Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)
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Einblick<br />
300 Politiker verhandeln den Koalitionsvertrag: eine<br />
verfassungsrechtlich bedenkliche Riesenshow für<br />
einen Vertrag zulasten Dritter. Von Roland Tichy<br />
Zulasten Dritter<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Koalitionsverträge sind Theaterdonner,<br />
viele Buchstaben ohne<br />
bindende Wirkung. Denn weder<br />
die Finanzkrise noch die Euro-<br />
Krise haben sich daran gehalten. Die Abgeordneten<br />
des Deutschen Bundestags,<br />
so sie ihr Amt ernst nähmen, sind nicht<br />
dem Vertrag der Parteien verpflichtet,<br />
sondern dem ganzen deutschen Volk und<br />
ihrem Gewissen. Die politischen Sitten<br />
verfallen: Um die mühsamen Verhandlungen<br />
zu schmieren, bekamen CDU und<br />
SPD je einen weiteren Bundestags-Vizepräsidenten.<br />
Allerdings nicht wegen der<br />
Arbeitsbelastung der ohnehin schon mit<br />
fünf Stellvertretern überbesetzten Riege:<br />
Die SPD soll auf „Augenhöhe“ mit der<br />
CDU repräsentiert sein.<br />
Es ist ein symbolischer Akt, der wenig<br />
Gutes erwarten lässt. Die große Koalition,<br />
die sich auf 80 Prozent der Sitze im Bundestag<br />
stützt, ist nach ihrem Selbstverständnis<br />
keine Koalition der Reformen oder zur Bewältigung<br />
einer Notlage – sondern eine Art<br />
Selbstbedienungsladen auf Kosten der<br />
Steuerzahler (siehe Seite 22). Diesen Verdacht<br />
bestärkt, was bisher über das Programm<br />
der Koalition verlautet:Die Konflikte<br />
zwischen den Parteien werden mit Geld<br />
für ihre jeweilige Klientel gelöst. So sollen<br />
Mindestlöhne von 8,50 Euro flächendeckend<br />
eingeführt werden, obwohl alle namhaften<br />
Wissenschaftler fürchten, dass dies<br />
zu bis zu 1,2 Millionen zusätzlichen Arbeitslosen<br />
besonders in den strukturschwachen<br />
Gebieten der früheren DDR führen<br />
wird. Aber dies ist eine Trophäe für die SPD,<br />
die den Einheitslohn zu ihrem Wahlkampfthema<br />
gemacht hat. Zudem will die SPD die<br />
Rente mit 67 wieder zurücknehmen. Diese<br />
Reform hatte SPD-Kanzler Gerhard Schröder<br />
selbst durchgesetzt, denn bis 2050 wird<br />
die Zahl der Erwerbstätigen um ein Drittel<br />
abnehmen, die Zahl der Rentner sich aber<br />
um ein Drittel erhöhen. Aber was sollen<br />
schon Fakten gegen ein sozialpolitisches<br />
Wunschkonzert ausrichten?<br />
Für dieses Geschenk der SPD an ihre<br />
Wähler erhält die CDU ihren Herzenswunsch<br />
erfüllt – höhere Renten für Mütter,<br />
die ihre Kinder vor 1992 geboren haben.<br />
Langfristig finanzierbar sind beide Vorhaben<br />
nicht. Sie zerstören die Stabilität der<br />
Altersversorgung, belasten die künftige Generation<br />
wie ein Vertrag zulasten Dritter –<br />
der im Privatrecht unwirksam wäre. Es regiert<br />
der gemeinsame Wille, Geschenke zu<br />
verteilen. 33 Milliarden Euro, die die gute<br />
Wirtschaftslage an zusätzlichen Steuern in<br />
die Kassen spült, reichen dafür nicht. Stillschweigend<br />
wurde bereits das Ziel begraben,<br />
die hohe Staatsverschuldung zu senken;<br />
so werden die Weichen gestellt, dass<br />
die ohnehin erst ab 2016 wirkende Schuldenbremse<br />
außer Kraft gesetzt wird – noch<br />
ehe sie wirken kann. Was, wenn die Wirtschaft<br />
und Steueraufkommen schwächeln?<br />
Die große Koalition kennt nur schönes<br />
Wetter; Unwetter gelten als vertraglich<br />
ausgeschlossen. Schon jetzt hat sie sich<br />
selbst entwertet.<br />
REFORM STEHT FÜR RÜCKSCHRITT<br />
Weitere „Reformen“ werden erst noch ausgehandelt,<br />
allerdings ist keine einzige<br />
Maßnahme erkennbar, die die wirtschaftliche<br />
Leistungsfähigkeit Deutschlands fördert<br />
– „Reform“ steht für Belastung der Unternehmen<br />
und ihrer Beschäftigten. Noch<br />
hoffen einige, dass es wenigstens zu einer<br />
Reform der „Energiewende“ kommt. Bekanntlich<br />
hat diese zu einer so hohen Kostenbelastung<br />
von Unternehmen geführt,<br />
dass Abwanderungsbewegungen und ein<br />
Investitionsstreik unübersehbar sind. Vor<br />
allem die SPD warnt vor einem Ausbrennen<br />
des Ruhrgebiets und vieler Städte in<br />
NRW infolge der Energiewende: „Eine Katastrophe“,<br />
fürchtet Garrelt Duin, Wirtschaftsminister<br />
in NRW. Aber deutlich<br />
wird auch, dass der politische Mut nicht<br />
reicht, selbst verantwortete Fehler zu korrigieren:<br />
Die hohen Kosten werden mit Maßnahmen<br />
bekämpft, die noch höhere Kosten<br />
verursachen. Und so geht es weiter.<br />
Die dritte Amtszeit von Angela Merkel<br />
könnte so enden: Sie verspielt jene wirtschaftlichen<br />
Reformen, mit denen ihr Vorgänger<br />
Gerhard Schröder dem „kranken<br />
Mann Europas“ zu alter Blüte verholfen<br />
hat. So kann sie nicht in die Geschichte<br />
eingehen wollen.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> Nr. 44 3<br />
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