Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Koordinierter Bruch<br />
ENERGIE | Ein Koalitionsstreit in NRW offenbart die größte Hürde<br />
einer EEG-Reform: die Zustimmung der rot-grün regierten Länder.<br />
Von Reiner Priggen waren bis<br />
zur vergangenen Woche keine<br />
Gefühlsausbrüche überliefert.<br />
Der NRW-Fraktionsvorsitzende<br />
der Grünen ist meist auf<br />
Ausgleich bedacht, in der an Alphatieren<br />
nicht armen Düsseldorfer<br />
Landtagskoalition mit der SPD gilt er als<br />
Vermittler. Doch am Dienstag vergangener<br />
Woche platzte ihm der Kragen. Morgens<br />
früh trommelte er zu einer eiligen Pressekonferenz,<br />
trotz sitzungsfreier Woche und<br />
obwohl viele der SPD-Minister bei Koalitionsgesprächen<br />
in Berlin weilten.<br />
Einziges Thema: Kabinettskollege Garrelt<br />
Duin. „Der Koalitionsvertrag gilt für alle“,<br />
polterte Priggen, „auch für die, die erst<br />
später dazugekommen sind.“ Wirtschaftsminister<br />
Duin wurde nach der Landtagswahl<br />
2012 von Ministerpräsidentin Hannelore<br />
Kraft (SPD) geholt, zuvor war er wirtschaftspolitischer<br />
Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.<br />
Wenige Tage zuvor hatte<br />
Duin in einem Interview mit der WirtschaftsWoche<br />
(Heft 43/<strong>2013</strong>) recht konkrete<br />
Vorstellungen zur Energiewende geäußert.<br />
Das Ausbautempo der Erneuerbaren<br />
müsse gedrosselt werden, so Duin. Die Anzahl<br />
der von der Abgabe befreiten Unternehmen<br />
soll seiner Ansicht nach eher steigen.<br />
Zudem will er fossile Reservekraftwerke<br />
mit bis zu sechs Milliarden Euro im Jahr<br />
fördern. Damit erntet er nun heftige Kritik.<br />
Sein Kontrahent im Kabinett, Umweltmi-<br />
Energiewende<br />
Baggern gegen Erneuerbare<br />
Braunkohletagebau Garzweiler<br />
(vorn), Windkraft (hinten)<br />
6 Milliarden Euro pro<br />
Jahr will Duin an Kraftwerke<br />
verteilen, damit sie<br />
am Netz bleiben<br />
nister Johannes Remmel (Grüne)<br />
holt zum umfassenden Gegenschlag<br />
aus (siehe Seite 32).<br />
Auch über die Grenzen des<br />
Bundeslandes hinaus schlägt der<br />
Streit nun große Wellen. Denn die<br />
rot-grünen Landesregierungen<br />
nehmen bei der Energiewende eine<br />
Schlüsselrolle ein. Für eine EEG-Reform ist<br />
eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich,<br />
ohne die sechs von Grünen und SPD<br />
regierten Bundesländer mit ihren 29 (von<br />
69) Stimmen geht da wenig. Angesichts der<br />
Preisexplosion beim EEG lässt sich die Reform<br />
zudem kaum aufschieben, auch aus<br />
Brüssel kommt massiver Druck.<br />
Und so erkennen die im neuen Bundestag<br />
ziemlich zahnlosen Grünen offenbar<br />
ihre Gestaltungschancen über die Landespolitik.<br />
Schleswig-Holsteins Vizeregierungschef<br />
und „Minister für Energiewende“<br />
Robert Habeck (Grüne) setzt auf den<br />
Bundesrat als Korrektiv gegen eine übergroße<br />
Bundeskoalition. „Unter den demokratischen<br />
Organen des Landes wird der<br />
Bundesrat neue Bedeutung erfahren. Dort<br />
sind die Grünen über die Landesregierungen<br />
direkt an vielen Entscheidungen beteiligt.“<br />
Wie seine Parteifreunde in NRW stellt<br />
er sich zudem unmissverständlich gegen<br />
die von Duin ins Spiel gebrachte Vergütung<br />
für fossile Reservekraftwerke: „Sechs Milliarden<br />
für Kraftwerke, die wir nicht mehr<br />
wollen sollen. Dafür eine Art Kohle-EEG<br />
einzuführen ist völlig falsch.“<br />
In Niedersachsen sieht sich zugleich Ministerpräsident<br />
Stephan Weil (SPD) genötigt,<br />
für seinen nordrhein-westfälischen<br />
Parteifreund in die Bresche zu springen,<br />
was das Ausbautempo der Erneuerbaren<br />
angeht. Der Ausbau müsse „besser gesteuert<br />
und kosteneffizienter gestaltet werden“.<br />
Auch wenn er damit nicht automatisch ein<br />
langsameres Tempo verbinden will, sagt<br />
Weil: „Wir werden uns die Fördersätze ansehen<br />
und stärker nach Wirtschaftlichkeit<br />
gehen müssen.“<br />
HOFFEN AUF STREIT<br />
In Baden-Württemberg will man sich zwar<br />
noch nicht auf einen offenen Streit mit<br />
dem Koalitionspartner einlassen, die Absetzbewegung<br />
bei den Sozialdemokraten<br />
<strong>vom</strong> grün angehauchten Wahlprogramm<br />
wird aber genau beobachtet. Dabei hält<br />
Landesregierungschef Winfried Kretschmann<br />
(Grüne) den Umbau der Energieversorgung<br />
für zentral in den nächsten vier<br />
Jahren: „Das Thema Energiewende ist in<br />
der nächsten Legislaturperiode entscheidend.“<br />
Sozialdemokraten und Unionisten<br />
könnten den Umbau eher schleifen lassen.<br />
Deshalb müsse seine Partei im Bundesrat<br />
Einfluss nehmen: „So wie sich die Lage<br />
momentan abzeichnet, werden wir Grüne<br />
wohl sehr hart kämpfen müssen, um die<br />
Energiewende zum Erfolg zu führen.“<br />
Die Düsseldorfer Opposition hofft derweil<br />
auf den großen Streit in der Koalition<br />
über das Thema Energie, das Rot-Grün am<br />
Rhein in den Neunzigerjahren schon einmal<br />
an den Rande des Bruchs getrieben<br />
hatte. In der Koalition gehe es „drunter und<br />
drüber“, frohlockt der wirtschaftspolitische<br />
Sprecher Hendrik Wüst (CDU). Für kommenden<br />
Donnerstag hat seine Partei eine<br />
Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses<br />
einberufen. Dadurch soll sich die Spaltung,<br />
wenn möglich in aller Öffentlichkeit, noch<br />
ein bisschen vertiefen.<br />
n<br />
konrad.fischer@wiwo.de, max haerder, cordula tutt | Berlin<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 32 »<br />
FOTO: IMAGO<br />
30 Nr. 44 <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.