WIRTSCHAFT+MARKT Vor dem Ostdeutschen Energieforum (Vorschau)
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24. Jahrgang | Heft 1 | März/ April 2013 | € 3,50 | ZKZ 84618 |<br />
WIRTSCHAFT+<br />
MARKT<br />
DAS OSTDEUTSCHE UNTERNEHMERMAGAZIN<br />
<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Ostdeutschen</strong><br />
<strong>Energieforum</strong> Leipzig<br />
W+M-Umfrage unter Protagonisten<br />
der Energiewende: Welche Schritte<br />
sind jetzt unbedingt zu gehen?<br />
landschaft+<br />
leute<br />
Lausitzer Seen –<br />
die Zeit nach<br />
der Braunkohle<br />
marken+<br />
macher<br />
Plauen: Stille<br />
Profis auf <strong>dem</strong><br />
Weg zur Spitze
Weil eine Bank erst dann kompetent ist,<br />
wenn sie überall gleich tickt.<br />
Können Sie weltweit auf die einheitlichen Standards der Commerzbank zählen.<br />
Mittelstandsbank<br />
Erfolgreiches Auslandsgeschäft startet ganz in Ihrer Nähe: bei Ihrem Commerzbank-Firmenkundenbetreuer.<br />
Ohne Umwege steuert er unsere weltweiten Teams in über 50 Ländern nach Ihren <strong>Vor</strong>gaben und unseren<br />
grenzüberschreitend einheitlichen Qualitätsstandards. Ebenfalls in Ihrer Region: Auslandsspezialisten, die<br />
Sie bei Ihren Exportfinanzierungen unterstützen, und dezentrale Dokumentenbearbeitungs-Center.<br />
Weil Ihre ausländischen Geschäftspartner als Hausbank meist heimische Institute vor Ort nutzen, haben wir<br />
zu<strong>dem</strong> ein weltumspannendes Netz von rund 5.000 Korrespondenzbanken geknüpft. Dadurch können wir<br />
Akkreditive schnell und kostengünstig bearbeiten. Kein Wunder also, dass wir Marktführer im deutschen<br />
Außenhandel sind: Die Commerzbank wickelte 2012 mehr im Ausland zugunsten deutscher Exporteure<br />
eröffnete Akkreditive ab als jede andere Bank.<br />
Damit Sie bei all <strong>dem</strong> kein Währungsrisiko zu tragen haben, bieten wir Ihnen natürlich auch dafür individuelle<br />
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was+warum 3<br />
WIRTSCHAFT+<br />
MARKT<br />
DAS OSTDEUTSCHE<br />
UNTERNEHMERMAGAZIN<br />
Nur wer sich ändert, vermag sich<br />
treu zu bleiben<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
vor Ihnen liegt das neue Unternehmermagazin <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>.<br />
Sollte es, was Titel, Inhalt und Autoren angeht, seltsam vertraut anmuten,<br />
so haben Sie sich nicht getäuscht. Das Journal hat sich mit der<br />
jüngsten Ausgabe stark verändert, bleibt sich aber treu. W+M, die einzige<br />
Wirtschaftszeitschrift aller neuen Bundesländer und Berlins geht<br />
in ihr 24. Erscheinungsjahr; allerdings im neuen Gewande und herausgegeben<br />
vom Berliner Verleger Frank Nehring.<br />
W+M bleibt das Magazin der Unternehmerverbände Ostdeutschlands<br />
und der Hauptstadt. Gerade deshalb will sich das Journal, wie der Untertitel<br />
verspricht, vom Wirtschafts- zum Unternehmermagazin profilieren.<br />
Unternehmer rücken mit ihren Problemen, Anliegen und Erfolgen<br />
stärker in den Fokus. Ostdeutsch ist da so wenig wie süddeutsch oder<br />
norddeutsch ein politisches Programm oder eine strenge geografische<br />
Beschränkung, sondern eine selbstbewusste Quellenangabe.<br />
Es hat schon etwas Symbolisches, dass der Neustart von WIRTSCHAFT+<br />
MARKT in die <strong>Vor</strong>bereitung des „2. <strong>Ostdeutschen</strong> <strong>Energieforum</strong>s – Zukunft<br />
der Energie“ fällt. Die Redaktion widmet der sich etablierenden<br />
Leipziger Denkwerkstatt einen Gutteil des Unternehmermagazins (Seiten<br />
10 bis 19). Noch sieht die Mehrheit der deutschen Unternehmen die<br />
Energiewende skeptisch, verbindet sie mit höheren Kosten und niedrigerer<br />
Wettbewerbsfähigkeit, abnehmender Versorgungssicherheit<br />
und zunehmender Kleinstaaterei. Es kristallisieren sich indes, wie die<br />
W+M-Exklusivumfrage zeigt, Chancen heraus, von dieser Wende zu<br />
profitieren. Mit neuen Erzeugnissen und Technologien. In der Messestadt<br />
soll nun Ende April Klartext geredet und der Druck auf die Politik<br />
verstärkt werden.<br />
Klartext ist genau das, was die Redaktion Ihnen, liebe Leserin, lieber<br />
Leser, auch weiterhin anbieten will. Da bleiben wir uns treu. Und wir<br />
werden Sie künftig noch stärker in das Spannungsfeld von Pro und Contra<br />
führen. Da ändern wir uns. Versprochen.<br />
Herzlich<br />
Helfried<br />
Liebsch<br />
Chefredakteur<br />
fi t+ fi r m<br />
IM<br />
24.<br />
JAHRGANG<br />
www.wundm.info
4 inhalt+form<br />
was+warum<br />
Nur wer sich ändert, vermag sich treu zu bleiben .......... Seite 3<br />
Impressum .................................................................................................... Seite 66<br />
ross+reiter<br />
Nachrichten und Personalien ....................................................... Seite 6<br />
pro+contra<br />
Niedriglohn behindert Innovation ................................................ Seite 8<br />
Jetzt alle Ministerien vom Rhein an die Spree? ................. Seite 9<br />
fragen+antworten<br />
„Wir erhöhen den Druck“ – Gespräch mit<br />
Unternehmerverbands-Chef Hartmut Bunsen<br />
und DIHK-Vize Klaus Olbricht ........................................................ Seite 10<br />
W+M-Umfrage: Energiewende – wie wird sie<br />
sauber, sicher und bezahlbar? ...................................................... Seite 12<br />
landschaft+leute<br />
Klar zum Anlegen – Lausitzer Revier wird<br />
immer mehr zum Seenland ............................................................. Seite 20<br />
einblicke+aussichten<br />
Feigenblatt Bürgerbeteiligung –<br />
Infrastrukturprojekten fehlt Akzeptanz .................................. Seite 24<br />
marken+macher<br />
WEMA VOGTLAND Technology: Aus alt<br />
mach neu – und hochproduktiv ..................................................... Seite26<br />
Hidden Champions – Weltmarktführer<br />
aus Ostdeutschland ............................................................................... Seite 29<br />
klipp+klar<br />
Eberhard Walter, Präsident des Brandenburger<br />
Unternehmerverbandes fragt: Alternativlos? .................... Seite 30<br />
Klaus von Dohnanyi plädiert für einen Blick<br />
nach draußen ............................................................................................. Seite 66<br />
Lausitzer Seenland<br />
Fachleute für<br />
lebende Räume<br />
20<br />
62<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
inhalt+form 5<br />
W+M-Umfrage<br />
zur Energiewende12<br />
innovation+tradition<br />
Maritimer Denkwandel – Veränderungsdruck<br />
an der Ostseeküste ................................................................................ Seite 32<br />
Plasma-Pfl aster für chronische Wunden ............................. Seite 36<br />
Kapitaler Kraftakt – Berlin wird kreativer<br />
und Gründerstadt ................................................................................... Seite 38<br />
Kapitaler<br />
Kraftakt –<br />
Berlin wird<br />
kreativer<br />
38<br />
ideen+impulse<br />
Der Marathonläufer – ein Chemnitzer Chef,<br />
der nie aufgibt ........................................................................................... Seite 42<br />
Forschungsförderung mit ostdeutschen Wurzeln ........ Seite 56<br />
Videokonferenzen für alle – Cottbuser Firma<br />
überschreitet Grenzen ........................................................................ Seite 58<br />
frauen+führung<br />
Engagierter Pfl ege-Fall: Rostocker Unternehmerin<br />
mit sozialem Konzept ........................................................................... Seite 44<br />
rat+tat<br />
Multimedia – Mehr Attacken aus <strong>dem</strong> Internet ............... Seite 48<br />
Steuern – Zur privaten Nutzung des Dienstautos ......... Seite 50<br />
Recht – Verkehrssünden werden härter geahndet ...... Seite 52<br />
Immobilien – Trend zur Reurbanisierung ............................ Seite 54<br />
Zahlungsverkehr – Mittelstand zögert bei SEPA ........... Seite 55<br />
wirtschaft+kultur<br />
Machtspiele. W+M-Autor Thomas Schwandt<br />
hat einen Thriller geschrieben ..................................................... Seite 60<br />
Fußball-Peer. Porträt eines Abseits-Spezialisten ........... Seite 61<br />
unternehmen+verband<br />
Fachleute für lebende Räume – neues Mitglied<br />
im Unternehmerverband Sachsen ............................................. Seite 62<br />
Am Puls der Medizin von morgen – innovativer<br />
Technologietag Teltow ......................................................................... Seite 64<br />
Unternehmer gegen Mindestlohn – Schweriner<br />
kritisieren Landesregierung .......................................................... Seite 65<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
6 ross+reiter<br />
Fehlende Motivation kostet<br />
GALLUP: EIN VIERTEL HAT INNERLICH GEKÜNDIGT<br />
Wer als Unternehmer seine Leute schlecht behandelt,<br />
der vergiftet nicht nur das Betriebsklima, sondern<br />
schadet sich selbst. Denn am Ende sinkt die Produktivität<br />
der Firma. Das ist das Fazit einer Studie des US-Beratungsunternehmens<br />
Gallup zur emotionalen Bindung<br />
von Mitarbeitern an ihren Brötchengeber. Seit 2001 erstellt<br />
Gallup für Deutschland jährlich einen „Engagement<br />
Index“. Dieser weist für 2012 aus, dass der Anteil der<br />
hochmotivierten Angestellten über die Jahre mit 15 Prozent<br />
nahezu unverändert geblieben ist. Um neun Punkte<br />
auf 24 Prozent gestiegen ist dagegen der Anteil derjenigen,<br />
die innerlich bereits gekündigt haben. Das wären<br />
immerhin 8,4 Millionen Menschen. Der Zuwachs ergibt<br />
sich offensichtlich aus einer Verschlechterung der Situation<br />
innerhalb der Gruppe von Mitarbeitern, die bereits<br />
zuvor „Dienst nach <strong>Vor</strong>schrift“ machten: Ihr Anteil<br />
stieg um acht Punkte auf 61Prozent. Allein die Fehltage,<br />
die auf Unlust zurückzuführen seien, kosteten die Betriebe<br />
rund 18 Milliarden Euro. <br />
Berlin als Stadt des Films<br />
NEUE PRODUKTIONS- UND VERTRIEBSFIRMA<br />
Internationales Flair auf der Berlinale<br />
Andreas Rothbauer und Alec Schulmann haben zum<br />
Jahresbeginn die Picture Tree International GmbH,<br />
ein international aufgestelltes, integriertes Weltvertriebs-<br />
und Produktionsunternehmen mit Sitz in Berlin,<br />
gegründet. Die Finanzierung haben der VC Fonds Kreativwirtschaft<br />
der Investitionsbank Berlin (IBB) und private<br />
Investoren übernommen. Kerngeschäft sollen der<br />
weltweite Filmlizenzhandel und die Koproduktion von<br />
internationalen Filmen werden. Geplant ist, Produktionspartner<br />
aus Skandinavien, Kanada und Südafrika als<br />
strategische Gesellschafter zu gewinnen. <br />
Bauwirtschaft leidet unter Flughafendesaster<br />
HOFFNUNGEN RICHTEN SICH AUF DEN WOHNUNGSBAU<br />
Die Probleme beim Bau des Großflughafens<br />
Berlin-Brandenburg<br />
BER belasten die Bauwirtschaft in<br />
der Region. Wie der Bauindustrieverband<br />
Berlin-Brandenburg mitteilt,<br />
sank der Umsatz im vergangenen<br />
Jahr um 1,9 Prozent. Wegen der<br />
mehrfach verschobenen Eröffnung<br />
seien Aufträge ausgeblieben. <strong>Vor</strong> allem<br />
Brandenburg spürt die Auswirkungen,<br />
hier sank der Umsatz der<br />
Sächsische Firmen im Ural<br />
Baubetriebe um 4,8 Prozent. Einen<br />
Einbruch von 22,5 Prozent musste<br />
der öffentliche Hochbau verkraften.<br />
Berlin konnte ein leichtes Umsatzplus<br />
verbuchen. Allerdings brach der<br />
Straßenbau dort mit einem Umsatzrückgang<br />
von 16,5 Prozent gegenüber<br />
2011 ein. Auch für das laufende<br />
Jahr ist die Branche insgesamt pessimistisch.<br />
Positive Impulse werden<br />
nur vom Wohnungsbau erwartet. <br />
KOOPERATION MIT REGION SWERDLOWSK WIRD INTENSIVIERT<br />
Die Verbundinitiative Maschinenbau<br />
Sachsen VEMAS will den<br />
Aufbau eines Kompetenzzentrums<br />
für innovative Produktionstechnik<br />
in Jekaterinburg unterstützen<br />
und dazu eng mit <strong>dem</strong> Maschinenbauverband<br />
des russischen Gebietes<br />
Swerdlowsk zusammenarbeiten.<br />
Dies wurde im Februar beim Unternehmer-Forum<br />
der Wirtschaftsförderung<br />
Sachsen und der VEMAS mit<br />
Delegationen aus Swerdlowsk und<br />
St. Petersburg vereinbart. Die Uralregion<br />
ist wie Sachsen stark durch<br />
den Maschinenbau und die Metallindustrie<br />
geprägt. Viele sächsische<br />
Unternehmen des Maschinenbaus<br />
liefern Produktionsausrüstungen<br />
und Anlagen. Zur Maschinenbaumesse<br />
„Metalloobrabotka“ vom 27.<br />
bis 31. Mai 2013 in Moskau organisiert<br />
die Wirtschaftsförderung Sachsen<br />
mit der VEMAS einen Gemeinschaftsstand.<br />
<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
oss+reiter 7<br />
PERSONALIEN<br />
NACHRICHTEN<br />
David<br />
Wortmann<br />
Berlin-<br />
Bran denburg<br />
Energy Network<br />
Lobbyist für den Erfolg<br />
der Energiewende<br />
David Wortmann (36) ist ein Wanderer<br />
zwischen den Welten. Seit Januar<br />
2013 leitet er als Geschäftsführer das Berlin-Brandenburg<br />
Energy Network, das mitgliederstärkste<br />
Unternehmensnetzwerk in<br />
der Hauptstadtregion für die Energiewende.<br />
Zuvor war er als Direktor für strategische<br />
Planung und zuletzt als Vice President<br />
Public Affairs EU für First Solar tätig.<br />
<strong>Vor</strong> seinem Wechsel in die Industrie arbeitete<br />
David Wortmann in der Politik als wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter im Deutschen<br />
Bundestag. Er unterstützte den Aufbau des<br />
Weltrats für Erneuerbare Energien (WCRE),<br />
bei <strong>dem</strong> er als Direktor für International Policy<br />
Affairs tätig war. Er verantwortete die<br />
Asien-Aktivitäten des Industrial Investment<br />
Council in Tokio und arbeitete später für<br />
Germany Trade and Invest (GTAI) als Leiter<br />
der Energie- und Umwelttechnologie-Abteilung.<br />
Zur Diskussion über die Energiepolitik<br />
sagt der 36-Jährige: „Es ist richtig,<br />
dass die Kostenseite der Energiewende im<br />
Blick gehalten werden muss. Aber die aktuellen<br />
<strong>Vor</strong>schläge des Bundesumweltministers<br />
und des Bundeswirtschaftsministers<br />
zur kurzfristigen Anpassung des EEGs,<br />
um Strompreisanstiege zu begrenzen, sind<br />
nicht zielgerichtet genug und können den<br />
Fortschritt der Energiewende gefährden.<br />
Vielmehr sollten die vielen volkswirtschaftlichen<br />
<strong>Vor</strong>teile der Energiewende beachtet<br />
werden, um die heutigen Kosten auch<br />
als Investition in die Zukunft zu werten.“<br />
Michaela Merz<br />
Hermetos<br />
Datendienste<br />
Eisenach<br />
Internet-Pionierin berät<br />
den Wirtschaftsminister<br />
Michaela Merz (53) züchtet mit ihrem<br />
Mann Rinder in Texas. Viel Zeit bleibt<br />
ihr dafür nicht, denn die Unternehmerin<br />
führt die Geschäfte des Eisenacher Softwareunternehmens<br />
Hermetos Datendienste<br />
GmbH und einer weiteren Firma in den<br />
USA. Dort hat sie zehn Jahre gelebt, die<br />
Anfänge des Internetbooms sind mit ihrem<br />
Namen verbunden. Sie hat VoIP, eines<br />
der ersten Programme für Internettelefonie,<br />
entwickelt und den Onlinedienst germany.net<br />
erfunden. Hermetos ist auf Datensicherheit<br />
in Firmen spezialisiert. Jetzt<br />
wurde die Thüringerin von Bundeswirtschaftsminister<br />
Philipp Rösler in den „Beirat<br />
digitaler Unternehmen in Deutschland“<br />
berufen. Mitglieder des 24-köpfigen Teams<br />
sind Chefs von Branchenführern im digitalen<br />
Bereich, von Investmentgesellschaften<br />
sowie von jungen Unternehmen der Branche.<br />
„Gerade mal ein paar Tage nach <strong>dem</strong><br />
sehr umstrittenen Leistungsschutzrecht-<br />
Gesetz wurde die CeBIT unter <strong>dem</strong> Motto<br />
„Shareconomy“ eröffnet“, sagt Michaela<br />
Merz. „Das Internet ist eine Chance, aber<br />
man muss es in seiner Struktur begreifen,<br />
und das haben die Politiker noch nicht.“ Im<br />
Beirat will sich die bekennende Liberale<br />
für bessere Start- und Marktchancen junger<br />
IT-Unternehmen einsetzen, denn diese<br />
würden für die wirtschaftliche Dynamik<br />
Deutschlands immer wichtiger. Dabei geht<br />
es ihr auch darum, den Abstand gegenüber<br />
den Amerikanern zu verkürzen. <br />
Mehr Thüringer Bier<br />
KÖSTRITZER IN 50 LÄNDERN<br />
Während der deutsche Bierkonsum<br />
sinkt, konnten die Thüringer Brauereien<br />
ihren Absatz 2012 um 2,6 Prozent<br />
gegenüber <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>jahr steigern. Rund 3,7<br />
Millionen Hektoliter wurden verkauft. Beim<br />
Export erzielten die Brauer mit 480.000<br />
Hektoliter Bier einen Rekord. Die Köstritzer<br />
Schwarzbierbrauerei ist in 13 Bundesländern<br />
Marktführerin bei Schwarzbier. Ihr Anteil<br />
wuchs 2012 bis auf 31,6 Prozent. „Rund<br />
die Hälfte des Absatzes schreiben wir dabei<br />
<strong>dem</strong> Verkauf in Westdeutschland zu“,<br />
so Geschäftsführer Andreas Reimer. Köstritzer<br />
Schwarzbier wird in rund 50 Länder<br />
exportiert. <br />
Die Köstritzer Schwarzbierbrauerei<br />
Energiesparen<br />
GEFÖRDERTE RKW-BERATUNG<br />
Das Kompetenzzentrum des Rationalisierungs-und<br />
Innovationszentrum der<br />
Deutschen Wirtschaft (RKW) führt deutschlandweit<br />
Impulsgespräche zur Energieeffizienz<br />
industrieller kleiner und mittlerer Unternehmen<br />
sowie im Handwerk durch. Diese<br />
werden durch das Bundeswirtschaftsministerium<br />
gefördert. Im vergangenen Jahr nutzten<br />
dies in Berlin und Brandenburg 356 Unternehmen,<br />
in Sachsen 309, in Thüringen<br />
210 und in Sachsen-Anhalt 181. Die regionalen<br />
RKW planen in diesen Ländern für 2013<br />
rund 1.300 Impulsgespräche. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
8 pro+contra<br />
Niedriglohn<br />
behindert<br />
Innovation<br />
Von Dr. Herbert Berteit<br />
Den neuesten Daten des<br />
Statistischen Bundesamtes<br />
zufolge ist die Zahl der<br />
Niedriglöhner in der Wirtschaft<br />
Ostdeutschlands in den letzten<br />
Jahren sprunghaft angestiegen.<br />
Sie erreichte im letzten Jahr einen<br />
Anteil, der doppelt so hoch ist<br />
wie im Westen. Die meisten werden<br />
dabei für Ostdeutschland bei<br />
den Vollzeitbeschäftigten der Realwirtschaft<br />
ausgewiesen.<br />
Heute ist dort mindestens jeder<br />
Fünfte als Niedriglöhner tätig.<br />
Beispielsweise sind es in Brandenburg<br />
21 und in Thüringen 24<br />
Prozent. In den alten Bundesländern<br />
beträgt der Anteil der Niedriglöhner<br />
in Wirtschaftsunternehmen<br />
nicht einmal zehn Prozent.<br />
Die Situation in Ostdeutschland<br />
verschärfte sich vor allem durch<br />
Abwanderung junger qualifizierter<br />
Fachkräfte und durch den <strong>dem</strong>ografischen<br />
Wandel. Die wachsende<br />
Zahl der Niedriglöhner<br />
beeinflusst die ostdeutsche Konjunktur<br />
negativ und hemmt die eigene<br />
Innovationsfähigkeit. Damit<br />
verbunden ergeben sich negative<br />
Auswirkungen auf den privaten<br />
Verbrauch, auf das kommunale<br />
Steueraufkommen und auf die<br />
verfügbaren öffentlichen Investitionsmittel.<br />
Durch Förderung von Forschung<br />
und Entwicklung (FuE) und Innovationen<br />
haben Bund und Länder<br />
dazu beigetragen, dass sich Unternehmen<br />
mit innovativen Produkten<br />
am Markt behaupten konnten<br />
und in einigen Regionen erfolgreiche<br />
innovative industrielle Netze<br />
entstanden sind. Oft wird nun<br />
aber der weitere Aufbau solcher<br />
Unternehmen und Netze und ihre<br />
Entwicklung durch zunehmende<br />
natürliche Überalterung der innovativen<br />
Potenziale und die Abwanderung<br />
junger, qualifizierter<br />
Fachkräfte erschwert. Hinzu<br />
kommt, dass viele Unternehmen<br />
über Defizite in der Bildung und<br />
bei der sozialen Kompetenz von<br />
Bewerbern für eine Ausbildung<br />
klagen. Viele Jugendliche verfügen<br />
nicht über ausreichende Fähigkeiten<br />
im Lesen, Schreiben<br />
und Rechnen, wodurch die Ausbildung<br />
geeigneter Fachkräfte in Unternehmen<br />
erschwert und der Anteil<br />
der Niedriglöhner erhöht wird.<br />
Zwei Baustellen sollten daher von<br />
der Politik weiter in den <strong>Vor</strong>dergrund<br />
gerückt werden: Erstens<br />
€<br />
die Ausbildung der jungen Menschen<br />
und zweitens die bessere<br />
Bezahlung der Fachkräfte. Eine<br />
Erkenntnis der Innovationsforschung<br />
besteht darin, dass sich<br />
hohe Produktivität und moderne<br />
Industriestrukturen nur in<br />
Verbindung mit höheren Löhnen<br />
entwickeln. Hier bietet sich<br />
heute unter anderem an, den Zuzug<br />
qualifizierter Fachkräfte aus<br />
anderen EU-Ländern- beispielsweise<br />
durch eine schnellere Anerkennung<br />
von Abschlüssen- zu<br />
unterstützen und ihre Bezahlung<br />
unter Berücksichtigung der Erfahrungen,<br />
die mit Programmen<br />
der FuE-Personalförderung in<br />
Deutschland gesammelt wurden,<br />
zu verbessern. Auch die Ausweitung<br />
der technologieoffenen FuE-<br />
Förderung auf Unternehmen mit<br />
bis zu 500 Beschäftigten sollten<br />
geprüft werden. <br />
Die wachsende<br />
Zahl der Niedriglöhner<br />
beeinflusst<br />
die ostdeutsche<br />
Konjunktur.<br />
© leno2010 - Fotolia.com<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
pro+contra 9<br />
Reiner Holznagel<br />
Präsident des Bundes der<br />
Steuerzahler<br />
Ulrich Kelber<br />
stellv. <strong>Vor</strong>sitzender der<br />
SPD-Bundestagsfraktion<br />
PRO<br />
Seit Jahren fordert der Bund der Steuerzahler einen Komplettumzug<br />
der Bundesregierung nach Berlin. Der Unterhalt der<br />
Doppelstrukturen in Bonn und Berlin ist teuer und ineffizient.<br />
Daher ist die Zeit reif, über zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung<br />
endgültig alle Köpfe und Koffer nach Berlin zu holen.<br />
Kritiker eines Komplett-Umzugs führen ins Feld, dass fünf Milliarden<br />
Euro hierfür nötig wären. Bestätigt haben dies bisher weder<br />
Bundesregierung noch Bundesrechnungshof. Das ist auch<br />
das Manko in der Debatte. Es liegen<br />
keine aussagekräftigen amtlichen Berechnungen<br />
vor. Die regelmäßig veröffentlichten<br />
Teilungskostenberichte<br />
des Bundes schaffen leider keine solide<br />
Basis, denn sie befassen sich nur<br />
mit den jährlich anfallenden Kosten<br />
aufgrund des Status quo. Zugleich haben<br />
die Berichte offensichtliche Defizite,<br />
denn die Trennungskosten werden<br />
nur selektiv und nicht systematisch<br />
gesammelt. Dienstreisen mit Bahn<br />
und Auto etwa werden gar nicht statistisch<br />
erfasst. Auch Flächenmehrbedarf oder Arbeitszeitverluste<br />
durch Pendler bleiben unberücksichtigt. Diese Ausgaben<br />
gehören bei einer umfänglichen Kostenbetrachtung dazu. Zu<strong>dem</strong><br />
sind die erfassten Daten uneinheitlich.<br />
Während das Entwicklungsministerium neun durch die Teilung<br />
belastete Haushaltstitel anführt, meldet das Verteidigungsressort<br />
nur einen. Plausibel ist das nicht. Damit weist die Regierung<br />
teilungsbedingte Kosten lediglich in Höhe von neun Millionen<br />
Euro für dieses Jahr aus. Es liegt auf der Hand, dass diese Angaben<br />
weit unterzeichnet sein dürften. Der Bund der Steuerzahler<br />
schätzt, dass bei einer umfänglichen Betrachtung die Steuerzahler<br />
jährlich mit bis zu 23 Millionen Euro belastet werden.<br />
Das zeigt, dass sich der überfällige Komplett-Umzug nach Berlin<br />
für die Steuerzahler auszahlt. Anlass genug, die Zweiteilung<br />
endlich zu beenden. <br />
CONTRA<br />
Jetzt alle<br />
Ministerien<br />
vom Rhein an<br />
die Spree?<br />
Leuten, die den Umzug aller Ministeriums-Arbeitsplätze nach<br />
Berlin fordern, ist der Zahn, dass damit Geld gespart werden<br />
könnte, schnell gezogen. Der von den Berlin-Fans erfundene Teilungskostenbericht,<br />
den die Bundesregierung jährlich vorlegt,<br />
stellt fest, dass die Ausgaben für die Arbeitsteilung bei deutlich<br />
unter zehn Millionen Euro pro Jahr liegen, Einsparungen<br />
wie die niedrigeren Reisekosten nach Brüssel gar nicht gegengerechnet.<br />
Ein Umzug dagegen würde mindestens fünf Milliarden<br />
Euro kosten.<br />
Eine andere Frage ist, ob die Arbeitsteilung<br />
zwischen Berlin und Bonn arbeitstechnisch<br />
sinnvoll ist. Ich verweise<br />
dann nur darauf, dass die Bundesregierung<br />
für den Teilungskostenbericht<br />
auch die teilungsbedingten Dienstreisen<br />
erfasst: 2011 waren das 20.178, das<br />
bedeutet 1,11 Reisen pro Ministeriumsbeschäftigten<br />
und Jahr. Ein Wanderzirkus,<br />
von <strong>dem</strong> die Umzugsbefürworter<br />
oft sprechen, sieht anders aus.<br />
Welche Funktionen eines Ministeriums<br />
sind denn wirklich so politiknah, dass sie unbedingt in<br />
Berlin angesiedelt sein müssen? Sind die „Länderreferate“ des<br />
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht<br />
besser in Bonn aufgehoben, wo 1.000 UN-Mitarbeiter, rund 30<br />
internationale Organisationen, 150 internationale Nichtregierungsorganisationen<br />
und fast alle relevanten deutschen Entwicklungsorganisationen<br />
ihren Sitz haben? Bonn erbringt als<br />
deutscher UN-Standort, als Stadt der internationalen Zusammenarbeit<br />
vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit, Gesundheit,<br />
Bildung und Sicherheit eine wichtige Dienstleistung für die<br />
ganze Bundesrepublik. Themen, für die es hier Aufmerksamkeit<br />
gibt, die das innenpolitisch dominierte Berliner Regierungsviertel<br />
nicht vorweisen kann. Und es gibt die entscheidende Nähe<br />
zum Nabel Europas, zu Brüssel. Diese trägt nur, wenn Bonn zweites<br />
bundespolitisches Zentrum bleibt. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
10 fragen+antworten<br />
„Wir erhöhen den Druck“<br />
Zum „2. <strong>Ostdeutschen</strong> <strong>Energieforum</strong> – Zukunft für die<br />
Energie“ haben Unternehmerverbände-Sprecher Hartmut<br />
Bunsen (l.) und DIHK-Vizepräsident Klaus Olbricht für<br />
den 29. und 30. April dieses Jahres nach Leipzig eingeladen.<br />
W+M hat beide Veranstalter in Magdeburg getroffen.<br />
W+M: Herr Bunsen, Herr Olbricht,<br />
Sie haben sich vor <strong>dem</strong> Heiligen<br />
Georg - einem Drachentöter - in<br />
der Industrie- und Handelskammer<br />
(IHK) Magdeburg ablichten<br />
lassen. Wollen Sie auf <strong>dem</strong> <strong>Energieforum</strong><br />
Ende April zur Attacke<br />
übergehen?<br />
Klaus Olbricht: Attacke auf wen?<br />
Nein, wir schaffen die Energiewende<br />
in Deutschland gemeinsam<br />
oder wir scheitern gemeinsam.<br />
Das Leipziger Treffen soll<br />
Lösungsansätze aufzeigen. <strong>Vor</strong><br />
<strong>dem</strong> Hintergrund der immensen<br />
Kostensteigerungen müssen<br />
wir einen Weg finden, auf <strong>dem</strong><br />
die Energie für Bürger und Wirtschaft<br />
bezahlbar und sicher bleibt.<br />
Ich freue mich, dass wir wie schon<br />
im vergangenen Jahr hochkarätige<br />
Referenten für das Forum gewinnen<br />
konnten.<br />
Hartmut Bunsen: Wir wollen<br />
selbstverständlich den Druck<br />
auf die Politik noch erhöhen, endlich<br />
ein taugliches Gesamtkonzept<br />
vorzulegen. Deshalb haben<br />
wir auch die zuständigen Bundesminister<br />
Peter Altmaier und<br />
Philipp Rösler eingeladen. Und<br />
sie haben ihr Kommen zugesagt.<br />
Jedes Unternehmen braucht verlässliche<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Und dafür sind nun mal Regierungen<br />
zuständig. Wenn ich mich<br />
heute um einen Auftrag bewerbe,<br />
muss ich Zahlen in das Angebot<br />
schreiben, politische Ankündigungen<br />
reichen da nicht. Und<br />
zwar konkurrenzfähige, belastbare<br />
Zahlen. In Deutschland gehen<br />
die Energiekosten durch die<br />
Decke, die Nachbarländer profitieren<br />
von sinkenden Energiepreisen<br />
an der europäischen Strombörse.<br />
Ganz zu schweigen von den niedrigen<br />
Stromkosten in den USA oder<br />
China.<br />
W+M: Ihre Sorgen teilen laut <strong>dem</strong><br />
„Energiewende-Barometer“ des<br />
Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />
(DIHK) besonders<br />
mittelständische Firmen<br />
und Unternehmen im Osten. Wo<br />
drückt der Schuh am stärksten?<br />
Klaus Olbricht: Der Energiepreis<br />
und die konfuse Energiepolitik<br />
sind unsere größten Sorgenkinder.<br />
Die EEG-Umlage ist in den vergangenen<br />
zehn Jahren um 1.200<br />
Prozent gestiegen. Eine Folge der<br />
Preisexplosion ist zum Beispiel,<br />
dass eine in Mitteldeutschland<br />
geplante energieintensive Anlage<br />
zur Erdölverarbeitung nun in Saudi-Arabien<br />
gebaut wird. Die Investitionen<br />
hier hätten sich auf rund<br />
500 Millionen Euro belaufen. In einigen<br />
Fällen sprechen wir also inzwischen<br />
nicht mehr nur von Investitionszurückhaltung,<br />
sondern<br />
von Produktionsverlagerung! Das<br />
ist ein deutliches Alarmsignal an<br />
die Politik, endlich verlässliche<br />
Rahmenbedingungen zu schaf-<br />
Fotos: Torsten George<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
fragen+antworten 11<br />
fen. Die Energiewende darf nicht<br />
zum politischen Spielball werden.<br />
Hartmut Bunsen: Für Ostdeutschland<br />
kommt noch hinzu, dass die<br />
Unternehmen die höchsten Netznutzungsentgelte<br />
zahlen. Das ist<br />
wie ein 100-Meter-Lauf mit Riesenrucksack.<br />
Nieman<strong>dem</strong> hier ist zu<br />
erklären, warum der Norden und<br />
Osten immer tiefer in die Tasche<br />
greifen sollen für die Durchleitung<br />
von Windstrom, der im Süden Turbinen<br />
und Maschinen antreibt.<br />
W+M: Sie haben eingangs Sicherheit<br />
als ein Erfolgskriterium für<br />
Energiewende genannt. Wächst<br />
die Gefahr von Blackouts?<br />
Klaus Olbricht: Aus meiner Sicht<br />
ja. Wir haben ja über das DIHK-Barometer<br />
die Anzahl der Stromausfälle<br />
erfragt, auch die unter drei<br />
Minuten, die statistisch nicht erfasst<br />
werden. Im vergangenen Jahr<br />
Der Energiepreis<br />
und die konfuse<br />
Energiepolitik sind<br />
unsere größten<br />
Sorgenkinder.<br />
Klaus Olbricht,<br />
Präsident der IHK Magdeburg,<br />
ist Geschäftsführer der EMB Elektromotoren<br />
und Gerätebau GmbH<br />
Barleben, die fast nur für den<br />
Export produziert.<br />
waren davon 15 Prozent der Unternehmen<br />
in der Bundesrepublik<br />
betroffen. Die „Netzwischer“ können<br />
zu Ausfällen führen und immense<br />
Kosten verursachen. Für<br />
mich steht nicht die Frage, ob es<br />
zu einem Blackout kommt, sondern<br />
wann.<br />
Hartmut Bunsen: Ich war dieser<br />
Tage in Berlin beim Übertragungsnetzbetreiber<br />
50Hertz Transmission.<br />
Wir freuen uns, dass Boris<br />
Schucht im Rahmen eines Impulsreferates<br />
diese Problematik sicher<br />
aufgreifen wird. In <strong>dem</strong> Gespräch<br />
wurde wieder einmal deutlich,<br />
dass der Netzausbau immer mehr<br />
<strong>dem</strong> Ausbau der Erneuerbaren<br />
Energien hinterherhinkt. Wenn<br />
die Entwicklung so weiter läuft,<br />
sind Blackouts programmiert.<br />
W+M: In der Bundesregierung sind<br />
mehrere Ressorts für die Energiewende<br />
zuständig, es gibt darüber<br />
hinaus 16 Landesregierungen, die<br />
eigene Pläne schmieden. Liegt da<br />
der Hase im Pfeffer?<br />
Hartmut Bunsen: Ja, ganz sicher.<br />
Es braucht unbedingt eine länderübergreifende<br />
Koordination, eine<br />
zentrale Stelle, an der die Fäden<br />
zusammenlaufen.<br />
W+M: Ein Energieministerium?<br />
Klaus Olbricht: Meinetwegen<br />
ein Energieministerium. Aber es<br />
kommt nicht darauf an, wie das<br />
Kind heißt, sondern darauf, dass<br />
wir diese zentrale Koordinierungsstelle<br />
haben.<br />
W+M: In Ihrer Einladung nennen<br />
Sie das <strong>Energieforum</strong> eine „Denkfabrik“<br />
von Wirtschaft, Wissenschaft<br />
und Politik. Auf der vorjährigen<br />
Veranstaltung (W+M<br />
berichtete) überwogen die Klagen<br />
und Warnungen – Fortsetzung<br />
folgt?<br />
Klaus Olbricht: Da habe ich eine<br />
ganz andere Wahrnehmung. Im<br />
vergangenen Jahr wurde nicht gejammert<br />
und geklagt, sondern es<br />
wurden <strong>Vor</strong>schläge unterbreitet<br />
Die Energiewende<br />
braucht eine<br />
länderübergreifende<br />
Koordination.<br />
Hartmut Bunsen,<br />
Präsident des Unternehmerverbandes<br />
Sachsen, ist Geschäftsführer<br />
der mp Messeprojekt<br />
Leipzig GmbH, des größten Messebauers<br />
Ostdeutschlands.<br />
und konkrete Forderungen erhoben.<br />
Offenbar nicht ganz folgenlos.<br />
Wir haben jetzt eine intensivere<br />
Diskussion zur Begrenzung der<br />
Ausbaukosten erneuerbarer Energien.<br />
Der Bundesumweltminister<br />
Altmaier erkennt nun an, dass das<br />
Erneuerbare-Energien-Gesetz als<br />
Förderinstrument ausgedient hat.<br />
Ob diese Debatte zu einer nachhaltigeren<br />
Energiepolitik führt, wird<br />
die Zukunft zeigen.<br />
Hartmut Bunsen: Sowohl die Interessengemeinschaft<br />
der ostdeutschen<br />
Unternehmerverbände und<br />
Berlins als auch die entsprechenden<br />
Landesarbeitsgemeinschaften<br />
der Industrie- und Handelskammern<br />
(IHK) plädieren dafür,<br />
das Forum als jährliche Veranstaltung<br />
zu etablieren. Schließlich ist<br />
die Energiewende eine Aufgabe<br />
für Jahrzehnte.<br />
Fragen: Helfried Liebsch <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
12 fragen+antworten<br />
Energiewende – sauber,<br />
sicher und bezahlbar?<br />
Wenn Ende April in Leipzig an die 600 Firmenlenker, Wissenschaftler<br />
und Spitzenpolitiker zum „<strong>Ostdeutschen</strong> <strong>Energieforum</strong><br />
2013“ zusammenkommen, dann nicht von ungefähr. Die<br />
Mehrheit der Unternehmer sieht die Energiewende skeptisch.<br />
Im <strong>Vor</strong>feld der Denkfabrik hat W+M unter namhaften Wende-<br />
Akteuren eine Umfrage gestartet. Hier die – redaktionell<br />
gekürzten – Antworten auf unsere Fragen.<br />
1. Wie sind Konstruktionsfehler der Energiewende zu beheben?<br />
2. <strong>Vor</strong> welchen nächsten Schritten sehen Sie die neuen Länder?<br />
3. Was steht für mittelständische Firmen jetzt auf der Agenda?<br />
3. Mittelständische Firmen kommen<br />
größtenteils nicht in den Genuss des Privilegs<br />
der Befreiung von der EEG-Umlage.<br />
Die Herausforderungen an die Gleichseitigkeit<br />
des Energie-Zieldreiecks: Umweltund<br />
Klimaschutz, Versorgungssicherheit<br />
und Wettbewerbsfähigkeit sind hier besonders<br />
groß. Am 1. März 2013 hat die<br />
Bundesregierung mit <strong>dem</strong> Start von Regionaldialogen<br />
der „Mittelstandsinitiative<br />
Energiewende“ das Thema Energieeffizienz<br />
in mittelständischen Unternehmen<br />
in den Fokus gerückt. Dabei kündigte<br />
Bundesumweltminister Altmaier an,<br />
Unternehmen bei der Findung von Einsparpotenzialen<br />
und Energieeffizienzmaßnahmen<br />
zu unterstützen. Für mittelständische<br />
Firmen werden in Zukunft<br />
verstärkt Information, Beratung und Qualifizierung<br />
zu Fragen der Energieeinsparung<br />
und Energieeffizienz im Unternehmen<br />
auf der Agenda stehen.<br />
Erfolg nur gemeinsam<br />
Dr. Reiner<br />
Haseloff<br />
Ministerpräsident<br />
des Landes<br />
Sachsen-Anhalt<br />
1. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die<br />
Energiewende als solche keine Konstruktion<br />
aus gegebenen Bauteilen ist,<br />
vielmehr stellt sie ein Gefüge aus dynamischen<br />
Prozessen und Entwicklungen<br />
dar. Diese Prozesse begannen mit<br />
der Liberalisierung der Energiemärkte<br />
und gewannen durch Entwicklungen<br />
auf EU- und Bundesebene an Fahrt.<br />
Die Energiewende ist ein gewaltiges Infrastrukturprojekt,<br />
in deren Gestaltung<br />
und Umsetzung Politik, Wirtschaft und<br />
Gesellschaft eingebunden sind und das<br />
erhebliche Investitionen in erneuerbare<br />
Energien, Netzausbau, Speicher, Reserven,<br />
Forschung und Entwicklung erfordert.<br />
Den Herausforderungen der Energiewende<br />
kann begegnet werden, in<strong>dem</strong><br />
z. B. die Förderung der erneuerbaren<br />
Energien effektiver gestaltet wird und<br />
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich<br />
weiter gemeinsam für die Entwicklung eines<br />
effizienten Gesamtsystems aus Erzeugungs-,<br />
Übertragungs- und Verbrauchskapazitäten<br />
einsetzen, das <strong>dem</strong> Zieldreieck<br />
einer sicheren, sauberen und bezahlbaren<br />
Energieversorgung gerecht wird.<br />
2. In den neuen Ländern bündeln sich die<br />
Herausforderungen an den Netzausbau,<br />
an die Systemintegration der erneuerbaren<br />
Energien und Klimaschutzvorgaben<br />
bei gleichzeitiger Sicherstellung des Erhalts<br />
der Wettbewerbsfähigkeit der zum<br />
großen Teil energieintensiven Wirtschaft.<br />
Die neuen Länder werden sich auch weiterhin<br />
auf Bundesebene für verlässliche<br />
Rahmenbedingungen für Investoren in<br />
allen Bereichen der Energiewirtschaft<br />
und regionalen Wirtschaft einsetzen, um<br />
die Wirtschaftskraft und Versorgungssicherheit<br />
in den Ländern zu sichern. Aber<br />
natürlich haben wir nicht nur die Unternehmen<br />
im Blick. Die Energiekosten dürfen<br />
auch für die Bürgerinnen und Bürger<br />
nicht über Gebühr steigen.<br />
Chancen fest im Blick<br />
Jürgen Trittin<br />
<strong>Vor</strong>sitzender der Fraktion<br />
Bündnis 90/Die<br />
Grünen im Deutschen<br />
Bundestag<br />
1. Die Energiewende funktioniert im Wesentlichen<br />
gut. Inzwischen werden über<br />
20 Prozent des Stromverbrauchs von erneuerbaren<br />
Energien gedeckt. Obwohl<br />
acht Atomkraftwerke still gelegt wurden,<br />
exportierten wir im letzten Jahr mehr<br />
Strom ins Ausland als jemals zuvor. Die<br />
Kosten der Energiewende wurden aber<br />
immer ungleichmäßiger verteilt. Während<br />
2006 lediglich etwa 260 Unternehmen<br />
von der EEG-Umlage befreit waren,<br />
werden es dieses Jahr fast 2.000 sein. Daneben<br />
führt der sinkende Börsenstrompreis<br />
zu einem Ansteigen der EEG-Umlage.<br />
Die sinkenden Einkaufspreise werden<br />
aber nicht an die Endkunden weitergegeben.<br />
Versäumt wurde in den letzten Jahren<br />
auch, sich über die Zukunft unseres<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
fragen+antworten 13<br />
© zentilia - Fotolia.com<br />
Strommarktes Gedanken zu machen.<br />
Zu Fragen wie Kapazitätsmärkten oder<br />
Strommarktdesign schweigt die Bundesregierung.<br />
Hier muss dringend geklärt<br />
werden, wie man einen Markt schafft,<br />
auf <strong>dem</strong> die erneuerbaren Energien reelle<br />
Wettbewerbsmöglichkeiten haben. Einen<br />
enormen Nachholbedarf gibt es aber<br />
bei der Energieeffizienz und <strong>dem</strong> Energiesparen.<br />
Gerade in der energetischen<br />
Gebäudesanierung liegt viel Potential für<br />
Handwerk und Mittelstand. Leider hat die<br />
Bundesregierung nicht die notwendigen<br />
Fördermittel zur Verfügung gestellt.<br />
2. Die neuen Länder können kaum von<br />
der fossilen und atomaren Energieerzeugung<br />
profitieren. Ein Großteil dieser Kapazitäten<br />
steht in Westdeutschland. Die<br />
neuen Länder können aber diesen Nachteil<br />
in einen <strong>Vor</strong>teil verwandeln, in <strong>dem</strong><br />
sie die Energiewende als Chance nutzen,<br />
Marktsegmente für sich zu erobern. Bisher<br />
hat Ostdeutschland überproportional<br />
von der Energiewende profitieren können.<br />
Diese Stellung gilt es auszubauen.<br />
3. Mittelständische Unternehmen haben<br />
bisher überproportional von der Energiewende<br />
profitiert. Ein Großteil der Anlagen<br />
und Anlagenteile werden hier hergestellt.<br />
Ihren Marktvorteil, was Flexibilität und<br />
Innovation angeht, haben mittelständische<br />
Unternehmen in der Vergangenheit<br />
nutzen können. Die erneuerbaren Energien<br />
führen zu einer größeren Dezentralität<br />
und vermeiden die Konzentration auf wenige<br />
Großanlagen. Hier haben mittelständische<br />
Unternehmen gegenüber Großkonzernen<br />
einen klaren Marktvorteil.<br />
Der Osten geht voran<br />
Carl-Ernst<br />
Giesting<br />
<strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />
envia Mitteldeutsche<br />
Energie AG<br />
1. Bei der Energiewende wurde aber vernachlässigt,<br />
dass der ungebremste Zubau<br />
der Erneuerbaren die Netze und den<br />
Strommarkt grundsätzlich vor immense<br />
Herausforderungen stellt. Ganz oben auf<br />
der Agenda steht daher die Reform des<br />
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)<br />
mit <strong>dem</strong> Ziel der Marktintegration. Der<br />
eingespeiste Strom sollte nur dann vergütet<br />
werden, wenn er gebraucht wird.<br />
Die Förderung muss zu<strong>dem</strong> deutlich effizienter<br />
werden. Eine Harmonisierung<br />
auf EU-Ebene ist ebenso notwendig. Ein<br />
damit einhergehendes neues Marktdesign<br />
muss aber auch Investitionen in<br />
konventionelle Kraftwerke ermöglichen.<br />
Denn nur ein ausgewogener Energiemix<br />
schafft Versorgungssicherheit. Schlussendlich<br />
benötigen wir eine Energiewende<br />
aus einem Guss. Die Energiekonzepte<br />
von Bund und Ländern sind nicht aufeinander<br />
abgestimmt.<br />
2. In Ostdeutschland werden Entwicklungen<br />
vorweg genommen, die sich erst in<br />
zehn bis 20 Jahren für ganz Deutschland<br />
zeigen werden. Zum einen übertreffen<br />
wir schon heute das deutsche Ökostromziel<br />
von 50 Prozent für 2030. Zum anderen<br />
ist der ländliche Raum in Ostdeutschland<br />
kein Lastschwerpunkt. Die Netze<br />
müssen hier überdurchschnittlich ausgebaut<br />
werden, vor allen in den Verteilnetzen.<br />
Unsere daraus resultierenden hohen<br />
Netzentgelte werden zunehmend zu<br />
einem Standort- und Wettbewerbsnachteil.<br />
Für die ostdeutschen Bundesländer<br />
ist es daher wichtig, dass sie bei der Energiewende<br />
mit einer Stimme sprechen und<br />
abgestimmt vorgehen. Wir brauchen vor<br />
allem eine Synchronisierung des Netzausbaus<br />
mit <strong>dem</strong> Zubau von EEG-Anlagen.<br />
Und wir müssen gemeinsame Anstrengungen<br />
unternehmen, dass die Entsolidarisierung<br />
und ungleiche Lastenverteilung<br />
bei den Netzentgelten aufgehalten wird.<br />
3. Angesichts steigender Energiepreise<br />
besteht für kleine und mittlere Unternehmen<br />
keine Alternative zu mehr Energieeffizienz.<br />
Hier sind bei weitem noch nicht<br />
alle Potentiale ausgeschöpft. Ein sparsamer<br />
Umgang mit Energie verbessert die<br />
Kosten- und damit die Wettbewerbssituation.<br />
Gefragt sind dezentrale, effiziente<br />
und intelligente Energiekonzepte für den<br />
Mittelstand. Wir stehen hier gern als Partner<br />
bereit.<br />
Wärme und Mobilität<br />
Dr. Karsten<br />
Heuchert<br />
<strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />
der VNG –<br />
Verbundnetz Gas AG<br />
1. Das Jahr 2012 hat gezeigt, dass zwar<br />
die Weichen für die Energiewende gestellt<br />
wurden, aber die Gleise dafür längst noch<br />
nicht verlegt sind. Die Integration erneuerbarer<br />
Energien in das deutsche und europäische<br />
Energiesystem wird weiterhin<br />
eine große Herausforderung sowohl für<br />
die Politik als auch für die Energiewirtschaft<br />
bleiben. Wir sind uns sicher, dass<br />
Erdgas in diesem Energiesystem in den<br />
kommenden Jahren und Jahrzehnten eine<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
14 fragen+antworten<br />
wesentliche Rolle spielen wird. <strong>Vor</strong>aussetzung<br />
dafür ist ein Ordnungsrahmen,<br />
der ausreichend Luft für den Wettbewerb<br />
zwischen den Energieträgern und ihren<br />
Anwendungstechnologien gestattet. Das<br />
heißt auch, dass die Erneuerbaren irgendwann<br />
soweit sein müssen, um sich selbst<br />
am Markt zu behaupten. Energie ist nicht<br />
nur Strom, sondern auch Wärme und Mobilität.<br />
Erdgas spielt dabei eine zentrale<br />
Rolle und macht die Energiewende sozialverträglich,<br />
da Effizienz und Wirtschaftlichkeit<br />
bei Erdgas Hand in Hand gehen.<br />
2. Auch die Bundesländer können zum<br />
Gelingen der Energiewende beitragen,<br />
in<strong>dem</strong> sie länderübergreifende Energiestrategien<br />
entwickeln und umsetzen. Derzeit<br />
hat beinahe jedes Bundesland ein eigenes<br />
Energiekonzept mit individuellen<br />
Prämissen. Energienetze kennen aber<br />
keine Ländergrenzen, ein abgestimmtes<br />
<strong>Vor</strong>gehen ist deshalb eine Grundvoraussetzung<br />
für die Gestaltung des künftigen<br />
Energiemixes.<br />
3. Kleine und mittelständische Unternehmen<br />
(KMU) können zu einer tragenden<br />
Säule der Energiewende werden.<br />
Viele Unternehmen investieren bereits<br />
in energieeffiziente Techniken. Hier ist<br />
die Kraft-Wärme-Kopplung auf Erdgasbasis<br />
im Kommen. Mit eigenen KWK-Anlagen<br />
können sich Industrie- und Gewerbeunternehmen<br />
kostengünstig selbst mit<br />
Strom und Wärme versorgen und dabei<br />
CO2 einsparen. VNG arbeitet daran, der<br />
KWK-Technik zu noch größerer Akzeptanz<br />
zu verhelfen, berät Unternehmen<br />
und unterstützt zusätzlich die Entwicklung<br />
von Kleinstanlagen für den heimischen<br />
Keller.<br />
Ein weiterer Bereich ist die Mobilität. Hier<br />
gibt es mit Erdgas und Bioerdgas schon<br />
heute leistungsstarke Optionen zur CO2-<br />
Reduktion. Dies ist anscheinend auch der<br />
EU-Kommission aufgefallen: Mit ihrem<br />
neuesten Maßnahmenpaket bekennt sie<br />
sich erfreulicherweise zu Erdgas als Kraftstoff.<br />
Die Angebotspalette im Bereich der<br />
Erdgas-Nutzfahrzeuge ist schon heute attraktiv.<br />
Erdgasfahrzeuge emittieren rund<br />
25 Prozent weniger Kohlendioxid als Benziner.<br />
Bioerdgas schneidet noch besser ab<br />
und verursacht sogar bis zu 97 Prozent<br />
weniger CO2.<br />
Neues Marktdesign<br />
Dr. Frank<br />
Büchner<br />
Leiter Region Ost<br />
der Siemens AG<br />
1. Die Energiewende sieht den Umbau<br />
des deutschen Energiesystems in einem<br />
bisher beispiellosen Umfang und einer<br />
noch nie dagewesenen Geschwindigkeit<br />
vor. Damit die Energiewende ein Erfolg<br />
wird, bedarf es grundlegender Korrekturen<br />
am derzeitigen energiewirtschaftlichen<br />
System. Der aktuelle regulatorische<br />
Rahmen stellt kein Wettbewerbsumfeld<br />
dar, auf <strong>dem</strong> sich unter den wichtigen Aspekten<br />
Versorgungssicherheit und Innovationsförderung<br />
die kostengünstigste<br />
Lösung mit fairer Lastenverteilung etablieren<br />
könnte. Eine Neuordnung des deutschen<br />
Strommarkts kann jedoch die richtigen<br />
Investitionssignale an den Markt<br />
und seine Akteure senden. Ein zukunftsfähiges<br />
Strommarktdesign muss auf <strong>dem</strong><br />
Grundsatz aufgebaut sein, dass die Ziele<br />
der Energiewende so marktbasiert und<br />
kosteneffizient wie möglich erreicht werden<br />
sollen.<br />
2. Die neuen Bundesländer starten unter<br />
guten <strong>Vor</strong>aussetzungen, weil das dortige<br />
Energiesystem nach der Wiedervereinigung<br />
bereits modernisiert worden<br />
ist. Die größten Herausforderungen liegen<br />
auch hier im notwendigen Netzausbau<br />
zum Transport der Erneuerbaren. Die<br />
großflächigen Wind- und Solarparks müssen<br />
besser mit den Lastzentren in ganz<br />
Deutschland vernetzt werden. Netzausbau-Projekte<br />
wie die „Thüringer Brücke“<br />
müssen zügig umgesetzt werden. Zu<strong>dem</strong><br />
steht die heimische Solarindustrie derzeit<br />
stark unter Zugzwang, die Kosten schnell<br />
zu reduzieren und Innovationen in den<br />
Markt einzuführen. Neben <strong>dem</strong> weiteren<br />
Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbarer<br />
Energie in fast allen ostdeutschen<br />
Ländern darf auch die Bedeutung<br />
der Stromerzeugung aus Braunkohle als<br />
Brückentechnologie in der Systembetrachtung<br />
nicht vernachlässigt werden.<br />
In den Werften in Warnemünde und Wismar<br />
werden dagegen derzeit die ersten<br />
Offshore-Netzanbindungsplattformen für<br />
die Windparks in der Nordsee gefertigt.<br />
3. Für eine erfolgreiche Energiewende<br />
braucht es aber auch eine effizientere<br />
Nutzung von Energie. Dies ist auch für<br />
die mittelständischen Industrieunternehmen<br />
ein Thema. Denn die größten Einsparpotenziale<br />
liegen bei der Industrie,<br />
© Visions-AD - Fotolia.com<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
fragen+antworten 15<br />
die für 30 Prozent des deutschen Energieverbrauchs<br />
steht. Gefordert sind Lösungen<br />
und Services, um Energieressourcen<br />
effizient zu managen sowie wirtschaftliche<br />
Effizienz und Produktivität mit einer<br />
ökologisch verantwortungsvollen industriellen<br />
Produktion in Einklang zu bringen.<br />
Energieeffizienz ist neben den ökologischen<br />
Aspekten auch ein zentraler<br />
Hebel, um die Wettbewerbsfähigkeit eines<br />
Industrieunternehmens zu steigern.<br />
Die deutsche Industrie wird durch die<br />
energieeffiziente Modernisierung Knowhow<br />
und Technologien aufbauen, die sich<br />
vermarkten lassen.<br />
EEG läuft aus <strong>dem</strong> Ruder<br />
Wolfgang Topf<br />
Präsident der<br />
Industrie- und<br />
Handelskammer<br />
zu Leipzig<br />
1. Die Politik hat das gesamtgesellschaftliche<br />
Projekt Energiewende von Beginn<br />
an unterschätzt. Angesichts der ambitionierten<br />
Ausbauziele hinsichtlich der erneuerbaren<br />
Energien (EE) wurde der zweite<br />
Schritt vor <strong>dem</strong> ersten gemacht: Ohne<br />
die notwendige Netz- und Speicherinfrastrukturkapazitäten<br />
sind die förderungsbedingt<br />
rasant gewachsenen EE-Mengen<br />
in dieser Größenordnung nicht einspeisungsfähig.<br />
Zu<strong>dem</strong> ist das EEG den neuen<br />
Rahmenbedingungen nicht gewachsen.<br />
Diese Punkte führten im Wesentlichen<br />
dazu, dass das System aus <strong>dem</strong> Ruder gelaufen<br />
ist und das EEG-Modell des absoluten<br />
<strong>Vor</strong>rangs erneuerbarer Energien an<br />
die Grenzen seiner Finanzierbarkeit geraten<br />
ist. Um den neuen Anforderungen gerecht<br />
zu werden, wurde am EEG bislang<br />
nur notoperiert. Diese Eingriffe konnten<br />
nicht verhindern, dass der Strompreis –<br />
insbesondere getrieben durch die EEG-<br />
Umlage – in den letzten beiden Jahren<br />
explodiert ist. Auch die aktuell unter der<br />
Überschrift „Strompreisbremse“ vorgeschlagenen<br />
Maßnahmen stellen keine<br />
grundsätzliche Novellierung des EEG<br />
dar. Die Konstruktionsfehler sind nur zu<br />
beheben, wenn alles auf den Prüfstand<br />
kommt und ein echter Neustart unternommen<br />
wird. Das System muss auf mittlere<br />
Sicht ohne Förderung laufen. Um den<br />
Übergang dorthin verträglich zu gestalten,<br />
könnte z. B. von Preis- auf Mengensteuerung<br />
umgestellt werden. Alternativ<br />
könnte die Einspeisevergütung für Produzenten<br />
zugunsten eines zeitlich begrenzten<br />
Preisnachlasses für Konsumenten erneuerbarer<br />
Energien ersetzt werden. Eine<br />
Senkung der Stromsteuer sollte noch in<br />
der laufenden Legislaturperiode auf den<br />
Weg gebracht werden.<br />
2. Die neuen Länder stehen vor der Aufgabe<br />
– wie die übrigen Bundesländer<br />
auch – die Umsetzung der Energiewende<br />
mit <strong>dem</strong> Bund, untereinander und im<br />
eigenen Land selbst zu koordinieren. Planungsrechtliche<br />
<strong>Vor</strong>gaben und Ausbauziele<br />
sollten möglichst harmonisiert werden.<br />
Nur so kann das Projekt im ganzen<br />
Land erfolgsversprechend umgesetzt werden,<br />
ohne dass es zu Verzögerungen bei<br />
bundesländerübergreifenden Projekten<br />
(Netzausbau) kommt. So bilden z. B. im<br />
Freistaat Sachsen das Energie- und Klimaprogramm<br />
sowie der noch zu beschließende<br />
Landesentwicklungsplan 2012 den<br />
Rahmen.<br />
3. In erster Linie sollte in je<strong>dem</strong> KMU ein<br />
Energiemanagement fest verankert sein,<br />
sie sollten zumindest über einen Energiebeauftragten<br />
verfügen. Nur etwa ein Drittel<br />
der KMU ergreift regelmäßig Energieeffizienzmaßnahmen<br />
– es gibt es noch<br />
viel ungenutztes Potenzial. Angefangen<br />
von der Beleuchtung über Druckluft bis<br />
hin zu Lastmanagement, effizienteren<br />
Produktionsverfahren oder Selbstversorgung<br />
durch Eigenerzeugung. Aber<br />
auch bei der Energiebezugsoptimierung<br />
besteht Handlungsbedarf. Die IHK berät<br />
die Unternehmen dabei.<br />
Strombörse klug nutzen<br />
Dr. Dr. Tobias<br />
Paulun<br />
Börsengeschäftsführer<br />
der European<br />
Energy Exchange und<br />
Mitglied des <strong>Vor</strong>stands<br />
der europäischen<br />
Strombörse<br />
1. Wir als EEX sind der Auffassung, dass<br />
der Energiemarkt in zweifacher Hinsicht<br />
eines ganzheitlichen Marktdesigns bedarf:<br />
Zum einen brauchen wir eine noch<br />
weitergehende Europäisierung des Energiehandels,<br />
anstatt vieler Alleingänge.<br />
Nationales Autarkiedenken behindert einen<br />
funktionierenden Markt. Die jeweiligen<br />
Marktgebiete haben oftmals sehr<br />
unterschiedliche Eigenschaften, sowohl<br />
hinsichtlich der Erzeugungskapazitäten<br />
als auch der Zeitpunkte des Auftretens<br />
maximaler Nachfrage. Hierin besteht ein<br />
enormes Potenzial für einen effizienten,<br />
gesamteuropäischen Markt. Der zweite<br />
Aspekt eines ganzheitlichen Marktdesigns<br />
besteht in der gleichwertigen Integration<br />
der unterschiedlichen Erzeugungsarten.<br />
Auch für erneuerbare Energien<br />
sollten die Preissignale des Spotmarkts<br />
wirksam sein, da diese am besten Angebot<br />
und Nachfrage im europäischen<br />
Strommarkt koordinieren können.<br />
2. Die neuen Länder müssen sich derzeit<br />
in besonderem Maße <strong>dem</strong> Ausbau der Versorgungsnetze<br />
stellen. Als Verbindung<br />
zwischen Windstromproduktion im Norden<br />
und den energieintensiven Produktionszentren<br />
im Süden der Republik trägt<br />
insbesondere Mitteldeutschland eine besondere<br />
Verantwortung. Die Schwierigkeiten<br />
beim Ausbau der Thüringer Strombrücke<br />
zeigen, dass die Anstrengungen<br />
im Netzausbau noch weiter intensiviert<br />
werden müssen.<br />
3. Das Thema Speichermedien ist auch für<br />
innovationsstarke Mittelständler ein ansprechendes<br />
Geschäftsfeld. Ein weiteres<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
16 fragen+antworten<br />
Potenzial sehen wir, gerade bei Produktionsbetrieben,<br />
auch in der Flexibilisierung<br />
des Stromverbrauchs: <strong>dem</strong> sogenannten<br />
Demand-Side-Management. Hier bestehen<br />
viele Möglichkeiten, die schwankenden<br />
Strompreise auszunutzen, etwa<br />
in<strong>dem</strong> geprüft wird, ob besonders energieintensive<br />
Arbeitsvorgänge nicht in erzeugungsstarken<br />
Zeitspannen mit niedrigen<br />
Strompreisen durchgeführt werden<br />
können.<br />
Hin und her belastet<br />
Antje<br />
Hermenau<br />
<strong>Vor</strong>sitzende der<br />
Fraktion Bündnis 90/<br />
Die Grünen im sächsischen<br />
Landtag<br />
1. Wir brauchen ein neues Marktdesign,<br />
das auf Dauer ohne direkte und indirekte<br />
Subventionen auskommt. Umweltschäden<br />
und andere versteckte externe Kosten<br />
müssen endlich verursachergerecht eingepreist<br />
und der europäische Emissionshandel<br />
überarbeitet werden. Die unnötig<br />
verschenkten Zertifikate aus den Anfangsjahren<br />
müssen vom Markt. Die Verantwortung<br />
für die Versorgungssicherheit sollte<br />
von den Netzbetreibern auf die Vertragsbeziehung<br />
zwischen Energieverkäufer und<br />
Kunde übertragen werden. Dann werden<br />
auch Anreize gesetzt für gasbetriebene Regelkraftwerke,<br />
Lastmanagement und Speicher,<br />
die flexibel zu- und abschaltbar sind,<br />
um Schwankungen bei der Erzeugung<br />
von erneuerbaren Energien auszugleichen.<br />
Stadtwerke werden in diesem neuen<br />
Markt eine wichtigere Rolle spielen als<br />
derzeit. Kurzfristig können die Strompreise<br />
um ein bis zwei Cent je Kilowattstunde<br />
gesenkt werden durch das Zurückfahren<br />
der Privilegien für energieintensive Industrien,<br />
die Rücknahme der Haftungsumlage<br />
für Offshore-Windparks, die Weitergabe<br />
der gesunkenen Börsenstrompreise an<br />
alle Endkunden und die Befreiung des EEG<br />
von kostentreibenden Faktoren.<br />
2. Der schrittweise Ausstieg aus der<br />
Braunkohle muss in den betroffenen Regionen<br />
sozial verträglich gestaltet werden.<br />
Vattenfall stellt schon jetzt Kraftwerke<br />
zum Verkauf. Arbeitskräfte werden frei<br />
und Zulieferer brauchen eine neue Perspektive.<br />
Ich plädiere für den Ausbau der<br />
erneuerbaren Energien auf kommunaler<br />
Ebene zur Selbstversorgung und als<br />
Einnahmequelle. Außer<strong>dem</strong> sind das Arbeitsplätze<br />
und Wertschöpfung in der Region.<br />
Die ostdeutschen Kohlekraftwerke<br />
werden bald nicht mehr gebraucht. Je<br />
mehr Strom aus unterschiedlichen regenerativen<br />
Quellen in das System eingespeist<br />
werden, desto weniger unflexible<br />
Grundlastkraftwerke können noch sinnvoll<br />
betrieben werden. Die Stabilität des<br />
Stromnetzes hängt nicht am Grundlaststrom<br />
und wird in dezentralen Energiesystemen<br />
durch intelligente Technik und<br />
flexible Kapazitäten bereitgestellt.<br />
3. Die Energiewende bietet große Chancen<br />
von Energietechnologiefirmen und<br />
der Chemieindustrie bis zum Handwerk.<br />
<strong>Vor</strong>aussetzung für den Erfolg ist neben<br />
der zuverlässigen Energieversorgung,<br />
dass die Kosten für die Unternehmen<br />
und für jeden Einzelnen kalkulierbar und<br />
vertretbar bleiben. Dafür braucht es verlässliche<br />
Rahmenbedingungen. Debatten<br />
über rückwirkende Änderungen von Vergütungsregeln,<br />
ständig wechselnde Förderprogramme<br />
sowie das Hin und Her im<br />
Steuerrecht erzeugen Unsicherheit und<br />
erschweren belastbare Planungen.<br />
Milliarden investiert<br />
Thomas Prauße<br />
<strong>Vor</strong>sitzender der<br />
Geschäftsführung der<br />
Stadtwerke Leipzig<br />
1. Die Entwicklung der erneuerbaren<br />
Energien geschieht in einem sehr dynamischen<br />
Umfeld, an das sich die Gesetzgebung<br />
kontinuierlich und ebenso<br />
dynamisch anpassen muss. Damit die<br />
energiepolitischen Ziele Deutschlands erreicht<br />
werden können, wurden Weichenstellungen<br />
vorgenommen. Die entscheidende<br />
Rolle der Kraft-Wärme-Kopplung<br />
als Effizienztechnologie hat der Gesetzgeber<br />
anerkannt. Dennoch zeichnet sich am<br />
Markt derzeit ein anderes Bild ab. Durch<br />
den Merit Order Effekt werden umweltfreundliche<br />
Gaskraftwerke vom Markt<br />
gedrängt. Das kann nicht der Sinn der<br />
Energiewende sein. Der Zubau der erneuerbaren<br />
Energien sollte daher kontrollier-<br />
Foto: © BerlinStock - Fotolia.com / VNG/ Michæl Fahrig<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
fragen+antworten 17<br />
ter erfolgen, als es der Fall ist. Eine weitere<br />
Möglichkeit ist es, die Verursacher<br />
des Klimawandels stärker an der Finanzierung<br />
zu beteiligen. Eine dauerhafte Stabilisierung<br />
der CO2-Preise würde zu<strong>dem</strong><br />
zu einer Verschiebung der Merit Order<br />
zugunsten von effizienten Gaskraftwerken<br />
und KWK-Anlagen führen. Ein integriertes<br />
Energiemarktdesign sollte deshalb<br />
folgende Schwerpunkte enthalten:<br />
den Ausbau der flexiblen und dezentralen<br />
Erzeugung, einen bedarfsgerechten Netzausbau,<br />
die großtechnische Nutzung von<br />
Speichertechnologien und anderen Flexibilisierungsoptionen<br />
sowie die Marktintegration<br />
der erneuerbaren Energien.<br />
2. Bund und Länder haben bisher noch<br />
keine konkreten Lösungen für Netzausbau<br />
und Versorgungssicherheit gefunden.<br />
Die neuen Bundesländer haben aber eine<br />
gute Ausgangslage, da hier in den vergangenen<br />
beiden Jahrzehnten Milliarden in<br />
neue, umweltfreundliche Erzeugungsanlagen<br />
und in die Netze investiert wurde.<br />
Die hohen Investitionskosten spiegeln<br />
sich jedoch in den Netzentgelten wider.<br />
Hinzu kommt, dass Haushalts- und Gewerbekunden<br />
in den neuen Ländern weniger<br />
Energie verbrauchen als in vergleichbaren<br />
westdeutschen Regionen.<br />
Dadurch sind die spezifischen Kosten je<br />
übertragener Kilowattstunde und letztlich<br />
die Netzentgelte höher als in vielen<br />
anderen Regionen Deutschlands. Die geringere<br />
Bevölkerungsdichte und der notwendige<br />
Netzausbau verstärken diese<br />
Wirkung.<br />
3. Um den steigenden Energiekosten zu begegnen,<br />
prüfen KMU verstärkt, welche ökonomischen<br />
<strong>Vor</strong>teile sich durch Energieeffizienzmaßnahmen<br />
ergeben. Mit Hilfe von<br />
Energiedienstleistungen wie der Effizienzanalyse<br />
und <strong>dem</strong> Entwickeln von Energiekonzepten<br />
lassen sich hohe Kosteneinsparungen<br />
erzielen. Mögliche Maßnahmen<br />
reichen vom Energieaudit über Lichtcontracting<br />
bis hin zur dezentralen Erzeugung.<br />
Der Einsatz von Eigenerzeugungsanlagen<br />
wie zum Beispiel Blockheizkraftwerken erfordert<br />
eine kompetente Unterstützung.<br />
Der Riese schläft noch<br />
Matthias<br />
Machnig<br />
Minister für Wirtschaft,<br />
Arbeit und Technologie<br />
des Freistaats<br />
Thüringen<br />
1. Deutschland braucht ein koordiniertes<br />
<strong>Vor</strong>gehen um Versorgungssicherheit,<br />
neue Erzeugungskapazitäten bei den erneuerbaren<br />
Energien, den Ausbau von<br />
Speichertechnologien und den Netzausbau<br />
voranzubringen. <strong>Vor</strong>aussetzung dafür<br />
ist ein Energieministerium, das alle<br />
Fäden rund um die Energiewende zusammenhält<br />
und einen Masterplan aufstellt,<br />
der Stück für Stück abgearbeitet wird.<br />
Eine Aufsplittung unter sechs Ministerien,<br />
wie wir sie zurzeit erleben, bedeutet,<br />
dass sich sechs Häuser mit widerstreitenden<br />
Interessen gegenseitig blockieren.<br />
Die Energiewende ist ein Jahrhundertprojekt,<br />
das auf höchstem Niveau organisiert<br />
und für das in Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft geworben werden muss.<br />
Sie eröffnet ganz neue Spielräume, ermöglicht<br />
zum Beispiel Gemeinden, eine eigene<br />
Stromversorgung aufzubauen und<br />
von der Wertschöpfung zu profitieren.<br />
Deutschland kann bei der Energiewende<br />
<strong>Vor</strong>reiter für andere Länder sein.<br />
2. Energie- und Umwelttechnologien sowie<br />
GreenTech sind die Wachstumsbranchen<br />
der Zukunft. Unser Thüringer Trendatlas<br />
2020 zählt diese beiden Branchen<br />
zu den elf Wachstumsbranchen mit überdurchschnittlichen<br />
Wachstums- und Beschäftigungspotenzialen.<br />
Ein Wachstum<br />
von bis zu 1,4 Milliarden Euro wäre auf<br />
diesen beiden Feldern bis 2020 möglich.<br />
Hier liegen große Chancen für die neuen<br />
Länder, ein eigenes Profil zu entwickeln:<br />
Sie sollten in den kommenden Jahren versuchen,<br />
ihre Schwerpunkte auf diese Gebiete<br />
zu legen.<br />
Die <strong>Vor</strong>aussetzungen sind ja gut: Ostdeutschland<br />
hat eine moderne Solarbranche,<br />
die als solche ausgebaut und gestärkt<br />
werden muss. In Thüringen habe<br />
ich den Solarunternehmen zum Beispiel<br />
mit einem 1000-Dächer-Programm Rückenwind<br />
gegeben. Dieses Programm ist<br />
ein Renner. Auch unterstützen wir die<br />
Verzahnung von Forschung und Wirtschaft.<br />
Dazu zählt der Aufbau eines<br />
GreenTech-Campus in Hermsdorf für die<br />
wirtschaftsnahe Forschung durch das<br />
Fraunhofer-Institut. Ziel des Institutes<br />
ist, Forschungsergebnisse schnell in Anwendungen<br />
und Produkte zu überführen<br />
und damit ein bundesweit bedeutsames<br />
Zentrum der Energie- und Umwelttechnik<br />
zu schaffen. Am selben Standort ist ein<br />
Brennstoffzellentechnikum in Planung.<br />
3. Kosten sparen und gleichzeitig einen<br />
Beitrag leisten zur Energiewende - Unternehmen<br />
können zum Beispiel in die eigene<br />
Energieeffizienz investieren. Hier<br />
habe ich in Thüringen eine Energieeffizienzoffensive<br />
gestartet, die mittelständische<br />
Unternehmen bei der Überprüfung<br />
ihres Energieverbrauchs, bei Beratung<br />
und technologischer Umrüstung finanziell<br />
unterstützt. Die Energieeffizienz ist<br />
der schlafende Riese der Energiewende,<br />
der jetzt geweckt werden muss.<br />
Akzeptanz als Problem<br />
Boris Schucht<br />
<strong>Vor</strong>sitzender der<br />
Geschäftsführung<br />
50Hertz<br />
Transmission GmbH<br />
1. Die Umsetzung der Energiewende<br />
wird nur erfolgreich sein, wenn die Akzeptanz<br />
in der Bevölkerung für dieses große<br />
industriegeschichtliche Reformprojekt<br />
weiterhin gegeben ist. Diese grundlegende<br />
Akzeptanz kann nur aufrechterhalten<br />
werden, wenn die Stromversorgung auch<br />
künftig durch ein hohes Maß an Versor-<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
18 fragen+antworten<br />
gungssicherheit bei bezahlbaren Preisen<br />
gekennzeichnet ist. Hierzu ist eine ganze<br />
Reihe von Maßnahmen nötig, die von einer<br />
grundlegenden Reform des EEG und<br />
der Systemintegration der Erneuerbaren<br />
über ein neues Marktdesign und gegebenenfalls<br />
eine neue Netzentgeltsystematik<br />
bis hin zu konkreten Fortschritten bei<br />
Netzausbau und Speicherung reichen. Bei<br />
all <strong>dem</strong> muss die Zivilgesellschaft mitgenommen<br />
werden durch frühzeitige Information<br />
und Einbindung. Etwas mehr Zeit,<br />
mehr Abstimmung und mehr Synchronisation<br />
zwischen EEG- und Infrastrukturausbau<br />
wären elementar wichtig, um die<br />
Stromversorgung sicher und bezahlbar<br />
zu halten und damit die gesellschaftliche<br />
Akzeptanz aufrechtzuerhalten.<br />
2. Die neuen Länder sind der Motor bei<br />
der Umsetzung der Energiewende. Beispiel:<br />
Von den rund 98 Terawattstunden<br />
Stromverbrauch in unserem Netzgebiet,<br />
also den neuen Ländern sowie Berlin und<br />
Hamburg, sind bereits rund 35 Prozent<br />
aus erneuerbaren Quellen gewonnen.<br />
Damit ist das Klimaziel der Bundesrepublik,<br />
bis 2020 den EEG-Anteil am Stromverbrauch<br />
bundesweit auf 35 Prozent zu<br />
bringen, zwischen Kap Arkona und Erzgebirge<br />
bereits in 2012 erreicht worden.<br />
Eine Erfolgsstory! Nun gilt es, den Infrastrukturausbau<br />
rasch voranzutreiben, um<br />
diese, nach wie vor wachsenden erneuerbaren<br />
Energien auch weiterhin zu nutzen.<br />
Hier gibt es an mancher Stelle Beschleunigungsbedarf,<br />
gesetzlich ist aber eine ganze<br />
Menge Positives auf den Weg gebracht<br />
worden. Und auch 50Hertz hat 2012 beim<br />
Netzaus- und -umbau große Fortschritte<br />
gemacht, wie die Inbetriebnahme der<br />
Nordleitung zwischen Schwerin und<br />
Hamburg gezeigt hat. Wichtig für die Zukunft<br />
wird sein, dass die Bundesländer<br />
insgesamt in ihren Ausbauzielen bei den<br />
regenerativen Energien – gemeinsam mit<br />
<strong>dem</strong> Bund – koordiniert vorgehen. Angesichts<br />
der in den neuen Ländern höheren<br />
Netzentgelte gilt es, für eine faire<br />
deutschlandweite Verteilung der Kosten<br />
zu sorgen. Es kann nicht sein, dass die Regionen,<br />
in denen die Energiewende am erfolgreichsten<br />
umgesetzt wird, durch höhere<br />
Netzentgelte noch belastet werden.<br />
3. Wichtig für einen möglichst reibungslosen<br />
Wirtschaftsablauf – nicht nur im<br />
Mittelstand – ist es energiewirtschaftlich,<br />
das hohe Gut der Versorgungssicherheit<br />
auch weiterhin zu gewährleisten.<br />
Deutschland war hier in der Vergangenheit<br />
spitze und soll es auch bleiben. Zweitens<br />
müssen die Strompreise und – als<br />
Teil dessen – auch die Netzentgelte im<br />
Rahmen bleiben. 50Hertz wird hierfür<br />
eintreten, und ich bin mir sicher, dass<br />
andere mittelständischen Unternehmen<br />
dies ebenfalls sehr wirkungsvoll und<br />
nachhaltig tun werden. <br />
Dr. Philipp<br />
Rösler<br />
Bundesminister<br />
für Wirtschaft und<br />
Technologie<br />
Die Energiewende ist ein Jahrhundertprojekt,<br />
denn es geht um den Aufbau eines<br />
komplett neuen Energiesystems bis<br />
2050. Nach fast zwei Jahren lautet die Zwischenbilanz:<br />
Die Energiewende ist auf gutem<br />
Kurs, die Bundesregierung ist in den<br />
zentralen Handlungsfeldern entscheidend<br />
vorangekommen. Wir haben die Rahmenbedingungen<br />
für den Netzausbau verbessert,<br />
um die Netzinfrastruktur für den<br />
wachsenden Anteil erneuerbarer Energien<br />
zu rüsten. Wir sorgen für eine zuverlässige<br />
Energieversorgung und haben dazu<br />
Maßnahmen zur Versorgungssicherheit im<br />
Winter ergriffen. Wir setzen auf Energieeffi<br />
zienz, Innovation und Forschungsförderung,<br />
gerade im Hinblick auf die technologischen<br />
Chancen der Energiewende. <strong>Vor</strong><br />
allem haben wir alle relevanten Akteure an<br />
einen Tisch geholt, um die entscheidenden<br />
Fragen gemeinsam anzugehen, insbesondere<br />
in der Netzplattform, im Kraftwerksforum<br />
und in der Plattform Erneuerbare<br />
Energien.<br />
<strong>Vor</strong> allem auch ostdeutsche Unternehmen<br />
haben sich den großen infrastrukturellen<br />
Herausforderungen der Energiewende<br />
gestellt und bereits viel für eine erfolgreiche<br />
Energiewende getan. Im Bereich<br />
der Energieeffi zienz eröff net die energetische<br />
Sanierung von Gebäuden auch neue<br />
Geschäftsmöglichkeiten gerade für KMU<br />
in Branchen wie <strong>dem</strong> Bauhandwerk oder<br />
<strong>dem</strong> Gebäu<strong>dem</strong>anagement. Die Bundesregierung<br />
unterstützt Investoren mit zahlreichen<br />
Maßnahmen, etwa mit <strong>dem</strong> CO2-<br />
Gebäudesanierungsprogramm und <strong>dem</strong><br />
KfW-Energieeffi zienzprogramm. Darüber<br />
hinaus fördert die Bundesregierung Energieberatung<br />
für KMU und hat mit <strong>dem</strong> neuen<br />
Zuschussprogramm für hocheffi ziente<br />
Querschnittstechnologien zusätzliche finanzielle<br />
Anreize für KMU geschaffen, in<br />
energiesparende Technologien zu investieren.<br />
Ein gutes Stück Arbeit liegt noch vor uns.<br />
So brauchen wir eine grundlegende Reform<br />
des derzeit planwirtschaftlichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes,<br />
um weitere<br />
Belastungen für Unternehmen und Haushalte<br />
am Industriestandort Deutschland zu<br />
vermeiden. Wenn Politik, Unternehmen und<br />
Verbraucher weiter gemeinsam an einem<br />
Strang ziehen, werden wir die Herausforderungen<br />
der Energiewende erfolgreich<br />
meistern. <br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
UV<br />
Interessengemeinschaft der<br />
Unternehmerverbände<br />
Ostdeutschlands und Berlin<br />
Programm zur Veranstaltung OSTDEUTSCHES ENERGIEFORUM 2013<br />
29. April 2013, 1. Tag<br />
13:00 Uhr Eröffnung durch die Veranstalter<br />
13:15 -15:45 Uhr Einzelvorträge zu den Schwerpunkthemen<br />
Energiewende aus Sicht der Bundespolitik,<br />
der Energiewirtschaft und des Mittelstandes<br />
sowie die Akzeptanz der<br />
notwendigen Maßnahmen<br />
Referenten unter anderem<br />
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für<br />
Wirtschaft und Technologie<br />
Peer Steinbrück, SPD-Kanzlerkandidat zur<br />
Bundestageswahl 2013 (angefragt)<br />
Günther Oettinger, EU-Kommissar für<br />
Energie (angefragt)<br />
Carl-Ernst Giesting, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />
der envia Mitteldeutsche Energie AG (<br />
enviaM)<br />
15:45 Uhr Kaffeepause<br />
16:30 - 18:00 Uhr Zwei Foren zu den Themen<br />
EEG: Energiepreise im Spannungsfeld<br />
zwischen Markt und Staat<br />
Netze - Speicherung - grenzüberschreitender<br />
Energieaustausch<br />
Teilnehmer unter anderem<br />
Bernd Dubberstein, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />
der E.ON edis AG<br />
Matthias Machnig, Minister für Wirtschaft,<br />
Arbeit und Technologie des Freistaates<br />
Thüringen<br />
Carlo Schmidt, Geschäftsführer der<br />
WIND-projekt Ingenieur- und Projektentwicklungsgesellschaft<br />
mbH<br />
Boris Schucht, <strong>Vor</strong>sitzender der Geschäftsführung<br />
der 50Hertz Transmission GmbH<br />
Arnold Vaatz, Mitglied des Deutschen<br />
Bundestages und Stellvertretender Fraktionsvorsitzender<br />
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />
Prof. Dr. Joachim Weimann, Inhaber des<br />
Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der<br />
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg<br />
19:30 Uhr Abendveranstaltung „Wege für morgen“<br />
im Da Capo Leipzig<br />
Änderungen im Programm für beide Tage vorbehalten<br />
30. April 2013, 2. Tag<br />
9:00 Uhr Eröffnung des zweiten Veranstaltungstages<br />
9:05 -11:00 Uhr Einzelvorträge zu den Schwerpunktthemen<br />
Wettbewerbsfähigkeit des deutschen<br />
Mittelstandes vor <strong>dem</strong> Hintergrund<br />
steigender Energiepreise<br />
Wie weiter mit <strong>dem</strong> EEG?<br />
Lohnen sich noch Investitionen in konventionelle<br />
Kraftwerke?<br />
Referenten unter anderem<br />
Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt,<br />
Naturschutz und Reaktorsicherheit<br />
Tuomo J. Hatakka, <strong>Vor</strong>sitzender der<br />
Geschäftsführung der Vattenfall GmbH<br />
11:00 Uhr Kaffeepause<br />
11:30 - 13:00 Uhr Zwei Foren zu den Themen<br />
Rohstoffe für eine sichere und wettbewerbsfähige<br />
Energieversorgung - Wirtschaftlichkeit<br />
der Kraftwerke<br />
Energiewirtschaftliches Bauen: Ökologischer<br />
Anspruch ohne Realitätsbezug?<br />
Teilnehmer unter anderem<br />
Dr. Frank Büchner, Leiter Region Ost<br />
Siemens AG<br />
Dr. Karsten Heuchert, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />
der VNG - Verbundnetz Gas AG<br />
Jan Mücke, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär<br />
beim Bundesminister für Verkehr,<br />
Bau und Stadtentwicklung<br />
Wolfgang Tiefensee, MdB, Bundesminister<br />
a. D.<br />
13:00 - 14:30 Uhr Abschlussdiskussion - Liegt die Zukunft in<br />
der dezentralenEnergieversorgung?<br />
Teilnehmer unter anderem<br />
Rainer Brüderle, MdB, <strong>Vor</strong>sitzender der FDP<br />
im Deutschen Bundestag<br />
Christian Carius, Minister für Bau, Landesentwicklung<br />
und Verkehr des Freistaates<br />
Thüringen<br />
Carl-Ernst Giesting, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />
der envia Mitteldeutsche,<br />
Energie AG (enviaM)<br />
Thomas Prauße, <strong>Vor</strong>sitzender der Geschäftsführung<br />
der Stadtwerke Leipzig GmbH<br />
14:30 - 15:00 Uhr Zusammenfassung und Ausblick durch<br />
die Veranstalter<br />
www.ostdeutsches-energieforum.de<br />
ENERGIE FÜR DIE ZUKUNFT
20 landschaft+leute<br />
Klar zum Anlegen<br />
Das Lausitzer Seenland wandelt sich vom staubigen<br />
Braunkohlerevier zur attraktiven, wasserreichen<br />
Ferienregion. Beim Werben um Investoren und Touristen<br />
machen Brandenburger und Sachsen gemeinsame<br />
Sache.<br />
Von Constanze Treuber<br />
Die Straße zur Südsee führt<br />
durch Kiefernwald ans Ufer<br />
eines Gewässers, das bei<br />
schönem Wetter von einem paradiesischen<br />
Blau ist – wenngleich<br />
das Panorama eher an finnische<br />
Landschaften erinnert. Hier, am<br />
südöstlichen Ufer des Senftenberger<br />
Sees, residiert inmitten eines<br />
Familienparks mit breitem Sandstrand,<br />
komfortablen Ferienhäusern,<br />
Wassersportzentrum und<br />
Campingplätzen eine Institution,<br />
die den nüchternen Namen Zweckverband<br />
Lausitzer Seenland Brandenburg<br />
trägt.<br />
Michael Vetter ist der Verbandsvorsteher.<br />
Der gebürtige Senftenberger<br />
badet seit eh und je am<br />
liebsten im Senftenberger See,<br />
obwohl es hier auch andere verlockende<br />
Möglichkeiten gibt. „Die<br />
Wasserqualität ist ausgezeichnet“,<br />
sagt er, „schon zum 13. Mal in Folge<br />
wurde sie mit der Blauen Flagge<br />
gewürdigt.“<br />
Mitten im Revier<br />
Das Seenland liegt im Lausitzer<br />
Braunkohlerevier, das sich über<br />
den Südosten Brandenburgs und<br />
den Nordosten Sachsens erstreckt.<br />
Noch heute tragen Gasthöfe Na-<br />
men wie „Zur Grubenlampe“. Wo<br />
sich nun Seen ausbreiten, gruben<br />
sich früher Tagebaue bis zu 60 Meter<br />
tief in die Erde. Seit Mitte des<br />
19. Jahrhunderts wurden zwischen<br />
Senftenberg, Hoyerswerda und Spremberg<br />
mehr als zwei Milliarden<br />
Tonnen Braunkohle aus <strong>dem</strong> Boden<br />
geholt. Und in riesigen Tagebauen<br />
wie Welzow-Süd ist die<br />
Förderung auch noch im Gange.<br />
Den Senftenberger See in seiner<br />
heutigen, natürlich anmutenden<br />
Form gibt es seit 1973. Knappensee<br />
und Silbersee sind noch älter.<br />
Im Gegensatz zu ihren Nachbarn<br />
– <strong>dem</strong> Geierswalder, <strong>dem</strong> Partwitzer,<br />
<strong>dem</strong> Großräschener, <strong>dem</strong> Neuwieser,<br />
<strong>dem</strong> Altdöberner, <strong>dem</strong> Sabrodter<br />
und einer ganzen Reihe<br />
weiterer Seen – sind sie bereits<br />
aus der Bergaufsicht entlassen. Bis<br />
die anderen ehemaligen Tagebaue<br />
ohne Gefahren zu nutzen sind, hat<br />
die Lausitzer und Mitteldeutsche<br />
Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft<br />
mbH (LMBV) jedoch noch<br />
auf viele Jahre hinaus zu tun. Sie ist<br />
vom Bund und den beiden beteilig-<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
landschaft+leute 21<br />
Google earth | © 2013 GeoBasis-DE/BKG<br />
ten Ländern mit der milliardenteuren<br />
Sanierung und Rekultivierung<br />
der Bergbauhinterlassenschaften<br />
der DDR beauftragt. Für die Sanierung<br />
der Tagebaue, in denen<br />
heute noch Braunkohle gefördert<br />
wird, sind später die Betreiber zuständig.<br />
Der Welzower Tagebau<br />
wird eines Tages wohl der mit<br />
2.000 Hektar größte künstliche See<br />
in Europa sein.<br />
Seen im Verbund<br />
Das Lausitzer Seenland erstreckt<br />
sich über 1.100 Quadratkilometer<br />
und hat etwa 128.000 Einwohner,<br />
viele von ihnen gehören der sorbischen<br />
Minderheit an. Vom Bärwalder<br />
See im Osten bis zum Grünewalder<br />
Lauch im Westen sind es 66<br />
Kilometer, die Nord-Süd-Ausdehnung<br />
beträgt 44 Kilometer. „Wir<br />
sprechen von 25 großen und kleinen<br />
Seen mit einer Wasserfläche<br />
von 14.000 Hektar“, sagt Michael<br />
Vetter. „Zehn von ihnen, insgesamt<br />
über 7.000 Hektar groß, werden<br />
einmal schiffbar miteinander<br />
verbunden sein.“<br />
Die größte von Menschenhand geschaffene<br />
Wasserlandschaft Europas<br />
ist noch im Werden. Der<br />
Flutungszustand der einstigen<br />
Tagebaue – gespeist aus Grundwasser,<br />
Oberflächenwasser und<br />
aus Flüssen wie der Schwarzen<br />
Elster – ist ganz unterschiedlich.<br />
Während sich der Wasserstand<br />
des Senftenberger Sees allenfalls<br />
im Rhythmus der Jahreszeiten<br />
verändert und <strong>dem</strong> Geierswalder<br />
See nur noch wenige Meter fehlen,<br />
kann man am Großräschener<br />
See, der voraussichtlich 2016<br />
endgeflutet sein wird, noch deutlich<br />
den Braunkohletagebau erkennen.<br />
„Vom SeeHotel Großräschen<br />
sind es nur ein paar Schritte bis<br />
zur Abbruchkante in ihrer ganzen<br />
Schroffheit“, sagt Michael Vetter.<br />
Wer sich für die industrielle Vergangenheit<br />
und Gegenwart des<br />
Lausitzer Seenlandes interessiert,<br />
kann ihr vielerorts begegnen.<br />
Das Besucherbergwerk F60<br />
beeindruckt mit seiner Förderbrücke,<br />
einer der größten beweglichen<br />
Arbeitsmaschinen der Welt,<br />
die mit ihren 502 Metern bedeutend<br />
länger ist als der Eiffelturm<br />
hoch. In der Energiefabrik Knappenrode,<br />
die Lausitzer Bergbaugeschichte<br />
erzählt, ist dreimal<br />
täglich „Schichtbeginn“. Von der<br />
Aussichtskanzel des modernen<br />
Größte künstliche Wasserlandschaft Europas im Entstehen.<br />
Michael Vetter: „Die<br />
Wasserqualität ist<br />
ausgezeichnet.“<br />
Braunkohlekraftwerks Schwarze<br />
Pumpe hat man einen weiten Blick<br />
ins Land.<br />
Wandel überall<br />
„Willkommen in der Zwischenzeit“<br />
heißt es an den IBA-Terrassen, <strong>dem</strong><br />
Besucherzentrum der 2010 beendeten<br />
Internationalen Bauausstellung,<br />
das einen Überblick über die<br />
Entwicklung zwischen Vergangenheit<br />
und Zukunft gibt. Denn die<br />
Landschaft ist im atemberaubenden<br />
Wandel. Dass einige der Seen<br />
heute eher noch wüste Gruben sind,<br />
heißt nicht, dass man die Hände in<br />
den Schoß legt, bis überall das Wasser<br />
an den Uferrand plätschert.<br />
„Die Sanierung der Tagebaue geht<br />
Hand in Hand mit der wirtschaftlichen<br />
und touristischen Erschließung<br />
der Gebiete“, sagt Michael<br />
Vetter. „Wir von den beiden Zweckverbänden,<br />
zu denen alle beteiligten<br />
Kommunen und Kreise in Brandenburg<br />
und Sachsen gehören,<br />
sorgen für die Infrastruktur und zugleich<br />
für die Bewirtschaftung dieser<br />
Infrastruktur. Wenn wir also in<br />
Lieske einen Badestrand mit Parkplätzen<br />
und Sanitärgebäuden anlegen,<br />
suchen wir auch nach Betreibern<br />
für die Gastronomie.“<br />
Am Sedlitzer See, <strong>dem</strong> noch zehn<br />
Meter bis zum angestrebten Wasserstand<br />
fehlen, entsteht jetzt<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
22 landschaft+leute<br />
Katja Wersch:<br />
„Hauptthema ist die<br />
aktive Erholung.“<br />
schon ein kleines Gewerbegebiet<br />
für Bootsbauer und ähnliche Firmen,<br />
die die Nähe des Wassers suchen.<br />
Und wer in Senftenberg in verarbeitendes<br />
Gewerbe, Forschung<br />
und Entwicklung, Industrie oder<br />
Handwerk investiert und dabei<br />
mindestens zehn neue Arbeitsplätze<br />
schafft, darf bald auch in der ersten<br />
Reihe am Wasser wohnen: Am<br />
Ufer des Sees entsteht ein Lagunendorf.<br />
Womöglich tragen solche<br />
Sahnehäubchen dazu bei, dass neue<br />
Arbeitsplätze entstehen und sich<br />
der Trend des Bevölkerungsrückgangs<br />
– allein Hoyerswerda hat einen<br />
Schwund von einst 70.000 auf<br />
38.000 Einwohner zu verzeichnen<br />
– eines Tages umkehrt.<br />
Daniel Just jedenfalls ist zurückgekehrt.<br />
Er wuchs in der Lausitz auf,<br />
badete als Junge jeden Sommer im<br />
Knappensee, ging dann zum Studium<br />
nach Dresden und blieb 13 Jahre<br />
dort. „Ich habe Dresden nicht verlassen,<br />
weil es mir dort nicht mehr gefallen<br />
hat, sondern weil es hier jetzt<br />
eine Perspektive für mich gibt“, sagt<br />
er. „Ich kann in meiner Heimat etwas<br />
mitgestalten.“ Daniel Just ist<br />
seit Januar 2012 Geschäftsführer<br />
des in Hoyerswerda angesiedelten<br />
Zweckverbands Lausitzer Seenland<br />
Sachsen.<br />
Mitten durch das Lausitzer Seenland<br />
zieht sich die Grenze zwischen<br />
Sachsen und Brandenburg, sie teilt<br />
sogar zwei der großen Seen. Die Zusammenarbeit<br />
zwischen den beiden<br />
Verbänden, versichern ihre Chefs,<br />
ist gut .„Jede Seite für sich allein hätte<br />
keine Chance“, sagt Daniel Just.<br />
„Wir sind aufeinander angewiesen.“<br />
Gemeinsame Sache zu machen ist<br />
auch wichtig, wenn es um Investoren<br />
geht.<br />
Handtuch ausgelegt<br />
„Wasser marsch!“ signalisiert die<br />
länderübergreifende Kampagne<br />
und: „Klar zum Anlegen“. Sie zeigt,<br />
was im Lausitzer Seenland für Investoren<br />
in den kommenden Jahren<br />
alles möglich ist. Am Geierswalder<br />
See entsteht ein Hotel in Form eines<br />
Leuchtturms. Nebenan hat sich bereits<br />
der 1. Wassersportverein Lausitzer<br />
Seenland angesiedelt; die Marina,<br />
im Besitz des Zweckverbands,<br />
hält natürlich auch Liegeplätze für<br />
Gäste frei. Ganz in der Nähe präsentieren<br />
sich die ersten schwimmenden<br />
Ferienhäuser, luxuriöse<br />
Unterkünfte mit zwei Etagen, Dachterrasse<br />
und eigenem Bootssteg, für<br />
jene, die um die 250 Euro pro Nacht<br />
ausgeben können. Sie sind immer<br />
gut gebucht.<br />
Neue Ideen im alten Revier:<br />
Wohnen auf <strong>dem</strong> Wasser.<br />
„Die Entwicklung soll alle Zielgruppen<br />
und jeden Geschmack<br />
berücksichtigen. Deshalb sind<br />
auch die Möglichkeiten für Investoren<br />
so vielfältig“, sagt Daniel<br />
Just. Den einzelnen Seen sind in<br />
einem regionalen Entwicklungskonzept<br />
unterschiedliche Funktionen<br />
zugewiesen. Der Partwitzer<br />
See soll als Drehscheibe für den<br />
Seenverbund dienen. Der schmale<br />
Sabrodter See wäre ideal für Ruderregatten.<br />
Auf <strong>dem</strong> Geierswalder<br />
See sollen Segelboote kreuzen,<br />
und Platz für Wasserwanderer im<br />
Paddelboot ist überall. Zum ruhigen<br />
Erikasee kommen Naturfreunde,<br />
um die Vogelzüge zu beobachten.<br />
„Der Naturschutz“, sagt Daniel<br />
Just, „gehört zu unseren Schlüsselprojekten.“<br />
Einstige Förderbrücken – länger als der Eiffelturm hoch.<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
landschaft+leute 23<br />
„Am Sabrodter See war eine Großinvestition<br />
geplant“, erzählt Just.<br />
„Auf 800 Hektar sollte ein Sportund<br />
Golfresort entstehen. Doch<br />
dann kam dort die Erde ins Rutschen<br />
und die LMBV musste das<br />
Gebiet auf unbestimmte Zeit sperren.<br />
Nun liegt das Projekt auf Eis.“<br />
So ist das in einer ehemaligen<br />
Bergbauregion, wo der Boden immer<br />
wieder auch unliebsame Überraschungen<br />
bereithält. Zur Nutzung<br />
werden natürlich nur sichere<br />
Flächen freigegeben.<br />
„Uns sind Investoren, die 160 Millionen<br />
Euro in ein Projekt stecken<br />
wollen, ebenso willkommen wie<br />
der künftige Hotelbetreiber mit<br />
3,5 Millionen oder jemand, der sich<br />
die Verwirklichung einer guten Geschäftsidee<br />
300.000 Euro kosten<br />
lassen kann“, sagt der Geschäftsführer<br />
des Zweckverbands. „Eine<br />
<strong>Vor</strong>aussetzung müssen aber alle<br />
mitbringen – den langen Atem.“<br />
Denn das Lausitzer Seenland ist<br />
kein Gewerbegebiet, in <strong>dem</strong> man<br />
heute eine Parzelle pachtet und<br />
morgen sein Geschäft eröffnet. Die<br />
Entwicklung vollzieht sich Schritt<br />
für Schritt und unterliegt außer<strong>dem</strong><br />
einer diffizilen Verquickung<br />
von Wasser-, Berg- und Baurecht.<br />
„Unser Manko ist, dass wir nur wenige<br />
Flächen sofort anbieten können“,<br />
sagt Just. „Darin liegt aber<br />
zugleich ein unschätzbarer <strong>Vor</strong>teil:<br />
Die Investoren können Wünsche<br />
äußern und die Gegebenheiten<br />
langfristig mitgestalten.“ Wer<br />
sich sein Stück vom Kuchen sichern<br />
will, sollte deshalb die Aufforderung<br />
„Legen Sie Ihr Handtuch<br />
aus“ rechtzeitig beherzigen.<br />
Im Frühjahr 2012 haben beide<br />
Zweckverbände einen gemeinsamen<br />
Tourismusverband gegründet.<br />
Katja Wersch ist dort Mitarbeiterin<br />
für Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Marketing. „Unser Hauptthema<br />
ist die aktive Erholung am und<br />
rund ums Wasser“, erklärt sie. „Am<br />
Senftenberger See gibt es ja schon<br />
das volle Programm. Im Mai dieses<br />
Jahres soll ein Schlüsselprojekt,<br />
der Senftenberger Stadthafen, fertig<br />
sein. Und auch der Koschener<br />
Kanal – die schiffbare Verbindung<br />
zwischen <strong>dem</strong> Senftenberger und<br />
<strong>dem</strong> Geierswalder See – ist ab Juni<br />
nutzbar. Damit können bereits drei<br />
der später zehn verbundenen Seen<br />
mit Booten befahren werden.“<br />
Millionen-Ziele<br />
Auf <strong>dem</strong> Sedlitzer See werden<br />
Floßfahrten angeboten. Am Bärwalder<br />
See kann man Segel- und<br />
Motorboote chartern, er ist auch<br />
bei Kitesurfern sehr beliebt. Der<br />
Dreiweiberner See ist ein schönes<br />
Gewässer zum Baden und Angeln.<br />
In anderen Gebieten finden die Ferienaktivitäten<br />
aber vorläufig noch<br />
mehr an Land statt.“ Bis alle Seen<br />
den angestrebten Zustand erreicht<br />
haben, spielen Radfahren und Skaten<br />
die größte Rolle. „Wir haben tolle<br />
Radwege und thematische Radrouten.<br />
Die Seenland-Route führt<br />
an 16 Gewässern vorbei. Ein Faltblatt<br />
informiert über die Streckenführung<br />
mitsamt Badestellen, radlerfreundlichen<br />
Unterkünften und<br />
allem anderen, was Radler interessiert.“<br />
Daniel Just:<br />
„Die Möglichkeiten<br />
für Investoren sind<br />
vielfältig.“<br />
Etwa 400.000 Übernachtungen<br />
pro Jahr verzeichnet das Lausitzer<br />
Seenland derzeit, 240.000 davon<br />
entfallen auf den Senftenberger<br />
See und seine Umgebung. 65<br />
Prozent der dortigen Gäste kommen<br />
aus Sachsen, 20 Prozent, mit<br />
steigender Tendenz, aus den alten<br />
Bundesländern, und auch bei<br />
tschechischen Urlaubern wird<br />
die Region immer beliebter. In<br />
den nächsten zehn Jahren soll die<br />
Reise in Richtung 1,5 Millionen<br />
Übernachtungen pro Jahr im Lausitzer<br />
Seenland gehen. „Von den<br />
nötigen Kapazitäten sind wir heute<br />
noch weit entfernt“, sagt Katja<br />
Wersch. Daniel Just findet das Ziel<br />
optimistisch, aber nicht unrealistisch:<br />
„Und wenn wir nur auf eine<br />
Million kommen, wäre das auch<br />
ein großer Erfolg. Man muss eine<br />
Vision haben.“ <br />
Paradies für<br />
Radler, Wanderer<br />
und Wassersportler.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
24 einblicke+aussichten<br />
Feigenblatt Bürgerbeteiligung<br />
Infrastrukturprojekte treffen auf immer weniger Akzeptanz<br />
bei den Bürgern. Eine aktuelle Studie aus Leipzig<br />
zeichnet ein entmutigendes Bild von Bürgerferne in<br />
Entscheidungsprozessen von Unternehmen, Politik und<br />
öffentlichen Verwaltungen. Von Harald Lachmann<br />
Wer heutzutage infrastrukturelle<br />
oder wirtschaftliche<br />
Projekte von öffentlicher<br />
Bedeutsamkeit auf den Weg<br />
bringen will, erlebt vor allem eines:<br />
Akzeptanznöte. Ob große<br />
Verkehrsprojekte wie Stuttgart<br />
21, geplante Kraftwerke, Privatisierungen<br />
von Kommunalbetrieben,<br />
der Ausbau von Straßen<br />
und Flughäfen sowie Hochspannungsleitungen<br />
– überall meldet<br />
sich lautstark der mündige Bürger<br />
zu Wort. Er will mitreden, mitentscheiden.<br />
War das bei Stuttgart 21 noch ein<br />
gefühltes Phänomen, lässt sich<br />
das nun <strong>dem</strong>oskopisch belegen.<br />
Demnach bewertet nicht einmal<br />
mehr jeder dritte befragte Bürger<br />
das Agieren von Bundes- und<br />
Landespolitik als „glaubwürdig“,<br />
sofern dies im Kontext mit strittigen<br />
Projekten vor der „Haustür“<br />
steht. Auch den eigenen Kommunalpolitikern<br />
vertrauen dann nur<br />
38 Prozent.<br />
Dies ergab eine Studie, die jetzt<br />
die Leipziger Unternehmensberatung<br />
Hitschfeld vorlegte. Gemeinsam<br />
mit einem Feldinstitut<br />
befragte sie bundesweit Bürger.<br />
Dabei zeigte sich, dass es für die<br />
meisten auch keine Rolle spielt, ob<br />
ein Infrastrukturvorhaben durch<br />
parlamentarische Gremien bereits<br />
rechtskonform geworden ist.<br />
Stattdessen werten 80 Prozent der<br />
Befragten die Kommunikation<br />
sowie frühe informelle Einbeziehung<br />
von unmittelbar Betroffenen<br />
als ebenso wichtig wie die bekannten<br />
formalen Anhörungs- und Beteiligungsverfahren.<br />
Das Gros der<br />
Bürger scheint überzeugt, dass die<br />
Protagonisten der Projekte hierbei<br />
„nur so viele Informationen wie<br />
unbedingt nötig herausgeben“<br />
(69 Prozent), und dies eher „als<br />
Feigenblatt“ dient (51 Prozent). In<br />
Summe sehen sich zwei Drittel als<br />
„Opfer von Politik“. Aber auch die<br />
Medien kommen in der Umfrage<br />
schlecht weg. Nur 40 Prozent halten<br />
sie noch für neutral, wenn sie<br />
über strittige Großprojekte berichten.<br />
Als glaubwürdig gelten dagegen<br />
die Konfliktbetroffenen (79<br />
Prozent). Auch Bürgerinitiativen<br />
© Gabriele Rohde - Fotolia.com<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
einblicke+aussichten 25<br />
Foto: Harald Lachmann<br />
Die Leute<br />
merken schnell,<br />
wenn sie für<br />
dumm verkauft<br />
werden sollen.<br />
(76 Prozent) und Umweltverbände<br />
(66 Prozent).<br />
Für Geschäftsführer Uwe Hitschfeld<br />
herrscht somit „in Deutschland<br />
ein akutes Glaubwürdigkeitsproblem<br />
der Bürger gegenüber<br />
Politik, Verwaltung und Unternehmen“.<br />
Der Unternehmensberater<br />
agiert mit seinem Team seit<br />
über 15 Jahren an der Schnittstelle<br />
von Politik, Wirtschaft und öffentlicher<br />
Verwaltung. Ihm begegnen<br />
fortwährend Fragen rund um die<br />
Problematik des Erlangens und<br />
Wahrens von Akzeptanz. Die Ergebnisse<br />
der Studie überraschten<br />
ihn „in ihrer Klarheit“. Denn seine<br />
Erfahrungen zeigen, dass bei<br />
nahezu je<strong>dem</strong> Projekt von öffentlichem<br />
Belang eine Frage dominiere:<br />
„Wer ist für wen glaubwürdig?“<br />
Hitschfeld betrachtet das Thema<br />
als unverzichtbaren „strategischen<br />
Erfolgsfaktor“. Wer dies<br />
vernachlässige und die betroffenen<br />
Bürger eines <strong>Vor</strong>habens nicht<br />
beizeiten transparent in seine Pläne<br />
einbeziehe, riskiere das Scheitern<br />
des Projektes, bevor es begonnen<br />
werden konnte.<br />
Dem stimmt Kommunikationswissenschaftler<br />
Prof. Günter Bentele<br />
zu, der an Universität Leipzig den<br />
Lehrstuhl Öffentlichkeitsarbeit/<br />
PR leitet. Kommunalpolitikern sowie<br />
Unternehmen und Umweltverbänden,<br />
die Windkraft- oder<br />
Biogasanlagen planen, rät er, vorab<br />
„genug Ressourcen für kommunikative<br />
Prozesse vorzuhalten“:<br />
Die Akzeptanz-<br />
Debatte offenbart<br />
kein Legalitätsproblem,<br />
wohl aber ein<br />
Legitimitätsproblem.<br />
Uwe Hitschfeld:<br />
„Zwei Drittel der<br />
Befragten fühlen<br />
sich als Opfer der<br />
Politik.“<br />
Management, Know-how, Geld sowie<br />
fähige, glaubwürdige Leute.<br />
Es sei blauäugig, sich als Planer<br />
einzig auf Politik und Behörden<br />
zu verlassen, warnt Hitschfeld. Zugleich<br />
sage der quantitative Aufwand<br />
noch nichts über die Größe<br />
des Erfolgs. Die Leute merkten<br />
schnell, wenn sie für dumm verkauft<br />
werden sollen. Darum führten<br />
Lösungsansätze „von der Stange“<br />
oft in die Sackgasse. Dennoch<br />
ist der Leipziger sicher: Großkrisen<br />
wie Stuttgart 21 wären vermeid-<br />
oder wenigstens beherrschbar<br />
gewesen.<br />
Der Unternehmensberater Gerhard<br />
Jochum, Aufsichtsratsvorsitzender<br />
der GASAG Berliner<br />
Gaswerke AG, mahnt einen „kulturellen<br />
Wertewandel“ in den Unternehmen<br />
ein. Nach seiner Überzeugung<br />
brauche die Republik<br />
eine intensive und relevante Diskussion<br />
darüber, „was Verantwortlichkeiten<br />
gegenüber gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen betrifft“.<br />
Für Jochum offenbart die aktuelle<br />
Akzeptanz-Debatte kein Legalitätsproblem,<br />
wohl aber ein Legitimitätsproblem.<br />
Stuttgart 21 zeige<br />
das sehr deutlich. Dass es 15 Jahre<br />
dauerte, ehe nach den Prüfungsund<br />
Genehmigungsverfahren sowie<br />
den öffentlichen Anhörungen<br />
der neue Bahnhof endlich Realität<br />
werden sollte, habe zur Entwertung<br />
der Legitimationsprozesse<br />
geführt, sagt er. Nötig sei eine flexiblere,<br />
schnellere und konkretere<br />
Umsetzung dessen, was geplant,<br />
genehmigt und in öffentlichen<br />
Anhörungen ins Schaufenster gestellt<br />
wurde.<br />
Mit Blick auf das Thema Akzeptanz<br />
gibt der GASAG-Aufsichtsratschef<br />
zu bedenken: „Wer einen<br />
Bahnhof, ein Kraftwerk oder<br />
eine Hochspannungsleitung bauen<br />
wolle, muss sich bestimmten<br />
Fragen stellen: Wer ist davon betroffen?<br />
Wie ist er davon betroffen?<br />
Welche Informationen, welche<br />
Rücksichtnahmen erwartet er<br />
von mir? Unter welchen Umständen<br />
kann ich seine Zustimmung<br />
bekommen?“ Das Durchdringen<br />
des eigenen <strong>Vor</strong>gehens sowie der<br />
eigenen Planungen führe zum<br />
Schaffen von Legitimitätsprozessen.<br />
Hier sieht Jochum ein Grundverständnis<br />
von Akzeptanz : Es<br />
dürfe nicht darum gehen, „in einer<br />
Art technischem Prozess ein<br />
Höchstmaß an Populismus zu produzieren“.<br />
Sondern Ziel müsse es<br />
für ein Unternehmen sein, die eigenen<br />
Interessen mit den Bedürfnissen<br />
potenziell Betroffener so<br />
in Relation zu bringen, dass daraus<br />
ein Höchstmaß an Akzeptanz<br />
erwächst. Letztlich werde es wirtschaftlich<br />
von <strong>Vor</strong>teil sein, sich<br />
mit Wertefragen zu beschäftigen,<br />
eine dezidierte Position dazu zu<br />
entwickeln und diese konsequent<br />
umzusetzen.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
26 marken+macher<br />
Aus alt mach neu – und<br />
hochproduktiv<br />
Langgediente Werkzeugmaschinen werden durch die<br />
WEMA VOGTLAND Technology GmbH auf den neuesten<br />
Stand gebracht. Das Unternehmen ist weltweit führend bei<br />
der Aufrüstung von Fertigungstechnik. Von Ulrich Conrad<br />
Standort mit<br />
Tradition: der<br />
Firmensitz<br />
der WEMA<br />
VOGTLAND<br />
Technology<br />
GmbH in<br />
Plauen.<br />
Andreas Quak ist kein Freund<br />
der Wegwerfmentalität.<br />
„Alle klagen über knappe<br />
Ressourcen, trotz<strong>dem</strong> sind wir<br />
auf ständigen Neukauf programmiert“,<br />
sagt er. „Es gibt nichts ressourcenschonenderes<br />
als vorhandene<br />
Maschinen umzubauen,<br />
anstatt mit viel Energie und Aufwand<br />
neue Maschinen herzustellen.<br />
Wenn es technisch möglich<br />
und zugleich wirtschaftlich sinnvoll<br />
ist, bieten sich Umbau und<br />
Überholung als vernünftige Alternative<br />
an.“ Ein Argument, das<br />
auch bei der Geschäftsidee des<br />
Unternehmers Pate stand. Andreas<br />
Quak ist Geschäftsführer der<br />
WEMA VOGTLAND Technology<br />
GmbH in Plauen. Er hat dafür gesorgt,<br />
dass sich das Werkzeugmaschinenunternehmen<br />
seit 2009<br />
konsequent auf Umbau und Überholung<br />
von Werkzeugmaschinen<br />
spezialisiert hat. Sein Konzept<br />
setzte eine Erfolgsgeschichte in<br />
Gang, die nach der Insolvenz der<br />
traditionsreichen <strong>Vor</strong>gängerin<br />
WEMA Vogtland viele nicht für<br />
möglich gehalten hätten.<br />
Großprojekte aus<br />
einer Hand<br />
Heute ist WEMA VOGTLAND<br />
Technology weltweit führend auf<br />
ihrem Gebiet, <strong>dem</strong> Remanufacturing.<br />
Aus alt mach neu – das klingt<br />
nach Improvisation und Kompromissen.<br />
Doch wenn eine überholte<br />
Werkzeugmaschine, eine<br />
komplette Taktstraße oder ein automatisiertes<br />
Bearbeitungszentrum<br />
von den Plauener Fachleuten<br />
an ihre Kunden übergeben wird,<br />
dann erhalten diese modernste<br />
Technik. Laien würden beim Anblick<br />
der Anlagen gar nicht auf die<br />
Idee kommen, dass Traggerüste<br />
oder Transportelemente, Beschickungseinrichtungen<br />
oder andere<br />
Komponenten bereits ein <strong>Vor</strong>-<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
marken+macher 27<br />
leben hinter sich haben. Dass sie<br />
nun eine zweite Chance bekommen,<br />
bei der Produktion von Autoteilen<br />
für ein neues Modell zum<br />
Beispiel, spricht für die Qualität<br />
der ursprünglichen Technik.<br />
Noch mehr aber ist dies ein Beleg<br />
für das Know-how der Plauener<br />
Ingenieure und Werkzeugmaschinenbauer<br />
sowie ihrer Partner<br />
in der Global Retool Group, zu der<br />
die WEMA VOGTLAND Technology<br />
seit 2009 gehört. Andreas<br />
Quak hat die Unternehmensgruppe<br />
aufgebaut. In ihr sind auch die<br />
vom saarländischen Lebach aus<br />
agierende SVQ GmbH als Spezialist<br />
für Spannvorrichtungen mit<br />
Standorten in der Slowakei und<br />
in China sowie die SATEG GmbH,<br />
Hersteller von Steuerungs- und<br />
Automatisierungstechnik, tätig.<br />
Die Zusammenarbeit ermöglicht<br />
eine große Fertigungstiefe und sichert<br />
die enge Abstimmung untereinander.<br />
Großprojekte können so<br />
aus einer Hand bewältigt werden.<br />
Der Bedarf dafür ist vorhanden.<br />
Seit <strong>dem</strong> Siegeszug flexibler Fertigungssysteme<br />
in den 1980er<br />
Jahren werden in der metallverarbeitenden<br />
Industrie massenhaft<br />
computergesteuerte<br />
Bearbeitungszentren und Transferstraßen<br />
eingesetzt. Die Autoindustrie<br />
war der <strong>Vor</strong>reiter,<br />
inzwischen fertigen auch mittelständische<br />
Zulieferer ihre Produkte<br />
mithilfe der effizienten<br />
Technologien, vom Motorblock<br />
bis zu Fahrwerkkomponenten<br />
und Karosserieteilen. Und längst<br />
nutzen auch andere Branchen<br />
die <strong>Vor</strong>züge dieser Fertigungstechnik.<br />
Die Investitionen sind<br />
hoch, doch es rechnet sich, weil<br />
verschiedene Teile mit unterschiedlichen<br />
Verfahren bearbeitet<br />
werden können. Sie lassen sich<br />
auch an veränderte Anforderungen<br />
anpassen: Neue <strong>Vor</strong>richtungen<br />
werden integriert, Sensoren<br />
oder Steuerungen durch den neuesten<br />
Stand der Technik ersetzt.<br />
Das aber hat seine Grenzen: Modellwechsel<br />
in der Autoindustrie<br />
bedeuten in der Regel auch neue<br />
Fertigungslinien. „Dann stellt sich<br />
die Frage, ob ein kompletter Neukauf<br />
erforderlich ist oder mit einem<br />
Umbau der gleiche Effekt<br />
erreicht werden kann“, erklärt Andreas<br />
Quak. Der gleiche Effekt, darauf<br />
kommt es an. Beim Remanufacturing<br />
lassen sich schon mal 50<br />
Prozent der Neukosten sparen –<br />
doch die Qualität muss natürlich<br />
stimmen. Ein Blick auf die Referenzliste<br />
der Plauener sagt mehr<br />
als vollmundige Versprechungen:<br />
Die großen deutschen Autohersteller<br />
und ihre First-Tier-Zulieferer<br />
vertrauen auf die Leistungen<br />
der WEMA VOGTLAND Technology,<br />
ebenso namhafte Luftfahrtunternehmen<br />
und darüber<br />
hinaus zahlreiche Kunden in aller<br />
Welt. Durch die Firmentochter<br />
WEMA VOGTLAND America<br />
LLC wird der amerikanische<br />
Markt bedient, auch hier finden<br />
sich die namhaften Automarken<br />
auf der Kundenliste. Ein klassisches<br />
Feld sind Produktionsverlagerungen:<br />
Autokonzerne nutzen<br />
Dipl.-Ing.<br />
Andreas Quak<br />
Geschäftsführender<br />
Gesellschafter der<br />
WEMA VOGTLAND<br />
Technology GmbH<br />
zur Produktion neuer Modelle bei<br />
ihren preisgünstigeren Töchtern<br />
mitunter Anlagen, auf denen zuvor<br />
bereits Fahrzeuge der hochwertigen<br />
Stammmarke gelaufen<br />
sind. WEMA VOGTLAND Technology<br />
übernimmt das Umsetzen<br />
und bereitet den neuen Einsatz<br />
vor. Wenn Transferstraßen<br />
zum Beispiel nach Brasilien oder<br />
in andere Schwellenländer gehen<br />
sollen, sind die Plauener gefragt.<br />
„Wir besetzen eine Nische“, bestätigt<br />
Andreas Quak. „Aber diese Nische<br />
besitzt ein solches Potenzial,<br />
dass wir inzwischen aus <strong>dem</strong><br />
Status des kleinen Mittelständlers<br />
herauswachsen.“ Rund 100<br />
Mitarbeiter sind in Plauen tätig,<br />
die Gruppe beschäftigt weltweit<br />
rund 350. Überwiegend erfolgen<br />
Transferstraßen<br />
für LKW-<br />
Zylinderköpfe<br />
und -Zylinderblöcke<br />
werden<br />
im Werk modernisiert.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
28 marken+macher<br />
In der<br />
Fertigung.<br />
die Arbeiten bei den Kunden vor<br />
Ort. Die vorhandenen Anlagen<br />
werden analysiert, die Kundenforderungen<br />
aufgenommen und<br />
das Projekt für den Umbau konzipiert.<br />
Die Konstruktion und Fertigung<br />
der neuen Teile, <strong>Vor</strong>richtungen,<br />
Transportmodule usw., die<br />
Abstimmung, Steuerungskomponenten<br />
und das Einpassen in die<br />
technologischen Gesamtabläufe<br />
– all dies sind Ingenieurleistungen,<br />
die denen bei einem Neubau<br />
nicht nachstehen. Ein wichtiger<br />
Unterschied: WEMA VOGT-<br />
LAND Technology arbeitet herstellerunabhängig,<br />
Maschinen<br />
unterschiedlicher Produzenten<br />
werden fit gemacht. Dieses Knowhow<br />
schätzen auch Werkzeugmaschinenhersteller<br />
und vergeben<br />
Spezialaufträge an die Plauener<br />
Spezialisten. „Unser Team aus erfahrenen<br />
Werkzeugmaschinenexperten<br />
und einer international<br />
agierenden Firmengruppe bringt<br />
sowohl das nötige Know-how mit<br />
als auch die regionale Präsenz,<br />
die namhafte Kunden von einem<br />
Generalunternehmer und Turn-<br />
Key-Partner erwarten“, sagt Andreas<br />
Quak. „Bei Bedarf liefern wir<br />
auch komplette Werkzeugmaschi-<br />
nen, insbesondere für Sonderlösungen.“<br />
Mit Leib und Seele<br />
So lukrativ diese Geschäfte auch<br />
sind, immer ist der Zeitrahmen<br />
eng, immer muss auch mit unvorhersehbaren<br />
technischen Schwierigkeiten<br />
gerechnet werden. Dann<br />
ist in der Tat auch Improvisationstalent<br />
notwendig, durch jahrzehntelange<br />
Erfahrung mit großer Treffsicherheit<br />
erworben. Immer dann,<br />
wenn andere ihren Sommerurlaub<br />
genießen oder die Weihnachtszeit<br />
mit der Familie unterm Tannenbaum<br />
verbringen, herrscht für die<br />
Vogtländer Hochbetrieb. Werksferien<br />
sind genau die Zeit, in der<br />
Anlagen gewartet, überholt und<br />
umgebaut werden, um anschließend<br />
ohne Verzug wieder zu laufen.<br />
„Für einen richtigen Werkzeugmaschinenbauer<br />
mit Leib und<br />
Seele ist das Ehrensache“, so Geschäftsführer<br />
Andreas Quak. Und<br />
schließlich geht es um den Unternehmenserfolg.<br />
Mit rund 75 Millionen<br />
Euro Umsatz hatte die Global<br />
Retool Group 2011 ihr bisher<br />
stärkstes Jahr, und auch 2012 läuft<br />
erfreulich gut. Auch damit liegt sie<br />
weltweit vorn. Allerdings hat der<br />
Unternehmer trotz aller positiver<br />
Entwicklungen auch ein enormes<br />
Problem: Fachkräfte werden zunehmend<br />
zum Engpass. Ein Blick<br />
auf die Karriereseite im Internet<br />
zeigt, dass gleich in mehreren Bereichen<br />
Stellen zu besetzen sind:<br />
Anwendungsspezialisten Werkzeugtechnik<br />
werden gesucht, Ingenieure<br />
für Maschinenbau und<br />
Elektrotechnik, Inbetriebnehmer.<br />
Für das weitere Wachstum könnte<br />
das bald zum ernsten Hemmnis<br />
werden. Mit eigener Ausbildung<br />
steuert das Unternehmen<br />
entgegen, gerade haben fünf junge<br />
Leute ihre Ausbildung zum Elektroniker<br />
der Fachrichtung Automatisierungstechnik,<br />
Industriemechaniker,<br />
Industriekaufmann<br />
und Technischen Produktdesigner<br />
aufgenommen. Damit die Erfolgsgeschichte<br />
des Weltmarktführers<br />
aus <strong>dem</strong> Vogtland auch in Zukunft<br />
weitergehen kann. <br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
marken+macher 29<br />
Hidden Champions<br />
Rund 1.200 deutsche Mittelständler sind Weltmarktführer<br />
in ihren Branchen. Der Anteil ostdeutscher<br />
Unternehmen wächst rasch. Von Ulrich Conrad<br />
Sie gelten als „Hidden Champions“,<br />
Sieger im Verborgenen: kaum bekannt<br />
in der Öffentlichkeit, in<br />
Nischen erfolgreich, mit überschaubarer<br />
Mitarbeiterzahl. Auf ihnen beruht<br />
ein Großteil des deutschen Wirtschaftserfolges.<br />
Die WeissmanGruppe<br />
in Nürnberg, spezialisiert auf die Beratung<br />
mittelständischer Familienunternehmen,<br />
erarbeitet kontinuierlich<br />
aktuelle Übersichten dieser Leistungsträger.<br />
Marcel Megerle, Mitglied der<br />
Geschäftsleitung bei Weissman, hat<br />
gemeinsam mit <strong>dem</strong> Leibniz-Institut<br />
Ostdeutsche Weltmarktführer<br />
für Länderkunde Leipzig diese Datensammlung<br />
ausgewertet. Die meisten<br />
– wenig überraschend – sind in Baden-Württemberg,<br />
Bayern und Nordrhein-Westfalen<br />
zu Hause. Doch der<br />
Osten ist auf <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>marsch.<br />
Optik und Drehkrane<br />
In Dresden sind Marktführer besonders<br />
zahlreich vertreten. So zum Beispiel<br />
die XENON Automatisierungstechnik<br />
GmbH, ein Spezialist der<br />
Fertigungstechnik für Photovoltaik.<br />
Berlin Heart GmbH Berlin www.berlinheart.de<br />
CyBio AG Jena www.cybio-ag.com<br />
Docter Optics GmbH Neustadt an der Orla www.docteroptics.com<br />
DOPPSTADT CALBE GmbH Calbe www.doppstadt.com<br />
Eisengießerei Torgelow GmbH Torgelow www.eisengiesserei-torgelow.de<br />
ELBAU Elektronik Bauelemente GmbH Berlin www.elbau-gmbh.de<br />
FEP Fahrzeugelektrik Pirna GmbH Pirna www.fepz.de<br />
GERB Schwingungsisolierungen GmbH & Co KG Berlin www.gerb.com<br />
GERMAN PELLETS GmbH Wismar www.german-pellets.de<br />
GlaxoSmithKline Biologicals GmbH Dresden www.glaxosmithkline.de<br />
GÖPEL electronic GmbH Jena www.goepel.com<br />
Herlitz PBS AG Berlin www.herlitz.de<br />
JENOPTIK AG Jena www.jenoptik.com<br />
KAHLA/Thüringen Porzellan GmbH Kahla www.kahlaporzellan.com<br />
Kjellberg Finsterwalde Plasma und Maschinen GmbH Finsterwalde www.kjellberg.de<br />
KOBRA Formen GmbH Lengenfeld www.kobragroup.com<br />
Mecklenburger Metallguss GmbH Waren (Müritz) www.mmgprop.de<br />
NILES - SIMMONS Industrieanlagen GmbH Chemnitz www.niles-simmons.de<br />
Novaled AG Dresden www.novaled.com<br />
Profi roll Technologies GmbH Bad Düben www.profiroll.de<br />
SAXONIA EuroCoin GmbH Halsbrücke www.saxonia-eurocoin.de<br />
Schuberth Holding GmbH Magdeburg www.schuberth.com<br />
Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen GmbH Meißen www.meissen.com<br />
THEEGARTEN-PACTEC GmbH & Co. KG Dresden www.theegarten-pactec.com<br />
TRUMPF Sachsen GmbH Neukirch www.de.trumpf.com<br />
VERBIO Vereinigte BioEnergie AG Leipzig www.verbio.de<br />
WEMA VOGTLAND Technology GmbH Plauen www.wema-vogtland.de<br />
Wie dynamisch der Markt ist, hat sich<br />
bei den jüngsten Turbulenzen der Solarbranche<br />
gezeigt. Ostdeutsche haben<br />
gelernt, sich durchzubeißen. Das<br />
gilt auch für die Dresdner Ardenne<br />
Anlagentechnik GmbH. Elektronenstrahl-Anlagen<br />
von Ardenne waren<br />
bereits vor 1989 von Japan bis in die<br />
USA gefragt. Trotz<strong>dem</strong> erforderte der<br />
Neustart in der Marktwirtschaft enorme<br />
Anstrengungen.<br />
Wer dies im Hinterkopf hat, weiß Erfolge<br />
zu schätzen: Die weltgrößten<br />
Schiffspropeller kommen noch immer<br />
aus der Mecklenburger Metallguss<br />
GmbH in Waren an der Müritz. Die Kirow<br />
AG, Leipzig, ist Marktführer mit<br />
Doppellenker-Wippdrehkranen, Eisenbahnkranen<br />
und Schlackentransportern<br />
für Hochöfen. Auf der Liste finden<br />
sich Pumpen aus Halle, Kommunikationssysteme<br />
aus Kölleda, Optik und<br />
Sensoren aus Jena, Hallenkrananlagen<br />
aus Köthen. Marcel Megerle: „Die<br />
hohe Dynamik in den neuen Bundesländern<br />
ist ungebrochen“. 29 der heutigen<br />
Weltmarktführer aus <strong>dem</strong> Osten<br />
wurden nach 1989 gegründet. Im gesamten<br />
Bundesgebiet waren das 120.<br />
Auf 1000 Einwohner kommen im Osten<br />
1,8 Weltmarktführer, im Westen sind<br />
es nur ca. 1,4. Das zeigt deutlich, wohin<br />
die Reise geht.<br />
Wichtige Botschaften<br />
Etwas anders sieht es bei der Wirtschaftsleistung<br />
aus, die bei etablierten<br />
Firmen in den Altbundesländern noch<br />
immer erheblich größer ist. 1.450 Weltmarktführer<br />
enthält die Weissman-<br />
Datenbank. 856 davon sind Familienunternehmen<br />
mit etwa 6,5 Millionen<br />
Beschäftigten und insgesamt mehr als<br />
zwei Billionen Euro Umsatz pro Jahr.<br />
Hidden Champions: Hinter den Namen<br />
stecken spannende Geschichten, die<br />
für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes<br />
wichtige Botschaften vermitteln.<br />
Besonders für Ostdeutschland. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
30 klipp+klar<br />
Alternativlos?<br />
Eberhard Walter<br />
Präsident des<br />
Unternehmerverbandes<br />
Brandenburg<br />
Die meisten Mittelständler<br />
sind es nicht gewohnt, sich<br />
im Mainstream zu tummeln.<br />
Wir halten es lieber mit einer<br />
alten chinesischen Weisheit –<br />
„Nur tote Fische schwimmen mit<br />
<strong>dem</strong> Strom“ – und sind quicklebendig.<br />
Stichwort Fachkräftemangel. Was<br />
da von der Politik in jüngster Zeit<br />
verlautbart wurde, macht misstrauisch.<br />
Mehr noch, immer wenn<br />
von „alternativlos“ die Rede ist,<br />
sollte das prompt ein Aufruf zur<br />
eigenen Meinungsbildung sein.<br />
Der aufkommende Fachkräftemangel<br />
entspringe eben der <strong>dem</strong>ografischen<br />
Entwicklung, heißt<br />
es schulterzuckend, da könne<br />
man schwer etwas machen. Niedrige<br />
Geburtenraten werden zu<strong>dem</strong><br />
den Unternehmen angelastet, die<br />
Arbeitswelt sei schuld an der Misere.<br />
Basta. Allen Ernstes werden<br />
Unternehmerinnen und Unternehmer<br />
ermahnt, mehr Familienfreundlichkeit<br />
an den Tag zu legen.<br />
Was ist das denn für eine verdrehte<br />
Erklärung, für eine Verklärung?<br />
Leben denn Politikerinnen und<br />
Politiker in Parallelwelten? Wissen<br />
sie nichts von den vielen Familienbetrieben<br />
und deren wertebewusster–<br />
und vielerorts sehr<br />
erfolgreicher – Übernahme von<br />
Verantwortung in ihrer Region?<br />
Die <strong>dem</strong>ografische Entwicklung<br />
entspringt doch gerade einer jahrelang<br />
verfehlten Familienpolitik!<br />
Die allenthalben gepriesene Ich-<br />
Bezogenheit führt zur Entsolidarisierung,<br />
zu fehlender Nestwärme<br />
und zu eben jener <strong>dem</strong>ografischen<br />
Schieflage, der man im Lande so<br />
scheinbar ohnmächtig gegenüber<br />
steht. Alternativlos?<br />
Vernünftige Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen, das bleibt zuvorderst<br />
Aufgabe des Staates. Eingebettet<br />
in die Wertevermittlung muss die<br />
Achtung der Gesellschaft vor den<br />
Demografische<br />
Schieflage<br />
entspringt<br />
einer verfehlten<br />
Familienpolitik<br />
Leistungen der Familien wieder ihren<br />
Stellenwert erhalten.<br />
Wenn heute die Unternehmen die<br />
„Ausbildungsfähigkeit“ von Lehrlingen<br />
mit Hilfe von Förderprojekten<br />
selbst organisieren und tragen,<br />
dann ist das aller Ehren wert, muss<br />
aber zugleich stutzig machen. Die<br />
Rahmenbedingungen unseres Bildungssystems<br />
verschlechtern sich<br />
seit Jahren und die Folgen tragen<br />
die Unternehmen. Einheitsschule,<br />
Erziehungs- und Bildungsauftrag,<br />
Berufsorientierung – das alles seien<br />
keine diskussionswürdigen Begriffe,<br />
meint man in den zuständigen<br />
Ministerien. Pisa quittiert´s.<br />
Wie im Kleinen so auch im Großen.<br />
Die Europäische Zentralbank<br />
beginnt mit einer Lockerung der<br />
Geldpolitik, ungleichgewichtige<br />
Entwicklungen der Länder in Europa<br />
können keinen Widerhall in<br />
der Landeswährung finden, weil<br />
der Euro nun mal da ist. Bei den<br />
Notenbanken häuft sich das Geld,<br />
Inflationspotenzial entsteht. Da<br />
helfen die flotten Sprüche von der<br />
„Beruhigung der Märkte“ nicht.<br />
Und sogar Zypern wird als „systemrelevant“<br />
eingestuft. Loriots<br />
„Wo laufen sie denn, wo laufen sie<br />
denn hin, mein Gott“ bekommt<br />
eine völlig neue Bedeutung.<br />
Deutliche Verunsicherungen im<br />
Lande rühren von diesen viel zitierten<br />
„Märkten“ her. Diese anonymen<br />
Schreckgespenster jeder<br />
Währung immer und gleich<br />
zu bedienen, so verkündet man,<br />
sei alternativlos. Wirklich? Jedes<br />
Unternehmen muss Marktentwicklungen<br />
parieren, sucht<br />
aber immer nach Alternativen<br />
und begreift den Markt als Menschen<br />
mit Bedürfnissen, Sichtweisen,<br />
auch mit Fehlern, denen man<br />
energisch Grenzen setzen muss.<br />
Klare Ansagen sind rar geworden,<br />
es gibt zu viele, die mit <strong>dem</strong> Strom<br />
schwimmen.<br />
Und das Schwert der Opportunisten,<br />
unbequeme Antworten auf<br />
Fragen der Zeit abzuschmettern,<br />
ist die neue Art von „political correctness“,<br />
die gern als Weichspüler<br />
und Tarnkappe verwendet wird.<br />
Die ostdeutschen Unternehmerverbände<br />
möchten sich da nicht<br />
eingliedern. Sie wollen quicklebendig<br />
bleiben. Unbequem zu sein<br />
heißt meist auch, neue Ziele zu formulieren<br />
und so manchem Politiker,<br />
auch mancher Politikerin, auf<br />
die Füße zu treten. Denn sie sind<br />
für uns da, nicht umgekehrt! Im<br />
Großen wie im Kleinen. Stellen<br />
wir uns ruhig öfter mal die Frage,<br />
wenn wieder von Alternativlosigkeit<br />
die Rede ist: Wohin geht es?<br />
Wem nützt es? Ich wünsche uns<br />
viel Erfolg beim Gegen den Strom<br />
Schwimmen und eine glückliche<br />
Hand.<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
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32 innovation+tradition<br />
Maritimer Denkwandel<br />
Veränderungsdruck ist am größten, wenn er existenziell<br />
wird. Das haben die Beschäftigten der maritimen<br />
Industrie in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern schon mehrfach<br />
erfahren müssen. Nach den jüngsten Werftpleiten steht<br />
die Branche vor einem gravierenden Wandel.<br />
Baudock in<br />
Wismar: Voll<br />
ausgelastet.<br />
Der Flaggenwechsel Ende Februar<br />
dieses Jahres auf <strong>dem</strong><br />
nagelneuen Küstenwachschiff<br />
KBV 033 für die schwedische<br />
Coast Guard fühlte sich an<br />
wie immer. Eine normale Ablieferung<br />
eines Schiffneubaus auf<br />
Von Thomas Schwandt<br />
der Wolgaster Peene-Werft. Doch<br />
die Übergabe war keine von den<br />
so vielen davor an <strong>dem</strong> traditionsreichen<br />
Werftstandort. KBV 033<br />
geht in die 65-jährige Geschichte<br />
der Peene-Werft ein als der erste<br />
Auftrag, der nach der Insolvenz<br />
der P+S-Werften neu gewonnen<br />
und abgeschlossen wurde.<br />
Ende August 2012 hatte der Werftenverbund<br />
P+S sich zahlungsunfähig<br />
gemeldet. Trotz eines<br />
Auftragsvolumens von gut einer<br />
Milliarde Euro in den Büchern. Erkauft<br />
mit zum Teil äußerst niedrigen<br />
Preisangeboten konnte der<br />
Auftragsberg die Spätfolgen der<br />
tiefen Schiffbaukrise vom Herbst<br />
2008 nicht kaschieren. Zumal es<br />
ein „weiter so“ auch nach der Fusion<br />
der Stralsunder Volkswerft<br />
und des Schiffbaubetriebes an<br />
der Peene zum P+S-Werftenverbund<br />
Mitte 2010 nicht geben<br />
konnte. Zwar war erkannt worden,<br />
dass für die maritime Industrie<br />
in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern<br />
(MV) nur noch Spezialschiffbau<br />
und der Offshore-Bereich eine Zu-<br />
Fotos: Thomas Schwandt<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
innovation+tradition 33<br />
Gegenwärtig<br />
wird die<br />
Volkswerft in<br />
Stralsund<br />
„warm gehalten“.<br />
kunftschance boten. Dem Werftmanagement<br />
war es jedoch nicht<br />
gelungen, die betrieblichen Strukturen<br />
den neuen Erfordernissen<br />
schnell und umfassend anzupassen.<br />
Gegenwärtig wird die Volkswerft<br />
in Stralsund „warm gehalten“,<br />
wie Axel Schulz, Bevollmächtigter<br />
des Insolvenzverwalters,<br />
es nennt. Die eigens gegründete<br />
Schiffbaugesellschaft Stralsund<br />
baut am Standort für die dänische<br />
Reederei DFDS zwei RoRo-<br />
Spezialfrachter zu Ende. Die Suche<br />
nach einem Investor für die<br />
Volkswerft läuft derweil weiter<br />
auf Hochtouren. Schulz sieht die<br />
größten Chancen für den Fortbestand<br />
des Schiffbaubetriebes am<br />
Sund „im Offshore-Sektor der Ölund<br />
Gas-Industrie“. Hier gebe es<br />
weltweit einen wachsenden Bedarf<br />
nach Service- und Spezialschiffen.<br />
Es sei nach seiner Ansicht<br />
der einzige maritime Markt,<br />
der „noch gut in Form ist“. Bis dato<br />
lägen aber noch keine konkreten<br />
Kaufangebote für die Volkswerft<br />
vor.<br />
In Wolgast herrscht indes „Zuversicht“,<br />
versichert der <strong>Vor</strong>sitzende<br />
des Betriebsrates Carsten<br />
Frick. Die Bremer Lürssen Werft<br />
übernimmt zum 1. Mai dieses Jahres<br />
die Peene-Werft mit zunächst<br />
rund 285 Mitarbeitern plus 61<br />
Auszubildenden. <strong>Vor</strong> der Insolvenz<br />
waren dort 520 Schiffbauer<br />
beschäftigt. Durch die langjährige<br />
Zugehörigkeit zur Hegemann-<br />
Gruppe kennen die Wolgaster<br />
Schiffbauer „die Bremer Mentalität“.<br />
Wie Lürssen ist die Peene-<br />
Werft fokussiert auf Marine- und<br />
Behördenboote sowie Spezialschiffe.<br />
Frick bringt es auf den<br />
Punkt: „Der Schiffbau bei uns<br />
wird sich auf das beschränken,<br />
was in Asien nicht geht.“<br />
Für die maritime Industrie in<br />
MV bedeutet ein schrumpfender<br />
Schiffbau nicht adäquat das Aus.<br />
Auch wenn die Zahlen einen herben<br />
Einbruch des Industriepotenzials<br />
belegen. 2005 erwirtschafteten<br />
die Werften und die<br />
Axel Schulz<br />
Bevollmächtigter des<br />
Insolvenzverwalters<br />
P+S-Werften<br />
Carsten Frick<br />
Betriebsratschef<br />
der Peene-Werft<br />
maritimen Zulieferer im Land einen<br />
Jahresumsatz von zwei Milliarden<br />
Euro. Dieses Volumen hat<br />
sich bis dato halbiert. „Die Zeiten,<br />
in denen sich auf den Werften alles<br />
um möglichst viel Stahldurchsatz<br />
drehte, sind endgültig passé“,<br />
beschreibt Manager Schulz den<br />
Denkwandel. Es seien keine Stan-<br />
Ende Februar<br />
nach Schweden<br />
geliefert,<br />
das Küstenwachschiff<br />
KBV 033.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
34 innovation+tradition<br />
Die Volkswerft<br />
hat<br />
Erfahrung mit<br />
<strong>dem</strong> Bau<br />
v o nO ff s h o r e -<br />
Spezialschiffen<br />
wie diesem<br />
Ankerziehschlepper.<br />
dardlösungen mehr gefragt. Für<br />
die Unternehmen wird das entscheidende<br />
Kriterium zum Überleben<br />
ihre Innovationskraft sein.<br />
Eine Ansicht, die Reinhart Kny,<br />
Geschäftsführer der Rostocker<br />
IMG-Group, teilt. Sein Untenehmen<br />
mit 240 Mitarbeitern ist spezialisiert<br />
auf eigene Systemlösungen<br />
für die maritime und Maschinenbauindustrie.<br />
„Jedes künftig in<br />
Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern projektierte<br />
und gebaute Schiff wird<br />
ein Unikat sein.“ Darauf hätten<br />
sich auch die mehr als 300 maritimen<br />
Zuliefer-, Ausrüstungs- und<br />
Servicefirmen zwischen Wolgast<br />
und Wismar einzustellen. „Im Offshore-Bereich<br />
etwa sind hohe Qualitäts-<br />
und Sicherheitsstandards zu<br />
erfüllen. Entsprechend müssen in<br />
den Betrieben die Fertigungstechnologien<br />
flexibilisiert und qualifiziert<br />
werden“, zeigt Kny den alternativlosen<br />
Weg aus der Krise auf.<br />
Dieser wird bereits auf den Werften<br />
von Nord Yards in Wismar<br />
und Warnemünde konsequent beschritten.<br />
Gleich drei riesige Offshore-Konverterplattformen<br />
werden<br />
dort zurzeit gebaut. Nach <strong>dem</strong><br />
abrupten Aus für den Containerschiffbau<br />
hat sich Nordic Yards auf<br />
Offshore-Projekte fokussiert und<br />
sich binnen kurzer Zeit ein neues<br />
lukratives Geschäftsfeld in der<br />
maritimen Wirtschaft erschlossen.<br />
Die Konverter werden künftig<br />
in Offshore-Windparks in der<br />
Nordsee zum Einsatz kommen,<br />
wo sie den auf hoher See erzeugten<br />
Windstrom von Wechsel- in<br />
Gleichstrom wandeln, damit dieser<br />
verlustarm zur Küste übertragen<br />
werden kann. Kürzlich hatte<br />
Nordic Yards einen weiteren Auftrag<br />
zum Bau eines solchen speziellen<br />
Umspannwerks für den<br />
französischen Alstom-Konzern<br />
erhalten. Das Konstrukt wird die<br />
Höhe eines elfstöckigen Hauses<br />
haben und 85 Mal schwerer sein<br />
als ein Airbus A380.<br />
Von aktuell nur sieben weltweit<br />
im Bau befindlichen Offshore-<br />
Konverterplattformen entstehen<br />
allein vier bei Nordic Yards. Damit<br />
ist die Werft in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern<br />
zum Weltmarktführer<br />
aufgestiegen. <br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
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36 innovation+tradition<br />
Plasma-Pflaster für<br />
chronische Wunden<br />
Wissenschaftler des INP Greifswald und Mediziner des<br />
Klinikums Karlsburg entwickeln gemeinsam innovative<br />
Medizintechnik. Mit einem neuartigen Plasma-Verfahren<br />
wollen sie die schwierige Heilung von großflächigen<br />
Wunden beschleunigen.<br />
Von Anette Pröber<br />
Wunden sind eine schmerzhafte<br />
Erfahrung. Ein verunglückter<br />
Schnitt mit<br />
<strong>dem</strong> Küchenmesser etwa kann<br />
schnell eine kleine blutende Wunde<br />
verursachen. Zur Versorgung<br />
reicht meist ein Pflaster. Doch<br />
was, wenn Wunden großflächig<br />
sind und nicht heilen? Auch über<br />
mehrere Wochen hinweg nicht.<br />
Ursachen für solche chronischen<br />
Wunden, wissen Mediziner, können<br />
sehr komplex sein. Betroffen<br />
sind vor allem ältere und bettlägerige<br />
Menschen sowie Zuckerkranke.<br />
In Deutschland wird von<br />
ca. vier Millionen Menschen ausgegangen.<br />
Jährlich werden 30.000<br />
Amputationen notwendig, was<br />
sechs Milliarden Euro Behandlungskosten<br />
verursacht, schätzen<br />
Wundexperten.<br />
Die Wissenschaftler des Greifswalder<br />
Leibniz-Institutes für Plasmaforschung<br />
und Technologie<br />
e. V. (INP) fühlen sich durch diese<br />
Fakten in ihrer jüngsten Arbeit<br />
bestätigt. Seit 2004 erproben sie<br />
die Wirkungen von kaltem Plasma<br />
bei der Wundheilung. Sie sind<br />
hoffnungsvoll, dass sie das „Plasma-Pflaster“<br />
gefunden haben, das<br />
Bakterien, Keime und Pilze in<br />
Wunden bekämpft und die Heilung<br />
um ein Vielfaches beschleunigt.<br />
„Für Diabetiker wäre ein stimulierendes<br />
Wundheilmittel ein enormer<br />
Fortschritt“, sagt Prof. Wolf-<br />
Fotos: INP Greifswald/ Anette Pröber<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
innovation+tradition 37<br />
gang Kerner, Direktor der Klinik<br />
für Stoffwechselerkrankungen<br />
und Diabetes am Klinikum Karlsburg.<br />
Häufig kommen Patienten<br />
mit diabetischem Fußsyndrom<br />
und schwersten Komplikationen<br />
in die vorpommersche Klinik.<br />
Leider würden Infektionen in<br />
den Gliedmaßen von Patienten<br />
und Hausärzten oft unterschätzt,<br />
meint Prof. Kerner. Eine Amputation<br />
lasse sich dann selten noch<br />
verhindern.<br />
Das diabetische Fußsyndrom ist<br />
eine der häufigsten und schwersten<br />
Folgeerkrankungen des Diabetes.<br />
„25 Prozent aller Diabetiker<br />
entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung<br />
solche Fußläsionen, für die<br />
Nervenschädigungen und Durchblutungsstörungen<br />
die Hauptursachen<br />
sind.“ Laut Prof. Kerner werden<br />
in Karlsburg jährlich rund 200<br />
Patienten mit ambulant nicht beherrschbaren<br />
diabetischen Fußläsionen<br />
betreut.<br />
Eine neuartige Möglichkeit, Wunden<br />
schneller zu heilen, verheißt<br />
das Plasma. Es ist ein Stoff, der<br />
primär nichts mit Medizin zu<br />
Diabetiker sind häufig von<br />
chronischen Wunden betroffen.<br />
tun hat. Es ist der vierte Aggregatzustand,<br />
den Materie neben<br />
<strong>dem</strong> festen, flüssigen und gasförmigen<br />
annehmen kann. Dazu ist<br />
Energie nötig. Trifft diese in Form<br />
elektromagnetischer Strahlung<br />
auf Gas-Atome oder -Moleküle,<br />
lösen sich bei hoher Temperatur<br />
Elektronen aus <strong>dem</strong> Verbund. Die<br />
Energiezufuhr lässt sich jedoch so<br />
dosieren, dass „kaltes Plasma“ entsteht,<br />
wie es schon in Leuchtstoffröhren<br />
genutzt wird. Die Wirkungen<br />
der Plasmaflamme, die nicht<br />
wärmer als die Körpertemperatur<br />
Das Plasma<br />
verheißt eine<br />
neuartige<br />
Möglichkeit,<br />
Wunden<br />
schneller zu<br />
heilen.<br />
ist, sind erstaunlich. Bei entsprechender<br />
Dosis, wiesen die Physiker<br />
und Biologen nach, schädigt<br />
sie Mikroorganismen wie Bakterien,<br />
Keime und Pilze. Indes seien<br />
die menschlichen Zellen nicht<br />
gefährdet. Die Greifswalder Forscher<br />
konnten in einer Laborstudie<br />
mit lebenden Zellkulturen zu<strong>dem</strong><br />
nachweisen, dass Plasma die<br />
Bildung von neuem Gewebe in einer<br />
Wunde anregen kann.<br />
Ein revolutionäres Pflaster scheint<br />
in greifbarer Nähe. INP-Direktor<br />
Klaus-Dieter Weltmann ist zuversichtlich,<br />
dass die ersten Plasmageräte<br />
zur medizinischen Behandlung<br />
bald anwendungsreif sind.<br />
Aber bis dahin sind intensive klinische<br />
Studien und Tests notwendig.<br />
„Wir wollen die Wirkungen<br />
des Plasmas ganz genau verstehen.“<br />
Im Klinikum Karlsburg stehen<br />
die Mediziner der Mitwirkung<br />
auf <strong>dem</strong> jungen Arbeitsgebiet und<br />
am Projekt aufgeschlossen gegenüber.<br />
Prof. Wolfgang Motz, Ärztlicher<br />
Direktor des Herz- und Diabeteszentrums<br />
Karlsburg, hat<br />
Ende 2012 den Neubau eines Diabetes-Innovationszentrums<br />
auf<br />
<strong>dem</strong> Campus angekündigt. „Wir<br />
werden die Zusammenarbeit<br />
mit wissenschaftlichen Einrichtungen<br />
verstärken, um innovative<br />
Technik zu erproben und wissenschaftlich<br />
zu evaluieren. Die<br />
Plasmamedizin bei der Wundheilung<br />
ist eines der herausragenden<br />
Themen.“ Wissenschaft und<br />
Gesundheitsbranche werden eng<br />
verzahnt, um neue Hightech-Produkte<br />
zügig zur Marktreife zu führen.<br />
Neben der Wundheilung verspricht<br />
die Plasma-Therapie einen<br />
vielfältigen Einsatz, etwa bei<br />
der Dekontamination und Sterilisation<br />
von Oberflächen, Materialen<br />
und Produkten aus Kunststoff,<br />
von OP-Bestecken und Implantaten.<br />
<br />
Diabetiker<br />
werden mit<br />
moderner<br />
Medizintechnik<br />
behandelt.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
38 innovation+tradition<br />
Kapitaler Kraftakt<br />
Berlin boomt. Die Stadt wird<br />
kreativer, hat die schillerndste<br />
Gründerszene und rüstet digital<br />
weiter auf. Nun entdecken Senat<br />
und Wirtschaft auch die gute alte<br />
Industrie neu und wollen sie mit<br />
einem Masterplan wiederbeleben<br />
– ein kapitaler Kraftakt.<br />
Von Steffen Uhlmann<br />
Forschen<br />
für die<br />
Zukunft im<br />
Technologiepark<br />
Berlin<br />
Adlershof.<br />
Hinter <strong>dem</strong> blauen <strong>Vor</strong>hang<br />
röhrt es bedrohlich. Eine<br />
Sirene erschallt, der <strong>Vor</strong>hang<br />
fällt und gibt den Blick auf<br />
den dröhnenden Laster frei, auf<br />
dessen Ladefläche die erste Straßenbahn<br />
steht, die der Schweizer<br />
Bahntechnik-Hersteller Stadler<br />
in seinem neuen Montagewerk<br />
in Berlin-Hohenschönhausen zusammengebaut<br />
hat. 300 weitere<br />
Arbeitsplätze haben die Schweizer<br />
mit ihrer jüngsten Investition<br />
geschaffen. Sie kommen zu<br />
den über 800 Stellen hinzu, die<br />
Stadler in seinen drei alten Berliner<br />
Werken bereits unterhält –<br />
eine Erfolgsgeschichte für die industriearme<br />
Hauptstadtregion,<br />
die <strong>dem</strong>nächst noch weitere Kapitel<br />
erhalten könnte. Denn Berlin<br />
und das benachbarte Brandenburg<br />
entwickeln sich langsam zu<br />
einem Zentrum für Schienenverkehrstechnik<br />
und knüpfen damit<br />
an alte Zeiten an. Bereits im 19.<br />
Jahrhundert machten Industrielle<br />
und Erfinder wie August Borsig<br />
die Region zum Kreativort des Lokomotivbaus.<br />
Hier wurde die erste<br />
elektrische Bahn der Welt auf die<br />
Schienen gestellt.<br />
Doch mit <strong>dem</strong> zweiten Weltkrieg<br />
schalteten die Signale auf Rot für<br />
die Branche. Nach ihrem Einzug in<br />
Berlin baute die Rote Armee ganze<br />
Produktionsanlagen ab. Zugleich<br />
verlegten Konzerne ihre Standorte<br />
nach Westdeutschland. Jetzt aber<br />
hat die Branche den traditionsreichen<br />
Standort wiederentdeckt.<br />
Bombardier Transportation, einer<br />
der größten Bahntechnikhersteller<br />
der Welt, hat schon vor Jahren<br />
seine Zentrale in Berlin angesiedelt<br />
und betreibt in Hennigsdorf<br />
bei Berlin eines seiner leistungsstärksten<br />
Werke. Auch Konkurrent<br />
Siemens ist in Berlin mit seiner<br />
Konzernsparte »Mobility«<br />
vertreten. Und neben Stadler unterhalten<br />
kleinere Bahntechnikspezialisten<br />
Werke in der Hauptstadtregion.<br />
Insgesamt zählt die<br />
Bahnbranche in der Region 115<br />
Unternehmen mit 20. 000 Arbeitsplätzen.<br />
»Berlin hat noch andere gute Geschichten<br />
zu erzählen«, sagt die<br />
neue Wirtschaftssenatorin Cornelia<br />
Yzer (CDU) und ist sich sicher:<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
innovation+tradition 39<br />
1920 war jeder<br />
zehnte deutsche<br />
Industriearbeitsplatz<br />
in Berlin<br />
angesiedelt.<br />
»Die Aufholjagd hat begonnen,<br />
wenn auch auf niedrigem Niveau.«<br />
Die Jagd ist trotz<strong>dem</strong> ein kapitaler<br />
Kraftakt für die Hauptstädter, die<br />
mit <strong>dem</strong> vom Senat aufgelegten<br />
»Masterplan Industriestadt Berlin<br />
2010–2020« ein Stück zu ihren<br />
Wurzeln zurück wollen. Noch<br />
vor 100 Jahren war Berlin mit etwa<br />
600.000 Beschäftigten die größte<br />
Industriestadt zwischen Paris und<br />
Moskau. Dafür gesorgt hatten neben<br />
Borsig solche Erfinder und<br />
Unternehmer wie Werner von Siemens,<br />
der im Alter von 31 Jahren<br />
zusammen mit <strong>dem</strong> Universitätsmechaniker<br />
Johann Georg Halske<br />
vor fast genau 165 Jahren in Berlin<br />
die »Telegraphen-Bauanstalt von<br />
Siemens & Halske« gründete. Damit<br />
legten sie den Grundstein für<br />
Siemens fertigt in Berlin Gasturbinen.<br />
ein Unternehmen, das aus einer<br />
kleinen Hinterhofwerkstatt über<br />
Jahrzehnte hinweg zu einem der<br />
bekanntesten deutschen Weltkonzerne<br />
aufstieg. Siemens ist<br />
trotz vieler Konzentrationsprozesse<br />
noch immer größter industrieller<br />
Arbeitgeber in Berlin.<br />
Noch 1920 war jeder zehnte deutsche<br />
Industriearbeitsplatz in Berlin<br />
angesiedelt. Spätestens nach<br />
<strong>dem</strong> Zweiten Weltkrieg aber begann<br />
der Abstieg der fortan zweigeteilten<br />
Industriemetropole, der<br />
sich nach der deutschen Einheit<br />
massiv fortsetzte. Die bis dato<br />
hochsubventionierten Werkbänke<br />
West überlebten die Wende<br />
genauso wenig wie die zumeist<br />
maroden Industriekombinate im<br />
Osten der Stadt. Schließlich hatte<br />
die Bundesregierung in Erwartung<br />
der vielfach prophezeiten<br />
Wirtschaftsdynamik die Subventionen<br />
drastisch gekürzt, die noch<br />
bis zum Mauerfall die Industrie<br />
auf der „Insel Westberlin“ künstlich<br />
am Leben erhalten hatte. Unternehmen<br />
bauten dramatisch<br />
Arbeitsplätze ab, schlossen ihre<br />
Berliner Werke ganz oder gingen<br />
sogar in Konkurs. Den Ostteil traf<br />
Berliner Trends<br />
Gründer-Hauptstadt: Nirgendwo in Deutschland werden<br />
so viele Gewerbe pro 10.000 Erwerbspersonen angemeldet<br />
wie in Berlin. 2011 waren das 48.715. Zieht man die<br />
Abmeldungen (2011: 33.797) ab, bleibt immer noch ein<br />
kräftiger Überschuss.<br />
Digitaler Boom: Der Megacluster »Informations- und<br />
Kommunikationstechnologie, Medien, Kreativwirtschaft«<br />
wächst in Berlin am stärksten. Allein in diesem Bereich<br />
sind 2011 mit etwa 2.500 Stellen rund die Hälfte aller<br />
neuen Arbeitsplätze entstanden, darunter 1.500 in der<br />
digitalen Wirtschaft.<br />
Pleiten-Geschehen: Berlins Wirtschaft wird robuster.<br />
Im Krisenjahr 2012 ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen<br />
gegenüber <strong>dem</strong> Jahr zuvor um mehr als sieben<br />
Prozent gesunken. Mithin gab es 1.280 Firmenpleiten –<br />
100 weniger als 2011.<br />
es noch schlimmer. Hier haben<br />
die schnelle Privatisierung und<br />
der Verzicht auf eine sorgsame<br />
Sanierung von Betrieben durch<br />
die Treuhandanstalt vielen kleine<br />
und große Unternehmen das<br />
Leben gekostet. Übrig blieb eine<br />
industrielle Diaspora mit zwischenzeitlich<br />
nicht einmal mehr<br />
100.000 Beschäftigten. 1991 waren<br />
es in beiden Teilen der Stadt<br />
immerhin noch 315.000 gewesen.<br />
Jetzt aber hat Berlin Pläne – viele:<br />
einen Masterplan für die weltberühmte<br />
Museumsinsel, einen für<br />
den Aufstieg zu Europas führender<br />
Gesundheitsregion, den Plan<br />
zum deutschen Wissenschaftsstandort<br />
Nummer eins, inklusive<br />
einer »Transfer-Allianz«, die Forschungseinrichtungen<br />
mit Unternehmen<br />
stärker zusammenspannen<br />
will. Nun auch noch den<br />
Masterplan für die Industrie. Und<br />
der ist bemerkenswert für Berlins<br />
emsige Planwirtschaftler. Schließ-<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
40 innovation+tradition<br />
Blick in die<br />
Straßenbahnfertigung<br />
von<br />
Stadler in<br />
Hohenschönhausen.<br />
lich hieß die Parole des Senats lange<br />
Zeit: Industrie war gestern, die<br />
Zukunft heißt Dienstleistungsmetropole<br />
Berlin. Jetzt aber hat sich<br />
bei der Politik mehr und mehr die<br />
Erkenntnis durchgesetzt, dass<br />
Berlin nicht allein vom »Haare<br />
schneiden« leben kann und die<br />
Hauptstadt neben Tourismus, Medien-<br />
oder Kreativwirtschaft auch<br />
weiterhin Industrie braucht. Immerhin<br />
hängen an je<strong>dem</strong> industriellen<br />
Arbeitsplatz mindestens<br />
zwei weitere Stellen im Dienstleistungsgewerbe.<br />
»Das einstige Volumen an Industriearbeitsplätzen<br />
kommt vermutlich<br />
nie wieder«, glaubt Jan Eder,<br />
Hauptgeschäftsführer der Berliner<br />
Industrie- und Handelskammer<br />
(IHK). Aber eine Verdopplung<br />
der derzeit vorhandenen knapp<br />
106.000 Industriejobs sei durchaus<br />
drin. Gute Ansätze dafür gibt<br />
es. Seit 2003 wächst die Bruttowertschöpfung<br />
der Industrie wieder.<br />
Und dass Berlin seit einigen<br />
Jahren das höchste Wirtschaftswachstum<br />
im Bundesvergleich<br />
abliefert, ist auch der Industrie<br />
zu verdanken. Berlin schlägt 2013<br />
Berlin erwartet<br />
2013 ein doppelt<br />
so starkes<br />
wirtschaftliches<br />
Wachstum wie<br />
für den Bund<br />
prognostiziert.<br />
genauso wie im <strong>Vor</strong>jahr den Rest<br />
der Republik: Die Hauptstadt wird<br />
aller <strong>Vor</strong>aussicht nach in diesem<br />
Jahr mit einem Plus von 1,5 Prozent<br />
ein doppelt so starkes Wachstum<br />
wie der Bund erreichen.<br />
Ungeachtet dieser aktuellen Zahlen<br />
sprechen zwei Gründe dafür,<br />
dass es mit <strong>dem</strong> industriellen Wiederaufstieg<br />
klappen könnte. Zum<br />
einen hat sich Berlins Industrie<br />
in gewissem Sinne neu erfunden,<br />
zum anderen sind die Unternehmen,<br />
bei allen noch vorhandenen<br />
Rückständen, innovativer und damit<br />
konkurrenzfähiger geworden.<br />
Eine Studie der Unternehmensberatung<br />
McKinsey prophezeit für<br />
Berlin bis zum Jahr 2020 eine halbe<br />
Million neue Arbeitsplätze –<br />
vorausgesetzt, dass neben den<br />
laufenden Jobmotoren Tourismus,<br />
Dienstleistungen, IT und Medien<br />
zusätzlich neue industrielle Wirtschaftskerne<br />
entstünden.<br />
Keine Frage, ein kapitaler Kraftakt<br />
steht vor Berlin, der zumindest an<br />
einigen Orten in der Stadt bereits<br />
deutliche Ergebnisse zeitigt. So in<br />
Berlin-Adlershof, wo mit Hilfe von<br />
mindestens 1,3 Milliarden Euro<br />
öffentlicher Gelder Deutschlands<br />
leistungsstärkster Industrie- und<br />
Wissenschaftspark entstand – mit<br />
inzwischen fast 1. 000 Unternehmen,<br />
Hochschul- und Forschungseinrichtungen,<br />
die über 15.000<br />
Mitarbeiter beschäftigen. Nach<br />
<strong>dem</strong> Adlershofer Modell soll auch<br />
das Gelände des Flughafens Tegel<br />
entwickelt werden, wenn Tegel im<br />
nächsten Jahr geschlossen wird.<br />
Das aber steht in den Sternen, solange<br />
der Starttermin für den neuen<br />
Flughafen BER in Schönefeld<br />
offen bleibt. Sicher ist bislang nur,<br />
dass nichts sicher ist – weder Termin<br />
noch Kosten für das Milliardenprojekt.<br />
Berlin bleibt trotz industriellem<br />
Aufschwung in den letzten Jahren<br />
ein schwieriger Fall. Es geht<br />
in der industriellen Szenerie auf<br />
und ab: hier die Stadler-Investition,<br />
dort Pläne des weltweit führenden<br />
Verpackungsmittelherstellers<br />
Tetra Pak, sein Berliner Werk mit<br />
knapp 200 Beschäftigten zum Jahresende<br />
zu schließen. Und auch<br />
Siemens wird im Rahmen seines<br />
weltweiten Kostensparprogramms<br />
in der Stadt, wo alles für den Konzern<br />
anfing, Stellen streichen.<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
Chefsache im 24. Jahrgang<br />
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42 ideen+impulse<br />
Der Marathonläufer<br />
Karl Gries privatisierte 1991 gegen den Willen der Treuhand<br />
die Chemnitzer Strickmoden Bruno Barthel GmbH<br />
und trieb seither mit langem Atem das selbst kreierte<br />
Label MaxiMo zur europäischen Marktführerschaft bei<br />
hochwertigen Kindermoden. Von Harald Lachmann<br />
Strickt am<br />
Erfolg: Textil-<br />
unternehmer<br />
Karl Gries.<br />
Der Kopf ist, was die Abmessungen<br />
betrifft, das komplizierteste<br />
Körperteil“, beteuert<br />
Karl Gries. Anders ausgedrückt:<br />
Wer sich an Kopfbedeckung versucht,<br />
wagt sich an die hohe Schule<br />
der Bekleidungsbranche. Gries lächelt<br />
selbstbewusst: „Unsere Mützen<br />
passen!“ Das bekam er kürzlich<br />
wieder in Florenz bestätigt<br />
– auf der „Pitti Immagine Bimbo“,<br />
der Weltleitmesse für Kindermode.<br />
Dort waren nicht die italienischen<br />
Edelmarken die größten<br />
Aussteller, sondern die Sachsen<br />
aus Chemnitz. „Wir sind im hochwertigen<br />
Segment von Kopfbedeckungen<br />
und Strickwaren für Kinder<br />
die Nummer 1 in Deutschland<br />
und in Europa.“<br />
Gries hat in den zurückliegenden<br />
zwei Jahrzehnten nichts <strong>dem</strong><br />
Zufall überlassen. Er sei „extrem<br />
ehrgeizig“, sagt er über sich selbst.<br />
Tagelang hat er zum Beispiel über<br />
einem markigen Label gebrütet.<br />
Es sollte auf das Metier verweisen,<br />
auch für Kinder aussprechbar sein<br />
und gut klingen. Die kreierte Marke<br />
MaxiMo wird hin und wieder<br />
gar für eine italienische gehalten.<br />
Unter <strong>dem</strong> Logo existiert inzwischen<br />
eine ganze Markenfamilie:<br />
MaxiMo, MaxiTeens, MaxiSports,<br />
MaxiMo Mini, MaxiMo for babies,<br />
MXO…<br />
Auf der Kundenliste der Chemnitzer<br />
finden sich heute über 3.000<br />
Fachhändler in 41 Ländern. Gut<br />
45 Prozent der Produktion werde<br />
im Ausland verkauft, so der studierte<br />
Textilingenieur und Jurist.<br />
Die Barthel GmbH ist ein Phänomen<br />
in der deutschen Textillandschaft.<br />
Von den 86 Unternehmen,<br />
die einst in der DDR Kindermode<br />
produzierten, überlebte nur eins,<br />
die 1991 maßgeblich durch Gries<br />
reprivatisierte Strickmoden Bruno<br />
Barthel GmbH. Seither ging es<br />
mit der geschäftlichen Entwicklung<br />
stetig nach oben. Heute erlöst<br />
Die Kundenliste<br />
der Chemnitzer<br />
umfasst heute<br />
mehr als 3.000<br />
Fachhändler<br />
in 41 Ländern.<br />
die Firma jährlich 17 Millionen<br />
Euro–das 30-fache des Startjahres.<br />
Die Zahl der Mitarbeiter stieg<br />
von knapp siebzig auf derweil 140.<br />
Aus der „exzellenten Mannschaft“<br />
hebt er die Designabteilung hervor,<br />
die jährlich 90Prozentdes 800<br />
Artikel umfassenden Sortiments<br />
erneuere. Das Team an den hoch-<br />
Foto: Harald Lachmann<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
ideen+impulse 43<br />
modernen Flachstrickautomaten<br />
arbeite mit hoher „Effektivität, Arbeitsdisziplin<br />
und Qualität“. Gries<br />
betont die Servicekompetenz seiner<br />
Leute. „Wir haben da unsere<br />
eigene Art.“ Freundlichkeit, Zuverlässigkeit,<br />
Charme, Kundenbezogenheit...<br />
Karl Gries hat das Textilgeschäft<br />
im Eichsfeld-Städtchen Leinefelde<br />
von der Pike auf erlernt. Mit<br />
seiner Frau ging es zum Studium<br />
nach Karl-Marx-Stadt, <strong>dem</strong> heutigen<br />
Chemnitz. Danach begann er<br />
in der Handschuhfabrik in Rabenstein,<br />
die seit 1897 Fingerwärmer<br />
fertigte. Damals zählten sie im<br />
Verbund der Betriebsteile 2.000<br />
Mitarbeiter. Gries wurde im Rabensteiner<br />
Werk später Direktor<br />
für Produktion und Materialwirtschaft.<br />
In der Wende setzte ihn die<br />
Treuhand als Geschäftsführer ein.<br />
Nach den <strong>Vor</strong>stellungen der Behörde<br />
sollte dies ein kurzes Intermezzo<br />
sein. Der Betrieb stand<br />
zur Abwicklung. Doch da spielte<br />
Gries, der Langstreckenläufer,<br />
der schon den Rennsteig-Kanten<br />
und den Marathon „unter drei<br />
Stunden“ lief, nicht mit. „Ich habe<br />
eben immer ein Ziel, eine Zahl, die<br />
Prämissen:<br />
Fertigung in<br />
Deutschland und<br />
hochwertig statt<br />
billig.<br />
ich erreichen will.“ Damals stand<br />
es arg um die Firma. „Wir hatten<br />
definitiv nichts von <strong>dem</strong>, was wir<br />
jetzt brauchten“, erinnert er sich.<br />
„Weder Kunden noch Aufträge,<br />
keine Vertriebsstruktur, keine<br />
Einkaufskanäle, null Kontakte<br />
und auch keine zeitgemäße Technik.“<br />
Nur „unendlich motiviert“<br />
seien alle gewesen.<br />
Für die ersten drei Monate auf eigene<br />
Rechnung sagten die schwäbischen<br />
Firmenerben die Gehälter<br />
zu. Doch Risiko, Initiative und<br />
sonstiges Geschick lasteten von<br />
Beginn an auf Karl Gries. Im Gegenzug<br />
kann er bis heute jeden erwirtschafteten<br />
Euro im Unternehmen<br />
belassen.<br />
Die ersten vier modernen Flachstrickmaschinen<br />
jedoch erwarb<br />
Gries in Aachen praktisch ohne<br />
Geld. Mit Charisma, Geschick<br />
und Visionen überzeugte er seine<br />
Gesprächspartner. Und dann<br />
kam 1994 auch das notwendige<br />
Glück dazu. Ein Wirtschaftsprüfer<br />
hatte bereits empfohlen, den<br />
Laden dicht zu machen, da landete<br />
Gries in Essen den ersten dicken<br />
Auftrag. Karstadt orderte für<br />
100.000 D-Mark. Bedingung: Lieferung<br />
binnen zwei Wochen. Die<br />
Chemnitzer lieferten!<br />
Der Deal brachte die nötige Liquidität<br />
für neue Kollektionen,<br />
neue Absatzfelder, neue Maschinen.<br />
Die Barthel GmbH liefert heute<br />
bis nach China und Russland.<br />
Mit <strong>dem</strong> Erfolg wuchs der Betrieb.<br />
Erst wurde in Rabenstein erweitert,<br />
dann in Chemnitz komplett<br />
neu gebaut. Vom ersten Tag hielt<br />
sich Gries an zwei Prämissen: Nur<br />
hochwertige Kollektionen statt<br />
Billigschiene sowie Fertigung in<br />
Deutschland.<br />
Der 66-Jährige hat inzwischen seinen<br />
Nachfolger Thomas Merk eingearbeitet.<br />
Dieser stammt nicht<br />
aus der Familie. Denn seine beiden<br />
Söhne hatten kein Interesse.<br />
Künftig will Gries viel reisen. Zusammen<br />
mit seiner Frau, die sich<br />
schon sehr darauf freut. „Ich bin<br />
zwar schon durch die ganze Welt<br />
geflogen, im Grunde habe ich aber<br />
nie anderes als Messestände und<br />
Verkaufsbüros gesehen“, blickt<br />
der Marathonläufer auf seine Strecke<br />
zurück.<br />
Schick in Strick -<br />
aus der Kollektion<br />
der Chemnitzer.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
44 frauen+führung<br />
Engagierter Pflege-Fall<br />
Aus <strong>dem</strong> steigenden Bedarf in der Pflege älterer und<br />
hilfsbedürftiger Menschen ist längst ein Geschäftsfeld<br />
erwachsen. Die Rostocker Unternehmerin Iris Tschischke<br />
hatte den Mut, sich mit privat geführten Pflegeheimen<br />
eine eigene Existenz aufzubauen. Von Anette Pröber<br />
Versuchen Sie es. Die Füße<br />
tragen Sie.“ Pflegeheimleiterin<br />
Iris Tschischke macht<br />
einer 70-jährigen Bewohnerin<br />
Mut. Diese hat nach einem Beinbruch<br />
den Rollstuhl noch nicht<br />
wieder verlassen und soll mit einer<br />
Therapeutin das Aufstehen<br />
üben. Als Tschischke bemerkt,<br />
dass die ältere Dame sich zurücksacken<br />
lassen will, noch ehe der<br />
erste Fuß den Boden berührt hat,<br />
greift sie ihr beherzt unter die<br />
Arme. „Keine Angst, ich weiß, Sie<br />
können das!“ Und tatsächlich gelingt<br />
es. Die Frau steht, noch etwas<br />
wacklig und sich am Bett festhaltend,<br />
aber sie steht. Die Freude<br />
über den Erfolg ist ihr anzusehen.<br />
Ein schnelles Aufgeben, nein,<br />
das akzeptiert die Rostockerin<br />
Iris Tschischke nicht. Das hat sie<br />
auch für sich nie gelten lassen.<br />
Selbst in nahezu ausweglosen Situationen.<br />
Andere hätten längst<br />
alles hingeschmissen. Damals,<br />
als sie mit Anfang 30 eine Bank<br />
zur Baufinanzierung eines Pflegeheims<br />
suchte und nur Absagen<br />
erhielt. „Die meisten Bankhäuser<br />
haben sich nicht einmal mein<br />
Konzept angehört. Denen war ich<br />
einfach zu jung“, erinnert sich die<br />
heute 45-jährige Unternehmerin.<br />
Natürlich sei sie auch ein wenig<br />
blauäugig gewesen, gibt sie zu.<br />
So ohne Garantien, ohne Versorgungsverträge<br />
von Krankenkassen,<br />
mit einem unausgereiften Architektenentwurf<br />
in der Tasche.<br />
Der Ehemann in der IT-Branche<br />
in Wuppertal und sie, die Ostdeutsche,<br />
die unbedingt in ihrer Heimatstadt<br />
etwas aufbauen wollte.<br />
Sie ließen sich trotz des Gegen-<br />
Die gelernte<br />
Altenpflegerin<br />
wollte endlich<br />
ihr eigenes<br />
soziales Konzept<br />
umsetzen.<br />
Fotos: Anette Pröber<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
frauen+führung 45<br />
windes nicht beirren, sie glaubten<br />
fest an ihr Projekt: Die gelernte<br />
Altenpflegerin wollte endlich<br />
ihr eigenes soziales Konzept umsetzen.<br />
Alten Menschen die letzten<br />
Lebensjahre so angenehm wie<br />
möglich zu gestalten.<br />
Die kleine, schmale Frau lächelt<br />
und blickt aus <strong>dem</strong> Beratungsraum<br />
im „Südhus-Nord“ auf den<br />
schön gestalteten Innenhof des<br />
modernen Klinkerbaus. Es ist das<br />
zweite stationäre Pflegeheim, das<br />
sie inzwischen in Rostock als Unternehmerin<br />
betreibt. 2002 eröffnete<br />
die erste Einrichtung „Südhus“<br />
mit 30 Betten in der Rostocker<br />
Südstadt, 2010 folgte die<br />
zweite mit 70 Betten am anderen<br />
Ende der Stadt, in Toitenwinkel.<br />
Dass ihre Träume wahr wurden,<br />
verdankt die quirlige Frau allein<br />
ihrer Zielstrebigkeit. Unerschrocken<br />
bewarb sie sich bei der Hansestadt,<br />
um in die kommunale<br />
Bedarfsplanung und Förderung<br />
zu gelangen. Pflegeheimplätze<br />
waren Mitte der 90er Jahre nur<br />
wenige vorhanden. Hoffnungen<br />
machten Rathausmitarbeiter ihr<br />
trotz<strong>dem</strong> nicht. Durch ein Los<br />
der „Aktion Mensch“, das sie zufällig<br />
in die Hand bekam, erfuhr<br />
sie dann von der Bank für Sozialwirtschaft<br />
in Berlin. Dort fand<br />
sie die Aufmerksamkeit, die ihr<br />
bislang versagt war. Und vor allem<br />
Menschen, die an sie glaubten.<br />
Sie halfen, ein ordentliches<br />
Finanzierungs- und Unternehmenskonzept<br />
aufzustellen und<br />
die Baupläne zu überarbeiten.<br />
Zwei Jahre Zeit investierten beide<br />
Seiten in die Pläne. Doch dann<br />
kam überraschend die Förderzusage<br />
durch die Hansestadt Rostock<br />
und das Land Mecklenburg-<br />
<strong>Vor</strong>pommern, und es ging plötzlich<br />
alles sehr schnell.<br />
Das „Südhus“ entstand als das erste<br />
private Pflegeheim in der Hansestadt<br />
Rostock. Viel Zeit, um<br />
Zum Konzept<br />
gehört es,<br />
niemanden<br />
ständig im Bett<br />
zu belassen.<br />
den Erfolg zu feiern, blieb nicht.<br />
Iris Tschischke arbeitete von Anfang<br />
an mit, zeigte mit ihrem eigenen<br />
<strong>Vor</strong>bild, wie sie sich Top-Pflege<br />
vorstellt.<br />
Die Plätze des stationären Pflegeheimes<br />
waren sofort belegt. Der<br />
hohe Standard und die gemütliche<br />
Atmosphäre in attraktiver Umgebung<br />
überzeugten. Neben der eigenen<br />
Hausküche und <strong>dem</strong> gemeinsamen<br />
Speisesaal fand sich<br />
auch Platz für eine Bewohnerküche<br />
mit Terrasse. „Wir verstehen<br />
Pflege als Hilfestellung für ein<br />
selbstbestimmtes Leben. Deshalb<br />
beziehen wir die Bewohner aktiv<br />
in die Gestaltung des Tagesablaufes<br />
ein“, sagt Iris Tschischke. Wer<br />
mag, schält Kartoffeln oder backt<br />
den Sonntagskuchen. Zum Konzept<br />
gehört es, niemanden ständig<br />
im Bett zu belassen. Nach der Pflege<br />
werden die Heimbewohner angezogen<br />
und können im Rollstuhl<br />
am Leben teilnehmen.<br />
Derzeit betreuen 23 Mitarbeiter,<br />
darunter 18 Vollzeitarbeitskräfte,<br />
die 30 Pflegeheimbewohner. „Bewusst<br />
suchen wir die hohe Qualität<br />
der Pflege und Betreuung.<br />
Doch unter <strong>dem</strong> Strich muss es<br />
sich auch rechnen“, erklärt die Managerin<br />
Tschischke. So entstand<br />
recht bald der Gedanke, ein größeres<br />
Heim zu bauen, in <strong>dem</strong> die<br />
Abläufe in der Pflege noch besser<br />
zu optimieren sind. Bundesweit<br />
suchte die Rostockerin über eine<br />
Unternehmensberatung nach einem<br />
Investor. „Auch das gestaltete<br />
sich nicht so einfach“, erklärt<br />
die selbstbewusste Frau, die inzwischen<br />
Mutter einer kleinen<br />
Tochter geworden war. Einmal<br />
wurde ihr sogar angeboten, die<br />
fünf Millionen Euro für den Bau<br />
im Koffer vorbeizubringen. Iris<br />
Tschischke lacht: „Vermutlich<br />
Schwarzgeld.“ Schließlich fand<br />
sie den Investor durch eine Empfehlung<br />
„gleich um die Ecke“. Ein<br />
Bauunternehmen der Stadt konn-<br />
Wohlfühl-<br />
Atmosphäre<br />
beim<br />
gemeinsamen<br />
Essen.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
46 frauen+führung<br />
„Ich fühle mich<br />
wie in einem<br />
Hotel mit einer<br />
zusätzlichen<br />
medizinischen<br />
u n dp fl e g e r i-<br />
schen Betreuung.“<br />
Mensch ärgere<br />
Dich nicht!<br />
Das Spiel<br />
ist beliebter<br />
Freizeitspaß.<br />
te sich für das Projekt erwärmen.<br />
„Es ist wichtig, dass beide Partner<br />
die gleiche Wellenlänge finden<br />
und sich das <strong>Vor</strong>haben einander<br />
zutrauen“, sagt Tschischke. Der<br />
Erfolg spricht für sich, Qualität<br />
und Zahlen stimmen. Beide Häuser<br />
der Südhus GmbH wurden bereits<br />
mit hohen Qualitätssiegeln<br />
geehrt und gelangten auf die Focus-Liste<br />
der Top-Pflegeheime.<br />
Ohne ein<br />
strenges<br />
Zeitregime<br />
funktioniert<br />
auch in den<br />
Südhus-<br />
Pflegeheimen<br />
die Arbeit nicht.<br />
„Ich fühle mich wie in einem<br />
Hotel mit einer zusätzlichen medizinischen<br />
und pflegerischen Betreuung“,<br />
sagt der gewählte Bewohner-Vertreter<br />
Günter Rohloff.<br />
Der 83-Jährige erzählt, dass die<br />
Heimbewohner ihr Leben in allen<br />
Dingen aktiv mitgestalten<br />
können. Er habe den Schritt ins<br />
Pflegeheim nicht bereut. Hier genieße<br />
er soziale Kontakte und sei<br />
auch wieder „mobilisiert“ worden.<br />
Ist Pflege in einem privaten Pflegeheim<br />
überhaupt bezahlbar?<br />
„Wir machen um die Preise kein<br />
Geheimnis, um Missverständnisse<br />
auszuräumen. Sie sind von<br />
je<strong>dem</strong> auf unserer Internetseite<br />
einsehbar. Gegliedert nach Pflegestufen<br />
und Pflegezuschüssen“,<br />
erklärt Tschischke. Wer ca. 4o Jahre<br />
gearbeitet habe und Pflegestufe<br />
2 erhalte, könne die Kosten in der<br />
Regel von der Rente gut bezahlen.<br />
Natürlich werde jeder Interessent<br />
individuell beraten.<br />
Iris Tschischke, die <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>stand<br />
des Verbandes der Unternehmerinnen<br />
in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern<br />
angehört, liebt klare Ansagen.<br />
Der interessierte Jobsucher<br />
erfährt bereits auf der Homepage<br />
ihrer Südhus GmbH, wie und in<br />
welchen Zeitabständen sich die<br />
Karriere gestalten wird, wie die<br />
Weiterbildung geplant ist und wie<br />
jeder selbst zu einer höheren Entlohnung<br />
beitragen kann.<br />
Ohne ein strenges Zeitregime<br />
funktioniert auch in den Südhus-<br />
Pflegeheimen die Arbeit nicht.<br />
„Aber alles ist ohne Probleme gut<br />
zu schaffen“, sagt die Chefin. Und<br />
jeder im Haus weiß, dass die kleine<br />
Frau ihnen das vormachen<br />
kann. Denn nicht selten streift<br />
sie das blaue Polo-Shirt mit der<br />
Aufschrift „Pflegefachkraft“ über.<br />
Im Nu ist sie dann eine der fleißigen<br />
Pflegekräfte im Haus, die alten<br />
Menschen den Rücken wäscht<br />
oder ihnen auf die Toilette hilft.<br />
An <strong>dem</strong> pünktlichen Feierabend<br />
hält Iris Tschischke allerdings<br />
fest, um Tochter Antje-Susann<br />
zu betreuen. Der Mann arbeitet<br />
wochentags noch immer in Wuppertal.<br />
„Die Wochenendehe ist in<br />
Ordnung, wir genießen die freien<br />
Tage zu dritt“, sagt sie. In der<br />
Freizeit entspannt sie am Besten<br />
beim Buchsbaumschneiden oder<br />
beim Joggen. In der Regel zieht sie<br />
dreimal die Woche die Laufschuhe<br />
an. Ausdauer und Ehrgeiz gehören<br />
bei Iris Tschischke einfach<br />
dazu. <br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
48 rat+tat<br />
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ZUR SACHE<br />
Attacken aus <strong>dem</strong> Netz<br />
Matthias Salm<br />
Eine neue Idee aus Brüssel sorgt für Unmut<br />
bei deutschen Unternehmen. Die EU-Kommission<br />
will das weltweite Internet sicherer<br />
machen und hat dafür einen Cybersicherheitsplan<br />
sowie einen Kommissionsvorschlag für<br />
eine Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit<br />
entwickelt. Darin enthalten ist eine<br />
Meldepfl icht für Cyber-Attacken<br />
auf Unternehmen.<br />
Betreiber kritischer Infrastrukturen<br />
in bestimmten Bereichen,<br />
genannt werden Finanzdienste,<br />
Verkehr, Energie<br />
und Gesundheitswesen, Betreiber<br />
zentraler Dienste der<br />
Informationsgesellschaft,<br />
hier vor allem App-Stores,<br />
eCommerce-Plattformen, Internet-Zahlungsdienste,<br />
Cloud-Computing,<br />
Suchmaschinen und soziale Netze, sowie öffentliche<br />
Verwaltungen sollen <strong>dem</strong>nach verpfl<br />
ichtet werden, Risikomanagementmethoden<br />
einzuführen. Hacker-Angriffe oder Computerviren<br />
in ihren Kerndiensten sollen die genannten<br />
Betriebe und Behörden dann künftig an<br />
eine öffentliche Stelle melden müssen.<br />
Hintergrund des EU-<strong>Vor</strong>stoßes ist das weltweite<br />
Anwachsen der Cyber-Kriminalität: Nach EU-<br />
Angaben sind etwa 150.000 Computerviren jeden<br />
Tag im Umlauf. 148.000 Computer werden<br />
täglich neu infi ziert. Laut Weltwirtschaftsforum<br />
besteht zu<strong>dem</strong> eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit,<br />
dass es in absehbarer Zeit zu<br />
einem großen Absturz kritischer Informationsinfrastrukturen<br />
kommt. Die Wirtschaft kann<br />
diese Gefahr von Attacken aus <strong>dem</strong> Netz nicht<br />
Die Cyber-Kriminalität<br />
ist weltweit<br />
auf <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>marsch.<br />
Das verunsichert<br />
zunehmend die<br />
Verbraucher.<br />
kalt lassen. Denn jeder öffentlich bekannt gemachte<br />
<strong>Vor</strong>fall lässt die Verbraucher vorsichtiger<br />
handeln. Eine Eurobarometer-Umfrage<br />
ergab 2012, dass 38 Prozent der Internetnutzer<br />
in der EU aufgrund von Sicherheitsbedenken<br />
ihr Verhalten geändert haben: 18 Prozent<br />
sind zurückhaltender geworden, wenn es darum<br />
geht, Waren online zu kaufen. Mehr Skepsis<br />
legen 15% beim Online-Banking an den Tag.<br />
Kein Wunder: Immerhin zwölf% waren bereits<br />
das Ziel von Online-Betrügern.<br />
Betroffen von der geplanten Meldepfl icht wären<br />
Schätzungen zufolge mehr als 40.000 Unternehmen<br />
in der EU. So sehr der ausufernden<br />
Internet-Kriminalität Einhalt zu gebieten<br />
ist, noch scheint das <strong>Vor</strong>haben nicht wirklich<br />
durchdacht: Eine Meldepfl icht schaff t vor allem<br />
einen hohen Verwaltungsaufwand<br />
für das betroffene Unternehmen,<br />
fürchtet die Industrie.<br />
Dabei kommt es vor<br />
allem darauf an, was eigentlich<br />
als relevanter Angriff zu<br />
gelten hat. Liegt die Messlatte<br />
zu niedrig, entsteht auf beiden<br />
Seiten eine wenig hilfreiche<br />
Datenfl ut. Aber auch der<br />
Imageschaden, der mit einer<br />
Meldung einhergehen könnte, treibt die Unternehmen<br />
um. Welche Firma lässt sich schon<br />
gern in die Karten schauen, wenn es um eigene<br />
Sicherheitssysteme und deren Mängel geht?<br />
Hier muss eine sinnvolle Lösung her, die die<br />
Unternehmen nicht an den Pranger stellt. Der<br />
Branchenverband BITKOM schlägt eine freiwillige<br />
Meldung bei absoluter Vertraulichkeit vor,<br />
um sowohl das Image des Unternehmens zu<br />
wahren als auch nicht weitere Hacker auf den<br />
Plan zu rufen. Schließlich sind laut einer BIT-<br />
KOM-Umfrage fast drei Viertel aller deutschen<br />
Unternehmen grundsätzlich dazu bereit, bei<br />
IT-Sicherheitsvorfällen mit den Behörden zusammenzuarbeiten.<br />
Doch da sind leider Zweifel<br />
angebracht, denn mit der Wirksamkeit von<br />
Selbstverpfl ichtungen ist es in der Wirtschaft<br />
ja nicht immer weit gediehen. <br />
PROVIDER<br />
Streit um IP-Daten<br />
Urheberrechte sind häufig ein<br />
Streitfall vor den Gerichten.<br />
Diesmal: Muss ein Provider IP-Adressen<br />
offenlegen? Ja, sagt der Bundesgerichtshof<br />
(BGH). Er hat entschieden,<br />
dass ein Internet-Provider<br />
<strong>dem</strong> Rechtsinhaber in aller Regel<br />
den Namen und die Anschrift derjenigen<br />
Nutzer einer IP-Adresse mitteilen<br />
muss, die ein urheberrechtlich<br />
geschütztes Musikstück unberechtigt<br />
in eine Online-Tauschbörse eingestellt<br />
haben. Geklagt hatte ein<br />
Musikvertriebsunternehmen, <strong>dem</strong><br />
das ausschließliche Recht eingeräumt<br />
wurde, das Musikalbum »Alles<br />
kann besser werden« von Xavier<br />
Naidoo über Online-Tauschbörsen<br />
zu verwerten. Es wollte die Namen<br />
der Nutzer von IP-Adressen wissen,<br />
die einen Titel des Albums zum Herunterladen<br />
angeboten hatten. Die<br />
<strong>Vor</strong>instanzen sahen in <strong>dem</strong> Angebot<br />
eines einzelnen Titels keine Rechtsverletzung<br />
in gewerblichem Ausmaß.<br />
Dieser Einschränkung widersprach<br />
der BGH. Sie diene nicht <strong>dem</strong> Ziel<br />
des Urheberrechtgesetzes, Rechtsverletzungen<br />
im Internet wirksam zu<br />
bekämpfen (BGH, Az. I ZB 80/11). <br />
FILESHARING<br />
Eltern haften nicht<br />
Ein 13-Jähriger betrieb unerlaubtes<br />
Filesharing. Wer haftet?<br />
Der Bundesgerichtshof entschied,<br />
dass die Eltern nicht haften, wenn<br />
sie das Kind über das Verbot einer<br />
rechtswidrigen Teilnahme an<br />
Internettauschbörsen belehrt haben<br />
und keine Anhaltspunkte dafür<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
at+tat 49<br />
ULTIMEDIA MULTIMEDIA MULTIMEDIA<br />
hatten, dass ihr Kind diesem Verbot<br />
zuwiderhandelt. Bei den Beklagten<br />
handelt es sich um ein Ehepaar. Sie<br />
hatten den Internetanschluss auch<br />
ihrem damals 13 Jahre alten Sohn<br />
zur Verfügung gestellt. Nach Ansicht<br />
des BGH (Az. I ZR 74/12) genügen<br />
Eltern ihrer Aufsichtspfl icht über<br />
ein normal entwickeltes 13-Jähriges<br />
Kind, das ihre grundlegenden Gebote<br />
und Verbote befolgt, regelmäßig<br />
bereits dadurch, dass sie das Kind<br />
über das Verbot einer rechtswidrigen<br />
Teilnahme an Internettauschbörsen<br />
belehren. <br />
SMARTPHONES<br />
Beliebter als TV<br />
Der Siegeszug der Smartphones<br />
treibt die Märkte.<br />
Für Smartphones wurde 2012 von<br />
deutschen Konsumenten erstmals<br />
mehr Geld als für TV-Geräte ausgegeben.<br />
Dies hat die Gesellschaft für<br />
Unterhaltungselektronik (gfu) ermittelt.<br />
Der Umsatz mit internetfähigen<br />
Mobiltelefonen kletterte <strong>dem</strong>zufolge<br />
auf 6,8 Milliarden Euro. Der Markt für<br />
Tablet-PCs verdoppelte sich nahezu<br />
auf 1,4 Milliarden Euro. Beide Märkte<br />
trugen wesentlich zum Wachstum in<br />
der Verbraucherelektronik. Dagegen<br />
stagniert das Geschäft mit den klassischen<br />
Fernsehern trotz zahlreicher<br />
technischer Neuerungen. 2012<br />
gaben die Deutschen dafür knapp<br />
sechs Milliarden Euro aus. <br />
ONLINEBANKING<br />
Mehr Sicherheit<br />
Die GFT Technologies AG setzt<br />
auf das Smartphone.<br />
Dazu hat das Unternehmen einen<br />
neuen Sicherheitsstandard entwickelt.<br />
Aktuelle Lösungen, bei denen<br />
Transaktionsnummern per SMS<br />
verschickt werden, bergen Sicherheitsrisiken,<br />
da etwa Schadsoftware<br />
Passwörter auslesen und anschließend<br />
die SMS abfangen kann.<br />
Gängige ChipTAN-Lösungen, bei denen<br />
ein zusätzliches Gerät benötigt<br />
wird, haben hingegen nur eine eingeschränkte<br />
Nutzerfreundlichkeit.<br />
Das Prinzip der neuen Lösung der<br />
GFT Technologies AG: Dem Bankkunden<br />
wird auf <strong>dem</strong> PC-Bildschirm<br />
ein Code angezeigt, den er mit seinem<br />
Smartphone einscannt. Hierfür<br />
muss er lediglich eine App der<br />
Bank starten.<br />
Danach hält er seine Girokarte an<br />
das Smartphone und ihm wird automatisch<br />
die passende TAN zur Verfügung<br />
gestellt, erläutert die GFT-<br />
Gruppe das Verfahren, das mit der<br />
Uni Tübingen entwickelt wurde.<br />
TABLETS<br />
Lösung für Hotels<br />
Hotels sollen ihren Kunden einen<br />
besseren Service anbieten.<br />
Das Berliner Start-up SuitePad bietet<br />
dazu eine Tablet-Lösung für<br />
Serviceleistungen in Hotels an. Ob<br />
Gast-Entertainment, digitaler Concierge<br />
oder Check-out, das alles<br />
soll das Tablet erledigen und damit<br />
auch auf die individuellen Bedürfnisse<br />
von Hotelbesuchern eingehen.<br />
Die Hotels können ihre Kunden wiederum<br />
jederzeit informieren, beispielsweise<br />
über Änderungen im<br />
Speiseplan, Tipps zu Ausfl ugszielen<br />
oder freie Plätze im Wellnessbereich.<br />
Die Tablets sollen die heutigen Gästemappen,<br />
Telefone und Fernbedienungen<br />
im Hotelzimmer in einem<br />
Gerät bündeln und so bequemer<br />
nutzbar machen. Für die Service-<br />
Lösung wurde das Unternehmen<br />
auf der diesjährigen CeBIT bereits<br />
mit <strong>dem</strong> »Innovators´Pitch« ausgezeichnet.<br />
<br />
MEDIA KOMPAKT<br />
INTERNET<br />
Ersatz für Netzausfall<br />
Infolge eines Fehlers des Telekommunikationsunternehmens<br />
konnte ein Kunde seinen DSL-Internetanschluss<br />
in der Zeit vom 15. Dezember 2008 bis<br />
zum 16. Februar 2009 nicht nutzen. Über diesen Anschluss<br />
wickelte er auch seinen Telefon- und Telefaxverkehr<br />
ab.<br />
Neben Mehrkosten, die infolge des Wechsels zu einem<br />
anderen Anbieter und für die Nutzung eines<br />
Mobiltelefons anfielen, verlangte der Kläger Schadensersatz<br />
für den Fortfall der Möglichkeit, seinen<br />
DSL-Anschluss während des genannten Zeitraums<br />
für die Festnetztelefonie sowie für den Telefax- und<br />
Internetverkehr zu nutzen.<br />
Den Schadensersatzanspruch für den Ausfall des<br />
Telefaxes hat der Bundesgerichtshof verneint. Dieses<br />
vermittelt lediglich die Möglichkeit, Texte oder<br />
Abbildungen bequemer und schneller als auf <strong>dem</strong><br />
herkömmlichen Postweg zu versenden. Auch für<br />
den Ausfall des Festnetztelefons gab es keinen<br />
Schadenersatz, da bereits die Kosten für das Mobiltelefon<br />
ersetzt wurden.<br />
Demgegenüber hat der BGH <strong>dem</strong> Kläger Schadensersatz<br />
für den Ausfall des Internetzugangs anerkannt.<br />
Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut,<br />
dessen ständige Verfügbarkeit seit<br />
längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche<br />
Lebenshaltung typischerweise<br />
von zentraler Bedeutung ist (BGH, Az. III ZR 98/12).<br />
DATENSCHUTZ<br />
Mehr Selbstverpflichtung<br />
Der Hightech-Verband BITKOM und der Verein<br />
Selbstregulierung Informationswirtschaft e. V.<br />
(SRIW) haben eine Initiative zur Stärkung der unternehmerischen<br />
Verantwortung beim Datenschutz<br />
gestartet. Der aktuelle Entwurf der EU-Datenschutzgrundverordnung<br />
sieht zwar eine Förderung von<br />
solchen Selbstverpfl ichtungen vor. Es bleibt aber<br />
unklar, wie diese anerkannt und kontrolliert werden<br />
sollen, kritisiert der Branchenverband. BITKOM und<br />
SRIW fordern deshalb ein gerichtlich überprüfbares<br />
Anerkennungsverfahren für Selbstverpfl ichtungen.<br />
Die mit <strong>dem</strong> Anerkennungsverfahren entstehende<br />
Rechtssicherheit wäre ein wichtiger Anreiz für Unternehmen,<br />
sich freiwillig im Bereich der Selbstregulierung<br />
und Selbstkontrolle zu engagieren. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
50 rat+tat<br />
STEUER STEUER STEUER STEUER S<br />
DAS THEMA<br />
Es zählt der Neupreis<br />
Die private Nutzung des Dienstwagens<br />
bleibt teuer. Das hat der Bundesfinanzhof<br />
(BFH) bestätigt, in<strong>dem</strong> er verfassungsrechtliche<br />
Bedenken gegen die so genannte Ein-Prozent-Regelung<br />
zurückwies.<br />
Der Hintergrund: Zum Arbeitslohn gehören<br />
auch die <strong>Vor</strong>teile aus der Überlassung eines<br />
Dienstwagens, soweit ihn der Arbeitnehmer<br />
privat nutzen kann. Doch dieser <strong>Vor</strong>teil<br />
ist steuerrechtlich zu bewerten. Entweder mit<br />
den durch die private Nutzung verursachten<br />
Kosten des Fahrzeugs, die anhand eines Fahrtenbuchs<br />
zu belegen sind oder, wenn ein Fahrtenbuch<br />
nicht geführt wird, mit<br />
Der BFH bestätigt:<br />
Die Ein-Prozent-<br />
Regel für Dienstwagen<br />
hat weiter<br />
Bestand.<br />
einem Prozent des Bruttolistenneupreises.<br />
<strong>Vor</strong> Gericht zog ein Arbeitnehmer,<br />
der einen zur Verfügung<br />
gestellten Dienstwagen auch<br />
für private Fahrten nutzte. Es<br />
handelte sich jedoch nicht um<br />
einen Neuwagen. Der Arbeitgeber<br />
hatte vielmehr ein Gebrauchtfahrzeug<br />
mit einer Fahrleistung von<br />
58.000 Kilometer für insgesamt drei Jahre geleast.<br />
Die monatlichen Leasingraten betrugen<br />
rund 720 Euro. Der Wert des Wagens zu Beginn<br />
der Nutzungszeit wurde auf rund 32.000 Euro<br />
taxiert. Der ursprüngliche Bruttolistenneupreis<br />
lag weitaus höher –bei 81.400 Euro. Den setzte<br />
das Finanzamt auch als Grundlage zur Berechnung<br />
des geldwerten <strong>Vor</strong>teils an. Entsprechend<br />
der Ein-Prozent-Regelung entsprach das<br />
einem Betrag in Höhe von 814 Euro monatlich.<br />
Der Kläger zog vor Gericht, um zu erreichen,<br />
dass bei der Berechnung nicht der Listenneupreis,<br />
sondern der Gebrauchtwagenwert herangezogen<br />
werde. Er bezweifelte auch, dass<br />
Neufahrzeuge heutzutage noch zum Bruttolistenpreis<br />
veräußert werden, weshalb die Berechnungsmethode<br />
wirklichkeitsfremd sei. Der<br />
Gesetzgeber, so die Auff assung des Klägers,<br />
müsse aus verfassungsrechtlichen Gründen<br />
einen Abschlag vorsehen.<br />
Mit dieser Sichtweise scheiterte er allerdings<br />
vor <strong>dem</strong> Finanzgericht ebenso wie in der Revision.<br />
Der BFH (Az. VI R 51/11) hielt an der Rechtsprechung<br />
fest, dass die Ein-Prozent-Regel als<br />
pauschalierende Bewertungsregelung die Besonderheiten<br />
der Dienstwagennutzung<br />
im Einzelfall unberücksichtigt<br />
lassen müsse.<br />
Der BFH hatte schon in früheren<br />
Urteilen bekräftigt, dass<br />
beispielsweise nachträgliche<br />
Änderungen am Fahrzeug<br />
nicht berücksichtigt<br />
werden könnten, auch wenn<br />
sie den Wert des Autos erhöht<br />
oder vermindert hätten. Es bleibt grundsätzlich<br />
beim Bruttolistenneupreis. Auch den geforderten<br />
Abschlag vom Bruttolistenneupreis wiesen<br />
die BFH-Richter zurück. Der zu versteuernde<br />
<strong>Vor</strong>teil des Arbeitnehmers läge schließlich<br />
nicht nur in der Fahrzeugüberlassung selbst,<br />
sondern auch in der Übernahme sämtlicher<br />
Kosten wie Steuern, Versicherungsprämien, Reparatur-<br />
und Wartungs- sowie Treibstoff kosten.<br />
Diese Aufwendungen seien ohnehin nicht im<br />
Bruttolistenneupreis abgebildet.<br />
Zwar gibt es durchaus Fälle, in denen die Finanzgerichte<br />
die tatsächlichen Fahrzeugpreise<br />
heranziehen, so bei der Besteuerung des<br />
<strong>Vor</strong>teils durch Rabatte beim Neuwagenkauf.<br />
In diesem Fall wird der <strong>Vor</strong>teil aber nicht nach<br />
einer Pauschalregelung, sondern auf Grundlage<br />
des tatsächlichen Sachverhalts ermittelt<br />
und besteuert. Wer dies als Dienstwagennutzer<br />
ebenfalls in Anspruch nehmen will, hat nur<br />
eine Möglichkeit: Er muss sich für die Nutzung<br />
der Fahrtenbuchmethode entscheiden, belehrten<br />
die BFH-Richter den Kläger abschließend.<br />
TAXIZENTRALE<br />
Zugriff auf Daten<br />
Auch die Zollverwaltung hat<br />
weitreichende Rechte.<br />
Die Geschäftsunterlagen einer Taxizentrale<br />
dürfen von der Zollverwaltung<br />
geprüft werden.<br />
Dies hat der Bundesfinanzhof (Az.<br />
2012 VII R 41/10) entschieden. Geklagt<br />
hatte eine Genossenschaft, in<br />
der sich örtliche Taxiunternehmen<br />
zusammengeschlossen hatten. Sie<br />
vermittelt über eine Telefonzentrale<br />
Fahraufträge an Taxiunternehmer.<br />
Jeder Fahrer der angeschlossenen<br />
Taxiunternehmen musste sich dafür<br />
bei der Arbeitsaufnahme mit einer<br />
PIN-Nummer bei der Klägerin anmelden.<br />
Für besondere Fahrdienste erstellte<br />
die Taxizentrale auch Rechnungen<br />
und schloss Verträge über<br />
bargeldlose Fahrten ab. Der Bundesfinanzhof<br />
urteilte, dass die Zollverwaltung<br />
diejenigen Geschäftsunterlagen<br />
der Taxizentrale prüfen darf,<br />
aus denen sich der Umfang und die<br />
Beschäftigungsdauer der Taxifahrer<br />
ergäbe. Nach Ansicht der BFH-Richter<br />
ist die Genossenschaft Auftraggeberin<br />
im Sinne des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes.<br />
<br />
AUSLAND<br />
Anrufe in die Heimat<br />
Private Telefonate können auch<br />
Werbungskosten sein.<br />
Kosten für Telefonate bei langen Auslandsaufenthalten<br />
können als Werbungskosten<br />
abziehbar sein.<br />
Ein Marinesoldat hatte geklagt. Während<br />
eines längeren Auslandseinsatzes<br />
führte er 15 Telefongespräche<br />
mit seiner Lebensgefährtin und<br />
© Angelika Möthrath - Fotolia.com<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
at+tat 51<br />
TEUER STEUER STEUER STEUER STE<br />
Angehörigen. Die Kosten machte er<br />
vergeblich in seiner Einkommensteuererklärung<br />
als Werbungskosten<br />
geltend. Doch die Richter des BFH<br />
(Az. VI R 50/10) sahen dies anders.<br />
Zwar sind Aufwendungen für private<br />
Telefonate in der Regel steuerlich<br />
nicht relevante Kosten der privaten<br />
Lebensführung. Nach einer mindestens<br />
einwöchigen Auswärtstätigkeit<br />
lassen sich die notwendigen privaten<br />
Dinge aber aus der Ferne nur<br />
noch mit Mehrkosten regeln. Deshalb<br />
können die Kosten abweichend<br />
vom Regelfall als berufl ich veranlasster<br />
Mehraufwand der Erwerbssphäre<br />
zugeordnet werden. <br />
HAUSHALT<br />
Auch die Garage zählt<br />
Am Arbeitsort kann eine Garage<br />
notwendig werden.<br />
Eine doppelte Haushaltsführung<br />
liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb<br />
des Ortes, in <strong>dem</strong> er einen<br />
eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt<br />
ist und auch am Beschäftigungsort<br />
wohnt. Daraus resultierende<br />
Mehraufwendungen können<br />
als Werbungskosten geltend gemacht<br />
werden.<br />
Doch welche Aufwendungen zählen<br />
dazu? Bei einer doppelten Haushaltsführung<br />
können beispielsweise<br />
Kosten für einen separaten Pkw-<br />
Stellplatz anfallen.<br />
Laut BFH (Az. VI R 50/11) zählen deshalb<br />
nicht nur Aufwendungen für<br />
wöchentliche Familienheimfahrten,<br />
Verpflegungsmehraufwendungen<br />
und die Kosten der Unterkunft am<br />
Arbeitsort.<br />
Es können auch Kosten für einen<br />
Stellplatz oder eine Garage anerkannt<br />
werden, wenn die Anmietung<br />
z. B. zum Schutz des Fahrzeugs oder<br />
aufgrund der angespannten Parkplatzsituation<br />
am Arbeitsort notwendig<br />
ist. <br />
HANDWERKER<br />
Zu weit gegangen<br />
Handwerker waren außerhalb<br />
des Grundstücks im Einsatz.<br />
Haushaltsnahe Handwerkerleistungen<br />
sind steuerlich begünstigt. Doch<br />
was ist noch haushaltsnah? Diese<br />
Frage stellte sich den Richtern des<br />
Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg<br />
(Az. 7 K 7310/10). Der Streitfall:<br />
Die Kläger lebten in einem Einfamilienhaus,<br />
das durch einen Brunnen<br />
mit Trinkwasser versorgt und dessen<br />
Abwasser über eine Grube entsorgt<br />
wurde. Der zuständige Zweckverband<br />
schloss das Grundstück an<br />
zentrale Anlagen der Trinkwasserversorgung<br />
und Abwasserentsorgung<br />
an. Die Kosten dafür hatten<br />
die Kläger zu tragen. Da die Arbeiten<br />
teilweise auf öffentlichem Straßenland<br />
erbracht wurden, verweigerte<br />
der Fiskus die Steuerermäßigung.<br />
Zu Unrecht: Die Anschlussarbeiten<br />
seien eine nicht trennbare einheitliche<br />
Leistung für das Grundstück der<br />
Kläger, so die Richter. Nun muss der<br />
BFH entscheiden. <br />
KÜNSTLER<br />
Hier spielt die Musik<br />
Sind Auftritte von DJs steuerlich<br />
zu begünstigen?<br />
Nein, Clubveranstaltungen, bei denen<br />
namhafte Discjockey von ihnen<br />
bearbeitete Musikstücke präsentieren,<br />
unterliegen <strong>dem</strong> vollen<br />
Umsatzsteuersatz von 19%, urteilte<br />
das FG Berlin/Brandenburg, (Az.<br />
5 K 5226/10). Der Auftritt der DJs sei<br />
nicht der eigentliche Zweck der Veranstaltung.<br />
Dieser läge im gemeinsamen<br />
Feiern und Tanzen. Die DJs<br />
dienten lediglich als Anreiz für den<br />
Besuch des Clubs. Der Fall liegt allerdings<br />
nun beim Bundesfinanzhof.<br />
<br />
STEUERN KOMPAKT<br />
BETRIEBSFEST<br />
Freigrenzen anpassen<br />
Zuwendungen des Arbeitgebers sind nicht als Arbeitslohn<br />
zu versteuern, wenn sie nicht der Entlohnung<br />
des Arbeitnehmers dienen.<br />
Dies kann z. B. bei Leistungen aus Anlass von Betriebsveranstaltungen<br />
der Fall sein, wenn diese der<br />
Förderung des Kontakts der Arbeitnehmer untereinander<br />
dienen. Der Bundesfinanzhof hat in seiner<br />
bisherigen Rechtsprechung eine Freigrenze<br />
angenommen, bei deren Überschreitung die Zuwendungen<br />
als steuerpfl ichtiger Arbeitslohn zu<br />
qualifi zieren sind. Die Finanzverwaltung legt ab<br />
2002 eine Freigrenze von 110 Euro je Veranstaltung<br />
zugrunde.<br />
Der BFH hat nun entschieden (Az. VI R 79/10), dass<br />
eine ständige Anpassung der Freigrenze an die Infl<br />
ation nicht Aufgabe des Gerichts sei. Nach seiner<br />
Auff assung ist zumindest für das Jahr 2007<br />
noch an der bisherigen Freigrenze festzuhalten.<br />
Der BFH fordert jedoch die Finanzverwaltung auf,<br />
den Höchstbetrag neu zu bemessen. Im Streitfall<br />
hatten sich die Kosten einer im Jahr 2007 durchgeführten<br />
Betriebsveranstaltung je Teilnehmer auf<br />
175 Euro belaufen. <br />
EHRENAMT<br />
Erleichterungen für Vereine<br />
Die steuerrechtlichen Regelungen für das Ehrenamt<br />
in Vereinen sollen künftig vereinfacht werden.<br />
Dazu wurde das Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz<br />
verabschiedet. Hinter <strong>dem</strong> Wortungetüm<br />
verbergen sich verschiedene Maßnahmen,<br />
die den Vereinen und gemeinnützigen Organisationen<br />
mehr Flexibilität einräumen sollen. So wird die<br />
so genannte »Übungsleiterpauschale« von 2.100 auf<br />
2.400 Euro angehoben und die so genannte »Ehrenamtspauschale«<br />
von 500 auf 720 Euro. Ehrenamtlich<br />
engagierte Bürgerinnen und Bürger sollen<br />
damit zukünftig jährlich bis zu 2.400 Euro/720 Euro<br />
erhalten können, ohne dass diese Einnahmen steuer-<br />
oder sozialversicherungspfl ichtig sind.<br />
Übungsleitertätigkeiten sind nebenberufl iche Tätigkeiten,<br />
beispielsweise als Ausbildungsleiter,<br />
Ausbilder, Erzieher oder Betreuer. Die Ehrenamtspauschale<br />
kann für jede Art von Tätigkeit für gemeinnützige<br />
Vereine, kirchliche oder öffentliche<br />
Einrichtungen in Anspruch genommen werden. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
52 rat+tat<br />
CHT RECHT RECHT RECHT RECHT R<br />
DAS THEMA<br />
Ramsauers Stückwerk<br />
Der große Wurf bleibt vorerst aus. Die geplante<br />
Reform der Flensburger Punktekartei<br />
kommt nicht in Gang.<br />
Eigentlich sollte sie noch in diesem Jahr umgesetzt<br />
werden. Doch der Gegenwind für das<br />
<strong>Vor</strong>zeigeprojekt des Bundesverkehrsministers<br />
Peter Ramsauer (CSU) ebbt nicht ab. Schon zu<br />
Beginn des Jahres hatten die Verkehrsexperten<br />
auf <strong>dem</strong> Verkehrsgerichtstag in Goslar das<br />
Reformwerk in zentralen abgelehnt.<br />
Kernpunkt der Reform ist die Absenkung der<br />
Punkte-Obergrenze von 18 Punkten auf acht<br />
Punkte. Im Gegenzug sollten weniger gravierende<br />
Verstöße künftig nicht mehr mit Punkten<br />
geahndet werden.<br />
Die Verkehrsexperten konnten sich auf ihrer<br />
Tagung im Harz nur wenig mit<br />
Ab <strong>dem</strong> 1. April<br />
werden Verkehrssünden<br />
von Autound<br />
Radfahrern<br />
härter geahndet.<br />
diesen Plänen anfreunden,<br />
eine Vereinfachung des Systems<br />
sei aus ihrer Ansicht damit<br />
nicht zu erreichen.<br />
Ähnlich sah es der Bundesrat,<br />
der <strong>dem</strong> Verkehrsminister<br />
eine Überarbeitung des Entwurfs<br />
auferlegte. Insbesondere<br />
Raser werde es mit der<br />
geplanten Reform zu einfach gemacht, z. B.<br />
durch zu kurze Verfallsfristen für bisherige<br />
Verstöße. Auf der anderen Seite sei die Maximalstrafe<br />
von drei Punkten zu hoch, kritisierte<br />
die Länderkammer. In den ersten Eckpunkten<br />
zur Reform hatte Ramsauers Ministerium noch<br />
selbst maximal zwei Punkte vorgeschlagen.<br />
Während die Punktereform in weitere Verhandlungsrunden<br />
geht, sind höhere Bußgelder<br />
für rüpelhafte Radfahrer und notorische<br />
Falschparker beschlossene Sache. Sie treten<br />
zum 1. April 2013 in Kraft.<br />
Gefährliches Verhalten von Radfahrern wird<br />
<strong>dem</strong>nach um fünf bis zehn Euro teurer. Das<br />
Benutzen des Radwegs in falscher Richtung<br />
kostet so künftig grundsätzlich 20 Euro, kann<br />
aber bei einem Unfall auf 35 Euro angehoben<br />
werden. Gleiches gilt für das Befahren der Einbahnstraße<br />
in falscher Richtung. Das Handy<br />
ohne Freisprecheinrichtung zu benutzen, wird<br />
künftig mit 25 Euro bestraft. Zu<strong>dem</strong> müssen<br />
sich Radler jetzt an die Ampeln des Autoverkehrs<br />
halten, sofern es keine speziellen<br />
Lichtzeichen für sie gibt. Bislang war es den<br />
Radlern möglich, den Lichtzeichen der Fußgängerampeln<br />
zu folgen<br />
Eine neue Verordnung tritt<br />
auch bei der Geschwindigkeit<br />
auf Fahrradstraßen, die<br />
in immer mehr Großstädten<br />
eingerichtet werden, in<br />
Kraft: Hier ist ein Limit von<br />
30 Stundenkilometern einzuhalten.<br />
Wer betrunken Rad fährt,<br />
begeht außer<strong>dem</strong> eine Straftat. Ab 1,6 Promille<br />
oder bei Fahrfehlern kann der Radfahrer<br />
vor Gericht gestellt werden. Wer mit Alkohol<br />
im Blut auf <strong>dem</strong> Rad erwischt wird, kann zu<strong>dem</strong><br />
zur medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />
geschickt werden. Je nach Ergebnis<br />
ist dann sogar der Führerschein in Gefahr.<br />
Im Autoverkehr werden die Parksünder verstärkt<br />
zur Kasse gebeten. Wer keinen Parkschein<br />
zieht, kam bisher mit fünf Euro günstig<br />
davon. Künftig soll dies zehn Euro Strafe kosten.<br />
Ebenfalls um fünf Euro angehoben werden<br />
die Bußgelder für das Überziehen der Parkhöchstdauer<br />
um 30 bis 60 Minuten (jetzt 15<br />
Euro) und um bis zu zwei Stunden (jetzt zwanzig<br />
Euro). Bei bis zu drei Stunden sind es entsprechend<br />
25 Euro. Auch auf Sauberkeit sollten<br />
Autobesitzer mehr Wert legen: Verdreckte<br />
Scheinwerfer werden jetzt mit bis zu 35 Euro<br />
geahndet. <br />
WERBUNG<br />
Mit harten Bandagen<br />
Eine Behinderung des Wettbewerbers<br />
ist nicht zulässig.<br />
Trickreich versuchte der Verleger eines<br />
regionalen Anzeigenblatts, die<br />
Konkurrenz auszubooten. Dazu wurde<br />
im eigenen Blatt eine Anzeige geschaltet,<br />
in der kostenlos Aufkleber<br />
für Kundenbriefkästen angeboten<br />
wurden. Der Aufkleber enthielt den<br />
Aufdruck »Bitte keine Werbung/keine<br />
kostenlosen Zeitungen«, daneben<br />
aber das Logo des werbenden Anzeigenblattes.<br />
Ziel dieses Aufklebers<br />
sollte es sein, dass nur das Anzeigenblatt<br />
der Beklagten und kein weiteres<br />
in die Briefkästen eingeworfen<br />
wird. Die böse Absicht erkannte<br />
auch das Oberlandesgericht Koblenz<br />
(Az. 9 U 982/12) und untersagte<br />
die Aktion. Im Wettbewerb zwischen<br />
Konkurrenzprodukten ist es<br />
nicht erlaubt, mit einer Werbeanzeige<br />
die Mitbewerber gezielt zu behindern.<br />
Wer durch eine solche Werbung<br />
nicht die Chancen des eigenen<br />
Produkts verbessern will, sondern<br />
es nur auf die Verdrängung der Mitbewerber<br />
abgesehen hat, <strong>dem</strong> kann<br />
die entsprechende Werbung untersagt<br />
werden. <br />
SCHWARZARBEIT<br />
Ohne Gewähr<br />
Schwarzarbeit kann teure Folgen<br />
haben.<br />
Wer einen Handwerker schwarz beauftragt,<br />
kann keine Gewährleistungsrechte<br />
geltend machen. Das<br />
Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht<br />
(Az. 1 U 105/11) hat entschieden,<br />
dass in solchen Fällen<br />
der geschlossene Vertrag insge-<br />
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1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
at+tat 53<br />
ECHT RECHT RECHT RECHT RECHT<br />
samt nichtig sei, und hat die Klage<br />
des Bestellers auf Ersatz von Kosten<br />
für die Beseitigung von Mängeln zurückgewiesen.<br />
Der Handwerker hatte eine Auffahrt<br />
auf <strong>dem</strong> Grundstück der Klägerin<br />
pfl astern sollen. Kurz nach<br />
Durchführung der Pfl asterung traten<br />
Unebenheiten auf. Nach Feststellungen<br />
eines Sachverständigen<br />
hatte der Handwerker die Sandschicht<br />
unterhalb der Pfl astersteine<br />
zu dick ausgeführt. Darauf hin<br />
sollte er die Kosten für die Beseitigung<br />
der Unebenheiten übernehmen.<br />
Da die Preisabrede und damit<br />
ein entscheidender Bestandteil<br />
des gegenseitigen Vertrages nichtig<br />
ist, sei der Vertrag insgesamt nichtig.<br />
Damit entfallen die vertraglichen<br />
Gewährleistungsansprüche. <br />
FREIZEITPARK<br />
Teurer Verlust<br />
In einem Freizeitpark wurden<br />
die Einkäufe gespeichert.<br />
Besuchern eines Freizeitparks in<br />
Brandenburg kommt der Verlust eines<br />
Chips, auf <strong>dem</strong> die Einkäufe gescannt<br />
sind, teuer zu stehen. Nach<br />
der Bezahlung des Eintrittsgeldes<br />
erhalten die Besucher des Freizeitparks<br />
nämlich zunächst ein Armband<br />
mit einem Chip. Kaufen sie beispielsweise<br />
Getränke oder Speisen,<br />
müssen sie den Chip scannen lassen.<br />
Auf <strong>dem</strong> Chip ist ein Kreditrahmen<br />
von 150 Euro bei Erwachsenen eingestellt.<br />
Die dort gespeicherten Beträge<br />
bezahlt der Kunde am Ende<br />
seines Besuchs. Nach den AGB<br />
muss der Besucher bei Verlust des<br />
Chips den eingeräumten Kredit entrichten.<br />
Dagegen klagte ein Verbraucherschutzverein,<br />
weil die Pauschale bei<br />
Verlust des Chips den in der Regel<br />
eingetretenen Schaden übersteige.<br />
Der Freizeitparkbetreiber erklärte,<br />
der volle Betrag sei nur bei Verdacht<br />
unredlichen Verhaltens in Anspruch<br />
genommen worden.<br />
Dennoch gab das Brandenburgische<br />
OLG <strong>dem</strong> Kläger Recht. Die Klausel<br />
in den AGB sei u. a. auch deshalb<br />
unwirksam, weil <strong>dem</strong> Besucher eine<br />
Verpfl ichtung zum Schadensersatz<br />
auferlegt werde, ohne dass ein Verschulden<br />
vorliegen müsse. Das Urteil<br />
ist aber noch nicht rechtskräftig,<br />
da eine Revision zum BGH zugelassen<br />
wurde (Oberlandesgericht Brandenburg,<br />
Az. 7 U 6/12). <br />
VERKEHRSSÜNDER<br />
Schlechtes Bild<br />
Blitzeraufnahmen müssen den<br />
Fahrer klar erkennbar zeigen.<br />
Eine Strafe für Verkehrssünder ist<br />
nur möglich, wenn der Fahrer klar<br />
auf <strong>dem</strong> Blitzerfoto zu erkennen ist.<br />
Zeigt die Aufnahme keine charakteristischen<br />
Merkmale des Fahrers,<br />
kann dieser nicht ohne Weiteres belangt<br />
werden. Das hat das Oberlandesgericht<br />
Bamberg entschieden<br />
(Az. 2 Ss OWi 143/12).<br />
Im vorliegenden Fall ging es um eine<br />
Abstandsmessung. Wegen zu geringem<br />
Sicherheitsabstand war eine<br />
Fahrerin von der <strong>Vor</strong>instanz verurteilt<br />
worden, eine Strafe von 160 Euro<br />
zu begleichen. Außer<strong>dem</strong> wurde für<br />
einen Monat der Führerschein entzogen.<br />
Allerdings war ihr Gesicht auf <strong>dem</strong><br />
Beweisfoto durch eine Sonnenbrille<br />
und durch das Lenkrad verdeckt.<br />
Da die Fahrerin dadurch nicht mehr<br />
eindeutig zu identifi zieren war, kassierten<br />
die Richter des Oberlandesgerichts<br />
Bamberg das Urteil wieder<br />
ein. <br />
RECHT KOMPAKT<br />
ARBEITSZEIT<br />
Streit um die Elternteilzeit<br />
Arbeitnehmer können während der Elternzeit eine<br />
Verringerung der Arbeitszeit beantragen. Über den<br />
Antrag sollen sich die Arbeitsvertragsparteien innerhalb<br />
von vier Wochen einigen. Während der Gesamtdauer<br />
der Elternzeit kann der Arbeitnehmer<br />
zweimal eine Verringerung der Arbeitszeit beanspruchen,<br />
soweit eine einvernehmliche Regelung<br />
nicht möglich ist.<br />
In einem aktuellen Fall war die Klägerin seit 2006 in<br />
Vollzeit beschäftigt. 2008 nahm sie für die Dauer von<br />
zwei Jahren Elternzeit in Anspruch. Ende 2008 vereinbarten<br />
die Parteien die Verringerung der Arbeitszeit<br />
für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31.<br />
Mai 2009 auf wöchentlich 15 Stunden und für die<br />
Zeit vom 1. Juni 2009 bis zum Ende der Elternzeit am<br />
4. Juni 2010 auf wöchentlich 20 Stunden. Später<br />
nahm die Klägerin ab <strong>dem</strong> 5. Juni 2010 bis zur Vollendung<br />
des dritten Lebensjahres ihres Kindes erneut<br />
Elternzeit und beantragte gleichzeitig, wie bisher 20<br />
Stunden wöchentlich zu arbeiten. Der Arbeitgeber<br />
lehnte dies ab. <strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> Bundesarbeitsgericht hatte<br />
die junge Mutter Erfolg. Dem Anspruch auf Verringerung<br />
der Arbeitszeit steht die Ende 2008 getroffene<br />
Vereinbarung der Parteien nicht entgegen. Einvernehmliche<br />
Elternteilzeitregelungen sind nicht auf<br />
den Anspruch auf zweimalige Verringerung der Arbeitszeit<br />
anzurechnen (BAG, Az, - 9 AZR 461/11 -). <br />
ARBEITSUNFALL<br />
Rauchen ist ungesund<br />
Die Mitarbeiterin eines Seniorenheims ging für eine<br />
Zigarettenpause vor die Tür. Auf <strong>dem</strong> Rückweg stieß<br />
sie mit <strong>dem</strong> Hausmeister zusammen. Dieser verlor<br />
einen Eimer Wasser, die Klägerin rutschte aus und<br />
brach sich den Arm. Für die Klägerin ein Arbeitsunfall.<br />
Die beklagte Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst<br />
und Wohlfahrtspfl ege sah das anders.<br />
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage ab (Az. S 68<br />
U 577/12). Der Weg von und zur Raucherpause sei<br />
nicht der unfallversicherungsrechtlich geschützten<br />
Tätigkeit zuzurechnen. Wichtig ist den Richtern<br />
vor allem die Abgrenzung zur Nahrungsaufnahme.<br />
Essen und Trinken seien unter anderem notwendig,<br />
um die Arbeitskraft aufrechtzuerhalten. Deshalb sei<br />
der Weg zur Kantine versichert, nicht aber der Weg<br />
zur Raucherpause. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
54 rat+tat<br />
IMMOBILIEN IMMOBILIEN<br />
DAS THEMA<br />
Trend zur Reurbanisierung<br />
Der Trend zur<br />
Reurbanisierung<br />
treibt die Mieten.<br />
Ein schlüssiges<br />
Konzept zur Entspannung<br />
der<br />
Situation fehlt.<br />
Der Protest gegen steigende Mieten in<br />
den Ballungszentren hat im letzten Jahr<br />
deutlich zugenommen. Mit einem Abfl auen<br />
ist nicht zu rechnen, glaubt man den Prognosen<br />
einer Studie von Feri Eurorating<br />
zum deutschen Immobilienmarkt. Die Ratingagentur<br />
hat Prognosen über die Entwicklung<br />
von Mieten und Kaufpreisen für 68<br />
Standorte über die nächsten drei Jahre erstellt.<br />
Ergebnis: Der Scheitelpunkt des Mietenanstiegs<br />
ist noch nicht erreicht. Die Prognose<br />
wurde auf der Basis verschiedener<br />
Faktoren von der Entwicklung bei Bevölkerungszahl,<br />
Beschäftigung und Einkommen<br />
bis zur Zahl neu gebauter Wohnungen oder<br />
<strong>dem</strong> Wohnfl ächenbestand betrachtet. Besonders<br />
hohe Mietensteigerungen müssen<br />
bis 2015 die Hamburger hinnehmen,<br />
mit insgesamt rund<br />
10,5 Prozent.<br />
Ebenso gravierend sind die<br />
Mietenexplosionen, die die<br />
Ratingagentur für München<br />
(9,5 Prozent), Frankfurt (9,3)<br />
und Berlin (8,2) erwartet. In<br />
ähnlichen Größenordnungen<br />
bewegt sich Dresden<br />
(8,3 Prozent). Leipzig liegt<br />
mit 7,1 Prozent bis 2015 geringfügig<br />
unter den Spitzenwerten.<br />
Für Chemnitz wurde<br />
ein Anstieg von 5,4 Prozent<br />
vorhergesagt.<br />
Bei einer Infl ationsrate von rund zwei Prozent<br />
pro Jahr würde Wohnen damit deutlich<br />
teurer, heißt es in der Studie, die jüngst das<br />
»Handelsblatt« veröffentlichte.<br />
Der Grund für die höhere Steigerungsrate<br />
in Dresden gegenüber den Nachbarstädten:<br />
Das Angebot an Wohnungen in der sächsischen<br />
Landeshauptstadt wird zunehmend<br />
knapp. Nur drei Prozent stehen leer. In Leipzig<br />
sind hingegen mehr als zehn Prozent<br />
der Wohnungen noch vom Leerstand betroffen.<br />
Als Grund für die Verschärfung der<br />
Mietenentwicklung nennen Experten vor allem<br />
die Reurbanisierung. Neben <strong>dem</strong> Anstieg<br />
der Beschäftigung durch die positive<br />
Konjunkturlage sind es Landfl ucht und der<br />
Zuzug in die Innenstädte sowie eine wachsende<br />
Zahl von Haushalten, die die Mieten<br />
in die Höhe treiben. Auch die Immobilienpreise<br />
nehmen zu. Auch hier dürfte Hamburg<br />
laut Feri-Studie an der Spitze liegen.<br />
Die <strong>Vor</strong>schläge, die der zuständige Minister<br />
Peter Ramsauer (CSU) im Bundesministerium<br />
für Verkehr, Bau und Straßenentwicklung<br />
(BMVBS) zur Lösung der sich<br />
zuspitzenden Situation auf den Wohnungsmärkten<br />
erarbeiten lassen hat, sind derweil<br />
umstritten.<br />
Zu diesen <strong>Vor</strong>schlägen zählt, dass der Neubau<br />
von Wohnungen die Immobilien- und<br />
Mietpreise stabilisieren<br />
helfen soll. Mindestens<br />
250.000 Wohnungen jährlich<br />
stehen auf der Planliste<br />
des Ministers, um<br />
das vorhandene Defi zit<br />
abzubauen. Das BMVBS<br />
fordert in diesem Zusammenhang<br />
auch stärkere<br />
Anstrengungen der<br />
Bundesländer im sozialen<br />
Wohnungsbau.<br />
Mit der Wiedereinführung<br />
der Eigenheimzulage sowie<br />
der Wiedereinführung<br />
der degressiven Absetzung der Kosten über<br />
die Steuer will der Bund zusätzliche finanzielle<br />
Anreize zum Wohnungsbau schaffen.<br />
Auch die KfW-Programme im Wohnungsbau<br />
sollen erweitert sowie die Höchstgrenzen<br />
beim Wohngeld angehoben werden.<br />
Kritiker bemängeln, dass die Konzentration<br />
auf den sozialen Wohnungsbau übersehe,<br />
dass das Wohnungsproblem in den Städten<br />
immer mehr auch mittlere Einkommen in finanzielle<br />
Schwierigkeiten stürze. Dem Mieterbund<br />
fehlen in den Plänen des Ministers<br />
zu<strong>dem</strong> Ideen, wie sich die steigenden Preise<br />
bei Neuvermietungen begrenzen lassen. <br />
MÜLLENTSORGUNG<br />
Streit um 1,16 Euro<br />
Wertstofftonnen sorgten für einen<br />
Gerichtsstreit.<br />
Ein Grundstückseigentümer und Mülltonnennutzer<br />
forderte 1,16 Euro vom Abfallentsorger<br />
zurück. Der Kläger hatte die Erhöhung<br />
seines Normaltarifes in Höhe von<br />
0,29 Euro pro Quartal beanstandet und<br />
Rückzahlung der Erhöhungsdifferenz für<br />
ein Jahr verlangt. Die Erhöhung sei unzulässig,<br />
weil sie die Aufstellung der neuen<br />
entgeltfreien Wertstoff tonnen quersubventioniere.<br />
Die mit den Wertstoff tonnen bezweckten<br />
Umweltschutzziele würden nicht<br />
erreicht. Die Richter lehnten dies ab. Es<br />
bestehe ein Spielraum, neben <strong>dem</strong> Ziel<br />
der Kostendeckung in begrenztem Rahmen<br />
eine Verhaltenssteuerung anzustreben<br />
(AG Tempelhof-Kreuzberg, Az. - 24 C<br />
215/11 -). <br />
NEBENKOSTEN<br />
Selbstständig gekürzt<br />
Ein Mieter korrigierte seine<br />
Nebenkostenabrechnung.<br />
Mieter dürfen eine fehlerhafte Nebenkostenabrechnung<br />
selbst korrigieren und den<br />
Abschlag senken. Wenn sich Vermieter bei<br />
der Nebenkostenabrechnung zu Ungunsten<br />
der Mieter verrechnen, können die<br />
Mieter dies selbst korrigieren und die <strong>Vor</strong>auszahlungen<br />
entsprechend verringern.<br />
Das entschied nach Angaben des Deutschen<br />
Mieterbundes der Bundesgerichtshof<br />
(BGH, Az. VIII ZR 184/12). Der Vermieter<br />
hatte eine Nachforderung von 84 Euro<br />
gestellt. Der Mieter rechnete nach und ermittelte<br />
ein Guthaben von 376 Euro. Dieses<br />
Geld behielt er von seiner nächsten<br />
Monatsmiete ein. <br />
© benjaminnolte - Fotolia.com<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
at+tat 55<br />
© hainichfoto - Fotolia.com<br />
Der Countdown<br />
läuft<br />
Ab <strong>dem</strong> 1. Februar 2014 gelten<br />
für Überweisungen und Lastschriften<br />
die SEPA-<strong>Vor</strong>schriften.<br />
Viele kleinere Unternehmen<br />
sind noch nicht ausreichend<br />
vorbereitet.<br />
Es ist nur noch weniger als<br />
ein Jahr Zeit: Dann treten an<br />
die Stelle der Bankleitzahlen<br />
und Kontonummern endgültig<br />
IBAN und BIC – und das auch<br />
im nationalen Zahlungsverkehr!<br />
Die europaweite Vereinheitlichung<br />
des Zahlungsverkehrs trifft<br />
bei vielen mittelständischen Unternehmen<br />
auf wenig Gegenliebe<br />
– vor allem wegen des mit der<br />
SEPA-Umstellung verbundenen<br />
bürokratischen Aufwands.<br />
So mancher Firmenchef scheint<br />
das Thema deshalb auf die lange<br />
Bank zu schieben. Dies belegt<br />
eine Umfrage, die die Commerzbank<br />
bei Infratest in Auftrag gegeben<br />
hat. Von den befragten 6.000<br />
Firmen hatte sich gut ein Drittel<br />
aus der Gruppe der Mittelständler<br />
mit einem Jahresumsatz bis<br />
12,5 Millionen Euro noch gar nicht<br />
mit SEPA auseinandergesetzt. Bereits<br />
auf SEPA umgestellt haben<br />
der Umfrage zufolge weniger als<br />
zehn Prozent. In den meisten Betrieben<br />
hat sich die Geschäftsleitung<br />
zwar schon intensiv mit der<br />
Thematik beschäftigt, aber noch<br />
keine Umsetzungsmaßnahmen in<br />
Angriff genommen.<br />
Diese Schritte sollten nun alle Mittelständler<br />
zügig einleiten. »SEPA<br />
ist ein Projekt, das abhängig von<br />
den Unternehmensstrukturen<br />
zwischen sechs Monaten und ein<br />
bis zwei Jahren in Anspruch nehmen<br />
kann«, warnt Klaus Windheuser,<br />
Global Head Cash Management<br />
& International Business bei<br />
der Commerzbank AG.<br />
Die Palette der erforderlichen Änderungen<br />
ist vielfältig. Sie reicht<br />
von der Umstellung der IT bis hin<br />
zu vielen kleinen, aber in der Summe<br />
zeitaufwändigen Maßnahmen<br />
wie etwa der Neugestaltung von<br />
Briefbögen und Lieferscheinen,<br />
auf denen die Angabe der Bankverbindung<br />
ausgetauscht werden<br />
muss.<br />
Die Experten der Commerzbank<br />
raten Unternehmen deshalb, einen<br />
SEPA-Beauftragten im Betrieb<br />
zu benennen, der zunächst<br />
alle betroffenen Bereiche ermittelt.<br />
Oft versteckt sich der Umstellungsbedarf<br />
im Detail – etwa<br />
in Vertragstexten, die anzupassen<br />
sind. Hard- und Software sind<br />
ebenfalls zu aktualisieren, damit<br />
das speicherintensive XML-<br />
Datenformat verwendet werden<br />
kann. Auch die hierfür entstehenden<br />
Kosten muss das Unternehmen<br />
rechtzeitig einplanen.<br />
Ebenfalls ratsam ist es, frühzeitig<br />
Kontakt zur Hausbank aufzunehmen.<br />
Viele Banken bieten im Zuge<br />
der SEPA-Umstellung umfangreiche<br />
Services an, beispielsweise<br />
die nötigen IBAN- und BIC-Daten<br />
der Geschäftspartner zu eruieren.<br />
Von Daten aus vermeintlich günstigen<br />
Internetlösungen rät Klaus<br />
Windheuser von der Commerzbank<br />
dagegen ab: »Diese haben oft<br />
eine schlechte Qualität.«<br />
Umstellungen ergeben sich vor<br />
allem beim Lastschrift-Verfahren<br />
durch die neuen Prozess- und<br />
Fristvorgaben. Bei der SEPA-Lastschrift<br />
stehen zwei Varianten zur<br />
Verfügung: Die SEPA-Basislastschrift,<br />
die in Grundzügen der<br />
Einzugsermächtigung ähnelt und<br />
von Verbrauchern und Unternehmen<br />
verwendet werden kann, sowie<br />
die SEPA-Firmenlastschrift,<br />
die das Äquivalent zum Abbuchungsauftrag<br />
ist und die ausschließlich<br />
<strong>dem</strong> Einzug von Forderungen<br />
zwischen Unternehmen<br />
dient.<br />
Dabei gilt: Bestehende Einzugsermächtigungen<br />
können vom Kreditor<br />
in ein SEPA-Mandat umgewandelt<br />
werden, ohne dass dazu ein<br />
separates neues SEPA-Mandat eingeholt<br />
werden muss. Dazu muss<br />
<strong>dem</strong> Kreditor eine unterzeichnete<br />
Einzugsermächtigung im Original<br />
vorliegen. Das könnte allerdings<br />
manch kleineres Unternehmen<br />
vor ein Problem stellen, wenn diese<br />
Einzugsermächtigungen nicht<br />
mehr auffindbar sind. Bei der SE-<br />
PA-Firmenlastschrift hingegen<br />
muss zur Umstellung ein neues<br />
Firmenlastschriftmandat gesondert<br />
vereinbart werden. <br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
56 ideen+impulse<br />
Forschungsförderung mit<br />
ostdeutschen Wurzeln<br />
Am 16. Mai ist es wieder so weit: Labor- und werkstattwarme<br />
Hightech-Entwicklungen auf grüner Wiese. Der<br />
20. Innovationstag Mittelstand des Bundeswirtschaftsministeriums<br />
in Berlin spiegelt auch den Gestaltungsdrang<br />
des eher kleineren ostdeutschen Mittelstands und seiner<br />
Forschungspartner wider.<br />
Von Ronny Eckers<br />
Viel Politprominenz<br />
wird<br />
auch in diesem<br />
Jahr auf<br />
<strong>dem</strong> Gelände<br />
der AiF Projekt<br />
GmbH<br />
erwartet.<br />
Nur wenige Großgewächse<br />
ragen aus den überschaubar<br />
blühenden Inseln der<br />
ostdeutschen Wirtschaftslandschaft<br />
empor. Hoffnung und Arbeitsplätze<br />
zwischen Stralsund,<br />
Cottbus und Plauen basieren<br />
viel mehr auf vielen kleinen und<br />
kleinsten Unternehmen. Mit cleveren<br />
Produkt- oder Verfahrensentwicklungen<br />
haben sie sich in<br />
den letzten zwei Jahrzehnten in<br />
Nischenmärkten und als Zulieferer<br />
u. a. für Automotive, Maschinenbau<br />
oder Chemieindustrie<br />
eine Existenzbasis geschaffen. Im<br />
nationalen, erst recht im globalen<br />
Wettbewerb wären aber die der geringen<br />
Größe geschuldeten Nachteile<br />
etwa bei Forschungs- und<br />
Entwicklungskapazitäten aus eigener<br />
Kraft kaum auszugleichen.<br />
Hier setzt ein innovatives Förderinstrument<br />
des Bundeswirtschaftsministeriums<br />
an, das tatsächlich<br />
Hilfe zur Selbsthilfe<br />
bringt: Das Zentrale Innovationsprogramm<br />
Mittelstand (ZIM) unterstützt<br />
die Firmen mit Zuschüssen<br />
dabei, Innovationen von der<br />
Idee bis zur Marktreife voranzutreiben:<br />
in einzelnen Unternehmen,<br />
im Verbund mit anderen<br />
Herstellern oder mit Hochschuleinrichtungen<br />
oder in Form von<br />
Firmennetzwerken entlang ganzer<br />
Wertschöpfungsketten. Über<br />
200 aktueller Neuentwicklungen<br />
auf dieser Basis werden in Pankow<br />
präsentiert.<br />
Stück vom Kuchen<br />
Das bundesweit gültige, bei den<br />
Mittelständlern wegen seiner<br />
starken Hebelwirkung und geringen<br />
bürokratischen Hürden geschätzte,<br />
Programm gilt in Ausstattung,<br />
Technologieoffenheit<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
ideen+impulse 57<br />
Foto: Rainbow Design<br />
und Breitenwirkung als einzigartig<br />
in Europa. Seit Start im Sommer<br />
2008 wurden bis Ende Januar<br />
diesen Jahres rund 20.500 Forschungs-<br />
und Entwicklungsprojekte<br />
mit insgesamt mehr als 2,6<br />
Millarden Euro unterstützt. Die<br />
Mittel erleichtern branchenübergreifend<br />
Unternehmen mit bis zu<br />
500 Mitarbeitern die Schaffung eigener<br />
Produkte, Dienstleistungen<br />
und Technologien mit Umsatzund<br />
Arbeitsplatzwirkung. Innovationsunternehmen<br />
in Deutschland<br />
Ost (einschließlich Berlin)<br />
haben bis Januar 2013 beachtliche<br />
1,1 Millarden Euro<br />
für 8.000 Projekte erhalten,<br />
immerhin gut 42 Prozent<br />
vom ZIM-„Kuchen“.<br />
Mehrere Dutzend daraus<br />
entstandene Neuentwicklungen<br />
werden auf <strong>dem</strong><br />
Parkgelände der AiF Projekt<br />
GmbH in Berlin-Pankow, die<br />
als Projektträger die ZIM-<br />
Hauptfördersäule „Kooperationsprojekte“<br />
betreut, gewiss<br />
das Interesse der erneut<br />
zahlreich erwarteten Politikprominenz<br />
wie technikinteressierten<br />
Normalbesucher<br />
finden. So zeigt etwa die Cobbelsdorfer<br />
Naturstoff GmbH aus<br />
Coswig Aufwuchskörper auf Basis<br />
von Getreideextrudaten, die<br />
als „Nisthilfen“ für Mikroorganismen<br />
die biologische Abwasseraufbereitung<br />
in Kläranlagen<br />
optimieren. Die rainbow design<br />
gmbh aus Fehrbellin (Brandenburg)<br />
will Prototypen von Anzügen<br />
mit Wechselflügelsystem für<br />
Fallschirmspringer vorstellen.<br />
Der in Berlin ansässige Bundesverband<br />
BioEnergie e.V. wartet mit<br />
Möglichkeiten für ein effizienteres<br />
Heizen mit Holzhackschnitzeln<br />
auf. Aus <strong>dem</strong> Sächsischen<br />
Textilforschungsinstitut sind Fassadenelemente<br />
in Leichtbauweise<br />
mit schichtweiser Anordnung<br />
von Textilbeton und glasfaserverstärktem<br />
Kunststoff zu sehen.<br />
Von Ost nach West<br />
In das ZIM waren die Erfahrungen<br />
einer ganzen Reihe von <strong>Vor</strong>gängerprogrammen<br />
zur Mittelstands-Innovationsförderung<br />
eingeflossen. Mehrheitlich nach<br />
1990 speziell für ostdeutsche<br />
Unternehmen und Forschungseinrichtungen<br />
aufgelegt, sollten<br />
sie die im Einigungsvertrag<br />
schlichtweg vergessene Industrieforschung<br />
zwischen Stendal,<br />
Sömmerda und Suhl zumindest<br />
in Teilen reaktivieren und so den<br />
anfangs propagierten selbsttragenden<br />
Aufschwung befördern.<br />
Der kam zwar nur begrenzt in<br />
Schwung, Programme wie Foko,<br />
InnoWatt oder NEMO selbst bewährten<br />
sich jedoch bestens. Und<br />
wurden deshalb später auch auf<br />
westdeutsche Unternehmen erst<br />
bis 250 und seit <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>jahr bis<br />
zu 500 Mitarbeitern ausgedehnt.<br />
Nach diversen Haushaltssperren<br />
und Programmunterbrechungen<br />
der frühen Jahre zeichnete das<br />
ZIM sich vom Start weg nicht nur<br />
durch eine mit <strong>dem</strong> Segen aller<br />
Bundestagsfraktionen wohl gefüllte<br />
Kasse, sondern auch durch<br />
Stetigkeit und Berechenbarkeit<br />
aus. Gerade dafür hatte sich nicht<br />
nur der Verband Innovativer Unternehmen<br />
– zunächst als Interessenvertreter<br />
des ostdeutschen<br />
forschenden Mittelstandes, inzwischen<br />
auch auf erste Bundesländer<br />
West ausgedehnt -<br />
zuvor lange vergeblich stark<br />
gemacht.<br />
Zukunft unklar<br />
So sehr die Innovativen<br />
in Ost wie West diese Forschungsförderung<br />
begrüßen,<br />
so unklar ist deren mittelfristige<br />
Perspektive. Um das Programm<br />
aus den Wahlkampf-<br />
Wirren herauszuhalten war<br />
seine Laufzeit unlängst von<br />
Ende 2013 um ein Jahr verlängert<br />
worden. Zumindest bis<br />
Dezember 2014 können Förderanträge<br />
also jederzeit gestellt werden<br />
- beim Mittelstandstag in Pankow<br />
wird zu den Modalitäten individuell<br />
beraten. Was dann nach ZIM<br />
kommt, steht noch in den Sternen.<br />
Auf alle Fälle werden kleine<br />
forschungsaffine Unternehmen<br />
im Allgemeinen und die ostdeutschen<br />
im Besonderen auch künftig<br />
kaum ohne solche Instrumente<br />
wie die Kooperations- und einzelbetriebliche<br />
Forschung über die<br />
Runden kommen. <br />
www.zim-bmwi.de<br />
Freiheit und<br />
Abenteuer<br />
pur. „Wingsuit“<br />
heißt<br />
die Innovation<br />
der ZIMgeförderten<br />
Fehrbelliner<br />
Rainbow Design<br />
GmbH.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
58 ideen+impulse<br />
Videokonferenzen für alle<br />
Videokonferenzsysteme auf Zentralservern sind teuer<br />
und anfällig für Ausspähung. BRAVIS International aus<br />
Cottbus will das ändern.<br />
Von Hagen Holter<br />
BRAVIS-Führungsteam<br />
(von links): Maik Krüger (CRO),<br />
André Röhrig (CEO), Torsten Sure<br />
(CSO) und Andreas Engel (CQO).<br />
Beim Anblick des schlichten<br />
Bürogebäudes im Stadtzentrum<br />
von Cottbus kommt<br />
man nicht ohne Weiteres auf die<br />
Idee, dass von hier aus die Weltmärkte<br />
ins Visier genommen werden.<br />
Mit ihrer Software für Videokonferenzen<br />
tut dies die BRAVIS<br />
International GmbH, deren Gesellschafter<br />
alle selbst in <strong>dem</strong> jungen<br />
Unternehmen tätig sind: Wirtschaftsingenieur<br />
André Röhrig,<br />
(45), Betriebswirt Torsten Sure,<br />
(45) sowie die beiden Informatiker<br />
Maik Krüger (33) und Andreas<br />
Engel (35).<br />
Die Firmengeschichte reicht zurück<br />
in die 90er Jahre. Damals<br />
steckte die Technologie von Videokonferenzen<br />
noch in den Anfängen,<br />
grundsätzlich wurden<br />
die komplexen Datenströme über<br />
hochleistungsfähige Zentralserver<br />
abgewickelt.<br />
Start an der BTU<br />
„Damals galt als Standard“, so<br />
Hartmut König, Professor und Inhaber<br />
des Lehrstuhls Rechnernetze<br />
am Institut für Informatik der<br />
Brandenburgischen Technischen<br />
Universität (BTU) Cottbus, „dass<br />
überhaupt nur solche zentralisierten<br />
Lösungen technologisch machbar<br />
seien.“ Doch König suchte mit<br />
seinem Team nach einer dezentralen<br />
Alternative. Die wurde in<br />
mehrjähriger Forschungsarbeit<br />
tatsächlich gefunden: Das so genannte<br />
Group Communication<br />
Protocols (GCP)ist in der Lage, die<br />
Aufgaben des Servers bei einer Videokonferenz<br />
auf die Rechner der<br />
Teilnehmer an der Konferenz auszulagern.<br />
Auf diese Weise ist eine<br />
direkte Kommunikation zwischen<br />
deren Endgeräten möglich. Ohne<br />
Fotos: Torsten George<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
ideen+impulse 59<br />
Server. Der Fachmann spricht von<br />
Peer-to-Peer-Kommunikation.<br />
Server-Lösungen sind sehr komplex<br />
und stellen hohe Anforderungen<br />
an die Hardware, an Installation<br />
und Wartung.<br />
Neufirmierung 2012<br />
Entsprechend hoch ist der Preis.<br />
Das GCP dagegen funktioniert auf<br />
handelsüblichen PCs. Es eröffnete<br />
die Möglichkeit, Videokonferenzen<br />
nahezu unbegrenzt, auch an<br />
einzelnen Arbeitsplätzen verfügbar<br />
zu machen.<br />
Während seines Zweitstudiums<br />
an der BTU wurde André Röhrig<br />
und ein Kommilitone von Professor<br />
König gefragt, ob sie einen<br />
Businessplan zum Group Communication<br />
Protocol schreiben<br />
würden. Ein Konzept für eine<br />
Unternehmensausgründung zur<br />
Produktentwicklung und die anschließende<br />
Vermarktung. Beide<br />
sagten zu. Etwas ungelenk wurde<br />
das Produkt „Brandenburger Videokonferenzsystem“<br />
genannt,<br />
heute einfach BRAVIS.<br />
Nach<strong>dem</strong> es gelungen war, Wagniskapital<br />
für die Produktentwicklung<br />
zu akquirieren, erfolgte<br />
2005 die Ausgründung der BRA-<br />
VIS GmbH. Am Ende stand eine<br />
anwendungsreife Videokonferenz-Software<br />
mit einem beeindruckenden<br />
Leistungsspektrum<br />
für bis zu 16 Einzelteilnehmer.<br />
„Was heutige komplexe Server-<br />
Lösungen können“, so bringt es<br />
Vertriebschef Sure auf den Punkt,<br />
„kann BRAVIS auch – zu einem<br />
Zehntel des Preises!“<br />
Fast allerdings hätte die Innovation<br />
ihren Markteintritt doch noch<br />
verfehlt. 2010, am Ende der Entwicklungsphase,<br />
war das Startkapital<br />
aufgebraucht. Wegen der Finanz-<br />
und Wirtschaftskrise gab<br />
es keine Anschlussfinanzierung.<br />
Mit der Neufirmierung als BRA-<br />
VIS International GmbH wagte<br />
das Gesellschafterquartett Anfang<br />
2012 die Fortführung. Inzwischen<br />
gibt es über 300 Kunden,<br />
meist kleine und mittelständische<br />
Firmen.<br />
<strong>Vor</strong> Abhörung sicher<br />
Auffällig hoch ist der Anteil aus<br />
sicherheitssensiblen Bereichen<br />
– Banken, Gesundheitseinrichtungen,<br />
Polizeibehörden. Maik<br />
Krüger sieht dafür technische<br />
Gründe: „BRAVIS hat bei kommerziellen<br />
Videokonferenzen<br />
ein weltweites Alleinstellungsmerkmal.<br />
Als Peer-to-Peer-Lösung<br />
läuft die eigentliche Konferenzschaltung<br />
eben nicht über<br />
einen zentralen Server irgendwo<br />
im Internet. Solche Server stehen<br />
häufig in den USA, wo die elektronische<br />
Überwachungsbehörde<br />
NSA Zugriffsrecht auf allen Daten<br />
hat. BRAVIS via Internet ist daher<br />
per se weit abhörsicherer als jede<br />
Server-Lösung. Für Nutzer, die<br />
aus Sicherheitsgründen das öffentliche<br />
Internet grundsätzlich<br />
meiden, bieten wir außer<strong>dem</strong> die<br />
Möglichkeit, BRAVIS in ihrem Intranet<br />
einzusetzen.“<br />
Viele Anwendungsgebiete gibt es.<br />
Dazu Andreas Engel: „Telemedizin<br />
ist ein Stichwort. Zusammen<br />
mit der innomedis AG, Köln haben<br />
wir eine Software für Video-Sprechstunden<br />
von Ärzten<br />
entwickelt. Und im Projekt ,Akrobatik@home‘<br />
werden mittels<br />
BRAVIS contergangeschädigte<br />
Menschen in ihrem häuslichen<br />
Bewegungstraining unterstützt.<br />
Derzeit arbeiten wir in Kooperation<br />
mit verschiedenen Fraunhofer<br />
Instituten und anderen Partnern<br />
an einer Spezialanwendung zur<br />
ambulanten Physiotherapie von<br />
Rekonvaleszenten. Ganz anders<br />
,DirectServ‘, eine Anwendung, die<br />
wir zusammen mit der benntec<br />
Systemtechnik GmbH entwickelt<br />
haben – zur Fernwartung und von<br />
Maschinen und Anlagen.“<br />
Neben Deutsch und Englisch arbeitet<br />
BRAVIS auch auf Russisch,<br />
Türkisch und Polnisch. Und eine<br />
Dependance in Malaysia kümmert<br />
sich inzwischen um den asiatischen<br />
Markt. <br />
Videokonferenzen<br />
gehören<br />
zunehmend<br />
zum Alltag im<br />
Unternehmen.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
60 wirtschaft+kultur<br />
BÜCHERBORD<br />
Machtspiele<br />
Wie man eitle, selbstgerechte Minister<br />
und vorteilssüchtige Bundespräsidenten<br />
stürzt, ist allgemein<br />
bekannt. Aber wie baut man einen<br />
starken Mann auf? Der Thriller „Geheimloge<br />
D“, entwickelt dazu eine Variante.<br />
Die Zeit: Es ist die deutsche Gesellschaft<br />
der Neunziger Jahre, als die<br />
Wahl eines neuen Kanzlers ansteht.<br />
Der soll der starke Mann werden, der<br />
alles richtet. Im Sinne der Geheimloge<br />
D, eines Kraken, der getarnt die Kontrolle<br />
über eine aus <strong>dem</strong> Leim gehende<br />
Gesellschaft gewinnen will. Die Story:<br />
Ein Berliner Journalist dringt bei<br />
seinen Recherchen vor bis ins höchste<br />
Establishment Deutschlands. Und<br />
muss dafür bitter bezahlen.<br />
Der Autor Thomas Schwandt ist kundig<br />
im Elitemilieu von Wirtschaftskonferenzen,<br />
Polizeipräsidien und Parteitagen<br />
ebenso wie im Redaktions- und<br />
Barmilieu der Journalisten. Was kein<br />
Wunder ist, denn er ist selbst einer: Rüganer<br />
von Geburt, einst Maschinenassistent<br />
in der Hochseefi scherei, nach<br />
Stationen bei der „Jungen Welt“ und<br />
der „Ostsee-Zeitung“ heute freiberuflicher<br />
Wirtschaftsjournalist und nicht<br />
zuletzt Autor bei „W+M“. Hier legt er<br />
den ersten Band einer Thriller-Trilogie<br />
vor. Der Start, so scheint es, ist ihm exzellent<br />
gelungen Peter Jacobs<br />
Thomas<br />
Schwandt<br />
Geheimloge D;<br />
Südwestbuch<br />
Verlag,<br />
12,50 Euro<br />
Einzigartig in Deutschland: Theater und Restaurant, Unterhaltung und Genuss<br />
auf einem Schiff in Dresden zwischen Semperoper und Frauenkirche, unweit vom<br />
Schloss.<br />
THEATERKÄHNE<br />
Thalia an Bord<br />
Schiffswracks üben einen seltsamen<br />
Reiz auf Theaterleute aus. Deren<br />
Spleen schuf ein paar schwimmende<br />
Attraktionen in Ostdeutschland.<br />
Marion, so hieß der alte Lastkahn, liegt<br />
seit fast 20 Jahren fest vertäut am<br />
Dresdner Terrassenufer. Der Schauspieler<br />
Friedrich Wilhelm Junge hatte ihn Anfang<br />
der 90er Jahre entdeckt, auf der Suche nach<br />
einer mietfreien Spielstätte für sein 1988<br />
gegründetes Kabarett „Dresdner Brettl“.<br />
Die Behörden gaben „Marion“ her für eine<br />
ganze D-Mark. Junge wartete nicht auf Fördermittel,<br />
sondern überzeugte Banken von<br />
seiner kulturellen Start-up-Idee. Vier Millionen<br />
DM Kredit gewährten sie ihm für die<br />
Umrüstung zum Theaterschiff. Der inzwischen<br />
75-Jährige, der 2005 die Leitung des<br />
„Brettl“ abgab, hat aus <strong>dem</strong> Elbkahn ein geachtetes<br />
Repertoiretheater gemacht. Mit Literaturprogrammen<br />
von Loriot bis zu Erich<br />
Kästner, mit Urauff ührungen und mit viel<br />
Musik, das Dresdner Dixiefestival inbe-<br />
griffen. Bis zu 300 <strong>Vor</strong>stellungen im Jahr,<br />
dazu Tourneen des „Brettl“ bis nach Kanada,<br />
Finnland und Isræl. Zur wassergestützten<br />
Heimat-Spielstätte mit 216 Plätzen kommen<br />
das Restaurant „Khanaletto“ und eine<br />
Schiff sbar. Zu 90 Prozent finanziert sich die<br />
Theaterkahn Stiftung selbst.<br />
So fl ott sind andere kulturfreundlich umgebauten<br />
Marineeinheiten nicht. In Potsdam<br />
hat ein Trägerverein die Muse Thalia<br />
an Bord des einstigen Binnenschiff s<br />
„Sturmvogel“ geholt. Außer Theater, Kabarett<br />
und Tanz gibt es Talkrunden mit Stadtprominenz.<br />
Stadt und Land gewähren Fördermittel,<br />
Spenden werden gebraucht.<br />
Von den zwei Theaterschiffen Berlins hat<br />
nur eines überlebt: Am Märkischen Ufer<br />
bietet „Helene“ Krimis, Comedy und Kleinkunst.<br />
Und in Magdeburg, auf der MS Marco<br />
Polo, offerieren „Die Nachtschwärmer“ mit<br />
der Schönebecker Reederei Süßenbach<br />
„musikalisch-literarische Reisen“. Wirtschaftlich<br />
funktioniert es.<br />
Für die Dresdner wären solche Flusstouren<br />
keine gute Idee. Denn darauf warten jene<br />
nur, die den weltberühmten Canaletto-Blick<br />
beschädigt sehen und das kleine kulturelle<br />
Juwel immer noch dort weg haben wollen.<br />
Peter Jacobs<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
wirtschaft+kultur 61<br />
Fußball-Peer<br />
Ernst Röhl porträtiert einen<br />
Abseitsspezialisten<br />
Für seine Wahl zum Kandidaten erwartete<br />
Peer Steinbrück eine rätselhafte<br />
Gegenleistung. Er bat das Parteifußvolk,<br />
ihm ein wenig „Beinfreiheit“ zu gewähren.<br />
Keiner wusste, was er damit meinte, doch<br />
die Genossen gewährten sie ihm trotz<strong>dem</strong>.<br />
Wohl, weil sie annahmen, er wolle sich um<br />
den Altherrenfußball verdient machen. Zu<br />
spät dämmerte ihnen, mit welcher Spezialkunst<br />
er sich dabei hervortun würde: Mit<br />
<strong>dem</strong> Schießen von Selbsttoren.<br />
Einst sagten seine Freunde, er wäre ein<br />
begnadeter Redner. Im Bundestag jedoch<br />
galt er als auskömmlich bezahlter Schweiger.<br />
Im Plenarsaal hatte er öfter durch Auszeit<br />
geglänzt und war an solchen Tagen<br />
lieber als Honorarprediger aufgetreten<br />
bei Veranstaltern, die ihn mit fetten Aufwandsentschädigungen<br />
verwöhnten. Für<br />
eine einzige Schwurbelrede bei den Bochumer<br />
Stadtwerken sackte er 25.000 Euro<br />
ein. Das soll ihm ein Fußballprofi erst mal<br />
nachmachen.<br />
Inzwischen ist der Mann nicht bloß Nebenverdienstmillionär,<br />
sondern auch Kanzlerkandidat.<br />
Welch ein Selbsttor für die SPD!<br />
Zunächst vergrämte er seine Wähler, in<strong>dem</strong><br />
er ihnen an den Kopf knallte, dass sie von<br />
Wein, Weib und Gesang keine Ahnung hätten,<br />
am wenigsten vom Wein. Als dies geklärt<br />
war, machte er sich bei Leiharbeitern<br />
und Aufstockern beliebt und forderte höhere<br />
Einkünfte, wenn auch nicht gerade für<br />
Leiharbeiter und Aufstocker. „Ein Bundeskanzler<br />
oder eine Bundeskanzlerin“, klagte<br />
er, „verdient in Deutschland zu wenig.“ Damit<br />
stand es schon Null zu Zwei. Gegen ihn.<br />
Statt sich zu bedanken, ließ ihn die Kanzlerin<br />
ins Abseits laufen und verlauten, sie<br />
selbst empfinde ihre Bezüge als durchaus<br />
angemessen. Daraufhin begannen die Gegenspieler<br />
von der schwarzgelben Koalition<br />
zu frohlocken. Nie hätten sie zu hoffen<br />
gewagt, dass die Sportgeschichte ihnen<br />
diesen Spaßvogel als Stürmerstar vorsetzen<br />
würde. Auf der VIP-Tribüne, sagten sie,<br />
mag er ein guter Witzereißer gewesen sein,<br />
aber als Durchreißer auf <strong>dem</strong> Platz is’ er<br />
’ne Pfl aume.<br />
Zur Freude der Union machte Pannen-Peer<br />
auch gleich noch mit übermütigen Fouls<br />
zum Ausgang der italienischen Wahlen von<br />
sich reden. Er sei entsetzt, höhnte er, dass in<br />
Rom „zwei Clowns“ gewonnen hätten – der<br />
Protestpolitiker Beppe Grillo und der testosterongesteuerte<br />
Bunga-Bunga-Berlusconi.<br />
Italiens Staatspräsident Napolitano zog<br />
nach dieser Blutgrätsche die Rote Karte und<br />
ließ ihn im Berliner Hotel Adlon gar nicht<br />
erst aufl aufen, etwa um mit ihm über italienischen<br />
Fußball zu plaudern. Der weltberühmte<br />
Clown Bernhard Paul, Direktor des Circus<br />
Roncalli, fühlte sich gar in seiner Berufsehre<br />
gekränkt. Er verbat es sich, mit <strong>dem</strong> Pausenclown<br />
Berlusconi verglichen zu werden.<br />
Und unsere fußballkundige Kanzlerin? Zunächst<br />
hatte sie über den deutschen Peerlusconi<br />
noch herzlich geschmunzelt. Inzwischen<br />
hält sie sich zurück. Womöglich hat<br />
sie den Verdacht, dass der Mann mit der<br />
Beinfreiheit beim Volk auf den Stadionrängen<br />
sich doch noch das Image eines Fair<br />
Players erwerben könnte, eines „Mannes,<br />
der die Wahrheit spricht“. Wahlkampf-Pseudonym:<br />
Klartext-Peer!<br />
Vielleicht wartet sie aber nur das nächste<br />
Selbsttor ab. <br />
BESTSELLER<br />
WIRTSCHAFT<br />
1. Wehrle, Martin; Ich arbeite in einem<br />
Irrenhaus; Econ, 14,99 €<br />
2. Weick, Matthias / Friedrich, Marc; Der<br />
größte Raubzug der Geschichte; Tectum,<br />
19,90 €<br />
3. Wehrle, Martin; Ich arbeite immer noch<br />
in einem Irrenhaus; Econ, 14,99 €<br />
4. Sinn, Hans-Werner; Die Target-Falle;<br />
Hanser, 19,90 €<br />
5. Sprenger, Reinhard K.; Radikal führen;<br />
Campus, 24,99 €<br />
6. Smiths, Greg; Die Unersättlichen; Rowohlt,<br />
19,99 €<br />
7. Maschmeyer, Carsten; Selfmade: erfolg<br />
reich leben; Ariston, 18,99 €<br />
8. Balodis, Holger / Kühne, Dagmar; Die<br />
<strong>Vor</strong>sorgelüge; Econ, 18,00 €<br />
9. Stiglitz, Joseph E.; Der Preis der Ungleichheit;<br />
Siedler, 24,99 €<br />
10. Graeger, David; Schulden; Klett-Cotta,<br />
26,95 €<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
62 unternehmen+verband<br />
Möbel für<br />
lebende Räume<br />
Zu den jüngsten Mitgliedern im<br />
Unternehmerverband Sachsen<br />
gehört die Deutsche Werkstätten<br />
Lebensräume GmbH in Lichtenstein.<br />
W+M sprach mit Katharina<br />
Kratzsch, Leiterin der Unternehmensentwicklung<br />
in <strong>dem</strong> kreativen<br />
Team.<br />
Von Harald Lachmann<br />
Die vortrefflichsten Dinge<br />
verlieren durch unzweckmäßige<br />
Planung ihren<br />
Wert“, warnte schon der berühmte<br />
Architekt, Stadtplaner und Möbeldesigner<br />
Le Corbusier. „Die Atmosphäre<br />
eines Raums ist so lebendig<br />
wie die Möbel, die ihn mit<br />
Leben erfüllen“, ergänzt Katharina<br />
Kratzsch. Die 28-Jährige ist Leiterin<br />
Unternehmensentwicklung<br />
der Deutsche Werkstätten Lebensräume<br />
GmbH im sächsischen<br />
Lichtenstein. Das Unternehmen<br />
im <strong>Vor</strong>erzgebirge ist die Handelstochter<br />
des 1992 reprivatisierten<br />
Möbelherstellers Hellerau. Eine<br />
Traditionsmarke, die für individuelle<br />
Innenarchitektur, Innenausbau<br />
und Objektgestaltung steht.<br />
In Dresden-Hellerau beschäftigt<br />
das Stammhaus heute 200 Menschen<br />
sowie 30 weitere in Niederlassungen<br />
und Repräsentanzen<br />
in Russland, England, Frankreich<br />
und der Schweiz.<br />
Mit der Lichtensteiner Tochter<br />
sollte das Handelsgeschäft weiter<br />
etabliert und intensiviert werden,<br />
sagt die Betriebswirtin Kratzsch.<br />
Es gebe viele Schnittstellen zwischen<br />
beiden Unternehmen. Die<br />
Lichtensteiner liefern beispielsweise<br />
für das exklusive Raumambiente,<br />
das in Hellerau kreiert<br />
wird, hochwertiges serielles Mobiliar<br />
sowie Innenausstattungen.<br />
Doch die Lichtensteiner Firma,<br />
die sich mit 17 Mitarbeitern derzeit<br />
einen denkmalgerecht sanierten<br />
Industriebau einrichtet, ist alles<br />
andere als ein reiner Händler.<br />
„Wir sehen uns als Raumausstatter,<br />
betrachten den Raum stets<br />
ganzheitlich“, betont Lebensräume-Geschäftsführer<br />
Ronny<br />
Kretschmer. Es gehe auch um<br />
Wandgestaltung, Decken und Böden.<br />
Die Kunden werden bei der<br />
„Unsere Kunden<br />
erhalten frühzeitig<br />
eine klare<br />
Idee, wie die<br />
zu gestaltenden<br />
Bereiche<br />
später aussehen<br />
werden.“<br />
Auswahl von losem Mobiliar,<br />
von Tischen und Stühlen, Leuchten<br />
und Accessoires beraten. „Auf<br />
Wunsch wird alles mit maßgeschneidertem<br />
Innenausbau sowie<br />
Möbeln aus der Hellerauer Fertigung<br />
ergänzt.“<br />
Einen Großteil der Aufträge erhält<br />
die Lebensräume GmbH von<br />
anderen Firmen oder Institutionen<br />
– Bankfilialen, Bibliotheken,<br />
Bildungsträgern, Museen und<br />
Firmenzentralen. Einen Schwerpunkt<br />
bilden Bürowelten. „Der<br />
persönliche Arbeitsplatz ist vielen<br />
Menschen heilig“, weiß Katharina<br />
Kratzsch. Den Umzug in neue<br />
Räume und das Akzeptieren neuer<br />
Bürokonzepte empfänden vie-<br />
Foto: Harald Lachmann<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
unternehmen+verband 63<br />
le als „delikate Angelegenheit“.<br />
Drum seien für jedes neue Projekt<br />
zunächst eine intensive Ist-Stand-<br />
Analyse sowie das Einbeziehen<br />
der betroffenen Mitarbeiter unverzichtbar.<br />
Kommunikationsräume<br />
werden funktional sinnvoll<br />
von Konzentrations- und Regenerationsräumen<br />
abgegrenzt, erläutert<br />
die junge Managerin.<br />
Manche Kunden kommen bereits<br />
mit konkreten <strong>Vor</strong>stellungen, andere<br />
kennen maximal die Raummaße.<br />
Für die Lebensraum-Planer<br />
ist das jedoch kein Problem.<br />
„Unsere Kunden erhalten frühzeitig<br />
eine sehr genaue Idee, wie die<br />
zu gestaltenden Bereiche später<br />
aussehen werden“, verweist Katharina<br />
Kratzsch auf 3D-Programme,<br />
mit denen ganze Etagen virtuell<br />
zum Leben erweckt werden<br />
können. Möbel werden verschieden<br />
bemustert, um den Kunden<br />
exakte <strong>Vor</strong>stellungen über das<br />
Zusammenspiel von Materialien,<br />
Möbeln und Proportionen zu geben.<br />
Für die Kunden werden auch komplette<br />
Workshops organisiert. Das<br />
erleichtert es, zielgenau deren Planungs-<br />
und Ausstattungsbedarf<br />
zu ermitteln. „Auf dieser Basis erstellen<br />
wir dann ein Rahmenkonzept“,<br />
so Katharina Kratzsch. Besonderer<br />
Clou dabei: Erstklassige<br />
Serienmöbel werden mit einzelnen<br />
exklusiven Raumelementen<br />
oder Accessoires aus der Hellerauer<br />
Fertigung kombiniert, so dass<br />
ein einzigartiges Ambiente entsteht.<br />
Inzwischen kreieren auch renommierte<br />
deutsche Architekten –<br />
etwa Max Dudler und Professor<br />
Hans Kolloff – Möbel für die Deutschen<br />
Werkstätten, die nach ihren<br />
Entwürfen in Hellerau gebaut werden.<br />
Erhältlich sind diese Tische<br />
und Stühle seit Ende 2012 übrigens<br />
auch auf <strong>dem</strong> neuen Internetportal<br />
der Lichtensteiner. Mit<br />
<strong>dem</strong> exklusiven Möbelportal fokussieren<br />
sich die Sachsen verstärkt<br />
auf den anspruchsvollen<br />
Privatkunden. Es geht um jene,<br />
die Haus und (Heim)Büro aufwerten<br />
wollen. Und das Geschäft<br />
entwickelt sich offenbar hervorragend.<br />
Der Umsatz der Lichtensteiner<br />
steigt von Jahr zu Jahr<br />
deutlich. Die 5,4 Millionen Euro,<br />
die 2012 erlöst wurden, gelten als<br />
Top-Ergebnis.<br />
Das auch dank einer offensiven<br />
Vertriebsstrategie. So eröffneten<br />
die Sachsen im November vorigen<br />
Jahres am Berliner Monbijouplatz<br />
einen Showroom und sind<br />
damit wieder in der Bundeshauptstadt<br />
vertreten. Mit dieser Repräsentanz,<br />
die von der Deutschen<br />
Werkstätten Lebensräume GmbH<br />
betreut wird, entstand ein wichtiger<br />
Anlaufpunkt für design- und<br />
qualitätsbewusste Möbelkäufer.<br />
Geradlinig<br />
schön:<br />
Bibliothek<br />
Dessau.<br />
Einladend:<br />
Repräsentanz<br />
der Deutsche<br />
Werkstätten<br />
Lebensräume<br />
GmbH in<br />
Berlin.<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
64 unternehmen+verband<br />
UV BRANDENBURG<br />
Am Puls der<br />
Medizin von<br />
morgen<br />
Der zehnte Teltower Technologietag<br />
war <strong>dem</strong> Innovationsmotor<br />
Medizintechnik gewidmet.<br />
Von Hans Pfeifer<br />
Intensive<br />
Gespräche<br />
in Teltow<br />
zwischen<br />
Vertretern<br />
von Mittelstand<br />
und<br />
Forschung.<br />
Als der Präsident des Unternehmerverbandes<br />
Brandenburg,<br />
Eberhard Walter,<br />
Mitte März den Teltower Technologietag<br />
eröffnete, tat er das<br />
schon zum zehnten Mal. Dem<br />
Anspruch einer Leistungsschau<br />
und eines Workshops des innovativen<br />
Mittelstandes in der Region<br />
Berlin-Brandenburg ist der Technologietag<br />
immer besser gerecht<br />
geworden, unterstrich Hermann<br />
Kühnapfel, Landesvorsitzender<br />
der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung<br />
der CDU, die<br />
traditionell den Tag zusammen<br />
Fachleute sehen<br />
die Hauptstadtregion<br />
in der<br />
oberen Liga.<br />
mit <strong>dem</strong> Unternehmerverband<br />
Brandenburg veranstaltet.<br />
Kaum etwas spiegelt dies besser<br />
wider als das diesjährige Thema<br />
Medizintechnologie. Der<br />
Schirmherr des Technologietages,<br />
der Brandenburgische Minister<br />
für Wirtschaft und Europaangelegenheiten<br />
Ralf Christoffers,<br />
unterstrich die Bedeutung der<br />
Gesundheitswirtschaft und Medizintechnologie<br />
für Berlin und<br />
Brandenburg. 274.000 Beschäftigte,<br />
16 Milliarden Jahresumsatz<br />
und mehr als 700 Unternehmen<br />
sind eine wirtschaftliche Größe.<br />
Bis zum Jahr 2020 soll die Branche<br />
zu den führenden Innovationsregionen<br />
in Europa gehören.<br />
Christoffers machte kein Geheimnis<br />
daraus, dass sich diese Entwicklung<br />
vor <strong>dem</strong> Hintergrund<br />
eines gravierenden Umbaus der<br />
Innovationsförderung vollziehen<br />
wird. Berlin-Brandenburg ist<br />
in den EU-Augen keine strukturschwache<br />
Region mehr. Dieser Erfolg<br />
bedeutet vor allem: weniger<br />
Geld aus Brüssel. Dennoch hat die<br />
Brandenburger Landesregierung<br />
erst unlängst die Schwerpunktförderung<br />
für Forschung und Entwicklung,<br />
Industrie und mittelständische<br />
Unternehmen in der<br />
Gesundheitswirtschafts- und Medizintechnologiebranche<br />
gestärkt<br />
und dazu Mittel umgeschichtet.<br />
Fachleute sehen die Region Berlin-Brandenburg<br />
in der Medizintechnologie<br />
in der oberen Liga<br />
angekommen. Das machte unter<br />
anderem Andreas Lendlein, Professor<br />
am Helmholtz-Zentrum<br />
Geesthacht, deutlich. An <strong>dem</strong> Institut<br />
geht es auch um die Entwicklung<br />
neuer Materialien, um<br />
die regenerative Medizin, neue<br />
bildgebende Verfahren, um die<br />
minimalinvasive Medizin, um<br />
Telemedizin und die Nanotechnologie.<br />
Auf letzteren beiden Gebieten<br />
können Unternehmen des<br />
Teltower Technolgieclusters bereits<br />
hervorragende Ergebnisse<br />
vorweisen, lobte Lendlein.<br />
Die Perspektiven für die Medizintechnologiebranche<br />
seien herausragend.<br />
Das größte Potenzial liege<br />
im Bereich der Entwicklung neuer<br />
Biomaterialien, so Lendlein.<br />
Ein Entwicklungshorizont von<br />
ungefähr zehn Jahren und Kosten<br />
von 30 bis 40 Millionen Euro<br />
pro Innovation seien eine große<br />
Herausforderung, die mittelständische<br />
Unternehmen nicht<br />
stemmen könnten. Deshalb konzentrierten<br />
sich die Helmholtz-<br />
Gesellschaften auf die Schaffung<br />
von Technologieplattformen, auf<br />
denen Kliniken, Forschungs- und<br />
Entwicklungslabors sowie Unternehmen<br />
eng zusammenwirken. <br />
Foto: Hans Pfeifer<br />
1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
unternehmen+verband 65<br />
TERMINE<br />
UV BRANDENBURG<br />
17. April und 6. Mai: Wirtschaft im Dialog –<br />
die Parteien zur Bundestagswal 2013 (Anmeldung<br />
erforderlich)<br />
14. Mai: Landesarbeitskreis Innovative<br />
Technologien: Innovative Lösungen für die<br />
Automobilindustrie mit <strong>dem</strong> Schwerpunkt<br />
Elektromobilität.<br />
24. Mai: Holiday Inn Berlin-International<br />
Airport, Schönefeld: Mitgliederversammlung.<br />
UV ROSTOCK<br />
18. April: Hotel Neptun, Warnemünde: Unternehmertag<br />
„Nachhaltigkeit in der Wirtschaft“<br />
19. April: Hotel Neptun, Warnemünde: Unternehmerball<br />
„UV auf See“<br />
UV VORPOMMERN<br />
3. Mai: Aquamaris Strandresidenz Rügen/<br />
Juliusruh: 3. Maritimer Frühlingsball und<br />
Wirtschaftsgespräche<br />
NACHRICHTEN<br />
UV SCHWERIN<br />
Gegen Mindestlohn<br />
Der Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin kritisiert die Landesrichtlinie<br />
zur Förderung der gewerblichen<br />
Wirtschaft.<br />
Der in der überarbeiteten Landesrichtlinie<br />
enthaltenen Mindestlohn von 8,50 Euro als<br />
Zugangsvoraussetzung für die Förderung ist<br />
wirtschaftspolitisch bedenklich, heißt es in<br />
einer Stellungnahme des Unternehmerverbandes.<br />
Die rot-schwarze Regierung eröff ne<br />
mit der Aufnahme zusätzlicher Bedingungen<br />
einen zukünftigen Wettbewerb um politisch<br />
motivierte und populistische Forderungen.<br />
Es bedürfe nicht großer Phantasie, um<br />
sich vorzustellen, wie in Zeiten wahlpolitischer<br />
Auseinandersetzungen die Forderungen<br />
nach immer höheren Löhnen losgelöst<br />
von betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten<br />
Einzug in die aktuelle Politik des Landes<br />
halten. Der über 60 Jahre bestehende<br />
Grundsatz zum gemeinsamen Interessensausgleich<br />
im Rahmen der Lohnfindung, wie<br />
sie die Tarifautonomie als schützenswertes<br />
Gut darstellt, werde kurzfristig politisch motiviertem<br />
Klienteldenken geopfert. „Wir befürchten“,<br />
so Hauptgeschäftsführer Wolfgang<br />
Schröder, „dass mit der jetzt gesetzlich<br />
verankerten Regelung durchaus förderwürdige<br />
Unternehmen bzw. einzelne Branchen<br />
vom Zugang notwendig benötigten Kapitals<br />
ausgeschlossen bleiben.“<br />
UV ROSTOCK<br />
Unternehmer für Bildung<br />
Der Unternehmerverband Rostock-Mittleres<br />
Mecklenburg setzt sich im Rahmen<br />
des Arbeitskreises „SCHULEWIRTSCHAFT“<br />
für eine bessere Berufsfrühorientierung ein.<br />
In Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit,<br />
der IHK zu Rostock und anderen Institutionen<br />
wird jährlich ein umfangreicher<br />
Jahresarbeitsplan für die Mitglieder des<br />
Arbeitskreises erstellt. Der Arbeitskreis<br />
setzt sich aus Lehrern und Vertretern der<br />
Wirtschaft zusammen. Viele Mitgliedsunternehmen<br />
engagieren sich bei der Berufsfrühorientierung<br />
durch Teilnahme an<br />
Schülermessen oder Berufskundetagen beziehungsweise<br />
durch Angebote von Praktika<br />
in Unternehmen.<br />
Mit <strong>dem</strong> Schulamt wurde eine noch engere<br />
Zusammenarbeit vereinbart. Die verantwortlichen<br />
Lehrer für Berufsfrühorientierung<br />
der Schulen erhalten über den<br />
Verteiler des Schulamtes alle Informationen,<br />
die in den Bereich Berufsorientierung<br />
fallen. Das verhindert eine Überfl utung von<br />
Angeboten und macht gezielte Teilnahmen<br />
an Veranstaltungen beziehungsweise Fortbildungen<br />
möglich. Des Weiteren ist geplant,<br />
unter <strong>dem</strong> Motto: „Unternehmen in Schule“<br />
bei Bedarf Unternehmerinnen und Unternehmer<br />
in die Schulen einzuladen, um eine<br />
Unterrichtsstunde zu den Themen Bewerbung,<br />
Existenzgründung und Unternehmensphilosophie<br />
allgemein zu gestalten. Das ermöglicht<br />
einen direkten Kontakt zwischen<br />
Lehrern, Schülern und Unternehmen, der in<br />
vielfältiger Weise individuell ausgebaut werden<br />
kann. <br />
GESCHÄFTSSTELLEN<br />
Unternehmerverband Berlin e.V.<br />
Präsident: Armin Pempe<br />
Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />
Geschäftsstelle: Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />
Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />
Tel.: +49 30 981 85 00, 981 85 01<br />
Fax: +49 30 982 72 39<br />
E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />
Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />
Präsident: Eberhard Walter<br />
Hauptgeschäftsstelle Cottbus: Roland Kleint<br />
Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />
Tel.: +49 03 55 226 58, Fax: 226 59<br />
E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />
Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />
Bezirksgeschäftsführer: Norbert Gölitzer<br />
Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />
Tel.: +49 331 81 03 06, Fax: (03 31) 817 08 35<br />
Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />
Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />
Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />
Tel.: +49 335 400 74 56<br />
Mobil: +49 173 633 34 67<br />
Unternehmerverband Rostock-<br />
Mittleres Mecklenburg e.V.<br />
Präsident: Frank Haacker<br />
Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />
Geschäftsstelle:<br />
Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />
Tel.: +49 381 242 58 -0, 242 58-11, Fax: 242 58 18<br />
Regionalbüro Güstrow:<br />
Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />
Tel.: +49 3843 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />
Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />
Präsident: Rolf Paukstat<br />
Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />
Geschäftsstelle:<br />
Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />
Tel.: +49 385 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />
Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />
Präsident: Peter Baum<br />
Geschäftsstelle: IHK Erfurt<br />
Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />
Tel.: +49 3681 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />
Unternehmerverband <strong>Vor</strong>pommern e.V.<br />
Präsident: Gerold Jürgens<br />
Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />
Geschäftsstelle:<br />
Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />
Tel.: +49 3834 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />
Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />
Präsident: Hartmut Bunsen<br />
Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel, U. Hintzen<br />
Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />
www.uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Chemnitz:<br />
Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />
Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />
Tel.: +49 371 49 51 29 12, Fax: -16<br />
E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Dresden:<br />
Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />
Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />
Tel.: +49 351 899 64 67, Fax 899 67 49<br />
E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Leipzig:<br />
Leiterin: Silvia Müller<br />
Riesær Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />
Tel.: +49 341 257 91-20, Fax: -80<br />
E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />
Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Präsident: Jürgen Sperlich<br />
Geschäftsstelle Halle/Saale<br />
Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />
Tel.: +49 345 78 23 09 24<br />
Fax: +49 345 78 23 467<br />
www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013
66 klipp+klar<br />
Blick nach draußen<br />
Klaus von Dohnanyi<br />
Die schwere Wirtschaftskrise<br />
in der Welt führte zwangsläufig<br />
zu politischen Krisen<br />
in besonders hart betroffenen<br />
Ländern. Politiker suchen<br />
dort nach Schuldigen und meinen<br />
diese in gierigen Banken, Hedgefonds<br />
und skrupellosen Managern<br />
gefunden zu haben. Oder im<br />
Machtwillen Deutschlands; bei<br />
Frau Merkel.<br />
Doch am Kern der Probleme führt<br />
das vorbei. Wer nur einen Moment<br />
über die eigenen Grenzen hinausschaut,<br />
der sieht, wie unterschiedlich<br />
erfolgreich die Staaten der<br />
Welt mit den Krisenfolgen umgehen.<br />
Wie kann es sein, dass EU-<br />
Mitglieder wie Schweden, Dänemark,<br />
Finnland, Estland oder<br />
Polen weiterhin ihre Staatsverschuldung<br />
im Limit der Maastricht-Kriterien<br />
halten, während<br />
Italien, Frankreich oder auch<br />
Großbritannien (kein Euro-Land!)<br />
mit den Folgen der Krise vergeblich<br />
kämpfen. Wenn im Sturm die<br />
einen Schiffe sicher segeln, andere<br />
aber kentern, liegt das dann am<br />
Sturm oder an den Kapitänen?<br />
Die Politik redet viel von notwendigen<br />
Regulierungen der Finanzwirtschaft,<br />
von Begrenzungen<br />
der Managergehälter und Boni.<br />
Das mag alles richtig sein – aber<br />
so werden wir die Probleme nicht<br />
lösen. Der Unterschied zwischen<br />
Wettbewerb<br />
funktioniert nur<br />
als lernendes<br />
System.<br />
erfolgreichen und wenig erfolgreichen<br />
Ländern liegt in ihrer Politik<br />
und nicht bei den Banken.<br />
Wir Deutschen sollten das besser<br />
wissen als viele andere. Was war<br />
der Grund für die so unterschiedlichen<br />
Erfolge auf beiden Seiten<br />
des geteilten Deutschland bis<br />
1989? Im Ausgang, 1945, bestand<br />
wirtschaftlich nahezu ein Gleichgewicht.<br />
Es waren dann aber nicht<br />
die Menschen in der DDR, die weniger<br />
tüchtig gewesen wären als<br />
wir im Westen: Es war die Politik,<br />
die Ostdeutschland ruinierte.<br />
So ist es auch heute in Italien. Die<br />
Italiener sind ein fleißiges Volk;<br />
ihm verdankt Europa kulturell<br />
mehr als irgendeinem anderen<br />
Land. Aber warum dann dieser<br />
Niedergang der wirtschaftlichen<br />
und sozialen Leistungsfähigkeit?<br />
Wiederum: Es ist die Politik.<br />
Ich denke wir müssen begreifen,<br />
dass nicht nur Finanzwirtschaft,<br />
Sozialsysteme und Bildungsorganisationen<br />
einer stetigen Überprüfung<br />
ihrer Leistungsfähigkeit<br />
bedürfen, sondern auch - und heute<br />
besonders - die <strong>dem</strong>okratischpolitischen<br />
Systeme. Auch sie<br />
müssen immer wieder auf den<br />
Prüfstand gestellt werden. Gerade<br />
in Zeiten globalen Wettbewerbs.<br />
Die Freiheit, in der wir leben, die<br />
wir lieben und bewahren wollen,<br />
hat unausweichlich verschärften<br />
Wettbewerb zur Folge. Von der<br />
Wirtschaft wissen wir das. Wenn<br />
aber die Politik eine so entscheidende<br />
Rolle für den wirtschaftlichen<br />
und sozialen Erfolg spielt,<br />
dann müssen wir auch den Wettbewerb<br />
der politischen Systeme<br />
und ihrer Organisation betrachten.<br />
Wettbewerb funktioniert nur<br />
als lernendes System. Scheuen<br />
wir also nicht den Vergleich mit<br />
anderen, erfolgreichen Ländern<br />
der Welt – um zu lernen. <br />
Impressum<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />
Das ostdeutsche Unternehmermagazin<br />
Magazin der Interessengemeinschaft der<br />
Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlin<br />
Ausgabe 1/2013<br />
Redaktionsschluss: 15.03.2013<br />
Verlag:<br />
Verlag Frank Nehring GmbH<br />
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<strong>Vor</strong>pommern), Dr. Ulrich Conrad (Brandenburg),<br />
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gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Meinung der<br />
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1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>
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