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Blues-Porträt No. 39<br />
BILLY BOY ARNOLD<br />
Der Mann mit der<br />
Mundharmonika<br />
Billy Boy Arnold gehört längst zu den ältesten, seit rund 60 Jahren aktiven und damit<br />
auch dienstältesten Vertretern des Chicago-Blues. Zwar hatte er keine Riesenhits<br />
am Fließband, aber seine Discographie umfasst immerhin rund 20 Alben, von denen die<br />
meisten ab 1975 erschienen, nachdem die Plattenkarriere zuvor etwas rumpelnd verlief.<br />
Seit Jahrzehnten wird er von Bluesfans in aller Welt geschätzt, Rockfans lieben ihn wegen<br />
seiner Songs "I Wish You Would" und "I Ain't Got You" (von den Yardbirds übernommen)<br />
und wegen seiner Zusammenarbeit mit den Groundhogs.<br />
Arnold wurde am 16. September 1935<br />
(nach anderen Quellen am 16. März)<br />
in<br />
Chicago geboren und gehört zu den<br />
wichtigsten noch lebenden Angehörigen<br />
der ersten Generation gebürtiger Chicago-<br />
Blueser – die natürlich von aus dem Sü-<br />
den Zugewanderten wie Muddy Waters und<br />
Howlin' Wolf lernten, „wie der Blues geht". Arnolds<br />
Lehrmeister und Vorbilder waren vor allem John Lee<br />
„Sonny Boy" Williamson und Big Bill Broonzy. 1948 erhielt Billy Boy<br />
von Sonny Boy ein paar Privatstunden Unterricht und verfiel dem<br />
Blues. Arnold befasste sich mit der Musik von Blind John Davis, Big<br />
Bill Broonzy, Muddy Waters, Memphis Minnie und Little Walter – sie<br />
alle hinterließen Spuren in seiner Musik. Er entwickelte mit Talent und<br />
Eifer seinen eigenen Mundharmonika-Stil: einen Mix aus Delta-Ein-flüssen<br />
und einem rauen City-Feeling, der sich durch einen elektrisch<br />
verstärkten, beißend-schrillen und<br />
scharfkantig-heulenden Ton inklusive<br />
Wah-Wah-Effekte auszeichnet. Damit<br />
ergab sich ein reizvoller Kontrast zu seiner<br />
jugendlich biegsamen, eher weichen<br />
und anschmiegsamen Bari<strong>to</strong>nstimme.<br />
So ausgerüstet stürzte sich der Youngster<br />
in den frühen Fifties in die Chicagoer<br />
Bluesszene, spielte u.a. für Johnny<br />
Shines und Otis Rush. 1955 war Bo<br />
Diddley von seinem Können beeindruckt,<br />
ließ Arnold Mundharmonika auf<br />
den Hits "Hey Bo Diddley", "Pretty Thing"<br />
und "Bo Diddley"/"I'm A Man" spielen.<br />
Billy Boy als 17-Jähriger ...<br />
Doch der wollte kein Sideman bleiben.<br />
Eigene Aufnahmen für Vee Jay litten allerdings darunter, dass Songs und<br />
Begleitband vom Label ausgesucht wurden. Zwar fielen mit "I Wish You<br />
Would" und "I Ain't Got You" regionale Hits ab, doch der Gesamterfolg<br />
blieb so übersichtlich, dass Vee Jay den Vertrag nicht verlängerte. Letztlich<br />
<strong>to</strong>rpedierten die (zu?) frühen Platten Arnolds Karriere mehr, als sie<br />
sie förderten. Die Folge: zurück an die Arbeit für Stars wie Little Walter<br />
und Junior Wells. Der unverdrossene Arnold schlug sich als Mit-Spieler<br />
durch und versuchte auch, eine eigene Band auf die Beine zu stellen –<br />
dies jedoch scheiterte langfristig mangels Auftrittsmöglichkeiten. Sogar<br />
seine starke 1958er Band mit dem fähigen Gitarristen Mighty Joe Young<br />
kam letztlich nicht zu Potte. Arnold musste zunächst auf Brotberufe wie<br />
Busfahrer, Schulpolizist und Bewährungshelfer umsatteln.<br />
Nächste Karrierestation: das 1963er Album MORE BLUES ON THE<br />
SOUTH SIDE auf dem Edellabel Prestige. Begleitet von Mighty Joe<br />
Von Hans-Jürgen Gün<strong>the</strong>r<br />
Seite 82 ■ <strong>GoodTimes</strong> 2/2013 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong><br />
Young, dem Pianisten Lafayette Leake, Drummer Junior Blackmon und seinem<br />
Bruder Jerome am Bass lieferte Billy Boy Arnold eine ausgezeichnete<br />
Sammlung überwiegend eigener Songs ab. Mittlerweile taten sich auch<br />
neue Horizonte auf, weil in Europa weiße Bluesenthusiasten in den Fokus<br />
rückten, die Musik der Blues-Heroen für ihre Zwecke umformten und in<br />
die USA re-exportierten.<br />
Britische Bands coverten Arnold-Songs, sorgten indirekt dafür, dass er in<br />
Europa ab den siebziger Jahren auf Tournee gehen konnte und auch Aufnahmen<br />
machte – darunter 1977 das Album DIRTY MOTHER mit den<br />
Groundhogs.<br />
Zudem erschienen ab 1976 diverse Arnold-Alben auf verschiedenen Labels<br />
wie Red Lightnin', Sequel, Evidence, Culture Press, Catfish, S<strong>to</strong>-<br />
ny<br />
Plain und P-Vine. Sie bieten – mit nur relativ geringen Qualitätsschwankungen<br />
– mindestens routinierten Chicago-Blues. Über ein<br />
Dutzend davon sind derzeit im (Mailorder-)Handel erhältlich.<br />
Der Grunds<strong>to</strong>ck einer Arnold-Sammlung sollte aber – neben dem genannten<br />
Prestige-Album und dem<br />
Sampler I WISH YOU WOULD (Fifties-Aufnahmen<br />
auf Charly) – aus<br />
seinen besten Arbeiten bestehen,<br />
die er in den Neunzigern für das Alliga<strong>to</strong>r-Label<br />
mit wechselnden Topmusikern<br />
einspielte. BACK WHERE<br />
I BELONG (1993; mit einer neuen<br />
Version von "I Wish You Would")<br />
und ELDORADO CADILLAC (1995;<br />
mit "I Ain't Got You") bieten Arnold<br />
in Bestform: einen stimmlich<br />
gereiften, souveränen Sänger,<br />
der aber vor allem als Bluesharp-<br />
Player permanent Maßstäbe setzt.<br />
... und 60 Jahre später<br />
Ebenfalls unverzichtbar sind seine beiden Tribute-Platten auf dem<br />
Label Electro-Fi: 2008 erschien das CD-Denkmal BILLY BOY AR-<br />
NOLD SINGS SONNY BOY WILLIAMSON, 2012 folgte BILLY BOY AR-<br />
NOLD SINGS BIG BILL BROONZY – mit Songs, die Broonzy von den<br />
späten Dreißigern bis in die frühen Fünfziger abgeliefert hatte. Auf<br />
beiden Arbeiten ist deutlich zu hören, mit welcher Hingabe Arnold<br />
bemüht ist, den Blues seiner Vorbilder am Leben zu halten. Dass er<br />
–<br />
mit Hilfe gleichgesinnter Musiker wie dem Gitarristen Billy Flynn<br />
oder dem Drummer Willie „Big Eyes" Smith – die Vorlagen nicht radikal<br />
umdeutete, sondern sich auf respektvolle Interpretationen in der<br />
Nähe der Originale beschränkte, liegt an seinem Alter. Als 77-Jähriger<br />
neigt halt auch ein Mr. Arnold eher zur Bravheit als zur Abenteuerlust.<br />
Was am musikalischen Wert seines Alterswerkes jedoch rein gar<br />
nichts ändert.