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WIRTSCHAFT+MARKT Vor dem Ostdeutschen Energieforum (Vorschau)

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24. Jahrgang | Heft 1 | März/ April 2013 | € 3,50 | ZKZ 84618 |<br />

WIRTSCHAFT+<br />

MARKT<br />

DAS OSTDEUTSCHE UNTERNEHMERMAGAZIN<br />

<strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Ostdeutschen</strong><br />

<strong>Energieforum</strong> Leipzig<br />

W+M-Umfrage unter Protagonisten<br />

der Energiewende: Welche Schritte<br />

sind jetzt unbedingt zu gehen?<br />

landschaft+<br />

leute<br />

Lausitzer Seen –<br />

die Zeit nach<br />

der Braunkohle<br />

marken+<br />

macher<br />

Plauen: Stille<br />

Profis auf <strong>dem</strong><br />

Weg zur Spitze


Weil eine Bank erst dann kompetent ist,<br />

wenn sie überall gleich tickt.<br />

Können Sie weltweit auf die einheitlichen Standards der Commerzbank zählen.<br />

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was+warum 3<br />

WIRTSCHAFT+<br />

MARKT<br />

DAS OSTDEUTSCHE<br />

UNTERNEHMERMAGAZIN<br />

Nur wer sich ändert, vermag sich<br />

treu zu bleiben<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

vor Ihnen liegt das neue Unternehmermagazin <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>.<br />

Sollte es, was Titel, Inhalt und Autoren angeht, seltsam vertraut anmuten,<br />

so haben Sie sich nicht getäuscht. Das Journal hat sich mit der<br />

jüngsten Ausgabe stark verändert, bleibt sich aber treu. W+M, die einzige<br />

Wirtschaftszeitschrift aller neuen Bundesländer und Berlins geht<br />

in ihr 24. Erscheinungsjahr; allerdings im neuen Gewande und herausgegeben<br />

vom Berliner Verleger Frank Nehring.<br />

W+M bleibt das Magazin der Unternehmerverbände Ostdeutschlands<br />

und der Hauptstadt. Gerade deshalb will sich das Journal, wie der Untertitel<br />

verspricht, vom Wirtschafts- zum Unternehmermagazin profilieren.<br />

Unternehmer rücken mit ihren Problemen, Anliegen und Erfolgen<br />

stärker in den Fokus. Ostdeutsch ist da so wenig wie süddeutsch oder<br />

norddeutsch ein politisches Programm oder eine strenge geografische<br />

Beschränkung, sondern eine selbstbewusste Quellenangabe.<br />

Es hat schon etwas Symbolisches, dass der Neustart von WIRTSCHAFT+<br />

MARKT in die <strong>Vor</strong>bereitung des „2. <strong>Ostdeutschen</strong> <strong>Energieforum</strong>s – Zukunft<br />

der Energie“ fällt. Die Redaktion widmet der sich etablierenden<br />

Leipziger Denkwerkstatt einen Gutteil des Unternehmermagazins (Seiten<br />

10 bis 19). Noch sieht die Mehrheit der deutschen Unternehmen die<br />

Energiewende skeptisch, verbindet sie mit höheren Kosten und niedrigerer<br />

Wettbewerbsfähigkeit, abnehmender Versorgungssicherheit<br />

und zunehmender Kleinstaaterei. Es kristallisieren sich indes, wie die<br />

W+M-Exklusivumfrage zeigt, Chancen heraus, von dieser Wende zu<br />

profitieren. Mit neuen Erzeugnissen und Technologien. In der Messestadt<br />

soll nun Ende April Klartext geredet und der Druck auf die Politik<br />

verstärkt werden.<br />

Klartext ist genau das, was die Redaktion Ihnen, liebe Leserin, lieber<br />

Leser, auch weiterhin anbieten will. Da bleiben wir uns treu. Und wir<br />

werden Sie künftig noch stärker in das Spannungsfeld von Pro und Contra<br />

führen. Da ändern wir uns. Versprochen.<br />

Herzlich<br />

Helfried<br />

Liebsch<br />

Chefredakteur<br />

fi t+ fi r m<br />

IM<br />

24.<br />

JAHRGANG<br />

www.wundm.info


4 inhalt+form<br />

was+warum<br />

Nur wer sich ändert, vermag sich treu zu bleiben .......... Seite 3<br />

Impressum .................................................................................................... Seite 66<br />

ross+reiter<br />

Nachrichten und Personalien ....................................................... Seite 6<br />

pro+contra<br />

Niedriglohn behindert Innovation ................................................ Seite 8<br />

Jetzt alle Ministerien vom Rhein an die Spree? ................. Seite 9<br />

fragen+antworten<br />

„Wir erhöhen den Druck“ – Gespräch mit<br />

Unternehmerverbands-Chef Hartmut Bunsen<br />

und DIHK-Vize Klaus Olbricht ........................................................ Seite 10<br />

W+M-Umfrage: Energiewende – wie wird sie<br />

sauber, sicher und bezahlbar? ...................................................... Seite 12<br />

landschaft+leute<br />

Klar zum Anlegen – Lausitzer Revier wird<br />

immer mehr zum Seenland ............................................................. Seite 20<br />

einblicke+aussichten<br />

Feigenblatt Bürgerbeteiligung –<br />

Infrastrukturprojekten fehlt Akzeptanz .................................. Seite 24<br />

marken+macher<br />

WEMA VOGTLAND Technology: Aus alt<br />

mach neu – und hochproduktiv ..................................................... Seite26<br />

Hidden Champions – Weltmarktführer<br />

aus Ostdeutschland ............................................................................... Seite 29<br />

klipp+klar<br />

Eberhard Walter, Präsident des Brandenburger<br />

Unternehmerverbandes fragt: Alternativlos? .................... Seite 30<br />

Klaus von Dohnanyi plädiert für einen Blick<br />

nach draußen ............................................................................................. Seite 66<br />

Lausitzer Seenland<br />

Fachleute für<br />

lebende Räume<br />

20<br />

62<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


inhalt+form 5<br />

W+M-Umfrage<br />

zur Energiewende12<br />

innovation+tradition<br />

Maritimer Denkwandel – Veränderungsdruck<br />

an der Ostseeküste ................................................................................ Seite 32<br />

Plasma-Pfl aster für chronische Wunden ............................. Seite 36<br />

Kapitaler Kraftakt – Berlin wird kreativer<br />

und Gründerstadt ................................................................................... Seite 38<br />

Kapitaler<br />

Kraftakt –<br />

Berlin wird<br />

kreativer<br />

38<br />

ideen+impulse<br />

Der Marathonläufer – ein Chemnitzer Chef,<br />

der nie aufgibt ........................................................................................... Seite 42<br />

Forschungsförderung mit ostdeutschen Wurzeln ........ Seite 56<br />

Videokonferenzen für alle – Cottbuser Firma<br />

überschreitet Grenzen ........................................................................ Seite 58<br />

frauen+führung<br />

Engagierter Pfl ege-Fall: Rostocker Unternehmerin<br />

mit sozialem Konzept ........................................................................... Seite 44<br />

rat+tat<br />

Multimedia – Mehr Attacken aus <strong>dem</strong> Internet ............... Seite 48<br />

Steuern – Zur privaten Nutzung des Dienstautos ......... Seite 50<br />

Recht – Verkehrssünden werden härter geahndet ...... Seite 52<br />

Immobilien – Trend zur Reurbanisierung ............................ Seite 54<br />

Zahlungsverkehr – Mittelstand zögert bei SEPA ........... Seite 55<br />

wirtschaft+kultur<br />

Machtspiele. W+M-Autor Thomas Schwandt<br />

hat einen Thriller geschrieben ..................................................... Seite 60<br />

Fußball-Peer. Porträt eines Abseits-Spezialisten ........... Seite 61<br />

unternehmen+verband<br />

Fachleute für lebende Räume – neues Mitglied<br />

im Unternehmerverband Sachsen ............................................. Seite 62<br />

Am Puls der Medizin von morgen – innovativer<br />

Technologietag Teltow ......................................................................... Seite 64<br />

Unternehmer gegen Mindestlohn – Schweriner<br />

kritisieren Landesregierung .......................................................... Seite 65<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


6 ross+reiter<br />

Fehlende Motivation kostet<br />

GALLUP: EIN VIERTEL HAT INNERLICH GEKÜNDIGT<br />

Wer als Unternehmer seine Leute schlecht behandelt,<br />

der vergiftet nicht nur das Betriebsklima, sondern<br />

schadet sich selbst. Denn am Ende sinkt die Produktivität<br />

der Firma. Das ist das Fazit einer Studie des US-Beratungsunternehmens<br />

Gallup zur emotionalen Bindung<br />

von Mitarbeitern an ihren Brötchengeber. Seit 2001 erstellt<br />

Gallup für Deutschland jährlich einen „Engagement<br />

Index“. Dieser weist für 2012 aus, dass der Anteil der<br />

hochmotivierten Angestellten über die Jahre mit 15 Prozent<br />

nahezu unverändert geblieben ist. Um neun Punkte<br />

auf 24 Prozent gestiegen ist dagegen der Anteil derjenigen,<br />

die innerlich bereits gekündigt haben. Das wären<br />

immerhin 8,4 Millionen Menschen. Der Zuwachs ergibt<br />

sich offensichtlich aus einer Verschlechterung der Situation<br />

innerhalb der Gruppe von Mitarbeitern, die bereits<br />

zuvor „Dienst nach <strong>Vor</strong>schrift“ machten: Ihr Anteil<br />

stieg um acht Punkte auf 61Prozent. Allein die Fehltage,<br />

die auf Unlust zurückzuführen seien, kosteten die Betriebe<br />

rund 18 Milliarden Euro. <br />

Berlin als Stadt des Films<br />

NEUE PRODUKTIONS- UND VERTRIEBSFIRMA<br />

Internationales Flair auf der Berlinale<br />

Andreas Rothbauer und Alec Schulmann haben zum<br />

Jahresbeginn die Picture Tree International GmbH,<br />

ein international aufgestelltes, integriertes Weltvertriebs-<br />

und Produktionsunternehmen mit Sitz in Berlin,<br />

gegründet. Die Finanzierung haben der VC Fonds Kreativwirtschaft<br />

der Investitionsbank Berlin (IBB) und private<br />

Investoren übernommen. Kerngeschäft sollen der<br />

weltweite Filmlizenzhandel und die Koproduktion von<br />

internationalen Filmen werden. Geplant ist, Produktionspartner<br />

aus Skandinavien, Kanada und Südafrika als<br />

strategische Gesellschafter zu gewinnen. <br />

Bauwirtschaft leidet unter Flughafendesaster<br />

HOFFNUNGEN RICHTEN SICH AUF DEN WOHNUNGSBAU<br />

Die Probleme beim Bau des Großflughafens<br />

Berlin-Brandenburg<br />

BER belasten die Bauwirtschaft in<br />

der Region. Wie der Bauindustrieverband<br />

Berlin-Brandenburg mitteilt,<br />

sank der Umsatz im vergangenen<br />

Jahr um 1,9 Prozent. Wegen der<br />

mehrfach verschobenen Eröffnung<br />

seien Aufträge ausgeblieben. <strong>Vor</strong> allem<br />

Brandenburg spürt die Auswirkungen,<br />

hier sank der Umsatz der<br />

Sächsische Firmen im Ural<br />

Baubetriebe um 4,8 Prozent. Einen<br />

Einbruch von 22,5 Prozent musste<br />

der öffentliche Hochbau verkraften.<br />

Berlin konnte ein leichtes Umsatzplus<br />

verbuchen. Allerdings brach der<br />

Straßenbau dort mit einem Umsatzrückgang<br />

von 16,5 Prozent gegenüber<br />

2011 ein. Auch für das laufende<br />

Jahr ist die Branche insgesamt pessimistisch.<br />

Positive Impulse werden<br />

nur vom Wohnungsbau erwartet. <br />

KOOPERATION MIT REGION SWERDLOWSK WIRD INTENSIVIERT<br />

Die Verbundinitiative Maschinenbau<br />

Sachsen VEMAS will den<br />

Aufbau eines Kompetenzzentrums<br />

für innovative Produktionstechnik<br />

in Jekaterinburg unterstützen<br />

und dazu eng mit <strong>dem</strong> Maschinenbauverband<br />

des russischen Gebietes<br />

Swerdlowsk zusammenarbeiten.<br />

Dies wurde im Februar beim Unternehmer-Forum<br />

der Wirtschaftsförderung<br />

Sachsen und der VEMAS mit<br />

Delegationen aus Swerdlowsk und<br />

St. Petersburg vereinbart. Die Uralregion<br />

ist wie Sachsen stark durch<br />

den Maschinenbau und die Metallindustrie<br />

geprägt. Viele sächsische<br />

Unternehmen des Maschinenbaus<br />

liefern Produktionsausrüstungen<br />

und Anlagen. Zur Maschinenbaumesse<br />

„Metalloobrabotka“ vom 27.<br />

bis 31. Mai 2013 in Moskau organisiert<br />

die Wirtschaftsförderung Sachsen<br />

mit der VEMAS einen Gemeinschaftsstand.<br />

<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


oss+reiter 7<br />

PERSONALIEN<br />

NACHRICHTEN<br />

David<br />

Wortmann<br />

Berlin-<br />

Bran denburg<br />

Energy Network<br />

Lobbyist für den Erfolg<br />

der Energiewende<br />

David Wortmann (36) ist ein Wanderer<br />

zwischen den Welten. Seit Januar<br />

2013 leitet er als Geschäftsführer das Berlin-Brandenburg<br />

Energy Network, das mitgliederstärkste<br />

Unternehmensnetzwerk in<br />

der Hauptstadtregion für die Energiewende.<br />

Zuvor war er als Direktor für strategische<br />

Planung und zuletzt als Vice President<br />

Public Affairs EU für First Solar tätig.<br />

<strong>Vor</strong> seinem Wechsel in die Industrie arbeitete<br />

David Wortmann in der Politik als wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im Deutschen<br />

Bundestag. Er unterstützte den Aufbau des<br />

Weltrats für Erneuerbare Energien (WCRE),<br />

bei <strong>dem</strong> er als Direktor für International Policy<br />

Affairs tätig war. Er verantwortete die<br />

Asien-Aktivitäten des Industrial Investment<br />

Council in Tokio und arbeitete später für<br />

Germany Trade and Invest (GTAI) als Leiter<br />

der Energie- und Umwelttechnologie-Abteilung.<br />

Zur Diskussion über die Energiepolitik<br />

sagt der 36-Jährige: „Es ist richtig,<br />

dass die Kostenseite der Energiewende im<br />

Blick gehalten werden muss. Aber die aktuellen<br />

<strong>Vor</strong>schläge des Bundesumweltministers<br />

und des Bundeswirtschaftsministers<br />

zur kurzfristigen Anpassung des EEGs,<br />

um Strompreisanstiege zu begrenzen, sind<br />

nicht zielgerichtet genug und können den<br />

Fortschritt der Energiewende gefährden.<br />

Vielmehr sollten die vielen volkswirtschaftlichen<br />

<strong>Vor</strong>teile der Energiewende beachtet<br />

werden, um die heutigen Kosten auch<br />

als Investition in die Zukunft zu werten.“<br />

Michaela Merz<br />

Hermetos<br />

Datendienste<br />

Eisenach<br />

Internet-Pionierin berät<br />

den Wirtschaftsminister<br />

Michaela Merz (53) züchtet mit ihrem<br />

Mann Rinder in Texas. Viel Zeit bleibt<br />

ihr dafür nicht, denn die Unternehmerin<br />

führt die Geschäfte des Eisenacher Softwareunternehmens<br />

Hermetos Datendienste<br />

GmbH und einer weiteren Firma in den<br />

USA. Dort hat sie zehn Jahre gelebt, die<br />

Anfänge des Internetbooms sind mit ihrem<br />

Namen verbunden. Sie hat VoIP, eines<br />

der ersten Programme für Internettelefonie,<br />

entwickelt und den Onlinedienst germany.net<br />

erfunden. Hermetos ist auf Datensicherheit<br />

in Firmen spezialisiert. Jetzt<br />

wurde die Thüringerin von Bundeswirtschaftsminister<br />

Philipp Rösler in den „Beirat<br />

digitaler Unternehmen in Deutschland“<br />

berufen. Mitglieder des 24-köpfigen Teams<br />

sind Chefs von Branchenführern im digitalen<br />

Bereich, von Investmentgesellschaften<br />

sowie von jungen Unternehmen der Branche.<br />

„Gerade mal ein paar Tage nach <strong>dem</strong><br />

sehr umstrittenen Leistungsschutzrecht-<br />

Gesetz wurde die CeBIT unter <strong>dem</strong> Motto<br />

„Shareconomy“ eröffnet“, sagt Michaela<br />

Merz. „Das Internet ist eine Chance, aber<br />

man muss es in seiner Struktur begreifen,<br />

und das haben die Politiker noch nicht.“ Im<br />

Beirat will sich die bekennende Liberale<br />

für bessere Start- und Marktchancen junger<br />

IT-Unternehmen einsetzen, denn diese<br />

würden für die wirtschaftliche Dynamik<br />

Deutschlands immer wichtiger. Dabei geht<br />

es ihr auch darum, den Abstand gegenüber<br />

den Amerikanern zu verkürzen. <br />

Mehr Thüringer Bier<br />

KÖSTRITZER IN 50 LÄNDERN<br />

Während der deutsche Bierkonsum<br />

sinkt, konnten die Thüringer Brauereien<br />

ihren Absatz 2012 um 2,6 Prozent<br />

gegenüber <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>jahr steigern. Rund 3,7<br />

Millionen Hektoliter wurden verkauft. Beim<br />

Export erzielten die Brauer mit 480.000<br />

Hektoliter Bier einen Rekord. Die Köstritzer<br />

Schwarzbierbrauerei ist in 13 Bundesländern<br />

Marktführerin bei Schwarzbier. Ihr Anteil<br />

wuchs 2012 bis auf 31,6 Prozent. „Rund<br />

die Hälfte des Absatzes schreiben wir dabei<br />

<strong>dem</strong> Verkauf in Westdeutschland zu“,<br />

so Geschäftsführer Andreas Reimer. Köstritzer<br />

Schwarzbier wird in rund 50 Länder<br />

exportiert. <br />

Die Köstritzer Schwarzbierbrauerei<br />

Energiesparen<br />

GEFÖRDERTE RKW-BERATUNG<br />

Das Kompetenzzentrum des Rationalisierungs-und<br />

Innovationszentrum der<br />

Deutschen Wirtschaft (RKW) führt deutschlandweit<br />

Impulsgespräche zur Energieeffizienz<br />

industrieller kleiner und mittlerer Unternehmen<br />

sowie im Handwerk durch. Diese<br />

werden durch das Bundeswirtschaftsministerium<br />

gefördert. Im vergangenen Jahr nutzten<br />

dies in Berlin und Brandenburg 356 Unternehmen,<br />

in Sachsen 309, in Thüringen<br />

210 und in Sachsen-Anhalt 181. Die regionalen<br />

RKW planen in diesen Ländern für 2013<br />

rund 1.300 Impulsgespräche. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


8 pro+contra<br />

Niedriglohn<br />

behindert<br />

Innovation<br />

Von Dr. Herbert Berteit<br />

Den neuesten Daten des<br />

Statistischen Bundesamtes<br />

zufolge ist die Zahl der<br />

Niedriglöhner in der Wirtschaft<br />

Ostdeutschlands in den letzten<br />

Jahren sprunghaft angestiegen.<br />

Sie erreichte im letzten Jahr einen<br />

Anteil, der doppelt so hoch ist<br />

wie im Westen. Die meisten werden<br />

dabei für Ostdeutschland bei<br />

den Vollzeitbeschäftigten der Realwirtschaft<br />

ausgewiesen.<br />

Heute ist dort mindestens jeder<br />

Fünfte als Niedriglöhner tätig.<br />

Beispielsweise sind es in Brandenburg<br />

21 und in Thüringen 24<br />

Prozent. In den alten Bundesländern<br />

beträgt der Anteil der Niedriglöhner<br />

in Wirtschaftsunternehmen<br />

nicht einmal zehn Prozent.<br />

Die Situation in Ostdeutschland<br />

verschärfte sich vor allem durch<br />

Abwanderung junger qualifizierter<br />

Fachkräfte und durch den <strong>dem</strong>ografischen<br />

Wandel. Die wachsende<br />

Zahl der Niedriglöhner<br />

beeinflusst die ostdeutsche Konjunktur<br />

negativ und hemmt die eigene<br />

Innovationsfähigkeit. Damit<br />

verbunden ergeben sich negative<br />

Auswirkungen auf den privaten<br />

Verbrauch, auf das kommunale<br />

Steueraufkommen und auf die<br />

verfügbaren öffentlichen Investitionsmittel.<br />

Durch Förderung von Forschung<br />

und Entwicklung (FuE) und Innovationen<br />

haben Bund und Länder<br />

dazu beigetragen, dass sich Unternehmen<br />

mit innovativen Produkten<br />

am Markt behaupten konnten<br />

und in einigen Regionen erfolgreiche<br />

innovative industrielle Netze<br />

entstanden sind. Oft wird nun<br />

aber der weitere Aufbau solcher<br />

Unternehmen und Netze und ihre<br />

Entwicklung durch zunehmende<br />

natürliche Überalterung der innovativen<br />

Potenziale und die Abwanderung<br />

junger, qualifizierter<br />

Fachkräfte erschwert. Hinzu<br />

kommt, dass viele Unternehmen<br />

über Defizite in der Bildung und<br />

bei der sozialen Kompetenz von<br />

Bewerbern für eine Ausbildung<br />

klagen. Viele Jugendliche verfügen<br />

nicht über ausreichende Fähigkeiten<br />

im Lesen, Schreiben<br />

und Rechnen, wodurch die Ausbildung<br />

geeigneter Fachkräfte in Unternehmen<br />

erschwert und der Anteil<br />

der Niedriglöhner erhöht wird.<br />

Zwei Baustellen sollten daher von<br />

der Politik weiter in den <strong>Vor</strong>dergrund<br />

gerückt werden: Erstens<br />

€<br />

die Ausbildung der jungen Menschen<br />

und zweitens die bessere<br />

Bezahlung der Fachkräfte. Eine<br />

Erkenntnis der Innovationsforschung<br />

besteht darin, dass sich<br />

hohe Produktivität und moderne<br />

Industriestrukturen nur in<br />

Verbindung mit höheren Löhnen<br />

entwickeln. Hier bietet sich<br />

heute unter anderem an, den Zuzug<br />

qualifizierter Fachkräfte aus<br />

anderen EU-Ländern- beispielsweise<br />

durch eine schnellere Anerkennung<br />

von Abschlüssen- zu<br />

unterstützen und ihre Bezahlung<br />

unter Berücksichtigung der Erfahrungen,<br />

die mit Programmen<br />

der FuE-Personalförderung in<br />

Deutschland gesammelt wurden,<br />

zu verbessern. Auch die Ausweitung<br />

der technologieoffenen FuE-<br />

Förderung auf Unternehmen mit<br />

bis zu 500 Beschäftigten sollten<br />

geprüft werden. <br />

Die wachsende<br />

Zahl der Niedriglöhner<br />

beeinflusst<br />

die ostdeutsche<br />

Konjunktur.<br />

© leno2010 - Fotolia.com<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


pro+contra 9<br />

Reiner Holznagel<br />

Präsident des Bundes der<br />

Steuerzahler<br />

Ulrich Kelber<br />

stellv. <strong>Vor</strong>sitzender der<br />

SPD-Bundestagsfraktion<br />

PRO<br />

Seit Jahren fordert der Bund der Steuerzahler einen Komplettumzug<br />

der Bundesregierung nach Berlin. Der Unterhalt der<br />

Doppelstrukturen in Bonn und Berlin ist teuer und ineffizient.<br />

Daher ist die Zeit reif, über zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung<br />

endgültig alle Köpfe und Koffer nach Berlin zu holen.<br />

Kritiker eines Komplett-Umzugs führen ins Feld, dass fünf Milliarden<br />

Euro hierfür nötig wären. Bestätigt haben dies bisher weder<br />

Bundesregierung noch Bundesrechnungshof. Das ist auch<br />

das Manko in der Debatte. Es liegen<br />

keine aussagekräftigen amtlichen Berechnungen<br />

vor. Die regelmäßig veröffentlichten<br />

Teilungskostenberichte<br />

des Bundes schaffen leider keine solide<br />

Basis, denn sie befassen sich nur<br />

mit den jährlich anfallenden Kosten<br />

aufgrund des Status quo. Zugleich haben<br />

die Berichte offensichtliche Defizite,<br />

denn die Trennungskosten werden<br />

nur selektiv und nicht systematisch<br />

gesammelt. Dienstreisen mit Bahn<br />

und Auto etwa werden gar nicht statistisch<br />

erfasst. Auch Flächenmehrbedarf oder Arbeitszeitverluste<br />

durch Pendler bleiben unberücksichtigt. Diese Ausgaben<br />

gehören bei einer umfänglichen Kostenbetrachtung dazu. Zu<strong>dem</strong><br />

sind die erfassten Daten uneinheitlich.<br />

Während das Entwicklungsministerium neun durch die Teilung<br />

belastete Haushaltstitel anführt, meldet das Verteidigungsressort<br />

nur einen. Plausibel ist das nicht. Damit weist die Regierung<br />

teilungsbedingte Kosten lediglich in Höhe von neun Millionen<br />

Euro für dieses Jahr aus. Es liegt auf der Hand, dass diese Angaben<br />

weit unterzeichnet sein dürften. Der Bund der Steuerzahler<br />

schätzt, dass bei einer umfänglichen Betrachtung die Steuerzahler<br />

jährlich mit bis zu 23 Millionen Euro belastet werden.<br />

Das zeigt, dass sich der überfällige Komplett-Umzug nach Berlin<br />

für die Steuerzahler auszahlt. Anlass genug, die Zweiteilung<br />

endlich zu beenden. <br />

CONTRA<br />

Jetzt alle<br />

Ministerien<br />

vom Rhein an<br />

die Spree?<br />

Leuten, die den Umzug aller Ministeriums-Arbeitsplätze nach<br />

Berlin fordern, ist der Zahn, dass damit Geld gespart werden<br />

könnte, schnell gezogen. Der von den Berlin-Fans erfundene Teilungskostenbericht,<br />

den die Bundesregierung jährlich vorlegt,<br />

stellt fest, dass die Ausgaben für die Arbeitsteilung bei deutlich<br />

unter zehn Millionen Euro pro Jahr liegen, Einsparungen<br />

wie die niedrigeren Reisekosten nach Brüssel gar nicht gegengerechnet.<br />

Ein Umzug dagegen würde mindestens fünf Milliarden<br />

Euro kosten.<br />

Eine andere Frage ist, ob die Arbeitsteilung<br />

zwischen Berlin und Bonn arbeitstechnisch<br />

sinnvoll ist. Ich verweise<br />

dann nur darauf, dass die Bundesregierung<br />

für den Teilungskostenbericht<br />

auch die teilungsbedingten Dienstreisen<br />

erfasst: 2011 waren das 20.178, das<br />

bedeutet 1,11 Reisen pro Ministeriumsbeschäftigten<br />

und Jahr. Ein Wanderzirkus,<br />

von <strong>dem</strong> die Umzugsbefürworter<br />

oft sprechen, sieht anders aus.<br />

Welche Funktionen eines Ministeriums<br />

sind denn wirklich so politiknah, dass sie unbedingt in<br />

Berlin angesiedelt sein müssen? Sind die „Länderreferate“ des<br />

Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht<br />

besser in Bonn aufgehoben, wo 1.000 UN-Mitarbeiter, rund 30<br />

internationale Organisationen, 150 internationale Nichtregierungsorganisationen<br />

und fast alle relevanten deutschen Entwicklungsorganisationen<br />

ihren Sitz haben? Bonn erbringt als<br />

deutscher UN-Standort, als Stadt der internationalen Zusammenarbeit<br />

vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit, Gesundheit,<br />

Bildung und Sicherheit eine wichtige Dienstleistung für die<br />

ganze Bundesrepublik. Themen, für die es hier Aufmerksamkeit<br />

gibt, die das innenpolitisch dominierte Berliner Regierungsviertel<br />

nicht vorweisen kann. Und es gibt die entscheidende Nähe<br />

zum Nabel Europas, zu Brüssel. Diese trägt nur, wenn Bonn zweites<br />

bundespolitisches Zentrum bleibt. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


10 fragen+antworten<br />

„Wir erhöhen den Druck“<br />

Zum „2. <strong>Ostdeutschen</strong> <strong>Energieforum</strong> – Zukunft für die<br />

Energie“ haben Unternehmerverbände-Sprecher Hartmut<br />

Bunsen (l.) und DIHK-Vizepräsident Klaus Olbricht für<br />

den 29. und 30. April dieses Jahres nach Leipzig eingeladen.<br />

W+M hat beide Veranstalter in Magdeburg getroffen.<br />

W+M: Herr Bunsen, Herr Olbricht,<br />

Sie haben sich vor <strong>dem</strong> Heiligen<br />

Georg - einem Drachentöter - in<br />

der Industrie- und Handelskammer<br />

(IHK) Magdeburg ablichten<br />

lassen. Wollen Sie auf <strong>dem</strong> <strong>Energieforum</strong><br />

Ende April zur Attacke<br />

übergehen?<br />

Klaus Olbricht: Attacke auf wen?<br />

Nein, wir schaffen die Energiewende<br />

in Deutschland gemeinsam<br />

oder wir scheitern gemeinsam.<br />

Das Leipziger Treffen soll<br />

Lösungsansätze aufzeigen. <strong>Vor</strong><br />

<strong>dem</strong> Hintergrund der immensen<br />

Kostensteigerungen müssen<br />

wir einen Weg finden, auf <strong>dem</strong><br />

die Energie für Bürger und Wirtschaft<br />

bezahlbar und sicher bleibt.<br />

Ich freue mich, dass wir wie schon<br />

im vergangenen Jahr hochkarätige<br />

Referenten für das Forum gewinnen<br />

konnten.<br />

Hartmut Bunsen: Wir wollen<br />

selbstverständlich den Druck<br />

auf die Politik noch erhöhen, endlich<br />

ein taugliches Gesamtkonzept<br />

vorzulegen. Deshalb haben<br />

wir auch die zuständigen Bundesminister<br />

Peter Altmaier und<br />

Philipp Rösler eingeladen. Und<br />

sie haben ihr Kommen zugesagt.<br />

Jedes Unternehmen braucht verlässliche<br />

Rahmenbedingungen.<br />

Und dafür sind nun mal Regierungen<br />

zuständig. Wenn ich mich<br />

heute um einen Auftrag bewerbe,<br />

muss ich Zahlen in das Angebot<br />

schreiben, politische Ankündigungen<br />

reichen da nicht. Und<br />

zwar konkurrenzfähige, belastbare<br />

Zahlen. In Deutschland gehen<br />

die Energiekosten durch die<br />

Decke, die Nachbarländer profitieren<br />

von sinkenden Energiepreisen<br />

an der europäischen Strombörse.<br />

Ganz zu schweigen von den niedrigen<br />

Stromkosten in den USA oder<br />

China.<br />

W+M: Ihre Sorgen teilen laut <strong>dem</strong><br />

„Energiewende-Barometer“ des<br />

Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />

(DIHK) besonders<br />

mittelständische Firmen<br />

und Unternehmen im Osten. Wo<br />

drückt der Schuh am stärksten?<br />

Klaus Olbricht: Der Energiepreis<br />

und die konfuse Energiepolitik<br />

sind unsere größten Sorgenkinder.<br />

Die EEG-Umlage ist in den vergangenen<br />

zehn Jahren um 1.200<br />

Prozent gestiegen. Eine Folge der<br />

Preisexplosion ist zum Beispiel,<br />

dass eine in Mitteldeutschland<br />

geplante energieintensive Anlage<br />

zur Erdölverarbeitung nun in Saudi-Arabien<br />

gebaut wird. Die Investitionen<br />

hier hätten sich auf rund<br />

500 Millionen Euro belaufen. In einigen<br />

Fällen sprechen wir also inzwischen<br />

nicht mehr nur von Investitionszurückhaltung,<br />

sondern<br />

von Produktionsverlagerung! Das<br />

ist ein deutliches Alarmsignal an<br />

die Politik, endlich verlässliche<br />

Rahmenbedingungen zu schaf-<br />

Fotos: Torsten George<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


fragen+antworten 11<br />

fen. Die Energiewende darf nicht<br />

zum politischen Spielball werden.<br />

Hartmut Bunsen: Für Ostdeutschland<br />

kommt noch hinzu, dass die<br />

Unternehmen die höchsten Netznutzungsentgelte<br />

zahlen. Das ist<br />

wie ein 100-Meter-Lauf mit Riesenrucksack.<br />

Nieman<strong>dem</strong> hier ist zu<br />

erklären, warum der Norden und<br />

Osten immer tiefer in die Tasche<br />

greifen sollen für die Durchleitung<br />

von Windstrom, der im Süden Turbinen<br />

und Maschinen antreibt.<br />

W+M: Sie haben eingangs Sicherheit<br />

als ein Erfolgskriterium für<br />

Energiewende genannt. Wächst<br />

die Gefahr von Blackouts?<br />

Klaus Olbricht: Aus meiner Sicht<br />

ja. Wir haben ja über das DIHK-Barometer<br />

die Anzahl der Stromausfälle<br />

erfragt, auch die unter drei<br />

Minuten, die statistisch nicht erfasst<br />

werden. Im vergangenen Jahr<br />

Der Energiepreis<br />

und die konfuse<br />

Energiepolitik sind<br />

unsere größten<br />

Sorgenkinder.<br />

Klaus Olbricht,<br />

Präsident der IHK Magdeburg,<br />

ist Geschäftsführer der EMB Elektromotoren<br />

und Gerätebau GmbH<br />

Barleben, die fast nur für den<br />

Export produziert.<br />

waren davon 15 Prozent der Unternehmen<br />

in der Bundesrepublik<br />

betroffen. Die „Netzwischer“ können<br />

zu Ausfällen führen und immense<br />

Kosten verursachen. Für<br />

mich steht nicht die Frage, ob es<br />

zu einem Blackout kommt, sondern<br />

wann.<br />

Hartmut Bunsen: Ich war dieser<br />

Tage in Berlin beim Übertragungsnetzbetreiber<br />

50Hertz Transmission.<br />

Wir freuen uns, dass Boris<br />

Schucht im Rahmen eines Impulsreferates<br />

diese Problematik sicher<br />

aufgreifen wird. In <strong>dem</strong> Gespräch<br />

wurde wieder einmal deutlich,<br />

dass der Netzausbau immer mehr<br />

<strong>dem</strong> Ausbau der Erneuerbaren<br />

Energien hinterherhinkt. Wenn<br />

die Entwicklung so weiter läuft,<br />

sind Blackouts programmiert.<br />

W+M: In der Bundesregierung sind<br />

mehrere Ressorts für die Energiewende<br />

zuständig, es gibt darüber<br />

hinaus 16 Landesregierungen, die<br />

eigene Pläne schmieden. Liegt da<br />

der Hase im Pfeffer?<br />

Hartmut Bunsen: Ja, ganz sicher.<br />

Es braucht unbedingt eine länderübergreifende<br />

Koordination, eine<br />

zentrale Stelle, an der die Fäden<br />

zusammenlaufen.<br />

W+M: Ein Energieministerium?<br />

Klaus Olbricht: Meinetwegen<br />

ein Energieministerium. Aber es<br />

kommt nicht darauf an, wie das<br />

Kind heißt, sondern darauf, dass<br />

wir diese zentrale Koordinierungsstelle<br />

haben.<br />

W+M: In Ihrer Einladung nennen<br />

Sie das <strong>Energieforum</strong> eine „Denkfabrik“<br />

von Wirtschaft, Wissenschaft<br />

und Politik. Auf der vorjährigen<br />

Veranstaltung (W+M<br />

berichtete) überwogen die Klagen<br />

und Warnungen – Fortsetzung<br />

folgt?<br />

Klaus Olbricht: Da habe ich eine<br />

ganz andere Wahrnehmung. Im<br />

vergangenen Jahr wurde nicht gejammert<br />

und geklagt, sondern es<br />

wurden <strong>Vor</strong>schläge unterbreitet<br />

Die Energiewende<br />

braucht eine<br />

länderübergreifende<br />

Koordination.<br />

Hartmut Bunsen,<br />

Präsident des Unternehmerverbandes<br />

Sachsen, ist Geschäftsführer<br />

der mp Messeprojekt<br />

Leipzig GmbH, des größten Messebauers<br />

Ostdeutschlands.<br />

und konkrete Forderungen erhoben.<br />

Offenbar nicht ganz folgenlos.<br />

Wir haben jetzt eine intensivere<br />

Diskussion zur Begrenzung der<br />

Ausbaukosten erneuerbarer Energien.<br />

Der Bundesumweltminister<br />

Altmaier erkennt nun an, dass das<br />

Erneuerbare-Energien-Gesetz als<br />

Förderinstrument ausgedient hat.<br />

Ob diese Debatte zu einer nachhaltigeren<br />

Energiepolitik führt, wird<br />

die Zukunft zeigen.<br />

Hartmut Bunsen: Sowohl die Interessengemeinschaft<br />

der ostdeutschen<br />

Unternehmerverbände und<br />

Berlins als auch die entsprechenden<br />

Landesarbeitsgemeinschaften<br />

der Industrie- und Handelskammern<br />

(IHK) plädieren dafür,<br />

das Forum als jährliche Veranstaltung<br />

zu etablieren. Schließlich ist<br />

die Energiewende eine Aufgabe<br />

für Jahrzehnte.<br />

Fragen: Helfried Liebsch <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


12 fragen+antworten<br />

Energiewende – sauber,<br />

sicher und bezahlbar?<br />

Wenn Ende April in Leipzig an die 600 Firmenlenker, Wissenschaftler<br />

und Spitzenpolitiker zum „<strong>Ostdeutschen</strong> <strong>Energieforum</strong><br />

2013“ zusammenkommen, dann nicht von ungefähr. Die<br />

Mehrheit der Unternehmer sieht die Energiewende skeptisch.<br />

Im <strong>Vor</strong>feld der Denkfabrik hat W+M unter namhaften Wende-<br />

Akteuren eine Umfrage gestartet. Hier die – redaktionell<br />

gekürzten – Antworten auf unsere Fragen.<br />

1. Wie sind Konstruktionsfehler der Energiewende zu beheben?<br />

2. <strong>Vor</strong> welchen nächsten Schritten sehen Sie die neuen Länder?<br />

3. Was steht für mittelständische Firmen jetzt auf der Agenda?<br />

3. Mittelständische Firmen kommen<br />

größtenteils nicht in den Genuss des Privilegs<br />

der Befreiung von der EEG-Umlage.<br />

Die Herausforderungen an die Gleichseitigkeit<br />

des Energie-Zieldreiecks: Umweltund<br />

Klimaschutz, Versorgungssicherheit<br />

und Wettbewerbsfähigkeit sind hier besonders<br />

groß. Am 1. März 2013 hat die<br />

Bundesregierung mit <strong>dem</strong> Start von Regionaldialogen<br />

der „Mittelstandsinitiative<br />

Energiewende“ das Thema Energieeffizienz<br />

in mittelständischen Unternehmen<br />

in den Fokus gerückt. Dabei kündigte<br />

Bundesumweltminister Altmaier an,<br />

Unternehmen bei der Findung von Einsparpotenzialen<br />

und Energieeffizienzmaßnahmen<br />

zu unterstützen. Für mittelständische<br />

Firmen werden in Zukunft<br />

verstärkt Information, Beratung und Qualifizierung<br />

zu Fragen der Energieeinsparung<br />

und Energieeffizienz im Unternehmen<br />

auf der Agenda stehen.<br />

Erfolg nur gemeinsam<br />

Dr. Reiner<br />

Haseloff<br />

Ministerpräsident<br />

des Landes<br />

Sachsen-Anhalt<br />

1. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die<br />

Energiewende als solche keine Konstruktion<br />

aus gegebenen Bauteilen ist,<br />

vielmehr stellt sie ein Gefüge aus dynamischen<br />

Prozessen und Entwicklungen<br />

dar. Diese Prozesse begannen mit<br />

der Liberalisierung der Energiemärkte<br />

und gewannen durch Entwicklungen<br />

auf EU- und Bundesebene an Fahrt.<br />

Die Energiewende ist ein gewaltiges Infrastrukturprojekt,<br />

in deren Gestaltung<br />

und Umsetzung Politik, Wirtschaft und<br />

Gesellschaft eingebunden sind und das<br />

erhebliche Investitionen in erneuerbare<br />

Energien, Netzausbau, Speicher, Reserven,<br />

Forschung und Entwicklung erfordert.<br />

Den Herausforderungen der Energiewende<br />

kann begegnet werden, in<strong>dem</strong><br />

z. B. die Förderung der erneuerbaren<br />

Energien effektiver gestaltet wird und<br />

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich<br />

weiter gemeinsam für die Entwicklung eines<br />

effizienten Gesamtsystems aus Erzeugungs-,<br />

Übertragungs- und Verbrauchskapazitäten<br />

einsetzen, das <strong>dem</strong> Zieldreieck<br />

einer sicheren, sauberen und bezahlbaren<br />

Energieversorgung gerecht wird.<br />

2. In den neuen Ländern bündeln sich die<br />

Herausforderungen an den Netzausbau,<br />

an die Systemintegration der erneuerbaren<br />

Energien und Klimaschutzvorgaben<br />

bei gleichzeitiger Sicherstellung des Erhalts<br />

der Wettbewerbsfähigkeit der zum<br />

großen Teil energieintensiven Wirtschaft.<br />

Die neuen Länder werden sich auch weiterhin<br />

auf Bundesebene für verlässliche<br />

Rahmenbedingungen für Investoren in<br />

allen Bereichen der Energiewirtschaft<br />

und regionalen Wirtschaft einsetzen, um<br />

die Wirtschaftskraft und Versorgungssicherheit<br />

in den Ländern zu sichern. Aber<br />

natürlich haben wir nicht nur die Unternehmen<br />

im Blick. Die Energiekosten dürfen<br />

auch für die Bürgerinnen und Bürger<br />

nicht über Gebühr steigen.<br />

Chancen fest im Blick<br />

Jürgen Trittin<br />

<strong>Vor</strong>sitzender der Fraktion<br />

Bündnis 90/Die<br />

Grünen im Deutschen<br />

Bundestag<br />

1. Die Energiewende funktioniert im Wesentlichen<br />

gut. Inzwischen werden über<br />

20 Prozent des Stromverbrauchs von erneuerbaren<br />

Energien gedeckt. Obwohl<br />

acht Atomkraftwerke still gelegt wurden,<br />

exportierten wir im letzten Jahr mehr<br />

Strom ins Ausland als jemals zuvor. Die<br />

Kosten der Energiewende wurden aber<br />

immer ungleichmäßiger verteilt. Während<br />

2006 lediglich etwa 260 Unternehmen<br />

von der EEG-Umlage befreit waren,<br />

werden es dieses Jahr fast 2.000 sein. Daneben<br />

führt der sinkende Börsenstrompreis<br />

zu einem Ansteigen der EEG-Umlage.<br />

Die sinkenden Einkaufspreise werden<br />

aber nicht an die Endkunden weitergegeben.<br />

Versäumt wurde in den letzten Jahren<br />

auch, sich über die Zukunft unseres<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


fragen+antworten 13<br />

© zentilia - Fotolia.com<br />

Strommarktes Gedanken zu machen.<br />

Zu Fragen wie Kapazitätsmärkten oder<br />

Strommarktdesign schweigt die Bundesregierung.<br />

Hier muss dringend geklärt<br />

werden, wie man einen Markt schafft,<br />

auf <strong>dem</strong> die erneuerbaren Energien reelle<br />

Wettbewerbsmöglichkeiten haben. Einen<br />

enormen Nachholbedarf gibt es aber<br />

bei der Energieeffizienz und <strong>dem</strong> Energiesparen.<br />

Gerade in der energetischen<br />

Gebäudesanierung liegt viel Potential für<br />

Handwerk und Mittelstand. Leider hat die<br />

Bundesregierung nicht die notwendigen<br />

Fördermittel zur Verfügung gestellt.<br />

2. Die neuen Länder können kaum von<br />

der fossilen und atomaren Energieerzeugung<br />

profitieren. Ein Großteil dieser Kapazitäten<br />

steht in Westdeutschland. Die<br />

neuen Länder können aber diesen Nachteil<br />

in einen <strong>Vor</strong>teil verwandeln, in <strong>dem</strong><br />

sie die Energiewende als Chance nutzen,<br />

Marktsegmente für sich zu erobern. Bisher<br />

hat Ostdeutschland überproportional<br />

von der Energiewende profitieren können.<br />

Diese Stellung gilt es auszubauen.<br />

3. Mittelständische Unternehmen haben<br />

bisher überproportional von der Energiewende<br />

profitiert. Ein Großteil der Anlagen<br />

und Anlagenteile werden hier hergestellt.<br />

Ihren Marktvorteil, was Flexibilität und<br />

Innovation angeht, haben mittelständische<br />

Unternehmen in der Vergangenheit<br />

nutzen können. Die erneuerbaren Energien<br />

führen zu einer größeren Dezentralität<br />

und vermeiden die Konzentration auf wenige<br />

Großanlagen. Hier haben mittelständische<br />

Unternehmen gegenüber Großkonzernen<br />

einen klaren Marktvorteil.<br />

Der Osten geht voran<br />

Carl-Ernst<br />

Giesting<br />

<strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />

envia Mitteldeutsche<br />

Energie AG<br />

1. Bei der Energiewende wurde aber vernachlässigt,<br />

dass der ungebremste Zubau<br />

der Erneuerbaren die Netze und den<br />

Strommarkt grundsätzlich vor immense<br />

Herausforderungen stellt. Ganz oben auf<br />

der Agenda steht daher die Reform des<br />

Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)<br />

mit <strong>dem</strong> Ziel der Marktintegration. Der<br />

eingespeiste Strom sollte nur dann vergütet<br />

werden, wenn er gebraucht wird.<br />

Die Förderung muss zu<strong>dem</strong> deutlich effizienter<br />

werden. Eine Harmonisierung<br />

auf EU-Ebene ist ebenso notwendig. Ein<br />

damit einhergehendes neues Marktdesign<br />

muss aber auch Investitionen in<br />

konventionelle Kraftwerke ermöglichen.<br />

Denn nur ein ausgewogener Energiemix<br />

schafft Versorgungssicherheit. Schlussendlich<br />

benötigen wir eine Energiewende<br />

aus einem Guss. Die Energiekonzepte<br />

von Bund und Ländern sind nicht aufeinander<br />

abgestimmt.<br />

2. In Ostdeutschland werden Entwicklungen<br />

vorweg genommen, die sich erst in<br />

zehn bis 20 Jahren für ganz Deutschland<br />

zeigen werden. Zum einen übertreffen<br />

wir schon heute das deutsche Ökostromziel<br />

von 50 Prozent für 2030. Zum anderen<br />

ist der ländliche Raum in Ostdeutschland<br />

kein Lastschwerpunkt. Die Netze<br />

müssen hier überdurchschnittlich ausgebaut<br />

werden, vor allen in den Verteilnetzen.<br />

Unsere daraus resultierenden hohen<br />

Netzentgelte werden zunehmend zu<br />

einem Standort- und Wettbewerbsnachteil.<br />

Für die ostdeutschen Bundesländer<br />

ist es daher wichtig, dass sie bei der Energiewende<br />

mit einer Stimme sprechen und<br />

abgestimmt vorgehen. Wir brauchen vor<br />

allem eine Synchronisierung des Netzausbaus<br />

mit <strong>dem</strong> Zubau von EEG-Anlagen.<br />

Und wir müssen gemeinsame Anstrengungen<br />

unternehmen, dass die Entsolidarisierung<br />

und ungleiche Lastenverteilung<br />

bei den Netzentgelten aufgehalten wird.<br />

3. Angesichts steigender Energiepreise<br />

besteht für kleine und mittlere Unternehmen<br />

keine Alternative zu mehr Energieeffizienz.<br />

Hier sind bei weitem noch nicht<br />

alle Potentiale ausgeschöpft. Ein sparsamer<br />

Umgang mit Energie verbessert die<br />

Kosten- und damit die Wettbewerbssituation.<br />

Gefragt sind dezentrale, effiziente<br />

und intelligente Energiekonzepte für den<br />

Mittelstand. Wir stehen hier gern als Partner<br />

bereit.<br />

Wärme und Mobilität<br />

Dr. Karsten<br />

Heuchert<br />

<strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />

der VNG –<br />

Verbundnetz Gas AG<br />

1. Das Jahr 2012 hat gezeigt, dass zwar<br />

die Weichen für die Energiewende gestellt<br />

wurden, aber die Gleise dafür längst noch<br />

nicht verlegt sind. Die Integration erneuerbarer<br />

Energien in das deutsche und europäische<br />

Energiesystem wird weiterhin<br />

eine große Herausforderung sowohl für<br />

die Politik als auch für die Energiewirtschaft<br />

bleiben. Wir sind uns sicher, dass<br />

Erdgas in diesem Energiesystem in den<br />

kommenden Jahren und Jahrzehnten eine<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


14 fragen+antworten<br />

wesentliche Rolle spielen wird. <strong>Vor</strong>aussetzung<br />

dafür ist ein Ordnungsrahmen,<br />

der ausreichend Luft für den Wettbewerb<br />

zwischen den Energieträgern und ihren<br />

Anwendungstechnologien gestattet. Das<br />

heißt auch, dass die Erneuerbaren irgendwann<br />

soweit sein müssen, um sich selbst<br />

am Markt zu behaupten. Energie ist nicht<br />

nur Strom, sondern auch Wärme und Mobilität.<br />

Erdgas spielt dabei eine zentrale<br />

Rolle und macht die Energiewende sozialverträglich,<br />

da Effizienz und Wirtschaftlichkeit<br />

bei Erdgas Hand in Hand gehen.<br />

2. Auch die Bundesländer können zum<br />

Gelingen der Energiewende beitragen,<br />

in<strong>dem</strong> sie länderübergreifende Energiestrategien<br />

entwickeln und umsetzen. Derzeit<br />

hat beinahe jedes Bundesland ein eigenes<br />

Energiekonzept mit individuellen<br />

Prämissen. Energienetze kennen aber<br />

keine Ländergrenzen, ein abgestimmtes<br />

<strong>Vor</strong>gehen ist deshalb eine Grundvoraussetzung<br />

für die Gestaltung des künftigen<br />

Energiemixes.<br />

3. Kleine und mittelständische Unternehmen<br />

(KMU) können zu einer tragenden<br />

Säule der Energiewende werden.<br />

Viele Unternehmen investieren bereits<br />

in energieeffiziente Techniken. Hier ist<br />

die Kraft-Wärme-Kopplung auf Erdgasbasis<br />

im Kommen. Mit eigenen KWK-Anlagen<br />

können sich Industrie- und Gewerbeunternehmen<br />

kostengünstig selbst mit<br />

Strom und Wärme versorgen und dabei<br />

CO2 einsparen. VNG arbeitet daran, der<br />

KWK-Technik zu noch größerer Akzeptanz<br />

zu verhelfen, berät Unternehmen<br />

und unterstützt zusätzlich die Entwicklung<br />

von Kleinstanlagen für den heimischen<br />

Keller.<br />

Ein weiterer Bereich ist die Mobilität. Hier<br />

gibt es mit Erdgas und Bioerdgas schon<br />

heute leistungsstarke Optionen zur CO2-<br />

Reduktion. Dies ist anscheinend auch der<br />

EU-Kommission aufgefallen: Mit ihrem<br />

neuesten Maßnahmenpaket bekennt sie<br />

sich erfreulicherweise zu Erdgas als Kraftstoff.<br />

Die Angebotspalette im Bereich der<br />

Erdgas-Nutzfahrzeuge ist schon heute attraktiv.<br />

Erdgasfahrzeuge emittieren rund<br />

25 Prozent weniger Kohlendioxid als Benziner.<br />

Bioerdgas schneidet noch besser ab<br />

und verursacht sogar bis zu 97 Prozent<br />

weniger CO2.<br />

Neues Marktdesign<br />

Dr. Frank<br />

Büchner<br />

Leiter Region Ost<br />

der Siemens AG<br />

1. Die Energiewende sieht den Umbau<br />

des deutschen Energiesystems in einem<br />

bisher beispiellosen Umfang und einer<br />

noch nie dagewesenen Geschwindigkeit<br />

vor. Damit die Energiewende ein Erfolg<br />

wird, bedarf es grundlegender Korrekturen<br />

am derzeitigen energiewirtschaftlichen<br />

System. Der aktuelle regulatorische<br />

Rahmen stellt kein Wettbewerbsumfeld<br />

dar, auf <strong>dem</strong> sich unter den wichtigen Aspekten<br />

Versorgungssicherheit und Innovationsförderung<br />

die kostengünstigste<br />

Lösung mit fairer Lastenverteilung etablieren<br />

könnte. Eine Neuordnung des deutschen<br />

Strommarkts kann jedoch die richtigen<br />

Investitionssignale an den Markt<br />

und seine Akteure senden. Ein zukunftsfähiges<br />

Strommarktdesign muss auf <strong>dem</strong><br />

Grundsatz aufgebaut sein, dass die Ziele<br />

der Energiewende so marktbasiert und<br />

kosteneffizient wie möglich erreicht werden<br />

sollen.<br />

2. Die neuen Bundesländer starten unter<br />

guten <strong>Vor</strong>aussetzungen, weil das dortige<br />

Energiesystem nach der Wiedervereinigung<br />

bereits modernisiert worden<br />

ist. Die größten Herausforderungen liegen<br />

auch hier im notwendigen Netzausbau<br />

zum Transport der Erneuerbaren. Die<br />

großflächigen Wind- und Solarparks müssen<br />

besser mit den Lastzentren in ganz<br />

Deutschland vernetzt werden. Netzausbau-Projekte<br />

wie die „Thüringer Brücke“<br />

müssen zügig umgesetzt werden. Zu<strong>dem</strong><br />

steht die heimische Solarindustrie derzeit<br />

stark unter Zugzwang, die Kosten schnell<br />

zu reduzieren und Innovationen in den<br />

Markt einzuführen. Neben <strong>dem</strong> weiteren<br />

Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbarer<br />

Energie in fast allen ostdeutschen<br />

Ländern darf auch die Bedeutung<br />

der Stromerzeugung aus Braunkohle als<br />

Brückentechnologie in der Systembetrachtung<br />

nicht vernachlässigt werden.<br />

In den Werften in Warnemünde und Wismar<br />

werden dagegen derzeit die ersten<br />

Offshore-Netzanbindungsplattformen für<br />

die Windparks in der Nordsee gefertigt.<br />

3. Für eine erfolgreiche Energiewende<br />

braucht es aber auch eine effizientere<br />

Nutzung von Energie. Dies ist auch für<br />

die mittelständischen Industrieunternehmen<br />

ein Thema. Denn die größten Einsparpotenziale<br />

liegen bei der Industrie,<br />

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1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


fragen+antworten 15<br />

die für 30 Prozent des deutschen Energieverbrauchs<br />

steht. Gefordert sind Lösungen<br />

und Services, um Energieressourcen<br />

effizient zu managen sowie wirtschaftliche<br />

Effizienz und Produktivität mit einer<br />

ökologisch verantwortungsvollen industriellen<br />

Produktion in Einklang zu bringen.<br />

Energieeffizienz ist neben den ökologischen<br />

Aspekten auch ein zentraler<br />

Hebel, um die Wettbewerbsfähigkeit eines<br />

Industrieunternehmens zu steigern.<br />

Die deutsche Industrie wird durch die<br />

energieeffiziente Modernisierung Knowhow<br />

und Technologien aufbauen, die sich<br />

vermarkten lassen.<br />

EEG läuft aus <strong>dem</strong> Ruder<br />

Wolfgang Topf<br />

Präsident der<br />

Industrie- und<br />

Handelskammer<br />

zu Leipzig<br />

1. Die Politik hat das gesamtgesellschaftliche<br />

Projekt Energiewende von Beginn<br />

an unterschätzt. Angesichts der ambitionierten<br />

Ausbauziele hinsichtlich der erneuerbaren<br />

Energien (EE) wurde der zweite<br />

Schritt vor <strong>dem</strong> ersten gemacht: Ohne<br />

die notwendige Netz- und Speicherinfrastrukturkapazitäten<br />

sind die förderungsbedingt<br />

rasant gewachsenen EE-Mengen<br />

in dieser Größenordnung nicht einspeisungsfähig.<br />

Zu<strong>dem</strong> ist das EEG den neuen<br />

Rahmenbedingungen nicht gewachsen.<br />

Diese Punkte führten im Wesentlichen<br />

dazu, dass das System aus <strong>dem</strong> Ruder gelaufen<br />

ist und das EEG-Modell des absoluten<br />

<strong>Vor</strong>rangs erneuerbarer Energien an<br />

die Grenzen seiner Finanzierbarkeit geraten<br />

ist. Um den neuen Anforderungen gerecht<br />

zu werden, wurde am EEG bislang<br />

nur notoperiert. Diese Eingriffe konnten<br />

nicht verhindern, dass der Strompreis –<br />

insbesondere getrieben durch die EEG-<br />

Umlage – in den letzten beiden Jahren<br />

explodiert ist. Auch die aktuell unter der<br />

Überschrift „Strompreisbremse“ vorgeschlagenen<br />

Maßnahmen stellen keine<br />

grundsätzliche Novellierung des EEG<br />

dar. Die Konstruktionsfehler sind nur zu<br />

beheben, wenn alles auf den Prüfstand<br />

kommt und ein echter Neustart unternommen<br />

wird. Das System muss auf mittlere<br />

Sicht ohne Förderung laufen. Um den<br />

Übergang dorthin verträglich zu gestalten,<br />

könnte z. B. von Preis- auf Mengensteuerung<br />

umgestellt werden. Alternativ<br />

könnte die Einspeisevergütung für Produzenten<br />

zugunsten eines zeitlich begrenzten<br />

Preisnachlasses für Konsumenten erneuerbarer<br />

Energien ersetzt werden. Eine<br />

Senkung der Stromsteuer sollte noch in<br />

der laufenden Legislaturperiode auf den<br />

Weg gebracht werden.<br />

2. Die neuen Länder stehen vor der Aufgabe<br />

– wie die übrigen Bundesländer<br />

auch – die Umsetzung der Energiewende<br />

mit <strong>dem</strong> Bund, untereinander und im<br />

eigenen Land selbst zu koordinieren. Planungsrechtliche<br />

<strong>Vor</strong>gaben und Ausbauziele<br />

sollten möglichst harmonisiert werden.<br />

Nur so kann das Projekt im ganzen<br />

Land erfolgsversprechend umgesetzt werden,<br />

ohne dass es zu Verzögerungen bei<br />

bundesländerübergreifenden Projekten<br />

(Netzausbau) kommt. So bilden z. B. im<br />

Freistaat Sachsen das Energie- und Klimaprogramm<br />

sowie der noch zu beschließende<br />

Landesentwicklungsplan 2012 den<br />

Rahmen.<br />

3. In erster Linie sollte in je<strong>dem</strong> KMU ein<br />

Energiemanagement fest verankert sein,<br />

sie sollten zumindest über einen Energiebeauftragten<br />

verfügen. Nur etwa ein Drittel<br />

der KMU ergreift regelmäßig Energieeffizienzmaßnahmen<br />

– es gibt es noch<br />

viel ungenutztes Potenzial. Angefangen<br />

von der Beleuchtung über Druckluft bis<br />

hin zu Lastmanagement, effizienteren<br />

Produktionsverfahren oder Selbstversorgung<br />

durch Eigenerzeugung. Aber<br />

auch bei der Energiebezugsoptimierung<br />

besteht Handlungsbedarf. Die IHK berät<br />

die Unternehmen dabei.<br />

Strombörse klug nutzen<br />

Dr. Dr. Tobias<br />

Paulun<br />

Börsengeschäftsführer<br />

der European<br />

Energy Exchange und<br />

Mitglied des <strong>Vor</strong>stands<br />

der europäischen<br />

Strombörse<br />

1. Wir als EEX sind der Auffassung, dass<br />

der Energiemarkt in zweifacher Hinsicht<br />

eines ganzheitlichen Marktdesigns bedarf:<br />

Zum einen brauchen wir eine noch<br />

weitergehende Europäisierung des Energiehandels,<br />

anstatt vieler Alleingänge.<br />

Nationales Autarkiedenken behindert einen<br />

funktionierenden Markt. Die jeweiligen<br />

Marktgebiete haben oftmals sehr<br />

unterschiedliche Eigenschaften, sowohl<br />

hinsichtlich der Erzeugungskapazitäten<br />

als auch der Zeitpunkte des Auftretens<br />

maximaler Nachfrage. Hierin besteht ein<br />

enormes Potenzial für einen effizienten,<br />

gesamteuropäischen Markt. Der zweite<br />

Aspekt eines ganzheitlichen Marktdesigns<br />

besteht in der gleichwertigen Integration<br />

der unterschiedlichen Erzeugungsarten.<br />

Auch für erneuerbare Energien<br />

sollten die Preissignale des Spotmarkts<br />

wirksam sein, da diese am besten Angebot<br />

und Nachfrage im europäischen<br />

Strommarkt koordinieren können.<br />

2. Die neuen Länder müssen sich derzeit<br />

in besonderem Maße <strong>dem</strong> Ausbau der Versorgungsnetze<br />

stellen. Als Verbindung<br />

zwischen Windstromproduktion im Norden<br />

und den energieintensiven Produktionszentren<br />

im Süden der Republik trägt<br />

insbesondere Mitteldeutschland eine besondere<br />

Verantwortung. Die Schwierigkeiten<br />

beim Ausbau der Thüringer Strombrücke<br />

zeigen, dass die Anstrengungen<br />

im Netzausbau noch weiter intensiviert<br />

werden müssen.<br />

3. Das Thema Speichermedien ist auch für<br />

innovationsstarke Mittelständler ein ansprechendes<br />

Geschäftsfeld. Ein weiteres<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


16 fragen+antworten<br />

Potenzial sehen wir, gerade bei Produktionsbetrieben,<br />

auch in der Flexibilisierung<br />

des Stromverbrauchs: <strong>dem</strong> sogenannten<br />

Demand-Side-Management. Hier bestehen<br />

viele Möglichkeiten, die schwankenden<br />

Strompreise auszunutzen, etwa<br />

in<strong>dem</strong> geprüft wird, ob besonders energieintensive<br />

Arbeitsvorgänge nicht in erzeugungsstarken<br />

Zeitspannen mit niedrigen<br />

Strompreisen durchgeführt werden<br />

können.<br />

Hin und her belastet<br />

Antje<br />

Hermenau<br />

<strong>Vor</strong>sitzende der<br />

Fraktion Bündnis 90/<br />

Die Grünen im sächsischen<br />

Landtag<br />

1. Wir brauchen ein neues Marktdesign,<br />

das auf Dauer ohne direkte und indirekte<br />

Subventionen auskommt. Umweltschäden<br />

und andere versteckte externe Kosten<br />

müssen endlich verursachergerecht eingepreist<br />

und der europäische Emissionshandel<br />

überarbeitet werden. Die unnötig<br />

verschenkten Zertifikate aus den Anfangsjahren<br />

müssen vom Markt. Die Verantwortung<br />

für die Versorgungssicherheit sollte<br />

von den Netzbetreibern auf die Vertragsbeziehung<br />

zwischen Energieverkäufer und<br />

Kunde übertragen werden. Dann werden<br />

auch Anreize gesetzt für gasbetriebene Regelkraftwerke,<br />

Lastmanagement und Speicher,<br />

die flexibel zu- und abschaltbar sind,<br />

um Schwankungen bei der Erzeugung<br />

von erneuerbaren Energien auszugleichen.<br />

Stadtwerke werden in diesem neuen<br />

Markt eine wichtigere Rolle spielen als<br />

derzeit. Kurzfristig können die Strompreise<br />

um ein bis zwei Cent je Kilowattstunde<br />

gesenkt werden durch das Zurückfahren<br />

der Privilegien für energieintensive Industrien,<br />

die Rücknahme der Haftungsumlage<br />

für Offshore-Windparks, die Weitergabe<br />

der gesunkenen Börsenstrompreise an<br />

alle Endkunden und die Befreiung des EEG<br />

von kostentreibenden Faktoren.<br />

2. Der schrittweise Ausstieg aus der<br />

Braunkohle muss in den betroffenen Regionen<br />

sozial verträglich gestaltet werden.<br />

Vattenfall stellt schon jetzt Kraftwerke<br />

zum Verkauf. Arbeitskräfte werden frei<br />

und Zulieferer brauchen eine neue Perspektive.<br />

Ich plädiere für den Ausbau der<br />

erneuerbaren Energien auf kommunaler<br />

Ebene zur Selbstversorgung und als<br />

Einnahmequelle. Außer<strong>dem</strong> sind das Arbeitsplätze<br />

und Wertschöpfung in der Region.<br />

Die ostdeutschen Kohlekraftwerke<br />

werden bald nicht mehr gebraucht. Je<br />

mehr Strom aus unterschiedlichen regenerativen<br />

Quellen in das System eingespeist<br />

werden, desto weniger unflexible<br />

Grundlastkraftwerke können noch sinnvoll<br />

betrieben werden. Die Stabilität des<br />

Stromnetzes hängt nicht am Grundlaststrom<br />

und wird in dezentralen Energiesystemen<br />

durch intelligente Technik und<br />

flexible Kapazitäten bereitgestellt.<br />

3. Die Energiewende bietet große Chancen<br />

von Energietechnologiefirmen und<br />

der Chemieindustrie bis zum Handwerk.<br />

<strong>Vor</strong>aussetzung für den Erfolg ist neben<br />

der zuverlässigen Energieversorgung,<br />

dass die Kosten für die Unternehmen<br />

und für jeden Einzelnen kalkulierbar und<br />

vertretbar bleiben. Dafür braucht es verlässliche<br />

Rahmenbedingungen. Debatten<br />

über rückwirkende Änderungen von Vergütungsregeln,<br />

ständig wechselnde Förderprogramme<br />

sowie das Hin und Her im<br />

Steuerrecht erzeugen Unsicherheit und<br />

erschweren belastbare Planungen.<br />

Milliarden investiert<br />

Thomas Prauße<br />

<strong>Vor</strong>sitzender der<br />

Geschäftsführung der<br />

Stadtwerke Leipzig<br />

1. Die Entwicklung der erneuerbaren<br />

Energien geschieht in einem sehr dynamischen<br />

Umfeld, an das sich die Gesetzgebung<br />

kontinuierlich und ebenso<br />

dynamisch anpassen muss. Damit die<br />

energiepolitischen Ziele Deutschlands erreicht<br />

werden können, wurden Weichenstellungen<br />

vorgenommen. Die entscheidende<br />

Rolle der Kraft-Wärme-Kopplung<br />

als Effizienztechnologie hat der Gesetzgeber<br />

anerkannt. Dennoch zeichnet sich am<br />

Markt derzeit ein anderes Bild ab. Durch<br />

den Merit Order Effekt werden umweltfreundliche<br />

Gaskraftwerke vom Markt<br />

gedrängt. Das kann nicht der Sinn der<br />

Energiewende sein. Der Zubau der erneuerbaren<br />

Energien sollte daher kontrollier-<br />

Foto: © BerlinStock - Fotolia.com / VNG/ Michæl Fahrig<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


fragen+antworten 17<br />

ter erfolgen, als es der Fall ist. Eine weitere<br />

Möglichkeit ist es, die Verursacher<br />

des Klimawandels stärker an der Finanzierung<br />

zu beteiligen. Eine dauerhafte Stabilisierung<br />

der CO2-Preise würde zu<strong>dem</strong><br />

zu einer Verschiebung der Merit Order<br />

zugunsten von effizienten Gaskraftwerken<br />

und KWK-Anlagen führen. Ein integriertes<br />

Energiemarktdesign sollte deshalb<br />

folgende Schwerpunkte enthalten:<br />

den Ausbau der flexiblen und dezentralen<br />

Erzeugung, einen bedarfsgerechten Netzausbau,<br />

die großtechnische Nutzung von<br />

Speichertechnologien und anderen Flexibilisierungsoptionen<br />

sowie die Marktintegration<br />

der erneuerbaren Energien.<br />

2. Bund und Länder haben bisher noch<br />

keine konkreten Lösungen für Netzausbau<br />

und Versorgungssicherheit gefunden.<br />

Die neuen Bundesländer haben aber eine<br />

gute Ausgangslage, da hier in den vergangenen<br />

beiden Jahrzehnten Milliarden in<br />

neue, umweltfreundliche Erzeugungsanlagen<br />

und in die Netze investiert wurde.<br />

Die hohen Investitionskosten spiegeln<br />

sich jedoch in den Netzentgelten wider.<br />

Hinzu kommt, dass Haushalts- und Gewerbekunden<br />

in den neuen Ländern weniger<br />

Energie verbrauchen als in vergleichbaren<br />

westdeutschen Regionen.<br />

Dadurch sind die spezifischen Kosten je<br />

übertragener Kilowattstunde und letztlich<br />

die Netzentgelte höher als in vielen<br />

anderen Regionen Deutschlands. Die geringere<br />

Bevölkerungsdichte und der notwendige<br />

Netzausbau verstärken diese<br />

Wirkung.<br />

3. Um den steigenden Energiekosten zu begegnen,<br />

prüfen KMU verstärkt, welche ökonomischen<br />

<strong>Vor</strong>teile sich durch Energieeffizienzmaßnahmen<br />

ergeben. Mit Hilfe von<br />

Energiedienstleistungen wie der Effizienzanalyse<br />

und <strong>dem</strong> Entwickeln von Energiekonzepten<br />

lassen sich hohe Kosteneinsparungen<br />

erzielen. Mögliche Maßnahmen<br />

reichen vom Energieaudit über Lichtcontracting<br />

bis hin zur dezentralen Erzeugung.<br />

Der Einsatz von Eigenerzeugungsanlagen<br />

wie zum Beispiel Blockheizkraftwerken erfordert<br />

eine kompetente Unterstützung.<br />

Der Riese schläft noch<br />

Matthias<br />

Machnig<br />

Minister für Wirtschaft,<br />

Arbeit und Technologie<br />

des Freistaats<br />

Thüringen<br />

1. Deutschland braucht ein koordiniertes<br />

<strong>Vor</strong>gehen um Versorgungssicherheit,<br />

neue Erzeugungskapazitäten bei den erneuerbaren<br />

Energien, den Ausbau von<br />

Speichertechnologien und den Netzausbau<br />

voranzubringen. <strong>Vor</strong>aussetzung dafür<br />

ist ein Energieministerium, das alle<br />

Fäden rund um die Energiewende zusammenhält<br />

und einen Masterplan aufstellt,<br />

der Stück für Stück abgearbeitet wird.<br />

Eine Aufsplittung unter sechs Ministerien,<br />

wie wir sie zurzeit erleben, bedeutet,<br />

dass sich sechs Häuser mit widerstreitenden<br />

Interessen gegenseitig blockieren.<br />

Die Energiewende ist ein Jahrhundertprojekt,<br />

das auf höchstem Niveau organisiert<br />

und für das in Politik, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft geworben werden muss.<br />

Sie eröffnet ganz neue Spielräume, ermöglicht<br />

zum Beispiel Gemeinden, eine eigene<br />

Stromversorgung aufzubauen und<br />

von der Wertschöpfung zu profitieren.<br />

Deutschland kann bei der Energiewende<br />

<strong>Vor</strong>reiter für andere Länder sein.<br />

2. Energie- und Umwelttechnologien sowie<br />

GreenTech sind die Wachstumsbranchen<br />

der Zukunft. Unser Thüringer Trendatlas<br />

2020 zählt diese beiden Branchen<br />

zu den elf Wachstumsbranchen mit überdurchschnittlichen<br />

Wachstums- und Beschäftigungspotenzialen.<br />

Ein Wachstum<br />

von bis zu 1,4 Milliarden Euro wäre auf<br />

diesen beiden Feldern bis 2020 möglich.<br />

Hier liegen große Chancen für die neuen<br />

Länder, ein eigenes Profil zu entwickeln:<br />

Sie sollten in den kommenden Jahren versuchen,<br />

ihre Schwerpunkte auf diese Gebiete<br />

zu legen.<br />

Die <strong>Vor</strong>aussetzungen sind ja gut: Ostdeutschland<br />

hat eine moderne Solarbranche,<br />

die als solche ausgebaut und gestärkt<br />

werden muss. In Thüringen habe<br />

ich den Solarunternehmen zum Beispiel<br />

mit einem 1000-Dächer-Programm Rückenwind<br />

gegeben. Dieses Programm ist<br />

ein Renner. Auch unterstützen wir die<br />

Verzahnung von Forschung und Wirtschaft.<br />

Dazu zählt der Aufbau eines<br />

GreenTech-Campus in Hermsdorf für die<br />

wirtschaftsnahe Forschung durch das<br />

Fraunhofer-Institut. Ziel des Institutes<br />

ist, Forschungsergebnisse schnell in Anwendungen<br />

und Produkte zu überführen<br />

und damit ein bundesweit bedeutsames<br />

Zentrum der Energie- und Umwelttechnik<br />

zu schaffen. Am selben Standort ist ein<br />

Brennstoffzellentechnikum in Planung.<br />

3. Kosten sparen und gleichzeitig einen<br />

Beitrag leisten zur Energiewende - Unternehmen<br />

können zum Beispiel in die eigene<br />

Energieeffizienz investieren. Hier<br />

habe ich in Thüringen eine Energieeffizienzoffensive<br />

gestartet, die mittelständische<br />

Unternehmen bei der Überprüfung<br />

ihres Energieverbrauchs, bei Beratung<br />

und technologischer Umrüstung finanziell<br />

unterstützt. Die Energieeffizienz ist<br />

der schlafende Riese der Energiewende,<br />

der jetzt geweckt werden muss.<br />

Akzeptanz als Problem<br />

Boris Schucht<br />

<strong>Vor</strong>sitzender der<br />

Geschäftsführung<br />

50Hertz<br />

Transmission GmbH<br />

1. Die Umsetzung der Energiewende<br />

wird nur erfolgreich sein, wenn die Akzeptanz<br />

in der Bevölkerung für dieses große<br />

industriegeschichtliche Reformprojekt<br />

weiterhin gegeben ist. Diese grundlegende<br />

Akzeptanz kann nur aufrechterhalten<br />

werden, wenn die Stromversorgung auch<br />

künftig durch ein hohes Maß an Versor-<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


18 fragen+antworten<br />

gungssicherheit bei bezahlbaren Preisen<br />

gekennzeichnet ist. Hierzu ist eine ganze<br />

Reihe von Maßnahmen nötig, die von einer<br />

grundlegenden Reform des EEG und<br />

der Systemintegration der Erneuerbaren<br />

über ein neues Marktdesign und gegebenenfalls<br />

eine neue Netzentgeltsystematik<br />

bis hin zu konkreten Fortschritten bei<br />

Netzausbau und Speicherung reichen. Bei<br />

all <strong>dem</strong> muss die Zivilgesellschaft mitgenommen<br />

werden durch frühzeitige Information<br />

und Einbindung. Etwas mehr Zeit,<br />

mehr Abstimmung und mehr Synchronisation<br />

zwischen EEG- und Infrastrukturausbau<br />

wären elementar wichtig, um die<br />

Stromversorgung sicher und bezahlbar<br />

zu halten und damit die gesellschaftliche<br />

Akzeptanz aufrechtzuerhalten.<br />

2. Die neuen Länder sind der Motor bei<br />

der Umsetzung der Energiewende. Beispiel:<br />

Von den rund 98 Terawattstunden<br />

Stromverbrauch in unserem Netzgebiet,<br />

also den neuen Ländern sowie Berlin und<br />

Hamburg, sind bereits rund 35 Prozent<br />

aus erneuerbaren Quellen gewonnen.<br />

Damit ist das Klimaziel der Bundesrepublik,<br />

bis 2020 den EEG-Anteil am Stromverbrauch<br />

bundesweit auf 35 Prozent zu<br />

bringen, zwischen Kap Arkona und Erzgebirge<br />

bereits in 2012 erreicht worden.<br />

Eine Erfolgsstory! Nun gilt es, den Infrastrukturausbau<br />

rasch voranzutreiben, um<br />

diese, nach wie vor wachsenden erneuerbaren<br />

Energien auch weiterhin zu nutzen.<br />

Hier gibt es an mancher Stelle Beschleunigungsbedarf,<br />

gesetzlich ist aber eine ganze<br />

Menge Positives auf den Weg gebracht<br />

worden. Und auch 50Hertz hat 2012 beim<br />

Netzaus- und -umbau große Fortschritte<br />

gemacht, wie die Inbetriebnahme der<br />

Nordleitung zwischen Schwerin und<br />

Hamburg gezeigt hat. Wichtig für die Zukunft<br />

wird sein, dass die Bundesländer<br />

insgesamt in ihren Ausbauzielen bei den<br />

regenerativen Energien – gemeinsam mit<br />

<strong>dem</strong> Bund – koordiniert vorgehen. Angesichts<br />

der in den neuen Ländern höheren<br />

Netzentgelte gilt es, für eine faire<br />

deutschlandweite Verteilung der Kosten<br />

zu sorgen. Es kann nicht sein, dass die Regionen,<br />

in denen die Energiewende am erfolgreichsten<br />

umgesetzt wird, durch höhere<br />

Netzentgelte noch belastet werden.<br />

3. Wichtig für einen möglichst reibungslosen<br />

Wirtschaftsablauf – nicht nur im<br />

Mittelstand – ist es energiewirtschaftlich,<br />

das hohe Gut der Versorgungssicherheit<br />

auch weiterhin zu gewährleisten.<br />

Deutschland war hier in der Vergangenheit<br />

spitze und soll es auch bleiben. Zweitens<br />

müssen die Strompreise und – als<br />

Teil dessen – auch die Netzentgelte im<br />

Rahmen bleiben. 50Hertz wird hierfür<br />

eintreten, und ich bin mir sicher, dass<br />

andere mittelständischen Unternehmen<br />

dies ebenfalls sehr wirkungsvoll und<br />

nachhaltig tun werden. <br />

Dr. Philipp<br />

Rösler<br />

Bundesminister<br />

für Wirtschaft und<br />

Technologie<br />

Die Energiewende ist ein Jahrhundertprojekt,<br />

denn es geht um den Aufbau eines<br />

komplett neuen Energiesystems bis<br />

2050. Nach fast zwei Jahren lautet die Zwischenbilanz:<br />

Die Energiewende ist auf gutem<br />

Kurs, die Bundesregierung ist in den<br />

zentralen Handlungsfeldern entscheidend<br />

vorangekommen. Wir haben die Rahmenbedingungen<br />

für den Netzausbau verbessert,<br />

um die Netzinfrastruktur für den<br />

wachsenden Anteil erneuerbarer Energien<br />

zu rüsten. Wir sorgen für eine zuverlässige<br />

Energieversorgung und haben dazu<br />

Maßnahmen zur Versorgungssicherheit im<br />

Winter ergriffen. Wir setzen auf Energieeffi<br />

zienz, Innovation und Forschungsförderung,<br />

gerade im Hinblick auf die technologischen<br />

Chancen der Energiewende. <strong>Vor</strong><br />

allem haben wir alle relevanten Akteure an<br />

einen Tisch geholt, um die entscheidenden<br />

Fragen gemeinsam anzugehen, insbesondere<br />

in der Netzplattform, im Kraftwerksforum<br />

und in der Plattform Erneuerbare<br />

Energien.<br />

<strong>Vor</strong> allem auch ostdeutsche Unternehmen<br />

haben sich den großen infrastrukturellen<br />

Herausforderungen der Energiewende<br />

gestellt und bereits viel für eine erfolgreiche<br />

Energiewende getan. Im Bereich<br />

der Energieeffi zienz eröff net die energetische<br />

Sanierung von Gebäuden auch neue<br />

Geschäftsmöglichkeiten gerade für KMU<br />

in Branchen wie <strong>dem</strong> Bauhandwerk oder<br />

<strong>dem</strong> Gebäu<strong>dem</strong>anagement. Die Bundesregierung<br />

unterstützt Investoren mit zahlreichen<br />

Maßnahmen, etwa mit <strong>dem</strong> CO2-<br />

Gebäudesanierungsprogramm und <strong>dem</strong><br />

KfW-Energieeffi zienzprogramm. Darüber<br />

hinaus fördert die Bundesregierung Energieberatung<br />

für KMU und hat mit <strong>dem</strong> neuen<br />

Zuschussprogramm für hocheffi ziente<br />

Querschnittstechnologien zusätzliche finanzielle<br />

Anreize für KMU geschaffen, in<br />

energiesparende Technologien zu investieren.<br />

Ein gutes Stück Arbeit liegt noch vor uns.<br />

So brauchen wir eine grundlegende Reform<br />

des derzeit planwirtschaftlichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes,<br />

um weitere<br />

Belastungen für Unternehmen und Haushalte<br />

am Industriestandort Deutschland zu<br />

vermeiden. Wenn Politik, Unternehmen und<br />

Verbraucher weiter gemeinsam an einem<br />

Strang ziehen, werden wir die Herausforderungen<br />

der Energiewende erfolgreich<br />

meistern. <br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


UV<br />

Interessengemeinschaft der<br />

Unternehmerverbände<br />

Ostdeutschlands und Berlin<br />

Programm zur Veranstaltung OSTDEUTSCHES ENERGIEFORUM 2013<br />

29. April 2013, 1. Tag<br />

13:00 Uhr Eröffnung durch die Veranstalter<br />

13:15 -15:45 Uhr Einzelvorträge zu den Schwerpunkthemen<br />

Energiewende aus Sicht der Bundespolitik,<br />

der Energiewirtschaft und des Mittelstandes<br />

sowie die Akzeptanz der<br />

notwendigen Maßnahmen<br />

Referenten unter anderem<br />

Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für<br />

Wirtschaft und Technologie<br />

Peer Steinbrück, SPD-Kanzlerkandidat zur<br />

Bundestageswahl 2013 (angefragt)<br />

Günther Oettinger, EU-Kommissar für<br />

Energie (angefragt)<br />

Carl-Ernst Giesting, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />

der envia Mitteldeutsche Energie AG (<br />

enviaM)<br />

15:45 Uhr Kaffeepause<br />

16:30 - 18:00 Uhr Zwei Foren zu den Themen<br />

EEG: Energiepreise im Spannungsfeld<br />

zwischen Markt und Staat<br />

Netze - Speicherung - grenzüberschreitender<br />

Energieaustausch<br />

Teilnehmer unter anderem<br />

Bernd Dubberstein, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />

der E.ON edis AG<br />

Matthias Machnig, Minister für Wirtschaft,<br />

Arbeit und Technologie des Freistaates<br />

Thüringen<br />

Carlo Schmidt, Geschäftsführer der<br />

WIND-projekt Ingenieur- und Projektentwicklungsgesellschaft<br />

mbH<br />

Boris Schucht, <strong>Vor</strong>sitzender der Geschäftsführung<br />

der 50Hertz Transmission GmbH<br />

Arnold Vaatz, Mitglied des Deutschen<br />

Bundestages und Stellvertretender Fraktionsvorsitzender<br />

der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

Prof. Dr. Joachim Weimann, Inhaber des<br />

Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der<br />

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg<br />

19:30 Uhr Abendveranstaltung „Wege für morgen“<br />

im Da Capo Leipzig<br />

Änderungen im Programm für beide Tage vorbehalten<br />

30. April 2013, 2. Tag<br />

9:00 Uhr Eröffnung des zweiten Veranstaltungstages<br />

9:05 -11:00 Uhr Einzelvorträge zu den Schwerpunktthemen<br />

Wettbewerbsfähigkeit des deutschen<br />

Mittelstandes vor <strong>dem</strong> Hintergrund<br />

steigender Energiepreise<br />

Wie weiter mit <strong>dem</strong> EEG?<br />

Lohnen sich noch Investitionen in konventionelle<br />

Kraftwerke?<br />

Referenten unter anderem<br />

Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt,<br />

Naturschutz und Reaktorsicherheit<br />

Tuomo J. Hatakka, <strong>Vor</strong>sitzender der<br />

Geschäftsführung der Vattenfall GmbH<br />

11:00 Uhr Kaffeepause<br />

11:30 - 13:00 Uhr Zwei Foren zu den Themen<br />

Rohstoffe für eine sichere und wettbewerbsfähige<br />

Energieversorgung - Wirtschaftlichkeit<br />

der Kraftwerke<br />

Energiewirtschaftliches Bauen: Ökologischer<br />

Anspruch ohne Realitätsbezug?<br />

Teilnehmer unter anderem<br />

Dr. Frank Büchner, Leiter Region Ost<br />

Siemens AG<br />

Dr. Karsten Heuchert, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />

der VNG - Verbundnetz Gas AG<br />

Jan Mücke, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär<br />

beim Bundesminister für Verkehr,<br />

Bau und Stadtentwicklung<br />

Wolfgang Tiefensee, MdB, Bundesminister<br />

a. D.<br />

13:00 - 14:30 Uhr Abschlussdiskussion - Liegt die Zukunft in<br />

der dezentralenEnergieversorgung?<br />

Teilnehmer unter anderem<br />

Rainer Brüderle, MdB, <strong>Vor</strong>sitzender der FDP<br />

im Deutschen Bundestag<br />

Christian Carius, Minister für Bau, Landesentwicklung<br />

und Verkehr des Freistaates<br />

Thüringen<br />

Carl-Ernst Giesting, <strong>Vor</strong>standsvorsitzender<br />

der envia Mitteldeutsche,<br />

Energie AG (enviaM)<br />

Thomas Prauße, <strong>Vor</strong>sitzender der Geschäftsführung<br />

der Stadtwerke Leipzig GmbH<br />

14:30 - 15:00 Uhr Zusammenfassung und Ausblick durch<br />

die Veranstalter<br />

www.ostdeutsches-energieforum.de<br />

ENERGIE FÜR DIE ZUKUNFT


20 landschaft+leute<br />

Klar zum Anlegen<br />

Das Lausitzer Seenland wandelt sich vom staubigen<br />

Braunkohlerevier zur attraktiven, wasserreichen<br />

Ferienregion. Beim Werben um Investoren und Touristen<br />

machen Brandenburger und Sachsen gemeinsame<br />

Sache.<br />

Von Constanze Treuber<br />

Die Straße zur Südsee führt<br />

durch Kiefernwald ans Ufer<br />

eines Gewässers, das bei<br />

schönem Wetter von einem paradiesischen<br />

Blau ist – wenngleich<br />

das Panorama eher an finnische<br />

Landschaften erinnert. Hier, am<br />

südöstlichen Ufer des Senftenberger<br />

Sees, residiert inmitten eines<br />

Familienparks mit breitem Sandstrand,<br />

komfortablen Ferienhäusern,<br />

Wassersportzentrum und<br />

Campingplätzen eine Institution,<br />

die den nüchternen Namen Zweckverband<br />

Lausitzer Seenland Brandenburg<br />

trägt.<br />

Michael Vetter ist der Verbandsvorsteher.<br />

Der gebürtige Senftenberger<br />

badet seit eh und je am<br />

liebsten im Senftenberger See,<br />

obwohl es hier auch andere verlockende<br />

Möglichkeiten gibt. „Die<br />

Wasserqualität ist ausgezeichnet“,<br />

sagt er, „schon zum 13. Mal in Folge<br />

wurde sie mit der Blauen Flagge<br />

gewürdigt.“<br />

Mitten im Revier<br />

Das Seenland liegt im Lausitzer<br />

Braunkohlerevier, das sich über<br />

den Südosten Brandenburgs und<br />

den Nordosten Sachsens erstreckt.<br />

Noch heute tragen Gasthöfe Na-<br />

men wie „Zur Grubenlampe“. Wo<br />

sich nun Seen ausbreiten, gruben<br />

sich früher Tagebaue bis zu 60 Meter<br />

tief in die Erde. Seit Mitte des<br />

19. Jahrhunderts wurden zwischen<br />

Senftenberg, Hoyerswerda und Spremberg<br />

mehr als zwei Milliarden<br />

Tonnen Braunkohle aus <strong>dem</strong> Boden<br />

geholt. Und in riesigen Tagebauen<br />

wie Welzow-Süd ist die<br />

Förderung auch noch im Gange.<br />

Den Senftenberger See in seiner<br />

heutigen, natürlich anmutenden<br />

Form gibt es seit 1973. Knappensee<br />

und Silbersee sind noch älter.<br />

Im Gegensatz zu ihren Nachbarn<br />

– <strong>dem</strong> Geierswalder, <strong>dem</strong> Partwitzer,<br />

<strong>dem</strong> Großräschener, <strong>dem</strong> Neuwieser,<br />

<strong>dem</strong> Altdöberner, <strong>dem</strong> Sabrodter<br />

und einer ganzen Reihe<br />

weiterer Seen – sind sie bereits<br />

aus der Bergaufsicht entlassen. Bis<br />

die anderen ehemaligen Tagebaue<br />

ohne Gefahren zu nutzen sind, hat<br />

die Lausitzer und Mitteldeutsche<br />

Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft<br />

mbH (LMBV) jedoch noch<br />

auf viele Jahre hinaus zu tun. Sie ist<br />

vom Bund und den beiden beteilig-<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


landschaft+leute 21<br />

Google earth | © 2013 GeoBasis-DE/BKG<br />

ten Ländern mit der milliardenteuren<br />

Sanierung und Rekultivierung<br />

der Bergbauhinterlassenschaften<br />

der DDR beauftragt. Für die Sanierung<br />

der Tagebaue, in denen<br />

heute noch Braunkohle gefördert<br />

wird, sind später die Betreiber zuständig.<br />

Der Welzower Tagebau<br />

wird eines Tages wohl der mit<br />

2.000 Hektar größte künstliche See<br />

in Europa sein.<br />

Seen im Verbund<br />

Das Lausitzer Seenland erstreckt<br />

sich über 1.100 Quadratkilometer<br />

und hat etwa 128.000 Einwohner,<br />

viele von ihnen gehören der sorbischen<br />

Minderheit an. Vom Bärwalder<br />

See im Osten bis zum Grünewalder<br />

Lauch im Westen sind es 66<br />

Kilometer, die Nord-Süd-Ausdehnung<br />

beträgt 44 Kilometer. „Wir<br />

sprechen von 25 großen und kleinen<br />

Seen mit einer Wasserfläche<br />

von 14.000 Hektar“, sagt Michael<br />

Vetter. „Zehn von ihnen, insgesamt<br />

über 7.000 Hektar groß, werden<br />

einmal schiffbar miteinander<br />

verbunden sein.“<br />

Die größte von Menschenhand geschaffene<br />

Wasserlandschaft Europas<br />

ist noch im Werden. Der<br />

Flutungszustand der einstigen<br />

Tagebaue – gespeist aus Grundwasser,<br />

Oberflächenwasser und<br />

aus Flüssen wie der Schwarzen<br />

Elster – ist ganz unterschiedlich.<br />

Während sich der Wasserstand<br />

des Senftenberger Sees allenfalls<br />

im Rhythmus der Jahreszeiten<br />

verändert und <strong>dem</strong> Geierswalder<br />

See nur noch wenige Meter fehlen,<br />

kann man am Großräschener<br />

See, der voraussichtlich 2016<br />

endgeflutet sein wird, noch deutlich<br />

den Braunkohletagebau erkennen.<br />

„Vom SeeHotel Großräschen<br />

sind es nur ein paar Schritte bis<br />

zur Abbruchkante in ihrer ganzen<br />

Schroffheit“, sagt Michael Vetter.<br />

Wer sich für die industrielle Vergangenheit<br />

und Gegenwart des<br />

Lausitzer Seenlandes interessiert,<br />

kann ihr vielerorts begegnen.<br />

Das Besucherbergwerk F60<br />

beeindruckt mit seiner Förderbrücke,<br />

einer der größten beweglichen<br />

Arbeitsmaschinen der Welt,<br />

die mit ihren 502 Metern bedeutend<br />

länger ist als der Eiffelturm<br />

hoch. In der Energiefabrik Knappenrode,<br />

die Lausitzer Bergbaugeschichte<br />

erzählt, ist dreimal<br />

täglich „Schichtbeginn“. Von der<br />

Aussichtskanzel des modernen<br />

Größte künstliche Wasserlandschaft Europas im Entstehen.<br />

Michael Vetter: „Die<br />

Wasserqualität ist<br />

ausgezeichnet.“<br />

Braunkohlekraftwerks Schwarze<br />

Pumpe hat man einen weiten Blick<br />

ins Land.<br />

Wandel überall<br />

„Willkommen in der Zwischenzeit“<br />

heißt es an den IBA-Terrassen, <strong>dem</strong><br />

Besucherzentrum der 2010 beendeten<br />

Internationalen Bauausstellung,<br />

das einen Überblick über die<br />

Entwicklung zwischen Vergangenheit<br />

und Zukunft gibt. Denn die<br />

Landschaft ist im atemberaubenden<br />

Wandel. Dass einige der Seen<br />

heute eher noch wüste Gruben sind,<br />

heißt nicht, dass man die Hände in<br />

den Schoß legt, bis überall das Wasser<br />

an den Uferrand plätschert.<br />

„Die Sanierung der Tagebaue geht<br />

Hand in Hand mit der wirtschaftlichen<br />

und touristischen Erschließung<br />

der Gebiete“, sagt Michael<br />

Vetter. „Wir von den beiden Zweckverbänden,<br />

zu denen alle beteiligten<br />

Kommunen und Kreise in Brandenburg<br />

und Sachsen gehören,<br />

sorgen für die Infrastruktur und zugleich<br />

für die Bewirtschaftung dieser<br />

Infrastruktur. Wenn wir also in<br />

Lieske einen Badestrand mit Parkplätzen<br />

und Sanitärgebäuden anlegen,<br />

suchen wir auch nach Betreibern<br />

für die Gastronomie.“<br />

Am Sedlitzer See, <strong>dem</strong> noch zehn<br />

Meter bis zum angestrebten Wasserstand<br />

fehlen, entsteht jetzt<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


22 landschaft+leute<br />

Katja Wersch:<br />

„Hauptthema ist die<br />

aktive Erholung.“<br />

schon ein kleines Gewerbegebiet<br />

für Bootsbauer und ähnliche Firmen,<br />

die die Nähe des Wassers suchen.<br />

Und wer in Senftenberg in verarbeitendes<br />

Gewerbe, Forschung<br />

und Entwicklung, Industrie oder<br />

Handwerk investiert und dabei<br />

mindestens zehn neue Arbeitsplätze<br />

schafft, darf bald auch in der ersten<br />

Reihe am Wasser wohnen: Am<br />

Ufer des Sees entsteht ein Lagunendorf.<br />

Womöglich tragen solche<br />

Sahnehäubchen dazu bei, dass neue<br />

Arbeitsplätze entstehen und sich<br />

der Trend des Bevölkerungsrückgangs<br />

– allein Hoyerswerda hat einen<br />

Schwund von einst 70.000 auf<br />

38.000 Einwohner zu verzeichnen<br />

– eines Tages umkehrt.<br />

Daniel Just jedenfalls ist zurückgekehrt.<br />

Er wuchs in der Lausitz auf,<br />

badete als Junge jeden Sommer im<br />

Knappensee, ging dann zum Studium<br />

nach Dresden und blieb 13 Jahre<br />

dort. „Ich habe Dresden nicht verlassen,<br />

weil es mir dort nicht mehr gefallen<br />

hat, sondern weil es hier jetzt<br />

eine Perspektive für mich gibt“, sagt<br />

er. „Ich kann in meiner Heimat etwas<br />

mitgestalten.“ Daniel Just ist<br />

seit Januar 2012 Geschäftsführer<br />

des in Hoyerswerda angesiedelten<br />

Zweckverbands Lausitzer Seenland<br />

Sachsen.<br />

Mitten durch das Lausitzer Seenland<br />

zieht sich die Grenze zwischen<br />

Sachsen und Brandenburg, sie teilt<br />

sogar zwei der großen Seen. Die Zusammenarbeit<br />

zwischen den beiden<br />

Verbänden, versichern ihre Chefs,<br />

ist gut .„Jede Seite für sich allein hätte<br />

keine Chance“, sagt Daniel Just.<br />

„Wir sind aufeinander angewiesen.“<br />

Gemeinsame Sache zu machen ist<br />

auch wichtig, wenn es um Investoren<br />

geht.<br />

Handtuch ausgelegt<br />

„Wasser marsch!“ signalisiert die<br />

länderübergreifende Kampagne<br />

und: „Klar zum Anlegen“. Sie zeigt,<br />

was im Lausitzer Seenland für Investoren<br />

in den kommenden Jahren<br />

alles möglich ist. Am Geierswalder<br />

See entsteht ein Hotel in Form eines<br />

Leuchtturms. Nebenan hat sich bereits<br />

der 1. Wassersportverein Lausitzer<br />

Seenland angesiedelt; die Marina,<br />

im Besitz des Zweckverbands,<br />

hält natürlich auch Liegeplätze für<br />

Gäste frei. Ganz in der Nähe präsentieren<br />

sich die ersten schwimmenden<br />

Ferienhäuser, luxuriöse<br />

Unterkünfte mit zwei Etagen, Dachterrasse<br />

und eigenem Bootssteg, für<br />

jene, die um die 250 Euro pro Nacht<br />

ausgeben können. Sie sind immer<br />

gut gebucht.<br />

Neue Ideen im alten Revier:<br />

Wohnen auf <strong>dem</strong> Wasser.<br />

„Die Entwicklung soll alle Zielgruppen<br />

und jeden Geschmack<br />

berücksichtigen. Deshalb sind<br />

auch die Möglichkeiten für Investoren<br />

so vielfältig“, sagt Daniel<br />

Just. Den einzelnen Seen sind in<br />

einem regionalen Entwicklungskonzept<br />

unterschiedliche Funktionen<br />

zugewiesen. Der Partwitzer<br />

See soll als Drehscheibe für den<br />

Seenverbund dienen. Der schmale<br />

Sabrodter See wäre ideal für Ruderregatten.<br />

Auf <strong>dem</strong> Geierswalder<br />

See sollen Segelboote kreuzen,<br />

und Platz für Wasserwanderer im<br />

Paddelboot ist überall. Zum ruhigen<br />

Erikasee kommen Naturfreunde,<br />

um die Vogelzüge zu beobachten.<br />

„Der Naturschutz“, sagt Daniel<br />

Just, „gehört zu unseren Schlüsselprojekten.“<br />

Einstige Förderbrücken – länger als der Eiffelturm hoch.<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


landschaft+leute 23<br />

„Am Sabrodter See war eine Großinvestition<br />

geplant“, erzählt Just.<br />

„Auf 800 Hektar sollte ein Sportund<br />

Golfresort entstehen. Doch<br />

dann kam dort die Erde ins Rutschen<br />

und die LMBV musste das<br />

Gebiet auf unbestimmte Zeit sperren.<br />

Nun liegt das Projekt auf Eis.“<br />

So ist das in einer ehemaligen<br />

Bergbauregion, wo der Boden immer<br />

wieder auch unliebsame Überraschungen<br />

bereithält. Zur Nutzung<br />

werden natürlich nur sichere<br />

Flächen freigegeben.<br />

„Uns sind Investoren, die 160 Millionen<br />

Euro in ein Projekt stecken<br />

wollen, ebenso willkommen wie<br />

der künftige Hotelbetreiber mit<br />

3,5 Millionen oder jemand, der sich<br />

die Verwirklichung einer guten Geschäftsidee<br />

300.000 Euro kosten<br />

lassen kann“, sagt der Geschäftsführer<br />

des Zweckverbands. „Eine<br />

<strong>Vor</strong>aussetzung müssen aber alle<br />

mitbringen – den langen Atem.“<br />

Denn das Lausitzer Seenland ist<br />

kein Gewerbegebiet, in <strong>dem</strong> man<br />

heute eine Parzelle pachtet und<br />

morgen sein Geschäft eröffnet. Die<br />

Entwicklung vollzieht sich Schritt<br />

für Schritt und unterliegt außer<strong>dem</strong><br />

einer diffizilen Verquickung<br />

von Wasser-, Berg- und Baurecht.<br />

„Unser Manko ist, dass wir nur wenige<br />

Flächen sofort anbieten können“,<br />

sagt Just. „Darin liegt aber<br />

zugleich ein unschätzbarer <strong>Vor</strong>teil:<br />

Die Investoren können Wünsche<br />

äußern und die Gegebenheiten<br />

langfristig mitgestalten.“ Wer<br />

sich sein Stück vom Kuchen sichern<br />

will, sollte deshalb die Aufforderung<br />

„Legen Sie Ihr Handtuch<br />

aus“ rechtzeitig beherzigen.<br />

Im Frühjahr 2012 haben beide<br />

Zweckverbände einen gemeinsamen<br />

Tourismusverband gegründet.<br />

Katja Wersch ist dort Mitarbeiterin<br />

für Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Marketing. „Unser Hauptthema<br />

ist die aktive Erholung am und<br />

rund ums Wasser“, erklärt sie. „Am<br />

Senftenberger See gibt es ja schon<br />

das volle Programm. Im Mai dieses<br />

Jahres soll ein Schlüsselprojekt,<br />

der Senftenberger Stadthafen, fertig<br />

sein. Und auch der Koschener<br />

Kanal – die schiffbare Verbindung<br />

zwischen <strong>dem</strong> Senftenberger und<br />

<strong>dem</strong> Geierswalder See – ist ab Juni<br />

nutzbar. Damit können bereits drei<br />

der später zehn verbundenen Seen<br />

mit Booten befahren werden.“<br />

Millionen-Ziele<br />

Auf <strong>dem</strong> Sedlitzer See werden<br />

Floßfahrten angeboten. Am Bärwalder<br />

See kann man Segel- und<br />

Motorboote chartern, er ist auch<br />

bei Kitesurfern sehr beliebt. Der<br />

Dreiweiberner See ist ein schönes<br />

Gewässer zum Baden und Angeln.<br />

In anderen Gebieten finden die Ferienaktivitäten<br />

aber vorläufig noch<br />

mehr an Land statt.“ Bis alle Seen<br />

den angestrebten Zustand erreicht<br />

haben, spielen Radfahren und Skaten<br />

die größte Rolle. „Wir haben tolle<br />

Radwege und thematische Radrouten.<br />

Die Seenland-Route führt<br />

an 16 Gewässern vorbei. Ein Faltblatt<br />

informiert über die Streckenführung<br />

mitsamt Badestellen, radlerfreundlichen<br />

Unterkünften und<br />

allem anderen, was Radler interessiert.“<br />

Daniel Just:<br />

„Die Möglichkeiten<br />

für Investoren sind<br />

vielfältig.“<br />

Etwa 400.000 Übernachtungen<br />

pro Jahr verzeichnet das Lausitzer<br />

Seenland derzeit, 240.000 davon<br />

entfallen auf den Senftenberger<br />

See und seine Umgebung. 65<br />

Prozent der dortigen Gäste kommen<br />

aus Sachsen, 20 Prozent, mit<br />

steigender Tendenz, aus den alten<br />

Bundesländern, und auch bei<br />

tschechischen Urlaubern wird<br />

die Region immer beliebter. In<br />

den nächsten zehn Jahren soll die<br />

Reise in Richtung 1,5 Millionen<br />

Übernachtungen pro Jahr im Lausitzer<br />

Seenland gehen. „Von den<br />

nötigen Kapazitäten sind wir heute<br />

noch weit entfernt“, sagt Katja<br />

Wersch. Daniel Just findet das Ziel<br />

optimistisch, aber nicht unrealistisch:<br />

„Und wenn wir nur auf eine<br />

Million kommen, wäre das auch<br />

ein großer Erfolg. Man muss eine<br />

Vision haben.“ <br />

Paradies für<br />

Radler, Wanderer<br />

und Wassersportler.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


24 einblicke+aussichten<br />

Feigenblatt Bürgerbeteiligung<br />

Infrastrukturprojekte treffen auf immer weniger Akzeptanz<br />

bei den Bürgern. Eine aktuelle Studie aus Leipzig<br />

zeichnet ein entmutigendes Bild von Bürgerferne in<br />

Entscheidungsprozessen von Unternehmen, Politik und<br />

öffentlichen Verwaltungen. Von Harald Lachmann<br />

Wer heutzutage infrastrukturelle<br />

oder wirtschaftliche<br />

Projekte von öffentlicher<br />

Bedeutsamkeit auf den Weg<br />

bringen will, erlebt vor allem eines:<br />

Akzeptanznöte. Ob große<br />

Verkehrsprojekte wie Stuttgart<br />

21, geplante Kraftwerke, Privatisierungen<br />

von Kommunalbetrieben,<br />

der Ausbau von Straßen<br />

und Flughäfen sowie Hochspannungsleitungen<br />

– überall meldet<br />

sich lautstark der mündige Bürger<br />

zu Wort. Er will mitreden, mitentscheiden.<br />

War das bei Stuttgart 21 noch ein<br />

gefühltes Phänomen, lässt sich<br />

das nun <strong>dem</strong>oskopisch belegen.<br />

Demnach bewertet nicht einmal<br />

mehr jeder dritte befragte Bürger<br />

das Agieren von Bundes- und<br />

Landespolitik als „glaubwürdig“,<br />

sofern dies im Kontext mit strittigen<br />

Projekten vor der „Haustür“<br />

steht. Auch den eigenen Kommunalpolitikern<br />

vertrauen dann nur<br />

38 Prozent.<br />

Dies ergab eine Studie, die jetzt<br />

die Leipziger Unternehmensberatung<br />

Hitschfeld vorlegte. Gemeinsam<br />

mit einem Feldinstitut<br />

befragte sie bundesweit Bürger.<br />

Dabei zeigte sich, dass es für die<br />

meisten auch keine Rolle spielt, ob<br />

ein Infrastrukturvorhaben durch<br />

parlamentarische Gremien bereits<br />

rechtskonform geworden ist.<br />

Stattdessen werten 80 Prozent der<br />

Befragten die Kommunikation<br />

sowie frühe informelle Einbeziehung<br />

von unmittelbar Betroffenen<br />

als ebenso wichtig wie die bekannten<br />

formalen Anhörungs- und Beteiligungsverfahren.<br />

Das Gros der<br />

Bürger scheint überzeugt, dass die<br />

Protagonisten der Projekte hierbei<br />

„nur so viele Informationen wie<br />

unbedingt nötig herausgeben“<br />

(69 Prozent), und dies eher „als<br />

Feigenblatt“ dient (51 Prozent). In<br />

Summe sehen sich zwei Drittel als<br />

„Opfer von Politik“. Aber auch die<br />

Medien kommen in der Umfrage<br />

schlecht weg. Nur 40 Prozent halten<br />

sie noch für neutral, wenn sie<br />

über strittige Großprojekte berichten.<br />

Als glaubwürdig gelten dagegen<br />

die Konfliktbetroffenen (79<br />

Prozent). Auch Bürgerinitiativen<br />

© Gabriele Rohde - Fotolia.com<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


einblicke+aussichten 25<br />

Foto: Harald Lachmann<br />

Die Leute<br />

merken schnell,<br />

wenn sie für<br />

dumm verkauft<br />

werden sollen.<br />

(76 Prozent) und Umweltverbände<br />

(66 Prozent).<br />

Für Geschäftsführer Uwe Hitschfeld<br />

herrscht somit „in Deutschland<br />

ein akutes Glaubwürdigkeitsproblem<br />

der Bürger gegenüber<br />

Politik, Verwaltung und Unternehmen“.<br />

Der Unternehmensberater<br />

agiert mit seinem Team seit<br />

über 15 Jahren an der Schnittstelle<br />

von Politik, Wirtschaft und öffentlicher<br />

Verwaltung. Ihm begegnen<br />

fortwährend Fragen rund um die<br />

Problematik des Erlangens und<br />

Wahrens von Akzeptanz. Die Ergebnisse<br />

der Studie überraschten<br />

ihn „in ihrer Klarheit“. Denn seine<br />

Erfahrungen zeigen, dass bei<br />

nahezu je<strong>dem</strong> Projekt von öffentlichem<br />

Belang eine Frage dominiere:<br />

„Wer ist für wen glaubwürdig?“<br />

Hitschfeld betrachtet das Thema<br />

als unverzichtbaren „strategischen<br />

Erfolgsfaktor“. Wer dies<br />

vernachlässige und die betroffenen<br />

Bürger eines <strong>Vor</strong>habens nicht<br />

beizeiten transparent in seine Pläne<br />

einbeziehe, riskiere das Scheitern<br />

des Projektes, bevor es begonnen<br />

werden konnte.<br />

Dem stimmt Kommunikationswissenschaftler<br />

Prof. Günter Bentele<br />

zu, der an Universität Leipzig den<br />

Lehrstuhl Öffentlichkeitsarbeit/<br />

PR leitet. Kommunalpolitikern sowie<br />

Unternehmen und Umweltverbänden,<br />

die Windkraft- oder<br />

Biogasanlagen planen, rät er, vorab<br />

„genug Ressourcen für kommunikative<br />

Prozesse vorzuhalten“:<br />

Die Akzeptanz-<br />

Debatte offenbart<br />

kein Legalitätsproblem,<br />

wohl aber ein<br />

Legitimitätsproblem.<br />

Uwe Hitschfeld:<br />

„Zwei Drittel der<br />

Befragten fühlen<br />

sich als Opfer der<br />

Politik.“<br />

Management, Know-how, Geld sowie<br />

fähige, glaubwürdige Leute.<br />

Es sei blauäugig, sich als Planer<br />

einzig auf Politik und Behörden<br />

zu verlassen, warnt Hitschfeld. Zugleich<br />

sage der quantitative Aufwand<br />

noch nichts über die Größe<br />

des Erfolgs. Die Leute merkten<br />

schnell, wenn sie für dumm verkauft<br />

werden sollen. Darum führten<br />

Lösungsansätze „von der Stange“<br />

oft in die Sackgasse. Dennoch<br />

ist der Leipziger sicher: Großkrisen<br />

wie Stuttgart 21 wären vermeid-<br />

oder wenigstens beherrschbar<br />

gewesen.<br />

Der Unternehmensberater Gerhard<br />

Jochum, Aufsichtsratsvorsitzender<br />

der GASAG Berliner<br />

Gaswerke AG, mahnt einen „kulturellen<br />

Wertewandel“ in den Unternehmen<br />

ein. Nach seiner Überzeugung<br />

brauche die Republik<br />

eine intensive und relevante Diskussion<br />

darüber, „was Verantwortlichkeiten<br />

gegenüber gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen betrifft“.<br />

Für Jochum offenbart die aktuelle<br />

Akzeptanz-Debatte kein Legalitätsproblem,<br />

wohl aber ein Legitimitätsproblem.<br />

Stuttgart 21 zeige<br />

das sehr deutlich. Dass es 15 Jahre<br />

dauerte, ehe nach den Prüfungsund<br />

Genehmigungsverfahren sowie<br />

den öffentlichen Anhörungen<br />

der neue Bahnhof endlich Realität<br />

werden sollte, habe zur Entwertung<br />

der Legitimationsprozesse<br />

geführt, sagt er. Nötig sei eine flexiblere,<br />

schnellere und konkretere<br />

Umsetzung dessen, was geplant,<br />

genehmigt und in öffentlichen<br />

Anhörungen ins Schaufenster gestellt<br />

wurde.<br />

Mit Blick auf das Thema Akzeptanz<br />

gibt der GASAG-Aufsichtsratschef<br />

zu bedenken: „Wer einen<br />

Bahnhof, ein Kraftwerk oder<br />

eine Hochspannungsleitung bauen<br />

wolle, muss sich bestimmten<br />

Fragen stellen: Wer ist davon betroffen?<br />

Wie ist er davon betroffen?<br />

Welche Informationen, welche<br />

Rücksichtnahmen erwartet er<br />

von mir? Unter welchen Umständen<br />

kann ich seine Zustimmung<br />

bekommen?“ Das Durchdringen<br />

des eigenen <strong>Vor</strong>gehens sowie der<br />

eigenen Planungen führe zum<br />

Schaffen von Legitimitätsprozessen.<br />

Hier sieht Jochum ein Grundverständnis<br />

von Akzeptanz : Es<br />

dürfe nicht darum gehen, „in einer<br />

Art technischem Prozess ein<br />

Höchstmaß an Populismus zu produzieren“.<br />

Sondern Ziel müsse es<br />

für ein Unternehmen sein, die eigenen<br />

Interessen mit den Bedürfnissen<br />

potenziell Betroffener so<br />

in Relation zu bringen, dass daraus<br />

ein Höchstmaß an Akzeptanz<br />

erwächst. Letztlich werde es wirtschaftlich<br />

von <strong>Vor</strong>teil sein, sich<br />

mit Wertefragen zu beschäftigen,<br />

eine dezidierte Position dazu zu<br />

entwickeln und diese konsequent<br />

umzusetzen.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


26 marken+macher<br />

Aus alt mach neu – und<br />

hochproduktiv<br />

Langgediente Werkzeugmaschinen werden durch die<br />

WEMA VOGTLAND Technology GmbH auf den neuesten<br />

Stand gebracht. Das Unternehmen ist weltweit führend bei<br />

der Aufrüstung von Fertigungstechnik. Von Ulrich Conrad<br />

Standort mit<br />

Tradition: der<br />

Firmensitz<br />

der WEMA<br />

VOGTLAND<br />

Technology<br />

GmbH in<br />

Plauen.<br />

Andreas Quak ist kein Freund<br />

der Wegwerfmentalität.<br />

„Alle klagen über knappe<br />

Ressourcen, trotz<strong>dem</strong> sind wir<br />

auf ständigen Neukauf programmiert“,<br />

sagt er. „Es gibt nichts ressourcenschonenderes<br />

als vorhandene<br />

Maschinen umzubauen,<br />

anstatt mit viel Energie und Aufwand<br />

neue Maschinen herzustellen.<br />

Wenn es technisch möglich<br />

und zugleich wirtschaftlich sinnvoll<br />

ist, bieten sich Umbau und<br />

Überholung als vernünftige Alternative<br />

an.“ Ein Argument, das<br />

auch bei der Geschäftsidee des<br />

Unternehmers Pate stand. Andreas<br />

Quak ist Geschäftsführer der<br />

WEMA VOGTLAND Technology<br />

GmbH in Plauen. Er hat dafür gesorgt,<br />

dass sich das Werkzeugmaschinenunternehmen<br />

seit 2009<br />

konsequent auf Umbau und Überholung<br />

von Werkzeugmaschinen<br />

spezialisiert hat. Sein Konzept<br />

setzte eine Erfolgsgeschichte in<br />

Gang, die nach der Insolvenz der<br />

traditionsreichen <strong>Vor</strong>gängerin<br />

WEMA Vogtland viele nicht für<br />

möglich gehalten hätten.<br />

Großprojekte aus<br />

einer Hand<br />

Heute ist WEMA VOGTLAND<br />

Technology weltweit führend auf<br />

ihrem Gebiet, <strong>dem</strong> Remanufacturing.<br />

Aus alt mach neu – das klingt<br />

nach Improvisation und Kompromissen.<br />

Doch wenn eine überholte<br />

Werkzeugmaschine, eine<br />

komplette Taktstraße oder ein automatisiertes<br />

Bearbeitungszentrum<br />

von den Plauener Fachleuten<br />

an ihre Kunden übergeben wird,<br />

dann erhalten diese modernste<br />

Technik. Laien würden beim Anblick<br />

der Anlagen gar nicht auf die<br />

Idee kommen, dass Traggerüste<br />

oder Transportelemente, Beschickungseinrichtungen<br />

oder andere<br />

Komponenten bereits ein <strong>Vor</strong>-<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


marken+macher 27<br />

leben hinter sich haben. Dass sie<br />

nun eine zweite Chance bekommen,<br />

bei der Produktion von Autoteilen<br />

für ein neues Modell zum<br />

Beispiel, spricht für die Qualität<br />

der ursprünglichen Technik.<br />

Noch mehr aber ist dies ein Beleg<br />

für das Know-how der Plauener<br />

Ingenieure und Werkzeugmaschinenbauer<br />

sowie ihrer Partner<br />

in der Global Retool Group, zu der<br />

die WEMA VOGTLAND Technology<br />

seit 2009 gehört. Andreas<br />

Quak hat die Unternehmensgruppe<br />

aufgebaut. In ihr sind auch die<br />

vom saarländischen Lebach aus<br />

agierende SVQ GmbH als Spezialist<br />

für Spannvorrichtungen mit<br />

Standorten in der Slowakei und<br />

in China sowie die SATEG GmbH,<br />

Hersteller von Steuerungs- und<br />

Automatisierungstechnik, tätig.<br />

Die Zusammenarbeit ermöglicht<br />

eine große Fertigungstiefe und sichert<br />

die enge Abstimmung untereinander.<br />

Großprojekte können so<br />

aus einer Hand bewältigt werden.<br />

Der Bedarf dafür ist vorhanden.<br />

Seit <strong>dem</strong> Siegeszug flexibler Fertigungssysteme<br />

in den 1980er<br />

Jahren werden in der metallverarbeitenden<br />

Industrie massenhaft<br />

computergesteuerte<br />

Bearbeitungszentren und Transferstraßen<br />

eingesetzt. Die Autoindustrie<br />

war der <strong>Vor</strong>reiter,<br />

inzwischen fertigen auch mittelständische<br />

Zulieferer ihre Produkte<br />

mithilfe der effizienten<br />

Technologien, vom Motorblock<br />

bis zu Fahrwerkkomponenten<br />

und Karosserieteilen. Und längst<br />

nutzen auch andere Branchen<br />

die <strong>Vor</strong>züge dieser Fertigungstechnik.<br />

Die Investitionen sind<br />

hoch, doch es rechnet sich, weil<br />

verschiedene Teile mit unterschiedlichen<br />

Verfahren bearbeitet<br />

werden können. Sie lassen sich<br />

auch an veränderte Anforderungen<br />

anpassen: Neue <strong>Vor</strong>richtungen<br />

werden integriert, Sensoren<br />

oder Steuerungen durch den neuesten<br />

Stand der Technik ersetzt.<br />

Das aber hat seine Grenzen: Modellwechsel<br />

in der Autoindustrie<br />

bedeuten in der Regel auch neue<br />

Fertigungslinien. „Dann stellt sich<br />

die Frage, ob ein kompletter Neukauf<br />

erforderlich ist oder mit einem<br />

Umbau der gleiche Effekt<br />

erreicht werden kann“, erklärt Andreas<br />

Quak. Der gleiche Effekt, darauf<br />

kommt es an. Beim Remanufacturing<br />

lassen sich schon mal 50<br />

Prozent der Neukosten sparen –<br />

doch die Qualität muss natürlich<br />

stimmen. Ein Blick auf die Referenzliste<br />

der Plauener sagt mehr<br />

als vollmundige Versprechungen:<br />

Die großen deutschen Autohersteller<br />

und ihre First-Tier-Zulieferer<br />

vertrauen auf die Leistungen<br />

der WEMA VOGTLAND Technology,<br />

ebenso namhafte Luftfahrtunternehmen<br />

und darüber<br />

hinaus zahlreiche Kunden in aller<br />

Welt. Durch die Firmentochter<br />

WEMA VOGTLAND America<br />

LLC wird der amerikanische<br />

Markt bedient, auch hier finden<br />

sich die namhaften Automarken<br />

auf der Kundenliste. Ein klassisches<br />

Feld sind Produktionsverlagerungen:<br />

Autokonzerne nutzen<br />

Dipl.-Ing.<br />

Andreas Quak<br />

Geschäftsführender<br />

Gesellschafter der<br />

WEMA VOGTLAND<br />

Technology GmbH<br />

zur Produktion neuer Modelle bei<br />

ihren preisgünstigeren Töchtern<br />

mitunter Anlagen, auf denen zuvor<br />

bereits Fahrzeuge der hochwertigen<br />

Stammmarke gelaufen<br />

sind. WEMA VOGTLAND Technology<br />

übernimmt das Umsetzen<br />

und bereitet den neuen Einsatz<br />

vor. Wenn Transferstraßen<br />

zum Beispiel nach Brasilien oder<br />

in andere Schwellenländer gehen<br />

sollen, sind die Plauener gefragt.<br />

„Wir besetzen eine Nische“, bestätigt<br />

Andreas Quak. „Aber diese Nische<br />

besitzt ein solches Potenzial,<br />

dass wir inzwischen aus <strong>dem</strong><br />

Status des kleinen Mittelständlers<br />

herauswachsen.“ Rund 100<br />

Mitarbeiter sind in Plauen tätig,<br />

die Gruppe beschäftigt weltweit<br />

rund 350. Überwiegend erfolgen<br />

Transferstraßen<br />

für LKW-<br />

Zylinderköpfe<br />

und -Zylinderblöcke<br />

werden<br />

im Werk modernisiert.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


28 marken+macher<br />

In der<br />

Fertigung.<br />

die Arbeiten bei den Kunden vor<br />

Ort. Die vorhandenen Anlagen<br />

werden analysiert, die Kundenforderungen<br />

aufgenommen und<br />

das Projekt für den Umbau konzipiert.<br />

Die Konstruktion und Fertigung<br />

der neuen Teile, <strong>Vor</strong>richtungen,<br />

Transportmodule usw., die<br />

Abstimmung, Steuerungskomponenten<br />

und das Einpassen in die<br />

technologischen Gesamtabläufe<br />

– all dies sind Ingenieurleistungen,<br />

die denen bei einem Neubau<br />

nicht nachstehen. Ein wichtiger<br />

Unterschied: WEMA VOGT-<br />

LAND Technology arbeitet herstellerunabhängig,<br />

Maschinen<br />

unterschiedlicher Produzenten<br />

werden fit gemacht. Dieses Knowhow<br />

schätzen auch Werkzeugmaschinenhersteller<br />

und vergeben<br />

Spezialaufträge an die Plauener<br />

Spezialisten. „Unser Team aus erfahrenen<br />

Werkzeugmaschinenexperten<br />

und einer international<br />

agierenden Firmengruppe bringt<br />

sowohl das nötige Know-how mit<br />

als auch die regionale Präsenz,<br />

die namhafte Kunden von einem<br />

Generalunternehmer und Turn-<br />

Key-Partner erwarten“, sagt Andreas<br />

Quak. „Bei Bedarf liefern wir<br />

auch komplette Werkzeugmaschi-<br />

nen, insbesondere für Sonderlösungen.“<br />

Mit Leib und Seele<br />

So lukrativ diese Geschäfte auch<br />

sind, immer ist der Zeitrahmen<br />

eng, immer muss auch mit unvorhersehbaren<br />

technischen Schwierigkeiten<br />

gerechnet werden. Dann<br />

ist in der Tat auch Improvisationstalent<br />

notwendig, durch jahrzehntelange<br />

Erfahrung mit großer Treffsicherheit<br />

erworben. Immer dann,<br />

wenn andere ihren Sommerurlaub<br />

genießen oder die Weihnachtszeit<br />

mit der Familie unterm Tannenbaum<br />

verbringen, herrscht für die<br />

Vogtländer Hochbetrieb. Werksferien<br />

sind genau die Zeit, in der<br />

Anlagen gewartet, überholt und<br />

umgebaut werden, um anschließend<br />

ohne Verzug wieder zu laufen.<br />

„Für einen richtigen Werkzeugmaschinenbauer<br />

mit Leib und<br />

Seele ist das Ehrensache“, so Geschäftsführer<br />

Andreas Quak. Und<br />

schließlich geht es um den Unternehmenserfolg.<br />

Mit rund 75 Millionen<br />

Euro Umsatz hatte die Global<br />

Retool Group 2011 ihr bisher<br />

stärkstes Jahr, und auch 2012 läuft<br />

erfreulich gut. Auch damit liegt sie<br />

weltweit vorn. Allerdings hat der<br />

Unternehmer trotz aller positiver<br />

Entwicklungen auch ein enormes<br />

Problem: Fachkräfte werden zunehmend<br />

zum Engpass. Ein Blick<br />

auf die Karriereseite im Internet<br />

zeigt, dass gleich in mehreren Bereichen<br />

Stellen zu besetzen sind:<br />

Anwendungsspezialisten Werkzeugtechnik<br />

werden gesucht, Ingenieure<br />

für Maschinenbau und<br />

Elektrotechnik, Inbetriebnehmer.<br />

Für das weitere Wachstum könnte<br />

das bald zum ernsten Hemmnis<br />

werden. Mit eigener Ausbildung<br />

steuert das Unternehmen<br />

entgegen, gerade haben fünf junge<br />

Leute ihre Ausbildung zum Elektroniker<br />

der Fachrichtung Automatisierungstechnik,<br />

Industriemechaniker,<br />

Industriekaufmann<br />

und Technischen Produktdesigner<br />

aufgenommen. Damit die Erfolgsgeschichte<br />

des Weltmarktführers<br />

aus <strong>dem</strong> Vogtland auch in Zukunft<br />

weitergehen kann. <br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


marken+macher 29<br />

Hidden Champions<br />

Rund 1.200 deutsche Mittelständler sind Weltmarktführer<br />

in ihren Branchen. Der Anteil ostdeutscher<br />

Unternehmen wächst rasch. Von Ulrich Conrad<br />

Sie gelten als „Hidden Champions“,<br />

Sieger im Verborgenen: kaum bekannt<br />

in der Öffentlichkeit, in<br />

Nischen erfolgreich, mit überschaubarer<br />

Mitarbeiterzahl. Auf ihnen beruht<br />

ein Großteil des deutschen Wirtschaftserfolges.<br />

Die WeissmanGruppe<br />

in Nürnberg, spezialisiert auf die Beratung<br />

mittelständischer Familienunternehmen,<br />

erarbeitet kontinuierlich<br />

aktuelle Übersichten dieser Leistungsträger.<br />

Marcel Megerle, Mitglied der<br />

Geschäftsleitung bei Weissman, hat<br />

gemeinsam mit <strong>dem</strong> Leibniz-Institut<br />

Ostdeutsche Weltmarktführer<br />

für Länderkunde Leipzig diese Datensammlung<br />

ausgewertet. Die meisten<br />

– wenig überraschend – sind in Baden-Württemberg,<br />

Bayern und Nordrhein-Westfalen<br />

zu Hause. Doch der<br />

Osten ist auf <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>marsch.<br />

Optik und Drehkrane<br />

In Dresden sind Marktführer besonders<br />

zahlreich vertreten. So zum Beispiel<br />

die XENON Automatisierungstechnik<br />

GmbH, ein Spezialist der<br />

Fertigungstechnik für Photovoltaik.<br />

Berlin Heart GmbH Berlin www.berlinheart.de<br />

CyBio AG Jena www.cybio-ag.com<br />

Docter Optics GmbH Neustadt an der Orla www.docteroptics.com<br />

DOPPSTADT CALBE GmbH Calbe www.doppstadt.com<br />

Eisengießerei Torgelow GmbH Torgelow www.eisengiesserei-torgelow.de<br />

ELBAU Elektronik Bauelemente GmbH Berlin www.elbau-gmbh.de<br />

FEP Fahrzeugelektrik Pirna GmbH Pirna www.fepz.de<br />

GERB Schwingungsisolierungen GmbH & Co KG Berlin www.gerb.com<br />

GERMAN PELLETS GmbH Wismar www.german-pellets.de<br />

GlaxoSmithKline Biologicals GmbH Dresden www.glaxosmithkline.de<br />

GÖPEL electronic GmbH Jena www.goepel.com<br />

Herlitz PBS AG Berlin www.herlitz.de<br />

JENOPTIK AG Jena www.jenoptik.com<br />

KAHLA/Thüringen Porzellan GmbH Kahla www.kahlaporzellan.com<br />

Kjellberg Finsterwalde Plasma und Maschinen GmbH Finsterwalde www.kjellberg.de<br />

KOBRA Formen GmbH Lengenfeld www.kobragroup.com<br />

Mecklenburger Metallguss GmbH Waren (Müritz) www.mmgprop.de<br />

NILES - SIMMONS Industrieanlagen GmbH Chemnitz www.niles-simmons.de<br />

Novaled AG Dresden www.novaled.com<br />

Profi roll Technologies GmbH Bad Düben www.profiroll.de<br />

SAXONIA EuroCoin GmbH Halsbrücke www.saxonia-eurocoin.de<br />

Schuberth Holding GmbH Magdeburg www.schuberth.com<br />

Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen GmbH Meißen www.meissen.com<br />

THEEGARTEN-PACTEC GmbH & Co. KG Dresden www.theegarten-pactec.com<br />

TRUMPF Sachsen GmbH Neukirch www.de.trumpf.com<br />

VERBIO Vereinigte BioEnergie AG Leipzig www.verbio.de<br />

WEMA VOGTLAND Technology GmbH Plauen www.wema-vogtland.de<br />

Wie dynamisch der Markt ist, hat sich<br />

bei den jüngsten Turbulenzen der Solarbranche<br />

gezeigt. Ostdeutsche haben<br />

gelernt, sich durchzubeißen. Das<br />

gilt auch für die Dresdner Ardenne<br />

Anlagentechnik GmbH. Elektronenstrahl-Anlagen<br />

von Ardenne waren<br />

bereits vor 1989 von Japan bis in die<br />

USA gefragt. Trotz<strong>dem</strong> erforderte der<br />

Neustart in der Marktwirtschaft enorme<br />

Anstrengungen.<br />

Wer dies im Hinterkopf hat, weiß Erfolge<br />

zu schätzen: Die weltgrößten<br />

Schiffspropeller kommen noch immer<br />

aus der Mecklenburger Metallguss<br />

GmbH in Waren an der Müritz. Die Kirow<br />

AG, Leipzig, ist Marktführer mit<br />

Doppellenker-Wippdrehkranen, Eisenbahnkranen<br />

und Schlackentransportern<br />

für Hochöfen. Auf der Liste finden<br />

sich Pumpen aus Halle, Kommunikationssysteme<br />

aus Kölleda, Optik und<br />

Sensoren aus Jena, Hallenkrananlagen<br />

aus Köthen. Marcel Megerle: „Die<br />

hohe Dynamik in den neuen Bundesländern<br />

ist ungebrochen“. 29 der heutigen<br />

Weltmarktführer aus <strong>dem</strong> Osten<br />

wurden nach 1989 gegründet. Im gesamten<br />

Bundesgebiet waren das 120.<br />

Auf 1000 Einwohner kommen im Osten<br />

1,8 Weltmarktführer, im Westen sind<br />

es nur ca. 1,4. Das zeigt deutlich, wohin<br />

die Reise geht.<br />

Wichtige Botschaften<br />

Etwas anders sieht es bei der Wirtschaftsleistung<br />

aus, die bei etablierten<br />

Firmen in den Altbundesländern noch<br />

immer erheblich größer ist. 1.450 Weltmarktführer<br />

enthält die Weissman-<br />

Datenbank. 856 davon sind Familienunternehmen<br />

mit etwa 6,5 Millionen<br />

Beschäftigten und insgesamt mehr als<br />

zwei Billionen Euro Umsatz pro Jahr.<br />

Hidden Champions: Hinter den Namen<br />

stecken spannende Geschichten, die<br />

für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes<br />

wichtige Botschaften vermitteln.<br />

Besonders für Ostdeutschland. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


30 klipp+klar<br />

Alternativlos?<br />

Eberhard Walter<br />

Präsident des<br />

Unternehmerverbandes<br />

Brandenburg<br />

Die meisten Mittelständler<br />

sind es nicht gewohnt, sich<br />

im Mainstream zu tummeln.<br />

Wir halten es lieber mit einer<br />

alten chinesischen Weisheit –<br />

„Nur tote Fische schwimmen mit<br />

<strong>dem</strong> Strom“ – und sind quicklebendig.<br />

Stichwort Fachkräftemangel. Was<br />

da von der Politik in jüngster Zeit<br />

verlautbart wurde, macht misstrauisch.<br />

Mehr noch, immer wenn<br />

von „alternativlos“ die Rede ist,<br />

sollte das prompt ein Aufruf zur<br />

eigenen Meinungsbildung sein.<br />

Der aufkommende Fachkräftemangel<br />

entspringe eben der <strong>dem</strong>ografischen<br />

Entwicklung, heißt<br />

es schulterzuckend, da könne<br />

man schwer etwas machen. Niedrige<br />

Geburtenraten werden zu<strong>dem</strong><br />

den Unternehmen angelastet, die<br />

Arbeitswelt sei schuld an der Misere.<br />

Basta. Allen Ernstes werden<br />

Unternehmerinnen und Unternehmer<br />

ermahnt, mehr Familienfreundlichkeit<br />

an den Tag zu legen.<br />

Was ist das denn für eine verdrehte<br />

Erklärung, für eine Verklärung?<br />

Leben denn Politikerinnen und<br />

Politiker in Parallelwelten? Wissen<br />

sie nichts von den vielen Familienbetrieben<br />

und deren wertebewusster–<br />

und vielerorts sehr<br />

erfolgreicher – Übernahme von<br />

Verantwortung in ihrer Region?<br />

Die <strong>dem</strong>ografische Entwicklung<br />

entspringt doch gerade einer jahrelang<br />

verfehlten Familienpolitik!<br />

Die allenthalben gepriesene Ich-<br />

Bezogenheit führt zur Entsolidarisierung,<br />

zu fehlender Nestwärme<br />

und zu eben jener <strong>dem</strong>ografischen<br />

Schieflage, der man im Lande so<br />

scheinbar ohnmächtig gegenüber<br />

steht. Alternativlos?<br />

Vernünftige Rahmenbedingungen<br />

zu schaffen, das bleibt zuvorderst<br />

Aufgabe des Staates. Eingebettet<br />

in die Wertevermittlung muss die<br />

Achtung der Gesellschaft vor den<br />

Demografische<br />

Schieflage<br />

entspringt<br />

einer verfehlten<br />

Familienpolitik<br />

Leistungen der Familien wieder ihren<br />

Stellenwert erhalten.<br />

Wenn heute die Unternehmen die<br />

„Ausbildungsfähigkeit“ von Lehrlingen<br />

mit Hilfe von Förderprojekten<br />

selbst organisieren und tragen,<br />

dann ist das aller Ehren wert, muss<br />

aber zugleich stutzig machen. Die<br />

Rahmenbedingungen unseres Bildungssystems<br />

verschlechtern sich<br />

seit Jahren und die Folgen tragen<br />

die Unternehmen. Einheitsschule,<br />

Erziehungs- und Bildungsauftrag,<br />

Berufsorientierung – das alles seien<br />

keine diskussionswürdigen Begriffe,<br />

meint man in den zuständigen<br />

Ministerien. Pisa quittiert´s.<br />

Wie im Kleinen so auch im Großen.<br />

Die Europäische Zentralbank<br />

beginnt mit einer Lockerung der<br />

Geldpolitik, ungleichgewichtige<br />

Entwicklungen der Länder in Europa<br />

können keinen Widerhall in<br />

der Landeswährung finden, weil<br />

der Euro nun mal da ist. Bei den<br />

Notenbanken häuft sich das Geld,<br />

Inflationspotenzial entsteht. Da<br />

helfen die flotten Sprüche von der<br />

„Beruhigung der Märkte“ nicht.<br />

Und sogar Zypern wird als „systemrelevant“<br />

eingestuft. Loriots<br />

„Wo laufen sie denn, wo laufen sie<br />

denn hin, mein Gott“ bekommt<br />

eine völlig neue Bedeutung.<br />

Deutliche Verunsicherungen im<br />

Lande rühren von diesen viel zitierten<br />

„Märkten“ her. Diese anonymen<br />

Schreckgespenster jeder<br />

Währung immer und gleich<br />

zu bedienen, so verkündet man,<br />

sei alternativlos. Wirklich? Jedes<br />

Unternehmen muss Marktentwicklungen<br />

parieren, sucht<br />

aber immer nach Alternativen<br />

und begreift den Markt als Menschen<br />

mit Bedürfnissen, Sichtweisen,<br />

auch mit Fehlern, denen man<br />

energisch Grenzen setzen muss.<br />

Klare Ansagen sind rar geworden,<br />

es gibt zu viele, die mit <strong>dem</strong> Strom<br />

schwimmen.<br />

Und das Schwert der Opportunisten,<br />

unbequeme Antworten auf<br />

Fragen der Zeit abzuschmettern,<br />

ist die neue Art von „political correctness“,<br />

die gern als Weichspüler<br />

und Tarnkappe verwendet wird.<br />

Die ostdeutschen Unternehmerverbände<br />

möchten sich da nicht<br />

eingliedern. Sie wollen quicklebendig<br />

bleiben. Unbequem zu sein<br />

heißt meist auch, neue Ziele zu formulieren<br />

und so manchem Politiker,<br />

auch mancher Politikerin, auf<br />

die Füße zu treten. Denn sie sind<br />

für uns da, nicht umgekehrt! Im<br />

Großen wie im Kleinen. Stellen<br />

wir uns ruhig öfter mal die Frage,<br />

wenn wieder von Alternativlosigkeit<br />

die Rede ist: Wohin geht es?<br />

Wem nützt es? Ich wünsche uns<br />

viel Erfolg beim Gegen den Strom<br />

Schwimmen und eine glückliche<br />

Hand.<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


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32 innovation+tradition<br />

Maritimer Denkwandel<br />

Veränderungsdruck ist am größten, wenn er existenziell<br />

wird. Das haben die Beschäftigten der maritimen<br />

Industrie in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern schon mehrfach<br />

erfahren müssen. Nach den jüngsten Werftpleiten steht<br />

die Branche vor einem gravierenden Wandel.<br />

Baudock in<br />

Wismar: Voll<br />

ausgelastet.<br />

Der Flaggenwechsel Ende Februar<br />

dieses Jahres auf <strong>dem</strong><br />

nagelneuen Küstenwachschiff<br />

KBV 033 für die schwedische<br />

Coast Guard fühlte sich an<br />

wie immer. Eine normale Ablieferung<br />

eines Schiffneubaus auf<br />

Von Thomas Schwandt<br />

der Wolgaster Peene-Werft. Doch<br />

die Übergabe war keine von den<br />

so vielen davor an <strong>dem</strong> traditionsreichen<br />

Werftstandort. KBV 033<br />

geht in die 65-jährige Geschichte<br />

der Peene-Werft ein als der erste<br />

Auftrag, der nach der Insolvenz<br />

der P+S-Werften neu gewonnen<br />

und abgeschlossen wurde.<br />

Ende August 2012 hatte der Werftenverbund<br />

P+S sich zahlungsunfähig<br />

gemeldet. Trotz eines<br />

Auftragsvolumens von gut einer<br />

Milliarde Euro in den Büchern. Erkauft<br />

mit zum Teil äußerst niedrigen<br />

Preisangeboten konnte der<br />

Auftragsberg die Spätfolgen der<br />

tiefen Schiffbaukrise vom Herbst<br />

2008 nicht kaschieren. Zumal es<br />

ein „weiter so“ auch nach der Fusion<br />

der Stralsunder Volkswerft<br />

und des Schiffbaubetriebes an<br />

der Peene zum P+S-Werftenverbund<br />

Mitte 2010 nicht geben<br />

konnte. Zwar war erkannt worden,<br />

dass für die maritime Industrie<br />

in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern<br />

(MV) nur noch Spezialschiffbau<br />

und der Offshore-Bereich eine Zu-<br />

Fotos: Thomas Schwandt<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


innovation+tradition 33<br />

Gegenwärtig<br />

wird die<br />

Volkswerft in<br />

Stralsund<br />

„warm gehalten“.<br />

kunftschance boten. Dem Werftmanagement<br />

war es jedoch nicht<br />

gelungen, die betrieblichen Strukturen<br />

den neuen Erfordernissen<br />

schnell und umfassend anzupassen.<br />

Gegenwärtig wird die Volkswerft<br />

in Stralsund „warm gehalten“,<br />

wie Axel Schulz, Bevollmächtigter<br />

des Insolvenzverwalters,<br />

es nennt. Die eigens gegründete<br />

Schiffbaugesellschaft Stralsund<br />

baut am Standort für die dänische<br />

Reederei DFDS zwei RoRo-<br />

Spezialfrachter zu Ende. Die Suche<br />

nach einem Investor für die<br />

Volkswerft läuft derweil weiter<br />

auf Hochtouren. Schulz sieht die<br />

größten Chancen für den Fortbestand<br />

des Schiffbaubetriebes am<br />

Sund „im Offshore-Sektor der Ölund<br />

Gas-Industrie“. Hier gebe es<br />

weltweit einen wachsenden Bedarf<br />

nach Service- und Spezialschiffen.<br />

Es sei nach seiner Ansicht<br />

der einzige maritime Markt,<br />

der „noch gut in Form ist“. Bis dato<br />

lägen aber noch keine konkreten<br />

Kaufangebote für die Volkswerft<br />

vor.<br />

In Wolgast herrscht indes „Zuversicht“,<br />

versichert der <strong>Vor</strong>sitzende<br />

des Betriebsrates Carsten<br />

Frick. Die Bremer Lürssen Werft<br />

übernimmt zum 1. Mai dieses Jahres<br />

die Peene-Werft mit zunächst<br />

rund 285 Mitarbeitern plus 61<br />

Auszubildenden. <strong>Vor</strong> der Insolvenz<br />

waren dort 520 Schiffbauer<br />

beschäftigt. Durch die langjährige<br />

Zugehörigkeit zur Hegemann-<br />

Gruppe kennen die Wolgaster<br />

Schiffbauer „die Bremer Mentalität“.<br />

Wie Lürssen ist die Peene-<br />

Werft fokussiert auf Marine- und<br />

Behördenboote sowie Spezialschiffe.<br />

Frick bringt es auf den<br />

Punkt: „Der Schiffbau bei uns<br />

wird sich auf das beschränken,<br />

was in Asien nicht geht.“<br />

Für die maritime Industrie in<br />

MV bedeutet ein schrumpfender<br />

Schiffbau nicht adäquat das Aus.<br />

Auch wenn die Zahlen einen herben<br />

Einbruch des Industriepotenzials<br />

belegen. 2005 erwirtschafteten<br />

die Werften und die<br />

Axel Schulz<br />

Bevollmächtigter des<br />

Insolvenzverwalters<br />

P+S-Werften<br />

Carsten Frick<br />

Betriebsratschef<br />

der Peene-Werft<br />

maritimen Zulieferer im Land einen<br />

Jahresumsatz von zwei Milliarden<br />

Euro. Dieses Volumen hat<br />

sich bis dato halbiert. „Die Zeiten,<br />

in denen sich auf den Werften alles<br />

um möglichst viel Stahldurchsatz<br />

drehte, sind endgültig passé“,<br />

beschreibt Manager Schulz den<br />

Denkwandel. Es seien keine Stan-<br />

Ende Februar<br />

nach Schweden<br />

geliefert,<br />

das Küstenwachschiff<br />

KBV 033.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


34 innovation+tradition<br />

Die Volkswerft<br />

hat<br />

Erfahrung mit<br />

<strong>dem</strong> Bau<br />

v o nO ff s h o r e -<br />

Spezialschiffen<br />

wie diesem<br />

Ankerziehschlepper.<br />

dardlösungen mehr gefragt. Für<br />

die Unternehmen wird das entscheidende<br />

Kriterium zum Überleben<br />

ihre Innovationskraft sein.<br />

Eine Ansicht, die Reinhart Kny,<br />

Geschäftsführer der Rostocker<br />

IMG-Group, teilt. Sein Untenehmen<br />

mit 240 Mitarbeitern ist spezialisiert<br />

auf eigene Systemlösungen<br />

für die maritime und Maschinenbauindustrie.<br />

„Jedes künftig in<br />

Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern projektierte<br />

und gebaute Schiff wird<br />

ein Unikat sein.“ Darauf hätten<br />

sich auch die mehr als 300 maritimen<br />

Zuliefer-, Ausrüstungs- und<br />

Servicefirmen zwischen Wolgast<br />

und Wismar einzustellen. „Im Offshore-Bereich<br />

etwa sind hohe Qualitäts-<br />

und Sicherheitsstandards zu<br />

erfüllen. Entsprechend müssen in<br />

den Betrieben die Fertigungstechnologien<br />

flexibilisiert und qualifiziert<br />

werden“, zeigt Kny den alternativlosen<br />

Weg aus der Krise auf.<br />

Dieser wird bereits auf den Werften<br />

von Nord Yards in Wismar<br />

und Warnemünde konsequent beschritten.<br />

Gleich drei riesige Offshore-Konverterplattformen<br />

werden<br />

dort zurzeit gebaut. Nach <strong>dem</strong><br />

abrupten Aus für den Containerschiffbau<br />

hat sich Nordic Yards auf<br />

Offshore-Projekte fokussiert und<br />

sich binnen kurzer Zeit ein neues<br />

lukratives Geschäftsfeld in der<br />

maritimen Wirtschaft erschlossen.<br />

Die Konverter werden künftig<br />

in Offshore-Windparks in der<br />

Nordsee zum Einsatz kommen,<br />

wo sie den auf hoher See erzeugten<br />

Windstrom von Wechsel- in<br />

Gleichstrom wandeln, damit dieser<br />

verlustarm zur Küste übertragen<br />

werden kann. Kürzlich hatte<br />

Nordic Yards einen weiteren Auftrag<br />

zum Bau eines solchen speziellen<br />

Umspannwerks für den<br />

französischen Alstom-Konzern<br />

erhalten. Das Konstrukt wird die<br />

Höhe eines elfstöckigen Hauses<br />

haben und 85 Mal schwerer sein<br />

als ein Airbus A380.<br />

Von aktuell nur sieben weltweit<br />

im Bau befindlichen Offshore-<br />

Konverterplattformen entstehen<br />

allein vier bei Nordic Yards. Damit<br />

ist die Werft in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern<br />

zum Weltmarktführer<br />

aufgestiegen. <br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


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36 innovation+tradition<br />

Plasma-Pflaster für<br />

chronische Wunden<br />

Wissenschaftler des INP Greifswald und Mediziner des<br />

Klinikums Karlsburg entwickeln gemeinsam innovative<br />

Medizintechnik. Mit einem neuartigen Plasma-Verfahren<br />

wollen sie die schwierige Heilung von großflächigen<br />

Wunden beschleunigen.<br />

Von Anette Pröber<br />

Wunden sind eine schmerzhafte<br />

Erfahrung. Ein verunglückter<br />

Schnitt mit<br />

<strong>dem</strong> Küchenmesser etwa kann<br />

schnell eine kleine blutende Wunde<br />

verursachen. Zur Versorgung<br />

reicht meist ein Pflaster. Doch<br />

was, wenn Wunden großflächig<br />

sind und nicht heilen? Auch über<br />

mehrere Wochen hinweg nicht.<br />

Ursachen für solche chronischen<br />

Wunden, wissen Mediziner, können<br />

sehr komplex sein. Betroffen<br />

sind vor allem ältere und bettlägerige<br />

Menschen sowie Zuckerkranke.<br />

In Deutschland wird von<br />

ca. vier Millionen Menschen ausgegangen.<br />

Jährlich werden 30.000<br />

Amputationen notwendig, was<br />

sechs Milliarden Euro Behandlungskosten<br />

verursacht, schätzen<br />

Wundexperten.<br />

Die Wissenschaftler des Greifswalder<br />

Leibniz-Institutes für Plasmaforschung<br />

und Technologie<br />

e. V. (INP) fühlen sich durch diese<br />

Fakten in ihrer jüngsten Arbeit<br />

bestätigt. Seit 2004 erproben sie<br />

die Wirkungen von kaltem Plasma<br />

bei der Wundheilung. Sie sind<br />

hoffnungsvoll, dass sie das „Plasma-Pflaster“<br />

gefunden haben, das<br />

Bakterien, Keime und Pilze in<br />

Wunden bekämpft und die Heilung<br />

um ein Vielfaches beschleunigt.<br />

„Für Diabetiker wäre ein stimulierendes<br />

Wundheilmittel ein enormer<br />

Fortschritt“, sagt Prof. Wolf-<br />

Fotos: INP Greifswald/ Anette Pröber<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


innovation+tradition 37<br />

gang Kerner, Direktor der Klinik<br />

für Stoffwechselerkrankungen<br />

und Diabetes am Klinikum Karlsburg.<br />

Häufig kommen Patienten<br />

mit diabetischem Fußsyndrom<br />

und schwersten Komplikationen<br />

in die vorpommersche Klinik.<br />

Leider würden Infektionen in<br />

den Gliedmaßen von Patienten<br />

und Hausärzten oft unterschätzt,<br />

meint Prof. Kerner. Eine Amputation<br />

lasse sich dann selten noch<br />

verhindern.<br />

Das diabetische Fußsyndrom ist<br />

eine der häufigsten und schwersten<br />

Folgeerkrankungen des Diabetes.<br />

„25 Prozent aller Diabetiker<br />

entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung<br />

solche Fußläsionen, für die<br />

Nervenschädigungen und Durchblutungsstörungen<br />

die Hauptursachen<br />

sind.“ Laut Prof. Kerner werden<br />

in Karlsburg jährlich rund 200<br />

Patienten mit ambulant nicht beherrschbaren<br />

diabetischen Fußläsionen<br />

betreut.<br />

Eine neuartige Möglichkeit, Wunden<br />

schneller zu heilen, verheißt<br />

das Plasma. Es ist ein Stoff, der<br />

primär nichts mit Medizin zu<br />

Diabetiker sind häufig von<br />

chronischen Wunden betroffen.<br />

tun hat. Es ist der vierte Aggregatzustand,<br />

den Materie neben<br />

<strong>dem</strong> festen, flüssigen und gasförmigen<br />

annehmen kann. Dazu ist<br />

Energie nötig. Trifft diese in Form<br />

elektromagnetischer Strahlung<br />

auf Gas-Atome oder -Moleküle,<br />

lösen sich bei hoher Temperatur<br />

Elektronen aus <strong>dem</strong> Verbund. Die<br />

Energiezufuhr lässt sich jedoch so<br />

dosieren, dass „kaltes Plasma“ entsteht,<br />

wie es schon in Leuchtstoffröhren<br />

genutzt wird. Die Wirkungen<br />

der Plasmaflamme, die nicht<br />

wärmer als die Körpertemperatur<br />

Das Plasma<br />

verheißt eine<br />

neuartige<br />

Möglichkeit,<br />

Wunden<br />

schneller zu<br />

heilen.<br />

ist, sind erstaunlich. Bei entsprechender<br />

Dosis, wiesen die Physiker<br />

und Biologen nach, schädigt<br />

sie Mikroorganismen wie Bakterien,<br />

Keime und Pilze. Indes seien<br />

die menschlichen Zellen nicht<br />

gefährdet. Die Greifswalder Forscher<br />

konnten in einer Laborstudie<br />

mit lebenden Zellkulturen zu<strong>dem</strong><br />

nachweisen, dass Plasma die<br />

Bildung von neuem Gewebe in einer<br />

Wunde anregen kann.<br />

Ein revolutionäres Pflaster scheint<br />

in greifbarer Nähe. INP-Direktor<br />

Klaus-Dieter Weltmann ist zuversichtlich,<br />

dass die ersten Plasmageräte<br />

zur medizinischen Behandlung<br />

bald anwendungsreif sind.<br />

Aber bis dahin sind intensive klinische<br />

Studien und Tests notwendig.<br />

„Wir wollen die Wirkungen<br />

des Plasmas ganz genau verstehen.“<br />

Im Klinikum Karlsburg stehen<br />

die Mediziner der Mitwirkung<br />

auf <strong>dem</strong> jungen Arbeitsgebiet und<br />

am Projekt aufgeschlossen gegenüber.<br />

Prof. Wolfgang Motz, Ärztlicher<br />

Direktor des Herz- und Diabeteszentrums<br />

Karlsburg, hat<br />

Ende 2012 den Neubau eines Diabetes-Innovationszentrums<br />

auf<br />

<strong>dem</strong> Campus angekündigt. „Wir<br />

werden die Zusammenarbeit<br />

mit wissenschaftlichen Einrichtungen<br />

verstärken, um innovative<br />

Technik zu erproben und wissenschaftlich<br />

zu evaluieren. Die<br />

Plasmamedizin bei der Wundheilung<br />

ist eines der herausragenden<br />

Themen.“ Wissenschaft und<br />

Gesundheitsbranche werden eng<br />

verzahnt, um neue Hightech-Produkte<br />

zügig zur Marktreife zu führen.<br />

Neben der Wundheilung verspricht<br />

die Plasma-Therapie einen<br />

vielfältigen Einsatz, etwa bei<br />

der Dekontamination und Sterilisation<br />

von Oberflächen, Materialen<br />

und Produkten aus Kunststoff,<br />

von OP-Bestecken und Implantaten.<br />

<br />

Diabetiker<br />

werden mit<br />

moderner<br />

Medizintechnik<br />

behandelt.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


38 innovation+tradition<br />

Kapitaler Kraftakt<br />

Berlin boomt. Die Stadt wird<br />

kreativer, hat die schillerndste<br />

Gründerszene und rüstet digital<br />

weiter auf. Nun entdecken Senat<br />

und Wirtschaft auch die gute alte<br />

Industrie neu und wollen sie mit<br />

einem Masterplan wiederbeleben<br />

– ein kapitaler Kraftakt.<br />

Von Steffen Uhlmann<br />

Forschen<br />

für die<br />

Zukunft im<br />

Technologiepark<br />

Berlin<br />

Adlershof.<br />

Hinter <strong>dem</strong> blauen <strong>Vor</strong>hang<br />

röhrt es bedrohlich. Eine<br />

Sirene erschallt, der <strong>Vor</strong>hang<br />

fällt und gibt den Blick auf<br />

den dröhnenden Laster frei, auf<br />

dessen Ladefläche die erste Straßenbahn<br />

steht, die der Schweizer<br />

Bahntechnik-Hersteller Stadler<br />

in seinem neuen Montagewerk<br />

in Berlin-Hohenschönhausen zusammengebaut<br />

hat. 300 weitere<br />

Arbeitsplätze haben die Schweizer<br />

mit ihrer jüngsten Investition<br />

geschaffen. Sie kommen zu<br />

den über 800 Stellen hinzu, die<br />

Stadler in seinen drei alten Berliner<br />

Werken bereits unterhält –<br />

eine Erfolgsgeschichte für die industriearme<br />

Hauptstadtregion,<br />

die <strong>dem</strong>nächst noch weitere Kapitel<br />

erhalten könnte. Denn Berlin<br />

und das benachbarte Brandenburg<br />

entwickeln sich langsam zu<br />

einem Zentrum für Schienenverkehrstechnik<br />

und knüpfen damit<br />

an alte Zeiten an. Bereits im 19.<br />

Jahrhundert machten Industrielle<br />

und Erfinder wie August Borsig<br />

die Region zum Kreativort des Lokomotivbaus.<br />

Hier wurde die erste<br />

elektrische Bahn der Welt auf die<br />

Schienen gestellt.<br />

Doch mit <strong>dem</strong> zweiten Weltkrieg<br />

schalteten die Signale auf Rot für<br />

die Branche. Nach ihrem Einzug in<br />

Berlin baute die Rote Armee ganze<br />

Produktionsanlagen ab. Zugleich<br />

verlegten Konzerne ihre Standorte<br />

nach Westdeutschland. Jetzt aber<br />

hat die Branche den traditionsreichen<br />

Standort wiederentdeckt.<br />

Bombardier Transportation, einer<br />

der größten Bahntechnikhersteller<br />

der Welt, hat schon vor Jahren<br />

seine Zentrale in Berlin angesiedelt<br />

und betreibt in Hennigsdorf<br />

bei Berlin eines seiner leistungsstärksten<br />

Werke. Auch Konkurrent<br />

Siemens ist in Berlin mit seiner<br />

Konzernsparte »Mobility«<br />

vertreten. Und neben Stadler unterhalten<br />

kleinere Bahntechnikspezialisten<br />

Werke in der Hauptstadtregion.<br />

Insgesamt zählt die<br />

Bahnbranche in der Region 115<br />

Unternehmen mit 20. 000 Arbeitsplätzen.<br />

»Berlin hat noch andere gute Geschichten<br />

zu erzählen«, sagt die<br />

neue Wirtschaftssenatorin Cornelia<br />

Yzer (CDU) und ist sich sicher:<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


innovation+tradition 39<br />

1920 war jeder<br />

zehnte deutsche<br />

Industriearbeitsplatz<br />

in Berlin<br />

angesiedelt.<br />

»Die Aufholjagd hat begonnen,<br />

wenn auch auf niedrigem Niveau.«<br />

Die Jagd ist trotz<strong>dem</strong> ein kapitaler<br />

Kraftakt für die Hauptstädter, die<br />

mit <strong>dem</strong> vom Senat aufgelegten<br />

»Masterplan Industriestadt Berlin<br />

2010–2020« ein Stück zu ihren<br />

Wurzeln zurück wollen. Noch<br />

vor 100 Jahren war Berlin mit etwa<br />

600.000 Beschäftigten die größte<br />

Industriestadt zwischen Paris und<br />

Moskau. Dafür gesorgt hatten neben<br />

Borsig solche Erfinder und<br />

Unternehmer wie Werner von Siemens,<br />

der im Alter von 31 Jahren<br />

zusammen mit <strong>dem</strong> Universitätsmechaniker<br />

Johann Georg Halske<br />

vor fast genau 165 Jahren in Berlin<br />

die »Telegraphen-Bauanstalt von<br />

Siemens & Halske« gründete. Damit<br />

legten sie den Grundstein für<br />

Siemens fertigt in Berlin Gasturbinen.<br />

ein Unternehmen, das aus einer<br />

kleinen Hinterhofwerkstatt über<br />

Jahrzehnte hinweg zu einem der<br />

bekanntesten deutschen Weltkonzerne<br />

aufstieg. Siemens ist<br />

trotz vieler Konzentrationsprozesse<br />

noch immer größter industrieller<br />

Arbeitgeber in Berlin.<br />

Noch 1920 war jeder zehnte deutsche<br />

Industriearbeitsplatz in Berlin<br />

angesiedelt. Spätestens nach<br />

<strong>dem</strong> Zweiten Weltkrieg aber begann<br />

der Abstieg der fortan zweigeteilten<br />

Industriemetropole, der<br />

sich nach der deutschen Einheit<br />

massiv fortsetzte. Die bis dato<br />

hochsubventionierten Werkbänke<br />

West überlebten die Wende<br />

genauso wenig wie die zumeist<br />

maroden Industriekombinate im<br />

Osten der Stadt. Schließlich hatte<br />

die Bundesregierung in Erwartung<br />

der vielfach prophezeiten<br />

Wirtschaftsdynamik die Subventionen<br />

drastisch gekürzt, die noch<br />

bis zum Mauerfall die Industrie<br />

auf der „Insel Westberlin“ künstlich<br />

am Leben erhalten hatte. Unternehmen<br />

bauten dramatisch<br />

Arbeitsplätze ab, schlossen ihre<br />

Berliner Werke ganz oder gingen<br />

sogar in Konkurs. Den Ostteil traf<br />

Berliner Trends<br />

Gründer-Hauptstadt: Nirgendwo in Deutschland werden<br />

so viele Gewerbe pro 10.000 Erwerbspersonen angemeldet<br />

wie in Berlin. 2011 waren das 48.715. Zieht man die<br />

Abmeldungen (2011: 33.797) ab, bleibt immer noch ein<br />

kräftiger Überschuss.<br />

Digitaler Boom: Der Megacluster »Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie, Medien, Kreativwirtschaft«<br />

wächst in Berlin am stärksten. Allein in diesem Bereich<br />

sind 2011 mit etwa 2.500 Stellen rund die Hälfte aller<br />

neuen Arbeitsplätze entstanden, darunter 1.500 in der<br />

digitalen Wirtschaft.<br />

Pleiten-Geschehen: Berlins Wirtschaft wird robuster.<br />

Im Krisenjahr 2012 ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen<br />

gegenüber <strong>dem</strong> Jahr zuvor um mehr als sieben<br />

Prozent gesunken. Mithin gab es 1.280 Firmenpleiten –<br />

100 weniger als 2011.<br />

es noch schlimmer. Hier haben<br />

die schnelle Privatisierung und<br />

der Verzicht auf eine sorgsame<br />

Sanierung von Betrieben durch<br />

die Treuhandanstalt vielen kleine<br />

und große Unternehmen das<br />

Leben gekostet. Übrig blieb eine<br />

industrielle Diaspora mit zwischenzeitlich<br />

nicht einmal mehr<br />

100.000 Beschäftigten. 1991 waren<br />

es in beiden Teilen der Stadt<br />

immerhin noch 315.000 gewesen.<br />

Jetzt aber hat Berlin Pläne – viele:<br />

einen Masterplan für die weltberühmte<br />

Museumsinsel, einen für<br />

den Aufstieg zu Europas führender<br />

Gesundheitsregion, den Plan<br />

zum deutschen Wissenschaftsstandort<br />

Nummer eins, inklusive<br />

einer »Transfer-Allianz«, die Forschungseinrichtungen<br />

mit Unternehmen<br />

stärker zusammenspannen<br />

will. Nun auch noch den<br />

Masterplan für die Industrie. Und<br />

der ist bemerkenswert für Berlins<br />

emsige Planwirtschaftler. Schließ-<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


40 innovation+tradition<br />

Blick in die<br />

Straßenbahnfertigung<br />

von<br />

Stadler in<br />

Hohenschönhausen.<br />

lich hieß die Parole des Senats lange<br />

Zeit: Industrie war gestern, die<br />

Zukunft heißt Dienstleistungsmetropole<br />

Berlin. Jetzt aber hat sich<br />

bei der Politik mehr und mehr die<br />

Erkenntnis durchgesetzt, dass<br />

Berlin nicht allein vom »Haare<br />

schneiden« leben kann und die<br />

Hauptstadt neben Tourismus, Medien-<br />

oder Kreativwirtschaft auch<br />

weiterhin Industrie braucht. Immerhin<br />

hängen an je<strong>dem</strong> industriellen<br />

Arbeitsplatz mindestens<br />

zwei weitere Stellen im Dienstleistungsgewerbe.<br />

»Das einstige Volumen an Industriearbeitsplätzen<br />

kommt vermutlich<br />

nie wieder«, glaubt Jan Eder,<br />

Hauptgeschäftsführer der Berliner<br />

Industrie- und Handelskammer<br />

(IHK). Aber eine Verdopplung<br />

der derzeit vorhandenen knapp<br />

106.000 Industriejobs sei durchaus<br />

drin. Gute Ansätze dafür gibt<br />

es. Seit 2003 wächst die Bruttowertschöpfung<br />

der Industrie wieder.<br />

Und dass Berlin seit einigen<br />

Jahren das höchste Wirtschaftswachstum<br />

im Bundesvergleich<br />

abliefert, ist auch der Industrie<br />

zu verdanken. Berlin schlägt 2013<br />

Berlin erwartet<br />

2013 ein doppelt<br />

so starkes<br />

wirtschaftliches<br />

Wachstum wie<br />

für den Bund<br />

prognostiziert.<br />

genauso wie im <strong>Vor</strong>jahr den Rest<br />

der Republik: Die Hauptstadt wird<br />

aller <strong>Vor</strong>aussicht nach in diesem<br />

Jahr mit einem Plus von 1,5 Prozent<br />

ein doppelt so starkes Wachstum<br />

wie der Bund erreichen.<br />

Ungeachtet dieser aktuellen Zahlen<br />

sprechen zwei Gründe dafür,<br />

dass es mit <strong>dem</strong> industriellen Wiederaufstieg<br />

klappen könnte. Zum<br />

einen hat sich Berlins Industrie<br />

in gewissem Sinne neu erfunden,<br />

zum anderen sind die Unternehmen,<br />

bei allen noch vorhandenen<br />

Rückständen, innovativer und damit<br />

konkurrenzfähiger geworden.<br />

Eine Studie der Unternehmensberatung<br />

McKinsey prophezeit für<br />

Berlin bis zum Jahr 2020 eine halbe<br />

Million neue Arbeitsplätze –<br />

vorausgesetzt, dass neben den<br />

laufenden Jobmotoren Tourismus,<br />

Dienstleistungen, IT und Medien<br />

zusätzlich neue industrielle Wirtschaftskerne<br />

entstünden.<br />

Keine Frage, ein kapitaler Kraftakt<br />

steht vor Berlin, der zumindest an<br />

einigen Orten in der Stadt bereits<br />

deutliche Ergebnisse zeitigt. So in<br />

Berlin-Adlershof, wo mit Hilfe von<br />

mindestens 1,3 Milliarden Euro<br />

öffentlicher Gelder Deutschlands<br />

leistungsstärkster Industrie- und<br />

Wissenschaftspark entstand – mit<br />

inzwischen fast 1. 000 Unternehmen,<br />

Hochschul- und Forschungseinrichtungen,<br />

die über 15.000<br />

Mitarbeiter beschäftigen. Nach<br />

<strong>dem</strong> Adlershofer Modell soll auch<br />

das Gelände des Flughafens Tegel<br />

entwickelt werden, wenn Tegel im<br />

nächsten Jahr geschlossen wird.<br />

Das aber steht in den Sternen, solange<br />

der Starttermin für den neuen<br />

Flughafen BER in Schönefeld<br />

offen bleibt. Sicher ist bislang nur,<br />

dass nichts sicher ist – weder Termin<br />

noch Kosten für das Milliardenprojekt.<br />

Berlin bleibt trotz industriellem<br />

Aufschwung in den letzten Jahren<br />

ein schwieriger Fall. Es geht<br />

in der industriellen Szenerie auf<br />

und ab: hier die Stadler-Investition,<br />

dort Pläne des weltweit führenden<br />

Verpackungsmittelherstellers<br />

Tetra Pak, sein Berliner Werk mit<br />

knapp 200 Beschäftigten zum Jahresende<br />

zu schließen. Und auch<br />

Siemens wird im Rahmen seines<br />

weltweiten Kostensparprogramms<br />

in der Stadt, wo alles für den Konzern<br />

anfing, Stellen streichen.<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


Chefsache im 24. Jahrgang<br />

Abo zu bestellen unter: www.wundm.info


42 ideen+impulse<br />

Der Marathonläufer<br />

Karl Gries privatisierte 1991 gegen den Willen der Treuhand<br />

die Chemnitzer Strickmoden Bruno Barthel GmbH<br />

und trieb seither mit langem Atem das selbst kreierte<br />

Label MaxiMo zur europäischen Marktführerschaft bei<br />

hochwertigen Kindermoden. Von Harald Lachmann<br />

Strickt am<br />

Erfolg: Textil-<br />

unternehmer<br />

Karl Gries.<br />

Der Kopf ist, was die Abmessungen<br />

betrifft, das komplizierteste<br />

Körperteil“, beteuert<br />

Karl Gries. Anders ausgedrückt:<br />

Wer sich an Kopfbedeckung versucht,<br />

wagt sich an die hohe Schule<br />

der Bekleidungsbranche. Gries lächelt<br />

selbstbewusst: „Unsere Mützen<br />

passen!“ Das bekam er kürzlich<br />

wieder in Florenz bestätigt<br />

– auf der „Pitti Immagine Bimbo“,<br />

der Weltleitmesse für Kindermode.<br />

Dort waren nicht die italienischen<br />

Edelmarken die größten<br />

Aussteller, sondern die Sachsen<br />

aus Chemnitz. „Wir sind im hochwertigen<br />

Segment von Kopfbedeckungen<br />

und Strickwaren für Kinder<br />

die Nummer 1 in Deutschland<br />

und in Europa.“<br />

Gries hat in den zurückliegenden<br />

zwei Jahrzehnten nichts <strong>dem</strong><br />

Zufall überlassen. Er sei „extrem<br />

ehrgeizig“, sagt er über sich selbst.<br />

Tagelang hat er zum Beispiel über<br />

einem markigen Label gebrütet.<br />

Es sollte auf das Metier verweisen,<br />

auch für Kinder aussprechbar sein<br />

und gut klingen. Die kreierte Marke<br />

MaxiMo wird hin und wieder<br />

gar für eine italienische gehalten.<br />

Unter <strong>dem</strong> Logo existiert inzwischen<br />

eine ganze Markenfamilie:<br />

MaxiMo, MaxiTeens, MaxiSports,<br />

MaxiMo Mini, MaxiMo for babies,<br />

MXO…<br />

Auf der Kundenliste der Chemnitzer<br />

finden sich heute über 3.000<br />

Fachhändler in 41 Ländern. Gut<br />

45 Prozent der Produktion werde<br />

im Ausland verkauft, so der studierte<br />

Textilingenieur und Jurist.<br />

Die Barthel GmbH ist ein Phänomen<br />

in der deutschen Textillandschaft.<br />

Von den 86 Unternehmen,<br />

die einst in der DDR Kindermode<br />

produzierten, überlebte nur eins,<br />

die 1991 maßgeblich durch Gries<br />

reprivatisierte Strickmoden Bruno<br />

Barthel GmbH. Seither ging es<br />

mit der geschäftlichen Entwicklung<br />

stetig nach oben. Heute erlöst<br />

Die Kundenliste<br />

der Chemnitzer<br />

umfasst heute<br />

mehr als 3.000<br />

Fachhändler<br />

in 41 Ländern.<br />

die Firma jährlich 17 Millionen<br />

Euro–das 30-fache des Startjahres.<br />

Die Zahl der Mitarbeiter stieg<br />

von knapp siebzig auf derweil 140.<br />

Aus der „exzellenten Mannschaft“<br />

hebt er die Designabteilung hervor,<br />

die jährlich 90Prozentdes 800<br />

Artikel umfassenden Sortiments<br />

erneuere. Das Team an den hoch-<br />

Foto: Harald Lachmann<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


ideen+impulse 43<br />

modernen Flachstrickautomaten<br />

arbeite mit hoher „Effektivität, Arbeitsdisziplin<br />

und Qualität“. Gries<br />

betont die Servicekompetenz seiner<br />

Leute. „Wir haben da unsere<br />

eigene Art.“ Freundlichkeit, Zuverlässigkeit,<br />

Charme, Kundenbezogenheit...<br />

Karl Gries hat das Textilgeschäft<br />

im Eichsfeld-Städtchen Leinefelde<br />

von der Pike auf erlernt. Mit<br />

seiner Frau ging es zum Studium<br />

nach Karl-Marx-Stadt, <strong>dem</strong> heutigen<br />

Chemnitz. Danach begann er<br />

in der Handschuhfabrik in Rabenstein,<br />

die seit 1897 Fingerwärmer<br />

fertigte. Damals zählten sie im<br />

Verbund der Betriebsteile 2.000<br />

Mitarbeiter. Gries wurde im Rabensteiner<br />

Werk später Direktor<br />

für Produktion und Materialwirtschaft.<br />

In der Wende setzte ihn die<br />

Treuhand als Geschäftsführer ein.<br />

Nach den <strong>Vor</strong>stellungen der Behörde<br />

sollte dies ein kurzes Intermezzo<br />

sein. Der Betrieb stand<br />

zur Abwicklung. Doch da spielte<br />

Gries, der Langstreckenläufer,<br />

der schon den Rennsteig-Kanten<br />

und den Marathon „unter drei<br />

Stunden“ lief, nicht mit. „Ich habe<br />

eben immer ein Ziel, eine Zahl, die<br />

Prämissen:<br />

Fertigung in<br />

Deutschland und<br />

hochwertig statt<br />

billig.<br />

ich erreichen will.“ Damals stand<br />

es arg um die Firma. „Wir hatten<br />

definitiv nichts von <strong>dem</strong>, was wir<br />

jetzt brauchten“, erinnert er sich.<br />

„Weder Kunden noch Aufträge,<br />

keine Vertriebsstruktur, keine<br />

Einkaufskanäle, null Kontakte<br />

und auch keine zeitgemäße Technik.“<br />

Nur „unendlich motiviert“<br />

seien alle gewesen.<br />

Für die ersten drei Monate auf eigene<br />

Rechnung sagten die schwäbischen<br />

Firmenerben die Gehälter<br />

zu. Doch Risiko, Initiative und<br />

sonstiges Geschick lasteten von<br />

Beginn an auf Karl Gries. Im Gegenzug<br />

kann er bis heute jeden erwirtschafteten<br />

Euro im Unternehmen<br />

belassen.<br />

Die ersten vier modernen Flachstrickmaschinen<br />

jedoch erwarb<br />

Gries in Aachen praktisch ohne<br />

Geld. Mit Charisma, Geschick<br />

und Visionen überzeugte er seine<br />

Gesprächspartner. Und dann<br />

kam 1994 auch das notwendige<br />

Glück dazu. Ein Wirtschaftsprüfer<br />

hatte bereits empfohlen, den<br />

Laden dicht zu machen, da landete<br />

Gries in Essen den ersten dicken<br />

Auftrag. Karstadt orderte für<br />

100.000 D-Mark. Bedingung: Lieferung<br />

binnen zwei Wochen. Die<br />

Chemnitzer lieferten!<br />

Der Deal brachte die nötige Liquidität<br />

für neue Kollektionen,<br />

neue Absatzfelder, neue Maschinen.<br />

Die Barthel GmbH liefert heute<br />

bis nach China und Russland.<br />

Mit <strong>dem</strong> Erfolg wuchs der Betrieb.<br />

Erst wurde in Rabenstein erweitert,<br />

dann in Chemnitz komplett<br />

neu gebaut. Vom ersten Tag hielt<br />

sich Gries an zwei Prämissen: Nur<br />

hochwertige Kollektionen statt<br />

Billigschiene sowie Fertigung in<br />

Deutschland.<br />

Der 66-Jährige hat inzwischen seinen<br />

Nachfolger Thomas Merk eingearbeitet.<br />

Dieser stammt nicht<br />

aus der Familie. Denn seine beiden<br />

Söhne hatten kein Interesse.<br />

Künftig will Gries viel reisen. Zusammen<br />

mit seiner Frau, die sich<br />

schon sehr darauf freut. „Ich bin<br />

zwar schon durch die ganze Welt<br />

geflogen, im Grunde habe ich aber<br />

nie anderes als Messestände und<br />

Verkaufsbüros gesehen“, blickt<br />

der Marathonläufer auf seine Strecke<br />

zurück.<br />

Schick in Strick -<br />

aus der Kollektion<br />

der Chemnitzer.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


44 frauen+führung<br />

Engagierter Pflege-Fall<br />

Aus <strong>dem</strong> steigenden Bedarf in der Pflege älterer und<br />

hilfsbedürftiger Menschen ist längst ein Geschäftsfeld<br />

erwachsen. Die Rostocker Unternehmerin Iris Tschischke<br />

hatte den Mut, sich mit privat geführten Pflegeheimen<br />

eine eigene Existenz aufzubauen. Von Anette Pröber<br />

Versuchen Sie es. Die Füße<br />

tragen Sie.“ Pflegeheimleiterin<br />

Iris Tschischke macht<br />

einer 70-jährigen Bewohnerin<br />

Mut. Diese hat nach einem Beinbruch<br />

den Rollstuhl noch nicht<br />

wieder verlassen und soll mit einer<br />

Therapeutin das Aufstehen<br />

üben. Als Tschischke bemerkt,<br />

dass die ältere Dame sich zurücksacken<br />

lassen will, noch ehe der<br />

erste Fuß den Boden berührt hat,<br />

greift sie ihr beherzt unter die<br />

Arme. „Keine Angst, ich weiß, Sie<br />

können das!“ Und tatsächlich gelingt<br />

es. Die Frau steht, noch etwas<br />

wacklig und sich am Bett festhaltend,<br />

aber sie steht. Die Freude<br />

über den Erfolg ist ihr anzusehen.<br />

Ein schnelles Aufgeben, nein,<br />

das akzeptiert die Rostockerin<br />

Iris Tschischke nicht. Das hat sie<br />

auch für sich nie gelten lassen.<br />

Selbst in nahezu ausweglosen Situationen.<br />

Andere hätten längst<br />

alles hingeschmissen. Damals,<br />

als sie mit Anfang 30 eine Bank<br />

zur Baufinanzierung eines Pflegeheims<br />

suchte und nur Absagen<br />

erhielt. „Die meisten Bankhäuser<br />

haben sich nicht einmal mein<br />

Konzept angehört. Denen war ich<br />

einfach zu jung“, erinnert sich die<br />

heute 45-jährige Unternehmerin.<br />

Natürlich sei sie auch ein wenig<br />

blauäugig gewesen, gibt sie zu.<br />

So ohne Garantien, ohne Versorgungsverträge<br />

von Krankenkassen,<br />

mit einem unausgereiften Architektenentwurf<br />

in der Tasche.<br />

Der Ehemann in der IT-Branche<br />

in Wuppertal und sie, die Ostdeutsche,<br />

die unbedingt in ihrer Heimatstadt<br />

etwas aufbauen wollte.<br />

Sie ließen sich trotz des Gegen-<br />

Die gelernte<br />

Altenpflegerin<br />

wollte endlich<br />

ihr eigenes<br />

soziales Konzept<br />

umsetzen.<br />

Fotos: Anette Pröber<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


frauen+führung 45<br />

windes nicht beirren, sie glaubten<br />

fest an ihr Projekt: Die gelernte<br />

Altenpflegerin wollte endlich<br />

ihr eigenes soziales Konzept umsetzen.<br />

Alten Menschen die letzten<br />

Lebensjahre so angenehm wie<br />

möglich zu gestalten.<br />

Die kleine, schmale Frau lächelt<br />

und blickt aus <strong>dem</strong> Beratungsraum<br />

im „Südhus-Nord“ auf den<br />

schön gestalteten Innenhof des<br />

modernen Klinkerbaus. Es ist das<br />

zweite stationäre Pflegeheim, das<br />

sie inzwischen in Rostock als Unternehmerin<br />

betreibt. 2002 eröffnete<br />

die erste Einrichtung „Südhus“<br />

mit 30 Betten in der Rostocker<br />

Südstadt, 2010 folgte die<br />

zweite mit 70 Betten am anderen<br />

Ende der Stadt, in Toitenwinkel.<br />

Dass ihre Träume wahr wurden,<br />

verdankt die quirlige Frau allein<br />

ihrer Zielstrebigkeit. Unerschrocken<br />

bewarb sie sich bei der Hansestadt,<br />

um in die kommunale<br />

Bedarfsplanung und Förderung<br />

zu gelangen. Pflegeheimplätze<br />

waren Mitte der 90er Jahre nur<br />

wenige vorhanden. Hoffnungen<br />

machten Rathausmitarbeiter ihr<br />

trotz<strong>dem</strong> nicht. Durch ein Los<br />

der „Aktion Mensch“, das sie zufällig<br />

in die Hand bekam, erfuhr<br />

sie dann von der Bank für Sozialwirtschaft<br />

in Berlin. Dort fand<br />

sie die Aufmerksamkeit, die ihr<br />

bislang versagt war. Und vor allem<br />

Menschen, die an sie glaubten.<br />

Sie halfen, ein ordentliches<br />

Finanzierungs- und Unternehmenskonzept<br />

aufzustellen und<br />

die Baupläne zu überarbeiten.<br />

Zwei Jahre Zeit investierten beide<br />

Seiten in die Pläne. Doch dann<br />

kam überraschend die Förderzusage<br />

durch die Hansestadt Rostock<br />

und das Land Mecklenburg-<br />

<strong>Vor</strong>pommern, und es ging plötzlich<br />

alles sehr schnell.<br />

Das „Südhus“ entstand als das erste<br />

private Pflegeheim in der Hansestadt<br />

Rostock. Viel Zeit, um<br />

Zum Konzept<br />

gehört es,<br />

niemanden<br />

ständig im Bett<br />

zu belassen.<br />

den Erfolg zu feiern, blieb nicht.<br />

Iris Tschischke arbeitete von Anfang<br />

an mit, zeigte mit ihrem eigenen<br />

<strong>Vor</strong>bild, wie sie sich Top-Pflege<br />

vorstellt.<br />

Die Plätze des stationären Pflegeheimes<br />

waren sofort belegt. Der<br />

hohe Standard und die gemütliche<br />

Atmosphäre in attraktiver Umgebung<br />

überzeugten. Neben der eigenen<br />

Hausküche und <strong>dem</strong> gemeinsamen<br />

Speisesaal fand sich<br />

auch Platz für eine Bewohnerküche<br />

mit Terrasse. „Wir verstehen<br />

Pflege als Hilfestellung für ein<br />

selbstbestimmtes Leben. Deshalb<br />

beziehen wir die Bewohner aktiv<br />

in die Gestaltung des Tagesablaufes<br />

ein“, sagt Iris Tschischke. Wer<br />

mag, schält Kartoffeln oder backt<br />

den Sonntagskuchen. Zum Konzept<br />

gehört es, niemanden ständig<br />

im Bett zu belassen. Nach der Pflege<br />

werden die Heimbewohner angezogen<br />

und können im Rollstuhl<br />

am Leben teilnehmen.<br />

Derzeit betreuen 23 Mitarbeiter,<br />

darunter 18 Vollzeitarbeitskräfte,<br />

die 30 Pflegeheimbewohner. „Bewusst<br />

suchen wir die hohe Qualität<br />

der Pflege und Betreuung.<br />

Doch unter <strong>dem</strong> Strich muss es<br />

sich auch rechnen“, erklärt die Managerin<br />

Tschischke. So entstand<br />

recht bald der Gedanke, ein größeres<br />

Heim zu bauen, in <strong>dem</strong> die<br />

Abläufe in der Pflege noch besser<br />

zu optimieren sind. Bundesweit<br />

suchte die Rostockerin über eine<br />

Unternehmensberatung nach einem<br />

Investor. „Auch das gestaltete<br />

sich nicht so einfach“, erklärt<br />

die selbstbewusste Frau, die inzwischen<br />

Mutter einer kleinen<br />

Tochter geworden war. Einmal<br />

wurde ihr sogar angeboten, die<br />

fünf Millionen Euro für den Bau<br />

im Koffer vorbeizubringen. Iris<br />

Tschischke lacht: „Vermutlich<br />

Schwarzgeld.“ Schließlich fand<br />

sie den Investor durch eine Empfehlung<br />

„gleich um die Ecke“. Ein<br />

Bauunternehmen der Stadt konn-<br />

Wohlfühl-<br />

Atmosphäre<br />

beim<br />

gemeinsamen<br />

Essen.<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


46 frauen+führung<br />

„Ich fühle mich<br />

wie in einem<br />

Hotel mit einer<br />

zusätzlichen<br />

medizinischen<br />

u n dp fl e g e r i-<br />

schen Betreuung.“<br />

Mensch ärgere<br />

Dich nicht!<br />

Das Spiel<br />

ist beliebter<br />

Freizeitspaß.<br />

te sich für das Projekt erwärmen.<br />

„Es ist wichtig, dass beide Partner<br />

die gleiche Wellenlänge finden<br />

und sich das <strong>Vor</strong>haben einander<br />

zutrauen“, sagt Tschischke. Der<br />

Erfolg spricht für sich, Qualität<br />

und Zahlen stimmen. Beide Häuser<br />

der Südhus GmbH wurden bereits<br />

mit hohen Qualitätssiegeln<br />

geehrt und gelangten auf die Focus-Liste<br />

der Top-Pflegeheime.<br />

Ohne ein<br />

strenges<br />

Zeitregime<br />

funktioniert<br />

auch in den<br />

Südhus-<br />

Pflegeheimen<br />

die Arbeit nicht.<br />

„Ich fühle mich wie in einem<br />

Hotel mit einer zusätzlichen medizinischen<br />

und pflegerischen Betreuung“,<br />

sagt der gewählte Bewohner-Vertreter<br />

Günter Rohloff.<br />

Der 83-Jährige erzählt, dass die<br />

Heimbewohner ihr Leben in allen<br />

Dingen aktiv mitgestalten<br />

können. Er habe den Schritt ins<br />

Pflegeheim nicht bereut. Hier genieße<br />

er soziale Kontakte und sei<br />

auch wieder „mobilisiert“ worden.<br />

Ist Pflege in einem privaten Pflegeheim<br />

überhaupt bezahlbar?<br />

„Wir machen um die Preise kein<br />

Geheimnis, um Missverständnisse<br />

auszuräumen. Sie sind von<br />

je<strong>dem</strong> auf unserer Internetseite<br />

einsehbar. Gegliedert nach Pflegestufen<br />

und Pflegezuschüssen“,<br />

erklärt Tschischke. Wer ca. 4o Jahre<br />

gearbeitet habe und Pflegestufe<br />

2 erhalte, könne die Kosten in der<br />

Regel von der Rente gut bezahlen.<br />

Natürlich werde jeder Interessent<br />

individuell beraten.<br />

Iris Tschischke, die <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>stand<br />

des Verbandes der Unternehmerinnen<br />

in Mecklenburg-<strong>Vor</strong>pommern<br />

angehört, liebt klare Ansagen.<br />

Der interessierte Jobsucher<br />

erfährt bereits auf der Homepage<br />

ihrer Südhus GmbH, wie und in<br />

welchen Zeitabständen sich die<br />

Karriere gestalten wird, wie die<br />

Weiterbildung geplant ist und wie<br />

jeder selbst zu einer höheren Entlohnung<br />

beitragen kann.<br />

Ohne ein strenges Zeitregime<br />

funktioniert auch in den Südhus-<br />

Pflegeheimen die Arbeit nicht.<br />

„Aber alles ist ohne Probleme gut<br />

zu schaffen“, sagt die Chefin. Und<br />

jeder im Haus weiß, dass die kleine<br />

Frau ihnen das vormachen<br />

kann. Denn nicht selten streift<br />

sie das blaue Polo-Shirt mit der<br />

Aufschrift „Pflegefachkraft“ über.<br />

Im Nu ist sie dann eine der fleißigen<br />

Pflegekräfte im Haus, die alten<br />

Menschen den Rücken wäscht<br />

oder ihnen auf die Toilette hilft.<br />

An <strong>dem</strong> pünktlichen Feierabend<br />

hält Iris Tschischke allerdings<br />

fest, um Tochter Antje-Susann<br />

zu betreuen. Der Mann arbeitet<br />

wochentags noch immer in Wuppertal.<br />

„Die Wochenendehe ist in<br />

Ordnung, wir genießen die freien<br />

Tage zu dritt“, sagt sie. In der<br />

Freizeit entspannt sie am Besten<br />

beim Buchsbaumschneiden oder<br />

beim Joggen. In der Regel zieht sie<br />

dreimal die Woche die Laufschuhe<br />

an. Ausdauer und Ehrgeiz gehören<br />

bei Iris Tschischke einfach<br />

dazu. <br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


48 rat+tat<br />

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ZUR SACHE<br />

Attacken aus <strong>dem</strong> Netz<br />

Matthias Salm<br />

Eine neue Idee aus Brüssel sorgt für Unmut<br />

bei deutschen Unternehmen. Die EU-Kommission<br />

will das weltweite Internet sicherer<br />

machen und hat dafür einen Cybersicherheitsplan<br />

sowie einen Kommissionsvorschlag für<br />

eine Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit<br />

entwickelt. Darin enthalten ist eine<br />

Meldepfl icht für Cyber-Attacken<br />

auf Unternehmen.<br />

Betreiber kritischer Infrastrukturen<br />

in bestimmten Bereichen,<br />

genannt werden Finanzdienste,<br />

Verkehr, Energie<br />

und Gesundheitswesen, Betreiber<br />

zentraler Dienste der<br />

Informationsgesellschaft,<br />

hier vor allem App-Stores,<br />

eCommerce-Plattformen, Internet-Zahlungsdienste,<br />

Cloud-Computing,<br />

Suchmaschinen und soziale Netze, sowie öffentliche<br />

Verwaltungen sollen <strong>dem</strong>nach verpfl<br />

ichtet werden, Risikomanagementmethoden<br />

einzuführen. Hacker-Angriffe oder Computerviren<br />

in ihren Kerndiensten sollen die genannten<br />

Betriebe und Behörden dann künftig an<br />

eine öffentliche Stelle melden müssen.<br />

Hintergrund des EU-<strong>Vor</strong>stoßes ist das weltweite<br />

Anwachsen der Cyber-Kriminalität: Nach EU-<br />

Angaben sind etwa 150.000 Computerviren jeden<br />

Tag im Umlauf. 148.000 Computer werden<br />

täglich neu infi ziert. Laut Weltwirtschaftsforum<br />

besteht zu<strong>dem</strong> eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit,<br />

dass es in absehbarer Zeit zu<br />

einem großen Absturz kritischer Informationsinfrastrukturen<br />

kommt. Die Wirtschaft kann<br />

diese Gefahr von Attacken aus <strong>dem</strong> Netz nicht<br />

Die Cyber-Kriminalität<br />

ist weltweit<br />

auf <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>marsch.<br />

Das verunsichert<br />

zunehmend die<br />

Verbraucher.<br />

kalt lassen. Denn jeder öffentlich bekannt gemachte<br />

<strong>Vor</strong>fall lässt die Verbraucher vorsichtiger<br />

handeln. Eine Eurobarometer-Umfrage<br />

ergab 2012, dass 38 Prozent der Internetnutzer<br />

in der EU aufgrund von Sicherheitsbedenken<br />

ihr Verhalten geändert haben: 18 Prozent<br />

sind zurückhaltender geworden, wenn es darum<br />

geht, Waren online zu kaufen. Mehr Skepsis<br />

legen 15% beim Online-Banking an den Tag.<br />

Kein Wunder: Immerhin zwölf% waren bereits<br />

das Ziel von Online-Betrügern.<br />

Betroffen von der geplanten Meldepfl icht wären<br />

Schätzungen zufolge mehr als 40.000 Unternehmen<br />

in der EU. So sehr der ausufernden<br />

Internet-Kriminalität Einhalt zu gebieten<br />

ist, noch scheint das <strong>Vor</strong>haben nicht wirklich<br />

durchdacht: Eine Meldepfl icht schaff t vor allem<br />

einen hohen Verwaltungsaufwand<br />

für das betroffene Unternehmen,<br />

fürchtet die Industrie.<br />

Dabei kommt es vor<br />

allem darauf an, was eigentlich<br />

als relevanter Angriff zu<br />

gelten hat. Liegt die Messlatte<br />

zu niedrig, entsteht auf beiden<br />

Seiten eine wenig hilfreiche<br />

Datenfl ut. Aber auch der<br />

Imageschaden, der mit einer<br />

Meldung einhergehen könnte, treibt die Unternehmen<br />

um. Welche Firma lässt sich schon<br />

gern in die Karten schauen, wenn es um eigene<br />

Sicherheitssysteme und deren Mängel geht?<br />

Hier muss eine sinnvolle Lösung her, die die<br />

Unternehmen nicht an den Pranger stellt. Der<br />

Branchenverband BITKOM schlägt eine freiwillige<br />

Meldung bei absoluter Vertraulichkeit vor,<br />

um sowohl das Image des Unternehmens zu<br />

wahren als auch nicht weitere Hacker auf den<br />

Plan zu rufen. Schließlich sind laut einer BIT-<br />

KOM-Umfrage fast drei Viertel aller deutschen<br />

Unternehmen grundsätzlich dazu bereit, bei<br />

IT-Sicherheitsvorfällen mit den Behörden zusammenzuarbeiten.<br />

Doch da sind leider Zweifel<br />

angebracht, denn mit der Wirksamkeit von<br />

Selbstverpfl ichtungen ist es in der Wirtschaft<br />

ja nicht immer weit gediehen. <br />

PROVIDER<br />

Streit um IP-Daten<br />

Urheberrechte sind häufig ein<br />

Streitfall vor den Gerichten.<br />

Diesmal: Muss ein Provider IP-Adressen<br />

offenlegen? Ja, sagt der Bundesgerichtshof<br />

(BGH). Er hat entschieden,<br />

dass ein Internet-Provider<br />

<strong>dem</strong> Rechtsinhaber in aller Regel<br />

den Namen und die Anschrift derjenigen<br />

Nutzer einer IP-Adresse mitteilen<br />

muss, die ein urheberrechtlich<br />

geschütztes Musikstück unberechtigt<br />

in eine Online-Tauschbörse eingestellt<br />

haben. Geklagt hatte ein<br />

Musikvertriebsunternehmen, <strong>dem</strong><br />

das ausschließliche Recht eingeräumt<br />

wurde, das Musikalbum »Alles<br />

kann besser werden« von Xavier<br />

Naidoo über Online-Tauschbörsen<br />

zu verwerten. Es wollte die Namen<br />

der Nutzer von IP-Adressen wissen,<br />

die einen Titel des Albums zum Herunterladen<br />

angeboten hatten. Die<br />

<strong>Vor</strong>instanzen sahen in <strong>dem</strong> Angebot<br />

eines einzelnen Titels keine Rechtsverletzung<br />

in gewerblichem Ausmaß.<br />

Dieser Einschränkung widersprach<br />

der BGH. Sie diene nicht <strong>dem</strong> Ziel<br />

des Urheberrechtgesetzes, Rechtsverletzungen<br />

im Internet wirksam zu<br />

bekämpfen (BGH, Az. I ZB 80/11). <br />

FILESHARING<br />

Eltern haften nicht<br />

Ein 13-Jähriger betrieb unerlaubtes<br />

Filesharing. Wer haftet?<br />

Der Bundesgerichtshof entschied,<br />

dass die Eltern nicht haften, wenn<br />

sie das Kind über das Verbot einer<br />

rechtswidrigen Teilnahme an<br />

Internettauschbörsen belehrt haben<br />

und keine Anhaltspunkte dafür<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


at+tat 49<br />

ULTIMEDIA MULTIMEDIA MULTIMEDIA<br />

hatten, dass ihr Kind diesem Verbot<br />

zuwiderhandelt. Bei den Beklagten<br />

handelt es sich um ein Ehepaar. Sie<br />

hatten den Internetanschluss auch<br />

ihrem damals 13 Jahre alten Sohn<br />

zur Verfügung gestellt. Nach Ansicht<br />

des BGH (Az. I ZR 74/12) genügen<br />

Eltern ihrer Aufsichtspfl icht über<br />

ein normal entwickeltes 13-Jähriges<br />

Kind, das ihre grundlegenden Gebote<br />

und Verbote befolgt, regelmäßig<br />

bereits dadurch, dass sie das Kind<br />

über das Verbot einer rechtswidrigen<br />

Teilnahme an Internettauschbörsen<br />

belehren. <br />

SMARTPHONES<br />

Beliebter als TV<br />

Der Siegeszug der Smartphones<br />

treibt die Märkte.<br />

Für Smartphones wurde 2012 von<br />

deutschen Konsumenten erstmals<br />

mehr Geld als für TV-Geräte ausgegeben.<br />

Dies hat die Gesellschaft für<br />

Unterhaltungselektronik (gfu) ermittelt.<br />

Der Umsatz mit internetfähigen<br />

Mobiltelefonen kletterte <strong>dem</strong>zufolge<br />

auf 6,8 Milliarden Euro. Der Markt für<br />

Tablet-PCs verdoppelte sich nahezu<br />

auf 1,4 Milliarden Euro. Beide Märkte<br />

trugen wesentlich zum Wachstum in<br />

der Verbraucherelektronik. Dagegen<br />

stagniert das Geschäft mit den klassischen<br />

Fernsehern trotz zahlreicher<br />

technischer Neuerungen. 2012<br />

gaben die Deutschen dafür knapp<br />

sechs Milliarden Euro aus. <br />

ONLINEBANKING<br />

Mehr Sicherheit<br />

Die GFT Technologies AG setzt<br />

auf das Smartphone.<br />

Dazu hat das Unternehmen einen<br />

neuen Sicherheitsstandard entwickelt.<br />

Aktuelle Lösungen, bei denen<br />

Transaktionsnummern per SMS<br />

verschickt werden, bergen Sicherheitsrisiken,<br />

da etwa Schadsoftware<br />

Passwörter auslesen und anschließend<br />

die SMS abfangen kann.<br />

Gängige ChipTAN-Lösungen, bei denen<br />

ein zusätzliches Gerät benötigt<br />

wird, haben hingegen nur eine eingeschränkte<br />

Nutzerfreundlichkeit.<br />

Das Prinzip der neuen Lösung der<br />

GFT Technologies AG: Dem Bankkunden<br />

wird auf <strong>dem</strong> PC-Bildschirm<br />

ein Code angezeigt, den er mit seinem<br />

Smartphone einscannt. Hierfür<br />

muss er lediglich eine App der<br />

Bank starten.<br />

Danach hält er seine Girokarte an<br />

das Smartphone und ihm wird automatisch<br />

die passende TAN zur Verfügung<br />

gestellt, erläutert die GFT-<br />

Gruppe das Verfahren, das mit der<br />

Uni Tübingen entwickelt wurde.<br />

TABLETS<br />

Lösung für Hotels<br />

Hotels sollen ihren Kunden einen<br />

besseren Service anbieten.<br />

Das Berliner Start-up SuitePad bietet<br />

dazu eine Tablet-Lösung für<br />

Serviceleistungen in Hotels an. Ob<br />

Gast-Entertainment, digitaler Concierge<br />

oder Check-out, das alles<br />

soll das Tablet erledigen und damit<br />

auch auf die individuellen Bedürfnisse<br />

von Hotelbesuchern eingehen.<br />

Die Hotels können ihre Kunden wiederum<br />

jederzeit informieren, beispielsweise<br />

über Änderungen im<br />

Speiseplan, Tipps zu Ausfl ugszielen<br />

oder freie Plätze im Wellnessbereich.<br />

Die Tablets sollen die heutigen Gästemappen,<br />

Telefone und Fernbedienungen<br />

im Hotelzimmer in einem<br />

Gerät bündeln und so bequemer<br />

nutzbar machen. Für die Service-<br />

Lösung wurde das Unternehmen<br />

auf der diesjährigen CeBIT bereits<br />

mit <strong>dem</strong> »Innovators´Pitch« ausgezeichnet.<br />

<br />

MEDIA KOMPAKT<br />

INTERNET<br />

Ersatz für Netzausfall<br />

Infolge eines Fehlers des Telekommunikationsunternehmens<br />

konnte ein Kunde seinen DSL-Internetanschluss<br />

in der Zeit vom 15. Dezember 2008 bis<br />

zum 16. Februar 2009 nicht nutzen. Über diesen Anschluss<br />

wickelte er auch seinen Telefon- und Telefaxverkehr<br />

ab.<br />

Neben Mehrkosten, die infolge des Wechsels zu einem<br />

anderen Anbieter und für die Nutzung eines<br />

Mobiltelefons anfielen, verlangte der Kläger Schadensersatz<br />

für den Fortfall der Möglichkeit, seinen<br />

DSL-Anschluss während des genannten Zeitraums<br />

für die Festnetztelefonie sowie für den Telefax- und<br />

Internetverkehr zu nutzen.<br />

Den Schadensersatzanspruch für den Ausfall des<br />

Telefaxes hat der Bundesgerichtshof verneint. Dieses<br />

vermittelt lediglich die Möglichkeit, Texte oder<br />

Abbildungen bequemer und schneller als auf <strong>dem</strong><br />

herkömmlichen Postweg zu versenden. Auch für<br />

den Ausfall des Festnetztelefons gab es keinen<br />

Schadenersatz, da bereits die Kosten für das Mobiltelefon<br />

ersetzt wurden.<br />

Demgegenüber hat der BGH <strong>dem</strong> Kläger Schadensersatz<br />

für den Ausfall des Internetzugangs anerkannt.<br />

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut,<br />

dessen ständige Verfügbarkeit seit<br />

längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche<br />

Lebenshaltung typischerweise<br />

von zentraler Bedeutung ist (BGH, Az. III ZR 98/12).<br />

DATENSCHUTZ<br />

Mehr Selbstverpflichtung<br />

Der Hightech-Verband BITKOM und der Verein<br />

Selbstregulierung Informationswirtschaft e. V.<br />

(SRIW) haben eine Initiative zur Stärkung der unternehmerischen<br />

Verantwortung beim Datenschutz<br />

gestartet. Der aktuelle Entwurf der EU-Datenschutzgrundverordnung<br />

sieht zwar eine Förderung von<br />

solchen Selbstverpfl ichtungen vor. Es bleibt aber<br />

unklar, wie diese anerkannt und kontrolliert werden<br />

sollen, kritisiert der Branchenverband. BITKOM und<br />

SRIW fordern deshalb ein gerichtlich überprüfbares<br />

Anerkennungsverfahren für Selbstverpfl ichtungen.<br />

Die mit <strong>dem</strong> Anerkennungsverfahren entstehende<br />

Rechtssicherheit wäre ein wichtiger Anreiz für Unternehmen,<br />

sich freiwillig im Bereich der Selbstregulierung<br />

und Selbstkontrolle zu engagieren. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


50 rat+tat<br />

STEUER STEUER STEUER STEUER S<br />

DAS THEMA<br />

Es zählt der Neupreis<br />

Die private Nutzung des Dienstwagens<br />

bleibt teuer. Das hat der Bundesfinanzhof<br />

(BFH) bestätigt, in<strong>dem</strong> er verfassungsrechtliche<br />

Bedenken gegen die so genannte Ein-Prozent-Regelung<br />

zurückwies.<br />

Der Hintergrund: Zum Arbeitslohn gehören<br />

auch die <strong>Vor</strong>teile aus der Überlassung eines<br />

Dienstwagens, soweit ihn der Arbeitnehmer<br />

privat nutzen kann. Doch dieser <strong>Vor</strong>teil<br />

ist steuerrechtlich zu bewerten. Entweder mit<br />

den durch die private Nutzung verursachten<br />

Kosten des Fahrzeugs, die anhand eines Fahrtenbuchs<br />

zu belegen sind oder, wenn ein Fahrtenbuch<br />

nicht geführt wird, mit<br />

Der BFH bestätigt:<br />

Die Ein-Prozent-<br />

Regel für Dienstwagen<br />

hat weiter<br />

Bestand.<br />

einem Prozent des Bruttolistenneupreises.<br />

<strong>Vor</strong> Gericht zog ein Arbeitnehmer,<br />

der einen zur Verfügung<br />

gestellten Dienstwagen auch<br />

für private Fahrten nutzte. Es<br />

handelte sich jedoch nicht um<br />

einen Neuwagen. Der Arbeitgeber<br />

hatte vielmehr ein Gebrauchtfahrzeug<br />

mit einer Fahrleistung von<br />

58.000 Kilometer für insgesamt drei Jahre geleast.<br />

Die monatlichen Leasingraten betrugen<br />

rund 720 Euro. Der Wert des Wagens zu Beginn<br />

der Nutzungszeit wurde auf rund 32.000 Euro<br />

taxiert. Der ursprüngliche Bruttolistenneupreis<br />

lag weitaus höher –bei 81.400 Euro. Den setzte<br />

das Finanzamt auch als Grundlage zur Berechnung<br />

des geldwerten <strong>Vor</strong>teils an. Entsprechend<br />

der Ein-Prozent-Regelung entsprach das<br />

einem Betrag in Höhe von 814 Euro monatlich.<br />

Der Kläger zog vor Gericht, um zu erreichen,<br />

dass bei der Berechnung nicht der Listenneupreis,<br />

sondern der Gebrauchtwagenwert herangezogen<br />

werde. Er bezweifelte auch, dass<br />

Neufahrzeuge heutzutage noch zum Bruttolistenpreis<br />

veräußert werden, weshalb die Berechnungsmethode<br />

wirklichkeitsfremd sei. Der<br />

Gesetzgeber, so die Auff assung des Klägers,<br />

müsse aus verfassungsrechtlichen Gründen<br />

einen Abschlag vorsehen.<br />

Mit dieser Sichtweise scheiterte er allerdings<br />

vor <strong>dem</strong> Finanzgericht ebenso wie in der Revision.<br />

Der BFH (Az. VI R 51/11) hielt an der Rechtsprechung<br />

fest, dass die Ein-Prozent-Regel als<br />

pauschalierende Bewertungsregelung die Besonderheiten<br />

der Dienstwagennutzung<br />

im Einzelfall unberücksichtigt<br />

lassen müsse.<br />

Der BFH hatte schon in früheren<br />

Urteilen bekräftigt, dass<br />

beispielsweise nachträgliche<br />

Änderungen am Fahrzeug<br />

nicht berücksichtigt<br />

werden könnten, auch wenn<br />

sie den Wert des Autos erhöht<br />

oder vermindert hätten. Es bleibt grundsätzlich<br />

beim Bruttolistenneupreis. Auch den geforderten<br />

Abschlag vom Bruttolistenneupreis wiesen<br />

die BFH-Richter zurück. Der zu versteuernde<br />

<strong>Vor</strong>teil des Arbeitnehmers läge schließlich<br />

nicht nur in der Fahrzeugüberlassung selbst,<br />

sondern auch in der Übernahme sämtlicher<br />

Kosten wie Steuern, Versicherungsprämien, Reparatur-<br />

und Wartungs- sowie Treibstoff kosten.<br />

Diese Aufwendungen seien ohnehin nicht im<br />

Bruttolistenneupreis abgebildet.<br />

Zwar gibt es durchaus Fälle, in denen die Finanzgerichte<br />

die tatsächlichen Fahrzeugpreise<br />

heranziehen, so bei der Besteuerung des<br />

<strong>Vor</strong>teils durch Rabatte beim Neuwagenkauf.<br />

In diesem Fall wird der <strong>Vor</strong>teil aber nicht nach<br />

einer Pauschalregelung, sondern auf Grundlage<br />

des tatsächlichen Sachverhalts ermittelt<br />

und besteuert. Wer dies als Dienstwagennutzer<br />

ebenfalls in Anspruch nehmen will, hat nur<br />

eine Möglichkeit: Er muss sich für die Nutzung<br />

der Fahrtenbuchmethode entscheiden, belehrten<br />

die BFH-Richter den Kläger abschließend.<br />

TAXIZENTRALE<br />

Zugriff auf Daten<br />

Auch die Zollverwaltung hat<br />

weitreichende Rechte.<br />

Die Geschäftsunterlagen einer Taxizentrale<br />

dürfen von der Zollverwaltung<br />

geprüft werden.<br />

Dies hat der Bundesfinanzhof (Az.<br />

2012 VII R 41/10) entschieden. Geklagt<br />

hatte eine Genossenschaft, in<br />

der sich örtliche Taxiunternehmen<br />

zusammengeschlossen hatten. Sie<br />

vermittelt über eine Telefonzentrale<br />

Fahraufträge an Taxiunternehmer.<br />

Jeder Fahrer der angeschlossenen<br />

Taxiunternehmen musste sich dafür<br />

bei der Arbeitsaufnahme mit einer<br />

PIN-Nummer bei der Klägerin anmelden.<br />

Für besondere Fahrdienste erstellte<br />

die Taxizentrale auch Rechnungen<br />

und schloss Verträge über<br />

bargeldlose Fahrten ab. Der Bundesfinanzhof<br />

urteilte, dass die Zollverwaltung<br />

diejenigen Geschäftsunterlagen<br />

der Taxizentrale prüfen darf,<br />

aus denen sich der Umfang und die<br />

Beschäftigungsdauer der Taxifahrer<br />

ergäbe. Nach Ansicht der BFH-Richter<br />

ist die Genossenschaft Auftraggeberin<br />

im Sinne des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes.<br />

<br />

AUSLAND<br />

Anrufe in die Heimat<br />

Private Telefonate können auch<br />

Werbungskosten sein.<br />

Kosten für Telefonate bei langen Auslandsaufenthalten<br />

können als Werbungskosten<br />

abziehbar sein.<br />

Ein Marinesoldat hatte geklagt. Während<br />

eines längeren Auslandseinsatzes<br />

führte er 15 Telefongespräche<br />

mit seiner Lebensgefährtin und<br />

© Angelika Möthrath - Fotolia.com<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


at+tat 51<br />

TEUER STEUER STEUER STEUER STE<br />

Angehörigen. Die Kosten machte er<br />

vergeblich in seiner Einkommensteuererklärung<br />

als Werbungskosten<br />

geltend. Doch die Richter des BFH<br />

(Az. VI R 50/10) sahen dies anders.<br />

Zwar sind Aufwendungen für private<br />

Telefonate in der Regel steuerlich<br />

nicht relevante Kosten der privaten<br />

Lebensführung. Nach einer mindestens<br />

einwöchigen Auswärtstätigkeit<br />

lassen sich die notwendigen privaten<br />

Dinge aber aus der Ferne nur<br />

noch mit Mehrkosten regeln. Deshalb<br />

können die Kosten abweichend<br />

vom Regelfall als berufl ich veranlasster<br />

Mehraufwand der Erwerbssphäre<br />

zugeordnet werden. <br />

HAUSHALT<br />

Auch die Garage zählt<br />

Am Arbeitsort kann eine Garage<br />

notwendig werden.<br />

Eine doppelte Haushaltsführung<br />

liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb<br />

des Ortes, in <strong>dem</strong> er einen<br />

eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt<br />

ist und auch am Beschäftigungsort<br />

wohnt. Daraus resultierende<br />

Mehraufwendungen können<br />

als Werbungskosten geltend gemacht<br />

werden.<br />

Doch welche Aufwendungen zählen<br />

dazu? Bei einer doppelten Haushaltsführung<br />

können beispielsweise<br />

Kosten für einen separaten Pkw-<br />

Stellplatz anfallen.<br />

Laut BFH (Az. VI R 50/11) zählen deshalb<br />

nicht nur Aufwendungen für<br />

wöchentliche Familienheimfahrten,<br />

Verpflegungsmehraufwendungen<br />

und die Kosten der Unterkunft am<br />

Arbeitsort.<br />

Es können auch Kosten für einen<br />

Stellplatz oder eine Garage anerkannt<br />

werden, wenn die Anmietung<br />

z. B. zum Schutz des Fahrzeugs oder<br />

aufgrund der angespannten Parkplatzsituation<br />

am Arbeitsort notwendig<br />

ist. <br />

HANDWERKER<br />

Zu weit gegangen<br />

Handwerker waren außerhalb<br />

des Grundstücks im Einsatz.<br />

Haushaltsnahe Handwerkerleistungen<br />

sind steuerlich begünstigt. Doch<br />

was ist noch haushaltsnah? Diese<br />

Frage stellte sich den Richtern des<br />

Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg<br />

(Az. 7 K 7310/10). Der Streitfall:<br />

Die Kläger lebten in einem Einfamilienhaus,<br />

das durch einen Brunnen<br />

mit Trinkwasser versorgt und dessen<br />

Abwasser über eine Grube entsorgt<br />

wurde. Der zuständige Zweckverband<br />

schloss das Grundstück an<br />

zentrale Anlagen der Trinkwasserversorgung<br />

und Abwasserentsorgung<br />

an. Die Kosten dafür hatten<br />

die Kläger zu tragen. Da die Arbeiten<br />

teilweise auf öffentlichem Straßenland<br />

erbracht wurden, verweigerte<br />

der Fiskus die Steuerermäßigung.<br />

Zu Unrecht: Die Anschlussarbeiten<br />

seien eine nicht trennbare einheitliche<br />

Leistung für das Grundstück der<br />

Kläger, so die Richter. Nun muss der<br />

BFH entscheiden. <br />

KÜNSTLER<br />

Hier spielt die Musik<br />

Sind Auftritte von DJs steuerlich<br />

zu begünstigen?<br />

Nein, Clubveranstaltungen, bei denen<br />

namhafte Discjockey von ihnen<br />

bearbeitete Musikstücke präsentieren,<br />

unterliegen <strong>dem</strong> vollen<br />

Umsatzsteuersatz von 19%, urteilte<br />

das FG Berlin/Brandenburg, (Az.<br />

5 K 5226/10). Der Auftritt der DJs sei<br />

nicht der eigentliche Zweck der Veranstaltung.<br />

Dieser läge im gemeinsamen<br />

Feiern und Tanzen. Die DJs<br />

dienten lediglich als Anreiz für den<br />

Besuch des Clubs. Der Fall liegt allerdings<br />

nun beim Bundesfinanzhof.<br />

<br />

STEUERN KOMPAKT<br />

BETRIEBSFEST<br />

Freigrenzen anpassen<br />

Zuwendungen des Arbeitgebers sind nicht als Arbeitslohn<br />

zu versteuern, wenn sie nicht der Entlohnung<br />

des Arbeitnehmers dienen.<br />

Dies kann z. B. bei Leistungen aus Anlass von Betriebsveranstaltungen<br />

der Fall sein, wenn diese der<br />

Förderung des Kontakts der Arbeitnehmer untereinander<br />

dienen. Der Bundesfinanzhof hat in seiner<br />

bisherigen Rechtsprechung eine Freigrenze<br />

angenommen, bei deren Überschreitung die Zuwendungen<br />

als steuerpfl ichtiger Arbeitslohn zu<br />

qualifi zieren sind. Die Finanzverwaltung legt ab<br />

2002 eine Freigrenze von 110 Euro je Veranstaltung<br />

zugrunde.<br />

Der BFH hat nun entschieden (Az. VI R 79/10), dass<br />

eine ständige Anpassung der Freigrenze an die Infl<br />

ation nicht Aufgabe des Gerichts sei. Nach seiner<br />

Auff assung ist zumindest für das Jahr 2007<br />

noch an der bisherigen Freigrenze festzuhalten.<br />

Der BFH fordert jedoch die Finanzverwaltung auf,<br />

den Höchstbetrag neu zu bemessen. Im Streitfall<br />

hatten sich die Kosten einer im Jahr 2007 durchgeführten<br />

Betriebsveranstaltung je Teilnehmer auf<br />

175 Euro belaufen. <br />

EHRENAMT<br />

Erleichterungen für Vereine<br />

Die steuerrechtlichen Regelungen für das Ehrenamt<br />

in Vereinen sollen künftig vereinfacht werden.<br />

Dazu wurde das Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz<br />

verabschiedet. Hinter <strong>dem</strong> Wortungetüm<br />

verbergen sich verschiedene Maßnahmen,<br />

die den Vereinen und gemeinnützigen Organisationen<br />

mehr Flexibilität einräumen sollen. So wird die<br />

so genannte »Übungsleiterpauschale« von 2.100 auf<br />

2.400 Euro angehoben und die so genannte »Ehrenamtspauschale«<br />

von 500 auf 720 Euro. Ehrenamtlich<br />

engagierte Bürgerinnen und Bürger sollen<br />

damit zukünftig jährlich bis zu 2.400 Euro/720 Euro<br />

erhalten können, ohne dass diese Einnahmen steuer-<br />

oder sozialversicherungspfl ichtig sind.<br />

Übungsleitertätigkeiten sind nebenberufl iche Tätigkeiten,<br />

beispielsweise als Ausbildungsleiter,<br />

Ausbilder, Erzieher oder Betreuer. Die Ehrenamtspauschale<br />

kann für jede Art von Tätigkeit für gemeinnützige<br />

Vereine, kirchliche oder öffentliche<br />

Einrichtungen in Anspruch genommen werden. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


52 rat+tat<br />

CHT RECHT RECHT RECHT RECHT R<br />

DAS THEMA<br />

Ramsauers Stückwerk<br />

Der große Wurf bleibt vorerst aus. Die geplante<br />

Reform der Flensburger Punktekartei<br />

kommt nicht in Gang.<br />

Eigentlich sollte sie noch in diesem Jahr umgesetzt<br />

werden. Doch der Gegenwind für das<br />

<strong>Vor</strong>zeigeprojekt des Bundesverkehrsministers<br />

Peter Ramsauer (CSU) ebbt nicht ab. Schon zu<br />

Beginn des Jahres hatten die Verkehrsexperten<br />

auf <strong>dem</strong> Verkehrsgerichtstag in Goslar das<br />

Reformwerk in zentralen abgelehnt.<br />

Kernpunkt der Reform ist die Absenkung der<br />

Punkte-Obergrenze von 18 Punkten auf acht<br />

Punkte. Im Gegenzug sollten weniger gravierende<br />

Verstöße künftig nicht mehr mit Punkten<br />

geahndet werden.<br />

Die Verkehrsexperten konnten sich auf ihrer<br />

Tagung im Harz nur wenig mit<br />

Ab <strong>dem</strong> 1. April<br />

werden Verkehrssünden<br />

von Autound<br />

Radfahrern<br />

härter geahndet.<br />

diesen Plänen anfreunden,<br />

eine Vereinfachung des Systems<br />

sei aus ihrer Ansicht damit<br />

nicht zu erreichen.<br />

Ähnlich sah es der Bundesrat,<br />

der <strong>dem</strong> Verkehrsminister<br />

eine Überarbeitung des Entwurfs<br />

auferlegte. Insbesondere<br />

Raser werde es mit der<br />

geplanten Reform zu einfach gemacht, z. B.<br />

durch zu kurze Verfallsfristen für bisherige<br />

Verstöße. Auf der anderen Seite sei die Maximalstrafe<br />

von drei Punkten zu hoch, kritisierte<br />

die Länderkammer. In den ersten Eckpunkten<br />

zur Reform hatte Ramsauers Ministerium noch<br />

selbst maximal zwei Punkte vorgeschlagen.<br />

Während die Punktereform in weitere Verhandlungsrunden<br />

geht, sind höhere Bußgelder<br />

für rüpelhafte Radfahrer und notorische<br />

Falschparker beschlossene Sache. Sie treten<br />

zum 1. April 2013 in Kraft.<br />

Gefährliches Verhalten von Radfahrern wird<br />

<strong>dem</strong>nach um fünf bis zehn Euro teurer. Das<br />

Benutzen des Radwegs in falscher Richtung<br />

kostet so künftig grundsätzlich 20 Euro, kann<br />

aber bei einem Unfall auf 35 Euro angehoben<br />

werden. Gleiches gilt für das Befahren der Einbahnstraße<br />

in falscher Richtung. Das Handy<br />

ohne Freisprecheinrichtung zu benutzen, wird<br />

künftig mit 25 Euro bestraft. Zu<strong>dem</strong> müssen<br />

sich Radler jetzt an die Ampeln des Autoverkehrs<br />

halten, sofern es keine speziellen<br />

Lichtzeichen für sie gibt. Bislang war es den<br />

Radlern möglich, den Lichtzeichen der Fußgängerampeln<br />

zu folgen<br />

Eine neue Verordnung tritt<br />

auch bei der Geschwindigkeit<br />

auf Fahrradstraßen, die<br />

in immer mehr Großstädten<br />

eingerichtet werden, in<br />

Kraft: Hier ist ein Limit von<br />

30 Stundenkilometern einzuhalten.<br />

Wer betrunken Rad fährt,<br />

begeht außer<strong>dem</strong> eine Straftat. Ab 1,6 Promille<br />

oder bei Fahrfehlern kann der Radfahrer<br />

vor Gericht gestellt werden. Wer mit Alkohol<br />

im Blut auf <strong>dem</strong> Rad erwischt wird, kann zu<strong>dem</strong><br />

zur medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />

geschickt werden. Je nach Ergebnis<br />

ist dann sogar der Führerschein in Gefahr.<br />

Im Autoverkehr werden die Parksünder verstärkt<br />

zur Kasse gebeten. Wer keinen Parkschein<br />

zieht, kam bisher mit fünf Euro günstig<br />

davon. Künftig soll dies zehn Euro Strafe kosten.<br />

Ebenfalls um fünf Euro angehoben werden<br />

die Bußgelder für das Überziehen der Parkhöchstdauer<br />

um 30 bis 60 Minuten (jetzt 15<br />

Euro) und um bis zu zwei Stunden (jetzt zwanzig<br />

Euro). Bei bis zu drei Stunden sind es entsprechend<br />

25 Euro. Auch auf Sauberkeit sollten<br />

Autobesitzer mehr Wert legen: Verdreckte<br />

Scheinwerfer werden jetzt mit bis zu 35 Euro<br />

geahndet. <br />

WERBUNG<br />

Mit harten Bandagen<br />

Eine Behinderung des Wettbewerbers<br />

ist nicht zulässig.<br />

Trickreich versuchte der Verleger eines<br />

regionalen Anzeigenblatts, die<br />

Konkurrenz auszubooten. Dazu wurde<br />

im eigenen Blatt eine Anzeige geschaltet,<br />

in der kostenlos Aufkleber<br />

für Kundenbriefkästen angeboten<br />

wurden. Der Aufkleber enthielt den<br />

Aufdruck »Bitte keine Werbung/keine<br />

kostenlosen Zeitungen«, daneben<br />

aber das Logo des werbenden Anzeigenblattes.<br />

Ziel dieses Aufklebers<br />

sollte es sein, dass nur das Anzeigenblatt<br />

der Beklagten und kein weiteres<br />

in die Briefkästen eingeworfen<br />

wird. Die böse Absicht erkannte<br />

auch das Oberlandesgericht Koblenz<br />

(Az. 9 U 982/12) und untersagte<br />

die Aktion. Im Wettbewerb zwischen<br />

Konkurrenzprodukten ist es<br />

nicht erlaubt, mit einer Werbeanzeige<br />

die Mitbewerber gezielt zu behindern.<br />

Wer durch eine solche Werbung<br />

nicht die Chancen des eigenen<br />

Produkts verbessern will, sondern<br />

es nur auf die Verdrängung der Mitbewerber<br />

abgesehen hat, <strong>dem</strong> kann<br />

die entsprechende Werbung untersagt<br />

werden. <br />

SCHWARZARBEIT<br />

Ohne Gewähr<br />

Schwarzarbeit kann teure Folgen<br />

haben.<br />

Wer einen Handwerker schwarz beauftragt,<br />

kann keine Gewährleistungsrechte<br />

geltend machen. Das<br />

Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht<br />

(Az. 1 U 105/11) hat entschieden,<br />

dass in solchen Fällen<br />

der geschlossene Vertrag insge-<br />

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1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


at+tat 53<br />

ECHT RECHT RECHT RECHT RECHT<br />

samt nichtig sei, und hat die Klage<br />

des Bestellers auf Ersatz von Kosten<br />

für die Beseitigung von Mängeln zurückgewiesen.<br />

Der Handwerker hatte eine Auffahrt<br />

auf <strong>dem</strong> Grundstück der Klägerin<br />

pfl astern sollen. Kurz nach<br />

Durchführung der Pfl asterung traten<br />

Unebenheiten auf. Nach Feststellungen<br />

eines Sachverständigen<br />

hatte der Handwerker die Sandschicht<br />

unterhalb der Pfl astersteine<br />

zu dick ausgeführt. Darauf hin<br />

sollte er die Kosten für die Beseitigung<br />

der Unebenheiten übernehmen.<br />

Da die Preisabrede und damit<br />

ein entscheidender Bestandteil<br />

des gegenseitigen Vertrages nichtig<br />

ist, sei der Vertrag insgesamt nichtig.<br />

Damit entfallen die vertraglichen<br />

Gewährleistungsansprüche. <br />

FREIZEITPARK<br />

Teurer Verlust<br />

In einem Freizeitpark wurden<br />

die Einkäufe gespeichert.<br />

Besuchern eines Freizeitparks in<br />

Brandenburg kommt der Verlust eines<br />

Chips, auf <strong>dem</strong> die Einkäufe gescannt<br />

sind, teuer zu stehen. Nach<br />

der Bezahlung des Eintrittsgeldes<br />

erhalten die Besucher des Freizeitparks<br />

nämlich zunächst ein Armband<br />

mit einem Chip. Kaufen sie beispielsweise<br />

Getränke oder Speisen,<br />

müssen sie den Chip scannen lassen.<br />

Auf <strong>dem</strong> Chip ist ein Kreditrahmen<br />

von 150 Euro bei Erwachsenen eingestellt.<br />

Die dort gespeicherten Beträge<br />

bezahlt der Kunde am Ende<br />

seines Besuchs. Nach den AGB<br />

muss der Besucher bei Verlust des<br />

Chips den eingeräumten Kredit entrichten.<br />

Dagegen klagte ein Verbraucherschutzverein,<br />

weil die Pauschale bei<br />

Verlust des Chips den in der Regel<br />

eingetretenen Schaden übersteige.<br />

Der Freizeitparkbetreiber erklärte,<br />

der volle Betrag sei nur bei Verdacht<br />

unredlichen Verhaltens in Anspruch<br />

genommen worden.<br />

Dennoch gab das Brandenburgische<br />

OLG <strong>dem</strong> Kläger Recht. Die Klausel<br />

in den AGB sei u. a. auch deshalb<br />

unwirksam, weil <strong>dem</strong> Besucher eine<br />

Verpfl ichtung zum Schadensersatz<br />

auferlegt werde, ohne dass ein Verschulden<br />

vorliegen müsse. Das Urteil<br />

ist aber noch nicht rechtskräftig,<br />

da eine Revision zum BGH zugelassen<br />

wurde (Oberlandesgericht Brandenburg,<br />

Az. 7 U 6/12). <br />

VERKEHRSSÜNDER<br />

Schlechtes Bild<br />

Blitzeraufnahmen müssen den<br />

Fahrer klar erkennbar zeigen.<br />

Eine Strafe für Verkehrssünder ist<br />

nur möglich, wenn der Fahrer klar<br />

auf <strong>dem</strong> Blitzerfoto zu erkennen ist.<br />

Zeigt die Aufnahme keine charakteristischen<br />

Merkmale des Fahrers,<br />

kann dieser nicht ohne Weiteres belangt<br />

werden. Das hat das Oberlandesgericht<br />

Bamberg entschieden<br />

(Az. 2 Ss OWi 143/12).<br />

Im vorliegenden Fall ging es um eine<br />

Abstandsmessung. Wegen zu geringem<br />

Sicherheitsabstand war eine<br />

Fahrerin von der <strong>Vor</strong>instanz verurteilt<br />

worden, eine Strafe von 160 Euro<br />

zu begleichen. Außer<strong>dem</strong> wurde für<br />

einen Monat der Führerschein entzogen.<br />

Allerdings war ihr Gesicht auf <strong>dem</strong><br />

Beweisfoto durch eine Sonnenbrille<br />

und durch das Lenkrad verdeckt.<br />

Da die Fahrerin dadurch nicht mehr<br />

eindeutig zu identifi zieren war, kassierten<br />

die Richter des Oberlandesgerichts<br />

Bamberg das Urteil wieder<br />

ein. <br />

RECHT KOMPAKT<br />

ARBEITSZEIT<br />

Streit um die Elternteilzeit<br />

Arbeitnehmer können während der Elternzeit eine<br />

Verringerung der Arbeitszeit beantragen. Über den<br />

Antrag sollen sich die Arbeitsvertragsparteien innerhalb<br />

von vier Wochen einigen. Während der Gesamtdauer<br />

der Elternzeit kann der Arbeitnehmer<br />

zweimal eine Verringerung der Arbeitszeit beanspruchen,<br />

soweit eine einvernehmliche Regelung<br />

nicht möglich ist.<br />

In einem aktuellen Fall war die Klägerin seit 2006 in<br />

Vollzeit beschäftigt. 2008 nahm sie für die Dauer von<br />

zwei Jahren Elternzeit in Anspruch. Ende 2008 vereinbarten<br />

die Parteien die Verringerung der Arbeitszeit<br />

für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31.<br />

Mai 2009 auf wöchentlich 15 Stunden und für die<br />

Zeit vom 1. Juni 2009 bis zum Ende der Elternzeit am<br />

4. Juni 2010 auf wöchentlich 20 Stunden. Später<br />

nahm die Klägerin ab <strong>dem</strong> 5. Juni 2010 bis zur Vollendung<br />

des dritten Lebensjahres ihres Kindes erneut<br />

Elternzeit und beantragte gleichzeitig, wie bisher 20<br />

Stunden wöchentlich zu arbeiten. Der Arbeitgeber<br />

lehnte dies ab. <strong>Vor</strong> <strong>dem</strong> Bundesarbeitsgericht hatte<br />

die junge Mutter Erfolg. Dem Anspruch auf Verringerung<br />

der Arbeitszeit steht die Ende 2008 getroffene<br />

Vereinbarung der Parteien nicht entgegen. Einvernehmliche<br />

Elternteilzeitregelungen sind nicht auf<br />

den Anspruch auf zweimalige Verringerung der Arbeitszeit<br />

anzurechnen (BAG, Az, - 9 AZR 461/11 -). <br />

ARBEITSUNFALL<br />

Rauchen ist ungesund<br />

Die Mitarbeiterin eines Seniorenheims ging für eine<br />

Zigarettenpause vor die Tür. Auf <strong>dem</strong> Rückweg stieß<br />

sie mit <strong>dem</strong> Hausmeister zusammen. Dieser verlor<br />

einen Eimer Wasser, die Klägerin rutschte aus und<br />

brach sich den Arm. Für die Klägerin ein Arbeitsunfall.<br />

Die beklagte Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst<br />

und Wohlfahrtspfl ege sah das anders.<br />

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage ab (Az. S 68<br />

U 577/12). Der Weg von und zur Raucherpause sei<br />

nicht der unfallversicherungsrechtlich geschützten<br />

Tätigkeit zuzurechnen. Wichtig ist den Richtern<br />

vor allem die Abgrenzung zur Nahrungsaufnahme.<br />

Essen und Trinken seien unter anderem notwendig,<br />

um die Arbeitskraft aufrechtzuerhalten. Deshalb sei<br />

der Weg zur Kantine versichert, nicht aber der Weg<br />

zur Raucherpause. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


54 rat+tat<br />

IMMOBILIEN IMMOBILIEN<br />

DAS THEMA<br />

Trend zur Reurbanisierung<br />

Der Trend zur<br />

Reurbanisierung<br />

treibt die Mieten.<br />

Ein schlüssiges<br />

Konzept zur Entspannung<br />

der<br />

Situation fehlt.<br />

Der Protest gegen steigende Mieten in<br />

den Ballungszentren hat im letzten Jahr<br />

deutlich zugenommen. Mit einem Abfl auen<br />

ist nicht zu rechnen, glaubt man den Prognosen<br />

einer Studie von Feri Eurorating<br />

zum deutschen Immobilienmarkt. Die Ratingagentur<br />

hat Prognosen über die Entwicklung<br />

von Mieten und Kaufpreisen für 68<br />

Standorte über die nächsten drei Jahre erstellt.<br />

Ergebnis: Der Scheitelpunkt des Mietenanstiegs<br />

ist noch nicht erreicht. Die Prognose<br />

wurde auf der Basis verschiedener<br />

Faktoren von der Entwicklung bei Bevölkerungszahl,<br />

Beschäftigung und Einkommen<br />

bis zur Zahl neu gebauter Wohnungen oder<br />

<strong>dem</strong> Wohnfl ächenbestand betrachtet. Besonders<br />

hohe Mietensteigerungen müssen<br />

bis 2015 die Hamburger hinnehmen,<br />

mit insgesamt rund<br />

10,5 Prozent.<br />

Ebenso gravierend sind die<br />

Mietenexplosionen, die die<br />

Ratingagentur für München<br />

(9,5 Prozent), Frankfurt (9,3)<br />

und Berlin (8,2) erwartet. In<br />

ähnlichen Größenordnungen<br />

bewegt sich Dresden<br />

(8,3 Prozent). Leipzig liegt<br />

mit 7,1 Prozent bis 2015 geringfügig<br />

unter den Spitzenwerten.<br />

Für Chemnitz wurde<br />

ein Anstieg von 5,4 Prozent<br />

vorhergesagt.<br />

Bei einer Infl ationsrate von rund zwei Prozent<br />

pro Jahr würde Wohnen damit deutlich<br />

teurer, heißt es in der Studie, die jüngst das<br />

»Handelsblatt« veröffentlichte.<br />

Der Grund für die höhere Steigerungsrate<br />

in Dresden gegenüber den Nachbarstädten:<br />

Das Angebot an Wohnungen in der sächsischen<br />

Landeshauptstadt wird zunehmend<br />

knapp. Nur drei Prozent stehen leer. In Leipzig<br />

sind hingegen mehr als zehn Prozent<br />

der Wohnungen noch vom Leerstand betroffen.<br />

Als Grund für die Verschärfung der<br />

Mietenentwicklung nennen Experten vor allem<br />

die Reurbanisierung. Neben <strong>dem</strong> Anstieg<br />

der Beschäftigung durch die positive<br />

Konjunkturlage sind es Landfl ucht und der<br />

Zuzug in die Innenstädte sowie eine wachsende<br />

Zahl von Haushalten, die die Mieten<br />

in die Höhe treiben. Auch die Immobilienpreise<br />

nehmen zu. Auch hier dürfte Hamburg<br />

laut Feri-Studie an der Spitze liegen.<br />

Die <strong>Vor</strong>schläge, die der zuständige Minister<br />

Peter Ramsauer (CSU) im Bundesministerium<br />

für Verkehr, Bau und Straßenentwicklung<br />

(BMVBS) zur Lösung der sich<br />

zuspitzenden Situation auf den Wohnungsmärkten<br />

erarbeiten lassen hat, sind derweil<br />

umstritten.<br />

Zu diesen <strong>Vor</strong>schlägen zählt, dass der Neubau<br />

von Wohnungen die Immobilien- und<br />

Mietpreise stabilisieren<br />

helfen soll. Mindestens<br />

250.000 Wohnungen jährlich<br />

stehen auf der Planliste<br />

des Ministers, um<br />

das vorhandene Defi zit<br />

abzubauen. Das BMVBS<br />

fordert in diesem Zusammenhang<br />

auch stärkere<br />

Anstrengungen der<br />

Bundesländer im sozialen<br />

Wohnungsbau.<br />

Mit der Wiedereinführung<br />

der Eigenheimzulage sowie<br />

der Wiedereinführung<br />

der degressiven Absetzung der Kosten über<br />

die Steuer will der Bund zusätzliche finanzielle<br />

Anreize zum Wohnungsbau schaffen.<br />

Auch die KfW-Programme im Wohnungsbau<br />

sollen erweitert sowie die Höchstgrenzen<br />

beim Wohngeld angehoben werden.<br />

Kritiker bemängeln, dass die Konzentration<br />

auf den sozialen Wohnungsbau übersehe,<br />

dass das Wohnungsproblem in den Städten<br />

immer mehr auch mittlere Einkommen in finanzielle<br />

Schwierigkeiten stürze. Dem Mieterbund<br />

fehlen in den Plänen des Ministers<br />

zu<strong>dem</strong> Ideen, wie sich die steigenden Preise<br />

bei Neuvermietungen begrenzen lassen. <br />

MÜLLENTSORGUNG<br />

Streit um 1,16 Euro<br />

Wertstofftonnen sorgten für einen<br />

Gerichtsstreit.<br />

Ein Grundstückseigentümer und Mülltonnennutzer<br />

forderte 1,16 Euro vom Abfallentsorger<br />

zurück. Der Kläger hatte die Erhöhung<br />

seines Normaltarifes in Höhe von<br />

0,29 Euro pro Quartal beanstandet und<br />

Rückzahlung der Erhöhungsdifferenz für<br />

ein Jahr verlangt. Die Erhöhung sei unzulässig,<br />

weil sie die Aufstellung der neuen<br />

entgeltfreien Wertstoff tonnen quersubventioniere.<br />

Die mit den Wertstoff tonnen bezweckten<br />

Umweltschutzziele würden nicht<br />

erreicht. Die Richter lehnten dies ab. Es<br />

bestehe ein Spielraum, neben <strong>dem</strong> Ziel<br />

der Kostendeckung in begrenztem Rahmen<br />

eine Verhaltenssteuerung anzustreben<br />

(AG Tempelhof-Kreuzberg, Az. - 24 C<br />

215/11 -). <br />

NEBENKOSTEN<br />

Selbstständig gekürzt<br />

Ein Mieter korrigierte seine<br />

Nebenkostenabrechnung.<br />

Mieter dürfen eine fehlerhafte Nebenkostenabrechnung<br />

selbst korrigieren und den<br />

Abschlag senken. Wenn sich Vermieter bei<br />

der Nebenkostenabrechnung zu Ungunsten<br />

der Mieter verrechnen, können die<br />

Mieter dies selbst korrigieren und die <strong>Vor</strong>auszahlungen<br />

entsprechend verringern.<br />

Das entschied nach Angaben des Deutschen<br />

Mieterbundes der Bundesgerichtshof<br />

(BGH, Az. VIII ZR 184/12). Der Vermieter<br />

hatte eine Nachforderung von 84 Euro<br />

gestellt. Der Mieter rechnete nach und ermittelte<br />

ein Guthaben von 376 Euro. Dieses<br />

Geld behielt er von seiner nächsten<br />

Monatsmiete ein. <br />

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1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


at+tat 55<br />

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Der Countdown<br />

läuft<br />

Ab <strong>dem</strong> 1. Februar 2014 gelten<br />

für Überweisungen und Lastschriften<br />

die SEPA-<strong>Vor</strong>schriften.<br />

Viele kleinere Unternehmen<br />

sind noch nicht ausreichend<br />

vorbereitet.<br />

Es ist nur noch weniger als<br />

ein Jahr Zeit: Dann treten an<br />

die Stelle der Bankleitzahlen<br />

und Kontonummern endgültig<br />

IBAN und BIC – und das auch<br />

im nationalen Zahlungsverkehr!<br />

Die europaweite Vereinheitlichung<br />

des Zahlungsverkehrs trifft<br />

bei vielen mittelständischen Unternehmen<br />

auf wenig Gegenliebe<br />

– vor allem wegen des mit der<br />

SEPA-Umstellung verbundenen<br />

bürokratischen Aufwands.<br />

So mancher Firmenchef scheint<br />

das Thema deshalb auf die lange<br />

Bank zu schieben. Dies belegt<br />

eine Umfrage, die die Commerzbank<br />

bei Infratest in Auftrag gegeben<br />

hat. Von den befragten 6.000<br />

Firmen hatte sich gut ein Drittel<br />

aus der Gruppe der Mittelständler<br />

mit einem Jahresumsatz bis<br />

12,5 Millionen Euro noch gar nicht<br />

mit SEPA auseinandergesetzt. Bereits<br />

auf SEPA umgestellt haben<br />

der Umfrage zufolge weniger als<br />

zehn Prozent. In den meisten Betrieben<br />

hat sich die Geschäftsleitung<br />

zwar schon intensiv mit der<br />

Thematik beschäftigt, aber noch<br />

keine Umsetzungsmaßnahmen in<br />

Angriff genommen.<br />

Diese Schritte sollten nun alle Mittelständler<br />

zügig einleiten. »SEPA<br />

ist ein Projekt, das abhängig von<br />

den Unternehmensstrukturen<br />

zwischen sechs Monaten und ein<br />

bis zwei Jahren in Anspruch nehmen<br />

kann«, warnt Klaus Windheuser,<br />

Global Head Cash Management<br />

& International Business bei<br />

der Commerzbank AG.<br />

Die Palette der erforderlichen Änderungen<br />

ist vielfältig. Sie reicht<br />

von der Umstellung der IT bis hin<br />

zu vielen kleinen, aber in der Summe<br />

zeitaufwändigen Maßnahmen<br />

wie etwa der Neugestaltung von<br />

Briefbögen und Lieferscheinen,<br />

auf denen die Angabe der Bankverbindung<br />

ausgetauscht werden<br />

muss.<br />

Die Experten der Commerzbank<br />

raten Unternehmen deshalb, einen<br />

SEPA-Beauftragten im Betrieb<br />

zu benennen, der zunächst<br />

alle betroffenen Bereiche ermittelt.<br />

Oft versteckt sich der Umstellungsbedarf<br />

im Detail – etwa<br />

in Vertragstexten, die anzupassen<br />

sind. Hard- und Software sind<br />

ebenfalls zu aktualisieren, damit<br />

das speicherintensive XML-<br />

Datenformat verwendet werden<br />

kann. Auch die hierfür entstehenden<br />

Kosten muss das Unternehmen<br />

rechtzeitig einplanen.<br />

Ebenfalls ratsam ist es, frühzeitig<br />

Kontakt zur Hausbank aufzunehmen.<br />

Viele Banken bieten im Zuge<br />

der SEPA-Umstellung umfangreiche<br />

Services an, beispielsweise<br />

die nötigen IBAN- und BIC-Daten<br />

der Geschäftspartner zu eruieren.<br />

Von Daten aus vermeintlich günstigen<br />

Internetlösungen rät Klaus<br />

Windheuser von der Commerzbank<br />

dagegen ab: »Diese haben oft<br />

eine schlechte Qualität.«<br />

Umstellungen ergeben sich vor<br />

allem beim Lastschrift-Verfahren<br />

durch die neuen Prozess- und<br />

Fristvorgaben. Bei der SEPA-Lastschrift<br />

stehen zwei Varianten zur<br />

Verfügung: Die SEPA-Basislastschrift,<br />

die in Grundzügen der<br />

Einzugsermächtigung ähnelt und<br />

von Verbrauchern und Unternehmen<br />

verwendet werden kann, sowie<br />

die SEPA-Firmenlastschrift,<br />

die das Äquivalent zum Abbuchungsauftrag<br />

ist und die ausschließlich<br />

<strong>dem</strong> Einzug von Forderungen<br />

zwischen Unternehmen<br />

dient.<br />

Dabei gilt: Bestehende Einzugsermächtigungen<br />

können vom Kreditor<br />

in ein SEPA-Mandat umgewandelt<br />

werden, ohne dass dazu ein<br />

separates neues SEPA-Mandat eingeholt<br />

werden muss. Dazu muss<br />

<strong>dem</strong> Kreditor eine unterzeichnete<br />

Einzugsermächtigung im Original<br />

vorliegen. Das könnte allerdings<br />

manch kleineres Unternehmen<br />

vor ein Problem stellen, wenn diese<br />

Einzugsermächtigungen nicht<br />

mehr auffindbar sind. Bei der SE-<br />

PA-Firmenlastschrift hingegen<br />

muss zur Umstellung ein neues<br />

Firmenlastschriftmandat gesondert<br />

vereinbart werden. <br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


56 ideen+impulse<br />

Forschungsförderung mit<br />

ostdeutschen Wurzeln<br />

Am 16. Mai ist es wieder so weit: Labor- und werkstattwarme<br />

Hightech-Entwicklungen auf grüner Wiese. Der<br />

20. Innovationstag Mittelstand des Bundeswirtschaftsministeriums<br />

in Berlin spiegelt auch den Gestaltungsdrang<br />

des eher kleineren ostdeutschen Mittelstands und seiner<br />

Forschungspartner wider.<br />

Von Ronny Eckers<br />

Viel Politprominenz<br />

wird<br />

auch in diesem<br />

Jahr auf<br />

<strong>dem</strong> Gelände<br />

der AiF Projekt<br />

GmbH<br />

erwartet.<br />

Nur wenige Großgewächse<br />

ragen aus den überschaubar<br />

blühenden Inseln der<br />

ostdeutschen Wirtschaftslandschaft<br />

empor. Hoffnung und Arbeitsplätze<br />

zwischen Stralsund,<br />

Cottbus und Plauen basieren<br />

viel mehr auf vielen kleinen und<br />

kleinsten Unternehmen. Mit cleveren<br />

Produkt- oder Verfahrensentwicklungen<br />

haben sie sich in<br />

den letzten zwei Jahrzehnten in<br />

Nischenmärkten und als Zulieferer<br />

u. a. für Automotive, Maschinenbau<br />

oder Chemieindustrie<br />

eine Existenzbasis geschaffen. Im<br />

nationalen, erst recht im globalen<br />

Wettbewerb wären aber die der geringen<br />

Größe geschuldeten Nachteile<br />

etwa bei Forschungs- und<br />

Entwicklungskapazitäten aus eigener<br />

Kraft kaum auszugleichen.<br />

Hier setzt ein innovatives Förderinstrument<br />

des Bundeswirtschaftsministeriums<br />

an, das tatsächlich<br />

Hilfe zur Selbsthilfe<br />

bringt: Das Zentrale Innovationsprogramm<br />

Mittelstand (ZIM) unterstützt<br />

die Firmen mit Zuschüssen<br />

dabei, Innovationen von der<br />

Idee bis zur Marktreife voranzutreiben:<br />

in einzelnen Unternehmen,<br />

im Verbund mit anderen<br />

Herstellern oder mit Hochschuleinrichtungen<br />

oder in Form von<br />

Firmennetzwerken entlang ganzer<br />

Wertschöpfungsketten. Über<br />

200 aktueller Neuentwicklungen<br />

auf dieser Basis werden in Pankow<br />

präsentiert.<br />

Stück vom Kuchen<br />

Das bundesweit gültige, bei den<br />

Mittelständlern wegen seiner<br />

starken Hebelwirkung und geringen<br />

bürokratischen Hürden geschätzte,<br />

Programm gilt in Ausstattung,<br />

Technologieoffenheit<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


ideen+impulse 57<br />

Foto: Rainbow Design<br />

und Breitenwirkung als einzigartig<br />

in Europa. Seit Start im Sommer<br />

2008 wurden bis Ende Januar<br />

diesen Jahres rund 20.500 Forschungs-<br />

und Entwicklungsprojekte<br />

mit insgesamt mehr als 2,6<br />

Millarden Euro unterstützt. Die<br />

Mittel erleichtern branchenübergreifend<br />

Unternehmen mit bis zu<br />

500 Mitarbeitern die Schaffung eigener<br />

Produkte, Dienstleistungen<br />

und Technologien mit Umsatzund<br />

Arbeitsplatzwirkung. Innovationsunternehmen<br />

in Deutschland<br />

Ost (einschließlich Berlin)<br />

haben bis Januar 2013 beachtliche<br />

1,1 Millarden Euro<br />

für 8.000 Projekte erhalten,<br />

immerhin gut 42 Prozent<br />

vom ZIM-„Kuchen“.<br />

Mehrere Dutzend daraus<br />

entstandene Neuentwicklungen<br />

werden auf <strong>dem</strong><br />

Parkgelände der AiF Projekt<br />

GmbH in Berlin-Pankow, die<br />

als Projektträger die ZIM-<br />

Hauptfördersäule „Kooperationsprojekte“<br />

betreut, gewiss<br />

das Interesse der erneut<br />

zahlreich erwarteten Politikprominenz<br />

wie technikinteressierten<br />

Normalbesucher<br />

finden. So zeigt etwa die Cobbelsdorfer<br />

Naturstoff GmbH aus<br />

Coswig Aufwuchskörper auf Basis<br />

von Getreideextrudaten, die<br />

als „Nisthilfen“ für Mikroorganismen<br />

die biologische Abwasseraufbereitung<br />

in Kläranlagen<br />

optimieren. Die rainbow design<br />

gmbh aus Fehrbellin (Brandenburg)<br />

will Prototypen von Anzügen<br />

mit Wechselflügelsystem für<br />

Fallschirmspringer vorstellen.<br />

Der in Berlin ansässige Bundesverband<br />

BioEnergie e.V. wartet mit<br />

Möglichkeiten für ein effizienteres<br />

Heizen mit Holzhackschnitzeln<br />

auf. Aus <strong>dem</strong> Sächsischen<br />

Textilforschungsinstitut sind Fassadenelemente<br />

in Leichtbauweise<br />

mit schichtweiser Anordnung<br />

von Textilbeton und glasfaserverstärktem<br />

Kunststoff zu sehen.<br />

Von Ost nach West<br />

In das ZIM waren die Erfahrungen<br />

einer ganzen Reihe von <strong>Vor</strong>gängerprogrammen<br />

zur Mittelstands-Innovationsförderung<br />

eingeflossen. Mehrheitlich nach<br />

1990 speziell für ostdeutsche<br />

Unternehmen und Forschungseinrichtungen<br />

aufgelegt, sollten<br />

sie die im Einigungsvertrag<br />

schlichtweg vergessene Industrieforschung<br />

zwischen Stendal,<br />

Sömmerda und Suhl zumindest<br />

in Teilen reaktivieren und so den<br />

anfangs propagierten selbsttragenden<br />

Aufschwung befördern.<br />

Der kam zwar nur begrenzt in<br />

Schwung, Programme wie Foko,<br />

InnoWatt oder NEMO selbst bewährten<br />

sich jedoch bestens. Und<br />

wurden deshalb später auch auf<br />

westdeutsche Unternehmen erst<br />

bis 250 und seit <strong>dem</strong> <strong>Vor</strong>jahr bis<br />

zu 500 Mitarbeitern ausgedehnt.<br />

Nach diversen Haushaltssperren<br />

und Programmunterbrechungen<br />

der frühen Jahre zeichnete das<br />

ZIM sich vom Start weg nicht nur<br />

durch eine mit <strong>dem</strong> Segen aller<br />

Bundestagsfraktionen wohl gefüllte<br />

Kasse, sondern auch durch<br />

Stetigkeit und Berechenbarkeit<br />

aus. Gerade dafür hatte sich nicht<br />

nur der Verband Innovativer Unternehmen<br />

– zunächst als Interessenvertreter<br />

des ostdeutschen<br />

forschenden Mittelstandes, inzwischen<br />

auch auf erste Bundesländer<br />

West ausgedehnt -<br />

zuvor lange vergeblich stark<br />

gemacht.<br />

Zukunft unklar<br />

So sehr die Innovativen<br />

in Ost wie West diese Forschungsförderung<br />

begrüßen,<br />

so unklar ist deren mittelfristige<br />

Perspektive. Um das Programm<br />

aus den Wahlkampf-<br />

Wirren herauszuhalten war<br />

seine Laufzeit unlängst von<br />

Ende 2013 um ein Jahr verlängert<br />

worden. Zumindest bis<br />

Dezember 2014 können Förderanträge<br />

also jederzeit gestellt werden<br />

- beim Mittelstandstag in Pankow<br />

wird zu den Modalitäten individuell<br />

beraten. Was dann nach ZIM<br />

kommt, steht noch in den Sternen.<br />

Auf alle Fälle werden kleine<br />

forschungsaffine Unternehmen<br />

im Allgemeinen und die ostdeutschen<br />

im Besonderen auch künftig<br />

kaum ohne solche Instrumente<br />

wie die Kooperations- und einzelbetriebliche<br />

Forschung über die<br />

Runden kommen. <br />

www.zim-bmwi.de<br />

Freiheit und<br />

Abenteuer<br />

pur. „Wingsuit“<br />

heißt<br />

die Innovation<br />

der ZIMgeförderten<br />

Fehrbelliner<br />

Rainbow Design<br />

GmbH.<br />

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58 ideen+impulse<br />

Videokonferenzen für alle<br />

Videokonferenzsysteme auf Zentralservern sind teuer<br />

und anfällig für Ausspähung. BRAVIS International aus<br />

Cottbus will das ändern.<br />

Von Hagen Holter<br />

BRAVIS-Führungsteam<br />

(von links): Maik Krüger (CRO),<br />

André Röhrig (CEO), Torsten Sure<br />

(CSO) und Andreas Engel (CQO).<br />

Beim Anblick des schlichten<br />

Bürogebäudes im Stadtzentrum<br />

von Cottbus kommt<br />

man nicht ohne Weiteres auf die<br />

Idee, dass von hier aus die Weltmärkte<br />

ins Visier genommen werden.<br />

Mit ihrer Software für Videokonferenzen<br />

tut dies die BRAVIS<br />

International GmbH, deren Gesellschafter<br />

alle selbst in <strong>dem</strong> jungen<br />

Unternehmen tätig sind: Wirtschaftsingenieur<br />

André Röhrig,<br />

(45), Betriebswirt Torsten Sure,<br />

(45) sowie die beiden Informatiker<br />

Maik Krüger (33) und Andreas<br />

Engel (35).<br />

Die Firmengeschichte reicht zurück<br />

in die 90er Jahre. Damals<br />

steckte die Technologie von Videokonferenzen<br />

noch in den Anfängen,<br />

grundsätzlich wurden<br />

die komplexen Datenströme über<br />

hochleistungsfähige Zentralserver<br />

abgewickelt.<br />

Start an der BTU<br />

„Damals galt als Standard“, so<br />

Hartmut König, Professor und Inhaber<br />

des Lehrstuhls Rechnernetze<br />

am Institut für Informatik der<br />

Brandenburgischen Technischen<br />

Universität (BTU) Cottbus, „dass<br />

überhaupt nur solche zentralisierten<br />

Lösungen technologisch machbar<br />

seien.“ Doch König suchte mit<br />

seinem Team nach einer dezentralen<br />

Alternative. Die wurde in<br />

mehrjähriger Forschungsarbeit<br />

tatsächlich gefunden: Das so genannte<br />

Group Communication<br />

Protocols (GCP)ist in der Lage, die<br />

Aufgaben des Servers bei einer Videokonferenz<br />

auf die Rechner der<br />

Teilnehmer an der Konferenz auszulagern.<br />

Auf diese Weise ist eine<br />

direkte Kommunikation zwischen<br />

deren Endgeräten möglich. Ohne<br />

Fotos: Torsten George<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


ideen+impulse 59<br />

Server. Der Fachmann spricht von<br />

Peer-to-Peer-Kommunikation.<br />

Server-Lösungen sind sehr komplex<br />

und stellen hohe Anforderungen<br />

an die Hardware, an Installation<br />

und Wartung.<br />

Neufirmierung 2012<br />

Entsprechend hoch ist der Preis.<br />

Das GCP dagegen funktioniert auf<br />

handelsüblichen PCs. Es eröffnete<br />

die Möglichkeit, Videokonferenzen<br />

nahezu unbegrenzt, auch an<br />

einzelnen Arbeitsplätzen verfügbar<br />

zu machen.<br />

Während seines Zweitstudiums<br />

an der BTU wurde André Röhrig<br />

und ein Kommilitone von Professor<br />

König gefragt, ob sie einen<br />

Businessplan zum Group Communication<br />

Protocol schreiben<br />

würden. Ein Konzept für eine<br />

Unternehmensausgründung zur<br />

Produktentwicklung und die anschließende<br />

Vermarktung. Beide<br />

sagten zu. Etwas ungelenk wurde<br />

das Produkt „Brandenburger Videokonferenzsystem“<br />

genannt,<br />

heute einfach BRAVIS.<br />

Nach<strong>dem</strong> es gelungen war, Wagniskapital<br />

für die Produktentwicklung<br />

zu akquirieren, erfolgte<br />

2005 die Ausgründung der BRA-<br />

VIS GmbH. Am Ende stand eine<br />

anwendungsreife Videokonferenz-Software<br />

mit einem beeindruckenden<br />

Leistungsspektrum<br />

für bis zu 16 Einzelteilnehmer.<br />

„Was heutige komplexe Server-<br />

Lösungen können“, so bringt es<br />

Vertriebschef Sure auf den Punkt,<br />

„kann BRAVIS auch – zu einem<br />

Zehntel des Preises!“<br />

Fast allerdings hätte die Innovation<br />

ihren Markteintritt doch noch<br />

verfehlt. 2010, am Ende der Entwicklungsphase,<br />

war das Startkapital<br />

aufgebraucht. Wegen der Finanz-<br />

und Wirtschaftskrise gab<br />

es keine Anschlussfinanzierung.<br />

Mit der Neufirmierung als BRA-<br />

VIS International GmbH wagte<br />

das Gesellschafterquartett Anfang<br />

2012 die Fortführung. Inzwischen<br />

gibt es über 300 Kunden,<br />

meist kleine und mittelständische<br />

Firmen.<br />

<strong>Vor</strong> Abhörung sicher<br />

Auffällig hoch ist der Anteil aus<br />

sicherheitssensiblen Bereichen<br />

– Banken, Gesundheitseinrichtungen,<br />

Polizeibehörden. Maik<br />

Krüger sieht dafür technische<br />

Gründe: „BRAVIS hat bei kommerziellen<br />

Videokonferenzen<br />

ein weltweites Alleinstellungsmerkmal.<br />

Als Peer-to-Peer-Lösung<br />

läuft die eigentliche Konferenzschaltung<br />

eben nicht über<br />

einen zentralen Server irgendwo<br />

im Internet. Solche Server stehen<br />

häufig in den USA, wo die elektronische<br />

Überwachungsbehörde<br />

NSA Zugriffsrecht auf allen Daten<br />

hat. BRAVIS via Internet ist daher<br />

per se weit abhörsicherer als jede<br />

Server-Lösung. Für Nutzer, die<br />

aus Sicherheitsgründen das öffentliche<br />

Internet grundsätzlich<br />

meiden, bieten wir außer<strong>dem</strong> die<br />

Möglichkeit, BRAVIS in ihrem Intranet<br />

einzusetzen.“<br />

Viele Anwendungsgebiete gibt es.<br />

Dazu Andreas Engel: „Telemedizin<br />

ist ein Stichwort. Zusammen<br />

mit der innomedis AG, Köln haben<br />

wir eine Software für Video-Sprechstunden<br />

von Ärzten<br />

entwickelt. Und im Projekt ,Akrobatik@home‘<br />

werden mittels<br />

BRAVIS contergangeschädigte<br />

Menschen in ihrem häuslichen<br />

Bewegungstraining unterstützt.<br />

Derzeit arbeiten wir in Kooperation<br />

mit verschiedenen Fraunhofer<br />

Instituten und anderen Partnern<br />

an einer Spezialanwendung zur<br />

ambulanten Physiotherapie von<br />

Rekonvaleszenten. Ganz anders<br />

,DirectServ‘, eine Anwendung, die<br />

wir zusammen mit der benntec<br />

Systemtechnik GmbH entwickelt<br />

haben – zur Fernwartung und von<br />

Maschinen und Anlagen.“<br />

Neben Deutsch und Englisch arbeitet<br />

BRAVIS auch auf Russisch,<br />

Türkisch und Polnisch. Und eine<br />

Dependance in Malaysia kümmert<br />

sich inzwischen um den asiatischen<br />

Markt. <br />

Videokonferenzen<br />

gehören<br />

zunehmend<br />

zum Alltag im<br />

Unternehmen.<br />

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60 wirtschaft+kultur<br />

BÜCHERBORD<br />

Machtspiele<br />

Wie man eitle, selbstgerechte Minister<br />

und vorteilssüchtige Bundespräsidenten<br />

stürzt, ist allgemein<br />

bekannt. Aber wie baut man einen<br />

starken Mann auf? Der Thriller „Geheimloge<br />

D“, entwickelt dazu eine Variante.<br />

Die Zeit: Es ist die deutsche Gesellschaft<br />

der Neunziger Jahre, als die<br />

Wahl eines neuen Kanzlers ansteht.<br />

Der soll der starke Mann werden, der<br />

alles richtet. Im Sinne der Geheimloge<br />

D, eines Kraken, der getarnt die Kontrolle<br />

über eine aus <strong>dem</strong> Leim gehende<br />

Gesellschaft gewinnen will. Die Story:<br />

Ein Berliner Journalist dringt bei<br />

seinen Recherchen vor bis ins höchste<br />

Establishment Deutschlands. Und<br />

muss dafür bitter bezahlen.<br />

Der Autor Thomas Schwandt ist kundig<br />

im Elitemilieu von Wirtschaftskonferenzen,<br />

Polizeipräsidien und Parteitagen<br />

ebenso wie im Redaktions- und<br />

Barmilieu der Journalisten. Was kein<br />

Wunder ist, denn er ist selbst einer: Rüganer<br />

von Geburt, einst Maschinenassistent<br />

in der Hochseefi scherei, nach<br />

Stationen bei der „Jungen Welt“ und<br />

der „Ostsee-Zeitung“ heute freiberuflicher<br />

Wirtschaftsjournalist und nicht<br />

zuletzt Autor bei „W+M“. Hier legt er<br />

den ersten Band einer Thriller-Trilogie<br />

vor. Der Start, so scheint es, ist ihm exzellent<br />

gelungen Peter Jacobs<br />

Thomas<br />

Schwandt<br />

Geheimloge D;<br />

Südwestbuch<br />

Verlag,<br />

12,50 Euro<br />

Einzigartig in Deutschland: Theater und Restaurant, Unterhaltung und Genuss<br />

auf einem Schiff in Dresden zwischen Semperoper und Frauenkirche, unweit vom<br />

Schloss.<br />

THEATERKÄHNE<br />

Thalia an Bord<br />

Schiffswracks üben einen seltsamen<br />

Reiz auf Theaterleute aus. Deren<br />

Spleen schuf ein paar schwimmende<br />

Attraktionen in Ostdeutschland.<br />

Marion, so hieß der alte Lastkahn, liegt<br />

seit fast 20 Jahren fest vertäut am<br />

Dresdner Terrassenufer. Der Schauspieler<br />

Friedrich Wilhelm Junge hatte ihn Anfang<br />

der 90er Jahre entdeckt, auf der Suche nach<br />

einer mietfreien Spielstätte für sein 1988<br />

gegründetes Kabarett „Dresdner Brettl“.<br />

Die Behörden gaben „Marion“ her für eine<br />

ganze D-Mark. Junge wartete nicht auf Fördermittel,<br />

sondern überzeugte Banken von<br />

seiner kulturellen Start-up-Idee. Vier Millionen<br />

DM Kredit gewährten sie ihm für die<br />

Umrüstung zum Theaterschiff. Der inzwischen<br />

75-Jährige, der 2005 die Leitung des<br />

„Brettl“ abgab, hat aus <strong>dem</strong> Elbkahn ein geachtetes<br />

Repertoiretheater gemacht. Mit Literaturprogrammen<br />

von Loriot bis zu Erich<br />

Kästner, mit Urauff ührungen und mit viel<br />

Musik, das Dresdner Dixiefestival inbe-<br />

griffen. Bis zu 300 <strong>Vor</strong>stellungen im Jahr,<br />

dazu Tourneen des „Brettl“ bis nach Kanada,<br />

Finnland und Isræl. Zur wassergestützten<br />

Heimat-Spielstätte mit 216 Plätzen kommen<br />

das Restaurant „Khanaletto“ und eine<br />

Schiff sbar. Zu 90 Prozent finanziert sich die<br />

Theaterkahn Stiftung selbst.<br />

So fl ott sind andere kulturfreundlich umgebauten<br />

Marineeinheiten nicht. In Potsdam<br />

hat ein Trägerverein die Muse Thalia<br />

an Bord des einstigen Binnenschiff s<br />

„Sturmvogel“ geholt. Außer Theater, Kabarett<br />

und Tanz gibt es Talkrunden mit Stadtprominenz.<br />

Stadt und Land gewähren Fördermittel,<br />

Spenden werden gebraucht.<br />

Von den zwei Theaterschiffen Berlins hat<br />

nur eines überlebt: Am Märkischen Ufer<br />

bietet „Helene“ Krimis, Comedy und Kleinkunst.<br />

Und in Magdeburg, auf der MS Marco<br />

Polo, offerieren „Die Nachtschwärmer“ mit<br />

der Schönebecker Reederei Süßenbach<br />

„musikalisch-literarische Reisen“. Wirtschaftlich<br />

funktioniert es.<br />

Für die Dresdner wären solche Flusstouren<br />

keine gute Idee. Denn darauf warten jene<br />

nur, die den weltberühmten Canaletto-Blick<br />

beschädigt sehen und das kleine kulturelle<br />

Juwel immer noch dort weg haben wollen.<br />

Peter Jacobs<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


wirtschaft+kultur 61<br />

Fußball-Peer<br />

Ernst Röhl porträtiert einen<br />

Abseitsspezialisten<br />

Für seine Wahl zum Kandidaten erwartete<br />

Peer Steinbrück eine rätselhafte<br />

Gegenleistung. Er bat das Parteifußvolk,<br />

ihm ein wenig „Beinfreiheit“ zu gewähren.<br />

Keiner wusste, was er damit meinte, doch<br />

die Genossen gewährten sie ihm trotz<strong>dem</strong>.<br />

Wohl, weil sie annahmen, er wolle sich um<br />

den Altherrenfußball verdient machen. Zu<br />

spät dämmerte ihnen, mit welcher Spezialkunst<br />

er sich dabei hervortun würde: Mit<br />

<strong>dem</strong> Schießen von Selbsttoren.<br />

Einst sagten seine Freunde, er wäre ein<br />

begnadeter Redner. Im Bundestag jedoch<br />

galt er als auskömmlich bezahlter Schweiger.<br />

Im Plenarsaal hatte er öfter durch Auszeit<br />

geglänzt und war an solchen Tagen<br />

lieber als Honorarprediger aufgetreten<br />

bei Veranstaltern, die ihn mit fetten Aufwandsentschädigungen<br />

verwöhnten. Für<br />

eine einzige Schwurbelrede bei den Bochumer<br />

Stadtwerken sackte er 25.000 Euro<br />

ein. Das soll ihm ein Fußballprofi erst mal<br />

nachmachen.<br />

Inzwischen ist der Mann nicht bloß Nebenverdienstmillionär,<br />

sondern auch Kanzlerkandidat.<br />

Welch ein Selbsttor für die SPD!<br />

Zunächst vergrämte er seine Wähler, in<strong>dem</strong><br />

er ihnen an den Kopf knallte, dass sie von<br />

Wein, Weib und Gesang keine Ahnung hätten,<br />

am wenigsten vom Wein. Als dies geklärt<br />

war, machte er sich bei Leiharbeitern<br />

und Aufstockern beliebt und forderte höhere<br />

Einkünfte, wenn auch nicht gerade für<br />

Leiharbeiter und Aufstocker. „Ein Bundeskanzler<br />

oder eine Bundeskanzlerin“, klagte<br />

er, „verdient in Deutschland zu wenig.“ Damit<br />

stand es schon Null zu Zwei. Gegen ihn.<br />

Statt sich zu bedanken, ließ ihn die Kanzlerin<br />

ins Abseits laufen und verlauten, sie<br />

selbst empfinde ihre Bezüge als durchaus<br />

angemessen. Daraufhin begannen die Gegenspieler<br />

von der schwarzgelben Koalition<br />

zu frohlocken. Nie hätten sie zu hoffen<br />

gewagt, dass die Sportgeschichte ihnen<br />

diesen Spaßvogel als Stürmerstar vorsetzen<br />

würde. Auf der VIP-Tribüne, sagten sie,<br />

mag er ein guter Witzereißer gewesen sein,<br />

aber als Durchreißer auf <strong>dem</strong> Platz is’ er<br />

’ne Pfl aume.<br />

Zur Freude der Union machte Pannen-Peer<br />

auch gleich noch mit übermütigen Fouls<br />

zum Ausgang der italienischen Wahlen von<br />

sich reden. Er sei entsetzt, höhnte er, dass in<br />

Rom „zwei Clowns“ gewonnen hätten – der<br />

Protestpolitiker Beppe Grillo und der testosterongesteuerte<br />

Bunga-Bunga-Berlusconi.<br />

Italiens Staatspräsident Napolitano zog<br />

nach dieser Blutgrätsche die Rote Karte und<br />

ließ ihn im Berliner Hotel Adlon gar nicht<br />

erst aufl aufen, etwa um mit ihm über italienischen<br />

Fußball zu plaudern. Der weltberühmte<br />

Clown Bernhard Paul, Direktor des Circus<br />

Roncalli, fühlte sich gar in seiner Berufsehre<br />

gekränkt. Er verbat es sich, mit <strong>dem</strong> Pausenclown<br />

Berlusconi verglichen zu werden.<br />

Und unsere fußballkundige Kanzlerin? Zunächst<br />

hatte sie über den deutschen Peerlusconi<br />

noch herzlich geschmunzelt. Inzwischen<br />

hält sie sich zurück. Womöglich hat<br />

sie den Verdacht, dass der Mann mit der<br />

Beinfreiheit beim Volk auf den Stadionrängen<br />

sich doch noch das Image eines Fair<br />

Players erwerben könnte, eines „Mannes,<br />

der die Wahrheit spricht“. Wahlkampf-Pseudonym:<br />

Klartext-Peer!<br />

Vielleicht wartet sie aber nur das nächste<br />

Selbsttor ab. <br />

BESTSELLER<br />

WIRTSCHAFT<br />

1. Wehrle, Martin; Ich arbeite in einem<br />

Irrenhaus; Econ, 14,99 €<br />

2. Weick, Matthias / Friedrich, Marc; Der<br />

größte Raubzug der Geschichte; Tectum,<br />

19,90 €<br />

3. Wehrle, Martin; Ich arbeite immer noch<br />

in einem Irrenhaus; Econ, 14,99 €<br />

4. Sinn, Hans-Werner; Die Target-Falle;<br />

Hanser, 19,90 €<br />

5. Sprenger, Reinhard K.; Radikal führen;<br />

Campus, 24,99 €<br />

6. Smiths, Greg; Die Unersättlichen; Rowohlt,<br />

19,99 €<br />

7. Maschmeyer, Carsten; Selfmade: erfolg<br />

reich leben; Ariston, 18,99 €<br />

8. Balodis, Holger / Kühne, Dagmar; Die<br />

<strong>Vor</strong>sorgelüge; Econ, 18,00 €<br />

9. Stiglitz, Joseph E.; Der Preis der Ungleichheit;<br />

Siedler, 24,99 €<br />

10. Graeger, David; Schulden; Klett-Cotta,<br />

26,95 €<br />

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62 unternehmen+verband<br />

Möbel für<br />

lebende Räume<br />

Zu den jüngsten Mitgliedern im<br />

Unternehmerverband Sachsen<br />

gehört die Deutsche Werkstätten<br />

Lebensräume GmbH in Lichtenstein.<br />

W+M sprach mit Katharina<br />

Kratzsch, Leiterin der Unternehmensentwicklung<br />

in <strong>dem</strong> kreativen<br />

Team.<br />

Von Harald Lachmann<br />

Die vortrefflichsten Dinge<br />

verlieren durch unzweckmäßige<br />

Planung ihren<br />

Wert“, warnte schon der berühmte<br />

Architekt, Stadtplaner und Möbeldesigner<br />

Le Corbusier. „Die Atmosphäre<br />

eines Raums ist so lebendig<br />

wie die Möbel, die ihn mit<br />

Leben erfüllen“, ergänzt Katharina<br />

Kratzsch. Die 28-Jährige ist Leiterin<br />

Unternehmensentwicklung<br />

der Deutsche Werkstätten Lebensräume<br />

GmbH im sächsischen<br />

Lichtenstein. Das Unternehmen<br />

im <strong>Vor</strong>erzgebirge ist die Handelstochter<br />

des 1992 reprivatisierten<br />

Möbelherstellers Hellerau. Eine<br />

Traditionsmarke, die für individuelle<br />

Innenarchitektur, Innenausbau<br />

und Objektgestaltung steht.<br />

In Dresden-Hellerau beschäftigt<br />

das Stammhaus heute 200 Menschen<br />

sowie 30 weitere in Niederlassungen<br />

und Repräsentanzen<br />

in Russland, England, Frankreich<br />

und der Schweiz.<br />

Mit der Lichtensteiner Tochter<br />

sollte das Handelsgeschäft weiter<br />

etabliert und intensiviert werden,<br />

sagt die Betriebswirtin Kratzsch.<br />

Es gebe viele Schnittstellen zwischen<br />

beiden Unternehmen. Die<br />

Lichtensteiner liefern beispielsweise<br />

für das exklusive Raumambiente,<br />

das in Hellerau kreiert<br />

wird, hochwertiges serielles Mobiliar<br />

sowie Innenausstattungen.<br />

Doch die Lichtensteiner Firma,<br />

die sich mit 17 Mitarbeitern derzeit<br />

einen denkmalgerecht sanierten<br />

Industriebau einrichtet, ist alles<br />

andere als ein reiner Händler.<br />

„Wir sehen uns als Raumausstatter,<br />

betrachten den Raum stets<br />

ganzheitlich“, betont Lebensräume-Geschäftsführer<br />

Ronny<br />

Kretschmer. Es gehe auch um<br />

Wandgestaltung, Decken und Böden.<br />

Die Kunden werden bei der<br />

„Unsere Kunden<br />

erhalten frühzeitig<br />

eine klare<br />

Idee, wie die<br />

zu gestaltenden<br />

Bereiche<br />

später aussehen<br />

werden.“<br />

Auswahl von losem Mobiliar,<br />

von Tischen und Stühlen, Leuchten<br />

und Accessoires beraten. „Auf<br />

Wunsch wird alles mit maßgeschneidertem<br />

Innenausbau sowie<br />

Möbeln aus der Hellerauer Fertigung<br />

ergänzt.“<br />

Einen Großteil der Aufträge erhält<br />

die Lebensräume GmbH von<br />

anderen Firmen oder Institutionen<br />

– Bankfilialen, Bibliotheken,<br />

Bildungsträgern, Museen und<br />

Firmenzentralen. Einen Schwerpunkt<br />

bilden Bürowelten. „Der<br />

persönliche Arbeitsplatz ist vielen<br />

Menschen heilig“, weiß Katharina<br />

Kratzsch. Den Umzug in neue<br />

Räume und das Akzeptieren neuer<br />

Bürokonzepte empfänden vie-<br />

Foto: Harald Lachmann<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


unternehmen+verband 63<br />

le als „delikate Angelegenheit“.<br />

Drum seien für jedes neue Projekt<br />

zunächst eine intensive Ist-Stand-<br />

Analyse sowie das Einbeziehen<br />

der betroffenen Mitarbeiter unverzichtbar.<br />

Kommunikationsräume<br />

werden funktional sinnvoll<br />

von Konzentrations- und Regenerationsräumen<br />

abgegrenzt, erläutert<br />

die junge Managerin.<br />

Manche Kunden kommen bereits<br />

mit konkreten <strong>Vor</strong>stellungen, andere<br />

kennen maximal die Raummaße.<br />

Für die Lebensraum-Planer<br />

ist das jedoch kein Problem.<br />

„Unsere Kunden erhalten frühzeitig<br />

eine sehr genaue Idee, wie die<br />

zu gestaltenden Bereiche später<br />

aussehen werden“, verweist Katharina<br />

Kratzsch auf 3D-Programme,<br />

mit denen ganze Etagen virtuell<br />

zum Leben erweckt werden<br />

können. Möbel werden verschieden<br />

bemustert, um den Kunden<br />

exakte <strong>Vor</strong>stellungen über das<br />

Zusammenspiel von Materialien,<br />

Möbeln und Proportionen zu geben.<br />

Für die Kunden werden auch komplette<br />

Workshops organisiert. Das<br />

erleichtert es, zielgenau deren Planungs-<br />

und Ausstattungsbedarf<br />

zu ermitteln. „Auf dieser Basis erstellen<br />

wir dann ein Rahmenkonzept“,<br />

so Katharina Kratzsch. Besonderer<br />

Clou dabei: Erstklassige<br />

Serienmöbel werden mit einzelnen<br />

exklusiven Raumelementen<br />

oder Accessoires aus der Hellerauer<br />

Fertigung kombiniert, so dass<br />

ein einzigartiges Ambiente entsteht.<br />

Inzwischen kreieren auch renommierte<br />

deutsche Architekten –<br />

etwa Max Dudler und Professor<br />

Hans Kolloff – Möbel für die Deutschen<br />

Werkstätten, die nach ihren<br />

Entwürfen in Hellerau gebaut werden.<br />

Erhältlich sind diese Tische<br />

und Stühle seit Ende 2012 übrigens<br />

auch auf <strong>dem</strong> neuen Internetportal<br />

der Lichtensteiner. Mit<br />

<strong>dem</strong> exklusiven Möbelportal fokussieren<br />

sich die Sachsen verstärkt<br />

auf den anspruchsvollen<br />

Privatkunden. Es geht um jene,<br />

die Haus und (Heim)Büro aufwerten<br />

wollen. Und das Geschäft<br />

entwickelt sich offenbar hervorragend.<br />

Der Umsatz der Lichtensteiner<br />

steigt von Jahr zu Jahr<br />

deutlich. Die 5,4 Millionen Euro,<br />

die 2012 erlöst wurden, gelten als<br />

Top-Ergebnis.<br />

Das auch dank einer offensiven<br />

Vertriebsstrategie. So eröffneten<br />

die Sachsen im November vorigen<br />

Jahres am Berliner Monbijouplatz<br />

einen Showroom und sind<br />

damit wieder in der Bundeshauptstadt<br />

vertreten. Mit dieser Repräsentanz,<br />

die von der Deutschen<br />

Werkstätten Lebensräume GmbH<br />

betreut wird, entstand ein wichtiger<br />

Anlaufpunkt für design- und<br />

qualitätsbewusste Möbelkäufer.<br />

Geradlinig<br />

schön:<br />

Bibliothek<br />

Dessau.<br />

Einladend:<br />

Repräsentanz<br />

der Deutsche<br />

Werkstätten<br />

Lebensräume<br />

GmbH in<br />

Berlin.<br />

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64 unternehmen+verband<br />

UV BRANDENBURG<br />

Am Puls der<br />

Medizin von<br />

morgen<br />

Der zehnte Teltower Technologietag<br />

war <strong>dem</strong> Innovationsmotor<br />

Medizintechnik gewidmet.<br />

Von Hans Pfeifer<br />

Intensive<br />

Gespräche<br />

in Teltow<br />

zwischen<br />

Vertretern<br />

von Mittelstand<br />

und<br />

Forschung.<br />

Als der Präsident des Unternehmerverbandes<br />

Brandenburg,<br />

Eberhard Walter,<br />

Mitte März den Teltower Technologietag<br />

eröffnete, tat er das<br />

schon zum zehnten Mal. Dem<br />

Anspruch einer Leistungsschau<br />

und eines Workshops des innovativen<br />

Mittelstandes in der Region<br />

Berlin-Brandenburg ist der Technologietag<br />

immer besser gerecht<br />

geworden, unterstrich Hermann<br />

Kühnapfel, Landesvorsitzender<br />

der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung<br />

der CDU, die<br />

traditionell den Tag zusammen<br />

Fachleute sehen<br />

die Hauptstadtregion<br />

in der<br />

oberen Liga.<br />

mit <strong>dem</strong> Unternehmerverband<br />

Brandenburg veranstaltet.<br />

Kaum etwas spiegelt dies besser<br />

wider als das diesjährige Thema<br />

Medizintechnologie. Der<br />

Schirmherr des Technologietages,<br />

der Brandenburgische Minister<br />

für Wirtschaft und Europaangelegenheiten<br />

Ralf Christoffers,<br />

unterstrich die Bedeutung der<br />

Gesundheitswirtschaft und Medizintechnologie<br />

für Berlin und<br />

Brandenburg. 274.000 Beschäftigte,<br />

16 Milliarden Jahresumsatz<br />

und mehr als 700 Unternehmen<br />

sind eine wirtschaftliche Größe.<br />

Bis zum Jahr 2020 soll die Branche<br />

zu den führenden Innovationsregionen<br />

in Europa gehören.<br />

Christoffers machte kein Geheimnis<br />

daraus, dass sich diese Entwicklung<br />

vor <strong>dem</strong> Hintergrund<br />

eines gravierenden Umbaus der<br />

Innovationsförderung vollziehen<br />

wird. Berlin-Brandenburg ist<br />

in den EU-Augen keine strukturschwache<br />

Region mehr. Dieser Erfolg<br />

bedeutet vor allem: weniger<br />

Geld aus Brüssel. Dennoch hat die<br />

Brandenburger Landesregierung<br />

erst unlängst die Schwerpunktförderung<br />

für Forschung und Entwicklung,<br />

Industrie und mittelständische<br />

Unternehmen in der<br />

Gesundheitswirtschafts- und Medizintechnologiebranche<br />

gestärkt<br />

und dazu Mittel umgeschichtet.<br />

Fachleute sehen die Region Berlin-Brandenburg<br />

in der Medizintechnologie<br />

in der oberen Liga<br />

angekommen. Das machte unter<br />

anderem Andreas Lendlein, Professor<br />

am Helmholtz-Zentrum<br />

Geesthacht, deutlich. An <strong>dem</strong> Institut<br />

geht es auch um die Entwicklung<br />

neuer Materialien, um<br />

die regenerative Medizin, neue<br />

bildgebende Verfahren, um die<br />

minimalinvasive Medizin, um<br />

Telemedizin und die Nanotechnologie.<br />

Auf letzteren beiden Gebieten<br />

können Unternehmen des<br />

Teltower Technolgieclusters bereits<br />

hervorragende Ergebnisse<br />

vorweisen, lobte Lendlein.<br />

Die Perspektiven für die Medizintechnologiebranche<br />

seien herausragend.<br />

Das größte Potenzial liege<br />

im Bereich der Entwicklung neuer<br />

Biomaterialien, so Lendlein.<br />

Ein Entwicklungshorizont von<br />

ungefähr zehn Jahren und Kosten<br />

von 30 bis 40 Millionen Euro<br />

pro Innovation seien eine große<br />

Herausforderung, die mittelständische<br />

Unternehmen nicht<br />

stemmen könnten. Deshalb konzentrierten<br />

sich die Helmholtz-<br />

Gesellschaften auf die Schaffung<br />

von Technologieplattformen, auf<br />

denen Kliniken, Forschungs- und<br />

Entwicklungslabors sowie Unternehmen<br />

eng zusammenwirken. <br />

Foto: Hans Pfeifer<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


unternehmen+verband 65<br />

TERMINE<br />

UV BRANDENBURG<br />

17. April und 6. Mai: Wirtschaft im Dialog –<br />

die Parteien zur Bundestagswal 2013 (Anmeldung<br />

erforderlich)<br />

14. Mai: Landesarbeitskreis Innovative<br />

Technologien: Innovative Lösungen für die<br />

Automobilindustrie mit <strong>dem</strong> Schwerpunkt<br />

Elektromobilität.<br />

24. Mai: Holiday Inn Berlin-International<br />

Airport, Schönefeld: Mitgliederversammlung.<br />

UV ROSTOCK<br />

18. April: Hotel Neptun, Warnemünde: Unternehmertag<br />

„Nachhaltigkeit in der Wirtschaft“<br />

19. April: Hotel Neptun, Warnemünde: Unternehmerball<br />

„UV auf See“<br />

UV VORPOMMERN<br />

3. Mai: Aquamaris Strandresidenz Rügen/<br />

Juliusruh: 3. Maritimer Frühlingsball und<br />

Wirtschaftsgespräche<br />

NACHRICHTEN<br />

UV SCHWERIN<br />

Gegen Mindestlohn<br />

Der Unternehmerverband Norddeutschland<br />

Mecklenburg-Schwerin kritisiert die Landesrichtlinie<br />

zur Förderung der gewerblichen<br />

Wirtschaft.<br />

Der in der überarbeiteten Landesrichtlinie<br />

enthaltenen Mindestlohn von 8,50 Euro als<br />

Zugangsvoraussetzung für die Förderung ist<br />

wirtschaftspolitisch bedenklich, heißt es in<br />

einer Stellungnahme des Unternehmerverbandes.<br />

Die rot-schwarze Regierung eröff ne<br />

mit der Aufnahme zusätzlicher Bedingungen<br />

einen zukünftigen Wettbewerb um politisch<br />

motivierte und populistische Forderungen.<br />

Es bedürfe nicht großer Phantasie, um<br />

sich vorzustellen, wie in Zeiten wahlpolitischer<br />

Auseinandersetzungen die Forderungen<br />

nach immer höheren Löhnen losgelöst<br />

von betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten<br />

Einzug in die aktuelle Politik des Landes<br />

halten. Der über 60 Jahre bestehende<br />

Grundsatz zum gemeinsamen Interessensausgleich<br />

im Rahmen der Lohnfindung, wie<br />

sie die Tarifautonomie als schützenswertes<br />

Gut darstellt, werde kurzfristig politisch motiviertem<br />

Klienteldenken geopfert. „Wir befürchten“,<br />

so Hauptgeschäftsführer Wolfgang<br />

Schröder, „dass mit der jetzt gesetzlich<br />

verankerten Regelung durchaus förderwürdige<br />

Unternehmen bzw. einzelne Branchen<br />

vom Zugang notwendig benötigten Kapitals<br />

ausgeschlossen bleiben.“<br />

UV ROSTOCK<br />

Unternehmer für Bildung<br />

Der Unternehmerverband Rostock-Mittleres<br />

Mecklenburg setzt sich im Rahmen<br />

des Arbeitskreises „SCHULEWIRTSCHAFT“<br />

für eine bessere Berufsfrühorientierung ein.<br />

In Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit,<br />

der IHK zu Rostock und anderen Institutionen<br />

wird jährlich ein umfangreicher<br />

Jahresarbeitsplan für die Mitglieder des<br />

Arbeitskreises erstellt. Der Arbeitskreis<br />

setzt sich aus Lehrern und Vertretern der<br />

Wirtschaft zusammen. Viele Mitgliedsunternehmen<br />

engagieren sich bei der Berufsfrühorientierung<br />

durch Teilnahme an<br />

Schülermessen oder Berufskundetagen beziehungsweise<br />

durch Angebote von Praktika<br />

in Unternehmen.<br />

Mit <strong>dem</strong> Schulamt wurde eine noch engere<br />

Zusammenarbeit vereinbart. Die verantwortlichen<br />

Lehrer für Berufsfrühorientierung<br />

der Schulen erhalten über den<br />

Verteiler des Schulamtes alle Informationen,<br />

die in den Bereich Berufsorientierung<br />

fallen. Das verhindert eine Überfl utung von<br />

Angeboten und macht gezielte Teilnahmen<br />

an Veranstaltungen beziehungsweise Fortbildungen<br />

möglich. Des Weiteren ist geplant,<br />

unter <strong>dem</strong> Motto: „Unternehmen in Schule“<br />

bei Bedarf Unternehmerinnen und Unternehmer<br />

in die Schulen einzuladen, um eine<br />

Unterrichtsstunde zu den Themen Bewerbung,<br />

Existenzgründung und Unternehmensphilosophie<br />

allgemein zu gestalten. Das ermöglicht<br />

einen direkten Kontakt zwischen<br />

Lehrern, Schülern und Unternehmen, der in<br />

vielfältiger Weise individuell ausgebaut werden<br />

kann. <br />

GESCHÄFTSSTELLEN<br />

Unternehmerverband Berlin e.V.<br />

Präsident: Armin Pempe<br />

Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />

Geschäftsstelle: Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />

Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />

Tel.: +49 30 981 85 00, 981 85 01<br />

Fax: +49 30 982 72 39<br />

E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />

Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />

Präsident: Eberhard Walter<br />

Hauptgeschäftsstelle Cottbus: Roland Kleint<br />

Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />

Tel.: +49 03 55 226 58, Fax: 226 59<br />

E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />

Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />

Bezirksgeschäftsführer: Norbert Gölitzer<br />

Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />

Tel.: +49 331 81 03 06, Fax: (03 31) 817 08 35<br />

Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />

Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />

Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />

Tel.: +49 335 400 74 56<br />

Mobil: +49 173 633 34 67<br />

Unternehmerverband Rostock-<br />

Mittleres Mecklenburg e.V.<br />

Präsident: Frank Haacker<br />

Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />

Geschäftsstelle:<br />

Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />

Tel.: +49 381 242 58 -0, 242 58-11, Fax: 242 58 18<br />

Regionalbüro Güstrow:<br />

Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />

Tel.: +49 3843 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />

Unternehmerverband Norddeutschland<br />

Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />

Präsident: Rolf Paukstat<br />

Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />

Geschäftsstelle:<br />

Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />

Tel.: +49 385 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />

Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />

Präsident: Peter Baum<br />

Geschäftsstelle: IHK Erfurt<br />

Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />

Tel.: +49 3681 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />

Unternehmerverband <strong>Vor</strong>pommern e.V.<br />

Präsident: Gerold Jürgens<br />

Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />

Geschäftsstelle:<br />

Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />

Tel.: +49 3834 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />

Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />

Präsident: Hartmut Bunsen<br />

Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel, U. Hintzen<br />

Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />

www.uv-sachsen.org<br />

Geschäftsstelle Chemnitz:<br />

Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />

Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />

Tel.: +49 371 49 51 29 12, Fax: -16<br />

E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />

Geschäftsstelle Dresden:<br />

Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />

Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />

Tel.: +49 351 899 64 67, Fax 899 67 49<br />

E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />

Geschäftsstelle Leipzig:<br />

Leiterin: Silvia Müller<br />

Riesær Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />

Tel.: +49 341 257 91-20, Fax: -80<br />

E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />

Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />

Präsident: Jürgen Sperlich<br />

Geschäftsstelle Halle/Saale<br />

Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />

Tel.: +49 345 78 23 09 24<br />

Fax: +49 345 78 23 467<br />

www.wundm.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 1/2013


66 klipp+klar<br />

Blick nach draußen<br />

Klaus von Dohnanyi<br />

Die schwere Wirtschaftskrise<br />

in der Welt führte zwangsläufig<br />

zu politischen Krisen<br />

in besonders hart betroffenen<br />

Ländern. Politiker suchen<br />

dort nach Schuldigen und meinen<br />

diese in gierigen Banken, Hedgefonds<br />

und skrupellosen Managern<br />

gefunden zu haben. Oder im<br />

Machtwillen Deutschlands; bei<br />

Frau Merkel.<br />

Doch am Kern der Probleme führt<br />

das vorbei. Wer nur einen Moment<br />

über die eigenen Grenzen hinausschaut,<br />

der sieht, wie unterschiedlich<br />

erfolgreich die Staaten der<br />

Welt mit den Krisenfolgen umgehen.<br />

Wie kann es sein, dass EU-<br />

Mitglieder wie Schweden, Dänemark,<br />

Finnland, Estland oder<br />

Polen weiterhin ihre Staatsverschuldung<br />

im Limit der Maastricht-Kriterien<br />

halten, während<br />

Italien, Frankreich oder auch<br />

Großbritannien (kein Euro-Land!)<br />

mit den Folgen der Krise vergeblich<br />

kämpfen. Wenn im Sturm die<br />

einen Schiffe sicher segeln, andere<br />

aber kentern, liegt das dann am<br />

Sturm oder an den Kapitänen?<br />

Die Politik redet viel von notwendigen<br />

Regulierungen der Finanzwirtschaft,<br />

von Begrenzungen<br />

der Managergehälter und Boni.<br />

Das mag alles richtig sein – aber<br />

so werden wir die Probleme nicht<br />

lösen. Der Unterschied zwischen<br />

Wettbewerb<br />

funktioniert nur<br />

als lernendes<br />

System.<br />

erfolgreichen und wenig erfolgreichen<br />

Ländern liegt in ihrer Politik<br />

und nicht bei den Banken.<br />

Wir Deutschen sollten das besser<br />

wissen als viele andere. Was war<br />

der Grund für die so unterschiedlichen<br />

Erfolge auf beiden Seiten<br />

des geteilten Deutschland bis<br />

1989? Im Ausgang, 1945, bestand<br />

wirtschaftlich nahezu ein Gleichgewicht.<br />

Es waren dann aber nicht<br />

die Menschen in der DDR, die weniger<br />

tüchtig gewesen wären als<br />

wir im Westen: Es war die Politik,<br />

die Ostdeutschland ruinierte.<br />

So ist es auch heute in Italien. Die<br />

Italiener sind ein fleißiges Volk;<br />

ihm verdankt Europa kulturell<br />

mehr als irgendeinem anderen<br />

Land. Aber warum dann dieser<br />

Niedergang der wirtschaftlichen<br />

und sozialen Leistungsfähigkeit?<br />

Wiederum: Es ist die Politik.<br />

Ich denke wir müssen begreifen,<br />

dass nicht nur Finanzwirtschaft,<br />

Sozialsysteme und Bildungsorganisationen<br />

einer stetigen Überprüfung<br />

ihrer Leistungsfähigkeit<br />

bedürfen, sondern auch - und heute<br />

besonders - die <strong>dem</strong>okratischpolitischen<br />

Systeme. Auch sie<br />

müssen immer wieder auf den<br />

Prüfstand gestellt werden. Gerade<br />

in Zeiten globalen Wettbewerbs.<br />

Die Freiheit, in der wir leben, die<br />

wir lieben und bewahren wollen,<br />

hat unausweichlich verschärften<br />

Wettbewerb zur Folge. Von der<br />

Wirtschaft wissen wir das. Wenn<br />

aber die Politik eine so entscheidende<br />

Rolle für den wirtschaftlichen<br />

und sozialen Erfolg spielt,<br />

dann müssen wir auch den Wettbewerb<br />

der politischen Systeme<br />

und ihrer Organisation betrachten.<br />

Wettbewerb funktioniert nur<br />

als lernendes System. Scheuen<br />

wir also nicht den Vergleich mit<br />

anderen, erfolgreichen Ländern<br />

der Welt – um zu lernen. <br />

Impressum<br />

<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong><br />

Das ostdeutsche Unternehmermagazin<br />

Magazin der Interessengemeinschaft der<br />

Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlin<br />

Ausgabe 1/2013<br />

Redaktionsschluss: 15.03.2013<br />

Verlag:<br />

Verlag Frank Nehring GmbH<br />

Zimmerstraße 56, 10117 Berlin<br />

Tel. +49 30 479071-0,<br />

Fax +49 30 479071-20<br />

www.NehringVerlag.de<br />

Verlagsleiter: Dr. Robert Nehring<br />

Herausgeber/Geschäftsführer: Frank Nehring<br />

Tel. +49 30 479071-11, FN@NehringVerlag.de<br />

(Alleiniger Inhaber und Gesellschafter, Wohnort Berlin)<br />

Chefredakteur: Helfried Liebsch<br />

Tel. +49 30 479071-24, HL@NehringVerlag.de<br />

Redaktion:<br />

Janine Pirk-Schenker<br />

Tel +49 30 479071-21, JP@NehringVerlag.de<br />

Constanze Treuber, Peter Jacobs, Matthias Salm,<br />

Steffen Uhlmann (Berlin), Thomas Schwandt (Mecklenburg-<br />

<strong>Vor</strong>pommern), Dr. Ulrich Conrad (Brandenburg),<br />

Dana Micke (Sachsen-Anhalt), Harald Lachmann (Sachsen)<br />

Abo- und Anzeigenverwaltung; Vertrieb:<br />

Tina Stegath, Tel. +49 30 479071-28,<br />

TS@Offi ceABC.de<br />

Erscheinungsweise, Einzelverkaufs- und<br />

Abonnementpreis:<br />

Die Zeitschrift <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> erscheint zweimonatlich.<br />

Als Magazin der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände<br />

Ostdeutschlands und Berlin erhalten die Mitglieder<br />

die Zeitschrift im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Einzelpreis (Print): 3,50 €, Jahresabonnement (Print): 20 €<br />

inkl. MwSt. und Versand.<br />

Layout & Design: Benedikt K. Roller<br />

crossmedia gmbh | www.crossmedia-berlin.de<br />

Gesamtherstellung:<br />

möller Druck und Verlag GmbH, ISSN 0863-5323.<br />

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Kopien nur mit vorheriger<br />

schriftlicher Genehmigung des Verlages. Namentlich<br />

gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Meinung der<br />

Redaktion übereinstimmen. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte und Fotos übernehmen wir keine Haftung.<br />

1/2013 | <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong>


EASTERN<br />

MADE IN<br />

GERMANY<br />

Unternehmensdelegationen 2013<br />

Germany Trade & Invest unterstützt Unternehmen aus den Neuen Bundesländern<br />

(inkl. Berlin) bei der Erschließung ausländischer Märkte. In diesem Jahr<br />

werden folgende Delegationsreisen angeboten:<br />

Malaysia 07.04.2013 – 11.04.2013<br />

Brasilien 21.05.2013 – 24.05.2013<br />

Russland 03.06.2013 – 07.06.2013<br />

Für jedes teilnehmende Unternehmen wird ein individuelles Terminprogramm<br />

mit potenziellen Geschäftspartnern und Kunden erstellt. Die Kosten des Programms<br />

(exklusive Reisekosten) übernimmt Germany Trade & Invest. Die Teilnehmerzahl<br />

ist begrenzt.<br />

Kontakt T. 030-200 099 806<br />

Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.


Energie<br />

für die Region.<br />

Die E.ON edis AG investiert in die Zukunft Brandenburgs und Mecklenburg-<br />

<strong>Vor</strong>pommerns. Mit unserem modernen Strom- und Gasnetz sorgen wir dafür,<br />

dass Energie jederzeit sicher und zuverlässig genau dort ankommt,<br />

wo sie gebraucht wird: Mitten im Leben der Menschen hier in unserer Region.<br />

E.ON edis AG<br />

Langewahler Straße 60<br />

15517 Fürstenwalde/Spree<br />

Service-Rufnummer 0 33 61 – 7 33 23 33<br />

www.eon-edis.com

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