br />
könnte. Dies war jedoch nicht der Fall. Zumindest<br />
nicht außerhalb der Gaskammern.<br />
IntervIew: Wie kamen Sie als Elfjähriger darauf,<br />
einen Film zu drehen?<br />
Anger: Ich bin in Hollywood aufgewachsen, war<br />
Schüler der Beverly Hills High School. Wir Kinder<br />
spielten Film, atmeten Film, träumten Film. Das<br />
Kino begleitete uns ständig. Glücklicherweise besaß<br />
meine Familie eine 16-Millimeter-Kamera. Und da<br />
ich nicht wollte, dass mir jemand in meine Angelegenheiten<br />
reinredet, entschied ich, Regisseur zu werden.<br />
IntervIew: Wie hat sich Hollywood seit Ihrer<br />
Kindheit verändert?<br />
Anger: Eigentlich war der Stern Hollywoods<br />
schon verglüht, als ich ein Teenager war. Schauen Sie<br />
sich doch das Personal heute an – all diese Angelinas,<br />
schrecklich beliebig. Oder fällt Ihnen ein echter<br />
Hollywoodstar dieser Tage ein, der mit Göttinnen wie<br />
Clara Bow, Joan Crawford oder Jayne Mansfield mithalten<br />
könnte? Nennen Sie mir nur einen!<br />
IntervIew: Lindsay Lohan, Kristen Stewart, Angelina<br />
Jolie?<br />
Anger: Die können Sie behalten.<br />
IntervIew: Die Damen sind also kein Material<br />
für die lang ersehnte Fortsetzung Ihres Skandalbuchs<br />
Hollywood Babylon?<br />
Anger: Ich bitte Sie!<br />
IntervIew: Was war der letzte in Ihren Augen<br />
würdige Skandal in Babylon? Whitney Houstons Tod?<br />
Oder das Ableben von Michael Jackson?<br />
Anger: Whitney ist in der Badewanne eingeschlafen<br />
und ertrunken. Es war ein dummer Unfall,<br />
tragisch sogar. Aber kein Fall für mich: Es fehlt die Intrige.<br />
Denken Sie nur an Fatty Arbuckle in den Zwanzigern<br />
– er ruinierte seine Karriere, weil ein Mädchen<br />
auf einer seiner berüchtigten Partys starb. Oder der<br />
Schauspieler Wally Reid, der drogensüchtig war und<br />
“<br />
Ich kann erklären,<br />
warum Tom Cruise<br />
und John Travolta<br />
enthusiastische<br />
Voll idioten im Dienste<br />
von Scientology sind.<br />
Aber es sind Vollidioten<br />
mit einer Armee von<br />
Anwälten<br />
”<br />
– Kenneth Anger<br />
aus Scham darüber vom Filmstudio in ein Irrenhaus<br />
verfrachtet wurde, wo er starb. Aus Versehen. Da war<br />
was los!<br />
IntervIew: Vielleicht haben die Stars im 21.<br />
Jahrhundert einfach bessere Agenten als der Stummfilmkomiker<br />
Arbuckle. Oder sie haben gelernt, nach<br />
einer Linie Kokain nicht zu dritt von der Toilette zu<br />
kommen.<br />
Anger: Jedenfalls ist es heute sehr ruhig. Auch<br />
wenn Kokain immer für eine paar ernsthafte Probleme<br />
gut ist.<br />
IntervIew: Eigentlich haben Sie mit Ihrem Buch<br />
den Gossip, den Schmutz, nach Hollywood gebracht.<br />
Die Aufmachung Ihres Skandalbuchs, die Zeilen, die<br />
Paparazzi-Ästhetik, all das sieht aus wie die Blaupause<br />
des heutigen Boulevardjournalismus. Auf dem Cover<br />
fliegen einem die Brüste von Jayne Mansfield geradezu<br />
entgegen …<br />
Anger: Was Jayne unfassbar peinlich war. Das<br />
Bild entstand auf der Geburtstagsparty von Sophia<br />
Loren. Jayne kam wie immer zu spät. Sie trug dieses<br />
unmögliche Kleid mit einem unfassbar tief geschnittenen<br />
Dekolleté. Als sie sich zu Sophia runterbeugt,<br />
um zu gratulieren, springen ihre Brüste einfach nur<br />
raus. Eigentlich ein tolles Geschenk, finden Sie nicht?<br />
IntervIew: Das liegt im Auge des Betrachters.<br />
Anger: Den Erzählungen nach fand es Sophia<br />
durchaus amüsant. Jayne keineswegs. Ihr war all das<br />
schrecklich peinlich, weswegen sie heulend davonrannte.<br />
IntervIew: Wahrscheinlich fand Ms Mansfield es<br />
nicht gerade schmeichelhaft, dass Sie dieses Bild als<br />
Cover für Ihr Buch ausgewählt haben, oder?<br />
Anger: Sie konnte sich nicht beschweren. Sie<br />
war tot. Verunglückt bei einem tragischen Autounfall.<br />
IntervIew: Wie kamen Sie eigentlich an all die<br />
Geschichten für Hollywood Babylon? Sie behaupten in<br />
Ihrem Buch unter anderem, Bette Davis habe ihren<br />
zweiten Mann ermordet, Lucille Ball habe ihre Karriere<br />
in Hollywood als Prostituierte begonnen und<br />
James Dean sei einem zwölfjährigen Jungen hinterhergestiegen.<br />
Anger: Das wusste man damals. Es hat nur vor<br />
mir niemand aufgeschrieben. Schon als kleiner Junge<br />
sammelte ich alle Anekdoten, die mir zugetragen<br />
wurden, und schrieb sie auf. Und als Schüler der Beverly<br />
Hills High School hatte ich einen Logenplatz:<br />
Ich konnte aus dem Fenster des Chemieunterrichts in<br />
den Hinterhof von 20 th Century Fox schauen. Und da<br />
mein bester Freund André Previn (später ein berühmter<br />
Pianist, Komponist und Dirigent) und ich keine Lust<br />
hatten, am Sportunterricht teilzunehmen, schauten wir<br />
den anderen dabei zu, wie sie schwitzten, und tratschten<br />
über die Gerüchte und Geheimnisse, die uns unser<br />
Mitschüler Harry Brand Jr. in den Pausen verriet. Sein<br />
Vater war Produktionsleiter bei 20 th Century Fox, eine<br />
unfassbar ergiebige Quelle.<br />
IntervIew: Wie sind Sie denn um den Sportunterricht<br />
herumgekommen?<br />
Anger: Ich gab vor, Nasenbluten davon zu bekommen.<br />
IntervIew: Als Schüler haben Sie schließlich Ihr<br />
erstes heute noch erhaltenes Werk gedreht: Fire works.<br />
Anger: Das auf einer sexuellen Fantasie, einem<br />
Traum von mir basiert.<br />
IntervIew: Eine Horde Seefahrer fällt über Sie<br />
her, am Ende reißen die Matrosen Ihnen die Brust auf,<br />
doch anstelle des Herzens sieht man dort eine tickende<br />
Uhr. Ein sehr ästhetischer erster Film, Herr Anger!<br />
Anger: Danke! Ich muss jedoch betonen, dass<br />
die Seeleute keineswegs solche Rüpel waren, wie es im<br />
Film scheint. Die Jungs wollten Kameramänner werden<br />
und waren begeistert von meiner Idee. Aber es<br />
waren echte Seeleute in echten Uniformen. Ich hätte<br />
es mir auch gar nicht leisten können, Uniformen für<br />
Statisten zu leihen. Letztendlich musste ohnehin alles<br />
sehr schnell passieren. Wir haben Fireworks in gerade<br />
mal 72 Stunden gedreht. Mehr Zeit hätten wir auch<br />
gar nicht gehabt.<br />
IntervIew: Weil die Jungs zurück in den Dienst<br />
mussten?<br />
Anger: Nein. Meine Eltern fuhren zur Beerdigung<br />
eines Onkels nach Pittsburgh. Ich nutzte die<br />
Gelegenheit, räumte das Wohnzimmer aus, rief die<br />
Seeleute an, und los ging’s.<br />
IntervIew: Ihre Eltern ahnten nichts von dem<br />
Unterfangen?<br />
Anger: Nein, die haben den Film auch nie zu<br />
Gesicht bekommen. Glücklicherweise regnete es während<br />
der drei Tage nicht. Sonst wäre es zu einer Katastrophe<br />
gekommen – ich hatte die Möbel einfach nur<br />
in den Garten getragen –, und das hätte mein Vater<br />
gar nicht lustig gefunden.<br />
IntervIew: Wie muss man sich Kenneth Anger<br />
als Schuljungen vorstellen?<br />
Anger: Eigenwillig. Neugierig. Meine Eltern<br />
wussten nie so recht, was sie mit mir anfangen sollten.<br />
Meine wichtigste Bezugsperson war deshalb meine<br />
Großmutter. Ihr zeigte ich auch Fireworks.<br />
IntervIew: Und wie fand die alte Dame den Film?<br />
Anger: Sie fand Fireworks großartig. Dabei war<br />
sie eine alte Frau, die durchaus geschockt hätte sein<br />
können. Sie ahnte vermutlich, dass ihr Lieblingsenkel<br />
schwul sein könnte.<br />
IntervIew: Fürchteten Sie eigentlich keine Probleme<br />
mit dem Gesetz? Die Anspielungen im Film<br />
sind nicht gerade schwer zu lesen. Und Homosexualität<br />
stand damals noch unter Strafe in Amerika.<br />
Anger: Ich war jung, und mir war egal, welche<br />
Konsequenzen oder Scherereien der Film mir bereiten<br />
könnte. Es war auch keine Frage der Courage:<br />
Mir ging es nur darum, meine Vision umzusetzen. Sie<br />
dürfen zudem nicht vergessen, dass Fireworks ein Undergroundfilm<br />
ist, ein Film für ein ausgewähltes, elitäres<br />
Publikum. Das einzige Problem war, ein Labor zu<br />
finden, das Fireworks entwickelt. Heute leben wir ja in<br />
einer Zeit, in der irgendwie alles geht, alles vertretbar<br />
Fotos: Kenneth Anger, 'ICONS', Sprüth Magers, Berlin, January 25 - February 23, 2013; Kenneth Anger, Firework, 1947, Copyright Kenneth Anger, Courtesy of the artist and Sprüth Magers Berlin London; PUCK FILM PRODUCTIONS/Kobal Collection/fotofinder; Kobal Collection/fotofinder; FANTOMA FILMS/Kobal Collection/fotofinder<br />
ist. Früher musste man auf Zehenspitzen angeschlichen<br />
kommen. Deshalb finden Sie in meinen Filmen<br />
auch nichts Explizites. Man findet Anspielungen, und<br />
davon jede Menge, diese sind jedoch so symbolhaft,<br />
dass ich damit immer durchkam.<br />
IntervIew: Wie das Feuerwerk, das in der Hose<br />
losgeht?<br />
Anger: Na gut, zugegeben, das ist vielleicht etwas<br />
offensichtlicher.<br />
IntervIew: Parallel zu Fireworks änderten Sie auch<br />
Ihren Namen: Aus Kenneth Wilbur Anglemyer wurde<br />
Kenneth Anger. Sie hätten sich auch Kenneth Angel<br />
nennen können – oder waren Sie dafür zu wütend?<br />
Anger: Das hätte in meinem Fall wirklich nicht<br />
gepasst (lacht). Kennen Sie das Tattoo auf meiner Brust<br />
(Lucifer)? Nein, mir ging es darum, aus meinem Namen<br />
eine Marke zu erschaffen, ein Logo, eine Ansage.<br />
IntervIew: Bei der ersten Vorführung des Films,<br />
die nach einer Aufführung von Brechts Galilei um<br />
Mitternacht im Coronet Theatre, Los Angeles, stattfand,<br />
kam sogar Dr. Alfred Kinsey vorbei.<br />
Anger: Er kaufte die erste Kopie des Films. Sie<br />
steht noch heute in dem nach ihm benannten Institut<br />
an der Universität von Indiana. Kinsey interviewte<br />
mich damals für sein Buch Sexual Behavior in the<br />
Human Male – acht Stunden lang. Die Gespräche<br />
wurden allerdings anonymisiert. Sie können sich also<br />
die Mühe sparen, nach mir zu suchen. Kinsey und ich<br />
wurden gute Freunde, ich besuchte ihn oft an seinem<br />
Institut in Bloomingdale.<br />
IntervIew: Sie drehten zudem den Film Thelema<br />
Abbey mit ihm.<br />
Anger: Ja, bei Kinseys erster Reise nach Italien.<br />
Ich hatte mich ausführlich mit Aleister Crowleys<br />
Landhaus beschäftigt, das Crowley die Abbey of Thelema<br />
nannte. Er hatte die Wände mit erotischen, von<br />
Gaugin inspirierten Bildern bemalt, die ich wieder<br />
freilegen wollte. Ich schrubbte einen ganzen Sommer<br />
lang die Wände, um zu sehen, was Crowley hinterlassen<br />
hatte: Scarlet Woman, die von einem Ziegenbock<br />
bestiegen wird. Das war wohl zu obszön für Italien<br />
unter Mussolini (lacht).<br />
IntervIew: Dabei haben die Römer doch all das<br />
erfunden!<br />
Anger: Ha, das stimmt! So habe ich das noch gar<br />
nicht gesehen.<br />
IntervIew: Die Schriften des Okkultisten Aleister<br />
Crowley haben Ihr Werk maßgeblich beeinflusst.<br />
Wie haben Sie als Teenager in Los Angeles überhaupt<br />
vom berüchtigten Frater Perdurabo gehört?<br />
Anger: Als Teenager lernte ich Jack Parsons kennen,<br />
einen der wichtigsten Jünger Crowleys. Parsons<br />
leitete die Agape-Loge in Kalifornien und war einer<br />
der intelligentesten Männer, die ich kennenlernen<br />
durfte. Er arbeitete in der Raumfahrt und entwickelte<br />
den Treibstoff, der die ersten Raketen ins Weltall beförderte.<br />
Jack gab mir Crowleys wichtigste Schriften,<br />
die ich eifrig studierte. Der Hintergrund war folgender:<br />
Crowley starb 1947, da war ich 17, er gründete<br />
den Ordo Templi Orientis, eine Geheimorganisation,<br />
zu dessen Anhängern ich mich bis heute zähle. Leider<br />
starb Jack bei einem Experiment in seiner Garage in<br />
Pasadena. Er sprengte sich selbst in die Luft. Glücklicherweise<br />
überlebte seine Frau Cameron, da sie gerade<br />
einkaufen war. Die beiden wollten eigentlich nach<br />
Mexiko abhauen, da das FBI hinter Jack her war.<br />
IntervIew: Muss man sich den Ordo Templi<br />
Orientis wie eine Loge der Freimaurer vorstellen?<br />
Anger: Er ist ähnlich strukturiert.<br />
IntervIew: Besuchen Sie regelmäßig die Logenabende?<br />
Szenen AuS den FIlmen von Kenneth Anger<br />
(von oben nAch unten): Airship (2010–2012),<br />
Fireworks (1947), Kenneth Anger In scorpio<br />
rising (1963), eAux d’ArtiFice (1953),<br />
inAugurAtion oF the pleAsure dome (1954)<br />
Anger: Nicht mehr. Ich habe zwar die elfte Stufe<br />
erreicht, was ziemlich weit oben in der Hierarchie ist,<br />
bin aber ganz froh, nie auf die zwölfte aufgestiegen<br />
zu sein und somit keine aktiven Pflichten zu haben.<br />
Es ist jedoch gut zu wissen, dass es andere wie mich<br />
gibt. Der Orden ist jedoch keine Angelegenheit für<br />
die Massen. Er ist etwas für elitäre Geister. Und das<br />
meine ich nicht in einem Scientology-Sinn.<br />
IntervIew: Was geschieht bei den Treffen des<br />
Ordens? Muss man sich das ähnlich vorstellen wie das<br />
Ritual, das Sie in Inauguration Of The Pleasure Dome<br />
vollführen?<br />
Anger: Bevor Sie weiterfragen: Nein, ich bin<br />
kein Satanist. Ich bin Heide, pagan. Das war ich lange,<br />
bevor ich von Aleister Crowley zum ersten Mal<br />
hörte. Ich errichtete schon als Teenager einen Schrein<br />
für Pan im Garten meines Elternhauses. Das störte<br />
meine Eltern jedoch keineswegs. Die waren froh, dass<br />
der Junge endlich mal draußen ist.<br />
IntervIew: Und ich hatte kurz überlegt, ob dieses<br />
Gespräch nicht besser im Pergamonmuseum vor<br />
dem Pergamonaltar, dem vermeintlichen „Thron des<br />
Satans“, zu führen sei.<br />
Anger: Der Altar ist wunderschön. Ich werde<br />
ihn auch diesmal wieder besuchen (lacht).<br />
IntervIew: Dank Fireworks gelten Sie als Pionier<br />
des Queer Cinema, eigentlich wäre doch Vater des<br />
okkultistischen Films fast mehr gerechtfertigt.<br />
Anger: Ich mag den Ausdruck Queer Cinema<br />
nicht. Das klingt nach Kino für Mädchen. Zudem<br />
lehne ich es ab, in Schubladen und Kategorien gesteckt<br />
zu werden. Und die okkulte Dimension meines<br />
Werkes wissen die wenigsten zu lesen. Ich sehe mich<br />
als Vorreiter der amerikanischen Avantgarde. Nicht<br />
mehr, nicht weniger.<br />
IntervIew: Ist eine Karriere innerhalb der Riesenmaschine<br />
Hollywood nach dem Erfolg von Fireworks<br />
für Sie nie infrage gekommen?<br />
Anger: Nicht in den frühen Fünfzigern. Damals<br />
betrieb Amerika eine regelrechte Hexenjagd auf die<br />
Roten. Sie brachten niemanden um, und ich war nie<br />
Kommunist, aber McCarthys Schergen konnten einem<br />
das Leben ziemlich versauen. Gale Sonder gaard,<br />
eine sehr gute Freundin von mir, stand auf den schwarzen<br />
Listen der Kommunistenjäger, weil sie mit einem<br />
Linken verheiratet war und einer linken Jugendgruppe<br />
angehört hatte. Gale bekam über Jahre keine Rollen<br />
mehr angeboten, und das, obwohl sie einen Oscar gewonnen<br />
hatte. In so einem System wollte ich nicht anheuern,<br />
da fühlte ich mich in Europa sehr viel wohler.<br />
IntervIew: Dort schrieben Sie auch Hollywood<br />
Babylon und drehten Filme wie Eaux d’artifice.<br />
Anger: Ja, Hollywood Babylon wurde zuerst in<br />
Frankreich ein Bestseller, später dann in Amerika<br />
und der restlichen Welt. Die Dreharbeiten zu Eaux<br />
d’artifice führten mich nach Italien, in die Villa d’Este,<br />
um genau zu sein. Es war eine kleine Sen sation, dass<br />
ich dort überhaupt drehen durfte. Ich, ein junger,<br />
amerikanischer Underground-Filmemacher im Garten<br />
d’Este. Die Tivoli-Gärten sind schließlich eine<br />
bekannte Touristenattraktion. Die zuständige Behörde<br />
meinte jedoch nur: „Mach keine Statue kaputt. Dreh<br />
nur eine Stunde am Stück. Sperr weiträumig ab. Viel<br />
Glück.“ Das war’s.<br />
IntervIew: Wie haben Sie die eigentlich kleinwüchsige<br />
Frau gefunden, die Hauptfigur des Films?<br />
Anger: Fellini gab mir den Tipp. Er kannte sie.<br />
Sie war entzückend.<br />
IntervIew: Wie muss man sich das vorstellen?<br />
Einfach mal so Fellini anrufen und fragen, ob er eine<br />
Zwergin zur Hand hat?<br />
112<br />
113
Anger: Nein, ich kannte ihn natürlich. Die kleine<br />
Dame ist der Schlüssel zum Film, weil ich das Umfeld,<br />
die Fontänen und Skulpturen, größer erscheinen<br />
lassen wollte.<br />
IntervIew: War es von Anfang an Ihre Idee, die<br />
Fontänen zu Vivaldi sprudeln zu lassen?<br />
Anger: Vom ersten Tag an. Ich liebe Die vier<br />
Jahreszeiten, und ich wusste immer, dass ich irgendwann<br />
das Wintermotiv in meiner Arbeit verwenden<br />
würde.<br />
IntervIew: Der Titel Eaux d’artifice …<br />
Anger: … ist ein Wortspiel, auf das ich stolz<br />
bin: Feu d’artifice bedeutet Feuerwerk auf Französisch,<br />
ich verweise also mit einem Augenzwinkern auf<br />
Fireworks.<br />
IntervIew: Sie drehen ausschließlich Kurzfilme.<br />
Hatten Sie nie Lust, etwas in Spielfilmlänge zu drehen?<br />
Anger: Schon, aber dafür fehlte mir immer das<br />
Budget. Mein Geld reichte meistens für 15 Minuten,<br />
manchmal auch für eine halbe Stunde oder 40 Minuten.<br />
Aber das ist nicht tragisch: Ich vergleiche meine<br />
Filme gerne mit Gedichten. Von denen erwartet auch<br />
keiner, dass sie ein Roman sind.<br />
Eine Angestellte der Galerie Sprüth Magers, die Kenneth<br />
Anger betreut, kündigt an, dass die verabredete<br />
Gesprächszeit bald vorüber sei. Anger schaut auf, sagt:<br />
„Wir haben noch keinen Kaffee bekommen. Bieten<br />
Sie diesem Gentleman erst einmal ein Getränk an.“<br />
Anger: Bitte fahren Sie fort!<br />
IntervIew: Weinen Sie im Kino?<br />
Anger: Nein, ich bin keine Heulsuse, wenn Sie<br />
das meinen. Aber Filme berühren mich durchaus.<br />
IntervIew: Inauguration Of The Pleasure Dome<br />
war der erste und einzige Film, den ich auf LSD gesehen<br />
habe.<br />
Anger: War es aufregend?<br />
IntervIew: Schön. Verstörend. Und rätselhaft.<br />
Anger: Ich habe nicht viel mit Drogen experimentiert,<br />
schon gar nicht mit harten Drogen. Allerdings<br />
versuchte ich einst, auf LSD zu filmen. Das<br />
klappte überhaupt nicht! Ich bekam das Bild nie<br />
scharf. Vielleicht lag das aber auch an meinen Augen -<br />
oder das LSD war einfach zu stark. Sie wissen schon:<br />
Das war in den Sechzigern in San Francisco …<br />
IntervIew: Dort arbeiteten Sie an einem Ihrer<br />
Hauptwerke, an Lucifer Rising.<br />
Anger: Ein durchaus kompliziertes Unterfangen.<br />
IntervIew: Es scheint nicht gerade einfach, einen<br />
adäquaten Luzifer zu finden.<br />
Anger: Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise:<br />
Es war die Hölle.<br />
IntervIew: Dabei war Ihr Luzifer nicht der Leibhaftige<br />
nach der christlichen Lesart, sondern der Luzifer<br />
nach der Interpretation Aleister Crowleys.<br />
Anger: Luzifer als der Lichtbringende, ja. Tief<br />
in mir spüre ich eine Stimme, die sagt: Du bist noch<br />
nicht fertig mit dem Thema. Irgendwann werde ich<br />
wohl zu Lucifer Rising zurückkehren. Aber das ist<br />
Zukunftsmusik.<br />
IntervIew: Gerüchteweise sollte Mick Jagger die<br />
Rolle übernehmen …<br />
Anger: … dann seine Bruder Chris, Chris Jagger,<br />
der mir jedoch viel zu viele Fragen stellte. Wir<br />
drehten in Ägypten, und der Kerl wollte ständig wissen,<br />
warum dies oder jenes geschieht, was all das zu<br />
bedeuten hat. Dabei war er nur ein Erfüllungsgehilfe,<br />
eine Marionette. Ich brüllte ihn an: „Halt die Klappe.<br />
Das verstehst du nicht.“ Letztendlich musste ich ihn<br />
nach Hause schicken.<br />
“<br />
DAs jüngste gerücht:<br />
Hollywood BaBylon, 1959<br />
Ich mag den Ausdruck<br />
Queer Cinema<br />
nicht. Das klingt<br />
wie Kino für Mädchen.<br />
Und die okkulte<br />
Dimension meines<br />
Werkes wissen die<br />
wenigsten zu lesen<br />
”<br />
– Kenneth Anger<br />
IntervIew: Die Rolle der Lilith übernahm Marianne<br />
Faithfull.<br />
Anger: Und sie war schrecklich, grauenhaft, die<br />
Schlange im Garten Eden. Sie trug alles Böse, was<br />
Frauen zu bieten haben, in sich. Wegen ihr wären<br />
wir beinahe im Knast gelandet. Schlimmer noch: Wir<br />
hätten wegen Marianne Faithfull hingerichtet werden<br />
können. Damals drohte in Ägypten die Todesstrafe<br />
für Heroinbesitz …<br />
IntervIew: Heroin?<br />
Anger: Marianne war zu dieser Zeit hochgradig<br />
süchtig. Sie schmuggelte ihr Rauschgift im Makeup<br />
nach Ägypten. Ungeachtet aller Konsequenzen.<br />
Mir fiel das auf, weil sie plötzlich mit diesem grauen<br />
Gesicht an meinem Set erschien. Sie war total zugedröhnt<br />
und merkte nicht einmal mehr, dass ihr Makeup<br />
eigentlich Heroin war.<br />
IntervIew: Den Soundtrack zu Lucifer Rising sollte<br />
Jimmy Page beisteuern.<br />
Anger: Ja, aber Jimmy schickte nur 20 Minuten.<br />
Ich brauchte jedoch 40 Minuten. Er hatte damals<br />
ebenfalls ein ziemlich heftiges Heroinproblem, was<br />
kein Geheimnis war. Mit solchen Leuten kann ich<br />
einfach nicht arbeiten.<br />
IntervIew: Stattdessen steuerte Ihr alter Freund<br />
Bobby Beausoleil den Soundtrack bei. Er nahm die<br />
Musik im Gefängnis auf.<br />
Anger: Das stimmt. Und zwölf verurteilte Mörder<br />
halfen ihm dabei.<br />
IntervIew: Bobby Beausoleil sitzt eine lebenslange<br />
Haftstrafe für den Mord am Musiker Gary<br />
Hinman ab.<br />
Anger: Er war Mitglied der Manson Family,<br />
Bobby Beausoleil ist einer der Manson-Mörder, richtig.<br />
Ich habe ihn einmal hinter Gittern besucht, aber<br />
das war ganz furchtbar. All die Kontrollen, Stahltüren,<br />
Gitter, Schlüsselringe. Einfach nicht meine Welt.<br />
Seither haben wir uns nur noch geschrieben.<br />
IntervIew: Vor der Tat lebten Bobby und Sie zusammen<br />
in San Francisco. Sie waren ein Paar. Was ist<br />
schiefgelaufen?<br />
Anger: Ich machte Schluss und schmiss Bobby<br />
raus.<br />
IntervIew: Warum?<br />
Anger: Bobby war jung, viel jünger als ich. Er<br />
bat mich um 700 Dollar, um Verstärker für seine<br />
Band The Magick Powerhouse of Oz zu kaufen. Ich<br />
gab ihm das Geld, er fuhr nach Südkalifornien. Doch<br />
anstatt mit Lautsprechern kam er mit diesen Paketen<br />
zurück, die fortan in seinem Zimmer lagerten. Wir<br />
hatten damals einen Hund, Snowfox, einen Husky.<br />
Und der fing an, ständig an diesen ominösen Paketen<br />
rumzuschnüffeln. Irgendwann fiel mir das auf.<br />
Ich fand es merkwürdig. Also schnitt ich ein Loch<br />
in eines der Pakete – und was bröckelt raus? Marihuana!<br />
IntervIew: Jetzt klingen Sie aber spießig, Herr<br />
Anger! Wir reden schließlich über die Sixties! Haight-<br />
Ashbury! San Francisco!<br />
Anger: Na und? Bobby war jung, viel zu jung. Er<br />
war minderjährig. Und er log mich an.<br />
IntervIew: Was passierte dann?<br />
Anger: Ich setzte ihn vor die Tür. Ich war verletzt.<br />
Und sauer. Daraufhin stahl Bobby meinen Van<br />
und brauste davon. Er wollte runter nach Südkalifornien,<br />
doch der Van blieb auf halber Strecke liegen.<br />
Unglücklicherweise genau vor der Ranch, die damals<br />
Charlie Manson und seine Bande bewohnten. Das<br />
mag jetzt wie eine schlecht konstruierte Geschichte<br />
klingen, aber ich schwöre Ihnen: Sie entspricht der<br />
Wahrheit. Die Girls entdeckten den hübschen Jungen,<br />
tanzten um ihn rum, rauchten sein Gras, da war<br />
es um ihn geschehen. Bobby war sehr jung. Wahrscheinlich<br />
fand er in Charlie Manson eine Vaterfigur.<br />
IntervIew: Immerhin brachte Manson ihn dazu,<br />
einen Menschen umzubringen. Angeblich wegen eines<br />
missglückten Drogendeals.<br />
Anger: Schrecklich. Und traurig. Sehr traurig.<br />
IntervIew: Während Bobby einer von Mansons<br />
Todesengeln wurde, schalteten Sie eine Todesanzeige<br />
für Kenneth Anger in der Village Voice. Eine ziemlich<br />
drastische Maßnahme, finden Sie nicht auch?<br />
Anger: Nein, wieso? Ich wollte meine Karriere<br />
als Filmemacher tatsächlich beerdigen. Kenneth<br />
Anger. Filmmaker. 1947–1967. Aus. Schluss. Vorbei.<br />
Bobby hatte mir das Material meines wichtigsten Projekts<br />
gestohlen, und ich war wirklich am Ende. Und<br />
da ich gerade in New York war, dachte ich, dies sei<br />
eine adäquate Reaktion.<br />
IntervIew: Dachten Sie tatsächlich, dass Ihre<br />
Foto: Lucifer Rising Poster, designed by Page Wood<br />
„ICH BIN KEIN SATANIST, ICH BIN HEIDE” – FILMPLAKAT ZU LUCIFER RISING, 1970<br />
Freunde und Familie es amüsant finden, Ihre Todesanzeige<br />
zu lesen?<br />
ANGER: Teilweise. Die meisten wussten natürlich,<br />
wie verrückt und gestört Kenneth Anger ist. Sie<br />
dachten wahrscheinlich: „Ach, schau her. Ein echter<br />
Kenneth Anger.“ Ich hatte immer einen Hang zu<br />
Drama und zur Inszenierung. Das verdanke ich wahrscheinlich<br />
einem meiner früheren Leben.<br />
INTERVIEW: Vor der Halloweennacht 2008 kündigten<br />
Sie ebenfalls an zu sterben. Dennoch sitzen<br />
Sie heute hier.<br />
ANGER: Daran kann ich mich nicht einmal mehr<br />
erinnern. Aber ein gelungener Publicity-Stunt, wie es<br />
scheint, oder nicht?<br />
INTERVIEW: Prägnante Schlagzeilen scheinen jedenfalls<br />
eine Ihrer Gaben zu sein. Eine andere lieferten<br />
Sie in den Achtzigern: Nach wie vor hält sich<br />
das Gerücht, Sie hätten dem Gründer des <strong>Interview</strong>-<br />
Magazins einen Eimer Farbe vor die Haustüre gekippt.<br />
Hegten Sie gegen Andy Warhol einen besonderen<br />
Groll?<br />
ANGER: Ich war auf Krawall gebürstet, ein Hitzkopf.<br />
Außerdem konnte es sich Warhol leisten, die<br />
rote Farbe wegmachen zu lassen.<br />
INTERVIEW: Kannten Sie ihn denn?<br />
ANGER: Nein. Wir waren zwar einmal im selben<br />
Raum in New York, aber Warhol hatte ja ständig<br />
seine Rasselbande um sich, all die Taugenichtse und<br />
Möchtegerns. Eigentlich wollte ich ihn ansprechen,<br />
von Underground-Filmemacher zu Underground-<br />
Filmemacher. Aber dieses Spektakel war mir dann zu<br />
doof. Zumal Warhol dafür bekannt war, ohnehin nur<br />
„Yes“, „No“, „Really“ und „Amazing“ zu sagen.<br />
INTERVIEW: War das während der Zeit, als Sie<br />
Scorpio Rising in New York drehten?<br />
ANGER: Nein, später. Als ich Scorpio Rising drehte,<br />
hatte Warhol noch keinen Schimmer von Filmen.<br />
INTERVIEW: Der Film entstand lange vor Easy Rider,<br />
lange vor Hell’s Angels von Hunter S. Thompson,<br />
lange bevor die Jungs auf den schweren Maschinen zu<br />
Outlaws und Helden der Gegenkultur wurden.<br />
ANGER: Er symbolisiert auf eine Art den Anfang<br />
all dessen. Ich kannte die ersten Hells Angels, und die<br />
waren keineswegs so degeneriert wie die Saat, die sie<br />
säten. Die Jungs im Film, meine Jungs, waren geradezu<br />
unschuldig, verglichen mit der späteren Brut. Sie<br />
arbeiteten tagsüber auf dem Fulton Fish Market, dem<br />
örtlichen Fischmarkt, und steckten jeden Cent in ihre<br />
handgefertigten Feuerstühle.<br />
INTERVIEW: Im Film schneiden Sie gekonnt zwischen<br />
Motorradaufnahmen, Hakenkreuz- und Passionsbildern<br />
umher. Hat sich darüber nie jemand beschwert?<br />
ANGER: Wer sollte sich beschweren?<br />
INTERVIEW: Vielleicht irgendwelche Nazis. Eine<br />
Motorradgang. Oder ein paar aufgebrachte Christen,<br />
denen der Zusammenhang zwischen Rockern, Hakenkreuzen<br />
und dem Heiland nicht sofort einleuchten<br />
will.<br />
ANGER: Na ja, gerüchteweise haben sich ein paar<br />
Nazis anonym bei irgendeiner Behörde in Los Ange les<br />
tatsächlich wegen des Films beschwert. Sie monierten,<br />
ich habe ihre Flagge besudelt. Aber das war Kokolores.<br />
Und die christlichen Aufnahmen, entliehen einem<br />
Film namens The Last Journey To Jerusalem, landeten<br />
durch einen obskuren Zufall in meinem Briefkasten.<br />
Stellen Sie sich das mal vor: Der Film einer<br />
Kirchengruppe im Briefkasten von Kenneth Anger!<br />
Man könnte behaupten: Eine göttliche Fügung.<br />
Vielleicht war es auch nur ein sehr guter Witz eines<br />
Freundes. Wie dem auch sei – mir gefiel die Parallele<br />
zwischen Heiland, seinen Jüngern und der Motorradgang.<br />
Irgendwann bekamen jedoch ein paar Nonnen<br />
aus Los Angeles Scorpio Rising zu Gesicht …<br />
INTERVIEW: … und die drohten, Sie ins ewige<br />
Höllenfeuer zu stoßen?<br />
ANGER: Nein. Die Damen fanden es okay, wie ich<br />
die Aufnahmen verwendet habe. Sie meinten, mein<br />
Film sei auf eine Art auch sehr religiös (lacht). Die<br />
Nonnen bedankten sich sogar bei mir dafür.<br />
INTERVIEW: Herr Anger, der dritte Teil von Hollywood<br />
Babylon ist seit mehr als zehn Jahren angekündigt.<br />
Es gibt eine Menge Leute, die sich darauf freuen<br />
würden, das jüngste Gerücht von Ihnen serviert zu<br />
bekommen.<br />
ANGER: Ein schönes Kompliment. Leider glaube<br />
ich nicht daran, dass die Kapitel, die ich schon lange<br />
fertig habe, jemals das Licht der Welt sehen werden.<br />
Meine Anwälte raten mir davon ab.<br />
INTERVIEW: Wieso das?<br />
ANGER: Ach, etliche Dinge, die ich schreiben<br />
würde, sind ziemlich heikel. Beispielsweise das Kapitel<br />
über Tom Cruise und Scientology. Ich habe das<br />
gründlich recherchiert, mit vielen Menschen gesprochen,<br />
ich kann erklären, warum Tom Cruise und John<br />
Travolta solch enthusiastische Vollidioten im Dienste<br />
dieser Sekte sind. Aber es sind Vollidioten mit einer<br />
Armee von Anwälten. Irgendwie ist das Ganze ohnehin<br />
ein trauriger Verein. Wen haben die schon groß<br />
geködert? Außer Tom Cruise, Karen Black und John<br />
Travolta? Und die werden immer älter – Tom ist mittlerweile<br />
schon jenseits der 50! Wissen Sie, letztendlich<br />
bin ich Underground-Filmemacher. Kein Romancier,<br />
kein Regisseur für Musikvideos. Ich habe die amerikanische<br />
Avantgarde erfunden. Ich bin Kenneth Anger!<br />
KENNETH ANGER BEI SPRÜTH MAGERS/BERLIN<br />
BIS 23. FEBRUAR 2013<br />
114<br />
115
lena<br />
dunham<br />
Sex? Peinlich bis normal.<br />
aussehen? unterdurchschnittlich bis okay.<br />
leben in new York? nicht vorhanden bis verregnet:<br />
mit der Serie Girls wurde die 26-jährige amerikanerin<br />
lena dunham zur Stimme einer neuen Generation.<br />
Sie ist der zeitgemäße Gegenentwurf zu Sex And The City –<br />
und so erfolgreich, dass ein Verlag dem Girls-Girl gerade<br />
3,5 millionen dollar als Vorschuss zahlte<br />
von<br />
miranda julY<br />
116<br />
fotos<br />
gregory hArris<br />
styling<br />
elin svAhn<br />
“<br />
Iss eier, Eier, geh joggen,<br />
hab ganz viel Sex –<br />
genau das werde ich tun<br />
”<br />
Lena Dunham<br />
Mantel<br />
Miu Miu<br />
t-shirt<br />
Apc
mantel<br />
jil sAnder<br />
brosche<br />
miu miu<br />
Fotos: © 2012 HOME BOX OFFICE, INC. ALL RIGHTS RESERVED (3); © 2013 HOME BOX OFFICE, INC. ALL RIGHTS RESERVED (1)<br />
Miranda July: Auf meinem Schoß sitzt ein Baby, ich<br />
brauche noch eine Minute.<br />
lena dunhaM: Oh, alles klar. Hi, Hopper!<br />
July: „Hi, Lena!“ Er fängt gerade an zu reden!<br />
dunhaM: Wirklich? Was für Geräusche macht<br />
er denn?<br />
July: Ah-blah-blah-blah-blah.<br />
dunhaM: Toll! Ich habe ihn gerade gehört!<br />
July: Das war aber nur ein Lachen.<br />
dunhaM: Für mich klang das wie das Kichern<br />
eines Erwachsenen.<br />
July: Ganz genau.<br />
dunhaM: Süß. Entschuldige bitte, dass ich mich<br />
verspätet habe. Mein Akupunkteur hat sich eine halbe<br />
Stunde verspätet – und er hat es irgendwie geschafft,<br />
mich davon zu überzeugen, dass mir etwas Furchtbares<br />
droht, wenn ich eine Sitzung verpasse.<br />
July: Wahrscheinlich hat er recht.<br />
dunhaM: Außerdem sitzt hier Jack (Antonoff,<br />
Lena Dunhams Freund, Gitarrist der Band Fun), den du<br />
kürzlich auf dem Sunset Boulevard gesehen hast.<br />
July: Wirklich?<br />
dunhaM: Ja, ich habe ihm davon erzählt, und<br />
er meinte: „Ach, ich habe diese Frau in einem Auto<br />
vorbeifahren sehen und dachte, es sei Miranda.“ Er<br />
war sich jedoch sicher, er habe sich das alles nur eingebildet.<br />
July: Nein, ich habe ihn erkannt. Obwohl ich ihn<br />
nur von Google kenne. Er trug allerdings kreischend<br />
bunte Sachen. Das hat mich ein wenig verwirrt.<br />
dunhaM: Wahrscheinlich auch diese Neon-<br />
Turn schuhe. Eigentlich wollte er sie nur einmal tragen,<br />
jetzt gehören sie zum Standardrepertoire. Als ich Jack<br />
mit zu meinem Akupunkteur nahm, meinte der: „Jack<br />
hat zu viel Energie.“ Ich scheine zu wenig zu haben.<br />
July: Du solltest einfach einen Teil davon aus ihm<br />
raussaugen.<br />
dunhaM: Genau mein Plan.<br />
July: Nicht durch seinen Penis, so war das nicht<br />
gemeint (lacht).<br />
dunhaM: Da fällt mir gerade ein: Falls es etwas<br />
gibt, das in diesem Gespräch auftaucht und nicht<br />
gedruckt werden soll, rufen wir einfach: „Off the record.“<br />
Und wenn es wieder offiziell wird, rufen wir:<br />
„Okay, back on record.“<br />
July: Okay. Aber dann musst du auch daran denken,<br />
wieder „back on record“ zu sagen. Sonst gibt es<br />
kein <strong>Interview</strong>.<br />
dunhaM: Stimmt. Dann kann nichts gedruckt<br />
werden nach „off the record“.<br />
July: Von jetzt bis in alle Ewigkeit (lacht). Seit wir<br />
unser Dinner hatten, muss ich ständig an dich denken.<br />
dunhaM: Es war so nett! Und auch sehr belebend.<br />
Ich sollte meinem Akupunkteur sagen, dass<br />
ein Essen mit dir Wunder wirkt.<br />
July: Ich habe seither oft darüber nachgedacht,<br />
dass die Menschen gar nicht wissen, wie du wirklich<br />
bist. Ich wusste das nach Tiny Furniture ja auch nicht.<br />
Ich kann mich jedoch noch gut an den ersten Abend<br />
erinnern, als du zu Mike und mir nach Hause kamst.<br />
Wir hatten noch nie eine Person mit so gutem Benehmen<br />
zu Gast, niemanden, der so warmherzig und<br />
angenehm ist. Als Mike später ein Screening mit dir<br />
sah, kam er heim und meinte: „Lena war exakt so,<br />
wie wir sie erlebt haben.“ Selbst im Gespräch mit<br />
den Agenten, den Presseleuten. Das hat mich umgehauen.<br />
Auch als du ein Taxi gerufen hast, nach dem<br />
Essen vergangene Woche. Du riefst bei der Zentrale<br />
von Uber Taxi an, und als du sagtest: „How are you?“,<br />
dachte ich nur: Mit wem telefoniert Lena gerade?<br />
Spricht sie mit ihrem besten Freund?<br />
Sex and the City 2013:<br />
Szenen auS der erfolgSSerie Girls<br />
119<br />
dunhaM: Ich möchte Uber Taxi gerne loben,<br />
auch wenn mich deren neue App sehr verwirrt.<br />
July: Ich merkte in dem Moment, in dem du mit<br />
der Taxizentrale sprachst, dass du tatsächlich jeden<br />
Menschen gleich behandelst. Wahrscheinlich gleitest<br />
du deshalb mit einer solchen Leichtigkeit durch die<br />
Welt. Hast du eine Ahnung, was ich meine?<br />
dunhaM: Irgendwie schon, zumal die Menschen<br />
wegen meiner Serie Girls ohnehin immer denken,<br />
sie kennen mich. Selbst vor dem ersten tatsächlichen<br />
Treffen. So läuft das jetzt schon seit einem Jahr: Viele<br />
Menschen, denen ich begegne, Menschen, die ich<br />
noch nie getroffen habe, verhalten sich, als seien sie<br />
alte Bekannte. Das kann ganz schön merkwürdig sein.<br />
Deshalb habe ich mir eine Strategie zurechtgelegt:<br />
Ich bin einfach genauso freundschaftlich zu ihnen.<br />
Das ist viel angenehmer, als es komisch zu finden.<br />
Die Schattenseite dieser Variante ist aller dings, dass<br />
manche dann sofort denken, wir hätten eine total tiefe<br />
Freundschaft. Da das nicht der Fall ist und ich mich<br />
auch um meine eigenen Angelegenheiten kümmern<br />
muss, fühle ich mich dann schlecht, wenn ich sie enttäuschen<br />
muss. Gleichzeitig habe ich Angst, dass meine<br />
echten Freundschaften darunter leiden, weil meine<br />
wirk lichen Freunde denken könnten: Ach, jetzt ist sie<br />
auch mit dieser Person so eng, vielleicht …<br />
July: … ist Lena mit allen so.<br />
dunhaM: Ja, genau. Ich bin ohnehin jemand, der<br />
gerne „I love you“ sagt und schnell Liebesbekundungen<br />
macht. Auch wenn es mir danach manchmal Sorgen<br />
bereitet. Jack hörte mal, wie ich einen anderen<br />
Typen „Babykäfer“ oder sonst irgendetwas Komisches<br />
nannte, aber das war mein Spitznamen für ihn. Ich<br />
fürchtete sofort: „Was, wenn er jetzt denkt, ich sei ein<br />
unaufrichtiges Stück Scheiße?“ So etwas macht mir<br />
dann Angst. Einfach, weil ich will, dass alle wissen,<br />
wie sehr ich sie liebe.<br />
July: Wie alt warst du eigentlich, als du Tiny Furniture<br />
gemacht hast?<br />
dunhaM: Als wir den Film drehten, war ich 23,<br />
bei der Premiere dann 24.<br />
July: Die Arbeiten, die ich mit 23 gemacht habe,<br />
waren lauter so Beinahe-Prostitutions-Sachen, die ich<br />
anfertigte, um meine Eltern zu schocken. Und das ist<br />
„on the record“, falls es jemanden interessiert.<br />
dunhaM: I love it!<br />
July: Was? Dass ich gesagt habe, es sei „on the<br />
record?“ Das ist definitiv „off the record“ (Dunham<br />
lacht). Deine Eltern sind ja auch Künstler (Carroll<br />
Dunham und Laurie Simmons). Meine Eltern sind<br />
Schriftsteller. Wir hatten also ähnlich großartige Vorbilder,<br />
was Arbeitsweisen und Lebensmodelle angeht.<br />
Dennoch denke ich, dass Künstler, die sich so in den<br />
Mittelpunkt ihrer Werke stellen, früher oft Angst hatten,<br />
übersehen zu werden. Es war einfach schwer, in<br />
so einem Umfeld wahrgenommen zu werden. Zumindest<br />
bei mir ist das der Fall, glaube ich.<br />
dunhaM: Ich weiß ganz genau, was du meinst.<br />
In meiner Familie, abgesehen von massiver Unterstützung<br />
und Liebe, wird man als Person, die etwas<br />
zur Welt beisteuert, erst dann wahrgenommen, wenn<br />
man etwas Kreatives schafft. Schauspielerei beispielsweise<br />
ist für meine Eltern nur dann wirklich interessant,<br />
wenn man dabei etwas erschafft. Wäre ich also<br />
eine geradlinige Schauspielerin geworden, hätte sie<br />
diese Entscheidung sicher verwirrt – dabei schätzen<br />
und lieben sie die Arbeit und Filme von Schauspielerinnen<br />
wie Cate Blanchett oder Meryl Streep. Bei<br />
meinen Eltern ist das so, einfach weil sie glauben,<br />
dass es dafür nicht genügend Selbstkontrolle und<br />
Ausdruck des eigenen Willens und Schaffens bedarf.
Früher dachte ich immer, ich würde<br />
die Schauspielerei nur so lange machen,<br />
bis ich jemand Geeigneteren finde,<br />
der mich ersetzt<br />
Kleid<br />
diAne von<br />
furstenberg<br />
Pullover<br />
burberry<br />
london<br />
gürtel (vintage)<br />
lynn bAn<br />
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schuhe<br />
cAlvin Klein<br />
collection<br />
“<br />
”<br />
Lena Dunham<br />
Mir ist erst kürzlich bewusst geworden, wie viel Spaß<br />
mir die Schauspielerei eigentlich macht. Früher dachte<br />
ich immer, ich würde es nur so lange machen, bis<br />
ich jemand Geeigneteren finde, der mich ersetzt. Mir<br />
selbst einzugestehen, dass mir das Spielen gefällt, dass<br />
es mir wichtig ist, fühlte sich falsch an, als hätte ich<br />
ein fürchterliches Ego. Zumal ich früher schon immer<br />
von diesen zwei unterschiedlichen Gefühlsrichtungen<br />
getrieben wurde: Zu Hause wurde ich respektiert und<br />
fühlte mich verstanden – während in der Schule nichts<br />
klappte. Die anderen Kids begriffen einfach nicht, wer<br />
ich eigentlich bin. Das wiederum regte mich erst total<br />
auf, dann langweilte es mich, gleichzeitig fand ich<br />
die anderen unaussteh lich. Es war letztendlich meine<br />
Schuld. Ich musste sogar die Schule wechseln, weil ich<br />
einfach keine Freunde hatte, und kann mich sehr gut<br />
daran erinnern, wie meine Eltern meinten: „Sie wird<br />
zum Opfer gemacht. Deshalb wechselt sie jetzt die<br />
Schule.“ Ich dachte jedoch: Ich wechsle die Schule,<br />
weil ich mich wie ein Arsch verhalten habe (July lacht).<br />
Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich wurde von<br />
meinen Eltern nicht übersehen, sondern stand viel zu<br />
sehr im Mittelpunkt.<br />
July: Im Gegensatz zur Schule.<br />
dunham: Ja, beispielsweise wenn es um die<br />
Theater aufführungen dort ging. Ich bereitete mich<br />
wie eine Irre vor, las alle Bücher, lernte Sätze, lag<br />
fanta sierend in der Badewanne und bekam am Ende<br />
die Rolle eines Springballs, eines dicken Mannes oder<br />
die eines Wachbeamten.<br />
July: Wobei ich mir beim Springball den Daniel-<br />
Day-Lewis-Ansatz sehr gut vorstellen kann.<br />
dunham: Klar, deshalb habe ich die Rolle auch<br />
mit großem Ernst gespielt, was allerdings nie funktionierte.<br />
Und dann meine Eltern … Die liefen einfach<br />
raus, wenn ihnen das Stück nicht gefiel. Was<br />
nichts mit meiner Rolle zu tun hatte. Sie sagten dann:<br />
„Wir haben deine Stelle abgewartet, aber das Stück<br />
war einfach nicht gut, die Hauptrollen schlecht besetzt,<br />
deshalb sind wir früher abgehauen.“<br />
July: Genau wie mein Vater auch! Er behauptet,<br />
alles andere sei nicht ehrlich.<br />
dunham: Als ich meinen ersten Kurzfilm fertig<br />
hatte, meinte mein Dad: „Es ist großartig, dass du es<br />
versucht hast, und ich denke, das Medium könnte dir<br />
liegen. Aber du solltest den Film wirklich niemandem<br />
zeigen.“ Dabei ist der Film genau das, was mich zu<br />
der Person hat werden lassen, die ich heute bin. Wenn<br />
ich den Film nicht bei einem Festival eingereicht und<br />
darüber Leute kennengelernt hätte, die ihn mögen,<br />
würde ich heute vermutlich nichts mit Film und Fernsehen<br />
zu tun haben. Das war damals übrigens ein großer<br />
Schritt für mich: Mein Vater mag den Film nicht,<br />
aber ich reiche ihn trotzdem ein.<br />
July: Eine Frage, die mich sehr beschäftigt hat,<br />
nachdem ich deinen ersten Film gesehen hatte, war:<br />
Wieso schämt sich dieses Mädchen, das diesen Film<br />
gemacht hat, nicht dafür, wie speziell sie doch aufgewachsen<br />
ist? Versteh mich bitte nicht falsch: Die<br />
Art, wie du aufgewachsen bist, bietet ebenso viel oder<br />
ebenso wenig einen Grund, sich zu schämen, wie<br />
jede andere Form des Aufwachsens. Dennoch denke<br />
ich, dass es eigentlich total normal ist, sich davon zu<br />
distan zieren, damit abzurechnen. Du hast dieses Anliegen<br />
jedoch erstaunlich schnell hinter dir gelassen.<br />
dunham: Eine interessante Frage. Und ich weiß<br />
nicht, ob Geschwindigkeit da von Vorteil, ob sie gut<br />
oder schlecht ist. Gleichzeitig finde ich es komisch,<br />
wenn man von einem Typen liest, der in der Playboy<br />
Mansion oder sonst wo Wildes aufgewachsen ist und<br />
der sagt: „Ich kenne nichts anderes und dachte immer,<br />
so sei das Leben eben.“ So fühlte ich mich nie.<br />
Ich wusste, dass unser Leben speziell ist, dass meine<br />
Künstlereltern etwas Besonderes sind. Mit einem<br />
speziellen Lebensentwurf, der sich nun mal in einem<br />
großen Loft abspielte … wobei das Loft nicht so groß<br />
war, ich war nur sehr klein. Ich fand all das gut, wusste,<br />
wie besonders es ist, und musste nicht dagegen aufbegehren.<br />
Wobei ich andere Fälle kenne: Meine beiden<br />
besten Freunde aus Kindheitstagen haben ebenfalls<br />
Künstlereltern. Und die fanden es schrecklich.<br />
Die eine wollte selbst Künstlerin werden, studierte<br />
Kunst, arbeitete fleißig – doch die Leute interessierten<br />
sich nur für sie wegen ihrer verrückten Kindheit.<br />
Sie fühlte sich plötzlich wie ein Spektakel. Das konnte<br />
ich bis vor Kurzem nie wirklich verstehen. Erst seit<br />
ich vorsichtig darüber nachgedacht habe, wie es wohl<br />
wäre, meine Tochter zu sein, dämmert es mir langsam.<br />
July: Du hast darüber nachgedacht, wie es wäre,<br />
deine Tochter zu sein?<br />
dunham: Ja. Als ich dich mit Hopper gesehen<br />
habe. Du bist so cool als Mutter. Du versuchst es<br />
nicht, du bist es. Es ist ganz normal für dich.<br />
July: Mutter zu sein ist wahrscheinlich das Normalste,<br />
was ich je gemacht habe.<br />
121<br />
mantel<br />
miu miu<br />
pullover<br />
burberry<br />
london<br />
dunham: Du scheinst auch eine gute Balance<br />
gefunden zu haben. Ich weiß noch, wie du Hopper erklärt<br />
hast: „Das ist eine Orange, und sie ist orange. Sie<br />
ist auf diese Weise einzigartig.“ Ich könnte mir vorstellen,<br />
so einen Satz auch in deinen Texten zu lesen.<br />
July: Wenn du nicht da gewesen wärst, hätte ich<br />
den Satz vielleicht nicht gesagt, da er an Hopper total<br />
verschwendet ist. Hopper versteht das noch nicht.<br />
dunham: Er spricht eben noch kein Englisch.<br />
July: Dennoch vergleiche ich meinen zehn Monate<br />
alten Sohn gerne mit dir. Einfach, weil du ein gutes<br />
Beispiel für ein wohlgeratenes Künstlerkind bist.<br />
dunham: Wobei ich von den Tagebüchern meiner<br />
Mutter besessen bin. Darin beschreibt sie die<br />
unfassbar romantische Liebesbeziehung zu meinem<br />
Vater, die ich auch in Tiny Furniture verarbeite.<br />
July: Romantisch ist ein gutes Stichwort: Du hast<br />
dich vor nicht allzu langer Zeit unsterblich verliebt<br />
und mir davon erzählt. Würdest du auch seinen ganzen<br />
Namen öffentlich nennen?<br />
dunham: Klar, er heißt Jack Antonoff. Ich weiß<br />
sehr wohl von der Regel, dass man Privates und Öffentliches<br />
trennen und niemals den Namen seines<br />
Boyfriends verraten sollte. Aber ich verstehe dieses
ungeschriebene Gesetz der Starlets unter 33 ohnehin<br />
nicht. Warum darf man nicht dazu stehen, wenn man<br />
jemand Großartiges liebt? Das muss man doch in die<br />
Welt rausschreien! Vielleicht nicht mit Nacktfotos im<br />
Netz oder däm lichen Weihnachts-Tweets, aber sonst?<br />
Auf eine gewisse Art halte ich ihn für meine größte<br />
Errungenschaft. Warum sollte ich es nicht jedem erzählen?<br />
Vor allem nicht denen, die danach fragen?<br />
July: Eigentlich hatte ich mir eine Frage aufgeschrieben,<br />
doch dann habe ich sie wieder verworfen,<br />
weil ich sie schlecht und komisch fand. Es ging<br />
darum, ob es ein Frauending sei, sich für seine Arbeit<br />
schlecht zu fühlen. Es gibt diese Herangehensweise,<br />
die wir beide bis zu einem gewissen Grad teilen, es ist<br />
fast schon eine Art Berufung, Dinge schlecht zu finden.<br />
Gleichzeitig schleudern wir es raus in die Welt,<br />
und vielleicht verändert es sich ja dadurch, dass es geteilt<br />
wird, man kann es in einem anderen Licht sehen.<br />
Dunham: Genauso fühle ich mich auch. Oft geht<br />
es darum, es erst einmal überhaupt zuzugeben. Oder<br />
am Beispiel eines Typen erzählt, mit dem ich geschlafen<br />
habe. Da denke ich immer: Du wirst meinen Film<br />
sehen, und dann kapierst du, dass ich schlauer bin als<br />
du, dass ich all das vorhergesehen habe und du nichts<br />
gecheckt hast. Ich weiß nicht, ob du eine solche Art<br />
der Vorsehung kennst?<br />
July: Du machst jedenfalls genau damit einen<br />
großartigen Job bei Girls. Jeder liebt die Szene, in der<br />
Adam Drivers Figur den Spieß umdreht und plötzlich<br />
sagt: „Du fragst mich nie etwas.“ In diesem intimen<br />
Moment weiß man, dass du selbst da warst, dass die<br />
Regisseurin Lena einfach so viel mehr weiß als ihre<br />
Figur Hannah und du nicht predigst oder einen Selbsthass<br />
auslebst, sondern den Moment selbst erlebt hast.<br />
Dunham: Es freut mich, dass du das so siehst. Ich<br />
höre nicht auf jede Meinung, die ich zur Serie bekomme,<br />
aber es gibt durchaus Leute, die es nicht tolerieren<br />
können, dass die Figuren so sehr mit sich selbst<br />
beschäftigt sind, die den Sinn dessen nicht erkennen.<br />
July: Ich stelle mir die Arbeit an einer Fernsehserie<br />
immer als eine Art Kulturdialog in Echtzeit vor.<br />
Aber man kann natürlich nicht auf jeden neuen Einfluss<br />
und jede Stimmung achten, muss aber offen und<br />
wach bleiben. Über manche Dinge kann man sehr<br />
lange nachdenken, bevor sie in die Arbeit einfließen,<br />
auf anderes muss man spontan reagieren und kann es<br />
nicht immer erst einmal sacken lassen und einordnen.<br />
Das finde ich so spannend an Girls: Viele Dinge sind<br />
durchdacht, andere Momente passieren einfach, werden<br />
in die Mischung geworfen, unverdaut und roh.<br />
Dunham: Deshalb ist die Arbeit an Fernsehformaten<br />
so besonders. Man muss oft einfach nur<br />
fertig werden, egal wie eigentlich der Stand ist. Es ist<br />
ein wenig so wie am College: Man muss den Essay<br />
abgeben, ob man eine These hat oder nicht. Einfach<br />
weil morgen Weihnachtsferien sind.<br />
July: Für uns Zuschauer ist es so viel spannender,<br />
dass du deine Energie nicht in detailverliebte und<br />
zeitfressende Filme mit Überlänge steckst. Ich weiß,<br />
dass du Pläne hast, Filme zu drehen – viele Filme –,<br />
aber jetzt, in diesem Moment, ist es toll, dass wir nicht<br />
allzu lange warten müssen, um zu sehen, was du als<br />
Nächstes planst.<br />
Dunham: Frustriert es dich denn, wenn die Arbeit<br />
an einem Film sich zäh hinzieht?<br />
July: Klar, es macht mich total fertig. Das ist mit<br />
ein Grund, warum ich in unterschiedlichen Medien<br />
arbeite. So kann ich mich diesen quälend langsamen<br />
Prozessen zumindest ein wenig entziehen.<br />
Dunham: Manche Leute behaupten, es habe<br />
etwas Schizophrenes, die künstlerische Energie in<br />
122<br />
unter schiedlichen Disziplinen auszuleben. Ich denke<br />
aber, es entsteht einfach eine neue Auffassung davon,<br />
was es bedeutet, Künstler zu sein. Ein Künstler, der<br />
für einen bestimmten Standpunkt steht, nicht für die<br />
Perfektion eines bestimmten Materials oder Mediums.<br />
July: Wenn Journalisten mit mir darüber reden<br />
wollen, warum ich in unterschiedlichen Medien arbeite,<br />
denke ich immer: Oh, wie altmodisch! Aber<br />
irgendwie auch okay.<br />
Dunham: Ich kann mich noch daran erinnern,<br />
wie J.Lo ein Album veröffentlichen wollte, und das<br />
als Schauspielerin. Ein Unding! Alle reagierten so:<br />
„Die kriegt wohl nicht genug.“ Aber Geschichten<br />
schreiben, Drehbücher schreiben und Performances<br />
schrei ben ist ja nicht dasselbe, wie einen Nachtclub zu<br />
betreiben und gleichzeitig einen Oscar einzufordern.<br />
Du weißt schon: Miranda, Nachtclub-Königin und …<br />
July: … Model!<br />
Dunham: Für Socken!<br />
July: Ja, für Hansel aus Basel. Meine Karriere als<br />
Model, als Sockenmodel. Immerhin habe ich angeboten,<br />
für dich ein paar kostenlose Socken aufzutreiben,<br />
als ich gesehen habe, dass du auch Socken von Hansel<br />
trägst. Ich hoffe, du erinnerst dich daran.<br />
Dunham: Ernsthaft, ich wollte dir deswegen<br />
schon eine E-Mail schreiben.<br />
July: Es ist komisch, über Geld zu sprechen, aber<br />
als ich von deinem Buchvertrag las, sagte ich zu Mike:<br />
„Hm, Lena kann sich jetzt wahrscheinlich ihre eigenen<br />
Socken kaufen“ (beide lachen). Du warst einfach zu<br />
beschäftigt, Millionen zu verdienen, anstatt ein paar<br />
kostenlose Socken abzuholen.<br />
Dunham: Ich schätze aber das Gefühl, das<br />
kosten lose Dinge in mir auslösen, selbst wenn ich sie<br />
nicht so nötig habe wie Socken. Diese Dinge fühlen<br />
sich dann wirklich an, als gehörten sie mir.<br />
July: Deswegen klauen Menschen im Kaufhaus.<br />
Dunham: Warst du als Kind ein versierter Dieb?<br />
July: Ich habe als Erwachsener mehr gestohlen.<br />
Dunham: Ich war nie tapfer genug, obwohl<br />
Klau en ein Riesentrend während der Highschool war.<br />
Dafür habe ich jedes Mal totale Angst, wenn ich einen<br />
Laden verlasse, dass irgendein touretteartiger Trieb in<br />
mir plötzlich erwacht und ohne mein Wissen einfach<br />
so wahllos Dinge in meine Tasche stopft. Ich werde<br />
schon panisch, wenn ich mit einer Flasche Wasser im<br />
Rucksack in einen Laden komme, in dem dasselbe<br />
Wasser verkauft wird. Dann murmele ich los: „Damit<br />
bin ich schon reingekommen, damit bin ich schon<br />
reingekommen, damit bin ich schon reingekommen.“<br />
July: Ich gehöre definitiv zu den Menschen, die<br />
mit kleinen Diebstählen die Leere ihrer Seele zu füllen<br />
versuchen. Aber ich interessiere mich auch für<br />
Geld, nicht dafür, es per se zu haben, aber an sich.<br />
Deswegen würde ich dich gerne noch ein bisschen<br />
mehr über deinen Buch-Deal (angeblich über 3,5 Millionen<br />
Dollar) ausfragen. Als die ersten Details durchsickerten,<br />
redeten viele meiner Bekannten darüber,<br />
dass es erstaunlich sei, wie viel Geld ein Verlag bereit<br />
ist, an ein Mädchen zu zahlen, das ihre Kunst aus ihren<br />
Gefühlen speist. Viele Künstlerinnen haben sich<br />
gedacht: Wow, das verändert die Spielregeln. Und<br />
langfristig ist das auch toll für mich!<br />
Dunham: Es freut mich, so etwas zu hören. Die<br />
meisten Reaktionen, die ich sonst bekomme, sind entweder<br />
totale Ignoranz oder Internetkommentare, in<br />
denen Leute lästern und sich fragen, wer so viel Geld<br />
für so etwas ausgibt. Anfangs fand ich es furchtbar,<br />
dass die Details des Vertrages überhaupt publik wurden<br />
– was ja eigentlich total meinem Grundsatz widerspricht,<br />
nichts zu verheimlichen. Da alles irgendwie<br />
in meine Arbeit einfließt, fände ich es auch total<br />
bescheuert, eine Show abzuziehen und so zu tun, als<br />
wäre alles wie immer, als habe sich in meinem Leben<br />
überhaupt nichts verändert.<br />
July: Zumal ich denke, dass Frauen, die offen und<br />
ehrlich über sich, ihre Probleme und ihre Freundschaften<br />
sprechen, die Dinge zur Sprache bringen,<br />
die nie gesagt werden durften, ohnehin Gefahr laufen,<br />
ständig belächelt zu werden. Allein weil diese Dinge<br />
historisch betrachtet als noch unwichtiger als unwichtig<br />
gelten. Aber dein Verlag ist schlau: Er betrachtet<br />
die kulturelle Relevanz, den gesellschaftlichen Diskurs,<br />
die Einschaltquoten und denkt sich: Hey! Die<br />
Menschen sind hungrig danach! Nach Offenem und<br />
Wahrhaftem.<br />
Dunham: Dennoch benehmen sich einige Leute<br />
so, als sei ich Paris Hilton oder sonst wer – obwohl ich<br />
sagen muss, dass all diese Mädels, die ein Millionengeschäft<br />
aufgebaut haben, weil sie schöne Haare und<br />
eine ziemlich spezielle Attitüde haben, auch kein Unfall<br />
waren. In meinem Fall wunderten sich die Leute<br />
einfach und dachten: Was für ein kleines, dickliches<br />
Arschloch ist denn da ins Glück gestolpert? Das tat<br />
weh und weckte nicht gerade wenige Ängste – da ich<br />
mich tatsächlich manchmal genauso fühle.<br />
July: Aber du bekommst das Geld nicht, weil<br />
du gemein oder krass oder käuflich bist. Es haben<br />
schon andere Junge viel Geld bekommen – aber eben<br />
nicht dafür. Du schlägst damit ein neues Kapitel auf<br />
und schreitest für Mädchen wie Tavi (Gevinson, eine<br />
16-jährige amerikanische Modebloggerin) mutig voran.<br />
Alle werden es wegen dir einfacher haben.<br />
Dunham: Toll, oder?<br />
July: Mir ist auch noch etwas sehr positiv aufgefallen:<br />
Es gibt ein neues Level an Freundlichkeit<br />
zwischen uns Frauen. Ich kenne ja ein paar ziemlich<br />
interessante Frauen. Aber wir haben es den jungen<br />
Frauen zu verdanken, dass diese neue Freundlichkeit<br />
Einzug gehalten hat. Das ist ein Schritt weiter als<br />
Riot Grrrl. Da gab es immer diesen Grrr-Anteil. Man<br />
musste immer auf die Barrikaden gehen.<br />
Dunham: Das stimmt total. Zudem bestimmte<br />
Ablehnung einen großen Teil der Riot-Grrrl-Kultur. Es<br />
ging immer darum, wer dazugehört – und wer nicht.<br />
July: Deswegen brauchen wir dringend Frauen<br />
wie dich. Du hast die Welt so vieler positiv verändert.<br />
Sogar auf den Kopf gestellt. Du hast einen Wandel<br />
hervorgerufen. Manche mögen dies als störend empfunden<br />
haben – selbst jene, die sich nichts mehr wünschen.<br />
Und ich weiß, dass es auch nicht immer einfach<br />
ist, das neue Gesicht, die neue Kraft zu sein.<br />
Dunham: Na, du weißt ja, dass ich schon ziemlich<br />
darunter leide, kaum einen Pulsschlag zu haben.<br />
July: Ich kann dir nur raten: Iss Eier, geh joggen,<br />
hab viel Sex. Oder so ähnlich.<br />
Dunham: Iss Eier, geh joggen, hab viel Sex –<br />
großartig, genau das werde ich tun. Du hattest in<br />
einer E-Mail von einem Paradigmenwechsel gesprochen,<br />
dazu wollte ich dir noch eine Geschichte erzählen:<br />
Als ich mit meinem Dad bei einer Woman-of-the<br />
Year-Auszeichnung war, fürchtete er, sich schrecklich<br />
zu langweilen. Aber das Gegenteil war der Fall. Er<br />
fand es großartig. Danach meinte er nur: „Watch out,<br />
boys. The girls are comin’ for your toys.“<br />
hair BREnT laWlER FOR ORIBE haIRCaRE/STREETERS<br />
make-up JO STRETTEll FOR naRS/<br />
ThE maGnET aGEnCy<br />
manicure EmI KuDO FOR ChanEl/OPuS BEauTy<br />
Production ChElSEa Ryan<br />
Retouching KEn haRRIS<br />
Photo assistants ERIC hOBBS, PhIl SanChEZ<br />
Styling assistants JOShua COuRTnEy,<br />
lInDSay GROSSWEnDT<br />
Special thanks SIREn STuDIOS<br />
Alle Fotos: Gregory Harris/Trunk Archive<br />
“<br />
Ich bin jemand,<br />
der schnell ,I love you‘<br />
sagt und Liebesbekundungen<br />
macht.<br />
Auch wenn mir<br />
das danach Sorgen<br />
bereitet<br />
”<br />
– Lena Dunham
Saving<br />
Grace<br />
Der Teufel mag vielleichT PraDa Tragen,<br />
Doch grAce coDDingTon isT Die seele<br />
Der amerikanischen Vogue. in Der<br />
DokumenTaTion The SepTember ISSue war<br />
sie Die heimliche helDin – JeTzT haT Die<br />
kreaTivDirekTorin Der Vogue ihre memoiren<br />
vorgelegT. in Den nebenrollen:<br />
viDal sassoon, mick Jagger, helmuT<br />
newTon, Diverse kaTzen. unD naTürlich:<br />
anna winTour<br />
von<br />
Nicolas GhesquiÈre<br />
Mantel & Ohrringe<br />
Privat<br />
rOllkragenPullOver<br />
herMès<br />
Foto: Craig McDean/Art+Commerce<br />
PorTräT<br />
crAig mcDeAn<br />
sTyling<br />
elin svAhn<br />
laDy in black:<br />
grace coDDingTon, 2012<br />
125
eit Ende der 50er-Jahre arbeitet die Waliserin Grace Coddington<br />
in der Mode. Zuerst als Model, dann als Redakteurin,<br />
heute als Creative Director der amerika nischen Vogue.<br />
Sie hat legendäre Frisuren getragen, mit fast allen wichtigen<br />
Fotografen gearbeitet, und wenn man The September Issue<br />
glauben darf, ist sie eine der wenigen Menschen, die vor<br />
Anna Wintour keine Angst haben. In dem Dokumentarfilm<br />
von 2009 war sie die Königin der Herzen: eine Frau, die nach<br />
Jahrzehnten in der Modebranche noch immer an Schönheit,<br />
Kreativität und den gerade jetzt richtigen Schnitt<br />
eines Kleides glaubt – und für ihren Glauben in jede Schlacht<br />
zu ziehen bereit ist. Nach einem mittlerweile vergriffenen<br />
Bildband über ihr Lebenswerk von 2002 und einem selbst gezeichneten Büchlein<br />
über ihre Katzen hat Coddington nun ihre Memoiren veröffentlicht. Nicolas Ghesquière,<br />
der bis vor Kurzem Modedesigner bei Balenciaga war, befragte sie dazu.<br />
Nicolas Ghesquière: Du hast einen Großteil deiner Karriere hinter den Kulissen<br />
verbracht und dich vom Rampenlicht ferngehalten. Wieso hast du dich jetzt<br />
dafür entschieden, deine Memoiren zu schreiben? Warum war jetzt der richtige<br />
Zeitpunkt?<br />
Grace coddiNGtoN: Tja. Ich fürchte, das war ein Fall von Selbstbetrug.<br />
Bevor September Issue lief, sagten alle: „Danach werden dich Leute auf der Straße<br />
um ein Autogramm bitten.“ Ich habe kein Wort geglaubt und antwortete: „Mein<br />
Leben wird sich nicht ändern.“ Hat es dann aber – und zwar dramatisch. Vorher<br />
hat mich kein Mensch auf der Straße erkannt. Das ist natürlich immer noch was<br />
ganz anderes, als von der Presse regelrecht verfolgt zu werden, wie es bei echten<br />
Stars der Fall ist. Dafür bin ich einfach zu alt. Und ich habe auch keine Affären mit<br />
hübschen Schauspielern. Die Medien brauchen Klatsch und Skandale, und das<br />
kriegen sie nicht von mir, denn ich bin zu alt für Skandale. Auch mein Buch ist<br />
nicht besonders skandalös.<br />
Ghesquière: Und wieso hast du es jetzt veröffentlicht?<br />
coddiNGtoN: Tja, warum eigentlich? Irgendwer hat mich gedrängt. Und<br />
dieses Mal war es ausnahmsweise nicht Anna. Nach dem Film bekam ich sehr viele<br />
Projekte angeboten.<br />
Ghesquière: Der Film war also schuld.<br />
coddiNGtoN: Der Film – und mein Alter. Wenn man schon seine Memoiren<br />
schreibt, dann ist das richtige Alter dafür Ende 60, Anfang 70. Ich verstehe<br />
nicht, wie 20-Jährige das schon machen können. Die meisten Menschen brauchen<br />
ein bisschen länger, um sie selbst zu werden. Eigentlich hört man ja nie damit auf.<br />
Nach dem Film also kamen alle möglichen Angebote, und ich antwortete stets:<br />
„Das ist mir zu privat. Das mache ich nicht.“ Ich ließ mich dann doch irgendwie<br />
überzeugen. Vor September Issue galt ich als kühl und unnahbar. Es gab immer mich<br />
und Liz Tilberis, und Liz war die Freundliche, die immer mit allen geplaudert hat,<br />
während ich mit niemandem sprach. Nach dem Film sahen die Leute mich im<br />
anderen Licht. Es gibt eine Szene, auf die ich immer wieder angesprochen werde.<br />
Ghesquière: Die Szene in Versailles?<br />
coddiNGtoN: Genau. Das war der Moment, in dem die Leute mich zum<br />
ersten Mal verstanden.<br />
Ghesquière: Was ich so daran liebe: Die Szene zeigt die empfindsame und<br />
emotionale Seite von Mode – und von dir –, und sie zeigt die Romantik und den<br />
Humor in deiner Arbeit.<br />
coddiNGtoN: Na ja, ich hoffe, der Humor vermittelt sich auch in meinem<br />
Buch. Ich will mich nicht als Historikerin aufspielen oder mich zu wichtig nehmen.<br />
Ich nehme meinen Job sehr ernst. Aber ohne Lachen geht es nicht.<br />
Ghesquière: In der Szene sagst du, du seist eine Romantikerin und dass du<br />
wie aus einer anderen Zeit auf die Welt blickst.<br />
coddiNGtoN: Ich glaube, ich habe gesagt, ich hätte in einem anderen Jahrhundert<br />
geboren werden sollen. Ich bin zu altmodisch für die verrückte Modewelt.<br />
Ich meinte allerdings nicht die Mode an sich, sondern die Tatsache, dass sich alles<br />
um Computer, Blogs und andere Dinge dreht, die mich nicht besonders interessieren.<br />
Jeder muss heute Multitasking betreiben, und deswegen kann sich niemand<br />
darauf konzentrieren, was er gerade macht und wo er gerade ist. Dabei geht leider<br />
viel verloren. Ich glaube, man muss im Moment leben. Das habe ich mein ganzes<br />
Leben lang getan. Deswegen fahre ich auch so gern U-Bahn. Da gibt es so viele<br />
wunderbare Menschen. Es macht mich traurig, dass ich nur drei Stationen von der<br />
Redaktion entfernt wohne, weil ich immer gerade dann aussteigen muss, wenn ich<br />
eine verrückte Person in meinem Waggon entdeckt habe.<br />
Ghesquière: Vergisst du deswegen manchmal auszusteigen?<br />
coddiNGtoN: Oh ja, das ist mir schon passiert. Und dann bin ich panisch<br />
geworden, weil ich überhaupt keinen Orientierungssinn habe. Aber um noch mal<br />
auf den Film zurückzukommen: Das Tolle an der Szene war ja, dass man keinen<br />
strahlend blauen Himmel und schöne Blumen zu sehen bekam. Es war ein grauer<br />
Tag, Regen hing in der Luft, und mein Haar wehte im Wind. Ich weiß nicht, ob du<br />
den Film mochtest, weil viele Franzosen ihn hassten, aber mich erinnert der Moment<br />
an Marie Antoinette von Sofia Coppola. Als ich über die Gärten von Versailles<br />
schaute, dachte ich an die ganzen historischen Persönlichkeiten, die der Film zum<br />
Leben erweckt hatte.<br />
Ghesquière: Ich habe dich immer nur gut gelaunt und lächelnd erlebt. Du<br />
bist niemals genervt oder arrogant. Woher hast du diese positive Energie?<br />
coddiNGtoN: Genervt bin ich eigentlich nie. Manchmal vielleicht ein bisschen<br />
verzweifelt, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht erreiche, was ich mir<br />
vorgenommen habe. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen … Du weißt<br />
schon … Zum Beispiel, als wir mit Annie Leibovitz fotografiert haben und sie<br />
plötzlich meinte: „Bei diesem Kleid sind die Rüschen auf der falschen Seite. Dreh<br />
es einfach um.“ Du warst gerade nicht im Zimmer, und ich bin durchgedreht.<br />
Ghesquière: Ich erinnere mich.<br />
coddiNGtoN: Ich wurde ganz bleich im Gesicht und sagte mir: Ich kenne<br />
Nicolas nicht so gut, und wenn Annie darauf besteht, haue ich ab (Ghesquière lacht).<br />
Doch dann meinte Annie nur: „Es reicht ja, wenn du die Rüschen auf die andere<br />
Seite machst.“ Es war allerdings ein wahnsinnig kompliziertes Kleid, und ich wusste<br />
überhaupt nicht, wie das gehen sollte. Deine Reaktion war ganz zauberhaft:<br />
„Klar. Versuchen wir es einfach.“ Ich kenne eine Menge Designer, die nicht so<br />
gelassen reagiert hätten – nicht einmal mit einer Fotografin wie Annie Leibovitz.<br />
Für mich war das ein toller Modemoment, denn wenn man so was hinkriegt, dann<br />
ist alles möglich.<br />
Ghesquière: Wir haben das Kleid in 45 Minuten noch mal neu entworfen.<br />
Ich glaube, das war der Beginn unserer Freundschaft. Das hat das Eis gebrochen.<br />
Ich glaube, deine Energie und dein Enthusiasmus haben dazu geführt, dass du mit<br />
praktisch allen großen Fotografen arbeiten konntest. Wer war dir da besonders<br />
wichtig?<br />
coddiNGtoN: Na ja, die Großen eben. Ich wollte immer mit Irving Penn<br />
arbeiten. Das tat ich dann auch, als ich bei Calvin Klein und später dann bei der<br />
amerikanischen Vogue war. Mit Richard Avedon hat es nicht geklappt. Aber mit<br />
Guy Bourdin habe ich ein klein bisschen gearbeitet, als ich Model war und später<br />
Redakteurin. Bei Helmut Newton das Gleiche. Eigentlich habe ich mit fast allen<br />
gearbeitet, die ich wollte.<br />
Ghesquière: Du schreibt in deinem Buch viel über deine Kindheit. Du bist<br />
auf einer kleinen Insel in Wales aufgewachsen, stimmts?<br />
coddiNGtoN: Ja.<br />
Ghesquière: Deine erste Begegnung mit der Modewelt waren die Ausgaben<br />
der Vogue, die du dir als Teenager hast schicken lassen. Was hat dich daran fasziniert?<br />
Deine Eltern hatten ein Hotel. Gab es da irgendwelche Frauen unter den<br />
Gästen, die Eindruck auf dich machten?<br />
coddiNGtoN: Na ja, es war ein kleines Familienhotel in Trearddur Bay auf<br />
einer Insel nahe einer anderen Insel. Keine Ahnung, wie es da heute aussieht, denn<br />
seit dem Tod meiner Mutter war ich nicht mehr dort. Und das ist eine ganze Weile<br />
her. Aber damals konnte man da keine vernünftige Kleidung kaufen. Im Winter<br />
lebte dort fast niemand. Es war total verlassen und stürmisch, und die Wellen<br />
krachten bis auf die Straßen. Das Hotel war nah am Meer und musste im Winter<br />
schließen. Und es gab definitiv keine role models auf der Insel. Es klingt, als würde<br />
ich Werbung machen wollen, aber bei mir war es wirklich die Vogue, was die Mode<br />
betrifft. Am Anfang haben mich die Fotos mehr interessiert als die Kleider. Und<br />
ich sah auf den Bildern eine wunderbare Welt. Ich träumte von einem unkomplizierten,<br />
glamourösen Leben als Model. Was natürlich eine Illusion ist.<br />
Ghesquière: Wie bist du dann Model geworden?<br />
coddiNGtoN: Hast du das Kapitel in dem Buch gar nicht gelesen? (Ghesquière<br />
lacht) Weißt du, die Leute sagten immer: „Du solltest Model werden“ – weil ich<br />
relativ groß war.<br />
Ghesquière: Und schön.<br />
coddiNGtoN: Überhaupt nicht schön. Aber ich war groß im Vergleich zu<br />
den meisten Engländern. Und im Vergleich zu den Walisern war ich richtig groß.<br />
Ich wusste einfach, dass ich von zu Hause weg und Geld verdienen musste, und<br />
habe mich bei einem Modelkurs in London angemeldet. Nebenbei habe ich in einem<br />
Café gearbeitet. Einer der Kunden war ein Männermodel und Maler. Er stellte<br />
mich dem Fotografen Norman Parkinson vor. Ich kannte den Namen aus der<br />
Vogue. Er war ein Starfotograf, der häufig selbst auf seinen eigenen Bildern zu sehen<br />
war. Er schaute sich meine Mappe an und meinte: „Du wärst perfekt für den<br />
Job am nächsten Samstag. Du müsstest dich allerdings ausziehen. Ist das okay?“<br />
Ghesquière: Der erste Job und gleich nackt.<br />
coddiNGtoN: Ich habe das gar nicht registriert. Ich verstand nur, dass ich<br />
einen Job angeboten bekam, und sagte: „Klar.“ Auf dem Weg nach Hause dachte<br />
ich: Oh Mist. Nackt. Aber das war halt der Job, dachte ich. Kurz danach sagte mir<br />
Foto Nr. 3: Marina Schiano, 1992; Nr. 4: Arthur Elgort, i-D, Winter 2012<br />
1<br />
1 GracinG cHarles: Die junGe stylistin Grace cODDinGtOn<br />
puDert prinz cHarles für Dessen Offizielle investitur.<br />
WinDsOr castle 1969 2 never tHinner, pOrträt aus Der<br />
italieniscHen Vogue, 1992, fOtO: steven Meisel 3 Mit DiDier<br />
MaliGe beiM Vogue-eMpfanG, neW yOrk 1992 4 titelHelDin:<br />
Die stylistin auf DeM cOver Des MaGazins i-D, Winter 2012,<br />
fOtO: artHur elGOrt 5 blick in Die zukunft, lOnDOn 1974,<br />
fOtO: Willie cHristie 6 cODDinGtOn in bellpOrt/lOnG islanD<br />
1982, fOtO: bruce Weber<br />
6<br />
2<br />
4<br />
3<br />
126<br />
5
MODEPRODUKTIONEN VON GRACE CODDINGTON<br />
(VON OBEN NACH UNTEN, VON LINKS NACH<br />
RECHTS): HELMUT NEWTON (1973), ARTHUR<br />
ELGORT (2001), STEVEN KLEIN (2003), MARIO<br />
TESTINO (1998), BRUCE WEBER (1989), ELLEN VON<br />
UNWERTH (1992), BRUCE WEBER (1981),<br />
BRUCE WEBER (1984)<br />
MODEPRODUKTIONEN VON GRACE<br />
CODDINGTON (VON OBEN NACH UNTEN,<br />
VON LINKS NACH RECHTS): STEVEN KLEIN (2003),<br />
CRAIG McDEAN (2007), STEVEN KLEIN (2003),<br />
MERT & MARCUS (2009), NORMAN PARKINSON<br />
(1971), ANNIE LEIBOVITZ (2005)<br />
128<br />
129
MODEPRODUKTIONEN VON GRACE<br />
CODDINGTON (VON OBEN NACH UNTEN,<br />
VON LINKS NACH RECHTS):<br />
BRUCE WEBER (1990), DAVID SIMS (2010),<br />
HELMUT NEWTON (1973), PETER LINDBERGH<br />
(1991), DAVID SIMS (2007), GUY BOURDIN (1971),<br />
ARTHUR ELGORT (1995), STEVEN KLEIN (2003)<br />
ein anderer Kunde in dem Café, dass die Vogue einen Modelwettbewerb veranstalte<br />
und er ein Foto von mir einschicken wolle. Ich gab ihm meine Sedcard von der<br />
Agentur.<br />
Ghesquière: Ist es das Bild mit dem Pullover?<br />
CoddinGton: Genau. Mit dem dicken Pullover, dem Strohhut, den schwarzen<br />
Strumpfhosen und den Zöpfen.<br />
Ghesquière: Tolles Bild.<br />
CoddinGton: Na ja. Ich habe in einer Kategorie gewonnen.<br />
Ghesquière: Hast du die Kleidung selbst ausgesucht?<br />
CoddinGton: Natürlich.<br />
Ghesquière: Gutes Styling.<br />
CoddinGton: Findest du? (lacht) Ich glaube, es ist ein Mohairpullover. Ich<br />
habe den geliebt und jahrelang getragen.<br />
Ghesquière: Der würde heute noch funktionieren. Du bist also in London, es<br />
sind die Sechziger. Das muss eine aufregende, glamouröse Zeit gewesen sein, um<br />
dort zu leben. Und sehr wichtig, was Mode betrifft. War es Swinging London?<br />
CoddinGton: Später ja. Aber ich bin schon 1959 dort angekommen, da<br />
schwang noch nichts.<br />
Ghesquière: Gar nichts?<br />
CoddinGton: Das ging erst los, als die Pille auf den Markt<br />
“<br />
kam. Die änderte<br />
alles.<br />
Ghesquière: Wie fühlte sich das für dich an: vom Model in den Mittelpunkt<br />
einer Kulturrevolution. Du hingst mit den Rolling Stones ab …<br />
CoddinGton: Sagen wir mal so: Ich kannte sie. Die Beatles auch und die<br />
wichtigen Fotografen. Ich war zur richtigen Zeit dort und traf die richtigen Leute.<br />
Insofern war ich Teil dieser Szene.<br />
Ghesquière: Im Buch ist ein Foto von dir und Vidal<br />
Sassoon.<br />
CoddinGton: Das war 1964.<br />
Ghesquière: Es ist ein Bild, das die Leute im Kopf<br />
haben, wenn sie ans London der Sechziger denken.<br />
CoddinGton: Ich habe einfach das Glück, sehr gute<br />
Haare zu haben. Friseure mochten mich immer, weil es so<br />
kräftig ist, die Wirbel an der richtigen Stelle und so weiter.<br />
Ich war bei verschiedenen Friseuren, bevor ich Vidal kennenlernte.<br />
Ich glaube, das erste Mal war ich 1960 bei ihm,<br />
insofern war der Five-Point-Cut nicht mein erster Haarschnitt<br />
von ihm. Aber dieser wurde berühmt.<br />
Ghesquière: Wie lange bist du damit herumgelaufen?<br />
CoddinGton: Ein paar Jahre. Danach hatte ich eine<br />
asymmetrische Frisur, bei der ein Auge verdeckt war.<br />
Ghesquière: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass dir<br />
deine Haare von Anfang an sehr wichtig waren.<br />
CoddinGton: Sind sie immer noch. Ohne die richtigen<br />
Haare will ich eigentlich gar nicht anfangen.<br />
Ghesquière: Das ist eins deiner Markenzeichen.<br />
CoddinGton: Die rote Mähne. Das sieht jeder sofort,<br />
wenn ich mich nähere. Mein Look ist immer ziemlich eindeutig, weil ich<br />
keine halbherzigen Sachen mag. Auch jetzt. Schwarz und rot. Sehr praktisch.<br />
Ghesquière: Und das sieht man deinen Fotoproduktionen an. Ich sehe immer<br />
eine Grace darin. Wie war der Übergang vom Model zur Stylistin?<br />
CoddinGton: Relativ leicht. Wenn du beim Modeln die Augen offen hältst,<br />
lernst du eine Menge über Mode und Fotoshoots. Ich dachte, ich wüsste alles. Bis<br />
ich merkte, wie viel Verantwortung man tragen muss.<br />
Ghesquière: Wie hast du deinen eigenen Stil beim Styling entwickelt?<br />
CoddinGton: Das ist genau der Punkt. Ich mache kein Styling. Ich krempel<br />
nicht die Ärmel, klappe nicht den Kragen hoch – oder was Stylisten sonst so machen.<br />
Ich kombiniere nicht einen Pullover von dir mit einer Hose von Marc Jacobs.<br />
Oder selten. Ich lasse die Kleider, wie sie sind, denn ich bilde mir nicht ein,<br />
ein besserer Designer zu sein als Marc.<br />
Ghesquière: Deine Geschichten haben oft eine verträumte Atmosphäre, was<br />
ich sehr mag. Sie sind großzügig und barock – was derzeit nicht unbedingt im<br />
Trend liegt.<br />
CoddinGton: Ich hoffe, ich kann es mir leisten, keine von diesen jungen<br />
Leuten zu sein, die genau das machen, was gerade in ist.<br />
Ghesquière: Ich glaube nicht, dass das eine Altersfrage ist.<br />
CoddinGton: Na ja, das war ein bisschen sarkastisch. Ich tendiere dazu,<br />
romantisch, weich und hübsch zu arbeiten. Obwohl ich deine Arbeit sehr schätze,<br />
passen deine Kollektionen oft nicht dazu. Das nervt mich. Und Anna presst mich<br />
immer in diese romantische Nische, du weißt schon: mit Kaninchen und Tauben<br />
und so.<br />
Mein Look<br />
ist ziemlich<br />
eindeutig, weil ich<br />
keine halbherzigen<br />
Sachen mag.<br />
Auch jetzt.<br />
Schwarz und rot.<br />
Sehr praktisch<br />
130 131<br />
Ghesquière: Wie habt ihr euch kennengelernt?<br />
CoddinGton: Weiß ich gar nicht mehr. Sie ist eine ganze Ecke jünger als<br />
ich. Sie war eines der coolen Mädchen, das in London mit anderen coolen Mädchen<br />
abhing, und wir liefen uns immer mal über den Weg. Ich traf sie ein paarmal<br />
bei Joan Buck zu Hause, aber sie hat damals nicht viel geredet. Und sie war immer<br />
… ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil so viel Haar davor war.<br />
Ghesquière: Wie bist du nach Amerika gekommen?<br />
CoddinGton: Ich hatte 18 Jahre bei der britischen Vogue gearbeitet, als Anna<br />
dort Chefredakteurin wurde. Das war eine schwierige Zeit, weil plötzlich diese<br />
junge, intelligente, scharfe Person da war. Sehr effizient, aber auch mit einem vollkommen<br />
anderen Geschmack als ich damals. Ein neuer Chef ist immer schwierig,<br />
auch weil man nach fast 20 Jahren bei derselben Zeitschrift vielleicht ein bisschen<br />
faul wird. Anna weckte jeden auf – und ich fühlte mich irgendwie im Weg. Damals<br />
war ich eine der ersten europäischen Moderedakteurinnen, die regelmäßig zu den<br />
Schauen in New York fuhr. Was Calvin Klein machte, fand ich zeitgemäß und interessant.<br />
Und der Creative Director Zack Carr wurde ein Freund von mir. Außerdem<br />
lebte mein damaliger Partner Didier (Malige, mit dem sie noch immer zusammen<br />
ist) in New York. Als mir Calvin Klein einen Job anbot, habe ich Ja gesagt.<br />
Ghesquière: Du bist also für die Liebe dorthin gezogen.<br />
CoddinGton: Ja. Ich dachte, er würde mich ein bisschen ernster nehmen,<br />
wenn ich in derselben Stadt bin. So kam ich zu Calvin Klein.<br />
Ghesquière: Wie lange warst du da?<br />
CoddinGton: Nur anderthalb Jahre. Wenn du für einen Designer arbeitest,<br />
musst du dessen Ästhetik treu bleiben.<br />
Ghesquière: Ja, man konvertiert zu einer Religion, wenn man bei einem<br />
Haus mit derartig klarer Ästhetik und Vision arbeitet.<br />
CoddinGton: … und zwar vom Scheitel bis zur Sohle.<br />
Ich mochte Calvins Stil, aber in Wirklichkeit bin ich ein<br />
Chamäleon. Wenn ich irgendetwas entdecke, wechsle ich<br />
sofort die Farbe oder Richtung. Und genau als mir das klar<br />
wurde, wurde Anna Chefredakteurin der amerikanischen<br />
Vogue. Wir waren die ganze Zeit in Kontakt geblieben, darin<br />
ist sie sehr gut, und ich rief sie an, um ihr zum neuen Job<br />
zu gratulieren. Halb im Spaß fragte ich: „Willst du mich<br />
zufälligerweise zurück?“ – „Wir treffen uns um sechs auf<br />
einen Drink“, sagte sie und legte auf, wie es ihre Art ist. Als<br />
wir uns trafen, sagte sie, noch bevor ich mich setzen konnte:<br />
„Ich fange am Montag an. Du auch.“ Der Rest ist Geschichte.<br />
Ghesquière: Weißt du, ob sie das vorhatte, bevor du<br />
angerufen hast?<br />
”<br />
CoddinGton: Nein.<br />
Ghesquière: Hast du sie nie gefragt?<br />
CoddinGton: Nein, nie. Aber Anna weiß genau, was<br />
sie tut, weil sich ihr jeder anvertraut. Vielleicht hatte ich<br />
mal bei irgendeinem Abendessen irgendetwas in dieser<br />
Richtung gesagt. Jedenfalls wollte sie das Heft verändern<br />
und brauchte Leute, die sie kannte. Ihr Team.<br />
Ghesquière: Gibt es Fotoproduktionen, die dir besonders am Herzen liegen?<br />
Ich weiß, das ist eine schreckliche Frage …<br />
CoddinGton: Ich behaupte immer, meine Lieblingsgeschichte sei Alice in<br />
Wonderland mit Annie Leibovitz. Sie versteht nichts von Mode, aber dafür ist sie<br />
eine Intellektuelle. Das finde ich sehr stimulierend. Wichtig war auch die Produktion<br />
mit Bruce Weber, die auf den Tagebüchern von Edward Weston basierte. Im<br />
Anschluss schenkte mir Bruce ein kleines Skizzenbuch mit echten Prints, die er mit<br />
schwarzem Tesafilm aufklebte und Notizen drumherum kritzelte. Das ist eins meiner<br />
liebsten Andenken.<br />
Ghesquière: Wie war die Arbeit mit Steven Meisel?<br />
CoddinGton: Der ist toll, weil er sich wirklich mit Mode auskennt. Der<br />
weiß viel mehr als ich. Ich sollte viel mehr mit ihm arbeiten! Ich vermisse ihn ein<br />
bisschen.<br />
Ghesquière: Zum Schluss müssen wir noch kurz über deine Katzen reden.<br />
CoddinGton: Ich habe Katzen schon immer geliebt. Ich mag alle Tiere,<br />
aber ich konzentriere mich auf Katzen. Ich finde sie sehr menschlich, denn sie<br />
spüren genau, wie es dir geht. Mein erster Ehemann, Michael Chow, war allergisch,<br />
deswegen konnten wir keine haben. Mit meinem zweiten Mann kaufte ich<br />
Brian und Stanley – das ist jetzt 30 Jahre her. Im Moment leben wir mit Pumpkin<br />
und Bart, die vorerst letzten in einer langen Reihe von Mitbewohnern. Es muss<br />
immer ein Weibchen dabei sein, damit sie auf meinen Zeichnungen Kleider tragen<br />
kann. Ich will den Jungs keine Kleider anziehen.<br />
Grace. a MeMoir ist bei random house ersChienen
GiorGio<br />
Was braucht eine überzeugte Exzentrikerin mehr<br />
als eine Dänische Dogge als Accessoire und ein paar perfekte<br />
Kleider? Ein leicht verhangener Blick auf die aktuelle<br />
Kollektion des Großmeisters italienischer Eleganz<br />
ArmAni<br />
Fotos<br />
giAmpAolo sguRA<br />
styling<br />
klAus stockhAusen
alle looks, accessoires & schmuck<br />
giorgio ArmAni<br />
frühjahr/sommer 2013<br />
134
137
Fotos giampaolo sgura/Close up<br />
Haare andrew guida/Close up<br />
make-up JessiCa nedza/Close up<br />
mit produkten von lord & Berry<br />
maniküre annarel innoCente/Close up<br />
set-design serena groppo<br />
model siBui/next<br />
Foto-assistenz angela improta, Filippo tarentini<br />
digital operator giuliano Carparelli<br />
138
Brille<br />
toM Ford<br />
gesehen Bei<br />
dePartMentstore<br />
quartier 206<br />
heMd<br />
MArni<br />
von<br />
Laura ewert<br />
Oskar<br />
rOehler<br />
Fotos<br />
steFAn Milev<br />
styling<br />
niki PAuls<br />
“<br />
Leck mich doch, ganze Filmbranche!<br />
Leckt mich doch alle am Arsch!<br />
Oskar Roehler<br />
privat<br />
hemd & hose<br />
”brille<br />
dries vAn noten<br />
socken & schuhe<br />
mArni<br />
141
Er ist das Gegengift<br />
zur neuen deutschen<br />
Volkskomödie.<br />
Oskar ROEHLER –<br />
Provinzflüchtling,<br />
Punk,Reg isseur,<br />
Autor. In dem Film<br />
Quellen des Lebens<br />
erzählt er nun seine<br />
Geschichte,dieauchdie<br />
Geschichte der<br />
BRD ist. Ein Gespräch<br />
überdasGeräuschwachsender<br />
Knochen<br />
und das Geld der RAF<br />
IntervIew: Herr Roehler, Ihr neuer Film Quellen des<br />
Lebens dauert drei Stunden. Muss das denn wirklich<br />
sein?<br />
oskar roehler: Ich hatte im Prinzip auch überhaupt<br />
keine Lust auf den Film. Es gab ein sehr umfangreiches<br />
Drehbuch, das hatte ich irgendwann mal<br />
geschrieben, das war noch unter Eichinger als Serie<br />
gedacht. Und dann lag es da und lag und lag, und ich<br />
war so unglücklich, dass ich mich davon verabschiedet<br />
hatte, und dachte: „Leck mich doch, ganze Filmbranche!<br />
Leckt mich doch alle am Arsch!“ Zwei Monate<br />
totaler Frust, ich erzähl jetzt mal aus dem Nähkästchen.<br />
Das ging dann irgendwann vorüber, und ich<br />
habe aus diesem ganzen Material einen Roman gemacht.<br />
Ein großes Wagnis. Über zwei Jahre Arbeit.<br />
IntervIew: Ihr Roman Herkunft erschien 2011<br />
und ist nun die Vorlage für den Film.<br />
roehler: Genau. Ein Roman ist eine Kunstform,<br />
vor der ich viel Respekt hatte, wie Bergsteigen. Es<br />
wurden plötzlich 600 Seiten. Die habe ich dann noch<br />
mal für ein neues Drehbuch adaptiert. Ich war praktisch<br />
gezwungen, ich war es meinem neuen Produzenten<br />
schuldig, auch wenn ich unheimlich unleidlich<br />
und paranoid war in den Vorbereitungen.<br />
IntervIew: Auch noch beim Dreh?<br />
roehler: Da hat es sich dann aufgelöst, auch einfach,<br />
weil ich mit so tollen Leuten wie Jürgen Vogel<br />
zusammenarbeiten konnte, mit Moritz Bleibtreu,<br />
Lavinia Wilson oder Meret Becker oder Wilson<br />
Ochsenknecht, die menschlich alle auf einem tollen<br />
Level sind. Die haben mich da durchgetragen. Wie<br />
sagt der Beleuchter in dem Fassbinder-Film so schön<br />
zum Aufnahmeleiter: „Du Arschloch, wennst nichts<br />
arbeiten mogst, dann machst halt Regie.“<br />
IntervIew: Wie lief es denn mit den Kinderdarstellern?<br />
roehler: Ich hatte schlimme Ängste. Ich habe ja<br />
keine Kinder und musste mit einem Sechsjährigen<br />
drehen. Ich kenne Hunde besser als Kinder. Was soll<br />
ich jetzt mit so einem Alien anfangen? Das dachte ich.<br />
IntervIew: Dabei haben Sie das gut hingekriegt,<br />
die Kinder im Film spielen großartig!<br />
roehler: Ja, aber ich hatte eben überhaupt keine<br />
Ahnung mehr, was es bedeutet, ein Sechsjähriger oder<br />
ein Neunjähriger zu sein. Den 18-Jährigen, den kannte<br />
ich dann wieder, wie man so tickt, auch mit den<br />
Mädels und so. Also, alles war fürchterlich. Und dann<br />
bin ich in diese Herstellungsleitersitzungen gegangen<br />
und habe gehört, wie viele Millionen das alles kostet.<br />
Dieser Film, der mir schon so lange auf der Seele lag.<br />
IntervIew: Sollte man als Regisseur nicht sowieso<br />
unbedingt aus den Budgetbesprechungen herausgehalten<br />
werden?<br />
roehler: Ach, manchmal guckt man schon besser<br />
mit, wo noch Geld zu sparen ist. Eigentlich gehe<br />
ich sonst pragmatisch mit so etwas um, aber bei diesem<br />
Film habe ich die Zahlen gesehen und mich wie<br />
in einem Kafka-Roman gefühlt. Ich dachte, ich muss<br />
nach Hause gehen und mich hinlegen, weil ich mit<br />
der Verantwortung nicht klarkomme. Die Kosten für<br />
den Roman haben sich ja auf maximal 40 Euro belaufen,<br />
wenn man den Strom noch mit einrechnet.<br />
IntervIew: Aber Sie müssen noch Ihre Arbeitskraft<br />
hinzuaddieren.<br />
roehler: Gut, ich meine jetzt einfach die Herstellungskosten.<br />
Und beim Film stehen dann plötzlich<br />
5 000 Liter Farbe für 10 000 Euro rum, ja? Also, ich<br />
war dann irgendwann nicht mehr anwesend, war im<br />
Bett oder hab geheult oder so.<br />
IntervIew: Ach, ich würde sagen, dafür ist doch<br />
alles geradezu hervorragend geworden.<br />
roehler: Ja, weil man dann doch immer wieder<br />
merkt, wie toll es ist, einen Film mit Schauspielern zu<br />
drehen, die man mag. Und dann wurden eben allen<br />
Beteiligten die Sinne für ihre Arbeit geschärft.<br />
IntervIew: Wieso?<br />
roehler: Na, weil ich habe ja schon zehn Leute<br />
rausgeworfen, bevor wir überhaupt angefangen hatten<br />
zu drehen. Heads of irgendwelchen Departments.<br />
Aber dann hatten wir ein Team beisammen, wie es<br />
besser nicht hätte sein können. Erstaunlich cool.<br />
IntervIew: Wie oft haben Sie sich am Set vor<br />
Jürgen Vogel oder Meret Becker erschrocken, als die<br />
aus der Maske kamen?<br />
roehler: Jedes Mal. Unglaublich, so eine Maske<br />
hat einen dollen Effekt. Man muss aber auch wissen,<br />
die Meret liebt alte Menschen und beobachtet die<br />
schon seit 100 Jahren. Und sie kommt ihrem Vorbild,<br />
also meiner Großmutter, von der Art sehr nahe.<br />
IntervIew: Dass das Romanschreiben für Sie wie<br />
Bergsteigen war: Lag das an dem Umfang oder dem<br />
Inhalt, also der Aufarbeitung Ihrer Kindheit?<br />
roehler: Es ist einfach nicht vergleichbar mit<br />
jeder Arbeit, die ich vorher gemacht hatte, 600 Seiten,<br />
das ist ja ein halber Krieg und Frieden! Allerdings war<br />
das für die Arbeit am Drehbuch sehr hilfreich. Welche<br />
Stellen die wichtigen sind, war ganz klar. Ich habe<br />
das alte Drehbuch in den Müll geworfen, mir meinen<br />
Roman genommen und so Striche am Rand gemacht.<br />
Damals war ich da gerade in Zürich. Warum bin ich<br />
da eigentlich in Zürich gewesen? Ich weiß es nicht<br />
mehr, ich glaube, ich wollte kurzzeitig nach Zürich<br />
ziehen, weil ich Angst hatte, dass ich hier zu viel Steuern<br />
zahle – natürlich vollkommener Humbug. Ich saß<br />
da drei Tage im Hotel, habe meine Striche gemacht,<br />
und dann war ich fertig.<br />
IntervIew: Aber kam Ihnen da nicht noch mal<br />
der Gedanke, eine Serie daraus zu machen?<br />
roehler: Ja, das wäre reizvoll gewesen, hätte ich<br />
gerne gemacht. Aber ich mache jetzt ja quasi noch einen<br />
weiteren Teil, der heißt Punk, und den drehe ich<br />
im Sommer. Über Berlin in den Achtzigern. Tod den<br />
Hippies, es lebe der Punk! Eine Serie wäre zu aufwendig<br />
und auch zu kostspielig gewesen. Es ist ja ein<br />
großes zeitliches Panorama, das wir da erzählen.<br />
IntervIew: Stimmt. Warum fängt der Film eigentlich<br />
nicht mit Ihrer Geburt an? Warum wollten<br />
Sie auch noch die Geschichte Ihrer Großeltern erzählen,<br />
da hätte man doch Geld und Zeit sparen können.<br />
roehler: Ach, weil ich es schon interessant fand,<br />
wo dieses Liebespaar, das sich dann in der Liebe entzweit<br />
– also meine Eltern – herkommt. Ich stamme ja<br />
sozusagen aus drei unterschiedlichen Haushalten: Da<br />
waren einmal die Superintellektuellen, dann die Neureichen<br />
aus der Provinz, die fast nach amerikanischem<br />
Vorbild gelebt haben, und dann die mit einem fundamentalistischen<br />
Nazibackground, wo man ein archaisches,<br />
einfaches Leben geführt hat. Und diese Zusammenführung<br />
war für mich erzählenswert. Wenn du 50<br />
wirst, kommen so viele Erinnerungen und so viel Klarheit,<br />
warum Dinge schiefgelaufen sind, wer die wichtigen<br />
Figuren in der Familie sind, wer dich gestärkt hat.<br />
Aber eben auch, wie wichtig gesellschaftspolitische<br />
Themen sind. Diese Konfrontation zwischen den Generationen<br />
gibt es ja heute in dem Maße gar nicht<br />
mehr. Erst aus diesem Clash konnte sich eine gewichtige<br />
politische Gegenbewegung entwickeln.<br />
IntervIew: Aber was ist dann die Gegenbewegung<br />
von Robert, wie Sie in Herkunft heißen. Wo hat<br />
es bei Ihnen damals geclasht?<br />
roehler: Berlin. 80er-Jahre. Weg aus der Mittelschichtsgesellschaft,<br />
weg von diesen ästhetisch minderbemittelten<br />
Leuten, die dann Ökos wurden. Also<br />
hin zu einem Ästhetizismus, einer Dekadenz, die ja<br />
gelebt wurde in den Achtzigern, da gab es ja die wirklich<br />
verrückten Leute, die es haben krachen lassen. Da<br />
war was los, da gab es kein Morgen. Das war zwar keine<br />
politische Rebellion, aber das war eben das, was<br />
übrig blieb, wenn man aus Westdeutschland kam. Entweder<br />
du hast dich in München als Stricher mit Koks<br />
zudröhnen und dich von Filmproduzenten durchvögeln<br />
lassen, oder du bist nach Berlin gegangen.<br />
IntervIew: Aber was war so schlimm, dass man<br />
dort weg musste?<br />
roehler: Das war die Provinz. Die eigene Familie<br />
war gruselig geworden. Die waren erstarrt in den<br />
Lügen über sich selber. Außerdem habe ich viel Blödsinn<br />
gemacht, aber in einem Rahmen, der mich immer<br />
hysterischer hat werden lassen, weil ich merkte,<br />
dass das nichts bringt, nur den Klassenclown zu spielen.<br />
Dieses Universum war zwei oder drei Dimensionen<br />
zu klein, ich wollte in kaltes Wasser springen.<br />
IntervIew: Es gibt diese Szene im Film, in der<br />
Ihre beiden Hauptdarsteller in weißen Kleidern in<br />
einem Flussbett stehen und sich mit Schlamm beschmieren.<br />
Ich hab das Gefühl, das zeigt die Befreiung<br />
von dieser Vorstellung, dass die Jugend immer<br />
eine Antwort auf ihre Elterngeneration haben muss.<br />
roehler: Absolut. Das ist eine tief greifende Szene.<br />
IntervIew: Merkt man.<br />
roehler: Meine Lieblingsszene, weil sie so irrational,<br />
aber so beseelt ist. Ursächlich, kreatürlich,<br />
Liebe, Mann und Frau. Es gibt wichtige Dinge, und<br />
die passieren nicht oft. Und das ist so ein Momentum<br />
zwischen den beiden. Danach gibt es nicht mehr viel<br />
zu sagen, man wird es nie vergessen.<br />
IntervIew: Man fragt sich nach dem Film, wie<br />
Sie es geschafft haben, nicht abzurutschen.<br />
roehler: Mit irrsinnig viel Disziplin und auch<br />
Schutzengeln. Ein Schutzengel war vor allem meine<br />
Oma Gertrud, meine liebste Freundin. Mir hat mal<br />
eine Wahrsagerin gesagt, dass sie immer noch ihre<br />
brille<br />
privat<br />
hemd<br />
dries vAn noten<br />
142
ille<br />
tom ford<br />
gesehen bei<br />
departmentstore<br />
quartier 206<br />
hemd & hose<br />
belstAff<br />
Hand über mich hält, und das habe ich auch beim<br />
Schreiben des Romans gemerkt, das ging so weit,<br />
dass ich mit einem guten Gefühl aufgewacht bin und<br />
meine Frau sagte, das Telefon habe gerade geklingelt.<br />
Ich war mir sicher, dass das die Oma war. In<br />
negativer Variante hatte ich das mit meiner verstorbenen<br />
Mutter.<br />
IntervIew: Wie ist das eigentlich, wenn man sein<br />
Leben so sichtbar für alle erzählt?<br />
roehler: Wie jeder andere Künstler beschäftigte<br />
ich mich mit Figuren, die ich kenne, das ist mein Material.<br />
Aber es geht doch auch um Gesellschaftspanoramen,<br />
wie war so ein Haushalt in den Sechzigern, ja?<br />
Bei mir geht es um 50 Jahre und da kommen wirklich<br />
wilde Figuren drin vor. Ich zieh mir diesen Schuh,<br />
dass immer alles über mich ist, überhaupt nicht mehr<br />
an. Der Grund, warum der Spiegel ein <strong>Interview</strong> zum<br />
Buch gebracht hat, war die Existenz meiner Eltern.<br />
Warum haben die beschissenen 68er ihre Kinder so<br />
faschistoid und kaputt behandelt?<br />
IntervIew: Die Szenen Ihrer Kindheit sind wirklich<br />
am Rande des Ertragbaren. Damit machen Sie<br />
sich auch zum Opfer, was doch recht mutig ist.<br />
roehler: Ja, aber es ist doch auch irgendwie Ironie<br />
des Schicksals und hat einen gewissen Witz. Es ist<br />
ja kein selbstmitleidiges Erzählen. Es sind Anekdoten<br />
von den Irrungen einer Zeit. Der Alte, der mit seinem<br />
Sohn in Italien in den Ferien hockt und eigentlich nur<br />
schnell was zum Ficken finden will und vergisst, dass<br />
sein Kind den ganzen Tag in der prallen Sonne sitzt,<br />
das fand ich einen brillanten Moment meiner Vita.<br />
Diese Triebhaftigkeit und Unverantwortlichkeit. Und<br />
es passieren ja auch immer wieder Wunder in dem<br />
Film. Das war mir wichtig, diese Selbstmitleidsfilme<br />
habe ich ja nun schon hinter mir.<br />
IntervIew: Zum Erscheinen Ihres Romans mussten<br />
Sie all die Fragen zur RAF und Ihren Eltern schon<br />
beantworten. Haben Sie Angst, dass die jetzt zum<br />
Filmstart alle wiederholt werden?<br />
roehler: Ja, das ist furchtbar, deswegen wollte<br />
ich auch den Film nicht machen. Nein, Quatsch. Mir<br />
fällt immer wieder was Neues ein, solange die Fragen<br />
gestellt werden und es die Leute hören wollen … Zur<br />
RAF gibt es ja hübsche Anekdoten.<br />
IntervIew: Welche?<br />
roehler: Mein Vater war zum Beispiel Kassenwart<br />
der RAF. Zumindest behauptete er das. Ich kann<br />
das nicht nachweisen. Und auf dem Zwischenboden<br />
über dem Badezimmer sollte das Geld in einer Kassette<br />
lagern. Wenn er betrunken war, hat er immer die<br />
genaue Zahl genannt, mit Komma. Das hatte er alles<br />
tabellarisch angeordnet, mit ganz kleiner Schrift, er<br />
hatte offenbar eine buchhalterische Fähigkeit. Irgendwann<br />
haben mein Kumpel und ich mal versucht,<br />
das Geld zu finden, weil ich was für das Internat<br />
brauchte, aber es war nicht mehr da. Das war 1977.<br />
Also, ich weiß, mein Vater hat es nicht ausgegeben.<br />
IntervIew: Und über Grass müssen Sie auch oft<br />
reden, mit dem war Ihre Familie bekannt. Der hat ja<br />
eine Tochter namens Laura, und nun gibt es in dem<br />
Film auch eine Laura. Hängt das zusammen?<br />
roehler: In die kleine Laura war ich damals verliebt,<br />
als ich noch ganz klein war. Das war immer eine<br />
Sensation, wenn die da auf der Treppe aufgetaucht ist.<br />
Aber es ist ein Zufall, dass ich den Namen gewählt<br />
habe. Im wahren Leben hieß diese Figur Beatrix.<br />
IntervIew: Dann ist doch Laura sehr angebracht.<br />
roehler: Das finde ich auch.<br />
IntervIew: Welche Teile Ihres Lebens haben es<br />
eigentlich nicht in den Film oder das Buch geschafft?<br />
roehler: Na ja, in den Film ist schon einiges aus<br />
“<br />
Ich habe ja keine<br />
Kinder und musste<br />
mit einem Sechsjährigen<br />
drehen. Ich<br />
kenne Hunde besser<br />
als Kinder. Was soll<br />
ich jetzt mit so einem<br />
Alien anfangen?<br />
Das dachte ich.<br />
”<br />
– Oskar Roehler<br />
dem Buch nicht reingekommen. Man möchte ja immer<br />
viel mehr erzählen, das ist ja das Tolle an den<br />
Serien heutzutage. Von denen kann man ja fast süchtig<br />
werden. Die sind ja die Fortsetzung der großen<br />
Romane des 19. oder 20. Jahrhunderts.<br />
IntervIew: Deswegen ist es auch so ärgerlich,<br />
wenn es in Deutschland immer heißt: zu teuer, kein<br />
Geld da für eine Serie.<br />
roehler: Und Mut fehlt auch. Man weiß ja nicht,<br />
ob etwas Erfolg hat. Das Geld ist da, natürlich. Ich<br />
hätte 25 Millionen gebraucht, das erschöpft viele<br />
Etats. Da muss der Erfolg eben sicher sein. Aber der<br />
ist schwer einschätzbar.<br />
IntervIew: Aber es herrscht ja allgemeines Einverständnis<br />
darüber, wie großartig es wäre, auch solche<br />
tollen Serien zeigen zu können.<br />
roehler: Gut, aber es gibt diese Konkurrenz, die<br />
man erst Mal ausschalten muss. Denn um 18.15 Uhr<br />
läuft dieser günstig produzierte Schund, und anspruchsvollere<br />
Formate sind da schwer zu platzieren.<br />
IntervIew: Es gibt in Ihrem Film zwei Nebenfiguren:<br />
einmal den Ackermann, der im Unterricht<br />
stört, und den Precht, der seine Knochen wachsen<br />
hört. Habe ich die Andeutungen richtig verstanden?<br />
roehler: Ja, ja. In meinem Roman gibt es ja dieses<br />
Kapitel über den Precht. Er hört seine Knochen<br />
wachsen, und das ist ganz schön schauderhaft, der<br />
dreht am Rad irgendwann, weil er in einem Jahr wirklich<br />
40 Zentimeter gewachsen ist. Der drehte dann<br />
durch, der wusste einfach nicht, wie groß er wird!<br />
IntervIew: Schrecklich, und wann hörte das auf?<br />
roehler: Schlagartig. Es gab Spekulationen, wie<br />
groß er wohl sein würde, wenn die großen Ferien vorbei<br />
sind, ob er dann noch durch die Tür passen würde,<br />
aber es hörte schlagartig auf. Mit zwei Meter neun.<br />
IntervIew: Dirk von Lowtzow sagte kürzlich in<br />
einem <strong>Interview</strong> für uns, dass der deutsche Film Angst<br />
davor habe, nicht verstanden zu werden. Stimmt das?<br />
roehler: Ach, die sind halt alle immer von Ratio<br />
geprägt. Und haben so einen äußeren Entwurf davon,<br />
wie eine Sache zu sein hat. Der Helmut Dietl hat das<br />
ja schon vor 20 Jahren gesagt, dass die einzig guten<br />
Geschichten die sind, in denen man seine Figuren die<br />
Geschichten bestimmen lässt und nicht umgekehrt.<br />
Du kannst nicht eine Geschichte erzählen und dann<br />
Figuren wie MenschärgereDichnichtSteinchen<br />
hineinsetzen. Aber das versuchen sie halt immer. Sie<br />
sind keine großen Architekten, sondern bauen lieber<br />
145<br />
Reihenhäuser. Es gibt ganz nette Komödien, aber wenig<br />
gute Filme in Deutschland.<br />
IntervIew: Hm.<br />
roehler: Gute Romane gibt es hingegen schon.<br />
Die Autoren haben keine Angst vor verrückten Ideen.<br />
Also die Sprache ist da. Aber die Filme sind alles<br />
Klone. Aus einem geistigen Niemandsland. Vollkommen<br />
lächerlich. Alles, was kritisch ist, fliegt raus. Die<br />
Selbstreflexion liegt bei null. Denn die Geschichten,<br />
die da eigentlich erzählt werden, diese EventMovies,<br />
werden in bester Nazitradition erzählt. Die sind genauso<br />
aufgebaut: Blonde Krankenschwester verliebt<br />
sich in blonden Fliegeroffizier, während sie seine<br />
Wunden vom Gefecht pflegt. Wie damals bei<br />
Goebbels. Nur dass diese Filme nicht mehr der Indoktrination<br />
dienen, sondern dem billigen geistigen<br />
Leerlauf. Das gucken freiwillig nur noch Leute, die<br />
entweder schon ihre Tabletten genommen haben<br />
oder die eh nicht mehr weglaufen können.<br />
IntervIew: Wie war das, als ihr Film Jud Süß auf<br />
der Berlinale lief und die Kritiker buhten?<br />
roehler: Das Hässliche daran war, dass man versucht<br />
hat, mich als Nazi hinzustellen. Wie soll ich das<br />
sagen, da gab es eine kollektive Antistimmung, aber<br />
man wusste auch, wo sie herkam. Die waren da eingepfercht<br />
in der Pressevorführung kurz vor Ende des<br />
Festivals, und ich kenne diesen Überdruss, den brachialen<br />
Frust, den man nach neun Tagen Berlinale<br />
gucken hat. Man ist fertig, die meisten sind krank,<br />
müssen verschwitzt und in ihren alten Mänteln auf die<br />
Galavorstellungen, haben ihre Butterbrote dabei und<br />
müssen wie die Legehennen dasitzen. Deswegen akzeptiere<br />
ich auch eine etwaige Ungerechtigkeit. Die<br />
herrschte in meinem Fall, niemand hat ihn sich angeschaut<br />
und fünf Minuten nachgedacht. Da wurde abgeschrieben.<br />
Mein Fehler waren ein paar Schwächen,<br />
die ihnen die Möglichkeit für Unterstellungen gaben.<br />
IntervIew: Sie haben aus einer Nichtjüdin eine<br />
Halbjüdin gemacht.<br />
roehler: Diese Punkte wurden nicht von Journalisten,<br />
sondern von einem Gegner des Films aufgedeckt.<br />
Der fühlte sich nicht genügend einbezogen und<br />
hat von Anfang an Antipropaganda betrieben und unterstellte<br />
mir eine Reinwaschung. Das Gegenteil war<br />
der Grund. Aber es war ein Fehler.<br />
IntervIew: Aber Kritik spornt Sie nicht auch an?<br />
roehler: Ich fand das irgendwie scheiße. Und<br />
gleichzeitig war es für uns natürlich auch super: Die<br />
Pressedamen hatten bleiche Gesichter, weil klar war,<br />
die Kritiken werden mies, aber vorne stand Moritz<br />
Bleibtreu im Smoking und hat gewunken. Ein halber<br />
Hitlergruß quasi, und das wurde dann zum Aufmacherbild<br />
auf den ersten Seiten der Zeitungen. Die<br />
Kehrseite war natürlich, dass ich plötzlich den Ruf<br />
hatte, ein Nazi zu sein, ja?<br />
IntervIew: Nicht so schön. Und in Ihrem aktuellen<br />
Film ist schon wieder der NaziOpa der Nette.<br />
Was ist da bloß los, Herr Roehler?<br />
roehler: Ach, nein. Er ist überhaupt nicht der<br />
Nette, aber bloß weil er im Krieg gedient hat, heißt es<br />
ja noch lange nicht, dass ich ihn später als bösen Menschen<br />
wahrnehmen musste. Er hat sich nämlich geändert.<br />
Menschen ändern sich. Ich weiß nicht, wie kleinlich<br />
die Leute sind, aber das geht mir dann auch am<br />
Arsch vorbei. Wie heißt es: Die Hunde bellen und die<br />
Karawane zieht weiter.<br />
jetZt IM KIno: Quellen des lebens<br />
Styling nIKI PAUlS/ShotvIew<br />
Grooming PAtrICK GlAtthAAr<br />
Foto-Assistenz DUnjA AntIć, FABIenne<br />
KArMAnn, KSenIA PoSADSKovA<br />
Styling-Assistenz jeSSICA jerSey<br />
Produktion FrAnK SeIDlItZ, DorotheA FIeDler<br />
Dank an StUDIo FISChnAller
der letzte<br />
Fotos<br />
horst diekgerdes<br />
styling<br />
klAus stockhAusen<br />
tAngo<br />
komplettlook<br />
céline
diese seite:<br />
komplettlook<br />
louis vuitton<br />
linke seite:<br />
komplettlook<br />
dolce & gAbbAnA<br />
149
diese seite:<br />
komplettlook<br />
versAce<br />
rechte seite:<br />
komplettlook<br />
jil sAnder 151
top<br />
sAlvAtore ferrAgAmo
diese seite:<br />
kleid<br />
gucci<br />
rechte seite:<br />
kleid & schuhe<br />
chAnel<br />
strumpfhose<br />
fAlke<br />
154
diese seite:<br />
kleid & sChuhe<br />
Fendi<br />
strumPFhose<br />
item m6<br />
linke seite:<br />
komPlettlook<br />
PrAdA<br />
157<br />
Fotos horst diekgerdes/shotview<br />
haare tomohiro ohashi/management+artists<br />
mit Produkten von John Frieda<br />
make-up stePhanie kunz/Calliste Paris mit<br />
Produkten von armani CosmetiCs<br />
set-design Pierre glanddier/Quadriga<br />
model malgosia Bela/elite<br />
digital operator david BornsCheuer<br />
Foto-assistenz mitko Frangov,<br />
Julien goniChe, davide Cassinari<br />
styling-assistenz miCkael CarPin<br />
Casting oliver hess/artForm grouP<br />
Produktion zo’estiCa, shotview Berlin<br />
PhotograPhers management gmBh<br />
retusche dtouCh
Er sei raus, hatte Joaquin PhoEnix lauthals<br />
verkündet, verabschiede sich von der Schauspielerei,<br />
ziehe die Notbremse und entfliehe dem Wahnsinn.<br />
Die Gemeinde in hollywood wusste nicht so recht,<br />
wie sie auf die ankündigung reagieren sollte –<br />
dann erschien jedoch die Dokumentation I’m Still Here,<br />
ein goldener airbag für die implodierte Karriere des<br />
amerikanischen Schauspielers. Spätestens da wusste<br />
man: Dieser Kerl hat einen Hang zu exzessiven Rollen.<br />
Womöglich war das auch ein Grund, warum er in<br />
ThE MaSTER mitspielt, einem Film, der lose auf dem<br />
Leben des Scientology-Gründers und Science-Fiction-<br />
Romanciers L. Ron Hubbard basiert<br />
porträt<br />
AmAndA demme<br />
Joaquin<br />
Phoenix<br />
PhoEnix<br />
von<br />
Elvis MiTchELL<br />
159
2<br />
11<br />
3<br />
1<br />
12<br />
4 5<br />
13<br />
9<br />
14<br />
6 7<br />
Phoenix Rising: 1 Joaquin mit hund (1987) 2 Familie Phoenix auF FahR-<br />
RadtouR (1984) 3 Joaquin im Film Parenthood (1989) 4 die Phoenix-Kids<br />
als menschliche PyRamide (1987) 5 und mit sonnenbRillen im KoFFeR-<br />
Raum 6 Joaquin mit geschwisteRn in deR KaliFoRnischen stePPe (1984)<br />
7 Joaquin als taugenichts mit nicole Kidman in to die for (1995)<br />
8 Joaquin als taugenichts ohne nicole Kidman im selben Film<br />
10<br />
Fotos: 1. Phillip Saltonstall/Corbis; 2. Stephen Ellison/Shooting Star/<br />
interTOPICS; 3. Everett Collection/Rex Feature; 4., 5., 6. Stephen<br />
Ellison/Shooting Star/interTOPICS; 7. ITV/Rex Features; 8. ITV/<br />
Rex Features; 9. dpa Picture-Alliance; 10. Corbis; 11. John Paul Filo/<br />
dpa Picture-Alliance; 12., 13. Splash News; 14. dpa Picture-Alliance/<br />
Koch Media; 15. Senator Entertainment AG<br />
8<br />
9 & 10 Joaquin Phoenix als Johnny Cash in<br />
Walk the line (2005) 11 – 14 Joaquin Phoenix ruiniert<br />
seine Karriere in i’m Still here (2010), u. a. bei DaviD<br />
letterman in Der late ShoW unD bei P. DiDDy im stuDio.<br />
15 Das PortrÄt ist eine aufnahme aus the maSter (2012)<br />
15
Eine Viertelstunde vor <strong>Interview</strong>beginn ist Joaquin<br />
Phoenix bereits da – und den Zigarettenstummeln im<br />
Aschenbecher nach zu urteilen sogar schon länger.<br />
Der 38-jährige Schauspieler feiert gerade mit Paul<br />
Thomas Andersons epischem Werk The Master seine<br />
Rückkehr ins Kino, nachdem er seine Karriere mit der<br />
Mockumentary I’m Still Here erfolgreich zerstört hatte.<br />
In The Master spielt Phoenix den einigermaßen<br />
orientierungslosen Weltkriegsveteranen Freddie Quell,<br />
der wieder in die Spur zu kommen versucht. Er trifft<br />
den charismatischen Autor Lancaster Dodd, dessen<br />
rhetorische Fähigkeiten derart herausragend sind,<br />
dass er beinahe Gefahr läuft, sich mit seinen Worten<br />
selbst zu hypnotisieren – etwaige Ähnlich keiten zwischen<br />
Lancaster Dodd und dem Sciento logy-Gründer<br />
L. Ron Hubbard sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.<br />
Der Film folgt Freddie auf seiner Sinnsuche<br />
durchs Nachkriegs amerika, wobei Regisseur Paul<br />
Thomas Anderson die innere Unruhe seines Schauspielers<br />
zu beanspruchen weiß. Wahrscheinlich gibt<br />
es keinen anderen Filmemacher, der aus der Unsicherheit<br />
seiner Schauspieler so gnadenlos Nutzen zieht.<br />
Wenn Phoenix jemals ein Tagebuch über den Dreh<br />
von The Master schreiben sollte, wird wohl jeder Tag<br />
mit folgendem Eintrag beginnen: „Heute werde ich<br />
wahrscheinlich gefeuert …“<br />
IntervIew: Warst du eigentlich überrascht, als du das<br />
Drehbuch gelesen hast, diese Aneinanderreihung von<br />
Szenen und Szenen und Szenen?<br />
JoaquIn PhoenIx: Ich war vor allem verwirrt.<br />
Nein, ich war überrascht. Ich meine, es war seltsam,<br />
dass ich plötzlich das Angebot für den Film hatte. In<br />
der Regel ist es so, dass man mit der Arbeit an einem<br />
Film beginnt, dass man das Drehbuch liest und ganz<br />
nervös wird, weil man dem Regisseur unbedingt gefallen<br />
will. Aber als ich dann das erste Mal mit Paul<br />
(Thomas Anderson) und Philip (Seymour Hoffman) zusammensaß<br />
und wir gemeinsam eine Szene durchgegangen<br />
sind, war ich fest davon überzeugt, dass sie<br />
mich nicht nehmen. Ich war mir sicher, dass es nichts<br />
wird. Ich dachte nur: Ich glaub’s einfach nicht! Einmal<br />
bin ich morgens um fünf aufgestanden und habe diese<br />
eine verdammte Szene auf dem Boot einstudiert, weil<br />
ich wusste, dass wir die proben würden. Ich musste es<br />
einfach hinkriegen. Also bin ich in die nächste Probe<br />
gegangen und kam mir vor wie bei einem beschissenen<br />
Vorsprechen. Ich war mir sicher, dass Philip sagt:<br />
“<br />
Wahrscheinlich<br />
dachte er sich: Der<br />
Typ hat offensichtlich<br />
’nen Knall. Den<br />
nehme ich. Der Affe<br />
macht nämlich alles,<br />
was ich von ihm verlange.<br />
Am Ende der<br />
Dreharbeiten nannte<br />
er mich Bubbles<br />
rIder on the storm: JoaquIn PhoenIx sPIelt FreddIe quell In The MasTer …<br />
”<br />
– Joaquin Phoenix<br />
„Das funktioniert nicht.“ Und dass Paul denkt: Ich<br />
weiß. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. – Das mag<br />
komisch klingen, aber, hey, das ist kein Witz. Denn<br />
die Sache ist die: Philip ist ein gottverdammtes Genie.<br />
Der Typ könnte einen blöden Einkaufszettel vorlesen,<br />
und du würdest denken: Wow, wie faszinierend. Es ist<br />
einfach unglaublich, mit ihm zu arbeiten. Also war ich<br />
nur so: Scheiße, Mann. Die fragen mich, ob ich in ihrem<br />
Film mitmachen will, wir proben, und ich bin so<br />
mies, dass Paul Zweifel bekommt. Aber dann haben<br />
wir einfach weitergeprobt und am nächsten Tag darüber<br />
geredet, und dann hat Paul wahrscheinlich gedacht:<br />
Okay, lass es uns mit ihm versuchen.<br />
IntervIew: Findest du auch, dass deine Figur<br />
Freddie Quell keinen Schimmer hat, was mit ihm und<br />
um ihn herum passiert?<br />
PhoenIx: Absolut. Anfangs hab ich noch versucht,<br />
mit Paul über Freddies Motivation zu reden,<br />
um herauszufinden, warum er die Sachen macht, die<br />
er macht, aber er gab nie eine Antwort. Das war echt<br />
frustrierend. Hinzu kommt, dass ich kein Schnell-<br />
checker bin, ehrlich gesagt, habe ich eine ziemlich<br />
lange Leitung. Manchmal brauche ich einen halben<br />
Film, um herauszufinden, wovon er eigentlich handelt.<br />
Es gibt doch diese Szene, in der davon geredet<br />
wird, mit einem Drachen zu ringen. Irgendwann hatte<br />
ich kapiert, dass ich der Drache bin, da war es dann<br />
leichter, die Szene zu spielen. Ich meine, es ist wie mit<br />
meinem Hund. Mein Hund liebt mich, wir haben ein<br />
gutes Verhältnis. Aber wenn ich das blöde Tor aufmache,<br />
dann haut er einfach ab. Nicht, weil er von mir<br />
fort will, sondern weil noch immer etwas Wildes in<br />
ihm steckt. Das passiert nicht absichtlich, das ist nur<br />
Impuls. Und Impuls bedeutet auch, dass man nicht<br />
weiß, warum man etwas macht und warum man etwas<br />
gemacht hat. Freddie ist auch gar nicht klar, was ihn<br />
treibt und zieht und wohin und warum. Also, sobald<br />
mir das klar war … Deswegen meinte ich vorhin auch,<br />
dass der Film perfekt für mich war, weil er genau meinem<br />
derzeitigen Ansatz als Schauspieler entspricht.<br />
IntervIew: Und was für ein Ansatz ist das?<br />
PhoenIx: Ich will einfach offen und empfänglich<br />
für das sein, was in dem Moment passiert, ich will<br />
nichts erzwingen. Unehrlichkeit auf der Leinwand ist<br />
so hässlich. Leuten dabei zuzusehen, wie sie nur so<br />
tun als ob, ist hässlich. Damit will ich nichts zu tun<br />
haben. Alles, was sie dir als Anfänger über das Schauspielern<br />
beibringen, ist so was von falsch. Sie erzählen<br />
dir, dass du deinen Text auswendig lernen sollst, dass<br />
du dem Licht folgen musst, dass du dich immer auf<br />
die Markierungen stellst, die man für dich festgelegt<br />
hat. Aber genau das sollte man auf keinen Fall tun. Du<br />
solltest deinen Text nicht lernen, du solltest dich<br />
nicht auf deine Markierungen stellen, und du solltest<br />
nie dem Licht folgen. Meine Meinung ist: Finde das<br />
Licht!<br />
IntervIew: Seit wann arbeitest du so?<br />
PhoenIx: Kurz bevor wir mit I’m Still Here angefangen<br />
haben. Danach hat es sich verfestigt. Um<br />
Walk The Line herum habe ich eine Menge Filme gedreht,<br />
aber diese konventionelle Art von Schauspielerei<br />
hat mich einfach nicht mehr interessiert.<br />
IntervIew: Du suchst nach Aufrichtigkeit?<br />
PhoenIx: In der Schauspielerei?<br />
IntervIew: Ja … Willst du mit dieser unorthodoxen<br />
Herangehensweise vielleicht auch vermeiden,<br />
dich zu wiederholen?<br />
PhoenIx: Mir geht es darum, etwas Wahrhaf tiges<br />
zu tun, und wenn das bedeutet, dass es einer anderen<br />
Arbeit ähnelt, die ich bereits gemacht habe, ist das<br />
kein Problem. Das ist mir sogar scheißegal. Mir ist<br />
wichtig – ach, wenn ich nur wüsste, was mir wichtig<br />
ist. Es ist eher ein Gefühl, dem ich hinterherjage. Und<br />
ich glaube, dass ich diesem Gefühl näherkomme,<br />
wenn es so wenig Kontrolle wie möglich gibt, aber<br />
dafür eine gewisse Dosis Gefahr. Ansonsten würde ich<br />
eine Szene zigmal wiederholen, dies und das verändern,<br />
mit dem Ergebnis, dass es unglaublich clever<br />
und klugscheißermäßig wirken würde. Aber das kann<br />
ich bei Schauspielern nicht ausstehen. Das kann ich<br />
auch an mir selbst nicht ausstehen. Wenn ich mir alte<br />
Filme von mir anschaue, denke ich: Du machst doch<br />
dieses komische Gesicht nur, um zu zeigen, dass du<br />
irre wütend bist, und dieses komische Gesicht hältst<br />
du jetzt direkt in die Kamera. Es ist beschämend. Ich<br />
habe Paul gleich zu Beginn gesagt: „Ich werde mein<br />
Spiel nicht verfeinern, ich werde nicht versuchen, es<br />
anzupassen. Ich werde versuchen, ein Gefühl für die<br />
Szene zu finden, und du musst mir sagen, ob ich Gas<br />
geben kann oder ob das alles zu viel ist.“ Manchmal<br />
hat man zu viel Energie, dann klappt es nicht.<br />
IntervIew: Und das ist kein Problem?<br />
Fotos (2): Senator Entertainment AG<br />
Phoenix: Ich habe natürlich Glück, weil ich mit<br />
diesen großartigen Regisseuren arbeiten kann, die mir<br />
ermöglichen, das zu tun, was ich tue. Nämlich die<br />
Wahrheit in etwas zu finden, und genau darum geht es<br />
ihnen auch. Wenn es Regisseuren um etwas anderes<br />
geht, dann kann man es vergessen. Regisseure sind alles,<br />
Schauspieler sind egal. Es ist so lustig, wenn Leute<br />
von großartigen Schauspielern sprechen und die<br />
Schauspieler dann anfangen, an ihre Großartigkeit zu<br />
glauben. Als Schauspieler ist man nur die Geisel des<br />
Regisseurs. Der Regisseur ist die wichtigste Person<br />
für mich, für ihn arbeite ich, mein Job ist es, seine<br />
Vision zum Leben zu erwecken. Mir gefällt es, Angestellter<br />
zu sein. Ich mag es, andere Leute glücklich zu<br />
machen. Wenn es mir nicht gelingt, bin ich am Boden<br />
zerstört.<br />
interview: Geht es dir darum, den Regisseur<br />
glücklich zu machen, oder um dein eigenes Glück?<br />
Phoenix: Ich werde wahrscheinlich nie glücklich<br />
sein … Obwohl, das ist natürlich Quatsch. Es ist so:<br />
Wenn ich mit einer Sache, die ich gemacht habe, richtig<br />
glücklich bin, dann ist sie wirklich schlimm. Ohne<br />
Ausnahme. Wenn ich eine Szene gespielt habe und<br />
denke: Super, das hat gesessen! – dann war das garantiert<br />
die schlimmste Szene überhaupt.<br />
interview: Ach so.<br />
Phoenix: Es steckt natürlich immer viel Geld in<br />
den Filmen, weshalb jeder auf Nummer sicher gehen<br />
und alles unter Kontrolle haben will. „Wir wollen<br />
wissen, dass an dieser Stelle der dritte Akt beginnt und<br />
dass der Typ eine Rede vor den Geschworenen hält,<br />
und diese Rede muss knallen, die muss einfach sitzen.“<br />
Genau das hasse ich so sehr: Das etwas sitzen<br />
muss. Natürlich beeindruckt es mich, wenn einer so<br />
spielen kann, dass es sitzt. Aber so will ich nicht sein.<br />
Ich will in den Gerichtssaal gehen und das Gefühl haben,<br />
dass ich den Fall möglicherweise verliere. Ich will<br />
Angst haben. Und diese Angst habe ich auch immer<br />
noch. Ich bin jetzt 38 und spiele seit 30 Jahren. Aber<br />
am Tag vor Drehbeginn wird mir immer noch<br />
schlecht, und die Wochen davor habe ich panische<br />
Angst. Man muss mir beschissene Schwämme unter<br />
die Achselhöhlen kleben, damit der Schweiß nicht die<br />
Klamotten nass tropft. Und zwar für die ersten drei<br />
Wochen des Drehs.<br />
interview: Kann es sein, dass du in deinen letzten<br />
Filmen Two Lovers, I’m Still Here und jetzt The<br />
Master vorzugsweise Typen spielst, die keine Ahnung<br />
haben, wohin sie gehen? Steckst du in einer Phase der<br />
Ahnungslosigkeit?<br />
Phoenix: Vielleicht, keine Ahnung. Für mich als<br />
Schauspieler sind diese Filme einfach interessanter.<br />
interview: Hat die Arbeit mit Casey Affleck an<br />
I’m Still Here Spaß gemacht?<br />
Phoenix: Ja und nein. Wir haben uns oft gestritten.<br />
Es ist ziemlich schwer, mit jemandem zu arbeiten,<br />
mit dem man so gut befreundet ist – und er ist mein<br />
bester Freund. Ich respektiere das, was er macht. Als<br />
wir jung waren, war es mein Traum, mit ihm gemeinsam<br />
zu drehen. Aber bei dem Film war es schwierig,<br />
weil Casey die Sache geheim halten wollte und ich<br />
manchmal zu feige war und meinte: „Kann ich nicht<br />
wenigstens meinen Freund anrufen, der schon seit einem<br />
Monat versucht, mich zu erreichen? Nur um ihm<br />
zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen muss?“<br />
Deswegen gab es zum Beispiel Streit. Eigentlich war<br />
der Film ja nur als grandioser, schlechter Saturday<br />
Night Live-Sketch gedacht. Aber Casey wollte, dass<br />
ich in die Öffentlichkeit trete und mich so schlimm<br />
blamiere, wie es geht. Casey liebt Peinlichkeiten, das<br />
ist sein Humor. Also hat er mich ständig gedrängt. Oft<br />
sagte ich: „Keine Chance. Ich werde mich nicht in Las<br />
Vegas auf die Bühne stellen.“ Dann habe ich es doch<br />
getan. Anschließend kamen die <strong>Interview</strong>anfragen,<br />
also habe ich auch diese komischen <strong>Interview</strong>s gegeben.<br />
Um die Sache am Laufen zu halten.<br />
interview: Mit dem Auftritt bei Letterman zum<br />
Beispiel?<br />
Phoenix: Ja, aber auch für Zeitungen und Magazine.<br />
Ich habe wirklich die schlimmsten Dinge gesagt.<br />
Hinterher dachte ich nur: Das wird mir noch Ewigkeiten<br />
nachhängen. Andererseits war die Arbeit an<br />
dem Film großartig. Casey hat mich immer weiter<br />
angespornt, ohne ihn hätte ich das nicht machen können.<br />
Und der Film hat mir viel Aufmerksamkeit beschert,<br />
so viel Aufmerksamkeit hatte ich noch nie.<br />
interview: Du bist offenbar der Typ, der sich in<br />
ein Auto setzt und Spaß daran hat, mit hundert Sachen<br />
rückwärts zu fahren.<br />
Phoenix: Es war toll. Wir haben Sachen gemacht,<br />
die nicht wiederholbar wären. Es gibt da diese Szene,<br />
wo ich mit 500 Leuten in einem Club bin. Und da war<br />
dieser eine Typ, ein Freund von Casey, den haben wir<br />
im Publikum platziert. Ich meinte zu ihm: „Bleib in<br />
der Nähe der Bühne, sonst finde ich dich nie.“ – Ich<br />
stand auf der Bühne, es war stockdunkel, und dann<br />
musste ich mit dem Song anfangen. Hinterher sollte es<br />
noch eine Schlägerei mit diesem Typen, dem Freund<br />
von Casey, geben. Du kannst dir meine Panik vorstellen.<br />
Ich habe gezittert, aber es war ein unglaubliches<br />
Gefühl. Dummerweise wäre der Typ, mit dem ich<br />
mich schlagen sollte, beinah nicht an den Türstehern<br />
vorbeigekommen. Er musste sich den Weg bis zur<br />
ersten Reihe freikämpfen. Fast wäre er zu spät gekommen.<br />
Auch die Szene mit Diddy war großartig.<br />
interview: Wusste Diddy, dass es sich um eine<br />
fiktive Dokumentation handelt?<br />
Phoenix: Ja, er wusste es von Anfang an. Wir sind<br />
nach Miami gefahren und haben ihm von unserer Idee<br />
erzählt und er meinte: „Du solltest nicht nur so tun,<br />
als ob du rappen würdest, du solltest tatsächlich versuchen,<br />
Songs zu schreiben. Versuche, die Sache ernst<br />
zu nehmen.“ Die Songs haben wir ihm dann vorgespielt.<br />
Beim Dreh hat er so getan, als hätte er von<br />
der ganzen Sache noch nie gehört. Er ist ein verdammtes<br />
Genie.<br />
interview: Es muss schwer sein, wieder einen<br />
herkömmlichen Film zu drehen, wenn man vorher etwas<br />
gedreht hat, bei dem man eigentlich alles spontan<br />
erfunden hat.<br />
Phoenix: Ja, aber genau das ist die Idee, dass man<br />
das auch bei einem herkömmlichen Film versucht.<br />
interview: Weißt du, ob Paul I’m Still Here gesehen<br />
hat?<br />
Phoenix: Ja, deswegen habe ich die Rolle in The<br />
Master ja bekommen. Wir haben bei unserem ersten<br />
Treffen darüber geredet.<br />
interview: Weißt du noch, was er damals gesagt<br />
hat?<br />
Phoenix: Nicht so genau. Wahrscheinlich dachte<br />
er sich: Der Typ hat ganz offensichtlich ’nen Knall.<br />
Den nehme ich. Der Affe macht nämlich alles, was ich<br />
von ihm verlange. Toll, ich werde ihm sagen, dass er<br />
sich mit Scheiße bewerfen soll. Das wird toll. – Und<br />
genau das ist auch passiert. Gegen Ende der Dreharbeiten<br />
hat er mich nur noch Bubbles genannt. Er<br />
war nur so: „Mal sehen, was mein kleiner Affe sonst<br />
noch für mich macht“ (macht Affengeräusche).<br />
interview: Wie war es, als du den Leuten erzählen<br />
musstest, dass du von der Schauspielerei die<br />
Schnauze voll hast?<br />
Phoenix: Nun ja, zu einem gewissen Teil war es<br />
ja auch wahr. Ich mag es nicht, am Set zu sein, ich mag<br />
die Warterei nicht, ich mag es nicht, den ganzen Tag<br />
Smalltalk zu führen, weil man ständig von mehr als 60<br />
Leuten umgeben ist. Ein Grund, warum wir den Film<br />
gemacht haben, war ja, dass sowohl Casey als auch ich<br />
jedes Mal von einem Dreh nach Hause kamen und wir<br />
dachten: Es reicht. In der Hinsicht war I’m Still Here<br />
der ultimative Erfolg, weil ich meine Karriere damit<br />
komplett zerstört habe. Aber das war Absicht. Der<br />
Film war das Beste und wird das Beste sein, was ich<br />
mache.<br />
interview: Und was passiert, wenn jetzt die Oscar-Saison<br />
beginnt?<br />
Phoenix: Du spinnst.<br />
interview: Ich dachte, wir reden die ganze Zeit<br />
darüber, dass du derjenige bist, der spinnt. Abgesehen<br />
davon: Du bist für The Master nominiert.<br />
Phoenix: Ach, das ist alles Bullshit, damit will ich<br />
nichts zu tun haben. Die Zeit, als ich mit Walk The<br />
Line für alle möglichen Dinge nominiert war, ist eine<br />
der schlimmsten Phasen meines Lebens gewesen. An<br />
einer Wiederholung besteht keinerlei Bedarf. Ich bin<br />
nicht der 20-Millionen-Dollar-Schauspieler. Ich habe<br />
Angst. Wenn du mir den Ring geben würdest, keine<br />
Ahnung, ob ich ihn nehmen würde und ihn nach<br />
Ozamorph tragen könnte, oder wie auch immer man<br />
diesen Ort nennt.<br />
… einen ziemlich verwirrten weltkriegsveteran und transzendental-obdachlosen<br />
162<br />
163
Cou<br />
tu re<br />
Fotos<br />
mArkus jAns<br />
styling<br />
klAus stockhAusen<br />
komplettlook<br />
mAison<br />
mArtin<br />
mArgielA<br />
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diese seite:<br />
komplettlook<br />
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linke seite:<br />
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ArmAni privé
diese seite:<br />
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rechte seite:<br />
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rechte seite:<br />
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couture
Baias Zelle maß drei<br />
mal zwei Meter, eine<br />
harte Pritsche und ein<br />
vergittertes Fenster,<br />
kaum größer als eine Schießscharte.<br />
Die Luft war stickig. Die<br />
meiste Zeit über lag Baia auf dem<br />
Bauch, ihre Hände waren mit<br />
Handschellen auf den Rücken<br />
gefesselt.<br />
Vor neun Tagen war sie wegen<br />
eines illegalen Autorennens<br />
in der Innenstadt von Baku festgenommen<br />
worden. Die offizielle<br />
Anklage hätte „Rowdytum“ lauten<br />
können, doch eine Anklage<br />
wurde nicht erhoben. Autorennen<br />
gehörten zu den Hobbys<br />
der Goldenen AseriJugend, und<br />
sie waren die letzte Möglichkeit<br />
zur Revolte. Reiche Sprösslinge<br />
kauften sich von ihrem Taschengeld<br />
alte sowjetische Autos, auf<br />
die man einst ein Jahrzehnt warten<br />
und sparen musste. Die Rennen<br />
fanden bei Nacht und ausschließlich<br />
in belebten Gegenden<br />
statt, nicht selten starben Fußgänger,<br />
was den Reiz erhöhte.<br />
Einmal wurde ein betrunkener<br />
Familienvater überfahren, dann<br />
ein obdachloser Veteran, und<br />
dann gab es noch einen Unfall,<br />
bei dem eine Schwangere und<br />
deren Ehemann starben, doch da<br />
der Fahrer des Wagens ebenfalls<br />
am Unfallort starb, gab es keine<br />
juristischen Konsequenzen.<br />
Niemand wusste mehr sicher,<br />
wer diese Autorennen erfunden<br />
hatte, doch es gab Gerüchte, es<br />
sei eins der unehelichen Kinder<br />
des Präsidenten gewesen. Die<br />
Inhaftierten gaben von sich aus<br />
nichts preis, und die Wärter fragten<br />
vorsichtshalber nicht nach.<br />
Bei der Präsidentenfamilie<br />
waren diese Autorennen verpönt,<br />
Die öffentliche<br />
Ordnung<br />
weil sie eins der sehr wenigen<br />
Vergehen waren, von denen man<br />
sich nicht freikaufen konnte. Die<br />
jungen Fahrer – es war noch nie<br />
jemand festgenommen worden,<br />
der älter als 26 gewesen wäre –<br />
wurden für zehn Tage auf der<br />
Polizeiwache festgehalten und<br />
von mehreren Beamten abwechselnd<br />
misshandelt. Eine durchaus<br />
gängige, ja sogar für diese Breitengrade<br />
harmlose Praxis.<br />
Baia wurde dreimal täglich<br />
von einem jungen Polizeischüler<br />
abgeholt und in Handschellen ins<br />
Untersuchungszimmer geführt.<br />
Es war derselbe Junge, der ihr<br />
das Wasser und das Essen brachte<br />
– schmächtig, von kleinem<br />
Wuchs und mit dem traurigen<br />
Blick des ewigen Verlierers. Das<br />
Untersuchungszimmer war geräumig<br />
und leer, bis auf einen<br />
schmalen Tisch und zwei Stühle.<br />
An dem einen Stuhl band man<br />
Baias Hand und Fußgelenke<br />
fest. Auf dem anderen nahm der<br />
eine Polizeischüler Platz. Erst<br />
nach der Fixierung kam der zweite<br />
Polizeischüler hinzu. Baia versuchte,<br />
sich sein Gesicht so gut<br />
wie möglich einzuprägen: eine<br />
operierte Hasenscharte, zwei<br />
Goldzähne, symmetrische Gesichtszüge<br />
und zart geschwungene<br />
Augenbrauen, die nicht zum<br />
unteren Teil seines Gesichtes<br />
passen wollten. Sie würde ihn<br />
wiedererkennen, egal wann und<br />
wo. Seine rechte Hand wanderte<br />
langsam über Baias Oberschenkel,<br />
verblieb bei der Scham, fand<br />
ihren Weg in ihre Hose und ließ<br />
nur ab, um sich den Rotz aus<br />
dem Gesicht zu wischen, den<br />
Baia tief aus ihrer Kehle in sein<br />
Gesicht schleuderte. Als er fertig<br />
war, schlug er Baia mehrmals<br />
kurzgeschichte<br />
von<br />
Olga grjasnOwa<br />
176<br />
und mit solcher Wucht, dass sie<br />
das Bewusstsein verlor. Beim<br />
Aufwachen schmeckte sie Blut in<br />
ihrem Mund, und sie spürte eine<br />
Hand auf ihrer Brust.<br />
Ihre Ballettlehrerin hatte<br />
sie schon früh die drei<br />
Grundarten des Schmerzes<br />
gelehrt: konstruktiv, destruktiv<br />
und chronisch. Der<br />
menschliche Körper war nicht<br />
für Ballett geeignet; um tanzen<br />
zu können, musste man zuerst<br />
sich selbst besiegen. Baia gewöhnte<br />
sich daran, unter<br />
Schmerzen zu tanzen, am häufigsten<br />
waren es Prellungen, aus<br />
Überbeanspruchung oder Überlastung<br />
resultierende Entzündungen,<br />
Schmerzen in der Lendenwirbelsäule<br />
und in den Gelenken.<br />
Solange er konstruktiv blieb, war<br />
der Schmerz nebensächlich.<br />
Wenn Baia wegen einer Verletzung<br />
nicht auftreten konnte,<br />
heulte sie. Alleine und im Bett,<br />
wie die meisten Menschen. Abgesehen<br />
davon wiederholte sich<br />
die Lehrerin ständig: Stets ging<br />
es um die heilige Tradition,<br />
Haltung, Kontrolle, Unterordnung,<br />
Disziplin – und um den<br />
Unterschied zwischen Bühne und<br />
Übungsraum, zwischen Technik<br />
und Kunst. Minus Esoterik.<br />
Plus Pathos. Da verstand Baia,<br />
weshalb Ballett unter Despoten<br />
florierte.<br />
Eine halbe Stunde lang<br />
passierte nichts.<br />
Ein untersetzter<br />
Mann kam langsam<br />
mit einem Glas Tee herein. Er<br />
stellte sich ihr nicht vor, aber sie<br />
nahm an, dass er der Kommissar<br />
war, der sie verhören sollte. Er<br />
hatte kleine Zähne, dicke rissige<br />
Lippen und winzige Augen. Jedes<br />
Mal stellte er die gleichen Fragen,<br />
ob Baia sich ihrer Schuld<br />
bewusst sei, mit ihrem Verhalten<br />
die öffentliche Ordnung gefährdet<br />
zu haben, und ob sie eigentlich<br />
wisse, was mit anderen Rowdys<br />
geschehe. Während des<br />
Verhörs steckte er sich ein Stück<br />
Zucker in den Mund, hinter die<br />
vergilbten Zahnstummel, und<br />
schlürfte laut Tee durch den Zucker<br />
hindurch. Baia sehnte sich<br />
nach dem Dreck ihrer Zelle.<br />
Dort, wo nur kleine Bewegungen<br />
möglich waren, erinnerte<br />
sich Baias Körper an ganze Ballette,<br />
an die Ausschüttung von<br />
Endorphinen nach einer gelungenen<br />
Aufführung. Schwanensee<br />
war das erste Ballett, das Baia im<br />
BolschoiTheater gesehen hatte.<br />
Mit Vater und Mutter, dieses Detail<br />
kam ihr nun absurd vor. Baia<br />
hätte am liebsten die Rolle des<br />
Prinzen getanzt: ein ungeheures<br />
Verlangen zu einem seltsamen<br />
Wesen, eine nicht vorprogrammierte<br />
Liebe. Sie sah sich vor<br />
den gemalten Wäldern im sanften<br />
violetten Licht. Die Agonie<br />
des Schwans befreite sie von ihrer<br />
eigenen, sie berauschte sich<br />
an der Form, am Pas de deux,<br />
selbst an den Strumpfhosen und<br />
dem Tutu. Sie ging auf Spitze.<br />
Ihre Bewegungen wurden schneller,<br />
klarer, und sie selbst wurde<br />
vollkommen. Sie war wieder<br />
Tänzerin, konzentrierte sich, ihr<br />
Partner hob sie in die Luft, sie<br />
wagte kaum noch zu atmen.<br />
Schwanensee hatte sie mehrmals<br />
mit Altay gesehen, er liebte<br />
es, in der Dunkelheit des Theaters<br />
die muskulösen Tänzer ungestraft<br />
zu betrachten. An einem<br />
Abend im Mariinsky-Theater<br />
– da waren sie beide bereits verlobt<br />
– fing Altay an, während der<br />
Vorstellung zu kichern, die Sitznachbarn<br />
schauten sich in russischer<br />
Manier empört nach dem<br />
Unruhestifter um. „Baia, der See,<br />
die Schwäne, das ist doch die<br />
reinste Cruising-Area.“ Baia<br />
brach ebenfalls in Lachen aus, sie<br />
verließen die Aufführung unter<br />
entrüsteten Blicken.<br />
Das erste Jahr am Choreografischen<br />
Institut war todlangweilig,<br />
jeden Tag stand Baia an<br />
der Stange mit dem Gesicht zur<br />
Wand. Die Anweisungen lauteten:<br />
beide Hände an der Stange,<br />
anderthalb Stunden ohne Pause<br />
Beine und Füße strecken, die<br />
Wirbelsäule trainieren. Erst nach<br />
sechs Monaten durfte sie sich<br />
zur Seite drehen, nach weiteren<br />
Monaten auf Zehenspitzen stehen.<br />
Abends kroch Baia ins Bett<br />
ihrer Zimmergenossin, und sie<br />
erzählten sich ihre Geheimnisse.<br />
Sie lästerten über die anderen<br />
Mädchen und manchmal auch<br />
über die Jungs. Ihre Zimmergenossin<br />
verliebte sich oft, und<br />
Baia suchte sich dann ebenfalls<br />
einen Jungen aus der Klasse aus<br />
und tat, als wäre sie verliebt. Außerdem<br />
malten die beiden sich<br />
ihr Leben aus, ihr richtiges Leben,<br />
das nach dem Internat, ein<br />
Leben mit Tourneen, großen<br />
Bühnen, Ruhm und wunderschönen<br />
Ehemännern. Eines Tages<br />
verkündete ihre Zimmergenossin,<br />
dass sie niemals heiraten<br />
werde, und Baia war erleichtert,<br />
denn das bedeutete, dass sich<br />
nichts ändern, dass sie immer mit<br />
ihr zusammen sein würde.<br />
Während der<br />
nächsten Befragung<br />
wollte der<br />
Kommissar über<br />
Baias Vater reden, der sich, wie<br />
er sagte, große Sorgen um sie<br />
mache. Außerdem fragte er, ob<br />
ihr Ehemann sie jetzt, nach<br />
allem, was hier mit ihr geschehen<br />
sei, überhaupt noch zur Frau<br />
haben wolle und weshalb sie die<br />
Ehre ihrer ganzen Familie in<br />
den Dreck gezogen habe. Er<br />
sprach atemlos und beugte sich<br />
so nah an Baias Gesicht, dass sie<br />
seinen warmen, säuerlichen Atem<br />
riechen konnte. Baia schrie, er<br />
solle ihren Vater und vor allem<br />
ihren Ehemann in Ruhe lassen.<br />
Da raufhin erhielt sie drei Schläge.<br />
Sie schrie, bis die Polizeischüler<br />
sie packten und ihr Gesicht<br />
auf den Boden drückten, in<br />
den Rotz aus Speichel, Zigarettenstummeln<br />
und Sonnenblumenkernschalen.<br />
Kakerlaken<br />
hasteten dicht an ihrem Mund<br />
vorbei.<br />
Mit der Direktive,<br />
die selbst ernannten<br />
Autorennfahrer<br />
festzuhalten, wollte<br />
man zeigen, dass eine Revolte,<br />
ob aus Langweile oder als eine<br />
Art Ausweitung des Arabischen<br />
Frühlings aufs aserbaidschanische<br />
Territorium, vollkommen sinnlos<br />
sei. Normalerweise wurde man<br />
für zehn Tage eingesperrt und<br />
ein wenig misshandelt, unabhängig<br />
von Einfluss, Einkommen<br />
oder Clanzugehörigkeit. Erst<br />
nach Ablauf dieser Frist erhielten<br />
die Angehörigen das Angebot,<br />
das eigene Kind freizukaufen.<br />
Während dieser Zeit, sagte der<br />
Kommissar zu ihr, zerbreche er<br />
sich den Kopf darüber, wie er<br />
den verwöhnten reichen Kindern<br />
Reue beibringen könne, wo<br />
doch die einzigen Werte, die der<br />
postsowjetischen Jugend etwas<br />
bedeuteten, Geld und Macht seien.<br />
Für die Bekehrung, sagte er,<br />
seien zehn Tage zu lang, für<br />
die Umerziehung zu kurz.<br />
Deshalb wünsche er sich die<br />
Lager zurück.<br />
Baia hatte die zweifelhafte<br />
Ehre, die erste Frau zu sein, die<br />
wegen der Autorennen verhaftet<br />
worden war, und ihr wurde die<br />
entsprechende Behandlung zuteil.<br />
Sie spürte, wie ihre Füße<br />
angehoben wurden und trat mit<br />
voller Wucht um sich. Baia vernahm<br />
eine Flut von Stimmen,<br />
schwankend in Lautstärke und<br />
Ton. Sie schloss die Augen und<br />
horchte auf ihren Atem, brachte<br />
ihn wieder unter Kontrolle und<br />
wünschte sich fort.<br />
kurzgeschichte<br />
Wenn Baia an das Ballett<br />
Giselle dachte, war alles wieder da:<br />
Levys Geruch stieg ihr in die<br />
Nase, sie erinnerte sich an die<br />
feinen blonden Härchen an Levys<br />
Oberschenkeln und an Levys<br />
bernsteinfarbenes Haar, in das sie<br />
so gerne eingetaucht war. Die<br />
Sehnsucht nach Levy wurde zu<br />
einem dumpfen Schmerz. Nachdem<br />
Levy sie verlassen hatte, hatte<br />
Baia endlose Diskussionen mit<br />
Altay geführt. Sie hatte gehofft,<br />
er würde ihr sagen, sie täusche<br />
sich, Levy komme zu ihr zurück.<br />
Aber Levy war nicht zu ihr zurückgekommen.<br />
Dann war sie ins<br />
Flugzeug nach Baku gestiegen.<br />
Am Ende des Gangs erklangen<br />
spitze Schreie, und Baia träumte<br />
sich zurück in die Giselle, in den<br />
Tanz der Willis. Altay war ihr<br />
Mann – und ihr Alibi. Schon bei<br />
ihrer ersten Begegnung hatte sie<br />
um ihn geworben, aber nicht, wie<br />
sie um eine Frau geworben hätte,<br />
sie wollte sein Vertrauen, seine<br />
Freundschaft. Sie bemühte sich<br />
um ihn wie um einen besonders<br />
begehrten Tanzpartner. Ihre<br />
Hochzeit war eine Notwendigkeit.<br />
Für Aserbaidschaner und das<br />
deutsche Ausländeramt waren sie<br />
nichts weiter als ein glückliches<br />
frisch verheiratetes Paar.<br />
Als der Kommissar den<br />
Verhörraum betrat,<br />
zitterte Baia. Sie<br />
wusste nicht mehr,<br />
wo sie war, die Luft war verbraucht,<br />
sie bat darum, ein Fenster<br />
aufzumachen. Ballettsequenzen<br />
rasten vorbei, Gesichter, an<br />
die sie sich schon lange nicht<br />
mehr erinnert hatte. Es gelang<br />
ihr nicht, eine Erinnerung festzuhalten.<br />
Speichel und Blut rannen<br />
über ihre Lippen. Der Kommissar<br />
wurde rot, hatte Angst,<br />
bleibende Spuren in Baias Gesicht<br />
zu hinterlassen, immerhin<br />
hatte ihr Vater Verbindungen. Er<br />
schrie lauter, dann musste er<br />
inne halten und sich beruhigen.<br />
Dann machte er mit frischer<br />
Kraft weiter, seine Fantasie ließ<br />
ihn nicht im Stich.<br />
Baia ekelte sich vor sich<br />
selbst. Seit einer Woche trug sie<br />
dieselben Sachen. Auf ihrem<br />
Kleid lagen mehrere Schichten<br />
Blut, Schweiß und Sperma. Nie<br />
mehr würde sie eine Ballerina<br />
sein. Das hatte sie entschieden.<br />
Natürlich hatte sie die Schmerzen<br />
einkalkuliert, das war nicht<br />
das Problem – Schmerzen und<br />
Hunger war Baia gewohnt. Womit<br />
sie nicht gerechnet hatte,<br />
war, dass das Ballett ihr fehlen<br />
würde. Nicht wie ein Mensch,<br />
nach dem man sich sehnt, sondern<br />
wie eine Droge, die einem<br />
entzogen wird, und Baias Suchtgedächtnis<br />
war ausgeprägt. Immer,<br />
wenn ihr eine Bewegung<br />
oder eine Drehung besonders gut<br />
gelungen war, wurde sie high.<br />
Was sie vermisste, war der Triumph<br />
über den Willen und die<br />
Lenkbarkeit der Bewegung.<br />
Sie hatte versucht, dieses Gefühl<br />
mit Koks oder MDMA zu<br />
erreichen, aber es war nicht dasselbe.<br />
Sie hatte gedacht, dass sie<br />
erleichtert sein würde, nicht mehr<br />
tanzen zu müssen – sie hatte die<br />
ständigen Schmerzen, die Überforderung,<br />
Erschöpfung, die<br />
Konkurrenz und permanenten<br />
Intrigen satt. Was sie wollte, war<br />
Ruhe, doch ihr Körper hatte sich<br />
an den täglichen Schmerz gewöhnt<br />
und verlangte nach mehr.<br />
Nachdem sie aufgehört hatte zu<br />
tanzen, verlor sie ihre Form, die<br />
Selbstverständlichkeit, die Leichtigkeit,<br />
die Körperbeherrschung.<br />
Sie hörte den Schlüssel in der<br />
Tür. Der Kommissar kam herein<br />
und sagte, er habe noch eine<br />
aller letzte Frage. Baia wandte<br />
sich zur Wand wie zu einem<br />
Spiegel und drehte ihre Beine<br />
nach außen. „Wer“, keuchte er<br />
ihr ins Ohr, „ist Levy?“<br />
OlgA grJAsnOwA wurde 1984<br />
in Baku/Aserbaidschan geboren<br />
und wuchs im kaukasus auf. sie<br />
lebte längere zeit in Polen, russland<br />
und Israel, absolvierte das<br />
deutsche literaturinstitut in leipzig<br />
und studiert derzeit tanzwissenschaft<br />
in Berlin.<br />
Im vergangenen Jahr erschien im<br />
hanser-Verlag ihr debüt roman<br />
Der Russe ist einer, der Birken liebt,<br />
der mit dem Anna-seghers-Preis<br />
aus gezeichnet wurde.<br />
diese kurzgeschichte erscheint<br />
exklusiv in <strong>Interview</strong>.<br />
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vor und nach dem Laufsteg?<br />
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und lässt sich mit drei Tasten in der Wiedergabe und Lautstärke<br />
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FLASHBACK, MÄRZ 1983<br />
TWIGGY<br />
Als London anfing zu swingen, wurde LESLEY<br />
HORNBY zu Twiggy, zum ersten wirklichen<br />
SUPERMODEL in der Geschichte der Mode.<br />
Später versuchte sich Twiggy als Schauspielerin und<br />
Designerin, blieb aber vor allem eins: eine IKONE<br />
TWIGGY, TWIGGY, TWIGGY, CAN’T YOU SEE … YOUR FLASHY<br />
LOOKS JUST HYPNOTIZE ME, MÄRZ 1983<br />
ROBERT HAYES: Du spielst auch Theater – hast du<br />
keine Angst davor?<br />
TWIGGY: Oh, doch. Am schlimmsten ist der Moment,<br />
bevor man die Bühne betritt. Diese wenigen<br />
Sekunden. Man steht da und fragt sich: Wieso stehst<br />
du hier? Wieso sitzt du nicht einfach bei Woolworth<br />
an der Kasse? Als ich das erste Mal in einem Stück<br />
spielen sollte, setzte mich der Regisseur auf die Bühne<br />
– bevor der Vorhang aufging. Er ahnte wohl, dass ich<br />
es nie geschafft hätte, auf eigenen Beinen hinauszulaufen.<br />
HAYES: Welches Stück war das?<br />
TWIGGY: Cinderella.<br />
HAYES: Woher kommt die Angst?<br />
TWIGGY: Es sind die Gesichter der Menschen.<br />
Du kannst zehn Millionen Kameras auf mich richten,<br />
das macht mir überhaupt nichts aus. Aber Menschen,<br />
Menschen fallen mir schwer …<br />
HAYES: … kann man die überhaupt von der Bühne<br />
aus sehen?<br />
TWIGGY: Nicht, wenn alle Lichter an sind. Allerdings<br />
genügen meiner Panik schon die ersten Reihen.<br />
(…)<br />
HAYES: Du reist ja sehr viel. Nimmst du dein Kind<br />
eigentlich immer mit?<br />
TWIGGY: Ja. Meine Tochter ist vier. Und wenn<br />
ich sie nicht mitbringen darf, lehne ich den Job ab.<br />
Ohne sie mache ich gar nichts mehr.<br />
(…)<br />
HAYES: Gehst du gerne shoppen?<br />
TWIGGY: Früher war ich das, ja. Heute, mit dem<br />
Kind, läuft das nicht mehr. Solche Dinge machen einfach<br />
keinen Spaß mit einem Kind auf dem Arm, das<br />
kann man sich abschminken. Auch was die eigene<br />
Garderobe angeht: Wenn ich mit Carly zu Hause bin,<br />
trage ich Jeans und T-Shirts, irgendetwas Bequemes.<br />
Zumal ich auch ein Problem mit meinen Beinen habe<br />
und ungern Kleider trage, vor allem lange Kleider<br />
stehen mir gar nicht. Kurze Kleider sind okay, dazu<br />
kann ich Stiefel tragen. Die liebe ich ohnehin. Aber<br />
zurück zur Frage: Shoppen nur im Spielzeugladen.<br />
Ein Kind verändert alles, die eigenen Werte, das<br />
Lebensmodell, Wünsche, Träume, Sehnsüchte.<br />
Das Kind ist das Erste, an das man nach dem Aufwachen<br />
denkt, und das Letzte kurz vor dem Einschlafen.<br />
Seit Carly da ist, lebe ich auch zurückgezogen<br />
wie ein Eremit. Ich gehe nie aus, koche am<br />
liebsten zu Hause – und finde all das wunderbar.<br />
HAYES: Wo wohnt ihr derzeit?<br />
TWIGGY: Wir sind gerade aus Los Angeles zurück<br />
nach England gezogen. Wegen meiner Tochter.<br />
Die englischen Schulen sind einfach besser.<br />
Und ich würde auch um keinen<br />
Preis der Welt ein Kind in Los<br />
Angeles großziehen. Die Schulen,<br />
die Drogen … All das ist<br />
furchtbar und bereitet mir große<br />
Sorgen. Zumal Werte wie Loyalität,<br />
Ehrlichkeit und Integrität in<br />
Los Angeles keinerlei Bedeutung<br />
haben. Dort dreht sich alles nur<br />
um Geld, Aussehen und Jugendwahn<br />
– und das hat mit echtem<br />
Leben einfach nichts zu tun.<br />
DIE NÄCHSTE AUSGABE<br />
VON INTERVIEW<br />
ERSCHEINT AM<br />
20. MÄRZ 2013<br />
Fotos: Cris Alexander für <strong>Interview</strong> Magazine, März 1983